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Ausführliche Sitzungsberichte
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Mittwoch, 26. Januar 2005 - Brüssel Ausgabe im ABl.
1. Wiederaufnahme der Sitzungsperiode
 2. Genehmigung des Protokolls der vorangegangenen Sitzung: siehe Protokoll
 3. Vorlage von Dokumenten (siehe Protokoll)
 4. Zusammensetzung der Ausschüsse (siehe Protokoll)
 5. Tagesordnung: siehe Protokoll
 6. Strategische Leitlinien / Gesetzgebungs- und Arbeitsprogramm für 2005
 7. Lage im Nahen Osten
 8. Antisemitismus und Rassismus
 9. Digitale Inhalte
 10. Zusammensetzung der Ausschüsse (siehe Protokoll)
 11. Tagesordnung der nächsten Sitzung (siehe Protokoll)
 12. Schluss der Sitzung (siehe Protokoll)


  

VORSITZ: JOSEP BORRELL FONTELLES
Präsident

(Die Sitzung wird um 15.05 Uhr eröffnet.)

 
1. Wiederaufnahme der Sitzungsperiode
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  Der Präsident. Ich erkläre die am Donnerstag, dem 13. Januar 2005, unterbrochene Sitzungsperiode des Europäischen Parlaments für wieder aufgenommen.

 

2. Genehmigung des Protokolls der vorangegangenen Sitzung: siehe Protokoll

3. Vorlage von Dokumenten (siehe Protokoll)

4. Zusammensetzung der Ausschüsse (siehe Protokoll)

5. Tagesordnung: siehe Protokoll

6. Strategische Leitlinien / Gesetzgebungs- und Arbeitsprogramm für 2005
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  Der Präsident. Wir kommen nun zur Aussprache über die Erklärung der Kommission über die strategischen Leitlinien und das Gesetzgebungs- und Arbeitsprogramm für 2005.

Doch zunächst möchte ich darauf hinweisen, dass der amtierende Ratspräsident, Herr Juncker, heute bei uns, bei der Kommission und im Parlament, weilt.

(Beifall)

Es ist nicht die Regel, dass ein amtierender Ratspräsident an einer solchen Sitzung teilnimmt, und somit ist der Beifall, den Herr Juncker gerade erhalten hat, mehr als verdient.

 
  
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  Barroso, Präsident der Kommission. (PT) Herr Präsident, Herr Ratspräsident, meine Damen und Herren Abgeordneten, meine Damen und Herren! Die Europäische Kommission hat heute einen der wichtigsten Beschlüsse gefasst, den es für sie gibt, nämlich die Annahme des Rahmens für die politischen Schwerpunkte, die sie während der Dauer ihrer fünfjährigen Amtszeit verfolgen will.

Ich bin also heute hierher gekommen, um Ihnen eine Strategie vorzustellen, auf deren Grundlage Europa aktiv werden sollte. Ausgangspunkt dieser Strategie ist es, den Erwartungen und Bedürfnissen der europäischen Bürger gerecht zu werden. Ihr Ziel ist es sicherzustellen, dass sich Europa 2010 tatsächlich auf dem Weg der Erneuerung befindet. Ich möchte Ihnen vorschlagen, dass das Parlament diese Strategie zu der seinen macht. Der Verfassung zufolge ist nämlich ein allgemeines Aktionsprogramm zu beschließen, auf das sich Parlament, Rat und Kommission einigen. Ich empfehle, dass wir uns schon jetzt von dieser Festlegung inspirieren lassen und schlage deshalb dem Parlament und dem Rat vor, dass die heute von der Kommission beschlossenen strategischen Ziele für die Union als Grundlage für ein gemeinsames Vorgehen in den nächsten fünf Jahren dienen sollten. Das ist eine Partnerschaft für ein erneuertes Europa.

Warum braucht die Union eine Partnerschaft? Wie die Erweiterung gezeigt hat, ist Europa ein Erfolgsmodell, an dem viele Bürger allerdings noch zweifeln. Gemeinsam müssen wir unsere Legitimität stärken; gemeinsam müssen wir eine stärkere Botschaft aussenden; gemeinsam müssen wir unsere politische Entschlossenheit zeigen, in Richtung gemeinsamer Ziele arbeiten zu wollen.

 
  
  

(EN) Das ist unsere vordringlichste Aufgabe im Rahmen einer Partnerschaft für ein erneuertes Europa. Nur mithilfe einer solchen Partnerschaft können wir die vor uns liegenden komplexen Herausforderungen meistern. Was bringen uns Träume, wenn wir nicht genau festlegen, wie wir sie auch verwirklichen können. Es ist höchste Zeit, das enorme unerschlossene Potenzial Europas freizusetzen. Visionen, Führungsstärke und Umsetzung: Damit sollten wir Kurs auf die Wiederherstellung des Vertrauens nehmen. Die Partnerschaft kann sich jedoch nicht auf die Umgehungsstraße Brüssel beschränken.

Es kommt jetzt darauf an, unseren Bürgern diese Partnerschaft näher zu bringen. Wir können die Befürchtungen nicht ignorieren, die unsere Bürger im Hinblick auf Europa hegen. Mischen wir uns zu sehr ein oder sind wir mit unseren Initiativen zu zurückhaltend? Gehen wir zu technokratisch vor? Sind wir zu realitätsfremd? Halten wir uns an unsere Versprechen? Unsere erste Pflicht ist es daher, die Verbindung zu den Bürgern wiederherzustellen. Wie können wir das erreichen? Ich möchte einige Beispiele anführen. Die erfolgreiche Inkraftsetzung der Verfassung stellt einen ersten Schritt dar. Die Rechtsvorschriften sollten einfacher und kohärenter gestaltet sowie effektiv umgesetzt werden, wobei die Gemeinschaftsmethode vollständig zur Anwendung kommen muss. Im Haushaltsplan sind die entsprechenden Mittel vorgesehen, damit die Europäische Union ihren Verpflichtungen nachkommen kann. Das europäische Aufbauwerk erfordert eine größere Bürgerbeteiligung. Wenn wir die Bürger stärker einbeziehen möchten, sind Kommunikation, Transparenz und Konsultationen gefragt.

Die von mir beschriebene Partnerschaft dient einem bestimmten Zweck. Wir schlagen vor, dass wir im Rahmen der Partnerschaft auf eine europäische Erneuerung hinarbeiten. Weshalb eine Erneuerung? Wenn man in die Richtung schaut, in die das europäische Aufbauwerk steuert, mögen uns zwar die anstehenden Herausforderungen bekannt vorkommen, doch sie verlangen nach neuen Ideen, frischer Energie, größerer Entschlossenheit und einer optimistischen Einstellung. Wir müssen den Worten Taten folgen lassen, und genau darauf zielen unsere heutigen Vorschläge ab.

 
  
  

(FR) Herr Präsident, die Kommission hat heute ebenfalls ihr Gesetzgebungs- und Arbeitsprogramm für 2005 angenommen. Es handelt sich um die erste konkrete Anwendung der Partnerschaft, die die Kommission Ihnen vorschlägt. Mit diesem Programm werden die Grundzüge der fünfjährigen Strategie in konkrete Aktionen für dieses Jahr umgesetzt. Es ist der Ausgangspunkt für die Tätigkeit der neuen Kommission. Dieses Programm ist aus mehreren Gründen innovativ und realistisch.

Erstens ist es auf die politischen Hauptziele ausgerichtet, welche die Kommission bis zum Ende ihrer Amtszeit realisieren will. Des Weiteren stellt dieses Programm die erste Etappe der Umsetzung der strategischen Ziele dar. Lassen Sie mich dies mit der Nennung einiger Schlüsselmaßnahmen verdeutlichen. Die Kommission wird eine Halbzeitrevision der Lissabonner Strategie und der Strategie der nachhaltigen Entwicklung vornehmen und die Vorschläge vorlegen, die noch fehlen, um das für die künftige Finanzielle Vorausschau vorgeschlagene Paket zu vervollständigen. Die Umsetzung des Haager Programms für die Weiterentwicklung des Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts erfordert ebenfalls bedeutende Anstrengungen. Zur Förderung der sozialen Dimension des wirtschaftlichen Fortschritts wird eine erneuerte Sozialagenda vorgeschlagen. Für die Umsetzung dieser Vorhaben schlagen wir eine Liste von prioritären Initiativen vor, die die Kommission bis Ende des Jahres verabschieden wird. Zu diesen Initiativen werden Auswirkungsanalysen durchgeführt, um die Einhaltung der Grundsätze der Verhältnismäßigkeit, der Subsidiarität und des Mehrwertes für die Union zu gewährleisten.

Um den Informationsfluss zwischen Kommission und Parlament zu verbessern und den legislativen Prozess dynamischer zu gestalten, kann ich Ihnen des Weiteren ankündigen, dass wir monatlich eine Übersicht über die in Vorbereitung befindlichen Legislativvorschläge vorlegen werden, die regelmäßig aktualisiert wird.

Im Geiste der vorgeschlagenen Partnerschaft möchte die Kommission schließlich die Durchführung ihres Arbeitsprogramms verbessern und dazu enger mit dem Parlament zusammenarbeiten. Deshalb wird das Team der Kommissare und insbesondere die Vizepräsidentin Wallström einen ständigen Dialog mit Ihnen über diese Fragen einleiten.

Kurz gesagt, Herr Präsident, meine Damen und Herren Abgeordneten, möchte ich, dass das Programm die erste Etappe einer Partnerschaft für die Erneuerung Europas wird, welche die Kommission Ihnen heute vorschlägt.

 
  
  

(EN) Wir dürfen uns nicht nur mit unseren unmittelbaren Prioritäten befassen, sondern müssen auch eine Vision für die Zukunft festlegen. Der Vorschlag für die strategischen Ziele, der heute Vormittag von der Kommission verabschiedet wurde, beruht auf drei Kernpunkten: Wohlstand, Solidarität, Sicherheit. Jedes dieser Ziele berührt auch die Welt um uns herum. Daher ist es nur logisch, dass wir eine stärkere Stimme in der Welt benötigen.

Unsere erste Priorität ist der Wohlstand. Er stellt den Eckpfeiler dar, auf den das europäische Modell der sozialen Solidarität und der Nachhaltigkeit aufgebaut ist. Wohlstand erfordert Wirtschaftswachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Produktivität. Die sind die Voraussetzungen für die Förderung einer nachhaltigen Entwicklung. In der Verfassung ist niedergelegt, dass die nachhaltige Entwicklung den Rahmen für sämtliche Politiken der Europäischen Union bildet. Sie muss all unseren Arbeiten zugrunde liegen, wobei dauerhafter Wohlstand nur in einem Klima der Solidarität und Sicherheit möglich ist.

Ausgehend von diesen obersten Zielen müssen wir uns nun auf die Instrumente konzentrieren, und damit kommen wir zur Wirtschaft. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt, da sich das Wirtschaftswachstum verlangsamt hat und die Herausforderungen durch den globalen Wettbewerb zugenommen haben, muss unsere vordringlichste Aufgabe darin bestehen, das Wachstum wieder anzukurbeln, die notwendigen Reformen durchzuführen und mehr und bessere Arbeitsplätze zu schaffen. Wie bringen wir nun Europa wieder auf den Weg in Richtung nachhaltiger Wohlstand? Die Antwort liegt auf der Hand: Wir benötigen eine neue wirtschaftliche Dynamik. Nächste Woche werde ich Ihnen unseren Vorschlag für die Halbzeitüberprüfung der Lissabon-Strategie vorstellen. Im Bericht Kok wurde bereits aufgezeigt, in welchen Bereichen der Strategie neuer Schwung benötigt wird, um insbesondere der unzureichenden Umsetzung und der fehlenden Eigenverantwortung entgegenzuwirken.

Somit liegen die wichtigsten Schlussfolgerungen auf der Hand: Wachstum muss auf einem soliden makroökonomischen Fundament beruhen. Die rechtlichen Rahmenbedingungen müssen auf die Förderung unternehmerischer Initiativen ausgerichtet sein – ich erinnere nur an die kleinen und mittelständischen Unternehmen und die Arbeitsplätze, die sie schaffen können. Ohne Investitionen in die wissensbasierte Wirtschaft ist Wachstum nicht möglich, und so steht Wissen zur Erzielung von Wachstum auch bei der Überprüfung der Lissabon-Strategie an erster Stelle. Schließlich sollten wir den Menschen mehr und bessere Arbeitsplätze bieten. Erneutes Wachstum und mehr und bessere Arbeitsplätze können jedoch nur erzielt werden, wenn wir auf unsere Analyse Maßnahmen folgen lassen, und genau darin besteht unsere Aufgabe in den nächsten fünf Jahren.

Ein weiteres strategisches Ziel ist die Solidarität. Ohne Solidarität gibt es keine Union. Im Rahmen unseres gemeinsamen Aufbauwerks sind wir dafür verantwortlich, soziale Gerechtigkeit und den Schutz unserer Umwelt zu gewährleisten. Das bedeutet verstärkte Anstrengungen in verschiedenen Bereichen. Darüber hinaus ist wirtschaftliche Solidarität notwendig. Deshalb muss die Kohäsionspolitik weiterhin im Mittelpunkt der Arbeit der Union stehen. Wir müssen in Europa die Kluft zwischen Arm und Reich verringern und benachteiligten Gebieten und Gruppen helfen.

Wir brauchen soziale Solidarität, die durch die Überarbeitung der Sozialagenda gewährleistet werden muss. Künftige Generationen werden uns nicht verzeihen, wenn wir dem Klimawandel nicht entgegenwirken und mit unseren natürlichen Ressourcen nicht sorgsam umgehen. Ein weiteres Problem stellt die Solidarität zwischen den Generationen dar. Hier besteht Handlungsbedarf. Es ist durchaus möglich, den Wohlstand und die Lebensqualität in Europa zu bewahren. Der Umweltschutz kann sich in zweifacher Hinsicht als vorteilhaft erweisen, indem zum einen Europa seinen Wettbewerbsvorsprung im Bereich der Umwelttechnologie in vollem Umfang nutzt und zum anderen umweltfreundliche Initiativen gefördert werden.

Darüber hinaus bedeutet Solidarität die Förderung und Verteidigung der gemeinsamen europäischen Werte. Wenn wir von einer europäischen Identität sprechen, dann meinen wir Werte wie die Gewährleistung der Grundrechte, die Bekämpfung der Diskriminierung, die Förderung der Geschlechtergleichstellung und den Schutz und die Förderung der kulturellen Vielfalt. Das ist das Fundament einer Gesellschaft, die auf gegenseitigem Verständnis und Würde beruht. Diese Botschaft ist umso wichtiger, als wir uns auf die Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau vorbereiten.

Neben Wohlstand und Solidarität gibt es ein weiteres strategisches Ziel: die Sicherheit. Nur wenn Sicherheit herrscht, können wir die Vorteile der Freiheit genießen. In einem Europa ohne Grenzen erwarten die Bürger immer mehr, dass die Europäische Union Lösungen für die Abwendung der Gefahren findet, denen sie in ihrem täglichen Leben gegenüberstehen.

Im Bereich der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zeigt uns zwar das Haager Programm mittels einer Roadmap den weiteren Weg auf, doch müssen wir dafür sorgen, dass diese Arbeit endlich Früchte trägt. In den kommenden Jahren muss die Verhütung und Bekämpfung der Kriminalität und des Terrorismus weiterhin ganz oben auf unserer Tagesordnung stehen. Zugleich sollten die Freiheit und Grundrechte geachtet werden, die von den Europäern so geschätzt werden. Mitgliedstaaten und Kommission haben die gemeinsame Pflicht, die Außengrenzen wirksam zu kontrollieren und zu überwachen. Die Union bietet einen Rahmen, um Probleme wie Asyl, Einwanderung und Menschenhandel effektiv anzugehen.

Doch auch andere Sicherheitsfragen berühren das tägliche Leben unserer Bürger. Naturkatastrophen, Umwelt- und Gesundheitsprobleme, Transport- und Energiefragen wirken sich unmittelbar auf die Sicherheit und das Wohlbefinden der Bürger aus. Die Union muss bei der Verringerung der Gefahren und der Bereitstellung schneller Lösungen ihrer Rolle gerecht werden. Die Hilfsmaßnahmen nach der Tsunami-Katastrophe sind nur das jüngste Beispiel für die Möglichkeiten der Union.

Schließlich müssen wir uns eingestehen, dass Europa diese Ziele nicht allein erreichen kann. Da es sich bei der Union um einen globalen Partner handelt, ist unser vorrangiges Ziel – der Wohlstand – eng mit den Beziehungen zu unseren Partnern verknüpft. Die Solidarität, die wir für unsere Bürger anstreben, darf nicht an den Grenzen der Union Halt machen. Es ist eine Illusion zu glauben, dass Europa eine Insel des Friedens sein kann, von der aus man entweder Stabilität exportieren oder auf die man Instabilität importieren könnte. Die Grenze zwischen unserer Innen- und Außenpolitik verschwindet allmählich.

In den nächsten fünf Jahren sollten wir für eine bestimmte außenpolitische Priorität besondere Verantwortung übernehmen. Ich meine die bevorstehenden Beitrittsverhandlungen und die Notwendigkeit, auf eine stabile und gedeihliche Nachbarschaft hinzuarbeiten, die ein wesentliches Instrument für unsere Sicherheitspolitik und die Bekräftigung unserer demokratischen Werte darstellt. Ganz allgemein sollte von unserer Partnerschaft auch eine Botschaft der Erneuerung ausgehen, was unser Auftreten auf der internationalen Bühne betrifft. Europa sollte mit einer einzigen, stärkeren Stimme sprechen, um wirksamen Multilateralismus zu fördern und die Rolle der Vereinten Nationen auszubauen. Zudem sollten die Beziehungen zu unseren wichtigsten Partnern wiederbelebt werden. Auch im Hinblick auf Afrika ist eine neue Strategie unabdingbar, wenn wir den weiteren Niedergang einzelner Regionen dieses Kontinents, der uns so nahe steht, verhindern möchten. In Anbetracht unserer gemeinsamen künftigen Interessen sollten wir ferner unsere transatlantischen Beziehungen wieder auffrischen.

Ich habe die Grundzüge der strategischen Ziele vorgestellt, die wir mit Ihnen im Rahmen der Partnerschaft für eine europäische Erneuerung, auf die unsere Maßnahmen in den nächsten fünf Jahren ausgerichtet sein sollten, gemeinsam verfolgen möchten. Allerdings reicht es nicht, Ziele lediglich festzulegen: Wir können unsere Ziele nur verwirklichen, wenn die Union über die entsprechenden notwendigen Mittel verfügt – ich meine damit die Finanzielle Vorausschau für den Zeitraum 2007-2013.

Ich erzähle Ihnen nichts Neues, wenn ich sage, dass die im vergangenen Jahr vorgebrachten Vorschläge der Kommission keine Überraschung darstellten – sie sind das Pendant zu unseren ehrgeizigen Zielen. Die Kommission fordert lediglich, dass die Union mit den notwendigen finanziellen Mitteln ausgestattet wird, um den Verpflichtungen nachzukommen, die über Jahre hinweg auf verschiedenen europäischen Gipfeln eingegangen wurden. Ich wiederhole, was ich bereits bei anderen Gelegenheiten zum Ausdruck brachte: Man kann nicht mehr Europa für weniger Geld haben.

(Beifall)

Nunmehr werden Vorschläge laut, den Haushalt der Union unter die Haushaltsgrenze für das Jahr 2006 abzusenken. Ich frage Sie: Ist das machbar bzw. realistisch? Die Kommission wird sich bemühen, mit der Unterstützung dieses Parlaments eine konstruktive Rolle zu spielen, um in den kommenden Monaten eine Einigung über die Finanzielle Vorausschau zu erzielen. Ich möchte jedoch laut und deutlich darauf hinweisen, dass diese Einigung nicht um jeden Preis zustande kommen kann. Dazu sind wir gegenüber allen Europäern verpflichtet.

Dieses Kollegium und sein Präsident wurden von diesem Parlament mit großer Mehrheit gewählt. Mit unseren heute unterbreiteten Vorschlägen wollen wir das in uns gesetzte Vertrauen rechtfertigen. Wir haben die Ansichten des Parlaments gehört und sind bereit, uns ihnen zu stellen. Unserer Meinung nach kommen unsere Vorschläge Europa und allen Europäern zugute. Wir hoffen, dass sie sich damit einverstanden erklären können, mit uns zusammen an den gemeinsamen strategischen Zielen zu arbeiten. Wachstum und Arbeitsplätze, eine dynamische, wettbewerbsfähige Wirtschaft und ein modernisiertes Sozialschutzsystem sowie Solidarität sind der Schlüssel zu unserem Modell der sozialen Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit.

Darauf zielen unsere heutigen Vorschläge für Europa und die Welt um uns herum ab, und wir hoffen, dass wir auf Ihre Unterstützung zählen können.

(anhaltender Beifall)

 
  
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  Juncker, Rat. (FR) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich möchte dem Präsidenten der Kommission danken, dass er Ihnen und uns die strategischen Ziele der Europäischen Union für die kommenden Jahre erläutert hat. Meiner Meinung nach ist es zweckdienlich, dass der Kommissionspräsident sich auf das Wesentliche beschränkt hat, indem er davon absah, die anzunehmenden Rechtsvorschriften und die zu ergreifenden Initiativen im Detail darzulegen.

Ich stelle mit großer Freude eine weitgehende Übereinstimmung zwischen Kommission und Präsidentschaft fest und möchte Sie darauf hinweisen, dass die Programme der luxemburgischen und der britischen Präsidentschaft sowie diejenigen der bis 2006 noch folgenden Präsidentschaften in der Tat weitgehend mit den Ausführungen des Kommissionspräsidenten übereinstimmen. Meiner Meinung nach handelt es sich um eine Partnerschaft für die Erneuerung Europas, zu der es keine interinstitutionellen Streitigkeiten geben dürfte. Diejenigen, die uns beobachten, die Bürger Europas, stellen sich nicht die Frage, welche Auffassungen die Kommission, der Rat oder das Europäische Parlament vertritt und welche Maßnahmen jede dieser Institutionen ergreifen will. Für die Europäer ist Europa ein einheitliches Ganzes.

Wie ich feststelle, rufen meine Worte unterschiedliche Reaktionen hervor, von denen einige erfreulicher als andere sind!

(Beifall)

Nachdem diese Meinungsübereinstimmung zwischen der Kommission und dem Rat feststeht, möchte ich vorschlagen, dass wir überlegen, wie diese Übereinstimmung zwischen den drei Institutionen nach außen zum Ausdruck gebracht werden kann. Auch wenn die neue Verfassung noch nicht in Kraft ist, werden wir sicherlich ein Instrument, eine Ausdrucksmöglichkeit finden, um sie bekannt zu machen.

Zudem möchte ich Sie informieren, dass der Vorsitzende des Rates „Allgemeine Angelegenheiten“, Herr Asselborn, die Rede des Kommissionspräsidenten und das von ihm dargestellte Programm in die Tagesordnung der Tagung dieser Ratsformation am 31. Januar aufnehmen wird. Wir werden gemeinsam mit den anderen beiden Institutionen prüfen, auf welche Weise wir diesen gemeinsamen Willen zum Ausdruck bringen können.

(Beifall)

 
  
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  Poettering (PPE-DE), im Namen der PPE-DE-Fraktion. – Herr Präsident der Kommission, Herr Präsident des Europäischen Rates, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist ein schönes Symbol und eine gute Grundlage für den Erfolg der Arbeit der Kommission für die kommenden fünf Jahre, dass auch der Präsident des Europäischen Rates heute hier ist; dies ist das erste Mal in der Geschichte der Europäischen Union.

Es ist ein gutes Symbol, dass heute der Kommissionspräsident, der Präsident des Europäischen Rates und wir als Europäisches Parlament gemeinsam über die Zukunft unseres europäischen Kontinents nachdenken und den Weg beschreiten, weil wir wissen: Die europäische Einigung ist das große Friedenswerk des 20. und 21. Jahrhunderts, und wir wollen für dieses Friedenswerk arbeiten.

Wir orientieren uns in unserem Handeln an unseren Werten, Idealen und Überzeugungen. Wir glauben an unseren europäischen Kontinent, an seine Zukunft für uns und für unsere Kinder. Aber Glaube allein reicht nicht, sondern wir müssen den Glauben verwirklichen durch unser Handeln, und das ist unsere gemeinsame Aufgabe. Unsere Werte sind die Würde des Menschen, eine Ordnung des Rechts, die Demokratie, eine marktwirtschaftliche und zugleich soziale Ordnung; das ist die Grundlage unseres Handelns.

Wir vertrauen auf den Menschen, auf seine Fähigkeiten, seine Bereitschaft zur Leistung. Nicht die staatliche oder öffentliche Intervention darf das grundlegende Prinzip sein, sondern die Initiative jedes einzelnen Menschen, die Verwirklichung seiner eigenen Möglichkeiten in einer freien und gleichzeitig solidarischen Gesellschaft ist unser Modell für die Zukunft unseres Kontinents.

Herr Präsident der Kommission, Sie haben eine schöne Überschrift gewählt: für Ihr Programm eine Partnerschaft, eine Partnerschaft nach innen wie nach außen, und für die Erneuerung Europas Wohlstand, Solidarität und Sicherheit. Ihr Programm ist realistisch und gleichzeitig ehrgeizig und wir freuen uns darüber, dass Sie die übertriebene Sprache vom März 2000 in Lissabon, als davon gesprochen wurde, Europa solle der wettbewerbsfähigste Wirtschaftsstandort der Welt werden, nicht wiederholt haben, sondern dass Sie von „wettbewerbsfähiger“ sprechen. Das ist gleichwohl zurückhaltend in der Sprache, aber ehrgeizig im Ziel, und ich glaube, das ist die richtige Formel für uns alle.

Die Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union in der Welt ist die Voraussetzung dafür, dass das europäische Sozialmodell eine Zukunft hat. Und wer es jetzt unterlässt, die Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union zu fördern, wird verantwortlich dafür sein, dass wir in Zukunft kein europäisches Sozialmodell gewährleisten können. Die Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union und das europäische Sozialmodell sind zwei Seiten einer Medaille. Und wir stehen ja vor der gewaltigen Herausforderung des demographischen Wandels. Wir müssen auch sagen, dass Europa und die Länder in Europa – und dies wird auch eine große politische Aufgabe sein – Rahmenbedingungen für eine vernünftige Familienpolitik, für die Zukunft von Kindern schaffen müssen. Wenn dieser Kontinent keine Kinder hat, dann hat er keine Zukunft, und deswegen müssen wir das in diesen großen Rahmen stellen.

Und wenn wir die Wettbewerbsfähigkeit fördern, dann kommt dies letztlich nicht abstrakt den Unternehmen zugute, sondern ganz konkret den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, denn es geht darum, nicht nur Arbeitsplätze zu erhalten, sondern durch unsere zunehmende Wettbewerbsfähigkeit auch Arbeitsplätze zu schaffen. Deswegen gibt es keinen Gegensatz zwischen Wettbewerb auf der einen Seite und Sozialpolitik auf der anderen Seite.

Ich sehe Herrn Kommissar Almunia hier, und der Präsident des Europäischen Rates ist ja gleichzeitig der Vorsitzende einer wichtigen Gruppe von Finanzministern. Unsere Fraktion tritt für die Stabilität der europäischen Währung ein, und das, was wir bisher von Jean-Claude Juncker gehört haben, war nichts, was uns beunruhigt. Aber entscheidend ist, dass die Kommission Herr der Beurteilung der Finanzpolitik auch unserer Mitgliedstaaten bleibt und dass die Mitgliedstaaten – wenn sie in eine Verschuldungspolitik zurückfallen – nicht allein darüber entscheiden, ob dies der richtige oder der falsche Weg ist; hier muss die Europäische Kommission eine wichtige Rolle spielen. Herr Almunia, wenn Sie sich an Ihrem Vorgänger Pedro Solbes orientieren, werden Sie immer unsere Unterstützung haben.

Innere und äußere Sicherheit – Herr Kommissionspräsident, Sie haben das erwähnt. Die Menschen erwarten die Sicherung unserer Grenzen: 11.000 Kilometer Landgrenzen, 68.000 Kilometer Seegrenzen, das müssen wir sichern. Aber diese Grenzen müssen auch durchlässig sein. Wir denken an die Mittelmeerstaaten in Nordafrika. Es darf in Zukunft nicht mehr passieren, dass die Menschen auf See sterben, weil sie dem Elend ihrer eigenen Heimatländer entrinnen wollen; hier müssen wir eine gemeinsame Anstrengung unternehmen, und wir müssen mit unseren Nachbarn im Norden Afrikas Wege finden, wie wir diese Flüchtlingsproblematik auch menschlich zu einem guten Ergebnis führen.

Das Gleiche gilt in anderer Weise für unsere östlichen Nachbarn. Wir werden morgen Viktor Juschtschenko, den neugewählten Präsidenten der Ukraine, hier haben. Wir sagen auch, dass nicht alle Länder, die eine europapolitische Orientierung haben, unmittelbar Mitglied der Europäischen Union werden können. Aber entscheidend ist, dass wir eine Politik der guten Nachbarschaft entwickeln.

Lassen Sie mich abschließend dies sagen: Wenn von Sicherheit die Rede ist, kann das Militär immer nur das letzte Mittel sein. Es ist unsere europäische Aufgabe, dass wir eine präventive Sicherheitspolitik gestalten. Ich fordere Sie, Herr Kommissionspräsident, auf, alle Anstrengungen zu unternehmen, im Nahen Osten zu einem Frieden zu kommen, damit Israel in Frieden leben kann, aber auch die Palästinenser ihre Würde wahren können.

Wenn wir so in die Zukunft dieser Europäischen Union gehen und auch bei der Finanziellen Vorausschau die Rechte des Parlaments gewahrt bleiben, dann stehen wir an Ihrer Seite, Herr Kommissionspräsident. Wir wünschen Ihnen viel Erfolg, wir vertrauen Ihnen. Wir wünschen Ihnen Erfolg für unseren europäischen Kontinent.

(Beifall)

 
  
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  Schulz (PSE), im Namen der PSE-Fraktion. Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Sie haben uns heute, Herr Barroso, ein Glas vorgesetzt, und wir müssen bewerten, wie voll das Glas ist. Dass ein Kommissionspräsident Barroso kein Glas voll Rotwein bis zum Rand gefüllt, einschüttet, haben wir erwartet. Nun müssen wir uns überlegen: Ist das Glas halb voll oder ist es halb leer? Wir haben uns dafür entschieden, zu sagen: Es ist halb voll.

Sie haben uns Vorschläge unterbreitet, die gut sind: Sie haben uns Vorschläge unterbreitet, die dem entsprechen, was wir als Sozialdemokraten von Ihrer Kommission erwarten. Sie haben auch Dinge ausgelassen, von denen wir gern gehört hätten, dass Sie sie vorgetragen hätten, aber das will ich Ihnen nicht zur Last legen. Es ist für uns heute ein Tag, an dem wir vieles gehört haben, von dem wir sagen können: Da erkennen wir uns als Sozialdemokraten wieder.

Ich will Ihnen deshalb auch dafür danken, dass Sie gemeinsam mit den sozialdemokratischen Kommissarinnen und Kommissaren in Ihrer Kommission gearbeitet haben, und man merkt schon am Titel Ihres strategischen Programm: Sie haben es in Abstimmung mit Margot Wallström zu veröffentlichen beabsichtigt. Man merkt schon am Titel und am Inhalt: Es finden sich sozialdemokratische Punkte darin wieder, und das ist gut so, Herr Präsident. Wir ermutigen Sie, weiterzumachen.

Wir haben von Ihnen gehört, dass Sie Wohlstand, Solidarität und Sicherheit in den nächsten fünf Jahren in den Mittelpunkt Ihrer Arbeit stellen wollen. Sie haben sich als guter Zuhörer erwiesen. Solidarität, Wohlstand und Sicherheit sind – das haben Sie richtig ausgeführt – drei zusammenhängende Punkte. Nun hat im europäischen Rahmen jeder seine Verantwortung: Sie eine institutionelle, der Herr Ratspräsident eine institutionelle, und das Parlament als Ganzes hat eine institutionelle Rolle. Aber in diesem Parlament gibt es politische Familien, und die politische Familie, die ich vertrete, hat keine institutionelle Rolle zu spielen, sondern eine politische Aufgabe zu erfüllen. Zu dieser politischen Aufgabe gehört, dass ich sage: Ja, Herr Kollege Pöttering, Sie haben Recht: Wettbewerbsstärkung und soziale Politik sind zwei Seiten der gleichen Medaille. Aber wir wollen, dass beide Seiten dieser Medaille gleichermaßen bedruckt sind. Wer die Wettbewerbssteigerung in Europa will, der hat unsere Unterstützung, wenn er sagt, sie muss der sozialen Kohäsion dienen. Wachstum muss geschaffen werden, damit sozialer Zusammenhalt gesichert wird. Wenn das Ihre Maxime ist, haben Sie die Sozialisten auf Ihrer Seite, Herr Präsident. Wenn das aber nicht gelingt, wenn der Ansatz darin besteht, Deregulierung zu verwenden, um soziale Errungenschaften, für die wir als Sozialisten über 150 Jahre gekämpft haben, abzubauen, so werden wir diesem Ansatz unsere Zustimmung nicht geben.

Deshalb will ich hinzufügen: Wir hören heute eine gute Botschaft. Das Programm, das Sie uns vorlegen, ist ein gutes Programm. Auf der Grundlage dieses Programms können wir zusammenarbeiten, aber der Testfall wird das Legislativverfahren sein. Wenn Sie Ihre Initiativen ergriffen haben, wenn im Rat und im Parlament gemeinsam entschieden werden muss, werden wir zu Kompromissen kommen müssen, und dann werden wir uns alle daran messen lassen müssen, was im Verhältnis zu unseren Ankündigungen tatsächlich vorgetragen wird. Deshalb – ich wiederhole das – stehen wir konstruktiv zur Mitarbeit bereit, aber wir haben unsere Erwartungen, was die Sicherung der sozialen Standards in Europa angeht, ganz klar definiert.

Ich will Ihnen aus der Sicht der Sozialisten zwei Dinge sagen, die für uns heute neu waren und die wir sehr wohl gehört haben. Wir haben Kritik an Ihnen geübt, mehr in Ihrer früheren Funktion als portugiesischer Ministerpräsident als in Ihrer heutigen Funktion, bei der es um internationale politische Haltungen geht. Wenn Sie heute sagen, unsere Kommission, meine Kommission will einen effizienten Multilateralismus, dann ist das in unseren Augen ein Fortschritt. Denn – Kollege Pöttering hat darauf hingewiesen – wir wollen Europa als global political player, aber wir wollen ihn als zivile Macht. Wir wollen nicht, das der preemptive strike die Lösung der internationalen Probleme ist, und ich muss Ihnen sagen, seit der Einführungsrede des wiedergewählten amerikanischen Präsidenten habe ich den Eindruck, dass die Europäische Union ihre Anstrengungen verstärken muss, um zivile Lösungen anstatt militärischer Lösungen herbeizuführen. Lassen wir dem Irak-Desaster kein neues hinzufügen.

(Beifall)

Wenn Sie als einer der Repräsentanten einer starken Organisation in der internationalen Politik sagen: „Ich will einen effizienten Multilateralismus.“, so unterstützen wir das.

Was den Stabilitätspakt betrifft, Herr Pöttering, so muss er gesichert werden, da teilen wir Ihre Auffassung. Die Kriterien dieses Stabilitätspaktes sollten nicht verändert werden. Aber der Stabilitätspakt muss auch handhabbar sein, er muss anwendbar sein und er muss nicht den Erfordernissen von 1990 Rechnung tragen, sondern denen von 2005. Dazwischen liegen 15 Jahre Entwicklung. Ein Stabilitätspakt, der in mancher Interpretation genau das Gegenteil von dem produziert, was sein zweiter Teil besagt – nämlich Wachstum –, ein Pakt, der vor lauter Stabilität das Wachstum hemmt, ein solcher Pakt widerspricht sich in seiner Struktur selbst. Deshalb wollen wir, dass er reformiert wird, und deshalb sind die Vorschläge von Joaquin Almunia gute Vorschläge, die wir unterstützen.

Lassen Sie mich zum Schluss eine grundsätzliche Bemerkung zu unserer künftigen Zusammenarbeit machen: Das Parlament hat durch die Bestätigung der Kommission insgesamt an Stärke gewonnen. Dass Sie auf dieses Parlament zukommen und mit dem Parlament als Ganzem zusammenarbeiten wollen, ist gut. Dass der Ratspräsident heute hier ist, ist ein ausgezeichnetes Symbol dafür, dass, wenn diese Institutionen zusammenarbeiten, Sicherheit, Wohlstand, Flexibilisierung – wo nötig aber auch soziale Absicherung – funktionieren können. In der Zusammenarbeit liegt die Stärke. „L'union fait la force“ ist ein schönes Sprichwort. Wir sind zu dieser Einigkeit bereit, wenn man uns und unsere politischen Forderungen respektiert und ernst nimmt. Ich gebe Ihnen heute mit auf den Weg, Herr Präsident: Das ist ein Tag der Zustimmung. Genießen Sie ihn – die Tage der Überprüfung werden kommen!

(Beifall)

 
  
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  Watson (ALDE) , im Namen der ALDE-Fraktion. – (EN) Herr Präsident! Jean Monnet sagte einmal: „Jeder Mensch macht seine Erfahrungen immer wieder neu. Dagegen erwerben Institutionen einen höheren Grad an Vernunft.“ Präsident Barroso! Sie repräsentieren nun die kollektive Erfahrung der Europäischen Kommission. Sie müssen rasch auf das kollektive Wissen ihrer Dienststellen zurückgreifen und Europa mit Ihren Erfahrungen bereichern. Dies sollte gemeinsam mit dem Europäischen Parlament geschehen, das Ihnen als Partner für Wachstum und Wohlstand in Europa zur Seite steht.

Herr Barroso! Meines Erachtens spiegeln Ihre Prioritäten auch die Prioritäten der Mehrheit in diesem Parlament wider. Diese vertritt die Ansicht, dass ein Haus nur auf einem soliden Fundament aufgebaut werden kann. Wenn wir ein wohlhabendes Europa anstreben, ein Europa der nachhaltigen Entwicklung, ein Europa, das die Armut innerhalb und außerhalb seiner Grenzen bekämpfen kann, und ein Europa, das seine Werte in der ganzen Welt verbreiten kann, dann müssen wir zunächst für eine starke und funktionierende Wirtschaft mit florierenden Unternehmen und neuen Innovationen sorgen. Wenn Europa den Bürgern etwas bedeuten soll, dann müssen wir praktische und greifbare Prioritäten festlegen. Nehmen wir zu viele Dinge in zu vielen Bereichen in Angriff – so wie dies bei der Lissabon-Strategie geschehen ist –, dann laufen wir Gefahr, keine sichtbaren Ergebnisse zu erzielen, so dass die europäischen Bürger schließlich vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sehen können.

Sie untermauern Ihre Ziele zu Recht mit der Forderung nach besserer Kommunikation und Information. Dies hätte schon viel früher passieren müssen. Wir haben zugelassen, dass durch die Halbwahrheiten und Mythen, die die Nationalisten immerzu verbreiteten, die Gedanken von zu vielen Mitbürgern vergiftet wurden. Im Laufe dieses Jahres, in dem die Volksabstimmungen über die Verfassung stattfinden, müssen all diejenigen mobilisiert werden, die an das europäische Aufbauwerk glauben. Denn hierbei geht es nicht um die Ratifizierung eines Textes, den die Menschen nicht gelesen haben, sondern um die Frage, ob die europäischen Bürger noch immer fest genug daran glauben, wofür die Europäische Union steht.

Sie haben vier Ziele umrissen, wobei Sie zunächst den Wohlstand nannten. Die Lissabon-Strategie ist der Schlüssel zu Ihrem Erfolg, und wenn Sie durch bessere Wettbewerbsfähigkeit und besseren Wissensaustausch für Wohlstand und Wachstum sorgen, dann können wir alle davon profitieren. Die Liberalen und Demokraten hoffen, dass der Stabilitäts- und Wachstumspakt, der als Grundlage für den Euro dient, verbessert und vernünftiger angewandt wird. Letztendlich hängt jedoch unser Wachstum und Wohlstand auch davon ab, dass die grundlegenden Strukturreformen auf nationaler Ebene umgesetzt werden.

Zweitens sprachen Sie von Solidarität – die andere Seite der Medaille. Ohne Solidarität kann es kein Europa geben. Eine florierende Wirtschaft dient zwar einem bestimmten Zweck, stellt jedoch keinen Selbstzweck dar. Europa hat sich seit jeher der Solidarität und dem Zusammenhalt, dem sorgsamen Umgang mit den natürlichen Ressourcen sowie der Achtung der gemeinsamen Werte und der kulturellen Vielfalt verschrieben. Wir müssen die Effektivität und Rechenschaftspflicht unserer Strukturfonds verbessern. Da gute Gründe dagegen sprechen, bei unserer künftigen Haushaltsplanung zu sparsam zu sein, werden die Liberalen und Demokraten einen durchkalkulierten und gerechtfertigten EU-Haushaltsplan für die nächsten fünf Jahre voll und ganz unterstützen.

