Der Europäische Rat, der sich aus den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten zusammensetzt, gibt der Entwicklung der Europäischen Union die erforderlichen Impulse und legt die allgemeinen politischen Leitlinien fest. Der Präsident der Kommission ist ebenfalls Mitglied, hat allerdings kein Stimmrecht. Zu Beginn der jeweiligen Tagung des Europäischen Rates hält der Präsident des Europäischen Parlaments eine Rede. Mit dem Vertrag von Lissabon wurde der Europäische Rat zu einem Organ der Union, und es wurde eine sich über einen längeren Zeitraum erstreckende Präsidentschaft eingeführt.

Rechtsgrundlage

Artikel 13, 15, 26, 27 und Artikel 42 Absatz 2 des Vertrags über die Europäische Union (EUV).

Geschichte

Der Europäische Rat ist heute die Gipfelkonferenz der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten der EU. Der erste dieser „Europäischen Gipfel“ fand 1961 in Paris statt, ab 1969 wurden sie dann häufiger abgehalten.

Auf dem Europäischen Gipfel in Paris im Februar 1974 wurde vereinbart, diese Treffen der Staats- und Regierungschefs nunmehr regelmäßig unter der Bezeichnung „Europäischer Rat“ stattfinden zu lassen, um für ein umfassendes Konzept zur Bewältigung der Probleme im Zusammenhang mit dem europäischen Aufbauwerk und eine ordnungsgemäße Koordinierung der Tätigkeiten der Europäischen Union zu sorgen.

Durch die Einheitliche Europäische Akte (1986) wurde der Europäische Rat zum ersten Mal in das Vertragswerk der Gemeinschaft einbezogen, wobei seine Zusammensetzung und ein Halbjahresrhythmus für seine Tagungen festgelegt wurden.

Durch den Vertrag von Maastricht (1992) wurde seine Rolle im institutionellen Rahmen der Europäischen Union offiziell festgelegt.

Durch den Vertrag von Lissabon (formell als Vertrag über die Europäische Union von 2009 bekannt) wurde der Europäische Rat zu einem vollwertigen Organ der EU (Artikel 13). Seine Aufgaben wurden im Vertrag wie folgt definiert: „Der Europäische Rat gibt der Union die für ihre Entwicklung erforderlichen Impulse und legt die allgemeinen politischen Zielvorstellungen und Prioritäten hierfür fest“ (Artikel 15). Der Europäische Rat und der Rat der Europäischen Union (im Nachfolgenden „der Rat“) haben sich geeinigt, sich Einzelplan II des Haushaltsplans der EU zu teilen (Artikel 43 Buchstabe b der Haushaltsordnung). Daher gibt es im Gesamthaushaltsplan statt elf nur zehn Einzelpläne, obwohl der Europäische Rat und der Rat zwei verschiedene Organe sind.

Organisation

Der Europäische Rat wird von seinem Präsidenten einberufen und besteht aus den Staats- und Regierungschefs der 27 Mitgliedstaaten sowie dem Präsidenten der Kommission (Artikel 15 Absatz 2 EUV). Der Hohe Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik nimmt an seinen Arbeiten teil. Dem Präsidenten des Europäischen Parlaments wird in der Regel zu Beginn der Tagung Gelegenheit gegeben, sich zu äußern (Artikel 235 Absatz 2 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV)).

Der Präsident des Europäischen Rates wird vom Europäischen Rat selbst für eine Amtszeit von zweieinhalb Jahren gewählt, die einmal verlängert werden kann, und vertritt die EU nach außen. Die Aufgaben des Präsidenten sind in Artikel 15 EUV festgelegt. Der derzeitige Präsident Charles Michel trat seine erste Amtszeit am 1. Dezember 2019 an und wurde im März 2022 für eine zweite Amtszeit vom 1. Juni 2022 bis zum 30. November 2024 wiedergewählt.

