Entschließungsantrag - B8-0577/2017Entschließungsantrag
B8-0577/2017

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG zur Bekämpfung von sexueller Belästigung und sexuellem Missbrauch in der EU

24.10.2017 - (2017/2897(RSP))

eingereicht im Anschluss an eine Erklärung der Kommission
gemäß Artikel 123 Absatz 2 der Geschäftsordnung

Ska Keller, Ulrike Lunacek, Florent Marcellesi, Terry Reintke, Judith Sargentini, Ernest Urtasun, Monika Vana, Molly Scott Cato im Namen der Verts/ALE-Fraktion

Siehe auch den gemeinsamen Entschließungsantrag RC-B8-0576/2017

Verfahren : 2017/2897(RSP)
Werdegang im Plenum
Entwicklungsstadium in Bezug auf das Dokument :  
B8-0577/2017
Eingereichte Texte :
B8-0577/2017
Angenommene Texte :

B8-0577/2017

Entschließung des Europäischen Parlaments zur Bekämpfung von sexueller Belästigung und sexuellem Missbrauch in der EU

(2017/2897(RSP))

Das Europäische Parlament,

–  unter Hinweis auf die Artikel 2 und 3 des Vertrags über die Europäische Union,

–  unter Hinweis auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf die Artikel 8, 19, 157, 216 und 218,

–  unter Hinweis auf die Artikel 21, 23, 24, 25, 26 und 31 Absatz 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union,

–  unter Hinweis auf die Erklärung und die Aktionsplattform von Peking, die am 15. September 1995 auf der vierten Weltfrauenkonferenz angenommen wurden, sowie auf die entsprechenden Abschlussdokumente, die im Rahmen der Sondertagungen der Vereinten Nationen Peking +5 (2000), Peking +10 (2005), Peking +15 (2010) und Peking +20 (2015) angenommen wurden,

–  unter Hinweis auf die Instrumente der Vereinten Nationen im Bereich der Menschenrechte, insbesondere diejenigen, die die Rechte der Frauen betreffen, wie die Charta der Vereinten Nationen, die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) und die zugehörigen Protokolle,

–  unter Hinweis auf das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (im Folgenden „Übereinkommen von Istanbul“),

–  unter Hinweis auf den am 7. März 2011 vom Rat der Europäischen Union angenommenen Europäischen Pakt für die Gleichstellung der Geschlechter (2011–2020)[1],

–  unter Hinweis auf die Richtlinie 2006/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen[2],

–  unter Hinweis auf die Richtlinie 2004/113/EG des Rates vom 13. Dezember 2004 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen[3], in der Belästigung und sexuelle Belästigung definiert und verurteilt werden,

–  unter Hinweis auf die Richtlinie 2012/29/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 über Mindeststandards für die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern von Straftaten sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2001/220/JI[4],

–  unter Hinweis auf seine Entschließung vom 9. Juni 2015 zu der Strategie der EU für die Gleichstellung von Frauen und Männern nach 2015[5],

–  unter Hinweis auf seine Entschließung vom 14. März 2017 zur Gleichstellung von Frauen und Männern in der Europäischen Union 2014–2015[6],

–  unter Hinweis auf die Leitlinien der EU betreffend Gewalt gegen Frauen und Mädchen und die Bekämpfung aller Formen ihrer Diskriminierung,

–  unter Hinweis auf seine Entschließung vom 12. September 2017 zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates über den Abschluss des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt durch die Europäische Union[7],

–  gestützt auf Artikel 123 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,

A.  in der Erwägung, dass sexueller Missbrauch, sexuelle Belästigung und Einschüchterung in verschiedenen Zusammenhängen, auch am Arbeitsplatz, Gewalttaten gegen Frauen sind; in der Erwägung, dass Gewalt gegen Frauen eine brutale Form der Diskriminierung und einen Verstoß gegen Menschen- und Grundrechte darstellt;