Die Sicherheit stellt ein gemeinsames Anliegen dar, wobei die Fangarme des internationalen Terrorismus von Manhattan bis Madrid zu spüren waren. Wenn wir auf solche Bedrohungen nicht angemessen reagieren, dann werden die Pfeiler der Freiheit, auf denen unsere Union aufgebaut ist, langsam zerbröckeln. Beim Umgang mit Sicherheitsbedrohungen, die oft nicht greifbar sind, sollten wir jedoch nicht zu weit gehen. Es muss eine ausführlichere Diskussion über das Gleichgewicht zwischen Sicherheit und bürgerlichen Freiheiten stattfinden. Insofern begrüße ich den Vorschlag der Kommission über Einwanderung und Asyl, der maßgeblich zu einer Debatte beitragen wird, die nicht auf Angst und Panikmache, sondern auf Gerechtigkeit und Ehrlichkeit beruht.

Abschließend möchte ich zum Ausdruck bringen, dass wir unsere Ziele auf internationaler Ebene nicht mit militärischer Gewalt, sondern mit sanfter Gewalt durchsetzen sollten – wie beispielsweise durch politischen Dialog, Austausch, wirtschaftliche Anreize und Sanktionen, humanitäre Hilfe und Handelsabkommen. All diese Instrumente müssen im Rahmen einer stimmigen Strategie angewandt werden, die gute Governance belohnt, Tyrannei bestraft und die globale Umwelt schützt.

Präsident Barroso! Ihre Aufgabe ist nicht leicht. Die Hoffnungen und die Zukunft der EU-Bürger liegen in Ihrer Hand. Zum Schluss möchte ich noch einmal auf Jean Monnet zurückkommen, der in seinen Memoiren schrieb: Ein großer Staatsmann ist, wer auf langfristige Ziele hinarbeiten kann, die irgendwann für noch nicht vorhersehbare Situationen geeignet sind.

Präsident Barroso! Sie haben uns langfristige Ziele gesetzt, und wir sind zuversichtlich, dass Sie bei ihrer Verwirklichung den Ruf eines großartigen Staatsmannes erlangen werden.

(Beifall)

 
  
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  Jonckheer (Verts/ALE), im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – (FR) Herr Präsident, Herr Ratspräsident, Herr Kommissionspräsident! Die Europäische Kommission verfügt aufgrund der Verträge über zwei politische Privilegien: über das Privileg der Zeit, denn sie unterliegt fünf Jahre lang keinerlei Wahlzwängen, und das Privileg der Initiative im allgemeinen Interesse der Union, wie es im Verfassungsentwurf vorgesehen ist.

Herr Kommissionspräsident, es ist wohl kaum möglich, mit Ihren Ausführungen nicht einverstanden zu sein. Daher meine ich, dass unsere Fraktion Ihnen gegenwärtig empfehlen kann, von den Worten zu Taten überzugehen. Ich möchte im Übrigen unter Bezugnahme auf den Entschließungsantrag, den wir mit den anderen Fraktionen bereits im Dezember eingebracht haben, auf vier bzw. fünf Punkte im Zusammenhang mit politischen Entscheidungen zurückkommen, die mir wichtig erscheinen und die im Grunde alle bereits 2005 zur Debatte stehen.

Erstens der Haushalt der Europäischen Union, den Sie erwähnt haben. Die europäischen Grünen sind der Auffassung, dass der Vorschlag der Prodi-Kommission zur Höhe des Unionshaushalts das strikte Minimum darstellt, das in Wirklichkeit unzureichend ist. Wir unterstützen daher Ihre Ausführungen, Herr Barroso, so wie wir ebenfalls die Bereitschaft unterstützen, die Ausgaben der Union neu auszurichten. Ich denke beispielsweise an eine europäische Finanzierung für Natura 2000; an eine Umschichtung von im Forschungsbereich für die Kernenergie vorgesehenen Mitteln auf erneuerbare Energien oder das Kommissionsprogramm zur intelligenten Energie, um die Risiken für die Bürger auf andere Weise zu senken. Ich denke weiterhin an europäische Finanzmöglichkeiten für Kultur und Bildung, damit mehr Studenten und Kulturschaffende dazu beitragen, die Realitäten Europas bekannt zu machen. Ja, wir unterstützen die Kommission in ihrer Verantwortung, dem Rat, den Staats- und Regierungschefs deutlich zu machen, dass es – wie Sie dargelegt haben – in der Tat nicht möglich ist, eine Europäische Union mit 25 Mitgliedstaaten und 450 Millionen Einwohnern mit dem Haushalt, den einige Regierungen ihr zugestehen wollen, erfolgreich zu gestalten.

Mein zweiter Punkt betrifft die REACH-Gesetzgebung, deren Ziel effektiv darin besteht, die menschliche Gesundheit zu schützen und gleichzeitig die Chemieindustrie zur technologischen Innovation anzuregen. Wir möchten, dass die Kommission ihren Vorschlag aufrechterhält, damit das Parlament in erster Lesung darüber befinden kann und vermieden wird, das Ganze nochmals zu verschieben. Des Weiteren wollen die Grünen diesen Vorschlag natürlich durch verschiedene Überlegungen ergänzen, so durch die Pflicht zum Ersatz von hochgefährlichen Substanzen.

Dritter Punkt: der Gesetzesvorschlag zum Dienstleistungsbinnenmarkt, der in seiner jetzigen Fassung den Wettbewerb zwischen den Volkswirtschaften erhöht, ohne die Bedingungen dieses Wettbewerbs ausreichend zu regeln, und so dem Sozialdumping innerhalb der Union Tür und Tor öffnet. Das Herkunftslandprinzip kann in diesem Richtlinienvorschlag nicht als Leitprinzip gelten.

Was schließlich die Bewertung der Unionspolitiken anbelangt, so hat die luxemburgische Präsidentschaft in ihrem Text zu Recht darauf verwiesen, dass die Bewertung aller Unionspolitiken im Hinblick auf die Kriterien der nachhaltigen Entwicklung nicht als zweitrangig angesehen werden und durch die Lissabon-Strategie als solche verschleiert werden dürfe. In diesem Zusammenhang erwarten wir mit Ungeduld den Bericht der Kommission über die Kohärenz der Politiken. Hierbei denke ich beispielsweise an die Verkehrspolitik oder die Energiepolitik im Verhältnis zu den internationalen Verpflichtungen, die die Europäische Union im Rahmen der Klimakonvention eingegangen ist.

Abschließend möchte ich betonen, Herr Präsident, dass die Union weiterhin eine Vorreiterrolle bei den internationalen Klimaverhandlungen spielen und sich bereits jetzt dazu verpflichten muss, Ziele mit dem Zeithorizont 2020 zu realisieren – unsere Überlegungen gehen schon viel weiter -, was wesentlich größere Anstrengungen zu Energieeinsparungen als gegenwärtig voraussetzt.

(Beifall von links)

 
  
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  Wurtz (GUE/NGL), im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – (FR) Herr Präsident, Herr Ratspräsident, Herr Kommissionspräsident! Die Europäische Union hat lange gebraucht, um einzugestehen, dass es mit der Strategie von Lissabon nicht gelungen ist, die im Jahr 2000 verkündeten Ziele zu erreichen. Ich hatte bereits Gelegenheit, hier vor diesem Hohen Haus einen Bericht der Kommission vom Januar 2004 zu zitieren. Darin wurde in Bezug auf die Herstellung der Vollbeschäftigung hervorgehoben, dass im vorherigen Jahr zum ersten Mal seit zehn Jahren mehr Arbeitsplätze vernichtet als geschaffen worden waren. Zur Errichtung einer wissensbasierten Wirtschaft stellte derselbe Bericht fest, dass sie sich in Wirklichkeit in einer generellen Abnahme der öffentlichen und privaten Investitionen in die allgemeine und berufliche Bildung sowie die Forschung äußerte. In dem Bericht wurde ebenfalls aufgezeigt, dass über ein Sechstel der europäischen Jugendlichen mit fünfzehn Jahren nicht über die Mindestfertigkeiten in Schreiben, Lesen und Rechnen verfügen. Dies war eine schockierende, aber klarsichtige Feststellung.

Im Gegensatz dazu scheinen uns die seitdem angekündigten Mittel zur Abhilfe, nämlich eine noch schnellere und noch umfassendere Anwendung der neoliberalen Konzeption, völlig falsch und äußerst gefährlich. Das Schlüsselwort in diesem Zusammenhang ist Wettbewerbsfähigkeit. Doch um welche Auffassung von Wettbewerbsfähigkeit handelt es sich? Diejenige, die in der Union angestrebt wird, basiert auf der Senkung der Lohnkosten, der Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, der Verlängerung der Arbeitszeiten. Sie führt zu Lohn-, Sozial- und Steuerwettbewerb unter den 25 Mitgliedstaaten selbst. Sie betrachtet die demokratischen Errungenschaften des Arbeitsrechts als Hindernisse. Sie drängt auf die Verringerung der öffentlichen Ausgaben sowie auf strenge und restriktive Rahmenbedingungen für die Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse. Auch bei den gesundheits- und umweltpolitischen Anforderungen besteht die Gefahr, wie bereits dargelegt wurde, dass sie unter dem Vorwand der Wettbewerbsfähigkeit abgesenkt werden, wie dies im REACH-Programm der Fall ist. Aus dem gleichen Grund ist die kulturelle Ausnahme von den Wettbewerbsregeln Gegenstand von Angriffen. Zweifellos ist es das, woran Herr Barroso gedacht hat, als er in dem uns vorgelegten Bericht von friendly business environment sprach. Ich bin überzeugt, dass diese liberale Orientierung, dieser Wettstreit um die Unterbietung von Sozialstandards die offiziellen Ziele der Agenda von Lissabon konterkariert.

Sie konterkariert diese erstens, weil Haushalts- und Lohnbeschneidungen zu einer Stagnation des Konsums, der Hauptantriebskraft des Wachstums, führen und sich nachteilig auf die Beschäftigung auswirken. Zweitens, weil diese restriktive Politik zu Lasten der notwendigen Mehrausgaben für die Menschen, in erster Linie für mehr Ausbildung, dieses immer ausschlaggebendere Bedürfnis, geht. Drittens weil diese wahnhafte Fixierung auf den Markt, die Finanzierung der Wirtschaft, den zügellosen Wettbewerb eine wesentliche, wenn nicht ausschlaggebende Antriebskraft der Wirtschaft und der Gesellschaft zunichte macht: die Motivation der Menschen, ihre Kreativität, ihr Vertrauen in die Zukunft. Herr Barroso, Sie selbst stellen in Ihrer Mitteilung fest, dass ein beträchtlicher Teil der europäischen Öffentlichkeit nicht davon überzeugt ist, dass sich Europa auf dem richtigen Weg befindet. Ich glaube, das ist stark untertrieben.

Was ist angesichts dessen zu tun? Im Rahmen der Sofortmaßnahmen müssen unserer Meinung nach die Ausgaben für Forschung, Bildung, Gesundheitsversorgung und vielleicht auch die Ausgaben im Zusammenhang mit bestimmten Infrastrukturen, sowie die beschäftigungspolitischen Ausgaben bei der Bewertung der abzubauenden öffentlichen Defizite unberücksichtigt bleiben. Es wäre ebenfalls notwendig, eine demokratische Kontrolle aller an Unternehmen gezahlten öffentlichen Mittel einzuführen, um deren Beschäftigungswirksamkeit zu überprüfen und im gegenteiligen Fall ihre Rückzahlung zu fordern.

Des Weiteren halten wir es für notwendig, wie vom Parlament ausdrücklich gefordert, dass erst eine ernsthafte Bewertung der Auswirkungen der Liberalisierungen wie derer im Schienenverkehr vorliegen muss, ehe eine weitere Etappe eingeleitet werden kann. Wir wiederholen natürlich auch unsere Forderung nach Rücknahme der Bolkestein-Richtlinie. Diesbezüglich stelle ich fest, Herr Präsident, dass dieser Richtlinienentwurf - wenn ich nicht irre – erstmals in einem Dokument der Kommission nicht mehr erwähnt wurde. Ich möchte annehmen, dass dies einer Annahme der Forderung nach Rücknahme Ihrerseits gleichkommt, doch angesichts dessen, worum es hier geht, wäre eine Bestätigung dieser Kurskorrektur durch den Kommissionspräsidenten selbst angebracht.

Zudem halten wir Strukturveränderungen für notwendig, die die Entwicklung hin zu einer gemeinsamen Beherrschung der Märkte und damit zu einer Rückkehr zum Primat der politischen Entscheidungen ermöglichen. Dabei denke ich beispielsweise an die Entscheidung, der Beschäftigungssicherheit oder der Zugänglichkeit aller zu einer beschäftigungsvorbereitenden Ausbildung Vorrang zu geben. Dafür müssen natürlich die entsprechenden Mittel verfügbar sein, was die Frage der Aufgaben und der Satzung der Europäischen Zentralbank aufwirft.

Herr Präsident, Herr Barroso hat vorhin unterstrichen, wie notwendig es sei, sich auf gleicher Wellenlänge mit den Anliegen der Bürger zu befinden. Wie ich meine, werden zahlreiche der von mir dargelegten Anliegen weit über die meiner Fraktion nahe stehenden Kreise hinaus geteilt. Daher wäre die Kommission gut beraten, diese nicht zu ignorieren.

 
  
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  Bonde (IND/DEM), im Namen der IND/DEM-Fraktion. – (DA) Herr Präsident, Herr Barroso, Sie haben jetzt fünf Jahre Zeit, um Europa zum wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsraum der Welt zu machen. Allerdings haben wir in der EU nicht die richtige Einstellung gegenüber der Regulierung, wenn wir Beamte nach Brüssel schicken, um Preise für Produkte festzulegen, für die es genügend Anbieter und eine große Nachfrage gibt. Das sei nur zum Thema Marktwirtschaft gesagt. Auf diese Weise schaffen wir überhöhte Preise, erheben Steuern und Abgaben und hindern die Entwicklungsländer daran, Lebensmittel nach Europa zu exportieren. Danach verteilen wir die Gelder als Beihilfen, die sich nach dem Betriebsvermögen der Eigentümer berechnen. Ein Landbesitzer mit tausend Hektar Land erhält hundert Mal mehr Beihilfe als ein Landwirt mit zehn Hektar. Da es außerdem keine Obergrenze für diese Beihilfen gibt, nehmen 20 % der Landwirte 80 % der Subventionen in Anspruch. Auf die Stützung des Einkommens der Landwirte entfällt nur ein Bruchteil der Subventionen für die Gemeinsame Agrarpolitik. Damit diskriminieren wir die neuen Mitgliedstaaten. Außerdem haben wir eine Subventionsindustrie geschaffen sowie eine Armee von Lobbyisten, die nach Brüssel reist, um einen Teil unseres Geldes wieder zurückzuholen.

Nun möchte die Kommission auch noch mehr Geld für zusätzliche Pläne sowie die Möglichkeit, selbst Steuern zu erheben. Mein Rat dazu lautet: Versuchen Sie es einmal mit weniger Geld, niedrigeren Steuern, geringeren Beihilfen, mehr Freiheit für die Mitgliedstaaten und unterstützen Sie diejenigen, die sich nicht erfolgreich auf dem Markt behaupten können.

Unsere Nachkommen müssen auch noch natürliche Energiequellen und Rohstoffe vorfinden. Jedes Land muss die Möglichkeit haben, eine Vorreiterrolle im Umweltbereich zu übernehmen. Den ärmsten Ländern müssen wir die Möglichkeit geben, ihre Binnennachfrage zu stärken, indem wir ihren Beitrag zur EU absenken und die Strukturfondsmittel zur Förderung der ärmsten Regionen der ärmsten Länder genutzt werden. Millionen von Bürgern beziehen kein Einkommen aus Arbeit, weil sie keinen Zugang zum Arbeitsmarkt haben. Wir haben eine Zentralbank, die dem Preis des Geldes mehr Aufmerksamkeit widmet als den Familien. Die EU hat eine gemeinsame Währung und eine gemeinsame Zurückhaltung bei Investitionen. Warum vereinbaren wir nicht stattdessen einen allgemeinen Anschub der Investitionen, in dessen Rahmen Länder mit einem Zahlungsbilanzdefizit ihre Investitionen um 5 % erhöhen, während Länder mit einem Zahlungsbilanzüberschuss sie um 7 % steigern und Länder mit einer ausgeglichenen Zahlungsbilanz um 6 %. Dann könnte jeder mehr verkaufen und mehr Arbeitsplätze schaffen, ohne für eine unausgeglichene Bilanz eine schlechte Note zu bekommen. Wirtschaftliche Koordinierung kann wesentlich mehr Wachstum und Beschäftigung bringen als die durch bürokratische Anreize geschaffenen künstlichen Arbeitsplätze.

Als neu Hinzugekommener, Herr Barroso, brauchen Sie sich nicht im Berg der Detailregulierung in Brüssel zu verfangen. Lassen Sie stattdessen der Freiheit freie Zügel!

 
  
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  Crowley (UEN), im Namen der UEN-Fraktion. – (EN) Herr Präsident! Ich möchte den Kommissionspräsidenten und den Ratsvorsitzenden zu unserer heutigen Plenarsitzung willkommen heißen.

Es kommt nicht gerade oft vor, dass jemand hier im Parlament über eine Vision spricht; über eine Idealvorstellung, die nicht in bürokratischen Einzelfragen untergeht oder bei der alte Ideen aufgewärmt werden. Insofern möchte ich Präsident Barroso meine Anerkennung dafür aussprechen, dass er sowohl in politischer als auch in verwaltungstechnischer Hinsicht den Mut hatte, eine wirkliche Vision für das Europa der nächsten fünf bis zehn Jahre vorzustellen.

Ich begrüße insbesondere, dass er nicht mehr der alten festen Regel folgt, nach der die Kommission über der Politik stehe. Denn er spricht von einer Kommission, die sich stärker auf die politischen Fragen konzentrieren und mehr auf die Bedürfnisse der Menschen und Bürger in der Europäischen Union eingehen wird und die in der Europäischen Union eine Führungsrolle übernehmen kann.

Ich möchte nicht weiter auf die Äußerungen meiner Kollegen eingehen, sondern lediglich drei ganz kurze Bemerkungen machen. Wenn wir unserer Rolle auf der Weltbühne gerecht werden möchten, dann müssen wir erst einmal hier in der Union für Ordnung sorgen. Wir müssen innerhalb unserer Union sicherstellen, dass Ideen, Programme und Stärke von Bestand sind, und dann erst können wir unsere Botschaft weiter verbreiten.

Zweitens erreicht man in einem politischen Forum oder im politischen Leben schließlich nur dann etwas, wenn die Menschen an der Basis das Gefühl haben, dass sich ihr Leben aufgrund der gefassten Beschlüsse verbessert. Wenn wir in diesem Saal von Solidarität reden, dann meinen wir damit äußerst selten, dass jedem einzelnen Bürger Chancengleichheit, Gleichheit bei Investitionen sowie Gleichheit bei der allgemeinen und beruflichen Bildung gewährleistet werden sollte. Auf jedem Gebiet, wo ein wirtschaftliches Wachstum oder eine soziale Entwicklung zu verzeichnen sind, bilden diese Punkte jedoch die Kernelemente einer solchen Triebkraft.

Zuletzt möchte ich noch folgenden Punkt anbringen: Wir sollten niemals unsere Verantwortung gegenüber Afrika vergessen. Heutzutage sterben Millionen von Menschen infolge von Konflikten, Millionen sterben an Hunger und Millionen werden in den nächsten Jahren an Aids sterben. Wir müssen weltweit vorangehen, wenn es darum geht, Lösungen für die Probleme Afrikas zu finden. In dieser Hinsicht müssen wir unsere Ziele verwirklichen und unserer Verantwortung gerecht werden.

 
  
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  Martin, Hans-Peter (NI). Herr Präsident! Zu Beginn eines Fußballturniers darf sich jeder, auch wenn er sich nur mit Schwierigkeiten qualifiziert hat, wünschen, Meister zu werden, und das gilt in der Politik ganz sicher auch. Ich wünsche mir, dass Sie es mit Ihrem Programm zur Meisterschaft bringen, würde Ihnen aber in dieser kurzen Redezeit gern zwei Gedanken mit auf den Weg geben.

Ich würde mir wünschen, dass Sie, bevor Sie eine konkrete Vorlage, eine konkrete Richtlinie hier in dieses Haus bringen oder der Öffentlichkeit präsentieren, diese noch einmal ganz kurz zurücknehmen und fragen: Erfüllt das auch die Maxime der Sparsamkeit? Könnte man nicht noch im Verwaltungsbereich – oder erst recht bei der Finanziellen Vorausschau – etwas bescheidener sein? Manchmal können 700 Milliarden Euro auf sieben Jahre mehr sein als eine Billion für den gleichen Zeitraum, wenn ich an den politischen Vorlauf denke.

Damit verbunden ist auch der zweite Gedanke. Bitte achten Sie darauf, dass Sie nicht in die Falle tappen und jetzt der Verlockung nachgeben, für die Aufrüstung Finanzmittel locker zu machen. Da kann man kurzfristig Jobs schaffen, aber es wäre verheerend für das Friedensprojekt Europa.

 
  
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  Grossetête (PPE-DE).(FR) Herr Präsident, zunächst möchte ich dem Ratspräsidenten sagen, wie sehr wir seine Anwesenheit schätzen, denn offen gesagt war der Rat in der Vergangenheit bei solchen wichtigen Aussprachen eher selten anwesend.

Herr Kommissionspräsident, Ihnen möchte ich sagen, dass ich es für besonders wichtig und interessant halte, dass das Parlament in die Diskussion des Mehrjahresprogramms und insbesondere in dessen Annahme einbezogen werden soll. Dies ist eine wichtige Neuerung, denn zu dem Mehrjahresprogramm wird es in der Tat eine Vereinbarung zwischen Kommission, Rat und Europäischem Parlament geben. Auch über das Gesetzgebungs- und Arbeitsprogramm der Kommission gibt es Diskussionsbedarf. Wir hätten gern die Möglichkeit gehabt, ausführlich darüber zu sprechen, doch ist dies nicht möglich, weil die Zeit fehlte, um uns mit den von der Kommission gemachten Vorschlägen eingehend zu befassen.

Des Weiteren möchte ich gern, dass wir als Politiker voll und ganz an diesen Diskussionen und insbesondere an der Entscheidungsfindung beteiligt werden; anders gesagt, möchte ich, dass vermieden wird, dass die Beamten – die Unseren und die Ihrigen – über das Mehrjahresprogramm entscheiden. Dies wollen wir nicht. Wir fordern, dass wir als Politiker entscheiden und zu Mitentscheidern über dieses Programm werden. Dazu ist es erforderlich, dass dem Europäischen Parlament die Möglichkeit gegeben wird, mit Ihnen bestmöglich zusammenzuarbeiten.

Zweifellos ist das Jahr 2005 ausschlaggebend für unsere Institutionen: damit meine ich die Verfassung und ihre Ratifizierung. Alle unsere Anstrengungen müssen auf Wettbewerbsfähigkeit und damit auf Beschäftigung gerichtet werden, denn Armut ist nicht hinnehmbar in Europa. Lassen Sie uns Schluss machen mit den unendlichen und leider oft armseligen Diskussionen und die Strategie von Lissabon konkret umsetzen. In diesem Zusammenhang möchte ich mit Ihrer Erlaubnis einen Punkt hervorheben. Mit Entsetzen muss ich feststellen, dass einige immer noch einen Widerspruch zwischen Wettbewerbsfähigkeit und Umwelt sehen. Dies bedeutet, dass wir nichts von der nachhaltigen Entwicklung begriffen haben, obwohl wir am 26. Dezember vorigen Jahres die Flutkatastrophe in Asien erlebt haben, obwohl die Wissenschaftler ständig Alarm schlagen angesichts der rasanten Entwicklung der Klimaveränderungen und ihrer Folgen. Man muss begreifen, dass die Berücksichtigung der Umwelt ein Wettbewerbsvorteil ist, denn auf diese Weise werden sich innovative und arbeitsplatzträchtige neue Technologien entwickeln. Wettbewerbsfähigkeit, Umwelt und Solidarität sind die neuen Säulen Europas.

Wir werden daher die REACH-Richtlinie und die Dienstleistungsrichtlinie aufmerksam im Blick behalten, wobei wir der Auffassung sind, dass mit der Schaffung von Arbeitsplätzen nicht gleichzeitig auch Arbeitsplätze vernichtet werden dürfen, denn für uns steht die Gesundheit der Unternehmen ebenso wie die menschliche Gesundheit an erster Stelle: alles ist miteinander verbunden. Ihr Programm ist ehrgeizig, Herr Kommissionspräsident, und wir unterstützen Sie dabei ebenso wie hinsichtlich der Finanziellen Vorausschau, denn es kommt darauf an, dass mit dem europäischen Haushalt die Prioritäten und die Politiken, die wir gemeinsam realisieren wollen, finanziert werden können.

 
  
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  Swoboda (PSE). Herr Präsident, Herr Ratspräsident, Herr Kommissionspräsident! Wie Kollege Schulz schon ausgeführt hat, haben Sie ein Programm vorgelegt, bei dem wir uns in vielen Passagen wiederfinden können, und ich möchte das ausdrücklich unterstreichen. Es liegt jedoch in der Natur von Abgeordneten, dass sie nie genug bekommen können; daher möchte ich mich auf jene Punkte konzentrieren, wo ich Sie bitte, noch ein bisschen weiter zu gehen.

Herr Präsident, Sie haben mit der Frage der better regulation begonnen, also einer anderen Gesetzgebung, die wir brauchen. Und Sie haben auch begonnen mit der Frage: Verstehen die Bürger, was wir wollen? Ich meine doch, dass wir uns in den nächsten Monaten oder in den nächsten Jahren auf jene Fragen konzentrieren sollen, die für die Bürger von großem Interesse sind. Und da fehlt uns das Engagement der Kommission in der Frage der öffentlichen Dienstleistungen, und zwar auch sehr konkret, was eine Rahmenrichtlinie betrifft.

Wenn die Bürgerinnen und Bürger sehen, dass ein Postamt nach dem anderen verschwindet, dass immer mehr andere öffentliche Einrichtungen wegkommen, dass ganze Landstriche ausgeödet werden, dann fragen sie sich: Sind das die Auswirkungen von Europa? Und daher bitte ich Sie, sich nicht nur auf die Frage der privaten Dienstleistungen zu konzentrieren, sondern vor allem die Dienstleistungen im öffentlichen Interesse stärker zu berücksichtigen.

Zweitens: Am Beginn Ihres Programms steht der Wohlstand, und dann kommt die Solidarität. Sie betonen auch zu Recht mehrmals die Verbindungen zwischen Wohlstand und Solidarität. Auch da ersuche ich Sie, noch weiter zu gehen. Es gibt für uns im europäischen Gesellschaftsmodell eigentlich keine Förderung des Wohlstands, ohne dass damit auch Solidarität verbunden ist. Und Solidarität ist für uns kein Hindernis für Effizienz, kein Hindernis für Wettbewerbsfähigkeit, nicht einmal, wie vor allem das nordische Modell zeigt, ein Hindernis für Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt. Wenn wir Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt wollen, ist es umso wichtiger, soziale Netze zu haben, um die Menschen im Fall des Falles aufzufangen.

Solidarität bedeutet für uns aber auch, den öffentlichen Sektor nicht auszuhungern und zu vernachlässigen. Wir brauchen für Wachstum, für Beschäftigung, auch für eine gerechte Einkommensverteilung einen lebendigen - nicht hypotrophen -, einen lebendigen, angemessenen öffentlichen Sektor. Wir brauchen mehr Infrastrukturinvestitionen, das haben Sie zu Recht gesagt, wir brauchen mehr Investitionen, vor allem auch in die Bildung und in die Gesundheit. Und hier komme ich wieder zu den Dienstleistungen; das ist für uns als Sozialdemokratische Fraktion ein ganz wichtiger Punkt, da wir die öffentlichen Dienstleistungen ausbauen wollen. Was die privaten Dienstleistungen betrifft, möchte ich ein Wort von Präsident Juncker aufgreifen: Wir wollen eine Öffnung des Marktes für Dienstleistungen, aber wir wollen kein soziales Dumping. In diesem Sinne müssen wir die Dienstleistungsrichtlinie überarbeiten.

Solidarität in Verbindung mit Wohlstand heißt natürlich auch, gegenüber allen gesellschaftlichen Gruppen Solidarität zu üben, auch gegenüber verschiedenen Minderheitsgruppen – hier tun wir gerade in diesen Tagen im Parlament etwas –, vor allem auch gegenüber der großen Minderheitsgruppe der Roma und Sinti. Ich glaube, dass es angemessen wäre, bei dieser Gelegenheit hier mal ein klares Wort zu sagen.

Solidarität heißt natürlich auch internationale Solidarität, die wir zu üben haben, und damit komme ich zum letzten Punkt: Europa ist eine zivile Großmacht. Wir sind eine soft power, aber soft power heißt nicht weak power, sanfte Macht heißt nicht schwache Macht, und das, glaube ich, müssen wir hervorheben. Wenn wir, was jetzt auch von der amerikanischen Seite anerkannt wird, in der Ukraine so erfolgreich waren und einen vernünftigen Weg weitergehen müssen, ohne die letzten Schritte vor dem ersten Schritt zu setzen, wenn wir auch auf dem Balkan erfolgreich sein werden, dann müssen wir diese Art und Weise, internationale Politik zu gestalten, beispielsweise auch im Iran anwenden. Und da muss man auch den amerikanischen Freunden – und ich betone: Freunden – klar sagen: Es geht nicht an, dass der militärische Weg Vorrang hat, sondern wir müssen versuchen, so weit wie möglich den zivilen Weg, den Weg der Verhandlungen, den Weg der Einbindung zu gehen; das ist die europäische Art und Weise.

Damit schließe ich keineswegs aus, dass es eine militärische Komponente gibt. Wenn wir sagen, wir sind eine zivile Großmacht, brauchen wir auch eine militärische Komponente, damit wir der zivilen Großmacht Europa Glaubwürdigkeit und Durchsetzungsfähigkeit verleihen.

Herr Präsident, Sie sind etliche Schritte gegangen; als Sozialdemokraten wünschen wir, dass wir noch weitere Schritte gehen. Angesichts der Tatsache, dass die USA, China und Russland eine ganz andere Vorstellung von der Welt haben, müssen wir die europäische Vorstellung von der Welt zuspitzend auch gegenüber unseren eigenen Bürgern vertreten.

 
  
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  Geremek (ALDE). (PL) Ich möchte sagen, dass ich die geplante „Partnerschaft für ein Neues Europa“ voll und ganz befürworte. Ich bin mir nicht ganz sicher, was das Wort „Partnerschaft“ in diesem Zusammenhang bedeutet, doch ist mir völlig klar, was unter „ein Neues Europa“ zu verstehen ist, und ich bin der Ansicht, dass eines der charakteristischen Merkmale Europas immer die Fähigkeit war, sich ständigen Reformen und fortlaufenden Erneuerungen zu unterziehen.

Ich möchte Herrn Barrosos Aufmerksamkeit auf zwei Aspekte lenken, die meines Erachtens entscheidend sind, wenn von einem neuen Europa die Rede ist. Der erste Aspekt heißt Bildung. Seit jeher gewinnt Europa seine Stärke aus seinem Bildungssystem, das eine Ausbildung von der Grundschule bis zur Universität bietet, doch muss uns bewusst sein, dass dieses Bildungssystem zurzeit an Qualität verliert. Es reicht nicht aus, Herr Präsident, einfach nur zu sagen, dass Kultur und Bildung von zentraler Bedeutung sind. Eine Strategie ist vonnöten, in der dargelegt wird, wie die Bildung zum Kernthema in der Europäischen Union gemacht werden soll. Dann wäre es nicht möglich, unter Berufung auf das Subsidiaritätsprinzip zu behaupten, dass die Organe der Europäischen Union nicht berechtigt sind, tätig zu werden. Wir brauchen eine Strategie, die gewährleistet, dass die europäische Bildung die beste in der Welt ist, denn das hat sie verdient, und das ist eine der größten europäischen Traditionen.

Der zweite Aspekt, der meines Erachtens Vorrang hat, ist die Demokratie, und was das betrifft, erwarte ich auch eine Art politische Strategie. Es stimmt einfach nicht, dass die Demokratie eine Europa innewohnende Eigenschaft ist. Schon von ihrem Wesen her kommt die Demokratie oft unter den Beschuss der Mächtigen. Zurzeit wird die europäische Demokratie von Populismus und gelegentlicher Demagogie geschwächt, und daraus ergibt sich, dass wir eine europäische Strategie zur Demokratie brauchen, die auch als Sprachrohr für die ganze Welt dienen könnte. Vielen Dank, Herr Präsident!

(Beifall)

 
  
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  Papadimoulis (GUE/NGL). – (EL) Herr Kommissionspräsident! Es tut mir Leid, aber ich finde, Ihr Manifest ist stark neoliberal gefärbt. Sie nutzen die Tatsache, dass die Ziele von Lissabon verfehlt wurden, als Argument, im Namen der Wettbewerbsfähigkeit Druck auf die Pfeiler des sozialen und regionalen Zusammenhalts und des Umweltschutzes auszuüben. Wir sind gegen das Konzept des Kok-Ausschusses, da es dazu führt, dass wir insbesondere in den Bereichen Kohäsion und Umwelt weniger Europa haben werden und dass das Sozialdumping, das den europäischen Sozialstaat demontiert, in noch stärkerem Maße um sich greift. Für das vereinigte Europa der Zukunft brauchen wir ehrgeizige, jedoch keine geizigen Pläne. Um die neuen Gemeinschaftspolitiken zu finanzieren, die die Bürger der derzeit 25 und künftig 27 Mitgliedstaaten fordern, müssen die Eigenmittel beträchtlich aufgestockt werden. Der Vorschlag der Kommission bildet den minimalen Ausgangspunkt für die Finanzielle Vorausschau. Wenn Sie wollen, dann bietet sich Ihnen jetzt eine glänzende Gelegenheit, Sie müssen nur damit aufhören, ständig einen Schritt zurück zu machen. Allen sollte endlich klar sein, dass es unmöglich ist, ein größeres Europa und mehr Europa zu haben, wenn dafür weniger Geld zur Verfügung gestellt wird.

 
  
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  Knapman (IND/DEM).(EN) Herr Präsident! Zu meiner eigenen Überraschung hat mir der Redebeitrag von Herrn Barroso gefallen. Insbesondere gefiel mir, als er zugab, dass wir knapp bei Kasse seien, obwohl ich befürchte, dass einige Mitglieder der Kommission so etwas zum ersten Mal hören. Herr Barroso, Sie haben auch erwähnt, dass die Europäische Union die Einwanderungs- und Asylpolitik in den Griff bekommen wird. Sie wiesen darauf hin, dass es sich hierbei um ein europäisches Problem handeln würde, das am besten im Rahmen eines europäischen Konzepts angegangen wird. Dieser Hinweis war äußerst hilfreich und wird dem armen Michael Howard und den Konservativen im britischen Parlament wohl neu sein.

Es sei darauf verwiesen, dass Ihr Arbeitsprogramm größtenteils auf der jährlichen Strategieplanung der Kommission für 2005 beruht, die im Februar 2004 unter der vorherigen Kommission veröffentlicht wurde. Eigentlich sollten wir heute Herrn Prodi zu dem Hauptziel des Wirtschaftswachstums befragen, das sich die Kommission gesetzt hat. Er war ja nun nicht gerade sehr erfolgreich, oder? Was für eine Scheindemokratie! Somit wurden die EU-Politiken für 2005 von der abgetretenen Kommission festgelegt und vom vorangegangenen Parlament genehmigt. Nur das jetzige Parlament hatte kein Wörtchen mitzureden.

Aber keine Angst, Herr Barroso, Sie haben Glück: Kaum einem der Abgeordneten des Europäischen Parlaments wird das überhaupt auffallen. Aber die United Kingdom Independence Party ist Ihnen sehr dankbar, da wir zu sagen pflegen: Schlechter ist besser!

 
  
  

VORSITZ: JACEK SARYUSZ-WOLSKI
Vizepräsident

 
  
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  Angelilli (UEN).(IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Über einzelne nationale Problemfelder hinaus wird aus der Erklärung der Kommission ersichtlich, dass sich das europäische Wirtschaftssystem insgesamt in einer schwierigen Lage befindet. Kein Staat ist allein in der Lage, diesen Abwärtstrend umzukehren; es ist Aufgabe der EU-Organe, insbesondere der Kommission, die europäische Wirtschaft wiederzubeleben, indem sie sich auf eine auf Beschäftigung, Wachstum und solidarische Entwicklung abzielende Strategie konzentrieren.

Als Erstes muss der Strategie von Lissabon neuer Schwung und somit endlich Wirksamkeit verliehen werden, und es sollte ein nationaler Verantwortlicher für die Erreichung ihrer Ziele bestimmt werden.

Zweitens muss eine vernünftige Überarbeitung des Stabilitätspakts vorgenommen werden, die zur Umsetzung von Strukturreformen anregt, die Verfolgung der Lissabonner Ziele erleichtert und dabei gleichzeitig Infrastruktur- und Forschungsinvestitionen zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit fördert. In diesem Zusammenhang halte ich es für unabdingbar, noch vor der März-Tagung des Europäischen Rates im Europäischen Parlament eine Aussprache über die Reform des Stabilitätspaktes durchzuführen.

Schließlich sollte vielleicht noch einmal über den seinerzeit von Jacques Delors unterbreiteten Vorschlag nachgedacht werden, europäische öffentliche Investitionen zur Förderung von Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit durch die Ausgabe von Eurobonds zu finanzieren, die jetzt durch den gegenwärtig besonders starken Euro abgesichert wären.

 
  
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  Mote (NI).(EN) Herr Präsident! Die so genannte Strategie der Kommission ist schiere Illusion. Seit Jahren kämpft Kontinentaleuropa gegen Arbeitslosigkeit und ein schwaches Wachstum an. Sind Sie, Herr Barroso, nie auf den Gedanken gekommen, dass Sie vielleicht nicht Bestandteil der Lösung, sondern ein Teil des Problems sind? Weshalb fragen Sie sich eigentlich nie, ob all ihre Eingriffe und Regulierungen überhaupt notwendig sind? Sehen Sie denn nicht, was für einen Schaden Ihre Vorgänger angerichtet haben? Haben Sie nichts daraus gelernt? Weshalb möchten Sie immer alles besser wissen als diejenigen, die mit ihrer Initiative und ihrem Unternehmungsgeist zu Wohlstand, Investitionen und Arbeitsplätzen beitragen?

Den Menschen Westeuropas wäre am besten gedient, wenn Sie sich einfach raushalten würden. Werfen Sie die Lissabon-Strategie in den Papierkorb der Geschichte und verbannen Sie bei dieser Gelegenheit auch gleich all diejenigen, die unbeirrbar daran festhalten, dass die Bürokraten und Politiker am besten wissen, wo es lang geht!

 
  
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  Szájer (PPE-DE). (HU) Im Namen der PPE-DE-Fraktion möchte ich meine Freude darüber zum Ausdruck bringen, wie schnell sich die Europäische Kommission nach ihrer Ernennung an die Arbeit gemacht hat. Aus den neuesten strategischen Leitlinien geht eindeutig hervor, dass die Kommission nicht nur die Arbeit aufgenommen hat, sondern auch die Ansichten des Europäischen Parlaments berücksichtigt hat. Ich möchte das Hohe Haus und die anwesenden Kommissionsmitglieder daran erinnern, dass das Parlament im vergangenen Dezember eine Entschließung angenommen hat, in der die grundlegenden strategischen Ziele der Kommission dargelegt wurden, insbesondere die Ziele, die das Europäische Parlament von der Kommission verwirklicht sehen wollte.

Die Kommission hat diese Ziele eindeutig berücksichtigt. Wir haben unserem Wunsch nach einem wettbewerbsfähigen und dynamischen Europa Ausdruck verlieren, und auch die Kommission spricht von Wettbewerbsfähigkeit, Wohlstand und der Schaffung von Arbeitsplätzen. Wir haben unseren Wunsch nach Kohäsion, der Konsolidierung der europäischen Erweiterung und Solidarität zum Ausdruck gebracht, und auch die Kommission spricht über dieselben Fragen. Wir wollten ein sicheres Europa für die europäischen Bürger. In dem von der Kommission kürzlich veröffentlichten Material sowie im Redebeitrag des Präsidenten sind diese Ziele klar festgelegt. Dem ist so, obwohl die Abgeordneten des Parlaments die Arbeit der Kommission manchmal erschweren. Ich möchte Sie daran erinnern, dass die Entschließung vom vergangenen Dezember ursprünglich von den meisten größeren Fraktionen unterstützt wurde, doch unsere sozialdemokratischen Kollegen machten noch im letzten Moment einen Rückzieher. Jetzt jedoch haben die Sozialdemokraten vor den Sitzungen der Kommission und des Parlaments polemische Presseerklärungen darüber abgegeben, was sie von der Kommission erwarten. Interessanterweise zählten zu diesen Erwartungen auch Aspekte, die sie bei der letzten Sitzung in Straßburg nicht unterschreiben oder annehmen wollten. Deshalb bin ich zufrieden, dass die Sozialdemokraten dieses Material befürworten, auch wenn sie den Fragen lieber einen röteren Anstrich gegeben hätten.