Der Europäische Rat beschließt in der Regel einvernehmlich, einige wichtige Ernennungen erfolgen jedoch mit qualifizierter Mehrheit (insbesondere die Ernennung des Präsidenten des Europäischen Rates, die Auswahl des Bewerbers für das Amt des Präsidenten der Kommission, die Ernennung des Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik und die Ernennung des Präsidenten der Europäischen Zentralbank).

Der Europäische Rat tritt für gewöhnlich mindestens viermal jährlich zusammen. Seit 2008 ist er häufiger zusammengetreten, insbesondere während der Finanzkrise und der anschließenden Staatsschuldenkrise im Euro-Währungsgebiet. In letzter Zeit hat sich der Europäische Rat auch mit den Migrationsströmen in die EU und Fragen der inneren Sicherheit befasst.

Beginnend im Jahr 2016 traten die Staats- und Regierungschefs im Format der „EU der 27“ ohne das Vereinigte Königreich zusammen. Dabei handelte es sich zunächst um inoffizielle Treffen, bis das Vereinigte Königreich im März 2017 gemäß Artikel 50 EUV offiziell seinen Austritt aus der EU erklärte. Nach der Austrittserklärung fanden neben den regulären Tagungen des Europäischen Rates mehrere offizielle Tagungen des „Europäischen Rates (Artikel 50)“ der EU der 27 statt.

Außerdem treten die Mitglieder des Europäischen Rates in Form von „Regierungskonferenzen“ zusammen: Diese Konferenzen von Vertretern der Regierungen der Mitgliedstaaten werden einberufen, um Änderungen der EU-Verträge zu besprechen und zu beschließen. Vor dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon 2009 war dies das einzige Verfahren zur Vertragsänderung. Heute wird es als „ordentliches Änderungsverfahren“ bezeichnet. Die vom Präsidenten des Europäischen Rates einberufene Regierungskonferenz kann Vertragsänderungen nur einstimmig beschließen.

Aufgabe

A. Stellung innerhalb des institutionellen Rahmens der EU

Gemäß Artikel 13 EUV ist der Europäische Rat Teil des „institutionellen Rahmens“ der EU. Er gibt jedoch eher allgemeine politische Impulse, als dass er als beschlussfassendes Organ im rechtlichen Sinne handelt. Er fasst nur im Ausnahmefall Beschlüsse mit rechtswirksamen Folgen für die EU (siehe Punkt C Absatz 2), hat jedoch eine Reihe von institutionellen Beschlussfassungsbefugnissen erhalten. Der Europäische Rat ist nunmehr befugt, verbindliche Rechtsakte zu erlassen, die vor dem Gerichtshof der Europäischen Union angefochten werden können, und er kann wegen Untätigkeit belangt werden (Artikel 265 AEUV).

Gemäß Artikel 7 Absatz 2 EUV kann der Europäische Rat nach Zustimmung des Parlaments das Verfahren für die Aussetzung bestimmter Rechte eines Mitgliedstaats einleiten, wenn diesem eine schwerwiegende Verletzung der Grundsätze der Europäischen Union nachzuweisen ist.

B. Beziehungen zu den anderen Organen

Der Europäische Rat fasst seine Beschlüsse völlig unabhängig und ist in der Regel weder von der Initiative der Kommission noch von der Beteiligung des Parlaments abhängig.

Nach dem Vertrag von Lissabon besteht aber weiterhin eine organisatorische Verbindung zur Kommission, da der Kommissionspräsident Mitglied des Europäischen Rates ohne Stimmrecht ist und der Hohe Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik an den Aussprachen teilnimmt. Außerdem fordert der Europäische Rat bei der Kommission häufig vorbereitende Berichte für seine Tagungen an. Gemäß Artikel 15 Absatz 6 Buchstabe d EUV obliegt es dem Präsidenten des Europäischen Rates, dem Parlament im Anschluss an jede Tagung einen Bericht vorzulegen. Der Präsident des Europäischen Rates trifft außerdem monatlich mit dem Präsidenten des Parlaments sowie den Fraktionsvorsitzen zusammen. Im Februar 2011 hat sich der damalige Präsident bereit erklärt, schriftliche Anfragen von Mitgliedern des Parlaments zu seiner politischen Arbeit zu beantworten. Das Parlament kann darüber hinaus durch die Anwesenheit seines Präsidenten bei den Tagungen des Europäischen Rates, durch im Vorfeld der Tagungen des Europäischen Rates stattfindende Sitzungen der Parteivorsitzenden der verschiedenen europäischen politischen Strömungen sowie durch die Entschließungen, die es zu auf der Tagesordnung der Tagungen stehenden Themen, zu den Ergebnissen der Tagungen und zu den offiziellen Berichten des Europäischen Rates annimmt, informell Einfluss nehmen.

