Index 
 Zurück 
 Vor 
 Vollständiger Text 
Verfahren : 2014/2716(RSP)
Werdegang im Plenum
Entwicklungsstadien in Bezug auf das Dokument :

Eingereichte Texte :

RC-B8-0059/2014

Aussprachen :

Abstimmungen :

PV 17/07/2014 - 10.7

Angenommene Texte :

P8_TA(2014)0011

Angenommene Texte
PDF 134kWORD 47k
Donnerstag, 17. Juli 2014 - Straßburg
Lage im Irak
P8_TA(2014)0011RC-B8-0059/2014

Entschließung des Europäischen Parlaments vom 17. Juli 2014 zur Lage im Irak (2014/2716(RSP))

Das Europäische Parlament,

–  unter Hinweis auf seine früheren Entschließungen zum Irak, insbesondere die Entschließung vom 27. Februar 2014 zur Lage im Irak(1),

–  unter Hinweis auf das Partnerschafts- und Kooperationsabkommen zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Irak andererseits, und auf seine Entschließung vom 17. Januar 2013 zum Partnerschafts- und Kooperationsabkommen EU–Irak(2),

–  unter Hinweis auf die Schlussfolgerungen des Rates (Auswärtige Angelegenheiten) zum Irak, insbesondere die Schlussfolgerungen vom 23. Juni 2014,

–  in Kenntnis der Erklärungen des Generalsekretärs der Vereinten Nationen zum Irak,

–  unter Hinweis auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948,

–  unter Hinweis auf den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte von 1966, zu dessen Vertragsparteien der Irak gehört,

–  unter Hinweis auf die Leitlinien der EU zur Förderung und zum Schutz der Religions- und Weltanschauungsfreiheit, die am 24. Juni 2013 angenommen wurden,

–  in Kenntnis der Erklärungen der Vizepräsidentin der Kommission/Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik (VP/HV) zum Irak,

–  unter Hinweis auf seine Entschließung vom 11. März 2014 zu Saudi-Arabien, seine Beziehungen zur EU und seine Rolle in Nahost und Nordafrika(3), seine Entschließung vom 24. März 2011 zu den Beziehungen der Europäische Union zum Golf-Kooperationsrat(4) und seine Entschließung vom 3. April 2014 zur Strategie der EU gegenüber dem Iran(5),

–  gestützt auf Artikel 123 Absätze 2 und 4 seiner Geschäftsordnung,

A.  in der Erwägung, dass Irak vor schweren politischen, sicherheitsbezogenen und sozio-ökonomischen Herausforderungen steht, dass seine politische Landschaft extrem fragmentiert ist und es häufig zu gewalttätigen Übergriffen und zu religiöser Hetze kommt, sodass viele der legitimen Hoffnungen der Menschen im Irak auf Frieden, Wohlstand und einen echten demokratischen Wandel zunichte gemacht werden; in der Erwägung, dass der Irak den heftigsten Gewaltausbruch seit 2008 erleidet;

B.  in der Erwägung, dass die dschihadistische Al-Qaida-Splittergruppe Islamischer Staat (IS) – früher Islamischer Staat im Irak und in der Levante (ISIL) – Teile des nordwestlichen Irak, einschließlich der zweitgrößten Stadt des Irak, Mossul, erobert hat, gefolgt von Hinrichtungen irakischer Bürger ohne Gerichtsverfahren, der Durchsetzung einer strengen Auslegung der Scharia, der Zerstörung von Gebetsstätten und Schreinen der Schiiten, Sufiten, Sunniten und Christen und anderen Grausamkeiten gegen die Zivilbevölkerung;

C.  in der Erwägung, dass der IS durch die Auflösung der syrisch-irakischen Grenze die Gelegenheit hat, seine Präsenz in beiden Ländern zu verstärken, und die Zugewinne des IS von Teilen der enttäuschten sunnitischen Bevölkerung und der ehemaligen Baath-Parteigänger toleriert oder gar unterstützt werden; in der Erwägung, dass der IS Berichten zufolge am 29. Juni 2014 ein „Kalifat“ oder einen „islamischen Staat“ in den von ihm kontrollierten Gebieten im Irak und in Syrien ausgerufen hat und dass sein Führer Abu Bakr al-Baghdadi sich selbst zum Kalifen ernannt hat;

D.  in der Erwägung, dass der IS sich umfangreiche Einkommensquellen gesichert hat, indem er auf den von ihm kontrollierten Gebieten Banken und Geschäfte ausraubt, bis zu sechs Ölfelder in Syrien besetzt hat – darunter mit al-Omar an der irakischen Grenze das größte im Land – und Mittel von reichen Gebern erhält, insbesondere aus Saudi-Arabien, Katar, Kuwait und den Vereinigten Arabischen Emiraten;