Ich möchte jedoch die Aufmerksamkeit der sozialdemokratischen, ja aller Fraktionsvertreter darauf lenken, dass es sich bei der Schaffung von Arbeitsplätzen nicht um ein sozialdemokratisches oder liberales Ziel handelt, nicht um das Ziel der Grünen oder der Volkspartei, sondern dass dies im Interesse der Bürger Europas liegt. Dafür arbeiten wir, dafür kämpfen wir. Es mag kaum überraschen, dass ich Ihnen als Vertreter aus einem der neuen Mitgliedstaaten ins Bewusstsein rufe, dass einer der entscheidenden Aspekte der Solidarität innerhalb der Europäischen Union darin besteht, noch größere Anstrengungen zu unternehmen, um zwischen den neuen und alten Mitgliedstaaten einen Zusammenhalt zu schaffen. Ich bin zuversichtlich, dass Herr Barroso, der ehemalige Ministerpräsident Portugals, also eines Landes, das über lange Zeit die Vorteile der Kohäsion genossen hat, die Solidarität auch außerhalb der Generationenfrage oder der Gesellschaftsschichten als wichtig erachtet. Zum Abschluss möchte ich unsere Anerkennung zum Ausdruck bringen, dass der Kommissionspräsident entschiedene und eindeutige Verpflichtungen eingegangen ist. Dazu gehört, dass die Kommission Schritte vermeiden will, die den Interessen der europäischen Bürger widersprechen, und dass sie von Rechtsvorschriften Abstand nehmen will, die unvereinbar mit den Zielen der Wettbewerbsfähigkeit und der Schaffung von Arbeitsplätzen sind oder die Sicherheit der europäischen Bürger verletzen. Ich wünsche der Kommission den Mut, manchmal von Maßnahmen absehen zu können.

 
  
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  Kósáné Kovács (PSE). (HU) Vielleicht erwarten einige von Ihnen heute hier im Plenum einen heftigen Disput. Dazu wird es nicht kommen, da uns der Präsident ein Dokument vorgelegt und Anmerkungen gemacht hat, die im Vergleich zum Dokument von Straßburg einen Schritt nach vorn bedeuten: Wir gebrauchen dieselben Worte, und hoffen, dass hinter den Worten desselben Tenors auch Hoffnung auf ähnliche und gemeinsame politische Handlungen besteht. Ich bin mir sicher, dass seine Zusammenarbeit mit den Vizepräsidenten eine viel versprechende Zukunft ankündigt, und ich möchte keine Debatte darüber beginnen, wem die Farbe rot bei Krawatten gefällt und wer sie lieber bei roten Ohren mag. Lassen Sie uns damit abschließen, dass Solidarität und sozialer Zusammenhalt Werte sind, deren Inhalt vom Menschen und nicht von Farben geprägt ist.

Nun zur Frage der Sicherheit und des Rechts. Ich war erfreut, dass Sicherheit und Recht im Zusammenhang mit den Grundprinzipien erwähnt wurden und nicht einfach als regelungstechnische Fragen behandelt wurden. Wir alle wissen, dass Sicherheit nicht als gegeben hingenommen werden kann und dass darunter mehr zu verstehen ist, als den Bürgern im Angesicht lebensbedrohlicher Gefahren ein friedliches Leben zu bieten. Die europäische Sicherheitspolitik endet nicht mit der Bekämpfung der Gefahr des Terrorismus und der Suche nach wirksamen Mitteln, um Bombenanschlägen vorbeugen und abhelfen zu können. Unseres Erachtens, und das möchte ich betonen, ist die Demokratie das wahre Unterpfand der Sicherheit. Nur die Demokratie schützt die Menschen, und im Gesetzgebungsprozess garantiert die Demokratie die persönlichen Rechte. Demokratie verhindert, dass unter Berufung auf die Sicherheit Beschränkungen eingeführt werden, die dem Geist unseres Verfassungsvertrags widersprechen.

Wir wollen nicht in einer Welt leben – das haben wir bereits hinter uns –, in der unsere Träume in Akten festgehalten werden. Wir wollen auch nicht in einer Welt leben, in der die Menschen aufgrund von Geschlecht, Alter, Glauben, finanziellem oder Familienstatus diskriminiert werden. Wir wollen keine Diskriminierung, denn damit werden die Schwachen augenfälligen Gefahren ausgesetzt, und gerade die Schwachen sind zunehmend stärker betroffen: Frauen, Senioren und Kinder. Wir wollen keine Diskriminierung der „Andersartigkeit“, und darum fragen wir Sie immer wieder, ob wir Ihr Versprechen, sich persönlich für Anti-Diskriminierungsgesetze und die Einleitung entschiedener rechtlicher Schritte zur Bekämpfung der Diskriminierung einzusetzen, ernst nehmen können.

Zudem gibt es Gefahren, die weit über die Sicherheitspolitik hinausreichen und die Qualität des menschlichen Lebens bedrohen. Während tief verwurzelte und unumkehrbare Armut zu Verwerfungen zwischen Kontinenten, Ländern und Regionen innerhalb von Ländern führt, verstärken Solidarität und sozialer Zusammenhalt nicht nur den Wettbewerb, sondern auch die Sicherheit. Sie beugen einer Massenmigration der Armen vor und könnten Aufstände gegen die Armut verhindern. Daher können wir sagen, dass sich die Natur zwar gegen den Menschen wenden mag, doch unsere gemeinsame Politik verhindern kann, dass sich der Mensch gegen den Menschen wendet. Ich hoffe, wir werden zur Zusammenarbeit fähig sein, auf welcher Seite im Plenarsaal des Parlaments wir auch sitzen.

 
  
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  Lambsdorff (ALDE). Meine Herren Präsidenten, meine Damen und Herren! Wir alle hier wissen es: Die Union ist dabei, die strategischen Ziele von Lissabon zu verfehlen. Wenn wir so weitermachen wie bisher, werden wir es nicht schaffen, die EU zur wettbewerbsfähigsten wissensbasierten Gesellschaft der Welt zu machen.

Jetzt hören wir allerdings hier im Plenum von Herrn Pöttering, dass das gar nicht so gemeint war. Wir wollen gar nicht die wettbewerbsfähigste Gesellschaft werden, wir wollen einfach nur wettbewerbsfähig werden. Aber Nummer Eins, nein, nein, so ist das nicht gemeint. Dies, lieber Herr Pöttering, ist eine Haltung, die von Wettbewerb redet, aber nicht bereit ist, sich ihm zu stellen. Sportler, Unternehmer, Wissenschaftler, sie alle wollen in ihren Wettbewerben an die Spitze. Wenn Sie Trainer der griechischen Fußballnationalmannschaft gewesen wären und nicht Otto Rehagel, dann wäre sie nie nach Lissabon gefahren, Herr Pöttering. Die Griechen haben gewonnen, das wollen wir für Europa auch. Wir stellen uns dem Wettbewerb. Wir stellen uns dem Wettbewerb der Wirtschaftsräume, schon weil wir keine andere Wahl haben. Wir haben in diesem Wettbewerb noch eine Chance; die müssen wir nutzen, und zwar jetzt.

Dass die Kommission in ihrem Strategiepapier dies nicht nur erkannt hat, sondern diese Erkenntnis zum Leitstern ihrer Politik machen will, ist eine Chance für Europa. Wir begrüßen das mit Nachdruck. Wir gratulieren den verantwortlichen Kommissaren hierzu, an erster Stelle Präsident Barroso, aber auch Kommissar Verheugen und den anderen Beteiligten des Kollegiums. Es ist doch klar: Wir brauchen eine Konzentration auf mehr Wettbewerbsfähigkeit. Wir müssen diese endlich als das begreifen, was sie ist: unerlässliche Bedingung für mehr Wachstum und damit auch Bedingung für mehr Beschäftigung.

Hierzu sind wir nicht nur politisch, sondern auch moralisch verpflichtet. Massen- und Langzeitarbeitslosigkeit sind das Grundübel Europas, in meinem Heimatland wie in vielen anderen Mitgliedstaaten. Arbeitslosigkeit verursacht Armut, und Armut ist die Quelle sozialer, gesundheitlicher und ökologischer Probleme. Das beste Mittel gegen Armut ist anständig bezahlte Arbeit. Sie führt zu Wohlstand, sie verschafft Perspektive und Selbstwertgefühl. Nur eine Gesellschaft, die durch diese Qualitäten gekennzeichnet ist, kann auch ehrgeizige soziale und ökologische Ziele erreichen. Dieser Zusammenhang, lieber Herr Schulz, muss auch in die Köpfe Ihrer Fraktion. Massenarbeitslosigkeit ist keine soziale Errungenschaft.

Es ist an der Zeit, nach fünf verlorenen Jahren jetzt endlich mit der Umsetzung der Lissabon-Ziele zu beginnen. Die Kommission hat die Hand zur Partnerschaft ausgestreckt; wir sollten sie ergreifen, im Interesse unserer Bürger. Im Übrigen begrüße ich, dass wir diese Debatte in Brüssel führen und nicht in Straßburg.

 
  
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  Blokland (IND/DEM). (NL) Herr Präsident! Das Parlament wird heute Nachmittag über die Pläne der Kommission für 2005 diskutieren, und ich möchte somit zunächst auf das Verhältnis zwischen der Kommission und dem Parlament eingehen. Als Präsident Barroso im Herbst 2004 dem Druck des Parlaments nachgab, entstand der Eindruck eines mächtigen Parlaments gegenüber einer machtlosen Kommission. Ich möchte Präsident Barroso fragen, ob er sich mit einem solchen Image identifizieren kann.

Die Kommission steht 2005 vor der undankbaren Aufgabe, die Volksentscheide über die Europäische Verfassung in die richtige Bahn zu lenken, doch hat sie sich selbst in diese missliche Lage manövriert. Obwohl die Kommission ständig behauptet, und zwar zu Recht, die Ratifizierung sei vor allem eine nationalstaatliche Obliegenheit, ist sie leider von dieser klaren Linie abgerückt. Durch das Betreiben einer aktiven Kampagne und durch die Bereitstellung finanzieller Mittel hat die Kommission ihre neutrale Position aufgegeben. Unter Verwendung ihrer eigenen Steuergelder wird den Bürgern eine Verfassung aufoktroyiert, die von ihnen gar nicht verlangt wurde. Durch die Europäische Verfassung soll Europa den Bürgerinnen und Bürgern näher gebracht werden, ob sich diese aber ernst genommen fühlen, der Verfassung bereits vorgegriffen wird, ist noch die Frage. Hinter den Kulissen wird beispielsweise schon intensiv an der künftigen Gestaltung des europäischen Außendienstes gearbeitet. Die einzelstaatlichen Parlamente und die Bürger sind indes noch nicht konsultiert worden, und dies just zu einem Zeitpunkt, da Kommissarin Wallström gefordert hat, Europa müsse seinen Bürgern nunmehr Gehör schenken anstatt weiterhin eine Politik der vollendeten Tatsachen zu praktizieren.

 
  
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  Libicki (UEN). (PL) Danke, Herr Präsident! Herr Barroso, Sie haben einen äußerst bemerkenswerten Satz gesagt, nämlich dass wir genau festlegen müssen, wie wir unsere Träume verwirklichen wollen. Leider wurde uns nicht mitgeteilt, welche Instrumente Sie zu diesem Zweck einsetzen wollen. Sie sagten, die Rechtsvorschriften müssten vereinfacht werden, doch wissen wir immer noch nicht, wie Sie den ständig anwachsenden Papierberg verkleinern werden, denn Sie haben uns keinerlei Anhaltspunkt gegeben, wie dies bewerkstelligt werden wird. Sie sprachen über Wohlstand und neue Arbeitsplätze, jedoch wird da die Schaffung eines überfürsorglichen Sozialstaats nicht hilfreich sein, und zwischenzeitlich gerät die Lissabon-Strategie aus dem Blickfeld. Sie sprachen über Solidarität, doch wie können wir hier sitzen und über Solidarität reden, während Australien, Neuseeland und die Vereinigten Staaten nach der Katastrophe in Asien eilends Hilfe bereitgestellt haben und die Europäische Union bis jetzt nichts unternommen hat?

Herr Barroso, wenn unsere Träume Wirklichkeit werden sollen, müssen wir wissen, welche Instrumente wir nutzen wollen. Ich hoffe aufrichtig, so wie wir alle, dass diese Träume Ihretwillen, um Europas willen und um unserer Mitgliedstaaten willen wahr werden. Damit dies geschieht, muss jedoch bekannt sein, welche Instrumente eingesetzt werden sollen.

 
  
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  Bobošíková (NI). (CS) Herr Kommissionspräsident, Sie wollen den Bürgern der Europäischen Union die Europäische Verfassung in verständlicher Art und Weise nahe bringen. Daher möchte ich an die Kommission appellieren, in diese Strategie auch eine genaue Definition des Begriffs „Einsatz für Europa“ einzubeziehen. In der Verfassung ist nämlich festgelegt, dass das „Einsatz für Europa“ eines der Kriterien für die Auswahl der Mitglieder der nächsten Europäischen Kommission ist, die die De-facto-Regierung für die 450 Millionen Bürger der Europäischen Union darstellt.

Ich weiß nicht, wie ich den Bürgern der Tschechischen Republik, die ich hier vertrete, erklären soll, was mit dem Einsatz für Europa eigentlich gemeint ist, und könnte nicht sagen, welches der aktuellen Kommissionsmitglieder sich mehr oder stärker für Europa einsetzt. Außerdem ist mir nicht bekannt, welche Kriterien gegenwärtig angelegt werden, um zwischen einem guten und einem schlechten Europäer zu unterscheiden. In meinem Land haben die Leute jahrzehntelang nicht aufgrund ihrer Fähigkeiten, Ausbildung, Initiativkraft und Effizienz Karriere gemacht, sondern wurden daran gemessen, wie laut und wie oft sie ihre Hingabe für eine einzige politische Idee erklärt haben. Noch heute bezahlen die osteuropäischen Länder für diese Art der Staatsführung täglich einen hohen Preis in Form von wirtschaftlicher Rückständigkeit. Ich möchte in der Europäischen Union keine Begünstigung von Konzepten wie dem „Einsatz für Europa“ sehen.

 
  
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  Brok (PPE-DE). Herr Präsident, Herr Kommissionspräsident, Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir eine Vorbemerkung: Dieses Haus hat sich mit über 500 Stimmen für die Verfassung ausgesprochen. Deswegen gibt es die Legitimation, vor dem Bürger für diese Verfassung einzutreten und wir begrüßen es, dass die Kommission dies mit uns macht.

Die zweite Bemerkung, die ich machen möchte, betrifft den Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik: Ich glaube, dass die Kommission eine Vielzahl von guten Vorschlägen unterbreitet hat und dass es der richtige Ansatzpunkt ist, aus der wirtschaftlichen Stärke der Europäischen Union heraus auch eine außenpolitische Stimme zu entwickeln und hier auch die Entwicklungen der neueren Zeit, insbesondere die Möglichkeiten der Verfassung, mit einzubeziehen. Ich glaube, Herr Schulz, es ist völlig klar, dass Prävention Vorrang haben soll. Aber ohne militärische Fähigkeiten lässt sich auch keine Prävention durchsetzen, weil man dann keine Druckinstrumente hat. Beides muss sein. Aber natürlich ist der Einsatz von Kampfmitteln immer nur der letzte Weg.

Wir müssen außerdem darauf achten, dass wir als Europäische Union dies im Rahmen eines multilateralen Konzeptes einsetzen und nicht auf unilateraler Ebene. Dies bedeutet, dass wir in den transatlantischen Beziehungen vorankommen müssen. Herr Ratspräsident, Herr Kommissionspräsident, ich wünsche Ihnen alles Gute für den 22. Februar, wenn Präsident Bush hierher kommt und wir in diesem Bereich entsprechende Fortschritte machen.

Lassen Sie mich in der kurzen Zeit, die ich habe, noch einen Punkt konkret ansprechen: Wir haben morgen Präsident Juschtschenko hier, und ich glaube, wir haben in den letzten Tagen – auch durch Diskussionen in diesem Hause – festgestellt, dass wir die Europäische Union nicht sofort unendlich erweitern können, weil dies die Aufnahmefähigkeit der Europäischen Union zerstören würde. Auf der anderen Seite sehen wir, dass die Aktionsprogramme der Nachbarschaftspolitik für Osteuropa nicht ausreichen. Ich möchte Sie bitten, dass wir hier neue Ideen entwickeln, auch multilaterale Konzepte, die an Ideen wie den Europäischen Wirtschaftsraum angelehnt sein könnten. Ich glaube, nur so können wir Druck abbauen und Perspektive entwickeln, was in diesen Tagen von entscheidender Bedeutung ist. Ich hoffe, dass dies geschieht.

Herr Kommissionspräsident, ein letztes Wort: Wehren Sie sich gegen den Rat, wenn es darum geht, den Europäischen Auswärtigen Dienst so zu gestalten, dass er nicht an die Kommission angelehnt ist. Wir wollen ein Gemeinschaftseuropa und nicht eine neue Behörde des Intergouvernementalismus. Das Parlament ist auf Ihrer Seite.

(Beifall)

 
  
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  Rasmussen (PSE).(DA) Herr Präsident. Herr Kommissionspräsident, mein Fraktionsvorsitzender, Herr Schulz, hat heute dargelegt, dass unserer Meinung nach Ihre Ausführungen in diesem Hause in die richtige Richtung gehen. Als Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei Europas vertrete ich ebenfalls diese Ansicht. Wir befinden uns also in Übereinstimmung. Dennoch muss ich Ihnen noch etwas sagen. Wir Mitglieder der PSE haben nämlich alle die gleiche Allergie, und die besteht darin, dass uns Lippenbekenntnisse zuwider sind. Damit möchte ich sagen, dass es von größter Bedeutung ist, Herr Barroso, dass Sie die Ausführungen, die Herr Schulz heute gemacht hat – und ich werde noch eigene Anmerkungen hinzufügen - wirklich ernst nehmen. Ihren heutigen Erklärungen müssen konkrete Taten folgen. Lassen Sie mich einige Beispiele dafür nennen.

Ihre Bemerkungen über eine Verringerung der Kluft zwischen reichen und armen Ländern in der EU sind bedeutsam. Wenn ich dann aber auf der ersten Seite der Financial Times von heute lese, dass Ihre Kommissarin, Frau Kroes, erklärt, dass die Regionalbeihilfen auch in den reichen Ländern heruntergeschraubt werden müssen, ist das für mich eine Ungereimtheit. Sie sollten hier aufpassen, Herr Barroso!

Von großer Wichtigkeit ist auch das, was Sie über die Notwendigkeit der Schaffung von mehr und besseren Arbeitsplätzen gesagt haben. Sowohl Herr Schulz als auch ich stimmen Ihnen darin zu. Passen Sie aber auf, dass dabei nicht die antiquierten Rezepte des letzten Jahrhunderts zur Anwendung kommen, die darauf hinausliefen, dass es ausreiche, über Produktivität und Strukturveränderungen zu diskutieren und nicht darüber, was wir wirklich brauchen, nämlich verstärkte Investitionen und eine Stärkung der Nachfrage auf dem europäischen Binnenmarkt. Es reicht nicht aus, sich nur auf die Angebotsseite zu konzentrieren, denn in einer modernen Wirtschaft muss das Schlaglicht auch auf die Nachfrageseite gerichtet werden. Ohne koordinierte Investitionen in den Bereichen Bildung, Innovation und Regionalpolitik sowie in eine aktive Arbeitsmarktpolitik schaffen wir keine Arbeitsplätze. Ich glaube nicht, dass Sie da anderer Meinung sind, aber ich möchte Sie bitten, heute zu bestätigen, dass der Kommissionspräsident die Dinge ebenso sieht. Ich möchte Sie daran erinnern, dass wir vor einem halben Jahr ein Fünf-Punkte-Investitionsprogramm für fünf Millionen neue Arbeitsplätze in Europa vorgelegt haben. Dieses Programm kann wirklich umgesetzt werden, und als Kommissionspräsident tragen Sie dafür eine entscheidende Mitverantwortung.

Wenn Sie heute vom europäischen Sozialmodell sprechen, dann stimme ich Ihnen auch in diesem Punkt zu, aber denken Sie daran, hier keine Trennung vorzunehmen. Sie dürfen sich nicht von dem überholten Denkmuster in der Europäischen Union unter Druck setzten lassen, dass wir uns zunächst erst einmal auf die Produktivität in der Wirtschaft konzentrieren müssen und dann schauen, ob wir uns mehr Wohlstand leisten können und eventuell auch mehr soziale Sicherheit und Umweltschutz. Diese Dinge können nicht voneinander getrennt werden. Wir müssen auf dem europäischen Sozialmodell, auf Produktivität, sozialer Gerechtigkeit und Umweltinvestitionen bestehen – das ist der europäische Weg.

Letztendlich läuft alles auf die eine Frage hinaus: Wollen wir den Wettbewerb in Europa unter amerikanischen oder unter europäischen Bedingungen führen? Das ist die Kernfrage. Darauf müssen wir gemeinsam eine Antwort finden, und ich bin überzeugt davon, dass wir das können.

Ich habe mir angehört, was der Ratspräsident, Herr Juncker, vor nicht allzu langer Zeit gesagt hat, als er unterstrich, dass der europäische Weg von einer ausgewogenen Entwicklung von Wirtschaft, sozialen Bedingungen und Umwelt gekennzeichnet ist. Wir erwarten, diese Ausgewogenheit am 2. Februar zu sehen, wenn der erste Vorschlag von Seiten der Kommission kommt, so dass wir mit der Arbeit beginnen können.

(Beifall)

 
  
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  Duff (ALDE).(EN) Herr Präsident! Das Fünfjahresprogramm lässt einen weitaus gezielteren und klareren Ansatz als die Strategie der vorherigen Kommission erkennen. Ich möchte Präsident Barroso dafür danken, dass er sich nachdrücklich auf das Ergebnis berufen hat, das beim parlamentarischen Verfahren für die Zustimmung zur neuen Kommission zustande kam. Das Parlament und der Europäische Rat müssen sich mit diesem Programm ernsthaft befassen. Es ist zweifelsohne kühn, den Wohlstand in den Mittelpunkt zu rücken und ihm erste Priorität einzuräumen. Der Kommission oder dem Rat stehen nur wenige Mittel zur Steuerung der makroökonomischen Politik zur Verfügung. Im Bereich der Steuerpolitik sind die Befugnisse der Union äußerst begrenzt. Daher ist die Vollendung des Binnenmarktes im Bereich der Finanzdienstleistungen und öffentlichen Dienste kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit. Persönlich hätte ich mir gewünscht, dass stärker betont worden wäre, wie wichtig es ist, dass bestimmte andere Mitgliedstaaten, darunter das Vereinigte Königreich, die einheitliche Währung innerhalb der nächsten fünf Jahre einführen.

Herr Barroso brachte zum Ausdruck, dass die Inkraftsetzung der Verfassung einen ersten Schritt in Richtung größere Legitimität darstelle. Es sei darauf verwiesen, dass dies eine Vorbedingung für fast alle anderen Punkte des Programms ist.

Wenn an der gemeinsamen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik keine der geplanten Verbesserungen vorgenommen werden, dann kann die Union bei internationalen Angelegenheiten sicherlich keinen wirksamen Beitrag leisten, und die Beziehungen zu Russland und den USA werden zerbrechlich und gestört bleiben.

 
  
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  Belohorská (NI) (SK) Herr Kommissionspräsident, Sie haben uns ein gutes strategisches Arbeitsprogramm der Kommission für 2005 von hoher Qualität vorgestellt, das nach meiner Überzeugung auch langfristig wirken wird. Ich stimme Ihrem Programm zu und sichere ihm meine Unterstützung zu, denn ich bin überzeugt davon, dass es nicht nur für die Kommission gut ist, sondern im weiteren Sinne auch für den Rat und das Europäische Parlament.

Sie haben heute überwiegend positive Reaktionen erhalten und haben sicherlich auch unsere Anmerkungen in anderen Sitzungen gehört. Der erste wichtige Schritt ist getan, aber der zweite wird darin bestehen, diese Ziele zu erreichen. Dabei werden Sie nur dann erfolgreich sein, wenn es Ihnen gelingt, sowohl den Rat als auch das Europäische Parlament in dieses Projekt einzubeziehen.

In die Zeit des Arbeitsprogramms fällt auch die Ratifizierung des Vertrags über eine Verfassung für Europa. Wir sind im Moment dabei, die Bürger davon zu überzeugen, dass wir dieses Dokument für Sie erarbeitet haben, für die Bürger der Europäischen Union, einer Union, die ihnen Schutz gewährt, wenn ein Nationalstaat dazu nicht in der Lage ist.

Die Europäische Union hat den von der Tsunami-Katastrophe betroffenen Ländern erhebliche Mittel zur Verfügung gestellt. In Europa haben wir jedoch Millionen von Opfern wirtschaftlicher Reformen, eines Wirtschafts-Tsunamis. Viele junge Menschen haben Osteuropa verlassen, um in Westeuropa bessere Bedingungen zu suchen, aber die Älteren brauchen unsere Hilfe. Die Europäische Union und Afrika werden alljährlich von einem AIDS-Tsunami heimgesucht. Zehntausende sterben daran. Daher bitte ich Sie um Hilfe für diese Menschen. Ich biete meine Unterstützung bei der Durchführung der Programme für ältere Menschen und für AIDS-Kranke an, beanspruche aber auch das Recht, diese zu überwachen.

Vielen Dank.

 
  
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  Martens (PPE-DE). (NL) Herr Präsident! Mit großem Interesse habe ich das Arbeitsprogramm für 2005 mit seinen hübschen Schlagwörtern „Wohlstand“, „Solidarität“ und „Sicherheit“ gelesen, wozu sich eine Menge sagen lässt. Als Koordinator der Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten) und europäischer Demokraten für die Entwicklungszusammenarbeit habe ich das Programm unter dem entwicklungspolitischen Gesichtspunkt gelesen. In dem Programm wird treffend festgestellt, dass die Europäische Union nicht nur für Frieden, Wohlstand und Wohlergehen der Menschen in der Europäischen Union selbst verantwortlich ist, sondern auch eine Verantwortung für die übrige Welt trägt, insbesondere für die ärmsten Länder. Vor fünf Jahren haben wir in der Europäischen Union zusammen mit anderen Ländern die so genannten Millenniumsziele verabschiedet, mit denen festgelegt wird, wie wir dieser Verantwortung gerecht werden wollen. Die Armut in der Welt sollte bis 2015 halbiert werden, jeder sollte zumindest eine Grundbildung genießen, die Situation der Frauen sollte verbessert, der Kampf gegen AIDS verstärkt und nachhaltige Entwicklung gefördert werden.

Obwohl wir mit der Verwirklichung dieser Ziele im Verzug sind, sind sie nach wie vor realistisch. Die Europäische Union unternimmt zwar große Anstrengungen, aber es bleibt noch eine Menge zu tun, speziell in den Bereichen Zusammenhalt, Zusammenarbeit und Koordinierung. Diese Millenniumsziele lassen sich nicht erreichen, sofern die internationale Gemeinschaft, sofern wir in der Europäischen Union die Qualität unserer Hilfe nicht wesentlich verbessern. Die Ressourcen können und müssen effizienter eingesetzt werden. Auf der letzten Sitzung unseres Ausschusses hat uns Herr Sachs vom UN-Millenniumsprojekt die Herausforderungen im Hinblick auf die Rolle der Europäischen Union in der Welt, auf die das Arbeitsprogramm ebenfalls Bezug nimmt, dargelegt. Die Europäische Union ist noch immer der größte Geber, und die Herausforderung besteht darin, auch in punkto Zukunftsvision, Kohäsion und Führungsrolle der größte Akteur auf der Weltbühne zu sein. Im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit stellen sich gleichermaßen noch sehr, sehr große Aufgaben. Ich appelliere an die Kommission, weiterhin ein sorgfältiges Augenmerk darauf zu richten.

 
  
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  Berès (PSE).(FR) Herr Präsident, Herr Barroso! Sechs Monate nach Ihrer Ernennung durch den Europäischen Rat befinden Sie sich in einer sehr privilegierten Lage, denn Sie haben eine Amtzeit von fünf Jahren vor sich und stehen vor einer wunderbaren Aufgabe: nämlich diese Strategie von Lissabon endlich umzusetzen, indem Sie sie mit wirklichen Instrumenten ausstatten.

Es handelt sich um eine privilegierte, aber auch paradoxe Situation, denn wie Sie heute Mittag auf einer Pressekonferenz ausführten, gefiel Ihnen diese Lissabonner Strategie nicht besonders, als Sie Ministerpräsident waren. Dies konnten wir übrigens auch bei den Anhörungen feststellen. Doch heute bringt es Ihr neues Amt mit sich, dass dieses Programm nun das Ihre ist. Es stellt zudem das beste Mittel dar, über das Sie verfügen, um die Union wieder auf den rechten Kurs zu bringen und sie in die Lage zu versetzen, die Herausforderungen von Morgen zu bewältigen.

Im Grunde genommen stellt die heutige Sitzung faktisch einen Versuchslauf zur Vorbereitung dessen dar, was Sie uns nächsten Mittwoch darlegen werden, wobei das Wichtigste darin besteht, die Strategie von Lissabon zum Vorhaben der Europäischen Union für die kommenden Jahre zu machen. Wenn Sie dabei Erfolg haben wollen, dann sollten Sie folgende drei Säulen zur Grundlage dieser Strategie machen: eine Finanzielle Vorausschau, die die Umsetzung der Strategie ermöglicht; einen Stabilitätspakt, der die Erzielung von Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit in der Union unter Berücksichtigung von nachhaltiger Entwicklung und Beschäftigung gewährleistet; und Politiken der Europäischen Union, die dieser Strategie angemessen sind.

Für die Erhaltung eines ausgewogenen Gleichgewichts ist es in der Tat wesentlich, die soziale Dimension nicht zu unterschätzen. Die soziale Frage darf nicht an den Rand gedrängt werden, sie bildet vielmehr das Kernstück der Elemente der Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Sozialmodells, der Kraft Europas, einschließlich der Wettbewerbsfähigkeit auf internationaler Ebene. Dies erwarten wir von Ihnen, und wir werden Sie auf der Grundlage eines Programms Ihrer diesbezüglichen Aktivitäten – Ihres Gesetzgebungsprogramms – Text um Text in einem europäischen Geiste beurteilen, d. h. in dem Bestreben, im Dienste unserer Mitbürger Fortschritte zu erzielen.

 
  
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  Costa, Paolo (ALDE). (IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Auch ich bin davon überzeugt, dass der Bau und die Inbetriebnahme des transeuropäischen Verkehrsnetzes einen wirklichen Beitrag zum Aufschwung Europas leisten können, auch in den Bereichen Solidarität und nachhaltige Entwicklung.

Dabei habe ich nicht so sehr die Nachfrageeffekte der riesigen, für den Bau der TEN erforderlichen Investitionen im Auge, die zu einer Steigerung des Wirtschaftswachstums beitragen sollen. Gemäß dem durch die Lissabon-Strategie vorgegebenen Rahmen hätten wir bereits alle Verhandlungs-, Projekt- und Finanzfragen lösen müssen, so dass wir eigentlich bereit sein müssten, ab jetzt die Investitionen zu tätigen. Realistisch betrachtet wird das nicht geschehen.

Gleichwohl müssten noch vor der Verabschiedung der Finanziellen Vorausschau 2006-2013 konkrete europäische Kofinanzierungsverpflichtungen festgelegt werden, die möglichst für einen auch über das Jahr 2013 hinaus, bis 2020, reichenden Zeitrahmen gelten sollten. Wenn wir schon keine schnellen Nachfrageeffekte vom Bau der TEN erwarten können, so doch einen ernsthaften und schrittweisen Beitrag zur effektiven Verwirklichung des Binnenmarkts in der erweiterten Union.

Eingedenk der zeitlichen und finanziellen Zwänge ist das jedoch nur zu erreichen, wenn die Strategie zur Implementierung der TEN nicht gewissermaßen der Willkür der Mitgliedstaaten, ihren lokalen Entscheidungen und ihrer mehr oder weniger vorhandenen Fähigkeit anheim gestellt wird, sich an der Finanzierung der verschiedenen Teilstrecken und Projekte zu beteiligen. Denn nur in Brüssel kann über die Teilabschnitte des Netzes entschieden werden. Ihre Verwirklichung wird wahrhaftig zur Schaffung eines Binnenmarkts führen, der größer als andere ist, wobei wir uns bewusst machen müssen, dass nur die Vollendung aller Projekte den Netzeffekt hervorbringen wird.

All das wird nur möglich sein, wenn der finanzielle Beitrag der EU aufgestockt wird bzw. in einigen Fällen überwiegt und wenn die Mitgliedstaaten zur Verwirklichung der TEN einer einzigartigen Ressourcenbündelung zustimmen, die sich mit Sicherheit nicht mit der Kürzung der an die Union abgeführten Mittel der Mitgliedstaaten auf 1 % des EU-BIP verträgt.

Diese eventuelle höhere finanzielle Verantwortung der Europäischen Union könnte auch den Vorzug haben, eine sinnvolle Revision des Stabilitätspakts zu ermöglichen. Eine Überschreitung der Verschuldungsgrenze von 3 % könnte einzig unter der Bedingung zugelassen werden, dass sie objektiv mit dem Bau der eben erwähnten Infrastrukturen oder mit Forschungsausgaben zusammenhängt und sich die Europäische Kommission persönlich dafür verbürgt. Ihr fiele die Aufgabe zu, den höheren Etat nach Kriterien zu verwenden, die auf die europäischen Prioritäten ausgerichtet sind, zu denen auch ein höherer Beitrag zur Schaffung des vorstehend erwähnten erweiterten Binnenmarkts der Union gehört.

 
  
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  Kirkhope (PPE-DE). (EN) Herr Präsident! Das ist eine wichtige Aussprache. Es ist zu begrüßen, dass die Kommission den Schwerpunkt auf die Schaffung von Wohlstand in Europa legt, denn dies ist längst überfällig. Für den Erfolg wird ausschlaggebend sein, wie das Ergebnis der Lissabon-Strategie ausfällt, deren Überprüfung bei der Frühjahrstagung des Rates erörtert werden wird. Zudem wird im Vergleich zur vorherigen Kommission mehr Klartext geredet, was die Bereiche Wettbewerb, Unternehmertum, Forschung, Wachstum und Arbeitsplätze angeht. Herr Barroso! Ich glaube wirklich, dass Sie sich persönlich für echte Wirtschaftsreformen in Europa einsetzen. Als Ministerpräsident Portugals haben Sie gezeigt, dass Sie nicht nur an reiner Rhetorik, sondern an Ergebnissen interessiert sind.

Allerdings bin ich nach wie vor skeptisch, ob die Kommission und bestimmte Mitgliedstaaten in der Lage sein werden, die notwendigen wirksamen und harten Reformen der europäischen Volkswirtschaften in Gang zu setzen. Bei der überarbeiteten Lissabon-Strategie sollte nicht wie in der Vergangenheit zu viel Gewicht auf politische Korrektheit gelegt werden. Mittlerweile hat sich vieles verändert – im Rahmen der EU-Erweiterung wurden Länder aufgenommen, die sich nachdrücklich für einen flexiblen Arbeitsmarkt, eine wettbewerbsorientierte Steuerpolitik und die Entwicklung des Freihandels einsetzen. Darüber hinaus stehen wir der enormen Herausforderung gegenüber, dass wir nicht nur mit den Vereinigten Staaten, sondern auch mit den aufstrebenden Riesen China und Indien mithalten müssen. Europa kann sich einfach nicht mehr damit begnügen, über Reformen zur Bewältigung dieser Herausforderungen zu sprechen; Europa muss sie auch endlich umsetzen.

Ferner begrüße ich die Aufforderung an die Mitgliedstaaten, die EU-Rechtsvorschriften auf nationaler Ebene umzusetzen. Im Vereinigten Königreich zeichnete sich zuweilen die Tendenz ab, dass Rechtsvorschriften zu enthusiastisch umgesetzt wurden. Andere Mitgliedstaaten wiederum neigen manchmal dazu, die Auswirkungen von Rechtsvorschriften, denen sie ablehnend gegenüberstehen, auf ein Mindestmaß zu begrenzen. Das kann natürlich nicht hingenommen werden. Wir müssen für weniger Regulierung sorgen, ganz gleich, ob es sich nun um die Wirtschaft oder irgendeinen anderen Bereich handelt. Davon haben auch vorherige Kommissionen gesprochen. Die derzeitige Kommission muss endlich tätig werden, und wir müssen einfachere Regelungen treffen, die von den Bürgern leichter zu verstehen und auch leichter umzusetzen sind.

Wir werden die Kommission auch danach beurteilen, inwieweit sie ein Umfeld für wirkliche Reformen schafft, sich für weniger und bessere Vorschriften stark macht und sich entschlossen dafür einsetzt, dass die Steuergelder effizient verwendet und gegen Betrug und Misswirtschaft streng vorgegangen wird.

 
  
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  Falbr (PSE). (CS) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Rede des Kommissionspräsidenten verdient insofern Lob, als dass Herr Barroso keinen Zweifel daran gelassen hat, dass das europäische Sozialmodell erhalten werden muss, und dass er nicht dafür plädiert hat, dieses zugunsten größerer Wettbewerbsfähigkeit aufzugeben. Was mir in seinen Ausführungen jedoch gefehlt hat, war die Betonung der Notwendigkeit, den sozialen Dialog weiterzuführen und zu verstärken. Ich denke dabei an die Verhandlungen zwischen den Gewerkschaften und den Arbeitgeberverbänden auf allen Ebenen, einschließlich der europäischen. Meiner Überzeugung nach ist alles, was im Nachkriegseuropa erreicht worden ist, das Ergebnis der Zusammenarbeit zwischen vernünftig handelnden Regierungen, Arbeitgeberorganisationen und Gewerkschaften.

Wenn ich mir die Vorschläge anschaue, die Europa wettbewerbsfähiger, seinen Arbeitsmarkt flexibler und die Bedingungen für die Unternehmen transparenter und einfacher machen sollen, beschleicht mich das Gefühl, dass das letzte Hindernis auf dem Weg dahin die in einem demokratischen Prozess entstandenen, schlagkräftigen Gewerkschaften sind. Leider müssen wir, insbesondere in einigen der neuen Mitgliedstaaten, gegenwärtig konstatieren, dass Vertreter der konservativen Parteien den sozialen Dialog mit einem sozialen Monolog verwechseln. Es gibt dort Versuche, die seit mehr als einem Jahrzehnt bestehenden Beziehungen zwischen den Sozialpartnern durch individuelle Beziehungen zu ersetzen. Dies wird durch die primitive Argumentation unterstützt, das alle Menschen frei und in der Lage seien, ihre Entscheidungen selbst zu treffen und sich auf dem Arbeitsmarkt zu behaupten. Daher ist es positiv zu bewerten, dass unsere Fraktion einen Schwerpunkt auf die Schaffung von mehr, aber auch besseren, Arbeitsplätzen legt. Europa lehnt das ab, was amerikanische Gewerkschafter so treffend McJobs nennen, und wird das auch in Zukunft tun.

Es gibt viele Arten einen Sozialstaat zu demontieren, und einige von ihnen sind in ehemals reichen und stabilen Staaten im südamerikanischen Raum leider erfolgreich ausprobiert worden. Daher darf es keine Privatisierung der öffentlichen Dienstleistungen und keine Privatisierung der Rentensysteme geben. Ich halte den Großteil des europäischen Arbeitsrechts für zufrieden stellend. Unbefriedigend ist hingegen die unzureichende Kontrolle darüber, was umgesetzt, was missachtet oder wogegen in einigen Mitgliedstaaten sogar verstoßen wird. Herr Präsident, wie wollen Sie sicherstellen, dass gute Gemeinschaftsrichtlinien nicht einfach nur ein Stück Papier bleiben?