Durch den Vertrag von Lissabon wurde der neue Hohe Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik zu einem zusätzlichen Akteur, der im Namen des Europäischen Rates Vorschläge zur Außenpolitik unterbreitet und die Politik umsetzt. Der Präsident des Europäischen Rates ist unbeschadet der Befugnisse des Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik für die Außenvertretung der EU in Angelegenheiten der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik zuständig.

C. Befugnisse

1. Institutionelle Befugnisse

Der Europäische Rat gibt der EU „die für ihre Entwicklung erforderlichen Impulse“ und legt ihre „allgemeinen politischen Zielvorstellungen und Prioritäten“ fest (Artikel 15 Absatz 1 EUV). Außerdem entscheidet er mit qualifizierter Mehrheit über die Zusammensetzung des Rates und den Zeitplan der turnusmäßig wechselnden Ratsvorsitze.

2. Außen- und sicherheitspolitische Fragen (5.1.1 und 5.1.2)

Der Europäische Rat bestimmt die Grundsätze und die allgemeinen Leitlinien der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und beschließt gemeinsame Strategien zu ihrer Durchführung (Artikel 26 EUV). Er beschließt gemäß Artikel 42 Absatz 2 EUV einstimmig, ob er den Mitgliedstaaten empfehlen soll, auf eine schrittweise Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik der Union hinzuarbeiten.

Beabsichtigt ein Mitgliedstaat aus wesentlichen Gründen der nationalen Politik, die Annahme eines Beschlusses abzulehnen, so kann der Rat mit qualifizierter Mehrheit beschließen, dass die Frage zur einstimmigen Beschlussfassung an den Europäischen Rat verwiesen wird (Artikel 31 Absatz 2 EUV). Das gleiche Verfahren kann zum Einsatz kommen, wenn die Mitgliedstaaten die Durchführung der verstärkten Zusammenarbeit in diesem Bereich beschließen (Artikel 20 EUV).

In der von der Konferenz zur Zukunft Europas angenommenen Bürgerempfehlung Nr. 21 wird gefordert, dass die EU ihre Fähigkeit verbessert, rasch und wirksam Entscheidungen zu treffen, insbesondere durch den Übergang von der Einstimmigkeit zur Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit im Bereich der GASP und durch die Stärkung der Rolle des Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik. In seiner Entschließung vom 9. Juni 2022 zu der Forderung nach einem Konvent zur Überarbeitung der Verträge legte das Parlament dem Rat im Rahmen des ordentlichen Änderungsverfahrens nach Artikel 48 EUV Vorschläge für Änderungen der Verträge vor. Ein wichtiger Vorschlag war, dass der Rat Entscheidungen in relevanten Bereichen – wie der Verhängung von Sanktionen und in Notfällen – mit qualifizierter Mehrheit anstatt einstimmig fassen kann. Der Ausschuss für konstitutionelle Fragen des Parlaments arbeitet außerdem derzeit einen Bericht darüber aus, wie in den EU-Verträgen Überleitungsklauseln (d. h. Klauseln zur Abänderung eines Gesetzgebungsverfahrens ohne formelle Änderung der Verträge) berücksichtigt werden können. Darin wird vorgeschlagen, Überleitungsklauseln in einigen vorrangigen Politikbereichen wie der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik zu ermöglichen.