B.  in der Erwägung, dass jede dritte Frau in ihrem Leben als Erwachsene schon körperliche oder sexuelle Gewalt erfahren hat; in der Erwägung, dass bis zu 55 % der Frauen in der EU sexuell belästigt worden sind; in der Erwägung, dass 32 % aller Opfer in der EU erklärten, der Täter sei ein Vorgesetzter, Kollege oder Kunde; in der Erwägung, dass75 % der Frauen in Berufen, die Qualifikationen erfordern, oder in Stellungen im gehobenen Management sexuell belästigt worden sind; in der Erwägung, dass 61 % der im Dienstleistungssektor beschäftigten Frauen sexueller Belästigung ausgesetzt worden sind; in der Erwägung, dass 20 % der jungen Frauen zwischen 18 und 29 Jahren in der EU-28 Opfer von Cybermobbing geworden sind; in der Erwägung, dass jede zehnte Frau unter Verwendung neuer Technologien sexuell belästigt oder Opfer von Stalking wurde;

C.  in der Erwägung, dass deutlich zu wenige Fälle von sexueller Belästigung und Mobbing gemeldet werden; in der Erwägung, dass in vielen Fällen Frauen nach Handlungen geschlechtsspezifischer Gewalt und sexueller Belästigung keine Beschwerden einreichen; in der Erwägung, dass 25 % der Frauen, die sexuelle Gewalt nicht der Polizei melden, dies aus Scham unterlassen; in der Erwägung, dass 20 % nicht wollen, dass irgendjemand davon erfährt, und 10 % glauben, dass die Polizei nichts unternehmen könnte oder würde;

D.  in der Erwägung, dass sexuelle Belästigung nach wie vor auf allen Ebenen toleriert und akzeptiert wird; in der Erwägung, dass in besorgniserregendem Maße die Tendenz vorherrscht, das Opfer zu beschuldigen;

E.  in der Erwägung, dass im Übereinkommen von Istanbul der Begriff „geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen“ definiert wird als „Gewalt, die gegen eine Frau gerichtet ist, weil sie eine Frau ist, oder die Frauen unverhältnismäßig stark betrifft“;

F.  in der Erwägung, dass sexuelle Belästigung in der Richtlinie 2004/113/EG als „jede Form von unerwünschtem Verhalten sexueller Natur, das sich in verbaler, nichtverbaler oder physischer Form äußert und das bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird“ definiert ist;

G.  in der Erwägung, dass Belästigung und sexuelle Belästigung dem Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen zuwiderlaufen und eine geschlechtsspezifische Diskriminierung darstellen;

H.  in der Erwägung, dass Geschlechtsstereotype, Sexismus, sexuelle Belästigung und sexueller Missbrauch für das Opfer körperliche, sexuelle, emotionelle und psychische Folgen nach sich ziehen;

I.  in der Erwägung, dass die ungleiche Machtverteilung zwischen Männern und Frauen, Geschlechterstereotype und Sexismus einschließlich sexistischer Hassreden offline und online die Hauptursachen für alle Formen der Gewalt gegen Frauen sind;

J.  in der Erwägung, dass Mobbing und sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz, in privaten und öffentlichen Räumen und im politischen Leben sowohl die Ursache als auch die Folge von geschlechtsspezifischer Gewalt, Ungleichheiten und Geschlechterstereotype sind;

K.  in der Erwägung, dass die Gleichstellung der Geschlechter in der Verantwortung jedes Einzelnen in der Gesellschaft liegt und den aktiven Beitrag gleichermaßen von Frauen und Männern erfordert; in der Erwägung, dass sich die Behörden dazu verpflichten sollten, Bildungskampagnen zu entwickeln, die sich an Männer und die jüngeren Generationen richten und zum Ziel haben, dass Männer und Jungen als Partner einbezogen werden, wodurch allen Arten von geschlechtsspezifischer Gewalt schrittweise vorgebeugt wird und diese bekämpft werden und Frauen gefördert oder gestärkt werden;

L.  in der Erwägung, dass sich Gewalt und Belästigung im politischen Leben unverhältnismäßig häufig gegen Frauen richten; in der Erwägung, dass derartige Gewalt eine Verletzung der Menschenrechte und Grundfreiheiten darstellt, auch der Verpflichtung sicherzustellen, dass Frauen ungehindert als politische Vertreter agieren und teilhaben können;

M.  in der Erwägung, dass im Übereinkommen von Istanbul die Einstufung sexueller Belästigung als Straftatbestand und deren Bekämpfung gefordert und von den Vertragsparteien verlangt wird, „die erforderlichen gesetzgeberischen oder sonstigen Maßnahmen [zu treffen], um sicherzustellen, dass jede Form von ungewolltem sexuell bestimmtem verbalem, nonverbalem oder körperlichem Verhalten mit dem Zweck oder der Folge, die Würde einer Person zu verletzen, insbesondere wenn dadurch ein Umfeld der Einschüchterung, Feindseligkeit, Erniedrigung, Entwürdigung oder Beleidigung geschaffen wird, strafrechtlichen oder sonstigen rechtlichen Sanktionen unterliegt“;