 
  
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  In 't Veld (ALDE). (NL) Herr Präsident! Mit Freude habe ich zur Kenntnis genommen, dass sich die Kommission für die Erneuerung Europas einsetzen wird. Erneuerung sollte meines Erachtens wirklich das Stichwort in den kommenden Jahren sein, und ich begrüße außerordentlich die ähnlich lautenden Stimmen, die ich seitens des Vorsitzes vernommen habe. Erneuerung ist ein dringendes Gebot, insbesondere in der Wirtschaft. Obwohl zahlreiche Kolleginnen und Kollegen auf die Nachteile und möglichen Risiken von Reformen hingewiesen haben, sollten wir nach meinem Dafürhalten mehr Zeit darauf verwenden, über die Nachteile und Risiken zu sprechen, die der Status quo beinhaltet. Reformen erfordern politischen Mut. Entscheidungen müssen getroffen und politische Positionen bezogen werden. Hoffentlich wird diese Kommission im Unterschied zu ihrer Vorgängerin dazu bereit sein und nicht weiterhin gehaltlose Vorschläge unterbreiten, die verwässert werden, um Einigung zu erzielen. Veränderungen sind fast immer schmerzhaft. Veränderungen tangieren altbegründete Interessen, womit sich vielleicht zum Teil der sich in einigen Kreisen regende Widerstand erklärt. Je länger Reformen hinausgeschoben werden, desto schmerzhafter werden sie jedoch sein. Herr Barroso, in den Niederlanden haben wir ein Sprichwort, welches besagt, dass schlimme Zeiten drastische Maßnahmen erfordern. Ich weiß nicht, wie Sie dies übersetzen würden, die Botschaft ist meiner Ansicht nach jedoch unmissverständlich.

Zwar ist viel von Innovation die Rede, aber noch immer wird in alte Systeme, beispielsweise in ein überholtes, für die Notwendigkeiten der fünfziger Jahre konzipiertes Agrarsystem oder in für die Gesellschaft vor einem halben Jahrhundert gedachte Systeme der sozialen Sicherheit investiert. Nach wie vor fließen massive staatliche Subventionen in marode, umweltverschmutzende Industrien, um sie künstlich am Leben zu halten. Noch immer wird versucht, die wirtschaftlichen Probleme über höhere Haushaltsdefizite zu lösen. Ich hoffe, diese Kommission wird auf Investitionen in Kenntnisse und Fertigkeiten, in Bildung, Innovation, Umwelt und in den Dienstleistungsmarkt drängen, und ich möchte den Vorsitz sowie die Mitgliedstaaten auffordern, das Gleiche zu tun. Hoffentlich wird die Kommission ganz einfach standfest bleiben. Anstatt in alte Politiken sollte in freie Märkte, offene Märkte sowie in Initiativfreudigkeit und Unternehmergeist investiert werden.

 
  
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  Fjellner (PPE-DE). (SV) Herr Präsident! Meine Mutter warnt mich immer davor, dass derjenige, der sich auf alles konzentriert, nichts mehr im Blickpunkt hat. Daher hoffe ich, dass die Kommission sich getraut, Prioritäten und Akzente zu setzen, und dabei natürlich den wichtigsten – das Wachstum. Die Schaffung von Wachstum hat nichts mit Zauberei zu tun. Wir wissen im Grunde alle, was zu tun ist und warum Europa ins Hintertreffen geraten ist, aber nur wenige wagen, darüber zu sprechen.

Was wir für die EU nicht brauchen, sind mehr Macht oder Geld, gebraucht wird vielmehr politischer Mut – Mut, sich zu erheben und eine Reihe durchgreifender Reformen durchzuführen. Nur so erreichen wir die erforderliche Wettbewerbsfähigkeit und kommen weg von übermäßiger Regulierung und Besteuerung unserer Wirtschaft.

Ein wichtiges Instrument für größeres Wachstum ist der Freihandel. Die EU sollte die führende europäische Kraft und die stärkste Kraft in der Welt sein, die sich insbesondere für einen freien Welthandel einsetzt. Das europäische Aufbauwerk basiert auf dem freien Handel sowie auf der Schaffung von Frieden, Wohlstand und Freiheit. Das kann auch für andere Teile der Welt von großem Nutzen sein.

Leider macht die EU oft das Gegenteil und errichtet weitere Handelshindernisse. Durch die Zölle werden arme und schutzlose Länder der Möglichkeit beraubt, Wohlstand zu erreichen und Chancen zu nutzen. Dieses jeglicher Moral entbehrende Verhalten wurde neuerlich deutlich, als die EU im Dezember die Einfuhrzölle für Duftstoffe und Gewürze aus Ländern wie Thailand und Sri Lanka erhöhte. Diese von der Flutkatastrophe hart betroffenen Länder brauchen den Handel, um sich aus eigener Kraft zu entwickeln, und sie brauchen definitiv keine neuen Zölle. Dass auch Europa bei einer solchen unmoralischen Politik verliert, wird nun, da Thailand als Folge der Handelspolitik, die gerade den Fischern in Thailand Zölle auferlegt, davon spricht, den Kauf des europäischen Prestigeobjekts Airbus zu verweigern, deutlicher als je zuvor.

Ich möchte daher an die Kommission appellieren, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um sich für den freien Handel einzusetzen und als die freihandelsfreundlichste Europäische Kommission in die Geschichte Europas einzugehen.

 
  
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  Paasilinna (PSE).(FI) Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, es kann kein Zweifel daran bestehen, was der wichtigste Aspekt im Arbeitsprogramm der Kommission, nämlich die möglichst schnelle Umsetzung der Lissabon-Strategie, d. h. das Erreichen unserer globalen Wettbewerbsfähigkeit. Lissabon kann mit einer Pyramide verglichen werden: an der Spitze stehen Forschung und Entwicklung, die für uns sowohl Werkzeug als auch Chance sind, obwohl nur zwei Länder das Ziel von 3 % des BIP umgesetzt haben.

Die nächste Ebene wird von der IKT eingenommen, der Informations- und Kommunikationstechnik. Diese ist sowohl ein Mittel zum Erreichen der Ziele als auch der Bereich, in dem immer schneller Ergebnisse erzielt werden. Der Anteil der IKT an unserem Bruttoinlandsprodukt beträgt bereits 10 %. Vertrautheit mit der Digitaltechnik ist von entscheidender Bedeutung, da beispielsweise die Mehrzahl unserer Büroangestellten aufgrund von Computerproblemen wöchentlich drei Arbeitsstunden verlieren. Was können wir dagegen tun? Verlängern wir die Wochenarbeitszeit oder verbessern wir die Computerkenntnisse?

Gleichzeitig dürfen wir nicht vergessen, dass die Spitze der Pyramide einstürzt, wenn sie kein Fundament in Form einer sozial- und umweltpolitisch nachhaltigen Entwicklung besitzt. Das ist unser europäisches Modell und die Voraussetzung für unsere Wettbewerbsfähigkeit. Ich freue mich, dass Sie, Herr Barroso, die Solidarität als eine Grundlage für unseren Erfolg angeführt haben, aber hier bleibt noch viel zu tun. Mangelnde Solidarität, dieser westliche Import, macht sich in allen Schichten unserer Gesellschaft, und auch zwischen ihnen, immer stärker bemerkbar.

Die Kommission hat die Umsetzung der Lissabon-Strategie zu ihrem Ziel erklärt. Die Entscheidungsgewalt verbleibt jedoch bei den Mitgliedstaaten, von denen nur eine kleine Minderheit die notwendigen Vorschriften umgesetzt hat. Auch hier ist ein Mangel an Solidarität festzustellen. Das von der Union anvisierte Ziel der Wettbewerbsfähigkeit kann nicht erreicht werden, wenn die Mehrzahl der Mitgliedstaaten auf der Bremse steht. Ich möchte Herrn Barroso fragen, wie die Kommission gedenkt, die Mitgliedstaaten zur gemeinsamen Umsetzung des vereinbarten Rechts zu bewegen. Wenn dies nicht gelingt, besteht die Gefahr, dass wir es mit einem Fünfjahrplan im Stil der sowjetischen Planwirtschaft zu tun haben, der nur auf dem Papier umgesetzt wird.

 
  
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  Ek (ALDE). (SV) Herr Präsident! Es sind hier ehrgeizige Ziele für das Gesetzgebungsprogramm des kommenden Jahres genannt worden. Das Problem ist nur, dass die Anzahl dieser Ziele wie üblich sehr groß ist und damit die Gefahr besteht, dass keinerlei Prioritäten gesetzt werden.

Ich möchte eine schlankere, aber schlagkräftigere EU schaffen, die weniger Aufgaben übernimmt, diese aber besser löst, und die bei Problemen von gemeinsamem Interesse kraftvoller agiert, während andere Fragen der Entscheidung auf nationaler, regionaler oder lokaler Ebene überlassen werden.

Wir brauchen in Europa ein stabiles und nachhaltiges Wachstum. Die Wettbewerbsfähigkeit der EU muss verbessert werden, vielleicht mehr als wir glauben. In den USA spricht man inzwischen über das Wachstum in China und stellt ehrgeizige Pläne auf, um ein ähnliches Niveau zu erreichen. In Europa hingegen richten wir uns weiterhin an den USA aus, was dazu geführt hat, dass wir bereits mehrere Schritte zurückliegen. Europa verfügt über ein enormes Wachstumspotenzial, das genutzt werden muss, aber das erfordert eine Sammlung der Kräfte und das Festlegen von Prioritäten. Anderenfalls besteht die Gefahr, dass der Lissabon-Prozess die Behauptung von Groucho Marx erfüllt, der einmal gesagt hat: „Politik ist die Kunst, Probleme zu suchen, sie zu finden, sie falsch zu diagnostizieren und dann die falschen Heilmittel fehlerhaft anzuwenden.“ Eine nachhaltige Entwicklung ist die Grundlage für das Wachstum. In diesem Bereich ist das Programm zu schwach.

Drittens setzt die Freizügigkeit innerhalb der EU voraus, dass die Bürger wissen, dass Rechtssicherheit besteht, wenn sie ihr Heimatland verlassen, um in einem anderen Mitgliedstaat zu studieren, zu arbeiten oder Urlaub zu machen. Leider gibt es gegenwärtig zu viele Bürger, die in einem anderen Land eines Vergehens verdächtigt wurden und denen das Recht auf einen fairen Gerichtsprozess oder eine rechtlich einwandfreie Behandlung verweigert wird. Gemeinsame Garantien in diesem Bereich, auf die wir seit Jahren warten, sind nun endlich in Vorbereitung. Es ist wichtig, die Fragen der Rechtssicherheit zu lösen, damit die Bürger wagen, die vier Freiheiten auch zu nutzen.

 
  
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  Ferber (PPE-DE). Herr Präsident, Herr Kommissionspräsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte nur ein paar Gedanken aufgreifen. Wir stehen jetzt im ersten Halbjahr 2005, auch in den Beratungen über den Finanzrahmen. Dies ist natürlich der Finanzrahmen, Herr Barroso, der Sie für diese ganze Amtszeit zu beschäftigen hat. Also erwarte ich mir schon, dass bei Ihren Vorschlägen auch berücksichtigt wird, welche finanziellen Instrumente Ihnen zur Verfügung stehen, um das, was Sie sich vorgenommen haben, auch umzusetzen. Ich habe kein Verständnis dafür, dass Sie die Haushaltszahlungen immer noch auf der Grundlage Ihrer Vorgängerkommission vornehmen wollen. Ich denke, da wäre von Seiten der Kommission noch etwas Nacharbeit nötig.

Das Gleiche gilt auch für die Frage der Eigenmittel. Wie finanziert sich die Europäische Union? Vielleicht könnten wir auch hier von Seiten der Kommission neue Vorschläge erhalten, um in ein innovatives Zeitalter einzutreten – nicht nur bei Ihrem Arbeitsprogramm, sondern auch bei der Finanzierung der Europäischen Union.

Lassen Sie mich etwas ansprechen, was ich an dieser Stelle und in Straßburg schon öfters gesagt habe: Sie sagen zu Recht, Europa muss die Wettbewerbsfähigkeit sichern, muss Arbeitsplätze schaffen. Wir warten sehnsüchtig darauf, dass der Vorschlag, den die Nachbarin zu Ihrer Linken, Frau Wallström, noch als Umweltkommissarin eingebracht hat, dass dieses Mammutprojekt REACH, welches nicht die Wettbewerbsfähigkeit Europas, sondern die Wettbewerbsfähigkeit von Industrien außerhalb der Europäischen Union stärkt, von der Kommission überarbeitet wird. Wenn Sie etwas für die Schaffung von Arbeitsplätzen tun wollen, dann ziehen Sie REACH zurück und schauen Sie sich das Ganze noch einmal genau an.

Ich lese jetzt, Herr Kyprianou will den letzten Bereich von Beschäftigung, den wir haben, nämlich das Braten von Hamburgern, auch noch reglementieren. Ich dachte, nachdem wir Herrn Byrne endlich losgeworden sind, sei Schluss mit diesem Unfug. Sie müssen sich einmal überlegen, welches Gesellschaftsmodell Sie vertreten: das der Freiheit oder das der Gängelung? Ich habe Sie unterstützt, weil ich meinte, Sie vertreten das Modell der Freiheit. Ich bitte Sie, dieses auch umzusetzen!

 
  
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  Sacconi (PSE). (IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich muss gestehen, dass ich meinen Redebeitrag ursprünglich anders angelegt hatte. Doch was Herr Ferber soeben ausgeführt hat, zwingt mich gewissermaßen, über das REACH-Dossier – dessen Berichterstatter ich bin – zu sprechen, das von ihm als größte Bedrohung für die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie bezeichnet wurde.

Ich denke, genau das Gegenteil ist der Fall. Ich meine, dass es immer falsch ist, eine konkrete Rechtsetzungsmaßnahme zum Symbol für das Gute oder das Böse zu machen. Auf jeden Fall bin ich der Meinung, dass, falls denn REACH wirklich ein Symbol ist, es exakt den Weg in eine neue wettbewerbsfähige Zukunft der europäischen Industrie weist.

Was geschieht denn gegenwärtig in dieser Welt, was unsere Wettbewerbsfähigkeit gefährdet und infrage stellt? Wir erleben eine gewaltige internationale Umverteilung der Arbeit, wie sie schon in anderen Phasen der Wirtschafts- und Industriegeschichte stattgefunden hat. In diesem mächtigen Wandlungsprozess ist es Europa noch nicht gelungen, seinen Platz zu finden und seine Trümpfe auszuspielen. Es hat sie in der Strategie von Lissabon ausfindig gemacht, doch es vermochte sie nur in geringem Maße zu entwickeln und voranzubringen.

Herr Barroso, ich anerkenne, dass die von Ihnen angegebene Prioritätenliste, zu der eine interinstitutionelle Partnerschaft eingeleitet werden muss, richtig ist, und ich glaube, auf genau dieser Grundlage müssen wir uns der großen Herausforderung der Wettbewerbsfähigkeit in Europa stellen. Unsere Wettbewerbstrümpfe sind dabei Wissen und Umwelt. Auf diesen Gebieten wird Europa eine internationale Führungsrolle erlangen, und dazu besitzt es jetzt die Voraussetzungen.

 
  
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  Radwan (PPE-DE). Herr Präsident! In Ihr Arbeitsprogramm haben Sie zu Recht das Thema Lissabon aufgenommen – Lissabon, damit Europa zur wettbewerbsfähigsten Region in der Welt wird. Jeder hier im Saal ist sicherlich der Meinung, dass wir das schaffen wollen. Jetzt stellt sich die Frage: Wie kommen wir dahin? Einen Teil kann Europa leisten, und da würde ich Sie insbesondere auffordern, in Ihrem Arbeitsprogramm etwas mehr auf den Mittelstand zu schauen, nicht nur auf die Großindustrie, nicht nur auf innovativere Bereiche, die sicher wichtig sind, aber das Gros – und das erzählen alle in den Sonntagsreden – ist der Mittelstand. Das wird leider in Ihrem Programm nicht in einer Weise, wie sie der Bedeutung gerecht würde, berücksichtigt.

Das andere ist, dass Sie die Mitgliedstaaten entsprechend kontrollieren und darauf hinweisen, dass die Mitgliedstaaten die entsprechenden Reformen durchführen müssen. Da habe ich große Hoffnung in die Kommission, dass sie das macht. Allerdings muss ich auch sagen: Beim ersten Schwur und beim ersten Kampf mit dem Rat ist die Kommission nicht erst im Kampf eingebrochen, sondern hat schon vorher aufgegeben. Damit komme ich zum Stabilitäts- und Wachstumspakt. Wenn ich mir Ihre Kommission und den zuständigen Kommissar hier anschaue und höre, welche Äußerungen er macht, dann ist er eigentlich immer nur dabei, dem hinterherzuhecheln, was der Rat hier vorschlägt. Was den Stabilitäts- und Wachstumspakt anbelangt – da erinnere ich mich an Jean-Claude Juncker, der bei uns im Ausschuss war und gesagt hat: „Man muss lernen“. Das ist richtig, auch Politiker müssen lernen. So hat der Pakt das Problem, dass hier die Sünder – die Finanzminister – unter sich entscheiden, ob der Pakt greift oder nicht. Sie müssten dafür kämpfen, dass die Kommission in diesem Bereich gestärkt wird. Leider tut die Kommission dies nicht, sondern läuft in diesen Bereichen, die hier diskutiert werden, dem Rat hinterher und macht ihm das Leben auch noch zusätzlich leichter. Hier war Solbes ein gutes Beispiel und eine gute Messlatte für entsprechenden Einsatz.

Ich möchte dies noch ergänzen: Konterkarieren Sie nicht wie die Prodi-Kommission; die Kommissare, die dabei waren und es entsprechend mitgestaltet haben, haben es ja mitbekommen – Sie, Frau Wallström, waren fünf Jahre mit daran beteiligt, Europa zum wettbewerbsfähigsten Raum zu machen. Messen Sie, was dabei herauskommt, und wenn Sie beim Thema Bürokratie nicht schnell auf die Bremse treten, dann werden Sie enden wie die Prodi-Kommission.

 
  
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  Hutchinson (PSE). (FR) Herr Präsident! Meiner Meinung nach besitzen Sie, Herr Kommissionspräsident, wie wir bereits feststellen konnten, großes politisches Geschick. So haben Sie es immer wieder vermocht, zu Ihrer Person und zu Ihren Absichten eine gewisse Einmütigkeit zu erzielen. Ich möchte dem allerdings mit meinen folgenden Ausführungen eine kleine Einschränkung entgegensetzen.

Nach Ihren Worten sollten wir unsere Anstrengungen in erster Linie auf die Schaffung eines Europas mit der wettbewerbsfähigsten Wirtschaft konzentrieren. Dank dieser wieder erlangten Wettbewerbsfähigkeit würden dann reichlich Arbeitsplätze entstehen, von denen alle profitieren könnten. Herr Präsident, dieser Auffassung kann ich mich nicht anschließen, und es sind nicht wenige, die dies nicht können. Wir können uns dieser Auffassung nicht anschließen, weil Ihr Programm nicht die angemessenen Antworten auf die Probleme gibt, die vor Europa und seinen Bürgern stehen.

Das Wirtschaftswachstum ist gegenwärtig in der Tat zu schwach, und es muss intensiviert werden, doch wofür und für wen? Die Auswirkungen des Wachstums müssen dazu dienen, die Lage unserer Mitbürger zu verbessern, und sie müssen allen zugute kommen, wobei diejenigen, die sich in Schwierigkeiten befinden, etwas mehr zu begünstigen sind. Neben dem Mangel an Arbeitsplätzen leiden unsere Mitbürger unter der Unsicherheit der Beschäftigung. Heute sind unsere Gesundheits-, Sozial- und Rentensysteme bedroht. Mit der Globalisierung verstärkt sich die Existenzunsicherheit. Heute braucht die Union in der Tat mehr denn je ein starkes politisches Projekt, doch für die Gestaltung des Europas, das wir wollen, brauchen wir ein in sozialer Hinsicht starkes politisches Projekt, ein Gesellschaftsprojekt, das jedem ein erfülltes Leben ermöglicht, ein auf der Solidarität begründetes Projekt.

Wenn wir wollen, dass unsere Kinder weiterhin in den Genuss einer hochwertigen, für alle zugänglichen Bildung kommen, dass die öffentlichen Dienstleistungen weiterhin den sozialen Zusammenhalt stärken, dass qualitätsvolle Arbeitsplätze jedem ein angemessenes und bereicherndes Leben ermöglichen und dass die älteren Menschen über eine auskömmliche Rente verfügen, dann ist weit mehr erforderlich, als unsere gesamte Zukunft von den ungewissen Vorteilen einer Politik der Wettbewerbsfähigkeit um jeden Preis abhängig zu machen.

Herr Präsident, in Ihrem Programm hätten Sie meiner Auffassung nach die Stärkung der sozialen Dimension der EU stärker in den Vordergrund stellen können, denn genau Politiken dieser Art stehen an erster Stelle unter den Anliegen der Bürger, doch wie mir scheint, haben Sie dies nicht getan. Mir scheint im Gegenteil, dass angesichts der Angriffe auf unsere Sozialschutzsysteme und unsere öffentlichen Dienstleistungen die europäischen Bürger zu Opfern der von Ihnen vorgelegten Vorschläge werden könnten. In diesem Zusammenhang gestatte ich mir, Herr Präsident, Sie zu bitten, die richtige Entscheidung zu treffen und den Entwurf der Bolkestein-Richtlinie zurückzuziehen, die in ihrer gegenwärtigen Form nicht akzeptabel für uns ist.

Mit der wettbewerbsfähigsten und dynamischsten Politik der Welt…

(Der Präsident entzieht dem Redner das Wort.)

 
  
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  Oomen-Ruijten (PPE-DE). (NL) Ein Dankeschön an den Kommissionspräsidenten für die prägnante, präzise und überzeugende Darstellung seines Arbeitsprogramms für die nächsten fünf Jahre, das ich eigentlich lieber als Aktionsplan bezeichnen möchte.

Es sei mir allerdings eine Anmerkung gestattet, nämlich dass die Beurteilung eines Großteils der von Ihnen genannten Aktionspunkte erst im März und April möglich sein wird, wenn wir wissen, was der erneuerte Lissabon-Prozess erbringt, und da ich schon mal beim Thema bin, so bereitet mir ein Aspekt dieses Prozesses etwas Sorgen. Wir alle reden von einer Strategie, deren zentrale Elemente Wettbewerb, Wirtschaftswachstum, mehr Arbeitsplätze, aber auch Nachhaltigkeit sind. Aus einer Strategie lässt sich kein einziges der Elemente ausklammern. Sie sprachen zu Recht von der sozialen Nachhaltigkeit, aber ich habe Sie kein einziges Wort zur ökologischen Nachhaltigkeit sagen hören, die fester Bestandteil der Lissabon-Strategie sein muss, wenn diese richtig funktionieren soll. Ich gehe also davon aus, dass der sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit im Rahmen des Lissabon-Prozesses demnächst größere Beachtung geschenkt wird.

Ich hatte bereits Gelegenheit, Ihre programmatische Erklärung durchzublättern. Was ich darin praktisch vermisse – aber vielleicht kommen Sie später noch darauf zurück –, ist jeglicher Hinweis auf die Mobilität in Europa, darauf, dass wir nicht nur die Frage der Finanzdienstleistungen, sondern auch jene der Qualifikationen regeln müssen, damit sich ein Wanderarbeitnehmer oder Gewerbetreibender in Europa zu Hause fühlen kann. Voraussetzung hierzu ist die Schaffung von mehr Arbeitsplätzen.

Sie haben die Partnerschaft erwähnt, und das bedeutet Partnerschaft nicht nur mit den Bürgern, sondern auch mit den Mitgliedstaaten, den Regionen und den Sozialpartnern.

 
  
  

VORSITZ: LUIGI COCILOVO
Vizepräsident

 
  
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  Batzeli (PSE). – (EL) Herr Kommissionspräsident! Eingedenk der politischen Verpflichtungen, die Sie gegenüber dem Europäischen Parlament abgegeben haben, ist es in dieser entscheidenden Phase von großer Bedeutung, dass Sie die Integration und Ausweitung der Politiken zur Stärkung des wirtschaftlichen, sozialen und regionalen Zusammenhalts im Europa der 25 Mitgliedstaaten sowie zur Förderung seiner Wettbewerbsfähigkeit mit Taten und nicht nur mit Worten vorantreiben. Einer der Kernpunkte, der von allgemeiner Tragweite ist und Solidarität gewährleistet, besteht in der Bereitstellung ausreichender Eigenmittel, um alle Kohäsionspolitiken, einschließlich derer, die sich aus der Lissabon-Strategie ergeben, effektiv abzudecken. Sie sollten sich um die Stabilisierung der Finanziellen Vorausschau bemühen, wie dies Ihr Vorgänger, Herr Prodi, getan hat.

Darüber hinaus sollten Sie im Rahmen Ihrer jährlichen legislativen Arbeit, auf deren Grundlage Sie, nebenbei gesagt, auch beurteilt werden, sowie im Rahmen Ihrer Zusammenarbeit mit der zuständigen Kommissarin für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung, Frau Fischer Boel, unbedingt folgende grundlegende und elementare Maßnahmen vorantreiben: Erstens, die angemessene Finanzierung der Landwirtschaft und die Stärkung der Politiken zur ländlichen Entwicklung; zweitens, substanzielle Maßnahmen, die verhindern, dass im Zuge der Umsetzung der neuen GAP und der internationalen Handelsabkommen sich das ländliche Einkommen drastisch reduziert und es zwischen den Mitgliedstaaten und den Regionen zu finanziellen Verzerrungen kommt; drittens, das Unterdrücken jeglicher Kofinanzierungsgedanken, das heißt, der Renationalisierung der GAP, und viertens, die Durchführung dynamischer Verhandlungen mit internationalen Handelspartnern im Rahmen der WTO, damit auch diese in Anbetracht der gebrochenen Versprechen zur Entwicklung der Drittländer die erforderlichen Anpassungen vornehmen können. Schließlich möchte ich betonen, dass 2005 ein Jahr sein wird, in dem wir alle von den europäischen Bürgern einer Bewertung unterzogen werden und in dem wir uns als eine einheitliche, demokratische und internationale Union etablieren werden.

 
  
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  Bowis (PPE-DE).(EN) Herr Präsident! Herr Barroso hat die Lissabon-Agenda zu Recht hervorgehoben. In meiner Eigenschaft als Mitglied des Ausschusses für Umweltfragen, Volksgesundheit und Verbraucherpolitik möchte ich darauf hinweisen, dass eine gesunde Umwelt und gesunde Menschen eine unabdingbare Voraussetzungen für diese Agenda sind. Im Rahmen dieses Jahresprogramms gibt es viel zu tun. In Bezug auf Chemikalien sind wir uns bewusst, dass unser Kenntnisstand nicht ausreicht. Auf die meisten Chemikalien sind wir angewiesen und gehen mit einigen recht sorgsam um, andere wiederum müssen allmählich aussortiert oder verboten werden. Insofern benötigen wir einen vernünftigen Vorschlag.

Das REACH-System wäre mit hohen Kosten verbunden, seine Umsetzung würde ungefähr 50 Jahre dauern und dabei würden etwa sechs Millionen Tiere umkommen. Die Kommission sollte Vorschläge unterbreiten, bei denen Fragen wie „ein Stoff, eine Registrierung“, das Computer-Profiling und die Festlegung von Prioritäten berücksichtigt und aufgegriffen werden.

Was den Klimawandel anbelangt, müssen wir einsehen, dass die Folgen der globalen Erwärmung nicht etwa langsam sichtbar werden, sondern auf der ganzen Welt rasend schnell und auf unerwartete und zerstörerische Weise zutage treten. Bei der Bekämpfung des Klimawandels benötigen wir die USA als Partner. Es ist vollkommen sinnlos, auf das Kyoto-Protokoll zu pochen. Vielmehr müssen die Vereinigten Staaten ermutigt werden, ihre eigenen Politiken zu entwickeln und mit uns zusammenzuarbeiten, um unseren Planeten zu retten.

Bei der Frage der Patientenmobilität haben die Gerichte entschieden, dass sich die Patienten in einem anderen Mitgliedstaat behandeln lassen können, wenn es in ihrem Heimatland zu einer unnötigen Verzögerung kommt. Dies stellt zwar eine großartige Möglichkeit für die Patienten dar, bereitet jedoch den im Gesundheitswesen tätigen Finanzmanagern arges Kopfzerbrechen. Es ist dringend erforderlich, dass wir das Recht der Patienten in die Praxis umsetzen und dabei die Federführung übernehmen. Wenn wir bei diesem Prozess keine führende politische Rolle spielen und nicht die Grundregeln festlegen, dann werden weiterhin die Gerichte die Politik für uns machen. Unter Europa stelle ich mir keinesfalls vor, dass nur die Gerichte das Sagen haben.

Nicht zuletzt möchte ich noch darauf hinweisen, dass wir wahrscheinlich sehr bald mit einer Grippeepidemie zu kämpfen haben werden. Wir müssen unbedingt dafür sorgen, dass das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten unverzüglich volle Einsatzfähigkeit erlangt.

 
  
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  De Vits (PSE).(NL) Herr Kommissionspräsident! Dieses Programm bietet einen allgemeinen Rahmen, der jedermanns Prioritäten entspricht. Das Wichtigste allerdings ist seine Umsetzung. Wir werden Sie erst beurteilen können, wenn uns die konkreten politischen Maßnahmen bekannt sind, und ich fordere nachdrücklich, dass dies baldmöglichst geschieht. Wenn Sie es mit dem sozialen Pfeiler der Lissabon-Strategie ernst meinen, möchte ich Sie um drei Dinge bitten. Erstens, dass sämtliche neuen Vorschläge im Hinblick auf ihre sozialen Auswirkungen geprüft werden und nicht nur, wie es in dem Kommissionsdokument heißt, unter wettbewerbspolitischen Gesichtspunkten. Zweitens, dass die Kommission endlich eine Rahmenrichtlinie zur Regelung der für den sozialen Zusammenhalt und die Solidarität lebenswichtigen Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse verabschiedet. Drittens, dass Sie, Herr Barroso, Klarheit über die Dienstleistungsrichtlinie schaffen. Kommissar Verheugen sagte, dass der REACH-Vorschlag angepasst und allgemein überarbeitet wird. Ich möchte Sie bitten, das ebenfalls zu bestätigen, und im Hinblick auf die Bolkestein-Richtlinie die Zusage zu machen, dass es einen Dienstleistungsbinnenmarkt geben wird, aber ohne Sozialdumping, was von dem Ratsvorsitzenden, Herrn Juncker, ebenfalls mit Nachdruck gefordert wurde.

 
  
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  Rübig (PPE-DE). Herr Präsident, Herr Präsident Barroso! Mich würde interessieren: Welche Länder haben in den letzten Jahren ihre Schulden erhöht, ihre Steuern erhöht und in welchen Ländern sind die Arbeitslosenzahlen gestiegen? Ich glaube, Sie machen die richtige Politik und versuchen durchzusetzen, dass Europa bis 2010 nicht die Politik dieser Länder verfolgt.

Frau Wallström, ich möchte Sie gern fragen, welche Länder eigentlich Arbeitsplätze geschaffen haben? Wer hat die meisten zusätzlichen Arbeitsplätze geschaffen? Wer hat die Steuern reduziert und wer hat Überschüsse im Haushalt erwirtschaftet? Ich glaube, wir müssen uns ganz deutlich vor Augen führen, dass wir diese beiden Wege vor Augen haben. Wollen wir das eine oder das andere? Die Barroso-Kommission hat ganz klar vorgegeben, dass die Lissabon-Strategie bis zum Jahr 2010 neue Arbeitsplätze schaffen will, die Reallöhne erhöhen will und sich Europa in der globalen Wettbewerbsfähigkeit ganz einfach verbessern soll.

Dafür müssen wir in die Forschung investieren. Mir geht es darum, dass wir die Mittel für das Sechste Rahmenprogramm verdoppeln. Das ist schon ganz klar festgelegt worden, aber ich glaube, wir müssen es auch auf die 25 Länder ausrichten, wir müssen die Inflationsrate berücksichtigen und auch einen richtigen Zeitrahmen dafür festlegen.

Wir müssen uns darum bemühen, dass endlich der Binnenmarkt vollendet wird, dass wir die Energie über die Grenzen hinweg in einem wettbewerbsfähigen System haben, und – was ganz wichtig ist – wir müssen die Inhalte von Europa endlich greifbar machen: e-Government, e-Learning, e-Europe – hier gibt es viel zu tun. Ich glaube, die Kommissarin Wallström muss von uns allen unterstützt werden, um die Europäische Union in Zukunft für die Bürger in Europa präsent und sichtbar zu gestalten. Wir haben hier viel zu bieten, und wir müssen auch hier im Parlament völlig neue Strategien verfolgen, um für den Bürger begreifbarer zu werden.

Zum Schluss möchte ich noch anregen, dass die Rückzahlungen an die Mitgliedstaaten auch an den europäischen Mehrwert und an die Subsidiarität gebunden werden sollten, damit der europäische Haushalt auch tatsächlich zum Nutzen der Bürger eingesetzt wird.

(Beifall)

 
  
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  Harbour (PPE-DE).(EN) Herr Präsident! Ich befürworte die strategischen Ziele von Herrn Barroso voll und ganz, denn zum ersten Mal wird darin dem Wohlstand absoluter Vorrang eingeräumt, was zuallererst ein unternehmensfreundliches Umfeld erforderlich macht.

Der Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz, den ich im Namen der PPE-DE-Fraktion leiten darf, wird zur Verwirklichung dieser beiden Ziele mit Ihnen und Ihren Dienststellen zusammenarbeiten. In diesem Zusammenhang kommt dem Binnenmarkt ganz entscheidende Bedeutung zu, wobei das Jahr 2005 eine kritische Phase des Prozesses darstellt. Daher bin ich erfreut, dass Sie das enorme Wachstumspotenzial des Dienstleistungsbereichs erkannt haben.

Die Richtlinie über den Binnenmarkt für Dienstleistungen wurde zu Recht als ein ehrgeiziges und umfassendes Projekt angelegt. Die Abgeordneten auf meiner Seite des Parlaments werden mit Ihnen gemeinsam am Aufbau eines Wachstumsmarktes für Dienstleistungen arbeiten, indem wir diese wichtige Richtlinie weiter vorantreiben. Es mögen vielleicht Abänderungen notwendig sein, damit sie richtig funktioniert, aber Sie können in dieser Hinsicht auf unsere Unterstützung zählen. Hören Sie nicht auf die Sirenengesänge von der anderen Seite des Hauses, die ein gemäßigteres Tempo anmahnen.

Weshalb ist die Richtlinie über den Binnenmarkt für Dienstleistungen so wichtig? Sie ist unbedingt erforderlich, weil wir den Binnenmarkt auf eine höhere Stufe bringen müssen, wo die Mitgliedstaaten bei der Organisation und Überwachung des Marktes einander vertrauen. Wir müssen den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung umsetzen, ganz gleich, ob es sich nun um Waren oder Dienstleistungen handelt. Weshalb sollte bei Unternehmensniederlassungen nicht der Grundsatz der Überprüfung im Herkunftsland gelten? Warum können zwischen den Behörden keine Informationen ausgetauscht werden? Weshalb vertrauen wir bei der Umsetzung nicht auf die Regierungen? Die Abgeordneten auf der anderen Seite des Parlaments lehnen diese Richtlinie ab, weil sie den Regierungen bei der Umsetzung nicht vertrauen. Das Wort „Vertrauen“ taucht überhaupt nicht auf. Ich weiß jedoch, dass Sie nicht nachgeben werden. Und ich hoffe, dass Sie gemeinsam mit dem Rat Fortschritte bei der Aufgabe erzielen werden, den Binnenmarkt funktionsfähig zu machen und sicherzustellen, dass die Regelungen des Binnenmarkts vor Ort ordnungsgemäß umgesetzt werden, so dass wir unsere Ziele – eine bessere Umwelt sowie Arbeitsplätze und Wohlstand für alle –erreichen können.

(Beifall)

 
  
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  Jarzembowski (PPE-DE). Herr Präsident, sehr geehrter Herr Kommissionspräsident, sehr verehrte Frau Kommissionsvizepräsidentin! Jetzt bin ich dran für den Verkehr, und ich glaube, das ist in den Mitteilungen der Kommission ein bisschen zu kurz gekommen. Man kann alles Mögliche bestellen, über alle möglichen elektronischen Leitungen, aber Warenaustausch kann man nur hinbekommen, indem man den Kühlschrank liefert, indem man den Computer liefert, und dazu braucht man eine vernünftige Verkehrspolitik.

Ihr Vizepräsident Jacques Barrot hat inzwischen sehr vernünftig ausgeführt, was wir brauchen. Ich will nun die drei zentralen Punkte noch einmal darstellen. Ich glaube, wir brauchen die Umsetzung des Binnenmarktes auch im Eisenbahnwesen. Die Eisenbahnen haben vierzig Jahre lang gedacht, es gäbe keinen Binnenmarkt, man könne weiterhin nationale Eisenbahnpolitik betreiben. Jetzt ist es an der Zeit, mit dem dritten Eisenbahnpaket auch die Netze für den Personenverkehr zu öffnen, einen einheitlichen Lokomotivführerschein einzuführen, so dass ein Zug nicht an einer nationalen Grenze anhalten muss, um das Personal zu wechseln. Wir werden nur grenzüberschreitende Transporte mit der Eisenbahn durchführen können, wenn sie schnell, effizient und gut organisiert sind. Dazu brauchen wir Netzöffnung, Lokführerschein, aber auch vernünftige Rechte für die Passagiere, wenn sie stehen gelassen werden, wenn sie zu spät befördert werden. Wir haben sehr gut geregelte Entschädigungen im Luftverkehr, aber es reisen viel mehr Menschen mit der Eisenbahn, und diese haben das gleiche Recht auf eine Entschädigung, wenn die Eisenbahnen sich nicht vernünftig organisieren.

Ein zweiter Bereich neben dem Eisenbahnwesen ist die Frage der Eurovignette. Wir brauchen eine faire Wegekostenanlastung. Sie muss wirtschaftlich tragbar sein, aber sie muss auch ökologisch ausgerichtet sein. Insofern müssen wir hier vorankommen.

Der letzte und zentrale Punkt, Herr Kommissionspräsident, und ich hoffe, Sie haben das schon voll verinnerlicht: Wir brauchen vernünftige transeuropäische Verkehrswege im Eisenbahn- und im Straßennetz sowie im Binnenschifffahrtsbereich. Wir brauchen tatsächlich grenzüberschreitende Verkehrswege, ein Netzwerk von allen Verkehrsmodi, damit wir den Warenaustausch wirklich voranbringen können. Wir brauchen das wettbewerbsorientiert, wir brauchen es wirtschaftlich tragbar und ökologisch ausgelegt.

 
  
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  Hatzidakis (PPE-DE). – (EL) Herr Präsident! Ich übernehme den Stab von Herrn Jarzembowski und werde über Fragen der Kohäsions- und Regionalpolitik sprechen. Zunächst möchte ich Herrn Barroso sagen, dass wir mit dem von der Kommission vorgelegten Text einverstanden sind, da er ganz richtig Nachdruck auf die Kohäsionspolitiken legt. Und das kann auch gar nicht anders sein, zumal dieses Jahr, 2005, auch ein entscheidendes Jahr für die Zukunft der Regionalpolitik sein wird. In diesem Rahmen möchte ich zwei ganz konkrete Bemerkungen machen: die erste betrifft den Beschlussfassungszeitraum. Ich hoffe, dass die Beschlüsse noch während der luxemburgischen Präsidentschaft gefasst werden, und ich möchte Herrn Schmit, den amtierenden Präsidenten des Ministerrates, bitten, in dieser Hinsicht sein Bestes zu tun, denn die regionalpolitischen Programme sind Mehrjahresprogramme und jede Verzögerung würde sich negativ auf die Entwicklung der Programme auswirken.

Wir werden in der bevorstehenden Phase mit Schwierigkeiten zu kämpfen haben, und deshalb müssen wir alle, jeder für sich, in diesem Jahr alles in unserer Macht Stehende tun, um die Beschlüsse unter Dach und Fach zu bringen. Der zweite Punkt, den ich hervorheben möchte, betrifft den Umfang des Finanzpakets für die Regionalpolitik. Ich möchte hier unmissverständlich sagen: Wir können nicht unter die in den Vorschlägen der Europäischen Kommission genannte Prozentmarke gehen, die, was die Kohäsionspolitiken betrifft, bei 0,41 % des Bruttonnationaleinkommens liegt. Wenn wir diese Marke unterschreiten, dann kann keine Rede mehr von einer glaubwürdigen Regionalpolitik sein, da die Bedürfnisse aufgrund der Erweiterung erheblich gestiegen sind und diese Bedürfnisse auch finanziert werden müssen. Wir müssen uns meiner Ansicht nach in diese Richtung bewegen. Das Europäische Parlament wird Ihnen hierbei, davon bin ich überzeugt, tatkräftig zur Seite stehen. Eins dürfen wir jedoch nicht vergessen: Wir können mit der Erweiterung nicht mehr Europäer haben wollen, dafür aber weniger Europa. Wenn wir mehr Europäer haben wollen, dann müssen wir auch mehr Europa wollen. Wir müssen begreifen, dass eine effiziente Union auch eine Union bedeutet, deren Finanzierung gesichert ist. Ich habe Verständnis für die Bedürfnisse der Steuerzahler und möchte realistisch an die Sache herangehen. Ich will zwar keine Maximalforderungen stellen, denke andererseits jedoch, dass wir, wenn wir realistisch sein wollen, dem Vorschlag der Europäischen Kommission folgen sollten, der für die Regionalpolitik, wie gesagt, 0,41 % des Bruttonationaleinkommens vorsieht.