3. Wirtschaftspolitische Steuerung und mehrjähriger Finanzrahmen (MFR) (1.4.3)

Seit Ausbruch der Staatsschuldenkrise im Jahr 2009 sind der Europäische Rat und die Euro-Gipfel zu den wichtigsten Akteuren bei der Bewältigung der Auswirkungen der weltweiten Bankenkrise geworden. Mehrere Mitgliedstaaten haben durch Ad-hoc-Abkommen oder zeitlich begrenzte Vereinbarungen, die von den Staats- und Regierungschefs beschlossen und später in den Mitgliedstaaten ratifiziert wurden, finanzielle Hilfspakete erhalten. Seit 2012 wird die Finanzhilfe über den ständigen Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) bereitgestellt. Die Regierungen der Mitgliedstaaten haben unter aktiver Beteiligung der Kommission, des Parlaments und der Europäischen Zentralbank einen internationalen Vertrag – den Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion (auch „fiskalpolitischer Pakt“ genannt) – aufgesetzt, durch den eine strengere Kontrolle der haushaltspolitischen Maßnahmen und der sozioökonomischen Politik der Mitgliedstaaten ermöglicht wird. Dadurch werden immer häufiger Fragen zur Rolle der Kommission und des Europäischen Parlaments in der wirtschaftspolitischen Steuerung des Euro-Währungsgebiets aufgeworfen.

Dem Europäischen Rat kommt auch im Europäischen Semester eine wichtige Rolle zu. Auf seinen Frühjahrstagungen veröffentlicht er politische Leitlinien zu makroökonomischen, fiskalpolitischen und strukturellen Reformen sowie zu wachstumsfördernden Maßnahmen. Auf den Juni-Tagungen billigt er Empfehlungen auf der Grundlage der Bewertung der von der Kommission erstellten und im Rat erörterten nationalen Reformprogramme.

Darüber hinaus beteiligt er sich an den Verhandlungen über den mehrjährigen Finanzrahmen (MFR), wobei ihm eine entscheidende Rolle bei der Erzielung einer Vereinbarung über wichtige politische Themen in der MFR-Verordnung zukommt, wie die Obergrenzen für die Ausgaben, die Ausgabenprogramme und die Finanzierung (Geldmittel).

4. Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (4.2.6 und 4.2.7)

Auf Antrag eines Ratsmitglieds beschließt der Europäische Rat, ob die Durchführung einer verstärkten Zusammenarbeit in einem hiermit zusammenhängenden Bereich angebracht ist (Artikel 20 EUV). Durch den Vertrag von Lissabon wurden mehrere neue Überleitungsklauseln eingeführt, durch die der Europäische Rat die Möglichkeit hat, bei der Beschlussfassung im Rat vom Einstimmigkeitsprinzip zur Beschlussfassung nach dem Mehrheitsprinzip überzugehen (1.2.4).

Errungenschaften

Der Europäische Rat hat eine auf fünf Jahre ausgelegte Strategische Agenda (2019-2024) mit Prioritäten für das langfristige Handeln und die Schwerpunktbereiche der EU festgelegt. Zusätzlich zu der Strategischen Agenda gibt es mit den sogenannten Agenden der EU-Führungsspitzen kurzfristigere Arbeitsprogramme, in denen Themen für die kommenden Tagungen des Europäischen Rates und internationale Gipfeltreffen behandelt werden. In der im Februar 2023 veröffentlichten indikativen Agenda der EU-Führungsspitzen wurden zum Beispiel die indikativen Prioritäten für den Zeitraum Januar bis Juli 2023 dargelegt, zu denen insbesondere die fortgesetzte Unterstützung der EU für die Ukraine in Reaktion auf den Aggression Russlands, die Wirtschaft sowie die Förderung der langfristigen Wettbewerbsfähigkeit und der strategischen Autonomie der EU, auch in den Bereichen Sicherheit und Energie, gehörten.