N.  in der Erwägung, dass das Übereinkommen von Istanbul zwar von allen Mitgliedstaaten unterzeichnet, aber nur von 15 Mitgliedstaaten ratifiziert wurde;

O.  in der Erwägung, dass eine Erhebung genau aufgeschlüsselter Daten eine entscheidende Voraussetzung ist, um angemessene Strategien zur Bekämpfung sexueller Belästigung zu entwickeln und ihre Wirksamkeit zu überprüfen;

Null Toleranz und Kampf gegen sexuelle Belästigung und sexuellen Missbrauch in der EU

1.  verurteilt nachdrücklich sämtliche Formen sexueller Gewalt und körperlicher oder psychischer Belästigung und bedauert, dass sie so leicht hingenommen werden, wo sie doch eigentlich eine systembedingte Verletzung von Grundrechten und eine schwere Straftat darstellen, die als solche geahndet werden muss; betont, dass der Straflosigkeit ein Ende gesetzt werden muss, indem die Täter strafrechtlich verfolgt werden;

2.  fordert die Mitgliedstaaten auf, das Übereinkommen von Istanbul vollständig umzusetzen, auch indem sie ein System zur Erhebung genau aufgeschlüsselter Daten errichten, das nach Alter und Geschlecht der Täter und nach dem Verhältnis zwischen Täter und Opfer gegliederte Daten enthält und auch sexuelle Belästigung einschließt;

3.  fordert die Mitgliedstaaten auf, sexuelle Belästigung in jeder Form als Straftatbestand einzustufen und Präventionsstrategien, Bildungs- und Aufklärungskampagnen zu betreiben, damit der Nulltoleranzansatz zur Norm wird;

4.  fordert die Mitgliedstaaten auf, die Richtlinie über Frauen in Aufsichtsräten nicht länger zu blockieren; betont die Verantwortung der Kommission dafür, alles in ihrer Macht Stehende zu unternehmen, um in diesem Bereich Fortschritte zu erzielen; weist darauf hin, dass sich durch einen Mangel an Vielfalt und eine diskriminierende Arbeitskultur die Wahrscheinlichkeit, dass es zu Fällen sexueller Belästigung kommt, erhöht; betont daher, dass es wichtig ist, den Frauenanteil auf allen Entscheidungsebenen zu erhöhen;

5.  fordert die Kommission auf, als Frage äußerster Dringlichkeit einen Vorschlag für eine Richtlinie über Gewalt gegen Frauen vorzulegen, bei dem die Menschenrechte und der Schutz aller Opfer im Mittelpunkt stehen;

6.  fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, Schulungen und Kapazitätsaufbau für die Unterstützung von Opfern in allen mit Belästigung – sowohl online als auch offline – zusammenhängenden Angelegenheiten bei der Polizei und den Justizbehörden sowie die Bereitstellung psychologischer Unterstützung in mit diesem Problem zusammenhängenden Gerichtsverfahren zu fördern;

7.  hebt hervor, dass allen Männern insofern eine zentrale Rolle zukommt, als sie sich dazu verpflichten sollten, einen Wandel einzuläuten, und allen Formen von Belästigung und sexueller Gewalt ein Ende setzen sollten, indem sie die Umstände und Strukturen bekämpfen, die – wenn auch passiv – die Verhaltensweisen begünstigen, welche zu solchen Taten führen, und jegliches Fehlverhalten oder unangemessene Verhalten melden;

8.  betont, dass in Bezug auf Unterschiede zwischen den Geschlechtern und entsprechend in Bezug auf Entscheidungen und den Zugang zu Rechten die Bildungssysteme und die Medien einen erheblichen Einfluss ausüben; fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, ihre Anstrengungen, Stereotype auszumerzen und einen von Stereotypen freien Zugang zu Bildung und Beschäftigung für alle zu fördern, erheblich zu verstärken; unterstreicht, dass die Werbung ein wirksames Instrument für die Hinterfragung von Klischees und die Auseinandersetzung mit ihnen sowie ein Mittel zur Abwehr von Rassismus, Sexismus und Diskriminierung sein kann, dem in den heutigen multikulturellen Gesellschaften entscheidende Bedeutung zukommt;