 
  
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  Goepel (PPE-DE). Herr Präsident! Die Prioritäten, die uns aus Sicht der europäischen Landwirtschaft im Jahr 2005 bewegen, sind schnell erklärt. Es geht einmal um die Entwicklung der ländlichen Räume und deren Finanzierung. Die Vorschläge der Kommission dazu liegen uns vor, und wir arbeiten daran. Vom Grundsatz her ist der Ansatz der Kommission zu begrüßen. Erst kürzlich hat uns Frau Fischer Boel dazu wissen lassen, dass die Vorschläge zur ländlichen Entwicklung im Einklang mit dem Lissabon-Prozess stehen und stehen müssen. Als Parlament werden wir das übernehmen.

Gleichwohl ist die ländliche Entwicklung auch und insbesondere eine Frage der Finanzierung. Da müssen wir die Arbeit des Nichtständigen Ausschusses zur Finanziellen Vorausschau 2007 - 2013 genau verfolgen. Nur wenn wir die finanziellen Umstände und Möglichkeiten kennen, macht es Sinn, über Inhalte und Umfang der ländlichen Entwicklung im Sinne von Lissabon zu sprechen.

Zur WTO: Mit der Agrarreform 2003 haben wir uns Verhandlungsspielraum im Agrarbereich eröffnet. Diesen gilt es nun in weiteren Verhandlungen zu nutzen und im übrigen eine Verteidigungshaltung einzunehmen, um das europäische Agrarmodell zu sichern. Schließlich hat die Agrarreform 2003, abgesehen von der nationalen Umsetzung, die nicht wenige unserer Kollegen sehr beschäftigt, einige Fragen offen gelassen. Der Zuckermarkt, Obst und Gemüse und der Weinsektor stehen zur Reform an. In allen drei Sektoren sollten wir die konkreten Vorschläge der neuen Kommission abwarten; im Nebel zu stochern bringt nichts. Frau Fischer Boel kennt die für das Parlament wichtigen Punkte wohl sehr genau und es bleibt abzuwarten, inwieweit unsere Anliegen bereits in den Vorschlägen Berücksichtigung finden.

Herr Kommissionspräsident, denken Sie an die erneuerbaren Energien, die, sinnvoll unterstützt, aus meiner Sicht eine gute Einkommensalternative für unsere Landwirte darstellen.

(Beifall)

 
  
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  Pack (PPE-DE). Herr Präsident, meine sehr verehrten Kollegen! Ich bin eigentlich ganz froh, dass ich Herrn Barroso heute zuhören konnte, aber leider habe ich dieses euphorische Gefühl, das ich bei Ihrer Rede in Berlin haben durfte, nicht mehr so empfunden. „Europa eine Seele geben“ – davon war heute nicht so furchtbar viel zu merken. In Ihrem Arbeitsbericht kommen die Worte Kultur, Bildung und Erziehung weniger oft vor, als wir es uns im Kulturausschuss alle gewünscht hätten – wo wir alle genau wissen, dass diese Bereiche im Integrationsprozess und im Lissabon-Prozess eine ganz große Rolle spielen.

Ich glaube, es ist an der Zeit, dass wir den vielen Reden, den vielen Symposien wirklich einmal Taten folgen lassen, die die Bürger dann auch wirklich bemerken und als europäischen Mehrwert begrüßen. Sie haben vorhin zwar gesagt, dass Investition in Bildung wichtig ist und auch Wachstum und Beschäftigung schafft, aber dem Wort muss dann natürlich auch die Tat folgen. Dazu zählt, dass von der Kommission verstärkt Anreize zum Sprachen lernen geschaffen werden müssen, weil Sprachen lernen wichtig ist. Die Sprache des Nachbarn zu lernen, ist wichtig, damit eine weitere Brücke entsteht. Das ist die Voraussetzung für die Mobilität unserer jungen Menschen im internal market.

Herr Kommissionspräsident, es wäre ganz toll, wenn Sie sich das neue Programm „Lebenslanges Lernen“ wirklich auf die Fahne schreiben würden und das Geld, das ich dafür im Namen meiner Kollegen fordere, auch wirklich gegeben wird. Dies entspricht dann auch dem, was Sie in der Lissabon-Strategie anstreben. Die Präambel der neuen Verfassung spricht von Europas Einheit in der Vielfalt, welche es zu festigen gilt. Dazu ist es aber nötig, dass die Mitgliedstaaten endlich die Existenz eines europäischen Kulturraumes akzeptieren und daraus Nutzen ziehen wollen. Die Kulturindustrie schafft viele, viele Arbeitsplätze. Sie passt – wie auch Bildung und Erziehung – in die Lissabon-Strategie. 0,03% des Gesamtbudgets für Kultur, das ist einfach lächerlich und beschämend.

Ich bitte Sie daher, lieber Herr Präsident, mit all Ihren Kolleginnen und Kollegen: Tragen Sie dazu bei, dass Europa wirklich eine Seele bekommt; investieren Sie in Bildung und Kultur.

(Beifall)

 
  
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  Lehne (PPE-DE). Herr Präsident, sehr geehrter Herr Präsident Barroso! Lassen Sie mich aus der Sicht der Rechtspolitiker der EVP-ED-Fraktion noch einige Worte beisteuern. Ich will das in vier Aspekte zusammenfassen.

Sie haben erfreulicherweise das Thema Better regulation und Impact assessment, das man auf gut Deutsch Gesetzesfolgekostenabschätzung nennt, in Ihrem Programm aufgegriffen. Ich möchte ganz deutlich sagen, wir legen in unserem Ausschuss besonderen Wert darauf, dass hier nicht nur Bekenntnisse unterschrieben worden sind, wie im Dezember 2003 durch Ihren Vorgänger, sondern dass der Text dieser Vereinbarung auch ernst genommen wird. Dazu gehört die Durchführung vernünftiger Konsultationsprozesse, und dazu gehört – das ist ganz entscheidend – ein ausreichendes Maß an Transparenz und ein wirkliches Impact assessment und nicht, wie wir das leider oft bei Kommissionsvorlagen erleben mussten, sozusagen ein Impact assessment, das nichts anderes ist als ein Teil der Begründung der Vorlage. Wir haben hier entsprechende Erwartungen, die wir an diese neue Kommission richten.

Ich finde es gut, dass Sie eine Reihe von Aspekten aus dem Aktionsplan Gesellschaftsrecht angesprochen haben, die die alte Kommission bereits vorgeschlagen hat. Ich will aber deutlich darauf aufmerksam machen, dass es hier zwei Aspekte gibt, die aus unserer Sicht von Bedeutung sind: einmal, dass auch ein Vorschlag zu einem Wahlrecht zwischen einem monistischen und einem dualistischen System, den Unternehmensverfassungen, vorgelegt wird, und zum Zweiten, dass der Grundsatz One share, one vote – wir haben das in der zurückliegenden Legislaturperiode sehr intensiv diskutiert – auch durchgesetzt wird.

Im Zusammenhang mit den geistigen Schutzrechten begrüßen wir es, dass die Kommission einen Vorschlag zur Regulierung der Verwertungsgesellschaften vorlegen will. Wir bitten die Kommission aber gleichzeitig, zu überprüfen, ob ihre bisherige Strategie im Hinblick auf das europäische Patent richtig ist, ob nicht die Gefahr besteht, dass nach dem jetzigen Stand der Beratungen im Rat am Ende ein Monstrum dabei herauskommt, das sich jedenfalls der Mittelstand nicht leisten kann. Vielleicht sollte man hier die Verfassung abwarten und dann einen neuen Vorschlag auf einer neuen Rechtsgrundlage mit neuen Mehrheiten machen, bei dem dann etwas Vernünftiges herauskommt.

Last but not least der letzte Punkt, und ich bitte Sie, auch diesen Aspekt im Auge zu behalten: Ich glaube, das wichtigste Soft-law-Gesetzgebungsvorhaben dieser Legislaturperiode ist die Zivilrechtsharmonisierung. Hier arbeiten zur Zeit Professorengruppen an einem Referenzrahmen, damit wird das Zivilrecht Europas für über 100 Jahre vorgeprägt. Ich würde Sie bitten, als Kommissionspräsident auch darauf ein Auge zu haben.

 
  
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  Klamt (PPE-DE). Herr Präsident, Herr Kommissionspräsident! Wenn die Bürgerinnen und Bürger unserer Mitgliedstaaten gefragt werden, was für sie wichtiger Bestandteil in ihrem täglichen Leben ist, steht das Bedürfnis nach Sicherheit ganz oben auf der Prioritätenliste. Der Erfolg der Kommission und des Europäischen Parlaments wird daran gemessen werden, ob wir den Menschen Sicherheit in ihrer Heimat, in ihrem Zuhause, in Europa bieten können. Aus diesem Grund begrüße ich im Namen der EVP-Fraktion ausdrücklich die vorgeschlagenen strategischen Leitlinien und Programmpunkte und die genannten Prioritäten.

Allerdings möchte ich an dieser Stelle festhalten, dass der politische Wille und seine Umsetzung sich häufig nicht decken. Die Verbesserung von Kontrolle und Überwachung der Außengrenzen in unserer erweiterten Europäischen Union gehört zu dem von der Kommission genannten Aufgabengebiet, in dem wir sie voll und ganz unterstützen werden. Entscheidend für den Erfolg dieser Aufgabe wird allerdings unter anderem sein, dass der Rat endlich die Frage löst, wo der Sitz der Grenzagentur sein wird, damit diese überhaupt ihre Tätigkeit aufnehmen kann.

Die Einführung fälschungssicherer europäischer Pässe und Visadokumente würde eine gute Ausgangsbasis für effektive Kontrollen bieten. Dazu gehört auch die Aufnahme von biometrischen Daten in diese Dokumente. Ebenso muss die operationelle Zusammenarbeit der Polizei in einem Europa der offenen Binnengrenzen vorangebracht werden.

Kommission und Parlament sind sich einig, dass wir europäische Mechanismen statt einzelstaatlicher Maßnahmen brauchen. Doch seit mehr als einem Jahr kann sich der Rat noch nicht einmal auf einen neuen Leiter für Europol einigen. Ich möchte an den Rat appellieren, die Punkte, die ich hier genannt habe, noch einmal aufzugreifen, und kann der Kommission und dem Kommissionspräsidenten versichern, dass wir an ihrer Seite sind.

 
  
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  Kratsa-Tsagaropoulou (PPE-DE). – (EL) Herr Kommissionspräsident! Ich habe die Präsentation Ihres Programms verfolgt und stimme mit Ihrer Vision eines Europas der Bürger sowie eines Europas, das auf der internationalen Bühne Verantwortung übernimmt und eine effektive Rolle spielt, vollkommen überein. Dies gilt auch für Ihre strategischen Optionen, um diese Vision Wirklichkeit werden zu lassen. Wir werden übrigens sowohl im Rahmen unserer Fraktionen als auch im Rahmen unserer parlamentarischen Ausschüsse die Gelegenheit haben, die einzelnen Politiken zu diskutieren, und es werden sich uns auch andere Gelegenheiten bieten, mit Ihnen ins Gespräch zu kommen und zusammenzuarbeiten. Am Ende dieses an Ideen und Diskussionen reichen Tages möchte ich betonen, dass wir zahlreiche und vielfältige Anstrengungen unternehmen müssen, die in Wechselwirkung zueinander stehen und voneinander abhängig sind. Sie betreffen sämtliche Aspekte unserer Wirtschaft und Gesellschaft. Niemand kann behaupten, die Wirtschaft sei wichtiger als der soziale Zusammenhalt oder der Verkehr sei wichtiger als Chancengleichheit für beide Geschlechter.

Die Politik, die wir während der letzten Jahre verfolgt haben, hat weder im Hinblick auf das Wachstum noch im Hinblick auf den sozialen Zusammenhalt die Früchte hervorgebracht, die wir erwartet hatten. Wir können uns keine Untätigkeit oder Verzögerung leisten. Der Fortbestand unseres Sozialmodells, die Glaubwürdigkeit der Europäischen Union und der Glaube der Bürger an diese Vision stehen auf dem Prüfstand. Das haben wir bei den jüngsten Europawahlen deutlich zu spüren bekommen, und wir haben den Bürgern versprochen, dass wir alles ändern werden. Nun ist also die Zeit gekommen, diese Änderungen vorzunehmen. Die Realität und die vor uns stehenden Herausforderungen erfordern Mut, Veränderungen und Innovation. Wir haben genug Jahre damit verbracht, über Reformen zu debattieren, die nie verwirklicht bzw. nur unzureichend durchgeführt wurden. Reformen, die angekündigt und diskutiert, aber nicht umgesetzt werden, richten bekanntlich nur Schaden an. Sie schaffen Verwirrung, Unsicherheit und Pessimismus, unabhängig davon, ob sie die Bürokratie, das Versicherungs- oder das Rentensystem betreffen. Sie schränken den Konsum und den Unternehmergeist ein und sie lassen Europa nicht über die niedrigen Wachstumsraten hinauskommen, die wir zurzeit haben. Seien Sie mutig, Herr Präsident, meine Fraktion wird Sie unterstützen. Ebnen Sie den Weg für ein neues Europa voller Dynamik und Hoffnung.

 
  
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  Sartori (PPE-DE). (IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich danke dem Herrn Kommissionspräsidenten für seine Erklärung, die er in diesem Hohen Haus abgegeben hat und die uns für die kommenden Monate und Jahre hoffen lässt. Ihren – selbstverständlich sehr allgemein gehaltenen – Ausführungen habe ich einige wichtige Punkte entnommen, auf die wir, so denke ich, unsere Aufmerksamkeit und auch unsere Energien konzentrieren müssen.

Als Erstes ist wohl allen klar, dass die Aufgaben, die sich Europa stellt – und die wir aufgegriffen haben und weiter aufgreifen wollen –, zum großen Teil, wenn auch nicht explizit, in der Agenda von Lissabon enthalten sind. Gleichwohl sind wir uns alle dessen bewusst, dass wir in dieser Woche und in diesen Monaten ein Problem anpacken – die Finanzielle Vorausschau für die Jahre 2007-2013 –, das die Grundvoraussetzung für alles Übrige bildet.

Ich teile Ihre Ansicht, dass man nicht „mehr Europa mit weniger Geld“ bekommen kann. Ich füge außerdem hinzu, dass die Strategie von Lissabon nicht ohne Geld umgesetzt werden kann und dass es nicht möglich ist, eine von allen Mitgliedstaaten geforderte Politik des Zusammenhalts voranzubringen, ohne über die dafür notwendigen Mittel zu verfügen. Der Zusammenhalt ist meines Erachtens entscheidend für uns, wobei ich mir erlaube, auch das Thema Frauen mit einzubeziehen, das stets im Auge zu behalten ich Sie bitten möchte, da es sich hierbei um ein starkes und neues Element handelt, das zur Entfaltung zu bringen sich für Sie als nützlich erweisen könnte.

Ich teile außerdem die Auffassung, dass die Einigung über die Finanzielle Vorausschau nicht um jeden Preis erzielt werden kann. Die Verwirklichung unserer Ziele setzt wahrscheinlich auch mutige Entscheidungen voraus, und ich fordere Sie auf, in diesem Sinne zu handeln. Deshalb schlage ich vor, die Debatte über die Finanzierung der Landwirtschaft, über die Notwendigkeit der konsequenten Vervollkommnung der Dienstleistungspolitik sowie über das REACH-Programm, gegen das alle Mitgliedstaaten Vorbehalte hegen und das daher überarbeitet werden sollte, wieder aufzunehmen.

 
  
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  Grossetête (PPE-DE). (FR) Herr Präsident, ich möchte eine Bitte an Herrn Barroso richten. Wir haben heute Nachmittag über die strategischen Leitlinien debattiert. Ich denke, Herr Kommissionspräsident, wir können dem zustimmen, was Sie vorgeschlagen haben, doch es gibt ein Problem. Wir haben nicht über das Gesetzgebungsprogramm für 2005 sprechen können, weil das Parlament noch keine Kenntnis davon hat. Zusammen mit einigen Kollegen habe ich den Text am zeitigen Nachmittag erhalten, doch dies trifft auf viele andere nicht zu. Es ist unbedingt erforderlich, dass die Abgeordneten in jedem Ausschuss auf der Grundlage Ihres Vorschlags arbeiten können und dass wir auf einer der nächsten Tagungen hier in Brüssel oder in Straßburg eine weitere Aussprache über das Gesetzgebungsprogramm für 2005 abhalten.

Dies ist die Bitte, die ich im Namen der PPE-Fraktion an Sie richten möchte. Sie ist wichtig. Ich möchte daran erinnern, dass es zwischen der alten Kommission und dem Parlament eine Vereinbarung gab, dass das Gesetzgebungsprogramm den Abgeordneten mindestens zehn Arbeitstage vor der Aussprache im Plenum zugestellt wird, damit sie sich damit vertraut machen können. So ist es in Anhang 14 der Geschäftsordnung des Parlamentes festgelegt. Herr Präsident, ich bin überzeugt, dass Sie einverstanden sind, dass eine neue Aussprache über das Gesetzgebungsprogramm 2005 durchgeführt wird.

 
  
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  Barroso, Präsident der Kommission. (PT) Ich möchte gleich zu Beginn den von Frau Grossetête angesprochenen Punkt klären. Wir haben unter uns vereinbart, dass das Europäische Parlament als Erstes über die wichtigsten Entscheidungen der Europäischen Kommission unterrichtet wird. So haben wir gerade erst heute Vormittag das auf fünf Jahre angelegte Programm mit strategischen Zielen und auch das Arbeitsprogramm für 2005 beschlossen. Deshalb liegt es erst jetzt hier vor, denn wir haben es ja gerade erst beschlossen. Insofern hat das Parlament das Arbeitsprogramm für 2005 also umgehend erhalten.

Zweifelsohne ersetzt die heutige Aussprache nicht eine weitere Diskussion, die es mit Sicherheit über das Arbeitsprogramm für 2005 geben wird. Soweit ich das beurteilen kann, wünscht das Parlament, dass die Europäische Kommission sofort nach der Annahme ihrer Arbeitsprogramme hierher kommt, und deshalb sind wir ja heute hier, nachdem wir sowohl das strategische Programm als auch das Arbeitsprogramm für 2005 heute Vormittag beschlossen haben.

Es wird uns ein Vergnügen sein, einer weiteren, speziell dem Arbeitsprogramm für 2005 gewidmeten Aussprache beizuwohnen, doch heute geht es uns darum, kurz die strategischen Linien für die kommenden fünf Jahre darzulegen. Dabei sehen die Dinge, wie einige Abgeordneten richtig festgestellt haben, diesmal etwas anders aus: die Europäische Kommission wollte Ihnen kein bürokratisches oder technokratisches Programm von Hunderten von Seiten vorlegen, sondern die großen strategischen Leitlinien, eine gewisse Auswahl treffen und Ihnen demzufolge ein übersichtliches Dokument präsentieren.

Wir haben Ihnen eine Partnerschaft vorgeschlagen, und die Reaktion des Europäischen Parlaments auf diese Partnerschaft war positiv. Wir haben Ihnen Prioritäten vorgeschlagen und in der Tat hat sich im Großen und Ganzen bestätigt, dass die Fragen, die die Kommission bewegen, genau dieselben sind, die auch das Parlament bewegen. Es sind also die Voraussetzungen gegeben, dass wir gemeinsam und auch mit dem Rat unseren Mitbürgern nun ein Programm und eine strategische Perspektive für die kommenden fünf Jahre vorstellen können.

In diesem Zusammenhang begrüße ich auch die Anwesenheit des Herrn Ratspräsidenten, Premierminister Juncker, während eines Großteils der Aussprache. Wie er bekräftigte – und seine Worte waren ermutigend – besteht generelle Übereinstimmung hinsichtlich der zu verfolgenden Linie. Deshalb werden die Kommission, der Rat und mit Sicherheit das Parlament in den kommenden Wochen mit Hilfe und Unterstützung des luxemburgischen Ratsvorsitzes ein konzertiertes Vorgehen der Organe anstreben und versuchen, eine gemeinsame Erklärung über die strategischen Ziele zu erreichen.

Das bedeutet, Herr Präsident, verehrte Abgeordnete, dass Sie auf die Kommission zählen können, dass wir mit Entschlossenheit und Verantwortungsgefühl ein gemeinsames Projekt verwirklichen und eine Partnerschaft für die Erneuerung Europas ins Leben rufen können. Damit erfüllen wir bereits jetzt den Geist der Verfassung. Damit zeigen wir, dass die Organe der EU – Parlament, Rat und Kommission – in der Lage sind, eine klare Linie für die Zukunft festzulegen. Ich möchte Ihnen deshalb aufrichtig für Ihre Unterstützung und Ihre Bereitschaft danken.

Wann, wenn nicht jetzt, ist der Zeitpunkt gekommen, da das strategische Programm in praktische Maßnahmen überführt werden muss. Verehrte Abgeordnete, Sie haben hartnäckig ein Thema angesprochen, dass auch heute auf unserer Kommissionssitzung eine Rolle spielte und das Bestandteil unseres Dokuments ist, und zwar die Fähigkeit zur Umsetzung. Wir wollen uns auf die Verwirklichung konzentrieren, auf die effektive Umsetzung, damit die Pläne nicht nur auf dem Papier stehen, sondern die Bürger sehen, dass etwas geschieht, dass wir die Pläne tatsächlich umsetzen.

Der erste Schritt auf dem Weg der Umsetzung, der erste Schritt, um dieses strategische Programm mit Leben zu erfüllen – was, wie ich heute feststellen konnte, breite Unterstützung findet – wird die Überprüfung der Lissabon-Strategie sein. Kommende Woche werden wir hier die so genannte Halbzeitbilanz der Lissabon-Strategie vorlegen, denn es geht darum, unsere Prioritäten, vor allem den Schwerpunkt der Schaffung von Wohlstand, konkret umzusetzen, also Wachstum und Beschäftigung zu bewirken, Wachstum und Beschäftigung als wichtige Schwerpunkte. Die Lissabon-Strategie beinhaltet jedoch, und darauf haben wir stets hingewiesen, viele Elemente, die sich auf dem Weg zu diesem Ziel gegenseitig den Rang ablaufen. Deshalb stimmt es, worauf einige Abgeordnete hingewiesen haben: bei bestimmten Gesetzgebungsinitiativen könnte es zu Problemen kommen. Ich darf Ihnen deshalb versichern, dass auf diese Fragen speziell eingegangen wird, sobald wir die Halbzeitüberprüfung der Lissabon-Strategie vorstellen.

Sie werden dann feststellen, dass diese Kommission sagt, was sie tut, und tut, was sie sagt, dass sie den Mut besitzt, Vorschläge zu unterbreiten, und den Ehrgeiz, sie umzusetzen. Ich möchte Ihnen hier auch sagen, dass ich mit Ihrer Unterstützung rechne.

Nun möchte ich auf einige allgemeine Fragen antworten, die hier während der Aussprache gestellt wurden. Zunächst die Frage des Zusammenhalts. Wenn es eine Frage gibt, über die Sie mit uns nicht zu streiten brauchen, dann ist es die Frage des Zusammenhalts. Die Kommission muss in dieser Frage nicht überzeugt werden, denn wir wissen, dass der Zusammenhalt ein wesentliches Element des europäischen Modells ist. Was wir jetzt brauchen, ist Ihre Unterstützung, damit es möglichst noch während des luxemburgischen Ratsvorsitzes wirksame Unterstützung für die neue Finanzielle Vorausschau gibt. In der Tat haben wir heute, wie auch in anderen Aussprachen, eine Reihe von Prioritäten gesehen, die nur umgesetzt werden können, wenn die Europäische Union über die ihren Ambitionen entsprechenden Mittel verfügt. Wir haben hier über das Verkehrsnetz für Europa gesprochen, über Bildung und Kultur, die wir uns konkreter anschauen werden, wenn wir die Lissabon-Strategie vorstellen, denn ein wesentliches Element dieser überprüften Strategie ist unserer Meinung nach das, was wir als „Wissen für das Wachstum“, das „Wissen für die Entwicklung“ bezeichnen.

Einige Abgeordnete haben heute auch über den Zusammenhalt in Bezug auf die schwächsten Regionen gesprochen, die Regionen mit Entwicklungsrückstand, unabhängig davon, ob sie sich nun in den neuen oder in den alten Mitgliedstaaten, in den reichen oder den weniger entwickelten Ländern befinden. In der Tat muss es Anstrengungen für den Zusammenhalt geben, denn ohne Zusammenhalt gibt es keine Solidarität, ohne Solidarität fehlt auch die Sinnstiftung der Union. Deswegen fordere ich Sie, meine Damen und Herren Abgeordneten, auf, dass wir uns bei unseren Regierungen, den Regierungen der verschiedenen Mitgliedstaaten, dafür einsetzen, Unterstützung für das Konzept der Solidarität zu erlangen, das Konzept des wahren Zusammenhalts in Bezug auf die am stärksten benachteiligten Teile des Gesellschaft und auf die Regionen unserer Union, die am weitesten zurückliegen.

Unser Modell ist das europäische Modell. Ich hoffe, dass es diesbezüglich keinerlei Zweifel gibt. Das europäische Modell ist unser Modell. Gleichwohl befinden wir uns in einer Situation der Globalisierung und des wachsenden Wettbewerbs, stehen wir vor großen Herausforderungen. Wir müssen deshalb von dem lernen, was andere tun, ohne dass wir unser Modell ändern.

Was beispielsweise die Erforschung neuer Technologien angeht, so hinken wir unseren Partnern hinterher. Damit meine ich nicht, unser Modell durch ihres zu ersetzen. Allerdings meine ich, dass Europa die Erforschung neuer Technologien stärker unterstützen sollte, gleichzeitig aber die einzelnen Bestandteile unseres Modells beibehalten und stärken muss.

Deshalb, Herr Präsident, kann ich mit Genugtuung feststellen, dass es heute praktisch keine theologische Diskussion im negativen Sinne des Wortes über unsere vorrangigen Ziele gegeben hat, und dass es uns im Verlaufe der Diskussion gelungen ist, einen breiten Konsens zu erzielen und zu zeigen, dass wirtschaftliche Dynamik und ein liberalisierter und dynamischer Binnenmarkt mit Gerechtigkeit und sozialem Zusammenhalt nicht unvereinbar sind. Wir müssen gleichzeitig in beiden Richtungen voranschreiten, also in Richtung größere Liberalisierung der Märkte und größeren sozialen Zusammenhalt.

Wenn wir die Übereinstimmung erzielen, wie sie heute im Parlament feststellbar ist, dann ist das eine Bestätigung dafür, dass wir in Europa unsere Vielfalt und die Vielfalt der Meinungen im Parlament in eine Stärke verwandeln können und sie kein Schwachpunkt sind. Ich freue mich besonders, weil ich feststellen konnte, dass es möglich ist, über ein Programm, das ein Programm der Veränderung ist, und eine Partnerschaft, die eine Partnerschaft für Erneuerung ist, breiten Konsens zu erzielen.

Ich habe Ihnen, meine Damen und Herren Abgeordneten, bei meinem ersten Besuch hier im Parlament versprochen, dass ich in Partnerschaft mit dem Parlament zusammenarbeiten werde. So hatte ich mich Ihnen gegenüber, Herr Präsident, geäußert, und so hatte ich mich gegenüber allen politischen Kräften geäußert. Die Kommission beweist, dass sie ihr Versprechen hält. Im Verlauf der Aussprachen haben wir uns mit dem vertraut gemacht, was Ihnen am Herzen liegt, und so sei noch einmal gesagt, das wir mit dem Parlament im Rahmen dieser positiven partnerschaftlichen Beziehung zusammenzuarbeiten bereit sind. Dazu möchte ich das Parlament beglückwünschen. Ich möchte Ihnen auch sagen, dass es mein Wunsch, der Wunsch der gesamten Kommission ist, mit Ihnen zusammenzuarbeiten, und bitte Sie um Ihre Unterstützung. Ihre Unterstützung und auch Ihre Kritik, wenn es Ihrer Meinung nach Gründe gibt, um Kritik an der Kommission zu äußern. Denn mit Ihrer Unterstützung haben wir die Gewissheit, dass wir in den kommenden fünf Jahren unsere Partnerschaft für ein erneuertes Europa weiterentwickeln werden.

 
  
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  Der Präsident. – Die Aussprache ist geschlossen.

Die Abstimmung findet während der nächsten Sitzungsperiode im Februar statt.

 
  
  

Schriftliche Erklärung (Artikel 142 GO)

 
  
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  Hudghton (Verts/ALE) schriftlich. – (EN) Herr Barroso erklärte, dass die Kommission stärkeres Wirtschaftswachstum und größeren Zusammenhalt in der gesamten EU fördern möchte. Zeitgleich mit dieser strategischen Erklärung veröffentlichte Eurostat die jüngsten Wachstumsdaten, aus denen hervorgeht, dass die Wirtschaftsleistung Schottlands im Vergleich zu anderen, ähnlich großen europäischen Ländern recht niedrig ist. Den Zahlen zufolge liegt das Pro-Kopf-BIP Schottlands unter dem BIP anderer kleiner Länder wie Irland, Dänemark und Finnland.

Diese neuen EU-Zahlen belegen wieder einmal, dass die Wirtschaftleistung Schottlands sehr gering ist. Was das Wachstum angeht, bleibt Schottland hinter kleinen Ländern wie Irland, Dänemark und Finnland erneut zurück.

Insbesondere im Norden fielen die Zahlen für die Regierung vernichtend aus. Nach der EU-Erweiterung schneiden die Highlands und die Inseln sogar schlechter ab als einzelne Regionen der Tschechischen Republik, der Slowakei und Ungarns. Schottland muss nunmehr dem direkten Wettbewerb mit Osteuropa standhalten, was Arbeitsplätze und Wohlstand anbelangt.

Eigentlich sollte Schottland besser dastehen. Die Iren haben keine Ölvorkommen. Die Finnen können nicht mit einer erstklassigen Whiskyindustrie aufwarten. Sie sind jedoch befugt, die Schaffung von Wohlstand selbst in die Hand zu nehmen. Das fehlende Schlüsselelement in der schottischen Wirtschaft ist die echte Entscheidungsbefugnis – es mangelt einfach an Eigenständigkeit.

 
  
  

VORSITZ: JOSEP BORRELL FONTELLES
Präsident

 

7. Lage im Nahen Osten
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  Der Präsident. Nach der Tagesordnung folgt die Erklärung des Hohen Vertreters für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, Herrn Solana, über die Lage im Nahen Osten. Wir heißen ihn in unserer Plenarsitzung willkommen.

 
  
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  Solana, Hoher Vertreter. (ES) Herr Präsident, ich weiß, dass die heutige Sitzung lang und hart war, deshalb werde ich versuchen, mich kurz zu fassen; doch es kann kein Zweifel bestehen, dass die Problematik, über die wir hier sprechen, für die Europäische Union von größter Wichtigkeit ist, und deshalb will ich bei aller Kürze versuchen, so präzise wie möglich zu sein, um Ihnen eine Darstellung der jüngsten Ereignisse in dieser Region, die uns so sehr am Herzen liegt, zu geben und Ihnen gleichzeitig eine Idee darüber zu vermitteln, wie wir angesichts der Chance, die sich gerade eröffnet hat, vorwärts kommen können.

Es wäre falsch zu glauben, dass die Europäische Union nicht eine überaus wichtige Rolle in dieser Region spielt. Dafür gibt es klare Beispiele. Unter Ihnen ist ein Abgeordneter, Herr Rocard, der die gesamte Beobachtermission geleitet hat und den ich in meinem eigenen Namen und, wie ich glaube, in dem aller Mitglieder des Parlaments und fraglos in dem aller Palästinenser und der Männer und Frauen Israels zu der außerordentlichen Arbeit beglückwünschen möchte, die er und seine Mitarbeiter in diesem äußerst komplizierten Zeitraum der Wahlen in Palästina geleistet haben. Deshalb vielen Dank an unseren Freund Michel Rocard, ich wünsche ihm größte Erfolge in der noch vor ihm liegenden Arbeit.

Ich kann Ihnen auch berichten, dass ich das Privileg hatte, in Vertretung der Europäischen Union als Erster Gespräche mit dem gewählten Präsidenten, Abu Mazen, sowie mit dem Premierminister, Abu Ala, zu führen. Ich glaube, dass beide Unterredungen von großer Bedeutung für den Versuch waren, die Zukunft Palästinas zu gestalten und die bestmögliche Form zu finden, in der wir Europäer zur Bewältigung der historischen Probleme, die heute einer Lösung zweifellos näher gekommen sind, beitragen können.

Während der Woche, die ich dort verbracht habe und über die ich die Abgeordneten informieren möchte, hatte ich auch Gelegenheit, seine Majestät den König von Jordanien und dessen Regierung sowie Präsident Mubarak und die Verantwortlichen in Ägypten zu sprechen, die mit großer Entschlossenheit die Zusammenarbeit zwischen Palästinensern und Israelis betreiben.

Meine Damen und Herren, um der Kürze willen möchte ich meine Rede in drei Abschnitte gliedern: erstens, wie ich die Lage in Palästina sehe; zweitens, wie ich sie aus dem Blickwinkel Israels sehe; und drittens, wie wir meiner Ansicht nach aus europäischer Perspektive voranschreiten sollten, um den Friedensprozess zu unterstützen, für den, wie ich glaube, größere Geschwindigkeit, Schwungkraft und Entschlossenheit erforderlich sind.

Meine Damen und Herren, was die palästinensische Seite betrifft, so möchte ich Ihnen die Stimmung der Bürgerinnen und Bürger Palästinas am Wahltag und den nachfolgenden Tagen nahe bringen. Wenn Sie mir gestatten, würde ich gern mit wenigen Worten die Empfindungen darstellen, die ich in jenen Tagen in Palästina, sowohl in Ramallah als auch im Gaza-Streifen, verspürte. Das erste Wort ist Stolz: der Stolz, imstande gewesen zu sein, eine äußerst schwierige Krise sehr gut zu meistern, deren Ende nicht vorhersagbar war, als sie mit dem Eintreffen von Präsident Arafat in Paris begann. Die Palästinenser haben diese kritische Situation außerordentlich gut und mit großer Reife bewältigt, und ich glaube, dass die internationale Gemeinschaft und wir Europäer der Fähigkeit und dem Geschick einer Gesellschaft Beachtung schenken müssen, die in der Lage ist, die Dinge voller Stolz gut zu machen. Und ebenso wie dieses Gefühl des Stolzes gibt es ein allgemeines Gefühl der Hoffnung, einer Hoffnung, die wir aufrechterhalten müssen und bei der wir nicht zulassen dürfen, dass sie aufgrund mangelnder politischer Aktionen seitens Israels oder seitens der internationalen Gemeinschaft zerbricht.

Meine Damen und Herren, die schwierigste Zeit, die wir vor uns haben, ist fraglos der Zeitraum von heute bis Juli, August oder vielleicht September. In dieser Periode müssen noch einige sehr wichtige Ereignisse stattfinden. Aus palästinensischer Sicht sind das wichtigste vielleicht die Parlamentswahlen. Die Präsidentschaftswahlen sind zuweilen vielleicht die leichteren; die Parlamentswahlen werden komplizierter sein, sie werden unsererseits eine detailliertere Vorbereitung erforderlich machen, und wie Sie wissen, werden sie auf der Grundlage eines Wahlgesetzes stattfinden, das eine Mehrheits- und auch eine Verhältniskomponente enthält. Die verschiedenen politischen Formationen aus dem gesamten politischen Leben Palästinas werden somit die Möglichkeit der Beteiligung haben. Es wäre sehr wichtig für alle, vor allem für uns und für das palästinensische Volk, dass jene Kräfte die Mehrheit erhalten, die den Friedensprozess befürworten und die weitere Fortschritte in der Richtung wollen, die Präsident Abu Mazen im Wahlkampf ganz klar aufgezeigt hat.

Während der Wahlkampagne machte Präsident Abu Mazen einige sehr mutige Aussagen, die wir gehört und begrüßt haben. Sie bezogen sich auf die gewaltsame Intifada, den Friedensprozess und seine Dialogbereitschaft. In der Tat müssen wir das, was Präsident Abu Mazen während der Wahlkampagne und auch in den ersten Tagen seiner Amtstätigkeit getan hat, als außerordentlich beachtenswert anerkennen. Er hatte den Mut, Dinge zu sagen, die gesagt werden mussten, und er sagte sie gut, und er sagte sie nicht nur, sondern er setzt seine Worte in die Tat um; er hat begonnen, die Maßnahmen zu ergreifen, die er im Wahlkampf angekündigt hat.

Deshalb ist es äußerst wichtig, meine Damen und Herren, dass die internationale Gemeinschaft und die Europäische Union diesen Prozess unterstützen. Lassen Sie mich unterstreichen, dass dieses Empfinden, das ich Ihnen vermitteln möchte, nicht nur in der Hierarchie, in der Umgebung des Präsidenten oder bei den Verantwortlichen, die derzeit an der Spitze der Palästinensischen Autonomiebehörde stehen, vorhanden ist. Die Zivilgesellschaft fühlt ebenso. Ich habe mich in Ramallah mit führenden Vertretern der Zivilgesellschaft getroffen und habe gesehen, dass sie die gleichen Gefühle hatten und teilten: das Gefühl der Hoffnung und das Gefühl des Stolzes, das unter Geschäftsleuten und Lehrern, Ärzten und Verwaltungsangestellten anzutreffen ist. Deshalb haben wir die Pflicht, alles in unseren Kräften Stehende zu tun, um dieses Gefühl des Stolzes und der Hoffnung aufrechtzuerhalten.

Meine Damen und Herren, um Ihnen eine Vorstellung von der Lage in den Gebieten und der Vielzahl der Dinge, die noch getan werden müssen, zu geben, gestatte ich mir, Ihnen eine kleine Episode von einem Treffen zu erzählen, das ich mit einer Gruppe von Geschäftsleuten hatte, die legal in Ramallah oder dem Gaza-Streifen arbeiten und die versuchen, unter sehr schwierigen Bedingungen ihren Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung zu leisten. Einer von ihnen sagte mir: „Wenn ich einen Container Tomaten beispielsweise von Ramallah nach Gaza bringe, kostet mich das doppelt so viel wie die Einfuhr des gleichen Containers von Hamburg (Deutschland) nach Gaza, die auch bei weitem nicht so lange dauert: zweieinhalb Wochen für den Transport des Containers von Ramallah nach Gaza und praktisch einen oder anderthalb Tage von Hamburg nach Gaza“. Das ist die wirtschaftliche Lage, mit der auch diejenigen konfrontiert sind, die beim wirtschaftlichen Wiederaufbau des Landes helfen wollen. Somit ist dort viel zu tun, auf allen Gebieten, vom politischen bis zum wirtschaftlichen. Und ich hoffe, dass dieses Beispiel die derzeitige Situation in der Region für jene Abgeordneten veranschaulicht, die noch nicht dort waren.

Im Gaza-Streifen ist die Lage noch viel gravierender, meine Damen und Herren. Sehr wenige Menschen waren in letzter Zeit dort; ich habe einen ganzen Tag im Gaza-Streifen verbracht und bin dort mit politischen Vertretern und auch mit der Zivilgesellschaft zusammengetroffen. Wenn wir jetzt über Disengagement, über den Abzug aus dem Gaza-Streifen sprechen, müssen wir bedenken, dass der Gaza-Streifen praktisch ein Gebiet ist, das, wenn es auch nicht völlig zerstört ist, doch dramatische Veränderungen erlebt hat, seit ich vor sechs Monaten zum letzten Mal dort war. Die Lage ist von extremer Armut und sehr großen Zerstörungen gekennzeichnet, sei es im Norden, dem an Israel grenzenden Teil, oder im Süden, dem so genannten „Philadelphia-Korridor“, oder direkt in der Hauptstadt, der historischen Stadt Gaza.

Dies ist also die Lage, in der wir uns befinden. Doch ich sagte, dass die Zeit von heute bis zum Sommer sehr wichtig sein wird. Warum? Wegen der Parlamentswahlen, wie ich zuvor bemerkt habe, aber auch, weil die Palästinenser selbst beschlossen haben, Wahlen in der wichtigsten Organisation durchzuführen, die das Herzstück der Palästinensischen Befreiungsorganisation bildet, der Fatah. In der Fatah werden im Sommer ebenfalls Wahlen stattfinden, was zweifellos eine Veränderung in den palästinensischen Vertretungsstrukturen und sicherlich auch einen Generationswechsel in den palästinensischen Behörden bedeuten wird.

Meine Damen und Herren, ich hoffe, dass uns diese kurzen Bemerkungen ein Bild von der Lage im Hinblick auf die palästinensische Seite geben. Wenn ich mir wünschen könnte, dass Sie einen Ausdruck in Erinnerung behalten, dann sollte es meiner Ansicht nach der sein, den ich zuvor gebraucht habe: Stolz auf das, was getan wurde, und Hoffnung in Bezug auf das, was noch zu tun ist.