Die Annahme der Strategischen Agenda 2023-2029 ist für Juni 2024 geplant. Um die Beratungen bereits im Vorfeld einzuleiten, hat Präsident Michel vor der Tagung des Europäischen Rates im Juni 2023 ein Schreiben versandt. Darin schlug er vier Hauptbereiche für die bevorstehende Agenda vor: die Konsolidierung der wirtschaftlichen und sozialen Basis der EU (ökologischer und digitaler Wandel, Wettbewerbsfähigkeit, Innovation, Gesundheit), die Bewältigung der Herausforderungen im Energiebereich, die Stärkung der Sicherheits- und Verteidigungsfähigkeiten der EU und die Intensivierung der Zusammenarbeit mit dem Rest der Welt. Ferner schlug er vor, das Gesamtkonzept der EU für die Migration zu stärken.

A. Mehrjähriger Finanzrahmen

Um die EU beim Wiederaufbau nach der Pandemie zu unterstützen und Investitionen in den grünen und digitalen Wandel zu fördern, verständigten sich die EU-Führungsspitzen auf der außerordentlichen Tagung des Europäischen Rates vom 17. bis 21. Juli 2020 auf ein umfassendes Paket in einem Umfang von 1 824,3 Mrd. EUR, in dem der mehrjährige Finanzrahmen (MFR) und außerordentliche Aufbaumaßnahmen im Rahmen des Instruments NextGenerationEU (NGEU) miteinander verknüpft werden.

B. Außen- und Sicherheitspolitik

Seit Anfang der 90er-Jahre des 20. Jahrhunderts ist die Außen- und Sicherheitspolitik ein wesentlicher Bestandteil der Gipfeltreffen des Europäischen Rates. Seine in diesem Bereich gefassten Beschlüsse betreffen insbesondere

  • die internationale Sicherheit und die Bekämpfung des Terrorismus,
  • die Europäische Nachbarschaftspolitik und die Beziehungen zu Russland,
  • die Beziehungen zu den Mittelmeerländern und zum Nahen Osten.

Auf seiner Tagung in Helsinki am 10. und 11. Dezember 1999 beschloss der Europäische Rat, die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik durch die Schaffung von militärischen und zivilen Fähigkeiten zur Krisenbewältigung zu stärken.

Auf seiner Tagung am 12. Dezember 2003 billigte der Europäische Rat die Europäische Sicherheitsstrategie.

Auf seiner Tagung am 22. und 23. Juni 2017 verständigte sich der Europäische Rat darauf, dass zur Stärkung der Sicherheit und Verteidigung Europas eine ständige strukturierte Zusammenarbeit (SSZ) ins Leben gerufen werden muss. Eingerichtet wurde die SSZ durch den Beschluss des Rates vom 11. Dezember 2017. An der SSZ beteiligen sich alle Mitgliedstaaten der EU außer Dänemark und Malta. Zurzeit gibt es im Rahmen der SSZ insgesamt 46 laufende Projekte.

In der erwähnten außerordentlichen Tagung vom 17. bis 21. Juli 2020 verständigte sich der Europäische Rat auf die Einrichtung einer Europäischen Friedensfazilität als haushaltsexternes Instrument zur Finanzierung von Maßnahmen auf dem Gebiet der Sicherheit und Verteidigung. Die finanzielle Obergrenze für die Fazilität für den Zeitraum 2021-2027 wurde auf 5 Mrd. EUR festgesetzt und wird als haushaltsexterner Posten außerhalb des MFR durch Beiträge der Mitgliedstaaten auf der Grundlage eines am Bruttonationaleinkommen (BNE) ausgerichteten Verteilungsschlüssels finanziert.

Auf seiner außerordentlichen Tagung am 30. und 31. Mai 2022 verurteilte der Europäische Rat den Aggression Russlands gegen die Ukraine und verständigte sich auf ein sechstes Sanktionspaket, das sich auf Rohöl und Erdölprodukte, die aus Russland an die Mitgliedstaaten geliefert werden, bezieht. Für über Pipelines geliefertes Rohöl wurde eine vorübergehende Ausnahme eingeführt. Die Führungsspitzen forderten den Rat der Europäischen Union nachdrücklich auf, die neuen Sanktionen unverzüglich fertigzustellen und anzunehmen.

