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Ausführliche Sitzungsberichte
Dienstag, 4. Mai 2004 - Straßburg Ausgabe im ABl.

Gedenken an Jean Monnet und feierliches Begehen des 20. Jahrestags des Entwurfs eines Vertrags zur Gründung der Europäischen Union (1984 - Berichterstatter: Altiero Spinelli)
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  Napolitano (PSE). (IT) Herr Präsident, zunächst möchte ich Ihnen für die dem Ausschuss für konstitutionelle Fragen und seinem Vorsitzenden während der letzten fünf Jahre gezollte Anerkennung danken.

Sehen Sie, Herr Präsident, es ist wichtig, dass die Geschichte des vor mehr als 50 Jahren begonnenen Aufbaus dieses geeinten Europas Teil der gemeinsamen Erinnerung der heute in diesem Parlament vertretenen Völker wird: diese Geschichte muss anhand der sie kennzeichnenden Daten und Meilensteine sowie anhand ihrer Protagonisten rekonstruiert und zurückverfolgt werden. Heute gedenken wir zwei solcher Persönlichkeiten, die zwar keine Regierungsmitglieder waren, keine Verträge unterzeichneten und nicht im den Mächtigen vorbehaltenen Rampenlicht standen, die jedoch große Visionäre und Verfechter der Integration waren, nämlich Jean Monnet und Altiero Spinelli.

Sie waren beide davon überzeugt, dass das in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts durch zwei zerstörerische Kriege gespaltene und mit Blut befleckte Europa nur in der Einheit bzw. in der Überwindung der nationalistischen Bestrebungen, der Rivalitäten und Feindschaften zwischen den Nationalstaaten eine Zukunft fände. Sie wiesen den Weg für die Suche nach einem gemeinsamen europäischen Interesse, für die Schaffung von Institutionen, die fähig sind, dieses zum Ausdruck zu bringen und durch die Ausübung gemeinsamer Hoheitsrechte weiterzuführen.

Zwar verfochten Monnet und Spinelli unterschiedliche Konzepte bzw. unterschiedliche Strategien, um das europäische Einigungswerk voranzubringen, doch hatten sie dasselbe Ideal, für das sie sich ein Leben lang einsetzten. Die Strategie Jean Monnets und des großen französischen Staatsmanns Robert Schuman, als dessen hoch geschätzter Berater er fungierte, war dadurch gekennzeichnet, dass sie auf der Integration der Produktionen - angefangen bei Kohle und Stahl -, der Wirtschaft und der Märkte der an dem Projekt beteiligten Länder beruhte, d. h. durch die Strategie des allmählichen Voranschreitens des europäischen Aufbauwerks. Sie wurde als funktionalistisch bezeichnet, zielte darauf ab, die konkreten Grundlagen für den Frieden in Europa, vor allem zwischen Frankreich und Deutschland, zu schaffen und rief die Gemeinschaften ins Leben, die bis zum Vertrag von Maastricht 1991 wirksam blieben.

Die Strategie, zu deren beherztem Vorkämpfer Altiero Spinelli wurde, zeichnete sich hingegen als verfassungsgebende Strategie zur politischen Einigung Europas nach einem föderalistischen Konzept aus und fand Unterstützung in der Vision eines großen italienischen Staatsmanns: Alcide De Gasperi. Doch in den kritischen Momenten, beispielsweise 1955, als nach dem gescheiterten Versuch zur Gründung einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft der Integrationsprozess nicht voranzukommen schien, flossen die Bemühungen Monnets und Spinellis, obgleich sie unterschiedliche Wege verfolgten, in einer Richtung zusammen. Spinelli schrieb, dass er und Monnet sich beide wie ein Esel abschufteten: Monnet in der Hoffnung auf eine neue Initiative seitens der Regierungen und er in der Hoffnung auf ein neues Momentum von der Bewegung, einen neuen Impuls von unten. Er sagte voraus, dass sie trotz ihrer gemeinsamen Skepsis und trotz aller Hindernisse siegen werden. Und so war es. Diese Prophezeiung bewahrheitete sich: es siegten diejenigen, die an das vereinigte Europa glaubten, diejenigen, die wie Monnet und Spinelli die Integration unbeirrbar verfochten und dafür kämpften.

Jetzt haben wir Ziele erreicht, Herr Präsident, auf die selbst diese Männer nicht zu hoffen wagten, und endlich kann der Traum von der Europäischen Verfassung verwirklicht werden: ein Traum, der bereits vor 20 Jahren konkrete Formen annahm, als das Europäische Parlament am 14. Februar 1984 mit überwiegender Mehrheit den unter der Leitung von Altiero Spinelli ausgearbeiteten Entwurf annahm; auch jenen Tag, dessen wir heute feierlich gedenken, feiern wir als Geburtsstunde des Verfassungsprozesses. 20 Jahre später ist dieser Traum lebensnotwendig für das neue große Europa geworden. Der Verfassungsprozess muss endlich mit der Verabschiedung des vom Konvent über die Zukunft der Union angenommenen Entwurfs vollendet werden. Wir können jetzt nicht mehr Halt machen, wir können nicht mehr zurück. Dieser Verfassungsentwurf ist zwar nicht perfekt, doch verkörpert er den mühsam zwischen den Regierungen und Parlamenten erzielten Kompromiss. Man könnte ihn verbessern, indem man sich an den Spinelli-Entwurf von vor 20 Jahren anlehnt, beispielsweise an die darin enthaltene – von Frau de Palacio erwähnte – Bestimmung, wonach der Vertrag in Kraft treten sollte, sobald er von einer Mehrheit der Staaten und der Bevölkerung der Gemeinschaft ratifiziert worden ist. Der Text des Konvents könnte verbessert werden, doch darf man keine Abstriche davon machen, weil der neu entstandenen Union mit 25 Mitgliedern in diesem Falle eine Lähmung und eine Krise drohen würden. Deshalb darf keiner bzw. keine der an der Regierungskonferenz teilnehmenden Regierungen wortbrüchig werden und die im Konvent zum Ausdruck gebrachte Zustimmung zurückziehen: dies ist der Appell, den das Europäische Parlament noch einmal an alle richtet; dies ist der beste Weg, um Altiero Spinelli und Jean Monnet durch Taten anstatt durch Worte zu ehren.

(Beifall)

 
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