E.  in der Erwägung, dass der rasche Aufstieg des IS die Schwäche der irakischen Armee und Institutionen aufgedeckt hat, die unter Korruption, Sektierertum und der Ausgrenzungspolitik der Regierung von Ministerpräsident Nuri al-Maliki leiden, was zu einer deutlichen Entfremdung der sunnitischen und anderer Minderheiten im Irak geführt hat;

F.  in der Erwägung, dass militärische Einheiten der kurdischen Regionalregierung Mitte Juni 2014 die Kontrolle über die multiethnische Stadt Kirkuk übernommen und damit ein seit Jahrzehnten umstrittenes ölreiches Gebiet der kurdischen Provinz einverleibt haben und dass die kurdische Regierung Pläne für ein Referendum der kurdischen Bevölkerung über die Unabhängigkeit vom Irak angekündigt hat;

G.  in der Erwägung, dass die EU die Belastung für die Region Kurdistan und die Regionalregierung Kurdistans anerkannt hat, die eine große Zahl Binnenvertriebener aufgenommen hat;

H.  in der Erwägung, dass am 30. April 2014 die Parlamentswahl im Irak stattfand, bei der die Rechtsstaat-Allianz von Ministerpräsident Nuri al-Maliki die Mehrheit erzielte; in der Erwägung, dass die amtierende Regierung nicht in der Lage war, im Irak eine stärker auf Inklusion ausgerichtete Gesellschaft aufzubauen; in der Erwägung, dass die Appelle an al-Maliki, keine dritte Amtszeit als Ministerpräsident anzustreben, und die Rufe nach einer Regierung, die alle politischen Kräfte repräsentiert, immer lauter werden; in der Erwägung, dass der schiitische religiöse Führer Ajatollah Sistani alle irakischen Parteien aufgefordert hat, sich rasch auf eine solche Regierung zu einigen, dass jedoch das neu gewählte irakische Parlament dies bisher nicht vermocht hat;

I.  in der Erwägung, dass sowohl die Vereinigten Staaten von Amerika als auch Russland und die Islamische Republik Iran der Regierung des Irak ihre Unterstützung zugesichert haben und der iranische Präsident, Hassan Rohani, die Bereitschaft signalisiert hat, mit den USA bei der Abwehr der Bedrohung durch den IS im Irak zusammenzuarbeiten, während bewaffnete Gruppen extremistischer Sunniten in der Region – einschließlich des IS – seit Jahren ideologisch von Akteuren in Saudi-Arabien und einigen Golfstaaten unterstützt werden;

J.  in der Erwägung, dass sich Berichten zufolge Hunderte ausländischer Kämpfer, darunter viele aus EU-Mitgliedstaaten, den Kämpfen an der Seite des IS angeschlossen haben und diese EU-Bürger von den Regierungen der Mitgliedstaaten als Sicherheitsrisiko bezeichnet werden;

K.  in der Erwägung, dass es in Zentral- und Nordirak nach Angaben des Amtes der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) schätzungsweise 1,2 Millionen Binnenvertriebene gibt und schätzungsweise 1,5 Millionen Menschen humanitäre Hilfe brauchen; in der Erwägung, dass der Aufstieg des IS zu einer humanitären Krise, insbesondere zu einer massiven Vertreibung von Zivilisten, geführt hat; in der Erwägung, dass die EU beschlossen hat, ihre humanitäre Hilfe für den Irak um 5 Mio. EUR aufzustocken, um grundlegende Unterstützung für Vertriebene zu leisten, wodurch sich die humanitären Mittel für Irak im Jahr 2014 bislang auf 12 Mio. EUR belaufen;

L.  in der Erwägung, dass die irakische Verfassung die Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz und allen Volksgruppen dieselben administrativen, politischen, kulturellen und bildungspolitischen Rechte garantiert und die irakische Regierung für die Achtung der Rechte, das Wohlergehen und die Sicherheit der gesamten Bevölkerung verantwortlich ist;

M.  in der Erwägung, dass Berichte über gezielte Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen im Irak und über Entführungen, Vergewaltigungen und Zwangsheiraten durch IS-Kämpfer und Angehörige anderer bewaffneter Gruppen kursieren; in der Erwägung, dass dem Bericht von Human Rights Watch vom 12. Juli 2014 zufolge irakische Sicherheitskräfte und regierungstreue Milizen im letzten Monat mindestens 255 Gefangene rechtswidrig hingerichtet haben sollen, offenbar um sich für die von Kämpfern der Organisation Islamischer Staat verübten Morde zu rächen;