Meine Damen und Herren, ich möchte im Folgenden einige kurze Ausführungen dazu machen, was ich in Israel vorfand, wo ich mit allen politischen Führern, angefangen von Premierminister Sharon über den Außenminister bis zum Verteidigungsminister und den Verteidigungskräften gesprochen habe, aber auch direkt mit der Gesellschaft. Wie ihnen bekannt ist, vollzog sich während der Wahlen in Palästina ein Regierungswechsel in Israel, der, wie Sie wissen, nur mit äußerster Knappheit zustande kam: die Regierung von Premierminister Sharon gewann mit einem Vorsprung von gerade mal zwei Stimmen. Obwohl also in der palästinensischen und israelischen Gesellschaft die Mehrheit für den Frieden allmählich wächst, ist in der Knesset, dem Parlament, noch solch eine tief greifende Spaltung vorhanden, dass es Premierminister Sharon nicht gelang, sich die Stimmen von vierzehn Mitgliedern der Mehrheitspartei, seiner eigenen Partei, dem Likud, zu sichern, so dass die neue Regierung mit den Stimmen einer abgespaltenen Minderheitspartei, der Partei von Yossi Beilin, und dank der Stimmenthaltung von zwei Mitgliedern einer arabischen Partei gewählt wurde, die sich enthielten, um der Regierung zu helfen, die Abstimmung zu gewinnen.

Die augenblickliche Lage der Regierung in Israel ist also von potenzieller Instabilität gekennzeichnet. Doch das wichtigste Thema, mit dem wir von israelischer Seite ebenfalls konfrontiert sind, ist das, was wir als den Abzug aus dem Gaza-Streifen bezeichnen könnten. Wir Europäer haben die Bedingungen genannt, unter denen wir den Rückzug aus dem Gaza-Streifen unterstützen würden, und unter diesen Bedingungen werden wir ihn unterstützen. Ich glaube, dass diese Bedingungen unter diesen Umständen mit größerer Klarheit zu Tage treten werden. Wie Sie wissen, lauteten die Bedingungen, die wir seit einiger Zeit gestellt haben, dass dieser Prozess, der als Rückzug aus dem Gaza-Streifen bekannt ist, Bestandteil des endgültigen Friedensabkommens sein muss, von dem wir alle träumen, der unsere Gedanken bewegt und der in zwei Staaten münden muss. Der Rückzug aus dem Gaza-Streifen darf nicht das Ende eines Prozesses bedeuten, sondern muss den Beginn eines Prozesses markieren, der zu seinem endgültigen Ziel, dem Ende der Besetzung der Palästinensergebiete, führen muss.

Aus dieser Sicht ist es sehr wichtig, dass wir den Zeitplan für diesen Abzug aus dem Gaza-Streifen kennen. Der Zeitplan stimmt praktisch mit dem Kalender der Wahlen in Palästina überein. Worüber noch abgestimmt werden muss – und wir werden sehen, ob dies Ende März gelingt –, ist die Annahme des Haushalts; es wird sich zeigen, ob eine ausreichende Mehrheit vorhanden ist, damit der Haushalt in der Knesset angenommen werden kann, und nach seiner Verabschiedung in der Knesset würde der Disengagement-Prozess, der Abzug aus dem Gaza-Streifen, Ende August oder Anfang September erfolgen. Meine Damen und Herren, wenn wir Karten zur Veranschaulichung der Lage in Palästina und der Lage in Israel im Hinblick auf die jeweiligen Zeitpläne übereinander legen könnten, würden wir sehen, dass beide Zeitpläne praktisch übereinstimmen. Deshalb, meine Damen und Herren, stehen wir vor einer äußerst heiklen und schwierigen Situation, in der aber, wie ich schon sagte, die Mehrheit der politischen Akteure, die eine entscheidende Rolle zu spielen haben, voller Hoffnung und guten Willens sind.

Meine Damen und Herren, es ist also ersichtlich, dass es zur Aufrechterhaltung dieser von den Palästinensern geäußerten Hoffnung und zur Bewahrung dieses Gefühls des Stolzes unbedingt notwendig ist, dass die Dinge in Bewegung kommen, was Aktivität auf Seiten der Palästinenser voraussetzt. Sie sind schon aktiv geworden, und Präsident Abu Mazen hat in den letzten Tagen sehr wichtige Entscheidungen getroffen, mit denen versucht werden soll, den Gewaltakten ein Ende zu setzen, die eine Wiederaufnahme der Verhandlungen und des Dialogs zwischen Palästinensern und Israelis verhindert haben. Im Ergebnis dieser von ihm ergriffenen Maßnahmen fand heute das erste Treffen nach dem Abbruch der Verhandlungen zwischen den Kabinettschefs von Premierminister Sharon und von Minister Erekat statt, das, wie ich gerade erfahren habe, positiv verlaufen ist und eine kleine Hoffnung auf die Möglichkeit eröffnet hat, dass die Kontakte zwischen Palästinensern und Israelis wieder aufgenommen werden.

Wenn alles gut geht, wird es in zwei Wochen eine neue palästinensische Regierung geben, Premierminister Abu Ala hat ihre Zusammenstellung praktisch abgeschlossen, und es gibt eine Vereinbarung zwischen Präsident Abu Mazen und Premierminister Sharon, gleich nach der Regierungsbildung ein erstes Treffen auf höchster Ebene durchzuführen. Das ist auch die Position unserer israelischen Freunde, und sie sind bereit, die augenblickliche Sicherheitslage aufrechtzuerhalten. Dank der Bemühungen von Präsident Abu Mazen ist es also möglich, dass dieses Treffen zustande kommt und ein Dialog zwischen den beiden Seiten aufgenommen wird, der zu einer etwas klareren politischen Perspektive als der gegenwärtigen führen wird.

Warum ist es so wichtig, dass eine politische Perspektive existiert?

Ohne eine politische Perspektive wird es für die Bürger Palästinas sehr schwierig sein, ihr Gefühl der Hoffnung und des Stolzes auf das Erreichte zu bewahren, und für uns, Nutzen daraus zu ziehen. Deshalb muss es, wie ich schon sagte, eine politische Perspektive geben, die die israelische Führung bieten muss.

Meine Damen und Herren, ich glaube, dass sich nicht nur ein Fenster oder eine Tür der Hoffnung geöffnet hat. Ich würde weiter gehen: Ich glaube, dass sich ein Weg der Hoffnung, eine breite Straße der Hoffnung geöffnet hat, und wir müssen alles nur Mögliche tun, um zu sichern, dass dieser Weg beschritten werden kann und dass wir ihn bis zu Ende gehen können. Und wir alle kennen das Ziel: Das Ziel sind zwei Staaten: ein lebensfähiger, demokratischer palästinensischer Staat, der Seite an Seite mit dem Staat Israel existieren kann, so dass nicht nur Frieden zwischen Israel und Palästina herrscht, sondern dass dieser sich auch auf die gesamte Region auswirkt. Ich kann Ihnen sagen, dass dies der Traum aller Bürger Palästinas ist; ich glaube, dass es der Traum vieler Bürger Israels und sicherlich auch der Traum aller Europäer ist, insbesondere jener, die einen großen Teil ihres Lebens darauf verwendet haben, eine endgültige Lösung für dieses furchtbare Problem zu finden, das nicht nur Auswirkungen für jene hat, die ganz unmittelbar darunter leiden, sondern viel weiter reichende Folgen.

Ich möchte sagen, und ich will es nochmals sagen, dass bestimmte Länder die Probleme des Nahen Ostens als strategische Probleme betrachten. Für uns sind es nicht nur strategische Probleme. Wir Europäer sehen sie auch als Nachbarschaftsprobleme; was im Nahen Osten geschieht, betrifft uns, und zwar nicht nur, wie ich bemerkte, aus strategischen Gründen, sondern auch aufgrund der Nähe. Der Nahe Osten liegt in unserer Nachbarschaft, es handelt sich um unsere Nachbarn und auch unsere Freunde.

Deshalb muss ich noch einmal betonen, dass wir Europäer eine große Verantwortung tragen. Wir sind seit dem ersten Tag tätig gewesen, sowohl mit dem Team von Premierminister Abu Ala und Präsident Abu Mazen als auch mit dem Team von Premierminister Sharon, um zu sehen, wie wir die beiden bereits genannten, grundlegenden Dingen erreichen können: die Situation vor Ort zu verändern und zu versuchen, eine politische Perspektive zu eröffnen, die nur darin bestehen kann, so schnell wie möglich zur Roadmap zurückzukehren, der wir alle, die internationale Gemeinschaft, zugestimmt haben, um der Verwirklichung dieses Traums näher zu kommen.

Was können und was müssen wir tun? Wir müssen, in Zusammenarbeit mit den anderen Mitgliedern der internationalen Gemeinschaft, die dies wünschen, zumindest drei wichtige Dinge tun.

Erstens, weiterhin so intensiv wie möglich im Wahlprozess mitwirken; ich möchte die Bedeutung des Wahlprozesses vom jetzigen Zeitpunkt bis zu den Parlamentswahlen und anschließend der Wahlen in der Fatah-Organisation nochmals betonen.

Zweitens, Hilfe leisten in Bezug auf die Sicherheit. Wie Sie wissen, leisten wir für die Planung der palästinensischen Sicherheitskräfte aus europäischer Sicht Beratung, Unterstützung und Hilfe, in enger Zusammenarbeit mit einem wichtigen Land, Ägypten, das große Anstrengungen unternimmt, um diese in die Lage zu versetzen, ihre Aufgaben so gut wie möglich zu übernehmen und auszuführen.

Drittens, wir sind zu wirtschaftlicher Hilfe verpflichtet. Wir leisten sie schon seit vielen Jahren, aber wir müssten sie jetzt vielleicht, wenn nicht intensiver, so zumindest entschlossener, zielgerichteter für die grundlegenden aktuellen Prioritäten leisten.

Meine Damen und Herren, meine Redezeit geht zu Ende; ich wollte Ihnen lediglich diese ersten Überlegungen darlegen. Ich könnte stundenlang über die Emotionen und Erfahrungen dieser wenigen Tage großer Erkenntnisse und politischer Intensität berichten. Die Zeit erlaubt es mir nicht, doch ich möchte Ihnen das Gefühl hinterlassen, dass es Hoffnung, dass es eine Chance gibt, dass der Wille auf beiden Seiten vorhanden ist, zu arbeiten, gemeinsam zu arbeiten, mit einem Gefühl der Verantwortung und Pflicht, einen Weg zur Lösung dieses äußerst schwierigen Problems zu finden.

Wenn wir wollen, sind wir dazu imstande. Unsere Partner wollen; wir werden ihnen helfen.

(Beifall)

 
  
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  Ferrero-Waldner, Kommission. (EN) Herr Präsident, als Erstes möchte ich sagen, dass ich der Analyse unseres Hohen Vertreters, Herrn Solana, zustimme. Außerdem freue ich mich, zum ersten Mal in einer Aussprache über den Nahen Osten zu Ihnen sprechen zu können, insbesondere da erstmalig seit vielen Jahren vorsichtig optimistische Töne angeschlagen werden. Daher finde ich es wunderbar, hier zu sein und mit Ihnen über die Anliegen der Kommission zu sprechen, die natürlich ganz stark das ergänzen, was Herr Solana gesagt hat.

In der Region finden tatsächlich äußerst ermutigende Entwicklungen statt. Der amtierende Ratspräsident, Herr Asselborn, hat gerade Jerusalem und dem Gaza-Streifen einen Besuch abgestattet, und er ist der Ansicht, dass sich beide Parteien vorwärts bewegen, so wie das Herr Solana gerade dargelegt hat. So geht auch aus Umfragen, die seit den palästinensischen Wahlen durchgeführt wurden, hervor, dass nun eine wachsende Mehrheit der Palästinenser und Israelis einen Friedensprozess und eine friedliche Lösung des Konflikts auf der Grundlage einer Zweistaatenlösung unterstützt. Das an sich ist eine sehr wichtige und viel versprechende Entwicklung.

Die Präsidentschaftswahlen sind sehr gut gelaufen. Ich bin Herrn Michel Rocard, der unter diesen schwierigen Umständen gemeinsam mit seinem Team hervorragende Arbeit geleistet hat, sehr dankbar und weiß dieses Engagement sehr zu schätzen. Außerdem möchte ich noch einmal der Wahlbeobachtungsmission und den Mitgliedern dieses Parlaments danken, die zum Erfolg beigetragen haben.

Das politische Ergebnis der Wahlen gibt Anlass zur Hoffnung. Die palästinensischen Wähler haben ihren Wunsch nach Frieden und Demokratie zum Ausdruck gebracht, und jetzt sind die Wahlen zu einem Ansporn für eine demokratischere Entwicklung in der gesamten Region geworden. Parallel dazu haben wir dem Wahlbericht große Beachtung geschenkt, und wir werden mit den Palästinensern zusammenarbeiten, um Mängel im Wahlverfahren auszumerzen, insbesondere wenn es um die Unabhängigkeit der Zentralen Wahlkommission geht. Unseres Erachtens ist dies angesichts der bevorstehenden Parlaments- und Kommunalwahlen von zentraler Bedeutung.

Wir teilen die Ansicht von Herrn Solana, dass Abu Mazen ein glaubwürdiger Partner für den Frieden und ein kompetenter Gesprächspartner für den Aufbau von palästinensischen Institutionen ist, wozu auch die Reform der Sicherheitsstrukturen gehört. In den vergangenen Tagen hat er mit der Stationierung von Polizeikräften im nördlichen Teil des Gaza-Streifens, der Umstrukturierung der Sicherheitsdienste und, wie am Montag in den Medien berichtet wurde, mit einer Einigung mit den palästinensischen Splittergruppen auf eine Beendigung der Angriffe gegen Israel Führungsstärke bewiesen. All das spricht für eine sehr verhaltene positive Entwicklung.

Jetzt kommt es darauf an, dass die internationale Gemeinschaft schnell handelt, um ihn zu unterstützen. Das palästinensische Volk erwartet spürbare Zeichen des Fortschritts: eine Verbesserung seiner sozialen und wirtschaftlichen Lage, Wiederherstellung der Achtung von Recht und Ordnung sowie Fortschritte beim Aufbau von Institutionen und bei den Reformen. Ich kann Ihnen versprechen, dass die Europäische Kommission ihren Part dabei übernehmen wird.

Vieles habe ich meinem Vorgänger, Herrn Patten, zu verdanken, der in äußerst schwierigen Zeiten die palästinensische Fahne hochgehalten hat. Außerdem danke ich all denen hier im Parlament, die ihn dabei unterstützt haben. Ich werde in diesem Sinne fortfahren, ganz besonders jetzt, wo es noch wichtiger geworden ist, da jetzt der richtige Zeitpunkt zu einem verstärkten Handeln gekommen ist. Hoffentlich werden wir auch die Möglichkeit erhalten, unsere Zusammenarbeit bei verschiedenen Projekten zu verstärken.

Im Jahre 2004 haben wir ca. 250 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, und 2005 werden wir eine ähnliche Summe bereitstellen. Wir werden genau darauf achten, wofür unser Geld ausgegeben wird.

Jetzt verfügen wir über ein neues Instrument, das in Form von Aktionsplänen im Rahmen unserer Nachbarschaftspolitik im Dezember beschlossen wurde. Diese enthalten politische sowie wirtschaftliche Maßnahmen zur Unterstützung des Friedensprozesses. Dazu gehören Handelserleichterungen, die Förderung guter Regierungsführung und die Achtung der Menschenrechte, Verständnis und die Bekämpfung des verheerenden Einflusses der Aufwiegelung zum Hass, der leichtere Zugang zu und die stärkere Achtung des humanitären Völkerrechts sowie die Verbesserung der Zusammenarbeit in äußerst praktischen Fragen, die hoffentlich zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen führen wird, wie Umwelt, Wasser, Energie und Verkehr.

Ebenso freuen wir uns auf einen verbesserten politischen Dialog, der es uns ermöglichen wird, nicht nur Fragen aufzuwerfen, die den Friedensprozess betreffen, sondern die sich auch auf Massenvernichtungswaffen beziehen. In Kürze werde ich in die Region reisen und diese Ideen mit den Palästinensern und den Israelis besprechen. Selbstverständlich werden die beiden Parteien den Hauptanteil der Arbeit selbst übernehmen müssen, insbesondere die Vertrauensbildung. Ich kann bereits eine erneute Bereitschaft dazu feststellen. Israel hat vertrauensbildende Maßnahmen zu bieten, z. B. im Sicherheitsbereich oder die Freilassung von Gefangenen, die Lockerung der Einschränkung der Bewegungsfreiheit, die Linderung des wirtschaftlichen Drucks, eine bessere Durchsetzung der Einsatzregeln und Möglichkeiten zur Verringerung der Anzahl der zivilen Opfer.

Klar ist, dass die Palästinenser Maßnahmen zu Sicherheitsfragen erwidern oder sogar im Voraus ergreifen müssen. Sie müssen den innerpalästinensischen Waffenstillstand konsolidieren, sich Gedanken über die israelischen Bedenken machen, dass der Waffenstillstand die Position der Extremisten stärken könne, illegale Waffen einsammeln und die Tunnel unter der Grenze zwischen dem Gaza-Streifen und Ägypten schließen.

Vieles muss getan werden, doch am Wichtigsten ist, dass die Europäische Union – wie Javier Solana sagte – einig in ihrem Wunsch und Willen ist, beiden Seiten dabei zu helfen, diesen Weg in Richtung eines Friedens zu gehen, der es wert ist, Frieden genannt zu werden. Dabei blicken wir auch gespannt auf den Besuch von Präsident Bush und seinem Team am 22. Februar in Brüssel, wo der Nahost-Friedensprozess ganz oben auf unserer Tagesordnung stehen wird. Wenn wir bei dieser Gelegenheit zumindest einige kleine Schritte nach vorn tun können, dann werden wir, parallel zu den Amerikanern, die Chance zur Zusammenarbeit in der weiter gefassten Nahost-Frage erhalten – etwas, wofür wir uns beide einsetzen.

 
  
  

VORSITZ: LUIGI COCILOVO
Vizepräsident

 
  
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  Salafranca Sánchez-Neyra (PPE-DE), im Namen der PPE-DE-Fraktion. – (ES) Vielen Dank, Herr Präsident, vielen Dank auch an den Hohen Vertreter und Kommissarin Ferrero-Waldner für ihre gewaltigen Anstrengungen für die Sache des Friedens in der Region. Es ist klar, dass viele Dinge in dieser vielschichtigen Balance zwischen Krieg und Frieden in Palästina in Bewegung geraten sind: dies zeigt sich an dem zufrieden stellenden Ergebnis der Wahlen, an denen die Union und das Parlament beteiligt waren – ich möchte ebenfalls die Leistung von Herrn Rocard und Herrn McMillan-Scott und anderen nennen –; an der Tatsache, dass wir uns dazu beglückwünschen können, dass die Unterstützung des Terrorismus in der Region seit Juni von 65 % auf 40 % gesunken ist – und diese Zahl muss noch weiter zurückgehen –; an der Notwendigkeit, einen dauerhaften Waffenstillstand mit den extremistischen Organisationen zu schließen, und den Bemühungen des neuen Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde in dieser Richtung, durch die ein neues Klima des Dialogs geschaffen wurde; und sowie an der allmählichen Erkenntnis der israelischen Regierung, dass es einen lebensfähigen palästinensischen Staat geben muss, und gleichzeitig einen Rückzug aus dem Gaza-Streifen und dem Westjordanland.

Alle diese Umstände, Herr Präsident, begünstigen ein neues Klima, und ich glaube, dass die betroffenen Seiten Entscheidungen treffen müssen, sie müssen Risiken eingehen, um den Prozess wieder zu beleben, und sie müssen diese Situation auf die eine oder andere Weise lösen, indem sie die Roadmap wieder aufgreifen.

Es gibt jetzt eine wichtige Voraussetzung, und zwar das Ende der Gewalt. Die Gewalt ist nicht die Lösung, sie ist das Problem, und 4 000 Tote, Tausende von Verletzten und die soziale, wirtschaftliche und auch moralische Zerrüttung einiger Teile Palästinas zeigen deutlich die Ergebnisse dieses ungeheuren Prozesses der Gewalt in der Region.

Frau Ferrero-Waldner hat dies ganz klar zum Ausdruck gebracht: Unglücklicherweise werden die Anstrengungen der Betroffenen nicht ausreichen, um dieser Gewalt dauerhaft ein Ende zu setzen, weshalb die internationale Gemeinschaft sich maßgeblich engagieren muss. Und hier, Herr Präsident, muss die Europäische Union einen Schritt in die richtige Richtung tun und muss ihre Bemühungen nicht nur durch ihre Aktionen verstärken, sondern auch den Willen der Partner im Quartett zusammenführen und Übereinstimmung zwischen ihnen schaffen. So bietet der Besuch von Präsident Bush in Europa eine ausgezeichnete Gelegenheit, die neue Regierung in diesen Friedensprozess einzubinden. Nur durch Entschlossenheit, nur durch die Unterstützung und Stärkung der neuen Palästinensischen Autonomiebehörde, durch die Unterstützung dieser Verwaltung, die Wiederherstellung der Infrastruktur und die Stärkung der Sicherheitsprozesse wird es uns gelingen, Fortschritte in dieser Richtung zu erzielen. Herr Präsident, wenn wir das Ruder fest in der Hand halten und der Geißel des Terrorismus nicht nachgeben, werden wir in der Lage sein, zunächst den Prozess wieder zu beleben und dann den gerechten und dauerhaften Frieden herbeizuführen, nach dem die Region seit fast einem Jahrhundert ruft.

 
  
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  Napoletano (PSE), im Namen der PSE-Fraktion. – (IT) Herr Präsident, Herr Solana, Frau Ferrero-Waldner, meine Damen und Herren! Die palästinensischen Präsidentschaftswahlen brachten wirklich frischen Wind und geben uns nach vielen Jahren der Finsternis Hoffnung auf den Beginn eines Wandels im leidgeprüften Nahen Osten, insbesondere wenn man berücksichtigt, dass sie vor dem Hintergrund der Besetzung stattgefunden haben.

Europa hat mehr als andere an diesen Prozess geglaubt und ihn politisch und wirtschaftlich unterstützt. Die Präsenz Europas ist sichtbar und erheblich, was der Tätigkeit der von Michel Rocard geleiteten Wahlbeobachtungsmission zu verdanken ist, die die ebenso vortreffliche Arbeit der Palästinensischen Zentralen Wahlkommission unterstützt hat, mit der auch die von Herrn McMillan-Scott geleitete Delegation des Europäischen Parlaments eng zusammengearbeitet hat.

Die weitsichtige Entscheidung der palästinensischen Führung, den Nachfolger von Präsident Arafat in freien und transparenten Wahlen bestimmen zu lassen, traf bei der überwiegenden Mehrheit der palästinensischen Bevölkerung auf Zustimmung. Die Palästinenser streben nach Demokratie, aber sie streben auch nach Freiheit. Deshalb setzten sie auf eine Führung, die ihnen aus der augenblicklichen verzweifelten Lage heraushilft. Der neue Präsident Mahmud Abbas hat bereits im Wahlkampf und vor allem durch sein gegenwärtiges Handeln bewiesen, dass er sich ernsthaft engagiert, sowohl an der inneren Front, indem er die Gewalt stoppt und die für die palästinensische Gesellschaft unabdingbaren Reformen einleitet, als auch bei dem Versuch, den Friedensprozess neu zu beleben.

Nun ist es an der israelischen Regierung, denselben konstruktiven Willen unter Beweis zu stellen, indem sie als Erstes die angekündigten einseitigen Maßnahmen, wie den Rückzug aus dem Gazastreifen, im Rahmen der Verhandlungen über den Fahrplan vollzieht und der Siedlungspolitik, dem Bau der gegen das Völkerrecht verstoßenden Mauer sowie jeder unnötigen Einschüchterungsmaßnahme gegenüber der palästinensischen Bevölkerung, die nichts mit Sicherheit zu tun hat, Einhalt gebietet.

Nach diesen Wahlen sieht auch Europa die Glaubwürdigkeit seiner Rolle gestärkt, und vielleicht kann es seinen Einfluss auf die Vereinigten Staaten geltend machen und, worauf die Frau Kommissarin hingewiesen hat, den Besuch von Präsident Bush dafür nutzen.

Darüber hinaus gilt es, die Kontinuität unseres Engagements zu sichern, denn nach den Präsidentschaftswahlen werden Kommunal- und Parlamentswahlen stattfinden. Ich denke, wir müssen das politische Vorgehen, das die palästinensische Führung plant, unterstützen, d. h. die Oppositionsgruppen der Hamas und des Dschihad, die sich des Terrorismus bedienten, wieder in das institutionelle System zurückführen. Wir müssen eine solche Handlung mit Blick auf die Schaffung zweier Staaten unterstützen.

Die erzielten Fortschritte und deren positive Einschätzung durch uns müssen jedoch auch zum Nachdenken über andere Krisen im Nahen Osten anregen. Ich denke dabei, ohne etwas zu beschönigen, an die Lage im Irak, bei der es sich um eine völlig andere Situation handelt.

 
  
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  Neyts-Uyttebroeck, Annemie (ALDE), im Namen der ALDE-Fraktion.(NL) Herr Präsident, Frau Kommissarin, Herr Hoher Vertreter! Ich werde, wie Sie wohl vermuten, in Niederländisch sprechen.

In Israel hat eine neue Regierungskoalition ihr Amt angetreten, und in Palästina haben Präsidentschaftswahlen stattgefunden. Diese Wahlen sind mit der aktiven Unterstützung und Hilfe der internationalen Gemeinschaft und insbesondere der Europäischen Union zustande gekommen, die mit einer umfassenden Beobachtungsmission unter der Leitung von Herrn Rocard ihren Beitrag dazu geleistet hat. Diese Wahlen wurden abgehalten, weil Israel die Klugheit besaß, ihre Durchführung zuzulassen, auch wenn sie nicht immer ohne Schwierigkeiten verliefen. Man denke an die Situation in Ostjerusalem und an die Schließung des Grenzübergangs zu Ägypten. Die Wahlen wurden jedoch hauptsächlich dank der Reife des palästinensischen Volkes ermöglicht, das sein Engagement für Demokratie, seinen Wunsch nach verantwortungsvoller Staatsführung und Unabhängigkeit der Justiz sowie vor allen Dingen seine Sehnsucht nach Frieden unter Beweis gestellt hat.

Anerkennung möchte ich insbesondere den palästinensischen Frauen zollen, die einen entscheidenden Beitrag zu dem erfolgreichen Ausgang dieser Wahlen geleistet haben. Waren die Wahlen vollkommen zufrieden stellend? Nein sie waren es nicht, aber selbst mit ihren Unvollkommenheiten können sie für die gesamte Region beispielgebend sein, und die Palästinenser können mit Fug und Recht stolz darauf sein. Wir wissen, was die Hauptakteure, nämlich die Palästinensische Autonomiebehörde und Israel, nunmehr zu tun haben, und auch sie wissen es im Grunde genommen. Als unerlässlicher erster Schritt zum Frieden muss das Blutvergießen aufhören und die Gewalt ein Ende haben. Präsident Abbas gelingt es offensichtlich, die palästinensischen bewaffneten Bewegungen zum Gewaltverzicht zu überreden, was kein geringes Verdienst ist. Wir unterstützen ihn darin, und wir ermutigen ihn zum Weitermachen. In Israel fand ein Regierungswechsel statt, um den Rückzug aus dem Gazastreifen durchführen zu können. Wir fordern die israelische Regierung auf, dies auch zu tun, den Bau der Trennmauer zu stoppen und keine unverantwortliche Gewalt mehr anzuwenden. Die vordringlichsten Aufgaben für Israel und Palästina bestehen in der Beendigung der Gewalt, der Wiederherstellung der elementaren Sicherheit sowie in der Rückkehr zur Normalität.

Im Nahen Osten hat sich eine einzigartige Chance aufgetan. Zusammen mit meiner gesamten Fraktion wünsche ich mir nichts sehnlichster als dass dieses Fenster der Gelegenheiten zu einem breiten Tor der Gelegenheiten wird. Die Europäische Union und die USA müssen nun auf der Grundlage ihrer sich ergänzenden Rollen im Rahmen des Quartetts und gemäß der Roadmap dringend sicherstellen, dass Israel und Palästina den Weg des Friedens einschlagen. Herr Hoher Vertreter und Frau Kommissarin, Sie beide können dabei eine entscheidende Aufgabe wahrnehmen. Selten gab es eine solch viel versprechende Perspektive. Jetzt muss gehandelt werden.

 
  
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  Lagendijk (Verts/ALE), im Namen der Verts/ALE-Fraktion. (NL) Herr Präsident! Lassen Sie mich als Erstes meine Anerkennung für die Energie, die Zeit und das Engagement aussprechen, die der Hohe Vertreter in den vergangenen Jahren aufgebracht hat, um das Feuer am Brennen zu halten. Das Feuer eines kleinen Hoffnungsschimmers, einer schwachen Hoffnung darauf, dass sich trotz aller Rückschläge im Nahen Osten noch eine Lösung des Konflikts zwischen Israel und den Palästinensern finden lässt, denn seien wir ehrlich, in den letzten Jahren haben wir in diesem Forum zahlreiche Aussprachen geführt, wir haben unzählige Entschließungen voll guter Absichten verabschiedet, aber ganz offen gesagt, viele, ich eingeschlossen, hielten die Sache für aussichtslos, für ein unlösbares Problem. Nun sieht es so aus, als sei es mit dieser Aussichtslosigkeit zu Ende oder sei das Ende jedenfalls in Sicht.

Präsident Arafats Nachfolger ist Mahmud Abbas, ein Präsident, der nicht nur bereit ist, vernünftige Zusagen zu machen, sondern auch zu mutigen Schritten bereit ist. Die Regierung Scharon besteht aus Parteien, die sich in einem Punkt allesamt einig sind, nämlich in dem Rückzug aus dem Gazastreifen. Mir ist bewusst, dass beim Thema Nahost übertriebener Optimismus stets fehl am Platze ist, denn ein einziger Bombenanschlag genügt, um den Elan wieder zum Erliegen zu bringen. Gleichwohl bin ich der Meinung, dass die Räumung des Gazastreifens eine einmalige Chance bietet, die beste Chance seit Jahren, um die durch Zynismus und Skepsis gekennzeichnete Atmosphäre zu durchbrechen und endlich einen Schritt voranzukommen. Dies heißt jedoch, dass sich die Rolle der Europäischen Union ebenfalls ändern muss. Die Europäische Union muss von großartigen, allgemeinen Erklärungen dazu übergehen, sehr konkrete und gezielte Hilfe bei den Rückzugsaktionen zu leisten, um deren reibungslosen Verlauf sicherzustellen. Was bedeutet dies nach Ansicht des Europäischen Parlaments sowie meiner Fraktion? Diese Rückzugsaktionen können nur in Absprache zwischen Israel und den Palästinensern in Gegenwart einer internationalen Beobachtungsmission durchgeführt werden.

Was genau kann die Europäische Union tun, und was ist sie zu tun bereit? Bei einer Rücksprache mit den Außenministern im November 2004 hat der Hohe Vertreter nochmals den Ratsbeschluss vom März 2004 dargelegt. Die Europäische Union unterstützt den Rückzug aus dem Gazastreifen, sofern fünf Voraussetzungen erfüllt sind. Er muss Bestandteil des „Fahrplans“ sein, er muss einen Schritt zu einer Zweistaatenlösung sein. So weit, so gut, doch darf Israel die Räumung des Gazastreifens nicht dazu nutzen, um neue Siedlungen im Westjordanland zu errichten oder alte Siedlungen auszuweiten. Der Transfer muss in Abstimmung mit der Palästinensischen Autonomiebehörde erfolgen, und Israel muss beim Wiederaufbau des Gazastreifens Hilfe leisten. Hier liegen selbstverständlich die Probleme. Daher meine Frage an den Hohen Vertreter. Werden diese Voraussetzungen seiner Ansicht nach gegenwärtig erfüllt bzw. besteht eine Chance, dass sie kurzfristig erfüllt werden? Wenn nicht, was gedenkt die Europäische Union zu unternehmen, um zu gewährleisten, dass diese Bedingungen erfüllt werden, und wenn sie nicht erfüllt werden, was wird die Europäische Union dann tun? Werden wir uns dann zurückziehen? Hoffentlich nicht, doch wenn wir es ernst meinen, müssen wir um die Einhaltung unserer eigenen Bedingungen bemüht sein.

Seien wir also optimistisch, denn eine gehörige Portion Optimismus ist bei diesem Thema schon vonnöten, und nehmen wir einmal an, die Bedingungen werden erfüllt. Welche konkreten Maßnahmen wird die EU dann ergreifen? Um es nochmals zu sagen, jetzt gilt es, von großartigen Erklärungen zu praktischen Vorschlägen überzugehen. Werden wir beispielsweise bei der Entsendung einer Beobachtungsmission behilflich sein? In allen Plänen ist diese vorgesehen, aber wird sich die EU daran beteiligen? Was genau werden wir gemeinsam mit den Vereinigten Staaten unternehmen? Werden wir eine Vermittlerrolle übernehmen? Hat Israel oder haben die Palästinenser darum ersucht? Werden wir den Wiederaufbau finanzieren? Bestehen dazu nicht etwa allgemeine, sondern – besucht man den Gazastreifen, weiß man, welche Zerstörungen angerichtet wurden und was wiederaufgebaut werden muss – präzise Pläne? Nochmals, Herr Präsident, Herr Hoher Vertreter, Frau Kommissarin, die Räumung des Gazastreifens bietet eine einzigartige Gelegenheit, weiter voranzukommen. Wird diese Gelegenheit verpasst, läuft das Unternehmen im Gazastreifen schief, dann, so fürchte ich, kann es sehr lange dauern, um die Scherben zu kitten.

 
  
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  Morgantini (GUE/NGL), im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – (IT) Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich beglückwünsche Herrn Solana insbesondere dafür, dass er unmittelbar nach den Wahlen präsent war. Ich muss sagen, dass ich vielen Palästinensern begegnet bin, die froh über seine Anwesenheit und äußerst stolz darauf waren, dass er in Ramallah übernachtet hat.

Ich möchte mich in meinem Redebeitrag auf konkrete Dinge konzentrieren. Die Palästinenser haben das Ihrige getan, wie gestern Frau Ferrero-Waldner erinnerte, und sie haben sich eindeutig für Frieden, Demokratie und Freiheit entschieden. Sie haben das Programm von Abu Mazen gewählt, ein klares und deutliches Programm gegen militärische Entgleisungen, sowohl in Gestalt von Terrorakten gegen israelische Zivilisten als auch in Form eines bewaffneten Kampfes, der sogar in der Genfer Konvention vorgesehen und als legitim gilt, was ich jedoch nicht billigen kann. Sie haben sich konkret für ein Programm der Reformen, des Friedens und der Demokratie entschieden. Meines Erachtens kommt es jetzt darauf an, auf alle Forderungen und jeden Wandel oder jede Änderung ihrer Positionen entsprechend zu reagieren.

Es steht außer Frage, dass auch der Vorschlag zum einseitigen Rückzug aus dem Gazastreifen wohlwollend aufgenommen werden muss, wenn es sich denn wirklich um einen Rückzug handelt und vor allem, wenn er im Rahmen des „Fahrplans“, im Rahmen von Verhandlungen, erfolgt. Ich meine, das Quartett sollte die Zügel wieder fest in die Hand nehmen, um zu verhindern, dass dasselbe geschieht wie nach dem Abkommen von Oslo. Damals zog sich die internationale Gemeinschaft zurück und überließ es zwei verschiedenen, ungleichen Partnern, auf der einen Seite Siedlungen und Kolonien zu errichten und auf der anderen Seite extremistische und terroristische Anschläge zu verüben. Die internationale Präsenz ist daher sehr wichtig.

Zugleich sollte man sich auch ansehen, was gegenwärtig wirklich geschieht. Neben den Wahlen und dem in Aussicht gestellten Rückzug muss auch ein anderer wichtiger Aspekt betrachtet werden, nämlich die konkreten Maßnahmen, die von der Regierung Scharon in den letzten Wochen ergriffen wurden. Ich möchte lediglich einige davon herausgreifen.

Die Einwohner von Ost-Jerusalem können nicht mehr nach Ramallah gehen, was nicht nur bedeutet, dass das Wirtschaftsleben zum Erliegen gebracht wird, sondern, schlimmer noch, dass ein Gebiet – Ost-Jerusalem –, das wir als besetzt betrachten, annektiert wird. Es handelt sich daher nicht nur um die Annexion von Jerusalem, der einzigen und unteilbaren Hauptstadt, sondern um die Annexion der Bürger Ost-Jerusalems.

Das Eigentum der in Bethlehem, Bejallah und Ramallah lebenden Palästinenser und der Besitz der Palästinenser in Ost-Jerusalem werden konfisziert. Heute, da es einen Friedensplan gibt, eine solche Maßnahme zu ergreifen heißt, die Tatsache zu unterstreichen, dass auch das Privateigentum der nicht in Jerusalem, sondern in Bejallah lebenden palästinensischen Bürger konfisziert wird. Das sind keineswegs Dinge von zweitrangiger Bedeutung, sondern Ereignisse, die auch jene Palästinenser, die zuversichtlich sind und wieder Hoffnung auf einen möglichen Frieden geschöpft haben, zu einer Änderung ihrer Haltung bewegen.

Schließlich wäre da noch das Problem des Gazastreifens. Ich war während der Wahlen in Gaza. Der Grenzübergang Rafah ist seit 87 Tagen geschlossen. Tausende von unschuldigen Palästinensern, die keine mutmaßlichen Terroristen sind, werden an den Grenzen zum Gazastreifen festgehalten, sie schlafen auf der Straße und haben kein Geld mehr. Selbst die ägyptischen Taxifahrer sind erschüttert, wenn sie die völlig mittellosen Palästinenser sehen. Darüber hinaus haben die israelischen Verteidigungskräfte vor, 3 000 Häuser zu zerstören, um den Bau von Tunneln zu verhindern.

In Anbetracht all dieser Umstände hängt viel davon ab, dass wir den Fahrplan weiter umsetzen und jede Chance auf Frieden ergreifen.

 
  
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  Batten (IND/DEM), im Namen der IND/DEM-Fraktion. (EN) Herr Präsident, offenbar ist das Europäische Parlament ein begeisterter Befürworter der Präsidentschaftswahlen in Palästina und der Demokratie im Nahen Osten. Heißt das, dass es sich für die im Irak bevorstehenden Wahlen genauso enthusiastisch einsetzen wird? Mit Sicherheit verdienen die Iraker die Demokratie genauso wie die Palästinenser.

Es wird interessant sein festzustellen, ob Präsident Abbas den Willen bzw. die Fähigkeit besitzt, den mörderischen Aktivitäten der verschiedenen terroristischen Organisationen innerhalb seines Wirkungskreises Einhalt zu gebieten. Da das Europäische Parlament bei den Wahlen 28 Beobachter vor Ort hatte, werden diese vielleicht berichten, welche Rolle (wenn überhaupt) die Hamas, die Fatah und die anderen terroristischen Gruppen bei den Wahlen gespielt haben.

Soviel ich weiß, hat das Parlament 17 Millionen Euro an Steuergeldern ausgegeben, um die palästinensischen Wahlen zu unterstützen. Welchen Beweis haben wir, dass dieses Geld ordnungsgemäß ausgegeben und ausgewiesen wurde? Welchen Beweis haben wir, dass von diesem Geld nichts in die Taschen der terroristischen Organisationen geflossen ist? Die Europäische Union ist nicht berechtigt, bei den palästinensischen Wahlen – oder den Wahlen eines anderen Landes – eine Rolle zu spielen, doch wenn sie Millionen von Euro hineinpumpt, dann sollten wir zumindest wissen, wo diese geblieben sind.

Ist es nicht bemerkenswert, dass der verstorbene Präsident Arafat – der angeblich sein Leben lang selbstlos für ein verarmtes Volk eingetreten ist – scheinbar dennoch über genügend unternehmerische Teilzeitfähigkeiten verfügte, um ein Vermögen von mehreren Millionen Dollar anzuhäufen? Wenn er nur das palästinensische Volk in seinem Testament ausreichend bedacht hätte, dann hätten die jüngsten Wahlen dank seiner Großzügigkeit durchgeführt werden können, anstatt die Kosten wiederum den europäischen Steuerzahlern aufzubürden.

Wenn die Europäische Union darauf besteht, der Nahost-Politik Gelder zur Verfügung zu stellen, dann sollten wir, entgegen der jetzigen Praxis, angesichts der legendären Korruption zumindest Belege für diese Ausgaben einfordern!

 
  
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  Angelilli (UEN), im Namen der UEN-Fraktion. – (IT) Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Als Beobachter der Wahlen in Palästina können wir behaupten, dass dort in jeder Hinsicht eine junge, aber stolze Demokratie im Entstehen begriffen ist.