9.  fordert die Mitgliedstaaten auf, die Aufklärung über die Einwilligung in sexuelle Handlungen und über sexuelle Belästigung als verpflichtende Bestandteile ihrer Bildungssysteme vorzusehen;

Sexuelle Belästigung im Europäischen Parlament

10.  verurteilt nachdrücklich sämtliche Formen sexueller Gewalt und körperlicher oder psychischer Belästigung; fordert die Organe der EU auf, Führungsstärke zu zeigen, indem sie einen Aktionsplan für Nulltoleranz vorlegen und eine Nulltoleranzpolitik gegenüber jeglicher Form der Belästigung betreiben, wozu auch eine entschiedene und nachhaltige Unterstützung für alle gehört, die irgendeine Form von Belästigung erfahren mussten;

11.  verurteilt die Fälle sexueller Belästigung, die in den Medien enthüllt wurden, und bekundet seine nachdrückliche Unterstützung für die Opfer sexueller Belästigung und sexuellen Missbrauchs; betont, dass es für die Organe der EU, wenn sie ernst genommen werden wollen, entscheidend ist, dass sie sich entschlossen jeglicher Form sexueller Diskriminierung oder jeglicher Handlung, die die Gleichstellung der Geschlechter behindert, entgegenstellen;

12.  fordert, einen Ausschuss unabhängiger Sachverständiger einzuberufen, der ein Mandat erhält, die Lage der sexuellen Belästigung und des sexuellen Missbrauchs im Europäischen Parlament zu untersuchen, und beschließt, eine unparteiische Ermittlung der gemeldeten Fälle einzuleiten und nötigenfalls die strengsten Sanktionen zu verhängen und gleichzeitig die Opfer zu unterstützen und ihnen Rechtsberatung zu erteilen, falls es in diesen Fällen zu potenziell strafbarem Verhalten gekommen ist;

13.  fordert die einschlägigen Organe des Parlaments dazu auf, die Arbeitsweise des Beratenden Ausschusses für Beschwerden von akkreditierten parlamentarischen Assistenten über Mitglieder des Europäischen Parlaments wegen Belästigung zu prüfen und bei Bedarf zu ändern; fordert die Verstärkung des Beratenden Ausschusses „Mobbing und Mobbing-Prävention am Arbeitsplatz“ und die Einrichtung einer gesonderten Taskforce zu sexueller Belästigung, der auch ein Rechtsberater und Vertreter des ärztlichen Personals angehören, die in offiziell gemeldeten Fällen ermittelt, ein vertrauliches Register über die Fälle führt und mit bestmöglichen Maßnahmen für eine Nulltoleranz auf allen Ebenen des Organs sorgt;

14.  beschließt, Opfer bei innerhalb des Europäischen Parlaments bzw. bei der örtlichen Polizei eingeleiteten Verfahren uneingeschränkt zu unterstützen, bei Bedarf Notfall- oder Schutzmaßnahmen zu einzuleiten und Artikel 12a des Statuts der Beamten der Europäischen Union uneingeschränkt anzuwenden und dabei dafür zu sorgen, dass die Fälle restlos untersucht und Disziplinarmaßnahmen getroffen werden;

15.  beschließt, für teilnahmepflichtige Schulungen für das gesamte Personal und die Mitglieder zum Thema Respekt und Würde am Arbeitsplatz zu sorgen, damit die Nulltoleranzpolitik zur Norm wird; fordert, dass sich das Organ umfassend für Sensibilisierungskampagnen bei allen Mitgliedern und Dienststellen der Verwaltung einsetzt, wobei ein besonderes Augenmerk auf Gruppen wie Praktikanten, akkreditierte parlamentarische Assistenten und Vertragsbedienstete zu legen ist, die sich in der schwächsten Lage befinden; fordert, zur Unterstützung und Beratung von Opfern ein institutionelles Netz von Vertrauenspersonen einzurichten, wie es bei der Kommission praktiziert wird;

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16.  beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung den nationalen Parlamenten, dem Rat, der Kommission, den Regierungen der Mitgliedstaaten und der Parlamentarischen Versammlung des Europarats zu übermitteln.