N.  in der Erwägung, dass bis zu 10 000 Menschen der vorwiegend christlichen Gemeinschaften von Qaraqosh (auch unter dem Namen Hamdaniya bekannt), einer historischen assyrischen Stadt, am 25. Juni 2014 aus ihren Häusern geflüchtet sind, nachdem Mörsergranaten in der Nähe der Stadt eingeschlagen waren; in der Erwägung, dass seit 2003 vermutlich mindestens die Hälfte der irakischen Christen das Land verlassen haben; in der Erwägung, dass der Anteil der Christen an der irakischen Bevölkerung nach Angaben von „Open Doors International“ von 1,2 Millionen Anfang der 1990er Jahre auf nunmehr zwischen 330 000 und 350 000 zurückgegangen ist;

1.  bringt seine tiefe Besorgnis über die sich rasch verschlechternde Sicherheitslage im Irak zum Ausdruck; verurteilt scharf die vom IS gegen irakische Bürger und den irakischen Staat verübten Angriffe, die zu Hinrichtungen ohne Gerichtsverfahren, zur Durchsetzung einer strengen Auslegung der Scharia, zur Zerstörung von Gebetsstätten sowie des historischen, kulturellen und künstlerischen Erbes der Region und zu anderen Gräueltaten geführt haben; warnt davor, dass die extremen antischiitischen und antichristlichen Ansichten des IS die Gefahr massiver religiös motivierter Tötungen vergrößern, sollte sich der IS auf dem von ihm eroberten Gebiet halten und weiter expandieren können;

2.  verurteilt entscheiden Angriffe auf zivile Ziele, unter anderem auf Krankenhäuser, Schulen und Gebetsstätten, sowie die Hinrichtungen und die Ausübung sexueller Gewalt im Konflikt; weist mit Nachdruck darauf hin, dass diejenigen, die diese Straftaten begangen haben, nicht straffrei ausgehen dürfen; ist zutiefst besorgt über die humanitäre Krise und die massenhafte Vertreibung von Zivilisten;

3.  unterstützt die irakischen Behörden im Kampf gegen den IS-Terrorismus und andere bewaffnete bzw. terroristische Gruppen, betont jedoch, dass das Sicherheitskonzept mit einer nachhaltigen politischen Lösung einhergehen muss, die alle Teile der irakischen Gesellschaft einbezieht und deren berechtigte Beschwerden berücksichtigt; unterstreicht ferner, dass bei der Bekämpfung des Terrorismus die Menschenrechte und das humanitäre Völkerrecht geachtet werden müssen; fordert die irakischen Sicherheitskräfte eindringlich auf, das Völkerrecht und das geltende nationale Recht zu beachten und den Verpflichtungen des Irak aufgrund internationaler Abkommen über Menschenrechte und Grundfreiheiten nachzukommen; fordert die irakische Regierung und alle führenden Politiker auf, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um allen Menschen im Irak und insbesondere den Angehörigen der schutzbedürftigen Gruppen und religiöser Gemeinschaften Sicherheit und Schutz zu bieten;

4.  lehnt die Bekanntmachung der Führung des IS über die Schaffung eines Kalifats in den von ihr kontrollierten Gebieten entschieden ab und erklärt sie für rechtswidrig, lehnt außerdem jede einseitige, mit Gewalt durchgesetzte Änderung international anerkannter Grenzen ab und fordert die Einhaltung der Grundrechte und Grundfreiheiten der Bevölkerung in den vom IS kontrollierten Gebieten;

5.  betont, dass mit den Resolutionen 1267 (1999) und 1989 (2011) des UN-Sicherheitsrats verhängten Maßnahmen in Form eines Waffenembargos und des Einfrierens von Vermögenswerten gegen den IS verhängt werden, und dass diese Maßnahmen unbedingt schnell und wirksam umgesetzt werden müssen;

6.  vertritt die Überzeugung, dass sich mit der Parlamentswahl im Irak vom 30. April 2014 die Gelegenheit bietet, eine repräsentative Regierung aufzubauen, die dieser Bezeichnung gerecht wird und eine auf Inklusion ausgerichtete Politik verfolgt; begrüßt die Wahl eines neuen Präsidenten des irakischen Parlaments am 15. Juli 2014; fordert alle politischen Führungskräfte, insbesondere Premierminister Nuri al-Maliki, auf, dafür Sorge zu tragen, dass unverzüglich eine auf Inklusion ausgerichtete Regierung gebildet wird; betont, dass eine solche Regierung die politische, religiöse und ethnische Vielfalt der irakischen Gesellschaft angemessen repräsentieren sollte, um das Blutvergießen und den Zerfall des Landes zu beenden;