Während unserer Mission haben wir ein palästinensisches Volk erlebt, das von dem sehnlichen Wunsch nach Freiheit und dem Willen nach Rückkehr zu Frieden und Normalität getragen wird. Trotz der Gewaltakte der letzten Wochen haben die Präsidentschaftswahlen ein neues Szenario im Nahen Osten eingeleitet und waren beispielgebend für die gesamte arabische Welt. Aus eben diesem Grunde muss die Europäische Union nun eine zentrale Rolle übernehmen und sich mit allen Kräften für die Förderung des Friedensprozesses einsetzen, indem vor allem der Fahrplan, der bis zum heutigen Tag die Grundlage für die Wiederaufnahme von Verhandlungen bildet, weiterverfolgt wird.

In diesem Sinne erfüllt uns auch die heute Morgen eingetroffene Nachricht von der Wiederaufnahme der Gespräche zwischen der Palästinensischen Autonomiebehörde und Israel mit Zuversicht. Der erste wichtige Termin des neuen Friedensprozesses wird die im März stattfindende Londoner Konferenz sein, auf deren Tagesordnung die Themen Sicherheit, Festigung der Demokratie und politische, institutionelle und wirtschaftliche Reformen in Palästina stehen. Europa wird die Gelegenheit haben, endlich seinen Einfluss im Friedensprozess geltend zu machen und auch, wie ich meine, einen Wirtschaftsplan zur Förderung der Entwicklung auf den Weg zu bringen.

Es erstaunt uns, bisweilen zu hören, eine derartige Maßnahme sei voreilig und die Europäische Union noch nicht bereit, sie zu unterstützen. Doch ist gerade dies der Zeitpunkt, zu dem die Union ihre zentrale politische Stellung wiedereinnehmen muss, auch mit einer konkreten Unterstützungsaktion für die Entwicklung der palästinensischen Wirtschaft, mit einem von der Europäischen Union überwachten, als neuen Marshall-Plan für Palästina bezeichneten Plan, der bereits unmittelbar nach dem 11. September von Italien vorgeschlagen und jüngst vom Vereinigten Königreich erneut empfohlen wurde. Ich glaube, dass sich Palästina auf diesem Wege auch von Armut und Ausgrenzung befreien kann, die zu oft dazu beitragen, die Reihen des Fundamentalismus aufzufüllen.

 
  
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  Allister (NI). (EN) Herr Präsident, ich mache kein Geheimnis daraus, dass ich beim Nahost-Konflikt mit Israel sympathisiere. Ich vertrete Nordirland, einen Staat, der selbst bestens über den Terrorismus Bescheid weiß, und ich kann leicht mit einem kleinen Land mitfühlen, das seit seiner Gründung immer wieder heimtückischen Terrorangriffen ausgesetzt ist. Dieses Mitgefühl wird durch die seit vielen Jahren bestehenden brüderlichen Bande zwischen der IRA und der PLO verstärkt. Die aktive Zusammenarbeit zwischen der PLO und der IRA führte in der Vergangenheit zur Finanzierung sowie zur Ausbildung von IRA-Mitgliedern in den Ländern des Nahen Ostens, und jahrelang fand das Spektakel statt, dass offizielle Delegierte der PLO an Sinn-Féin-Kongressen teilnahmen. Als Überbringer von Tod und Zerstörung hatten sie viel gemeinsam.

So wie es in Europa keinen Platz für Terrorismus geben darf, so ist die Beendigung jeder Art von Terrorismus eine Vorbedingung für den politischen Fortschritt im Nahen Osten. Daher möchte ich Herrn Scharon bewegen, Gespräche mit aktiven terroristischen Organisationen entschieden abzulehnen. Ausgehend von den Erfahrungen Nordirlands kann ich ihm sagen, dass es nichts bringt, wenn man den Terroristen nachgibt, denn damit werden lediglich deren unersättliche Forderungen unterstützt und eine politische Vertretung hervorgebracht, die stark vom Terrorismus beeinflusst ist.

 
  
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  McMillan-Scott (PPE-DE). (EN) Herr Präsident, ich sollte eigentlich auf einer Präsidiumssitzung sein. Darum möchte ich mich entschuldigen, wenn ich nicht die ganze Aussprache über bleiben kann.

Nach den im Allgemeinen freien und transparenten Wahlen eines Nachfolgers von Jassir Arafat besteht jetzt eine echte Hoffnung auf Frieden im Nahen Osten. Anlässlich der Beerdigung Arafats in Kairo, auf der ich das Europäische Parlament vertrat, begannen bereits angeregte Diskussionen um seinen Nachfolger und die Chance auf einen Neubeginn. Ich beglückwünsche Herrn Solana zu seinem aktiven Engagement in der Region seit diesem Begräbnis bis heute, und ich fordere ihn eindringlich auf, darin nicht nachzulassen.

Zu den Präsidentschaftswahlen entsandte das Europäische Parlament seine bisher größte Wahlbeobachtungsmission. Sie bestand aus 28 Mitgliedern des Europäischen Parlaments unter meinem Vorsitz und mit Frau Napoletano als stellvertretender Vorsitzender, und wir reisten einige Tage vor den Wahlen in Jerusalem an. Ich möchte allen Kollegen, die an dieser Mission teilgenommen haben und von denen heute Abend viele hier sind, den Mitarbeitern des Parlaments für ihre hervorragende Unterstützung sowie den Dolmetschern danken. Unsere Delegation traf sich mit beiden Hauptkandidaten – Mahmoud Abbas und Mustafa Barghouti – sowie mit dem Vorsitzenden der Wahlkommission und Herrn Rocard, der in Kürze sprechen wird.

Als Vorsitzender legte ich an Arafats Grab in der Muqata einen Kranz nieder. Außerdem traf ich mich mit kleineren politischen Parteien, die die Wahl infrage stellten, und auf ganz privater Basis mit anderen palästinensischen Gruppen.

Die Delegation des Europäischen Parlaments traf durchweg auf Begeisterung und Vertrauen in die Rolle, die die Europäische Union beim Vorantreiben des demokratischen Prozesses spielen könnte. Die Hoffnung der Palästinenser auf Unterstützung der EU war auch angesichts der Fahne der Europäischen Union, die überall wehte, nicht zu übersehen. Jetzt gilt es in die Zukunft zu schauen und die Palästinenser bei ihren Vorbereitungen für die Parlamentswahlen und ihre Reform des Wahlgesetzes zu unterstützen.

Meine wichtigste Botschaft heute Abend lautet jedoch, dass die Präsidentschaftswahl beispielgebend für die übrige arabische Welt war, in der es keine Demokratie gibt. Mahatma Gandhi sagte einmal: „Der Geist der Demokratie kann nicht von außen aufgepfropft werden“. Gestern erklärte Frau Ferrero-Waldner auf der Versammlung Europa-Mittelmeer: „Wir können die Demokratie fördern und das werden wir auch tun“. Diese Ansicht unterstütze ich voll und ganz, und ich bin der Überzeugung, dass es jetzt, im zehnten Jahr des Barcelona-Prozesses, Zeit für die Europäische Union ist, ihren Einsatz im größeren Nahen Osten zu erhöhen. Schließlich ist dies unsere Nachbarschaft, und nicht die Amerikaner.

 
  
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  Rocard (PSE). – (FR) Herr Präsident, Frau Kommissarin, Herr Hoher Vertreter! Ich möchte Ihnen für Ihre hervorragenden einleitenden Worte danken sowie für alle Glückwünsche, die Sie an mich gerichtet haben. Ich war stolz darauf, diese Arbeit zu tun, und ich kann sagen, dass wir von beiden Seiten ausgesprochen gut empfangen wurden. Europa war höchst willkommen, sogar aus Israels Sicht, muss ich sagen.

Wenn ich mich zu lange aufhalte, werde ich heute Abend meinen Zug verpassen; daher werde ich mich kurz fassen, und ich wäre dankbar, wenn Sie meine Unhöflichkeit entschuldigen würden, da ich keine Zeit habe, mir Ihre Antworten anzuhören. Das einzig Nützliche, das ich in dieser eigentlich lächerlich kurzen Zeit unserer Aussprache tun kann, ist, die wesentlichen Punkte zu betonen, denen Sie weiterhin Aufmerksamkeit schenken sollten.

Erstens werden die bevorstehenden Wahlen in den palästinensischen Gebieten keineswegs so leicht über die Bühne gehen wie die letzten, bei denen es eigentlich nur einen Kandidaten, keinen echten Machtkampf und keinen Kandidaten der Hamas gab. Diesmal wird es anders sein, sowohl bei den Kommunal- als auch bei den Parlamentswahlen. Der Wettstreit wird hart werden. Ich hoffe, dass die Palästinenser davon überzeugt werden können, auf die Nutzung des Einwohnerregisters zu verzichten, und dass die Kommunalwahlen ebenso sorgfältig beobachtet werden wie die nachfolgenden Parlamentswahlen; das ist wichtig.

Einige sagten, dies sei eine Chance, ein Hoffnungsschimmer; das denke auch ich. Dieser Hoffnungsschimmer wird im Wesentlichen von dem unbestreitbar ehrlichen und starken Streben der Palästinenser nach Demokratie genährt. Mein Freund Mc Millan-Scott sagte dies gerade. Er hat Recht - dies ist sowohl eine Entscheidung für Frieden als auch für Demokratie.

Was die andere Seite betrifft, sind wir weniger sicher. Die Entscheidung Ariel Sharons, sich aus dem Gaza-Streifen zurückzuziehen, ist zu begrüßen, jedoch möchte ich das Parlament auf die Tatsache hinweisen, dass von unserem Standpunkt und dem der Road-Map im Diskurs von Ministerpräsident Sharon keinerlei Zusammenhang zwischen Gaza und dem Rest besteht, und dass es keine Garantie dafür gibt, dass er nach Gaza das Westjordanland und Jerusalem in Betracht ziehen wird. Dies ist ein absolut zentraler Punkt.

Mein zweiter Punkt betrifft die Terrorismusbekämpfung. Es gibt viel, das wir tun können. Ministerpräsident Sharon hat Recht, Forderungen zu stellen, Mahmoud Abbas setzt sich zu Recht dafür ein, und er tut es mit Mut. Vom soziologischen Standpunkt aus betrachtet, befindet er sich unter ausländischer Besatzung, was die vollständige Ausrottung des Terrorismus unmöglich macht. Ich denke, dass Ariel Sharon als erfahrener General weiß, wovon er spricht; er weiß, dass er, indem er das Ende jeglicher terroristischer Aktivität fordert, bevor Verhandlungen wieder aufgenommen werden können, Unmögliches verlangt, damit er sicher sein kann, dass er es nicht bekommt. Vielleicht muss ihm gesagt werden, dass der Terrorismus in den palästinensischen Gebieten ausgerottet sein wird, wenn die Palästinenser als ein Volk auf ein anderes Leben hoffen können. Dazu gehört die Wirtschaft, die Öffnung der Grenzen, Handel, Arbeit, Kultur und eine politische Perspektive. Dies sind die Bedingungen, und ich denke, dass es unsere Aufgabe sowie die der internationalen Gemeinschaft ist, ihm das vor Augen zu führen.

Ich möchte auch darauf hinweisen, dass die erschreckende Analyse eines bedeutenden israelischen Hochschullehrers, die in einem Buch veröffentlicht wurde, das Sie, Herr Hoher Vertreter, gut kennen, da Sie es sich von mir ausgeliehen haben, bisher durch nichts widerlegt wurde. Diesem Hochschullehrer zufolge respektiert Ariel Sharon die Palästinenser, möchte nicht, dass sie verhungern, bemüht sich jedoch, jegliche gemeinsame Identität zu zerstören, und lehnt die Idee eines Staates in seinem tiefsten Inneren ab. Wir sollten diese Analyse in unseren Reden und unserer Arbeit aufgreifen, um Druck auf ihn auszuüben.

Zum Abschluss möchte ich sagen, dass meiner Meinung nach weder in Israel noch in den palästinensischen Gebieten eine politische Instanz die Legitimität besitzen wird, die Menschen von der Notwendigkeit zu überzeugen, einige Symbole dem Frieden zu opfern, sei es nun Jerusalem oder das Rückkehrrecht, solange die religiösen Autoritäten nicht selbst Frieden und eine von Konsens getragene Aufteilung der Symbole predigen. Ohne dies werden wir nichts erreichen. Bitte übermitteln Sie ihnen das von uns.

 
  
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  Guardans Cambó (ALDE). – (ES) Herr Präsident, auch ich hatte die Ehre, die Mission des Europäischen Parlaments in diese Region zu begleiten und mitzuerleben, was der Hohe Vertreter sehr treffend als eine Mischung aus Stolz und Hoffnung beschrieben hat, die sich wirklich in den Gesichtern – wenn nicht gar in den Seelen – und den Worten aller Menschen, die wir sahen, widergespiegelt hat. Ich würde hinzufügen, dass man auch einen Ausdruck von Patriotismus wahrnehmen konnte.

Die Menschen, die gewählt haben, und jene, die den Wahlprozess organisierten, brachten wahrlich eine Souveränität zum Ausdruck, die in einigen Fällen Elemente echten zivilen Widerstands im Stil von Gandhi enthielt. Die Abstimmung war eine Form zu sagen: „Dies gehört uns, das ist unser Territorium, und unsere Zukunft ist hier, aber wir wollen hier mithilfe der Wahlurnen in Frieden leben“.

Dies alles war in ihrer Botschaft enthalten, und deshalb besteht dort in der Tat ein sehr großer Anlass zur Hoffnung, doch wir sind uns bewusst, dass die Enttäuschung, wenn sie kommt, sich immer direkt proportional zur Hoffnung verhält, die ihr vorausging. Daher ist die Verantwortung von uns allen in Europa und der Europäischen Union selbst, die zum Entstehen dieser Hoffnung beigetragen haben, jetzt überaus groß, sogar größer als vor den Wahlen.

Herr Solana, Sie haben die Lage sehr gut beschrieben – wie auch Frau Ferrero-Waldner –, aber Sie haben sie sehr spezifisch dargelegt und bestimmte Leitlinien aufgezeigt. Sie haben angeführt, was die Europäische Union für Palästina tun könnte. Ich will nichts zu dem hinzufügen, was Herr Rocard über die Wahlen sagte, denn ich glaube, dass er völlig Recht hat: Sicherheit und Wirtschaft. Meiner Meinung nach müssen wir mehr darüber sprechen, was die Europäische Union von Israel im Rahmen dieses Disengagements, dieses Abzugs aus dem Gaza-Streifen erwartet, der, wenn er sich in einer völlig einseitigen Art und Weise, ohne jegliche Koordinierung, ohne einen ausgehandelten und vereinbarten Prozess vollzieht, sich als nicht positiv erweisen oder zumindest bestimmte kontraproduktive Auswirkungen haben könnte.

Schließlich glaube ich, dass die Europäische Union die Verantwortung hat – wie andere Redner sagten, – dieses Thema bei der Wiederaufnahme des transatlantischen Dialogs als Schwerpunkt einzubringen. Die transatlantische Agenda wird in zwei Tagen überprüft. Die Europäische Union muss dieser Frage absolute Priorität einräumen. Auf diese Weise kann die Europäische Union einen überragenden Beitrag zu diesem Friedensprozess leisten.

 
  
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  Hammerstein Mintz (Verts/ALE). – (ES) Herr Solana, ich möchte Ihnen zu Ihrem starken und unermüdlichen Engagement für den Frieden gratulieren. Dies ist ein sichtbarer Ausdruck des positiven europäischen Geistes aller Bürgerinnen und Bürger Europas in Bezug auf diesen Einsatz für den Frieden im Nahen Osten. Jetzt sind die Israelis am Ball. Wir haben einen palästinensischen Führer, Mahmoud Abbas, der gegen die Gewalt Stellung bezieht, nicht nur durch Worte sondern durch Taten, und der zudem durch demokratische Wahlen legitimiert ist.

Israel kann in dieser Situation nicht passiv bleiben. Es muss Mahmoud Abbas mit konkreten Maßnahmen antworten. Für die Europäische Union geht es nicht nur darum, zur Waffenruhe und Entwaffnung der palästinensischen Aktivisten aufzurufen, sondern sie muss auch Israel drängen, seine Politik der selektiven Tötungen zu beenden und den Bau der Mauer in den besetzten Gebieten unverzüglich zu stoppen. Gleichzeitig muss das „Quartett“ Maßnahmen ergreifen, um Kontrollen abzubauen und den Palästinensern den Zugang zu Beschäftigung und Handel zu gestatten. Nach vielen Jahren des Konflikts ist es offensichtlich, dass die palästinensische und die israelische Gesellschaft sehr erschöpft, überdrüssig und deprimiert sind, was an diesem Punkt paradoxerweise einen Hoffnungsschimmer hervorbringen kann. Doch Israel muss auf diesen Hoffnungsschimmer reagieren. Der erste Schritt zur erneuten Öffnung des Verhandlungsweges wäre ein verhandelter Abzug aus dem Gaza-Streifen, überprüft durch eine internationale Mission, die von der Europäischen Union im Rahmen des „Quartetts“ organisiert wird.

Weiterhin besteht unserer Meinung nach eines der Probleme darin, dass man nicht die Methode des Hinhaltens praktizieren kann. Man kann nicht wie Mr. Bush sagen: „Wir werden 2005 einen palästinensischen Staat haben“. Jetzt sind wir nach der Roadmap im Jahr 2005, und Mr. Bush sagt, dass der palästinensische Staat 2009 kommen wird. Wir müssen die Zeit zwischen Beginn und Ende verkürzen. Die Palästinenser und Israelis sind reif genug, um das Licht am Ende des Tunnels zu sehen. Nach Meinungsumfragen sind beide Völker für einen politischen Pakt, um einen endgültigen Status ähnlich dem im Genfer Abkommen zu erreichen. Zudem ähnelt dieser endgültige Status mit dauerhaftem Charakter stark dem Abkommen, das Ende 2000 in Taba beinahe zwischen den beiden Seiten zustande gekommen wäre.

Dies sind die Tatsachen, und ich glaube, dass die Europäische Union die Gelegenheit ergreifen muss, um Druck auf Israel auszuüben, damit es auf diese Haltung der neuen palästinensischen Führung reagiert.

 
  
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  Adamou (GUE/NGL). – (EL) Herr Präsident, Frau Kommissarin, Herr Solana! Der allgemeine Eindruck, den wir als Wahlbeobachter gewonnen haben, besteht darin, dass es den Palästinensern zweifellos gelungen ist - und dies war wahrscheinlich das erste Mal, dass so etwas unter Besatzungsbedingungen möglich gewesen ist -, demokratische und freie Wahlen abzuhalten. Dieses Ereignis stellt einen wichtigen politischen Akt dar, der sowohl an Israel als auch an die gesamte internationale Gemeinschaft politische Botschaften aussendet. Am 9. Januar hat das palästinensische Volk eine klare Botschaft der Würde und der uneingeschränkten Verpflichtung zu Demokratie, Frieden und Unabhängigkeitskampf ausgesandt. Die Wahlen wurden in freier und demokratischer Weise durchgeführt, wobei sich die Wahlbeteiligung von Frauen und jungen Menschen erhöht hat, und dazu sollte man ihnen gratulieren. Für die Probleme, von denen hauptsächlich Ost-Jerusalem und der Gaza-Streifen betroffen waren, gab es zwei Gründe: Zum einen die Haltung der israelischen Behörden und zum anderen die, unserer Meinung nach, unzulänglichen Regelungen, die von den Palästinensern, den Israelis und der Europäischen Union in dem Abkommen von 1996 vereinbart worden waren. So haben von 120 000 Wahlberechtigten nur 6 000 abgestimmt, wobei sie ihre Stimmzettel mit der israelischen Post schicken mussten, während die übrige Wählerschaft in andere Gebiete des Westjordanlandes hätte reisen müssen, wobei auch noch widersprüchliche Informationen vorlagen. Nichtsdestotrotz eröffnet der Tag nach den Wahlen neue Perspektiven für die Wiederaufnahme des Friedensprozesses. Der Wahlsieger hat erklärt und seine Absicht deutlich gemacht, auf der Grundlage des internationalen Rechts, der UN-Resolutionen sowie des Fahrplans eine friedliche Lösung, ohne Anwendung von Waffengewalt, zu verfolgen. Dem neuen Präsidenten muss es bei seinen Gesprächen, die er kürzlich mit den bewaffneten Verbänden geführt hat, nach unserem Dafürhalten gelungen sein, diese davon zu überzeugen, ihre einseitige Feuerpause fortzusetzen, eine Maßnahme, die, so hoffen wir, zu einem Waffenstillstand führen wird, der den Teufelskreis der Gewalt durchbrechen und in hohem Maße zur Wiederaufnahme des Friedensprozesses beitragen wird. Darüber hinaus ist er anscheinend bereit, trotz der durch die Besatzung gegebenen widrigen Umstände eine Reihe von internen Reformen zur wirtschaftlichen, sozialen und politischen Entwicklung durchzuführen. Parallel zu den Bemühungen, die der palästinensische Präsident initiiert hat, um dem Friedensprozess wieder anzukurbeln, sind allerdings auch vonseiten der israelischen Regierung Zeichen des guten Willens erforderlich. Leider wird der Bau der Mauer, der von der internationalen Gemeinschaft so vehement verurteilt worden ist, unter anderem durch ein Urteil des Internationalen Gerichtshofs, weiter fortgesetzt, das Gleiche gilt auch für die Siedlungstätigkeit. Dem Fahrplan zufolge wäre 2005 das Jahr, in dem ein unabhängiger palästinensischer Staat ausgerufen wird. Jetzt haben wir aber 2005 und keine solche Perspektive ist in Sicht. Uns, der Europäischen Union und insbesondere dem Europäischen Parlament, kommt bei den Bemühungen, die Wiederaufnahme der Gespräche zu erreichen und eine endgültige Lösung des Konflikts zu finden, eine außerordentlich wichtige Rolle zu. Wir müssen über die theoretische Ebene, mit all den Resolutionen usw., hinaus einen praktischeren Weg finden, um in alle Richtungen Druck auszuüben und die Aufnahme substanzieller Gespräche durchzusetzen, die es ermöglichen, noch in diesem Jahr einen beträchtlichen Fortschritt und eine rasche und definitive Lösung des Konflikts zu erreichen, eine Lösung, die allein in der Gründung eines unabhängigen, mit Israel in friedlicher Koexistenz lebenden palästinensischen Staates sowie selbstverständlich in der Demontage der Mauer und der Beendigung der Besatzung bestehen kann, so dass beide Nationen eine friedliche Zukunft aufbauen können, die zu Frieden und Fortschritt für die gesamte leidgeprüfte Region des Nahen Ostens beitragen wird.

Gestatten Sie mir abschließend, dem palästinensischen Volk sowie den friedliebenden Kräften in Israel im Namen meiner Fraktion zu versichern, dass wir sie in ihren Bemühungen um Frieden und Beilegung des Konflikts unterstützen werden.

 
  
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  Karatzaferis (IND/DEM). – (EL) Herr Präsident! Heute, siebenundfünfzig Jahre danach, bietet sich uns eine einmalige Gelegenheit, einen Fehler zu korrigieren, der Hunderttausende von Menschenleben gekostet hat. Hätten wir 1948, als wir Israel Obdach – das heißt einen Staat – gegeben haben, das Gleiche für die Palästinenser getan, dann hätten viele Menschenleben gerettet werden können, dann hätten die Kriege, in denen vor dreißig bis fünfunddreißig Jahren so viele Menschen ums Leben gekommen sind, wahrscheinlich nie stattgefunden. Dann wäre es vielleicht auch nicht zu dem Anschlag am 11. September gekommen, wenn wir der öffentlichen Erklärung des Urhebers, Bin Laden, Glauben schenken. Der Tod der Iphigenie brachte Agamemnon günstigen Wind. Und möglicherweise bringen auch der Tod von Arafat (mal Terrorist, mal Verhandlungsführer, mal Gewinner des Friedensnobelpreises, was immer der jeweils herrschenden Situation diente) sowie der Fall der Alleinherrschaft von Sharon in Israel den günstigen Wind des Friedens. Wenn wir jetzt nicht effektiv und unverzüglich handeln, dann geht diese goldene Gelegenheit an uns vorüber. Der Terrorismus wird eskalieren, und zwar sowohl der Staatsterrorismus, der noch skrupelloser ist, als auch der Terror unabhängiger Heckenschützen. Die Vereinigten Staaten scheinen nun einen anderen Kurs einzuschlagen: sie wollen sich zurückziehen, sie wollen ihr Augenmerk vom Nahen Osten abwenden und auf Russland zugehen, mit allem, was dies impliziert. Wir aber leben in der Region, wir haben 40 Millionen Araber aufgenommen, wir haben hier in Europa versagt, den Juden die Möglichkeit zu geben, die Nazi-Okkupation zu überleben. Es liegt jetzt an uns, die Gelegenheit, die sich uns bietet, zu ergreifen.

 
  
  

(EN) Dies ist die letzte Gelegenheit, Herr Solana, jetzt oder nie!

 
  
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  Romagnoli (NI). – (IT) Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es gibt freie - oder fast freie - Wahlen, und es gibt andere Wahlen, die nicht frei sind, wie die unmittelbar im Irak bevorstehenden. Einmal mehr leistet die Europäische Union den USA-Interessen Vorschub, und sie finanziert auch unbesonnene Operationen der Einmischung in die Angelegenheiten eines anderen Staates.

Genauso wie man den Steuerzahlern eine europäische Verfassung aufzwingen will, ohne dass sie sich dazu äußern konnten, werden nun Mittel abgezweigt, um die schändliche und widersinnige Besetzung des Irak zu unterstützen. Die Europäische Union segelt blind durch die stürmische See dieser Okkupation, während das abgetakelte Flaggschiff der verbündeten Angreifer untergeht und dabei die Staaten der Union, die sich nicht von der infamen Geopolitik der USA zu lösen vermochten, mit in die Tiefe reißt.

Die überwältigende Mehrheit der irakischen Bevölkerung, die in den Besatzern die Ursache für die Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen nach dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein sieht, wird sich nicht an dieser Wahlfarce beteiligen, die von der offiziellen Propaganda, unterstützt durch die Medien, als unwiderrufliche Gelegenheit für einen demokratischen Wandel dargestellt wird. Man will den Versuch der USA, ihren offensichtlichen Untergang zumindest politisch zu überleben, als wichtige, den Grundstein für den neuen irakischen Staat legende Wahlen ausgeben.

Es ist eine Schande, Personal zur Unterstützung und somit politischen Legitimation der Wahlen im Irak einzusetzen. Eine Marionettenregierung wird zu legitimieren versucht und als demokratisch ausgegeben, womit man sich weiterhin zum Komplizen des Angriffs auf den Irak macht, dessen Begründungen sich als völlig falsch erwiesen haben und dem über die Grausamkeiten hinaus viele offenkundige Korruptionsaffären, Verschwendungen, überhöhte Rechnungen und Betrügerein auf Kosten der Verwaltung selbst folgten.

All das ist für mich mehr als ausreichend, um von diesem Parlament im Namen vieler Europäer zu fordern, sich von jeder Legitimierung der Wahlen im Irak zu distanzieren und uns allen somit die Schmach der politischen und moralischen Mittäterschaft bei diesem kolossalen politischen und medialen Betrug zu ersparen.

 
  
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  Brok (PPE-DE). Herr Präsident, Frau Kommissarin, Herr Hoher Beauftragter! Ich möchte mich auf den Nahen Osten konzentrieren und einige wenige Bemerkungen machen.

Ich glaube, dass wir durch die Neuwahl von Abu Mazen, durch die Tatsache, wie diese Wahl abgelaufen ist, durch die Tatsache, dass man in Israel eine neue Koalitionsregierung gefunden hat, die über diese Parteigrenzen hinaus auch Stimmen bekommen hat, durch die Tatsache, dass wir einen neuen amerikanischen Präsidenten haben, der jetzt in ein term hineingegangen ist, in dem er keine Wiederwahlnotwendigkeit sieht, ein Szenario haben, das in den letzten Jahren im Nahen Osten fast einmalig war.

Wir haben gesehen, dass Abu Mazen durch den Einsatz seiner Polizei und durch die Verhandlungen mit radikalen Gruppen offensichtlich in der Lage gewesen ist, jetzt Bedingungen zu Wege zu bringen, die Präsident Arafat immer abgelehnt hat und zu denen er nicht in der Lage war. Ich meine, dass wir aus diesem Grund diese besondere Situation jetzt wirklich nutzen müssen.

Deswegen möchte ich Sie, Frau Kommissarin, insbesondere auch Sie, Herr Hoher Beauftragter, bitten, dass jetzt das Quartett nicht nur ein Organ ist, in dem man Papiere beschreibt und in dem man miteinander Gespräche führt, sondern dass das Quartett in Höchstbesetzung persönlich und gemeinsam im Nahen Osten auftritt, um zu sagen, dass dies nicht irgendeine Agenda ist, sondern dass hier das volle commitment der gesamten Völkergemeinschaft dahintersteht; um zu zeigen, dass man jetzt eine Lösung haben will, aber um auch gleichzeitig den Beteiligten zu zeigen, dass man jegliche Sicherheits- und Entwicklungsgarantie geben kann.

Kein Mitglied des Quartetts hat allein für sich bei beiden Seiten die Glaubwürdigkeit, dies allein hinzubekommen. Nur im Zusammenhang ist diese Glaubwürdigkeit für ein solches Sicherheitskonzept gegeben, das übernommen werden kann, so dass wir einen gesicherten Staat Israel mit gesicherten Grenzen und gleichzeitig einen wirtschaftlich lebensfähigen Staat Palästina haben.

Um auf dieser Grundlage voranzukommen, lassen Sie mich, Herr Präsident, eine letzte Bemerkung machen. Die Menschen auf beiden Seiten wollen den Frieden und die Verständigung. Wir müssen jetzt helfen, dass es zu einer Koalition der Moderaten auf beiden Seiten kommt und nicht die Minderheiten, wie es die Radikalen sind, wieder verhindern, dass es zu einer Einigung kommt. Deswegen sollten wir das jetzt als Priorität betrachten, weil dies in unserem Interesse liegt.

 
  
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  De Keyser (PSE).(FR) Herr Präsident, Herr Solana! Ich war in den Flüchtlingslagern von Rafah in Gaza, als die Wahlen abgehalten wurden, und ich danke Ihnen für Ihre sehr treffenden Worte. Ich danke Ihnen, Frau Ferrero-Waldner, für Ihr Engagement.

Wenn Sie gestatten, würde ich gerne auf die Wahlen im Irak zurückkommen und meine Besorgnis ausdrücken. Diese Wahlen sind für Sonntag vorgesehen und gehören zu Bushs Plan für den politischen Rückzug, der durch die UN-Resolution 446 legitimiert wurde. Dieser Plan soll dem irakischen Volk die Selbstbestimmung zurückgeben, aber seit er gilt, werden die Spannungen immer größer. Die Besatzungstruppen vermochten sich nicht in Truppen zu Friedenserhaltung zu verwandeln, wie die unerträglichen Vorkommnisse im Gefängnis von Abu Ghraib gezeigt haben. Versuche, irakische bewaffnete Kräfte wieder aufzubauen, insbesondere Polizeieinheiten, wurden von gezielten Anschlägen auf diejenigen, die leider zuweilen als Kollaborateure der feindlichen Streitkräfte angesehen werden, überschattet. Dies ist ein Misserfolg. Und eben diese irakischen Streitkräfte werden, im Hintergrund unterstützt von den amerikanischen Soldaten, über die Sicherheit der Wahllokale wachen. Sunnitische Extremisten boykottieren diese Wahlen, und das Anwachsen schiitischer fundamentalistischer Bewegungen, das der Iran mit großem Wohlwollen betrachtet, lässt die Entstehung einer Theokratie statt einer neuen Demokratie befürchten.

Die Durchführung diese Wahlen mutet äußerst bizarr an. Nicht eine Bedingung, die dem Wahlsieger Legitimität verleihen und Frieden bringen würde, ist erfüllt, sondern es ist im Gegenteil ein Wiederaufflammen der Gewalt zu befürchten. Es fällt folglich schwer zu glauben, dass daraus eine von der Scharia befreite Verfassung entstehen wird, die die Rechte der Frauen achtet, es sei denn, man führt den Verfassern resolut die Hand.

Der Zeitplan für 2005 macht sprachlos: eine Verfassung am 15. August, ein Referendum am 15. Oktober, Parlamentswahlen am 15. Dezember und eine neue Regierung am 31. Dezember. Wie sieht der Rat dieses überstürzte Vorgehen? Glauben Sie, dass das realisierbar ist? Sollen wir wirklich glauben, dass das möglich ist, Herr Solana? Gibt es diesbezüglich eine europäische Strategie? Dies würde ich mir wünschen, um die Möglichkeit einer gelegentlich auftretenden Rhetorik auszuschließen, die meiner vielleicht ähnelt, die ich jedoch nicht teile. Ich bin der Ansicht, dass über diese Wahlen nicht geschwiegen werden sollte; ein solches Schweigen wäre ein Zeichen von Zweideutigkeit, und diese lehne ich ab.

 
  
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  Onyszkiewicz (ALDE). (PL) Vielen Dank, Herr Präsident! Die Abgeordneten dieses Parlaments haben wiederholt ihre Hoffnung zum Ausdruck gebracht, dass der Friedensprozess in Palästina nicht nur wieder aufgenommen wird, sondern dass die jüngsten Ereignisse dort auf den Beginn eines Demokratieaufbaus hinauslaufen werden, auf den Aufbau der vielleicht ersten Demokratie in einem arabischen Land. Natürlich wird der Aufbau dieser Demokratie nicht gerade die leichteste Aufgabe werden. Wir sind uns alle des Ausmaßes der Probleme in diesem Land bewusst, darunter der weit verbreiteten Korruption. Es ist allgemein bekannt, dass Demokratie nicht nur in der zivilen Kontrolle der Strafverfolgungsbehörden, wie Polizei oder Geheimdienst, bestehen darf. Damit Demokratie sinnvoll ist, müssen auch die Handlungen der Behörden und vor allem der Staatshaushalt transparent sein. Ich sage das, weil die Europäische Union der Palästinensischen Autonomiebehörde erhebliche finanzielle Hilfe zur Verfügung stellt und das natürlich auch weiterhin tun wird. Es ist unbedingt erforderlich, dass über diese Geldmittel Rechenschaft abgelegt wird, damit wir wissen, wofür sie ausgegeben wurden. Ebenso wichtig ist jedoch, dass der gesamte Haushalt der Palästinensischen Autonomiebehörde, darunter auch die Posten, die nicht von der Europäischen Union finanziert werden, für jedermann völlig klar und transparent ist. So könnte dafür gesorgt werden, dass die Palästinensische Autonomiebehörde künftig nicht mehr wegen etwas beschuldigt werden kann, wofür ihr immer noch häufig die Schuld gegeben wird, nämlich für die Finanzierung der Aktionen terroristischer Gruppierungen, die den Friedensaktivitäten ganz und gar nicht zuträglich sind.

Als zweiten Punkt möchte ich unser aller Wunsch erwähnen, dass dieser Prozess nicht nur in einem Frieden zwischen der Palästinensischen Autonomiebehörde und Israel gipfelt, sondern dass in der ganzen Region ein echter Frieden geschaffen wird und nicht die Art von Frieden, die in Europa während der Jahre des Warschauer Pakts und des Kalten Kriegs bestand. Daher sollten wir langsam über bestimmte Methoden der Vertrauensbildung nachdenken, die wir bereits in Europa mit äußerst zufrieden stellenden Ergebnissen erprobt haben. Ich danke Ihnen.

 
  
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  Toussas (GUE/NGL). – (EL) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Trotz der heuchlerischen Glückwünsche und Grußbotschaften zu den Wahlen in Palästina, setzt die israelische Regierung ihre mörderische Politik gegenüber der palästinensischen Bevölkerung fort. Obwohl der Vorwand, den die israelische Regierung in der Vergangenheit bezüglich der angeblich mangelnden Versöhnungsbereitschaft des palästinensischen Gesprächspartners hervorgebracht hat, in sich zusammengefallen ist, treibt sie den Bau der Mauer der Schande weiter voran und fährt sie fort, die Besitztümer der aus Ost-Jerusalem vertriebenen Palästinenser zu konfiszieren.

Die Unnachgiebigkeit der israelischen Regierung erhält durch die von den Vereinigten Staaten von Amerika und der Europäischen Union verfolgten Politik noch weitere Nahrung. Der so genannte Terrorismus der Palästinenser stellt selbst in der Entschließung ein vorrangiges Thema dar. Hier ist eine neue Verleumdungskampagne im Gange, bei der die Palästinenser mit dem Iran und Syrien als eine Achse des Bösen und eine Quelle des Terrors in Verbindung gebracht werden, um die unnachgiebige Haltung der israelischen Regierung zu rechtfertigen und die Öffentlichkeit dahingehend zu beeinflussen, die neuen imperialistischen Interventionen und Kriege, die mithilfe des aggressiven Nahost-Plans vorbereitet werden, zu akzeptieren.

Es ist nicht zu übersehen, dass sogar während der heutigen Debatte in inakzeptabler Weise versucht wurde, eine zum Europäischen Parlament gehörige europäische Partei, die Sinn Féin, mit dem Terrorismus in Zusammenhang zu bringen. Ein solches Vorgehen kann nicht toleriert werden. Wir erklären unsere Solidarität mit dem palästinensischen Volk im Hinblick auf die Schaffung eines unabhängigen palästinensischen Staates mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt.

 
  
  

VORSITZ: JANUSZ ONYSZKIEWICZ
Vizepräsident

 
  
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  Masiel (NI). (PL) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die bloße Tatsache, dass in den palästinensischen Gebieten zum ersten Mal innerhalb von neun Jahren Präsidentschaftswahlen abgehalten wurden und dass diese trotz der israelischen Besatzung in ruhiger Atmosphäre stattfanden, kann als Erfolg gewertet werden. Es war vollkommen angemessen, dass diese Wahlen von der größten Delegation beobachtet wurden, die dieses Parlament jemals gestellt hat, da dies beweist, welch große Bedeutung die EU der Lage im Nahen Osten beimisst und dass sie den Friedensprozess in der Region unterstützt.

Dennoch gibt es immer noch Menschen, die einem Frieden in Israel und in den palästinensischen Gebieten ablehnend gegenüberstehen. Wir müssen beide Parteien dazu bringen, die Friedensverhandlungen wieder aufzunehmen, da wir alle wollen, dass die Israelis in Frieden und ohne Terrorangriffe leben und dass die Palästinenser ihre verlorene Würde wiedergewinnen. Nichts davon kann ohne die Schaffung eines palästinensischen Staates verwirklicht werden. Bei diesen Verhandlungen sind die Palästinenser die Schwächeren, und meine Sympathie gehört ihnen.

 
  
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  Hybášková (PPE-DE). (EN) Herr Präsident, heute, da wir der Grausamkeiten der Shoah gedenken, haben wir immer noch Lektionen zu lernen. Der Nahe Osten ist noch lange nicht frei von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Hass. Palästinensische Schulbücher, die von der EU finanziell gefördert werden, sind immer noch voll von Antisemitismus und bezeichnen den Zionismus als Ursprung des Wortes „böse“.

Die palästinensischen Wahlen stellen ein Licht am Ende des Tunnels dar. Die EU hat sehr gute Arbeit geleistet. Frauen waren angemessenen vertreten. Der zweite Platz für Mustafa Barghouti ist ein demokratischer Traum. Nichtsdestotrotz muss unser Standpunkt vorsichtig optimistisch sein. Wir sollten Mahmoud Abbas eine Chance geben, die Sicherheitskräfte für sich zu gewinnen sowie legislative und wirtschaftliche Reformen einzuleiten. Wir sollten die Stellung des Quartetts stärken, anstatt es mit der Genfer Initiative zu verwirren.

Außerdem sollten wir uns der äußerst heiklen Lage in Israel bewusst sein. Gerade heute sollten wir das Recht des israelischen Volkes auf Selbstverteidigung anerkennen, das Recht der Mütter und Väter, das Leben ihrer Kinder mit dieser unglückseligen Sicherheitsmaßnahme, dem Sicherheitszaun, zu schützen. Noch ist nicht die Zeit, ihn abzubrechen, nicht, solange die Hamas in diesem Gebiet die Oberhand in Fragen der Sicherheit hat.

Wir wissen, dass es nicht nur palästinensischen und israelischen Extremismus gibt, sondern dass in Syrien eine groß angelegte Verschwörung gegen die Demokratisierung besteht, durch die Hisbollah-Kenntnisse, Männer und Waffen schon vorher in den Gaza-Streifen gebracht wurden. Sind wir bereit, Druck auf Syrien auszuüben? Sind wir bereit, das Instrument der Assoziierungsabkommen für das Wohl der Völker in der Region einzusetzen?