In den Schlussfolgerungen der Tagung des Europäischen Rates vom 23. März 2023 heißt es: „Die Europäische Union steht fest und uneingeschränkt an der Seite der Ukraine und wird der Ukraine und ihrer Bevölkerung weiterhin starke politische, wirtschaftliche, militärische, finanzielle und humanitäre Hilfe leisten, solange dies nötig ist.“

C. Erweiterung (5.5.1)

Der Europäische Rat legte bei jeder Erweiterungsrunde der EU die entsprechenden Vorgaben fest. In Kopenhagen legte er 1993 den Grundstein für eine neue Beitrittswelle (Kopenhagener Kriterien). Auf den Tagungen der folgenden Jahre wurden die Beitrittskriterien und die vor dem Beitritt erforderlichen institutionellen Reformen präzisiert.

Der Europäische Rat beschloss auf seiner Tagung in Kopenhagen (12. und 13. Dezember 2002) den Beitritt Estlands, Lettlands, Litauens, Maltas, Polens, der Slowakei, Sloweniens, Tschechiens, Ungarns und Zyperns zum 1. Mai 2004. Rumänien und Bulgarien traten der EU am 1. Januar 2007 bei.

Am 3. Oktober 2005 legte der Rat auf seiner Tagung in Luxemburg den Rahmen für die Verhandlungen über den Beitritt Kroatiens und der Türkei zur EU fest. Der Beitrittsvertrag mit Kroatien wurde am 9. Dezember 2011 unterzeichnet, und Kroatien trat am 1. Juli 2013 bei.

Am 14. Dezember 2021 hat der Rat (Allgemeine Angelegenheiten) seine Schlussfolgerungen zur Erweiterung sowie zum Stabilisierungs- und Assoziierungsprozess für Montenegro, Serbien, die Türkei, die Republik Nordmazedonien, Albanien, Bosnien und Herzegowina und das Kosovo angenommen, in denen eine Bilanz der Fortschritte gezogen wurde, die in jedem dieser Bewerberländer und potenziellen Bewerberländer erzielt wurden.

Am 23. Juni 2022 erkannte der Europäische Rat der Ukraine auf ihr Beitrittsgesuch vom 28. Februar 2022 hin den Status eines Bewerberlandes zu und ersuchte die Kommission, dem Rat über die Erfüllung der in ihrer Stellungnahme zu dem Beitrittsgesuch festgelegten Bedingungen Bericht zu erstatten. Über weitere Schritte sollte der Rat entscheiden, sobald alle diese Bedingungen vollständig erfüllt wären

In den Schlussfolgerungen seiner außerordentlichen Tagung vom 9. Februar 2023 erkannte der Europäische Rat „die beträchtlichen Anstrengungen an, die die Ukraine in den letzten Monaten unternommen hat, um die Ziele zu erreichen, die ihren Status als Bewerberland für die EU-Mitgliedschaft begründen“. Ferner begrüßte er „die Reformanstrengungen der Ukraine in derart schwierigen Zeiten“ und ermutigte „die Ukraine, diesen Weg fortzusetzen und die in der Stellungnahme der Kommission zu ihrem Beitrittsgesuch genannten Bedingungen zu erfüllen und so weitere Fortschritte im Hinblick auf ihre künftige EU-Mitgliedschaft zu erzielen“.

D. Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union

Am 23. März 2018 nahm der Europäische Rat (Artikel 50), der im Format der EU der 27 zusammentrat, die Leitlinien für den Rahmen für eine künftige Beziehung zum Vereinigten Königreich nach dem Brexit an. Diesen Leitlinien zufolge strebt die EU eine möglichst enge Partnerschaft mit dem Vereinigten Königreich an, die sich unter anderem auf Handel und wirtschaftliche Zusammenarbeit sowie Sicherheit und Verteidigung erstrecken soll.