7.  ruft alle regionalen Akteure dazu auf, einen Beitrag zu den Bemühungen zur Förderung der Sicherheit und Stabilität im Irak zu leisten und insbesondere die irakische Regierung dabei zu unterstützen, die sunnitische Minderheit einzubeziehen und die Armee zu einer unparteiischen Streitkraft umzustrukturieren, die alle politischen Kräfte und religiösen Gruppen repräsentiert;

8.  fordert alle regionalen Akteure auf, alles in ihrer Macht Stehende zu unternehmen, damit öffentliche und private Stellen die Verkündung und Verbreitung extremer islamistischer Ideologien in Worten und Taten unterbinden; fordert die internationale Gemeinschaft und insbesondere die EU auf, einen regionalen Dialog über die Probleme im Nahen Osten auf den Weg zu bringen und alle wichtigen Parteien, vor allem den Iran und Saudi-Arabien, darin einzubinden;

9.  hebt hervor, dass die EU eine umfassende politische Strategie für die Region entwickeln sollte und insbesondere der Iran, Saudi-Arabien und die Golfstaaten einbezogen werden müssen, da sie für jeden Versuch der Deeskalation in Syrien und Irak unverzichtbar sind;

10.  betont, dass die Menschenrechte und die Grundfreiheiten in diesen Krisenzeiten unbedingt zu achten sind, insbesondere das Recht auf freie Meinungsäußerung, die Pressefreiheit und die digitalen Freiheiten;

11.  nimmt zur Kenntnis, dass die Regionalregierung von Kurdistan ein Referendum über die Unabhängigkeit angekündigt hat; mahnt das Parlament und den Präsidenten des irakischen Teils Kurdistans, Masud Barsani, gleichwohl, dabei nach einem inklusiven Konzept vorzugehen, bei dem die Rechte der in der Provinz lebenden nichtkurdischen Minderheiten geachtet werden;

12.  ist besorgt darüber, dass sich Hunderte ausländischer Kämpfer, darunter viele Bürger aus EU-Mitgliedstaaten, Berichten zufolge dem Aufstand des IS angeschlossen haben; fordert außerdem die internationale Gemeinschaft zur Zusammenarbeit auf, damit angemessene rechtliche Schritte gegen alle Personen eingeleitet werden können, die verdächtigt werden, sich an Terroranschlägen beteiligt zu haben;

13.  begrüßt, dass die EU am 19. Juni 2014 beschlossen hat, ihre humanitäre Hilfe für den Irak um 5 Mio. EUR aufzustocken, um eine Grundversorgung der Vertriebenen leisten zu können, und sich die humanitären Mittel für den Irak im Jahr 2014 bislang auf 12 Mio. EUR belaufen;

14.  bekräftigt die Verpflichtung der EU, ihre Beziehung zum Irak auszubauen, auch durch die Umsetzung des Partnerschafts- und Kooperationsabkommen EU-Irak; fordert den Rat auf, den Irak weiterhin bei der Förderung von Demokratie, Menschenrechten, verantwortungsvoller Staatsführung und Rechtsstaatlichkeit zu unterstützen und dabei unter anderem auch auf den Erfahrungen und Ergebnissen der Mission EUJUST LEX-Iraq aufzubauen; unterstützt ebenso die Anstrengungen der UNAMI und des Sonderbeauftragten des UN-Generalsekretärs, mit denen die irakische Regierung dabei unterstützt wird, ihre demokratischen Institutionen und Prozesse zu stärken, die Rechtsstaatlichkeit zu fördern, den regionalen Dialog voranzubringen, die Grundversorgung zu verbessern und die Menschenrechte zu schützen;

15.  beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung der Vizepräsidentin der Kommission/Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, dem Rat, der Kommission, dem EU-Sonderbeauftragten für Menschenrechte, den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten, der Regierung und dem Repräsentantenrat des Irak, der Regionalregierung von Kurdistan, dem Generalsekretär der Vereinten Nationen und dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen zu übermitteln.

(1) Angenommene Texte, P7_TA(2014)0171.
(2) Angenommene Texte, P7_TA(2013)0023.
(3) Angenommene Texte, P7_TA(2014)0207.
(4) ABl. C 247 E vom 17.8.2012, S. 1.
(5) Angenommene Texte, P7_TA(2014)0339.

Rechtlicher Hinweis - Datenschutzbestimmungen