Am 17. Oktober 2019 billigte der Europäische Rat im Format der EU der 27 das überarbeitete Austrittsabkommen und die überarbeitete politische Erklärung, auf die sich die Verhandlungsführer der EU und des Vereinigten Königreichs am selben Tag verständigt hatten. Durch diese Vereinbarung sollte ein geordneter Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union ermöglicht werden.

Am 29. Oktober 2019 nahm der Europäische Rat auf Ersuchen des Vereinigten Königreichs den Beschluss an, die in Artikel 50 Absatz 3 EUV genannte Frist bis zum 31. Januar 2020 zu verlängern, um mehr Zeit für die Ratifizierung des Austrittsabkommens zu gestatten. Das Austrittsabkommen trat am 31. Januar 2020 in Kraft. Damit endete der Zeitraum gemäß Artikel 50 EUV, und es begann eine Übergangsperiode, die bis zum 31. Dezember 2020 andauerte. Das Vereinigte Königreich ist nunmehr kein EU-Mitgliedstaat mehr, sondern fortan ein Drittland.

E. Institutionelle Reformen

Der Europäische Rat beschloss auf seiner Tagung in Tampere (15. und 16. Oktober 1999) die Modalitäten für die Ausarbeitung eines Entwurfs einer Charta der Grundrechte der Europäischen Union (4.1.2). In Helsinki berief der Europäische Rat im Dezember 1999 die Regierungskonferenz ein, die den Vertrag von Nizza vorbereitete.

Auf seiner Tagung in Laeken (14. und 15. Dezember 2001) beschloss der Europäische Rat, einen Konvent über die Zukunft Europas einzuberufen, der den Verfassungsvertrag erarbeitete, welcher jedoch scheitern sollte (1.1.4). Nach zweieinhalb Jahren des institutionellen Stillstands verabschiedete der Europäische Rat auf seiner Tagung vom 21. und 22. Juni 2007 ein detailliertes Mandat für eine Regierungskonferenz, auf deren Grundlage am 13. Dezember 2007 der Vertrag von Lissabon unterzeichnet wurde, der am 1. Dezember 2009 in Kraft trat (1.1.5). Am 25. März 2011 nahm der Europäische Rat den Beschluss zur Änderung von Artikel 136 AEUV an und ermöglichte so die Schaffung des ESM im Jahr 2012.

Am 28. Juni 2018 nahm der Europäische Rat einen Beschluss über die Zusammensetzung des Europäischen Parlaments an, durch den es den Mitgliedstaaten ermöglicht wird, die für die Durchführung der Wahl zum Europäischen Parlament erforderlichen nationalen Maßnahmen für die Wahlperiode 2019-2024 zu ergreifen[1].

Durch die aktuellen Krisen, insbesondere die COVID-19-Pandemie und der Krieg in der Ukraine, wurde offenbar, dass institutionelle Reformen erforderlich sind, um die Fähigkeit der EU zu verbessern, in Krisensituationen rasch und wirksam zu reagieren.

Das Parlament begrüßte in seiner Entschließung vom 4. Mai 2022 zu den Folgemaßnahmen zu der Konferenz zur Zukunft Europas die Schlussfolgerungen und Empfehlungen der Konferenz, stellte fest, dass Vertragsänderungen notwendig sind, und forderte seinen Ausschuss für konstitutionelle Fragen auf, Vorschläge zur Reform der EU-Verträge im Rahmen eines Konvents gemäß Artikel 48 EUV auszuarbeiten. Am 9. Juni 2023 nahm das Europäische Parlament eine Entschließung zu der „Forderung nach einem Konvent zur Überarbeitung der Verträge“ an. Ein wichtiger Vorschlag ist die Reform der Abstimmungsverfahren und die Einführung der Beschlussfassung im Rat mit qualifizierter Mehrheit anstelle der Einstimmigkeit in den einschlägigen Bereichen wie der Annahme von Sanktionen und sogenannten Überleitungsklauseln sowie in Notfällen.

 

Eeva Pavy