Herr Solana, ich komme aus Prag, aus einem postkommunistischen Land, und würde Ihnen gern eine Frage stellen. In einer Presseerklärung nach der Europa-Mittelmeer-Ministerkonferenz sagten Sie, der Barcelona-Prozess würde aufgrund bestimmter Gegebenheiten auf nationaler Ebene nicht vollständig verwirklicht werden. Ich möchte Sie fragen, was wir alle für eine wahre Demokratisierung und für die Förderung der Demokratie im Nahen Osten unternehmen werden.

 
  
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  De Rossa (PSE). (EN) Herr Präsident, als Beobachter der palästinensischen Wahlen hatte ich das große Glück, die friedliche und demokratische Übertragung der Macht mitzuerleben, die die meisten Experten angesichts des sich aus dem Tod Arafats ergebenden Wandels in Erstaunen versetzte.

Nach diesen Wahlen müssen dringend Schritte zur Vorbereitung der Parlamentswahlen unternommen werden – bei diesen Wahlen wird ein starkes Beobachterteam aus Europa benötigt werden. Es muss ein sauberes einziges Wählerverzeichnis, eine Aufklärung der Wähler und eine transparente Finanzierung geben. Doch vor allem wird dringend eine Reform des Legislativprozesses benötigt, die eine proportionale Vertretung im Legislativrat garantiert. Das ist erforderlich, damit alle Teile der palästinensischen Gesellschaft die notwendigen Kompromisse teilen, die ein Friedensprozess unweigerlich fordern wird.

Europa und die USA müssen sich gemeinsam für den Frieden in der Region stark machen. Als Garanten müssen sie unbedingt an einer gemeinsamen Agenda arbeiten. Solange wir nicht auf dieser Grundlage tätig sind, kann es keinen Fortschritt geben. Europa muss in der Region stärker als bisher präsent sein.

Zum Schluss muss Ministerpräsident Scharon Präsident Abbas helfen – nicht ihn bestrafen –, wenn es wieder zu Gewalt kommt, über die er keine Kontrolle hat. Wenn er es jeder explodierenden Bombe gestattet, den Friedensprozess zu blockieren, übergibt er die Zukunft Israels...

(Der Präsident entzieht dem Redner das Wort.)

 
  
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  Pistelli (ALDE). – (IT) Herr Präsident, Herr Solana, Frau Ferrero-Waldner, meine Damen und Herren! Die Europäische Union hat ein vitales Interesse am Nahen Osten, und der Nahe Osten ist inzwischen eine wichtige Komponente unserer Nachbarschaftspolitik.

Der Schlüssel für Stabilität und Wirtschaftswachstum in der Region liegt in der Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts. Der hier in den letzten Jahren eingetretene Stillstand machte es der Union unmöglich, ihr Gewicht zur Geltung zu bringen, womit sich der diplomatische Scherz der Amerikaner „Wir spielen, Ihr zahlt“, was soviel heißt wie „wir haben politische Macht und Ihr zahlt die Rechnung“, leider bestätigt hat.

Hinter uns liegt ein schreckliches Jahr: in den Vereinigten Staaten fanden Präsidentschaftswahlen statt, weshalb sich das Interesse von George Bush ausschließlich auf den Krieg im Irak konzentrierte; in Israel wurden die Verhandlungen durch die Regierung Scharon abgebrochen und in Palästina erlebten wir die menschlichen und politischen Tragödien um Arafat, durch welche die Autonomiebehörde gelähmt wurde.

Diese ausweglose Lage forderte einen hohen Preis in Form von Menschenleben, Elend und Verzweiflung. Viele von uns fragten sich, ob es überhaupt noch Hoffnung gebe und noch ein Dialog möglich sei. Heute hat sich, wie Herr Solana, erklärt hat, eine Gelegenheit geboten, die ergriffen werden muss. Die Vereinigten Staaten haben einen Präsidenten, der seine zweite Amtszeit antritt und sich mit dem entsprechenden Handlungsspielraum der israelisch-palästinensischen Frage widmen kann. Die neue israelische Regierung, der Persönlichkeiten wie Schimon Peres angehören, setzt auf den Dialog. In Palästina haben wir die ersten Wahlen unterstützt und mit Befriedigung die Wahl von Präsident Mahmoud Abbas zur Kenntnis genommen, der nun eine starke Legitimation durch das Volk wie auch durch die internationale Gemeinschaft genießt und dessen erste Schritte, darunter den Versuch, die radikalen Gruppen zur Feuereinstellung zu zwingen, wir unterstützen.

Es ist an der Zeit, dass die Union mit starker und klarer Stimme spricht. Die Union muss als eine stabilisierende Kraft wirken, und kein anderer Akteur, nicht einmal die Vereinigten Staaten, besitzt die Kapazitäten, über die wir verfügen, d. h. die politische Ausgewogenheit und die Ressourcen, um das Wirtschaftswachstum in der Region zu unterstützen. Es wird Zeit, dieses Kapital zu nutzen und dem Fahrplan sowie dem Quartett neue Impulse zu verleihen. Wenn wir, wie ich es tue, an die gemeinsame Außenpolitik der Union und an Europa als Global Player glauben, ist dies der Zeitpunkt, um von der Theorie zur Praxis überzugehen.

 
  
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  Tannock (PPE-DE). (EN) Herr Präsident, ich begrüße die freie und demokratische Wahl von Präsident Abbas zum Vorsitzenden der palästinensischen Autonomiebehörde. Als Wahlbeobachter war ich hocherfreut, die begeisterte Beteiligung der Zivilgesellschaft, auch der Frauen, an diesem in der arabischen Welt einzigartigen Experiment zu erleben. Trotz der Boykottaufrufe der Hamas spricht jetzt sogar diese Organisation, aus Angst, vom politischen Prozess ausgeschlossen zu werden, davon, an den Parlamentswahlen teilzunehmen. Abu Mazen besitzt jetzt ein starkes Mandat für Verhandlungen mit Israel.

Ich war enttäuscht von der geringen Wahlbeteiligung in Ostjerusalem und der Angst der palästinensischen Einwohner, dass sie im Fall eines Urnengangs ihre israelischen Ausweise verlieren würden. Ich war traurig über die Weigerung vieler Beamter in den Wahllokalen, bei der Weitergabe von Angaben zur Wahlbeteiligung und zum Umfang der Wahllisten zu kooperieren. Außerdem kam es zu einigem Durcheinander zwischen in- und ausländischen Wahlbeobachtern, und das muss bis zu den Parlamentswahlen im Juli geklärt werden.

Ich danke der IDF für ihre Zusammenarbeit an den Kontrollpunkten. Nach dem vorübergehenden Rückschlag, der durch den tragischen Tod von sechs Israelis im Gaza-Streifen verursacht worden war, versucht Präsident Abbas durch den Einsatz seiner Sicherheitskräfte an der Grenze zum Gazastreifen jetzt energisch, die Terroristen in Schach zu halten. Ich fordere Ministerpräsident Scharon auf, dies durch Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen zur Palästinensischen Autonomiebehörde anzuerkennen und die Roadmap für den Frieden wieder auf die politische Tagesordnung zu setzen.

Ich bin davon überzeugt, dass mit einem Gebietsaustausch ein umfassender Friedensplan möglich ist, der die Sicherheit des jüdischen Staates konsolidiert. Außerdem denke ich, dass der Sicherheitszaun bei der Verringerung der Selbstmordattentate seine Dienlichkeit bewiesen hat, aber nicht die unwiderruflichen Grenzen des israelischen Staates widerspiegelt und bei einer endgültigen Unterzeichnung eines Friedensvertrags verschoben oder abgerissen werden kann.

Den jüngsten Umfragen in Israel, im Westjordanland und im Gaza-Streifen zufolge werden die Genfer Vereinbarungen als ein solches Friedensmodell unterstützt. Warum also nicht gleichzeitig eine offizielle Volksabstimmung auf beiden Seiten abhalten, um die gegenseitige Anerkennung der Zweistaatenlösung zu untermauern?

Eine letzte Bemerkung: Der Iran spielt – mit der stillschweigenden Unterstützung Syriens durch die Bewaffnung und Finanzierung der Hisbollah, die wild entschlossen ist, Abu Mazens Friedensprozess im Westjordanland und im Gaza-Streifen durch Unterstützung dortiger Terroristen entgleisen zu lassen – eine sehr gefährliche Rolle. Iran und Syrien müssen von der Europäischen Union verwarnt werden, und die Hisbollah muss zu einer in der EU verbotenen Terrororganisation erklärt werden.

 
  
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  Howitt (PSE). (EN) Herr Präsident, als Mitglied der Beobachtungsmission des Parlaments möchte ich Herrn Solana sagen, dass ich jetzt überzeugt bin, dass die EU darüber nachdenken muss, durch den Handel auf den Friedensprozess einzuwirken; dass ein Rückzug aus dem Gaza-Streifen mit dessen weiterer Belagerung niemals eine praktikable Lösung für seine Bevölkerung sein kann; dass die europäischen und internationalen Mitarbeiter von Hilfsorganisationen Visa erhalten müssen, um mit den palästinensischen Gemeinden arbeiten zu können; und dass wir bei der Reform der Palästinensischen Autonomiebehörde helfen müssen.

Meine bleibenden Erinnerungen an die Mission bestehen darin, dass das von den Palästinensern meistgebrauchte Wort „Demütigung“ lautete; dass 30 bis 40 Dorfbewohner von Um Al Rehan nicht zur Wahl gehen konnten, weil sie auf der falschen Seite des Sicherheitszauns lebten; dass unsere Beobachtungsmission Zeuge von Schlägereien, Schießereien, Entführungen und Bombenangriffen wurde.

War die demokratische Organisation dieser Wahlen seitens der Palästinenser eine Form des friedlichen Widerstands gegen die Besatzung? Ja. War diese Demonstration der Demokratie eine Botschaft an die internationale Gemeinschaft, dass sie hundertprozentig bereit sind, ihren eigenen Staat zu führen? Ja. Und als uns ganz einfache Palästinenser sagten, sie würden Abu Mazen wählen, ja, dann sagten sie, sie würden für den Frieden stimmen.

 
  
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  Nicholson of Winterbourne (ALDE). (EN) Herr Präsident, der israelisch-palästinensische Konflikt ist einer der hartnäckigsten Probleme der Welt. Dieser ständige Konflikt hat sich negativ auf die Nachbarvölker auf der arabischen Halbinsel, am persischen Golf und in Nordafrika ausgewirkt und sich sogar bis nach Europa und in die USA ausgedehnt. Durch den Konflikt wurden Tausende verletzt und getötet und Millionen in Armut und Elend gestürzt.

Die ständige Aufmerksamkeit und die vereinten Kräfte der gesamten UNO, darunter auch der Europäischen Union, haben der Bevölkerung auf beiden gegnerischen Seiten nur wenig oder gar keine Linderung verschafft. Bei Auseinandersetzungen dieser Größenordnung, die bis zu den Wurzeln der Geschichte der Nationen zurückreichen, gibt es nur einen Schlüssel, der das Tor zum Frieden öffnen kann. Mit Geld lässt sich das nicht lösen, auch wenn damit die Qual der ständigen Armut gelindert werden kann. Die Gemüter der Menschen gewaltsam bewegen zu wollen, ist hoffnungslos. Außen Stehende können nur Vorschläge unterbreiten: Ohne Gewaltanwendung können sie die erforderlichen operationellen Entscheidungen nicht treffen. Der grundlegende Wandel von Gewalt zu friedlichen Lösungen; der Schritt vom Einsatz von Kriegswaffen zum Dialog als einem Mittel zur Erzielung annehmbarer Ergebnisse – einen Meinungsumschwung kann nur eines bringen, und das ist der Wille der Menschen. Sobald das sichergestellt ist und sobald die gewaltbereiten Menschen das zulassen, stellt die Demokratie die einzige Formel für einen vollständigen Erfolg dar.

Heute haben die Palästinenser gesprochen, ihre Stimme ist über die Wahlurne friedlich zum Ausdruck gekommen. Damit ist die 21-jährige Suche der Union nach einer Zweistaatenlösung nun in greifbare Nähe gerückt. Wenn das für Palästina gut ist, warum sollten wir dem Rest der arabischen Halbinsel und den Ländern darüber hinaus die Demokratie absprechen? Ich setze große Hoffnungen in die kommende Wahl im Irak und in die Wahlen, zu denen es vielleicht später in anderen Staaten der Welt kommt, in denen Gewalt und kriegerische Lösungen vorherrschen. Diese Verbreitung von Demokratie ist jetzt die Aufgabe der Europäischen Union. Dazu können wir mit unseren amerikanischen Verbündeten gemeinsam beitragen. Auf dem Weg, den Palästina eingeschlagen hat, kann der Irak folgen und vielleicht werden andere Staaten dieselbe Lösung wählen.

 
  
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  Kasoulides (PPE-DE). (EN) Herr Präsident, die Wahlbeobachtungsmission des Parlaments in Palästina, an der ich die Ehre hatte teilzunehmen, kam zu dem Schluss, dass die Wahlen weitestgehend frei und transparent abgelaufen sind. Jetzt verfügt das palästinensische Volk über einen rechtmäßigen Präsidenten und einen einwandfreien Gesprächspartner für Friedensverhandlungen mit Israel. Präsident Abbas muss Zeit und Unterstützung gewährt werden, damit er seine Position festigen und sein Wahlprogramm umsetzen kann, d. h. erstens die bewaffnete Intifada zu beenden und dem politischen Prozess Vorrang einzuräumen und zweitens zu den notwendigen institutionellen und – vor allem – sicherheitspolitischen Reformen im Innern überzugehen.

Die Nachrichten der vergangenen Tage deuten bereits auf einige positive Veränderungen vor Ort hin. Die Stationierung palästinensischer Polizisten im nördlichen Gaza-Streifen und die Fortschritte bei den Gesprächen mit den bewaffneten Splittergruppen, über die berichtet wird, haben zu vier Tagen Ruhe geführt, denen möglicherweise ein Waffenstillstand folgen wird. Angesichts der Unsicherheiten bei solchen Waffenstillständen werden deutliche Gesten – wie beispielsweise die Aufhebung der Einschränkung der Bewegungsfreiheit, der Stopp der Siedlungstätigkeiten und des Baus der Trennmauer sowie der außergerichtlichen Tötungen – wesentlich dazu beitragen, günstige Rahmenbedingungen für diese Chance zu schaffen.

Die Entscheidung der EU zur Entsendung einer solchen großen Mission zur Unterstützung und Beobachtung der Wahlen sowie die Ernennung eines hervorragenden Abgeordneten dieses Parlaments zu ihrem Vorsitzenden ist als lobenswert zu bezeichnen, da so unsere Präsenz sowohl vor Ort als auch international spürbar war. Nunmehr sind im Rahmen des Quartetts große Anstrengungen seitens der EU vonnöten, um beide Seiten dazu zu bringen, die Entwicklungen für die Interessen des Friedens zu nutzen. Das Ziel besteht in der Wiederaufnahme von Verhandlungen, was neue Hoffnung geben wird. Hoffnung verstärkt die Zurückhaltung, während Frustration den Extremisten in die Hände spielt. Nur so kann der Teufelskreis durchbrochen werden.

 
  
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  Mastenbroek (PSE). (EN) Herr Präsident, Europa muss die Hoffnung für beide Völker aufrechterhalten, und das geht nur, wenn die Hoffnung auf einen dauerhaften Frieden aufrechterhalten wird. Darum müssen wir versuchen, die Zweistaatenlösung sowie ein friedliches und vollständiges Ende der Besatzung ganz oben auf unsere Tagesordnung zu setzen. Der Rückzug aus dem Gaza-Streifen ist ein hoffnungsvoller Schritt, doch darf es sich dabei nicht um die endgültige Perspektive handeln. Ohne die Einbindung der Vereinigten Staaten von Amerika können wir das nicht erreichen.

Herr Abbas hat sich ein gewaltiges Programm vorgenommen: Beendigung der gewalttätigen Intifada, Reform der Sicherheitskräfte sowie Schaffung eines lebensfähigen palästinensischen Staates und eines dauerhaften Friedens mit Israel. Dieses Programm müssen wir voll und ganz unterstützen, um die Hoffnung für beide Völker aufrechtzuerhalten. Jetzt können wir ihn aktiv dabei unterstützen, die Korruption zu bekämpfen, die Demokratie in den palästinensischen Institutionen weiter zu befördern und eine gute Regierungsführung zu unterstützen – zentrale Anliegen der Palästinenser –, denn dafür brauchen wir die Vereinigten Staaten nicht. Wir sollten so bald wie möglich unsere vollständige Unterstützung anbieten und Mahmoud Abbas fragen, wie wir, die Europäische Union, weiter helfen können.

 
  
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  Sbarbati (ALDE). – (IT) Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Man sagt, Hass entsteht nicht durch Dummheit, sondern zum Hass wird man erzogen. Von 1948 bis heute hat der israelisch-palästinensische Krieg Tausende Opfer, darunter viele Angehörige der Zivilbevölkerung, gefordert und schreckliche Armut hervorgerufen. Zwei Drittel der palästinensischen Terroristen waren Hochschulstudenten oder Abiturienten, und es ist bekannt, dass die Bevölkerung Israels ein hohes Bildungsniveau besitzt.

Nach der Wahl von Abu Mazen, die von dem großen Engagement des palästinensischen Volkes für Demokratie zeugte, hat ein neuer Terroranschlag den kaum wieder aufgenommenen Dialog gefährdet. Zwei Völker, die dazu verurteilt sind, nolens volens nebeneinander zu leben, und die viele komplizierte Probleme zu lösen haben, sind in eine neue Phase ihrer gegenseitigen Beziehungen eingetreten, eine Phase, die Hoffnung gibt. Entgegen den Erwartungen sind nämlich die Wahlen in Palästina zufrieden stellend verlaufen, und der neue Präsident hat seine Absicht bekundet, die Friedensverhandlungen mit Israel wieder aufzunehmen, den Extremisten Einhalt zu gebieten und die korrupten Aspekte des internen palästinensischen Systems zu reformieren. Vielleicht ist dies ein zu ehrgeiziges Programm, doch zeugt es von dem Willen zur Veränderung. Israel hat seinerseits Gespräche mit der neuen Regierung aufgenommen, die jedoch durch eine unerwartete Spirale der Gewalt, die zu einer Verhärtung der Beziehungen führt, unterbrochen wurden.

Durch die Überwachung des Wahlprozesses hat die Europäische Union ihre Position als bevorzugter Gesprächspartner gestärkt, denn sie hat ihre Bereitschaft und ihre Fähigkeit, mit beiden Völkern zu sprechen, unter Beweis gestellt. Doch damit ist es nicht getan. Die Union muss zum Garanten eines Plans für eine definitive Lösung werden und beiden Völkern einstweilen eine solide Grundlage für die Unterstützung im Hinblick auf den Wandel bieten. Es wird Zeit, dass Europa seine Verantwortung gegenüber dem Nahen Osten wahrnimmt, denn auch unsere Sicherheit wird durch diesen andauernden Konflikt bedroht, der nur durch Aushandlung eines stabilen und endgültigen Friedensabkommens, wie es im Fahrplan vorgesehen ist, gelöst werden kann.

Die Völkergemeinschaft muss die Geburt eines palästinensischen Staates unterstützen, gleichzeitig muss sie jedoch auch die Probleme im Zusammenhang mit den Grenzen, Siedlungen und Flüchtlingen, Jerusalem, den Wasserressourcen und der Sicherheit lösen helfen. Wie Schimon Peres einmal gesagt hat, besteht die Hoffnung, dass nach der Zeit des Hasses auch eine Zeit der Gemeinsamkeit anbricht, denn beide Völker werden sich ein kleines Territorium teilen und sich gemeinsam entwickeln müssen, indem sie sich gegenseitig achten und lernen zu teilen.

 
  
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  Laschet (PPE-DE). Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer an dieser Wahl teilgenommen hat, wer gesehen hat, wie die Menschen morgens um sieben ganz akribisch die Wahlurnen versiegelt haben, die transparent und durchsichtig waren, und dann mit ganzem Stolz während des Tages alles sehr exakt gehandhabt haben, der kann sich vorstellen, was das auch für das palästinensische Volk selbst bedeutet hat. Einmal natürlich gegenüber Israel, zum anderen aber vor allem gegenüber der arabischen Welt, denn was sie da vorgemacht haben, gibt es nirgendwo in der arabischen Welt, und insofern waren das sehr bedeutsame Wahlen. Und es war der Wunsch nach Frieden spürbar; man hat den Konflikt satt, und man ist der Hamas mit ihrem Boykottaufruf nicht gefolgt.

Ich denke, dass alle diejenigen, die bei uns immer gesagt haben – es gab das ja auch hier –, „Arafat ist der Garant des Friedens, und wenn der weg ist, bricht das Chaos aus“, falsch gelegen haben. Das palästinensische Volk war viel schlauer als manche, die die Lage hier in Europa analysiert haben, vermuteten, und deshalb ist so große Hoffnung mit dem verbunden, was sich jetzt da zeigt.

Ich möchte eine konkrete Bitte ansprechen, auch für die Gespräche des Hohen Beauftragten und der Frau Kommissarin. Wenn es wirklich gelingt, was Premierminister Scharon dem Hohen Beauftragten Pressemeldungen zufolge gesagt hat, dass man den Rückzug aus Gaza doch in Gesprächen mit der palästinensischen Autonomiebehörde vereinbart und zu einer geordneten Übergabe kommt – wenn das möglich wird, dann sollten wir auch mit dem UNO-Flüchtlingshilfswerk darüber nachdenken, ob man nicht die Gelegenheit nutzt, die Flüchtlingslager in feste Häuser umzubauen.

Der Leiter des Flüchtlingshilfswerks, Herr Hansen, war heute morgen in der Arbeitsgruppe der Vereinten Nationen hier im Parlament. Er hat beschrieben, dass man in Jenin nach der Zerstörung dazu übergegangen ist, feste Häuser zu bauen und endlich diesen 50-jährigen Flüchtlingsstatus zu ändern. Ich denke, dass Gaza die zweite Möglichkeit wäre, nach einer geordneten Übergabe die Flüchtlinge aus ihren Lagern heraus in feste Siedlungen zu bringen. Ich würde also bitten, dass man diesen Gedanken auch in den Gesprächen mit UNRWA und den entsprechenden Autoritäten aufgreift, um aus dieser Situation in ein neues Zeitalter aufzubrechen.

 
  
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  Masip Hidalgo (PSE). – (ES) Herr Präsident, an diesem Punkt der Debatte möchte ich einfach ergänzend eine Episode erzählen, die ich gemeinsam mit Frau Lucas erlebte. Es war in Hebron. Es war bereits dunkel. Durch den Ausfall einiger Generatoren war es zu einem Stromausfall gekommen. Zwei junge palästinensische Polizisten gingen sofort in Stellung, um eventuelle Versuche von Gaunereien in der Dunkelheit zu verhindern. Eine ähnliche Reaktion erfolgte an den Nachbartischen, wobei spontan eine wahrhaft beispielhafte zivile Reife demonstriert wurde.

Wenn ein Volk trotz der gravierenden Probleme, vor denen es steht, seine Wahlurnen und das Ansehen seiner Wahlen schützt, ist es ein großartiges Volk, das an die Demokratie glaubt. Nachdem die Lichter wieder angegangen waren, kam mir der Gedanke, dass sich der Weg zum Traum vom Frieden, den uns Herr Solana heute Abend so genau und mit solch einem moralischen und politischen Nachdruck beschrieben hat, durchaus geöffnet haben kann.

Wie bei Martin Luther King ist dieser Traum das Ziel unserer Arbeit, Herr Solana. Dieser Traum ist unser Weg.

 
  
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  Seeberg (PPE-DE).(DA) Herr Präsident, in den kommenden Monaten müssen wir der Situation im Nahen Osten große Aufmerksamkeit schenken. Die am Sonntag stattfindenden Wahlen im Irak werden äußerst interessant und könnten eine historische Chance für eine Demokratie im Werden sein. Ich möchte Herrn Solana und der Frau Kommissarin für ihre konstruktiven und klugen Ausführungen danken. Es tut gut, ein derartiges Engagement zu spüren. Die Wahlen in Palästina und die neue Regierung in Israel haben neue Hoffnungen geweckt. Mahmoud Abbas braucht für den Erfolg jedoch die Unterstützung von Ariel Sharon, denn sonst wird der Prozess nicht vorankommen.

Ich selbst war im November als Beobachter in der Westbank und habe dort mit eigenen Augen gesehen, wie fürchterlich und verzweifelt die Situation dort ist, insbesondere für die vielen Palästinenser, die gegenwärtig unterhalb der Armutsgrenze und wegen der israelischen Okkupation unter unglaublich schwierigen Bedingungen leben. Diese Armut rührt nicht von Naturkatastrophen oder ähnlichem her, sondern ist eine Folge der Okkupation durch Israel. Natürlich muss das Recht des israelischen Staates auf Bekämpfung der Terroristen anerkannt werden, und auch die Palästinenser müssen alles in ihrer Macht Stehende tun, um die Gewalt zu beenden. Aber das Recht Israels, Terroristen zu verfolgen, darf nicht die Verwendung aller nur möglichen Mittel einschließen. Die illegalen Hinrichtungen, die Zerstörung von Wohnhäusern und die überzogene Gewalt gegenüber Zivilpersonen sind inakzeptabel. Ferner stellt der illegal errichtete Sicherheitszaun ein besonderes Problem dar, da er vorwiegend auf palästinensischem Grund und Boden gebaut wurde und den Palästinensern die Nutzung des Bodens in diesen Gebieten unmöglich macht. Auch die Situation in Jerusalem, wo die Palästinenser nicht von den Israelis, sondern voneinander getrennt sind, ist problematisch. Betrachtet man die umfangreichen Landenteignungen in Verbindung mit der Siedlungspolitik, so kann man sich nur schwer vorstellen, wie ein lebensfähiger palästinensischer Staat errichtet werden kann. Besonders beunruhigend ist der Aufbau einer doppelten Infrastruktur im Westjordanland. Die Tatsachen vor Ort zeigen, dass es bei der Besetzung gegenwärtig vor allem um die Schaffung sicherer Bedingungen für die vielen Siedler geht und weniger um die Sicherheit der in Israel lebenden israelischen Bürger.

Die EU muss von Israel ein Ende der Siedlungspolitik in der Westbank sowie einen Baustopp für den Sicherheitszaun fordern. Anderenfalls verpasst man die Möglichkeit für eine Zwei-Staaten-Lösung.

 
  
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  Beglitis (PSE). – (EL) Herr Präsident! Ein großer palästinensischer Dichter, Mahmoud Darwish, hat vor kurzem ein Gedicht im Gedenken an einen anderen palästinensischen Intellektuellen, Edward Said, geschrieben. Ich werde es auf Französisch vortragen:

 
  
  

(FR) „Er sagt: Wenn ich vor Dir sterbe, übertrage ich Dir das Unmögliche. Ich frage: Ist das fern? Er antwortet: Eine Generation entfernt.“

 
  
  

(EL) Viele Generationen von Palästinensern haben ihr Leben im Kampf für das Unmögliche verloren: für Frieden und einen demokratischen Staat. Heute sendet das palästinensische Volk mit seiner massiven Beteiligung an den demokratischsten und freiesten Wahlen eine Botschaft des Friedens und des Optimismus aus, nämlich dass nicht noch mehr Generationen von Palästinensern ihr Leben lassen sollen.

Das Europäische Parlament hat jetzt die historische Pflicht, gemeinsam mit der internationalen Gemeinschaft Initiativen zur Wiederaufnahme des Friedensprozesses auf der Grundlage des Fahrplans zu ergreifen. Bislang haben wir die Palästinenser immer gefragt, was sie tun werden. Jetzt haben sie geantwortet. Diejenigen, die jetzt antworten müssen, sind die US-Regierung von Herrn Bush und die Regierung von Herrn Sharon. Sie müssen klarstellen, ob sie sich tatsächlich im Rahmen des Fahrplans dazu verpflichten wollen, die Verhandlungen, deren ultimatives Ziel darin besteht, einen palästinensischen Staat zu schaffen, wieder aufzunehmen.

 
  
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  Landsbergis (PPE-DE). (EN) Herr Präsident, zwar ist das heutige Hauptthema Palästina, doch möchte ich unsere Aufmerksamkeit wieder zurück auf den Irak lenken. Palästina befindet mitten in einer Kette äußerst beachtenswerter Ereignisse, darunter die Wahlen in Afghanistan, in Palästina und im Irak. Daher handelt es sich bei der kommenden Feuerprobe am Sonntag nicht um ein einzelnes Ereignis, sondern um einen Bestandteil der äußerst signifikanten Veränderungen, die sich in jüngster Zeit in dem am stärksten verwundeten Teil der islamischen Welt abgespielt haben. Wir dürfen nicht – wie einige das getan haben – dem möglichen Boykott die Schuld geben oder ihn begrüßen, sondern wir müssen auf die Standhaftigkeit und eine hohe Wahlbeteilung des irakischen Volkes hoffen und dies begrüßen.

Vor einiger Zeit haben mich die Berichte aus Afghanistan über Millionen von Frauen beeindruckt, die eifrig und entschlossen, mit einem Gefühl der Menschenwürde, zum ersten Mal in ihrem Leben und in der Geschichte ihres Landes wählen gegangen sind. Jetzt könnte das mit Gottes Segen im Irak geschehen, dem Gott der Christen und Muslime. Hoffentlich wird das geschehen, trotz der Anstrengungen nicht-göttlicher Kräfte. Was auch immer der Fall sein mag, wir können vollkommen sicher sein, dass dies unter Saddam Hussein oder nach einem Sieg für die Terroristen niemals geschehen wäre.

Eine hohe Wahlbeteiligung am Sonntag wäre die wichtigste Stimme, nicht für die konkurrierenden Parteien, sondern für ein neues Leben, als Stimme der Menschen, die von der Sklaverei der Angst befreit sind.

 
  
  

VORSITZ: Mario MaurO
Vizepräsident

 
  
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  Zappalà (PPE-DE). – (IT) Herr Präsident, Herr Solana, Frau Kommissarin, meine Damen und Herren! Die Lage im Nahen Osten erfordert besondere Aufmerksamkeit. Das israelische Volk befindet sich in einer sehr schwierigen Situation, denn es muss mit der ständigen Gefahr terroristischer Anschläge leben, während andererseits das palästinensische Volk unter völlig unannehmbaren Bedingungen lebt.

Wer wie ich vor kurzem als Beobachter der palästinensischen Präsidentschaftswahlen tätig war, konnte hautnah eine Realität erleben, die unglaublich anmutet, wenn sie nach normalen Maßstäben und Kriterien beurteilt wird. Nebenbei kann ich bestätigen, dass die Wahlen trotz der Situation vor Ort einwandfrei verlaufen sind.

In der Welt der Palästinenser lebt man ohne festen Halt, ohne Gewissheiten, in einer sozialen Situation, die durch den totalen Verfall der Umwelt-, Beschäftigungs- und Organisationsbedingungen gekennzeichnet ist. In der Welt der Israelis lebt man in ständiger Suche nach einem Verteidigungssystem. Von vielen Seiten kommen Hilfe und Unterstützung, ohne dass sie jedoch, zumindest nicht bis heute, etwas Konkretes bewirkt hätten. Meines Erachtens müssen wir erfahren, in welchem Umfang die Union in den letzten Jahren Mittel für den Nahen Osten bereitgestellt hat, mit welchen Zielen und wer dafür verantwortlich war. Außerdem wäre es meines Erachtens sinnvoll, die Mittel in Zukunft gezielt in die Verbesserung der Lebensqualität in den palästinensischen Gebieten zu investieren.

Frau Kommissarin, es genügt nicht, Geld bereitzustellen, sondern es muss auch überprüft werden, wozu es verwendet wird. Diesbezüglich warte ich noch darauf, dass Sie eine von mir eingereichte spezielle Anfrage beantworten. Ein konkretes Engagement für die Zukunft, gepaart mit dem politischen Engagement für die Förderung der Verhandlungen zwischen beiden Staaten, die zudem durch die neue palästinensische Präsidentschaft erleichtert werden, wird später vielleicht zu Ergebnissen führen, die bisher sicher nicht einmal vorstellbar waren.

 
  
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  Gahler (PPE-DE). Herr Präsident! Es gibt in diesem Hause große Übereinstimmung, was den Wunsch betrifft, auf dem Weg in Richtung einer dauerhaften Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts endlich wieder voranzukommen.

Nach der Wahl des palästinensischen Präsidenten sowie einer Kabinettsumbildung in Israel sind die Erwartungen groß – sowohl hier bei uns in Europa als auch bei den Menschen in Israel und Palästina. Ich hatte bei Gesprächen außerhalb des offiziellen Programms in Ramallah und bei der Wahlbeobachtung westlich von Ramallah den Eindruck, dass man unter der Besatzungssituation natürlich leidet, aber oft auch auf die bisherige eigene Verwaltung nicht gut zu sprechen ist. Denn die Unfähigkeit und auch der fehlende Wille Arafats, alles zu tun, um innerhalb der Palästinensischen Autonomiebehörde für effektive Strukturen bei den Sicherheitsbehörden, bei der Gesundheitsvorsorge und anderswo zu sorgen, ist den Menschen nicht verborgen geblieben.

Wir haben die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass das, was jetzt in Gang kommt, wie z. B. der Abzug aus Gaza, vom Quartett gemeinsam begleitet wird. Ich will die EU, die USA und die anderen Beteiligten dort zusammen gegenüber beiden Parteien auftreten sehen. Ich glaube, diese sukzessive Diplomatie erweckt bei den Beteiligten nicht den richtigen Eindruck. Die sollen schon sehen, dass das Quartett insgesamt mit einer Meinung dort vertreten ist.

Sie, Herr Solana, haben die Aufgabe, schon jetzt die Planungen für die Zeit nach dem Gaza-Abzug voranzutreiben – also die Planungen, wie wir dann gegenüber den Beteiligten weiter vorgehen werden –, damit es danach auch wirklich weitergeht. Sonst wird dieser Konflikt tatsächlich zu einer unendlichen Geschichte werden.

 
  
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  Papastamkos (PPE-DE). – (EL) Herr Präsident! Heute diskutieren wir im Europäischen Parlament zum x-ten Mal über die langjährige menschliche Tragödie, die das palästinensische und das israelische Volk durchgemacht haben. Uns bietet sich jetzt tatsächlich eine neue Gelegenheit, einen substanziellen Friedensprozess in Gang zu bringen. Die durch die palästinensischen Präsidentschaftswahlen entstandene neue Situation spricht dafür, dass in einer leidgeprüften Region die Voraussetzungen für Frieden, Stabilität und Sicherheit gegeben sind. Eine Rückkehr an den Verhandlungstisch ist mehr als geboten. Zudem ist es notwendig, den Fahrplan für den Frieden zu reaktivieren. Denn nur durch die Bekräftigung der Gültigkeit des Fahrplans wird es möglich sein, ein stabiles und endgültiges Friedensabkommen auszuhandeln.

Besonderen Nachdruck möchte ich auf die Stärkung der spezifischen Rolle des Quartetts legen. Diese Rolle sollte sich sowohl durch Zusammenhalt als auch durch klare Zielsetzungen und Entscheidungskraft auszeichnen. Darüber hinaus möchte ich betonen, dass die praktischen Vorschläge, die Herr Solana im Hinblick auf Sicherheit, Reformen und finanzielle Hilfe unterbreitet hat, in die richtige Richtung weisen. Sie bilden einen unverzichtbaren europäischen Beitrag zu den Bemühungen, Rahmenbedingungen für die Konsolidierung der politischen und wirtschaftlichen Sicherheit zu schaffen.

Unser zentrales Ziel, das der Europäische Rat im Dezember festgelegt hat, ist klar: Ein unabhängiger, demokratischer und lebensfähiger palästinensischer Staat, der in Frieden und Sicherheit mit Israel und seinen anderen Nachbarn lebt. Es genügt jedoch nicht, dass wir allein dies wünschen. Dies muss in erster Linie das Anliegen der Protagonisten in diesem Konflikt sein.

 
  
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  Solana, Hoher Vertreter. (ES) Vielen Dank, Herr Präsident und vielen Dank an alle Abgeordneten, die so freundlich waren, bis zum Ende dieser langen Sitzung auszuhalten, bei der es um ein Schlüsselthema, ein grundlegendes Thema geht, das in Anbetracht der Zeit, in der wir leben, vielleicht eine größere Aufmerksamkeit seitens des Parlaments verdient. Ich möchte sagen, dass alle Mitglieder, die sich hier zu Wort gemeldet haben, mit einer Aufrichtigkeit, Stärke und Hoffnung gesprochen haben, die meiner Ansicht nach für den Geist nicht nur des Europäischen Parlaments, sondern auch der Mehrheit, und wie ich hoffe, aller Bürgerinnen und Bürger der Union stehen.

Ich glaube, so gesehen war heute ein Tag der Emotionen, ein Tag, an dem unsere Gefühle und unsere Wertvorstellungen zu Tage treten konnten, an dem wir uns physisch und verbal äußern konnten. Ich würde sagen, dass jetzt die Zeit gekommen ist, wo wir beginnen müssen, in diesen Sitzungen ein Ziel im konkreten Sinn zu verfolgen. Wir sollten nicht einfach unseren Emotionen erlauben, unsere Gedanken zu beherrschen, sondern wir sollten damit beginnen, Signale zu setzen, um zu zeigen, wohin wir gehen und wie wir vorankommen wollen. Ich glaube, meine Damen und Herren, dass die Europäische Union nach den historischen Momenten, die wir durchlebt haben – und sie müssen als historisch bezeichnet werden –, ein klares Aktionsprogramm einleiten sollte, was das Ziel unserer gegenwärtigen Erläuterungen vor dem Parlament ist. Und das Endergebnis dieses Programms muss in der Schaffung zweier Staaten bestehen, vor allem des palästinensischen Staates, der bislang nicht existiert.

Und ich glaube, dass wir nicht weiter nur Worte verlieren dürfen, sondern dass es uns gelingen muss, sukzessive die notwendigen Schritte zu unternehmen, um dieses Ziel in einem angemessenen Zeitraum zu erreichen. Ich möchte sagen, das, was gegenwärtig auf Seiten unserer palästinensischen Freunde besteht, kein Staat ist, sondern ein vorstaatlicher Zustand, den ich als Vorstufe eines Staates bezeichnen möchte. Unsere Pflicht ist es, ihnen auf die wirksamste Art zu helfen, die notwendigen Reformen durchzuführen, um einen lebensfähigen Staat zu schaffen, keinen Staat, der scheitert, sondern einen, der auf festen Füßen steht. Daher steht es außer Frage, dass wir ihnen helfen müssen, ihre vorstaatliche Struktur zu reformieren und anzupassen. Die Vorstufe eines Staates mit den begrenzten Pflichten einer solchen ist nicht dasselbe wie die Ausübung aller Pflichten eines Staates, zu denen nicht nur die Fragen in Zusammenhang mit der Wirtschaft gehören. Hier möchte ich eine Lanze für die Kommission, das Parlament und die Europäische Union insgesamt brechen. Die Art, in der die Europäische Union die Mittel bereitstellt, und in der Salam Fayyad, der in der Palästinensischen Autonomiebehörde mit den Finanzen betraut ist, die Gelder ausgibt, ist beispielhaft.

Ich möchte, dass die Abgeordneten dieses Parlaments dies anerkennen und dass auch die Bürger Europas darüber Bescheid wissen. Die Bemühungen von Salam Fayyad, dem Verantwortlichen für Finanzen, sind zusammen mit den Anstrengungen der Kommission, von Ihnen allen und der gesamten Europäischen Gemeinschaft außerordentlich und beispielhaft, und ich frage mich, ob manch andere Länder mit einer viel längeren Geschichte, die keine Staaten im Vorstadium wie die Palästinenser sind, die gleiche Fähigkeit zur Verwaltung ihrer Gelder aufbringen und diese in der Art und Weise umsetzen würden wie die Palästinenser.

Zweitens, zweifellos bedeutet ein Staat zu sein nicht nur, wirtschaftliche Strukturen zu besitzen, es bedeutet auch, über Sicherheitsstrukturen zu verfügen, und im Moment existiert kein Staat sondern nur die Vorstufe eines Staates. Daher müssen wir ihnen helfen, damit sie an dem Tag, an dem sie einen Staat haben, solide Sicherheitsstrukturen besitzen. Die Europäische Union hat die Mechanismen dafür und ist schon dabei, dies zu tun. Sie hilft, die Sicherheitskräfte so effektiv wie möglich aufzubauen und zu stärken, damit sie für ihre Bürger, für den Frieden unter diesen Bürgern und somit für Recht und Ordnung, die in jedem Staat herrschen müssen, tätig werden können.

Schließlich finden in einem Staat Wahlen statt; diese Wahlen werden bis zum Sommer durchgeführt. Bitte gestatten Sie mir, mit dem Sommer halt zu machen, danach werden wir sehen, was geschieht. Bis zum Sommer werden sehr wichtige Wahlen stattfinden, die wir unterstützen müssen, deren Kosten wir mittragen müssen und zu denen wir einen Beitrag leisten müssen, damit sie ordnungsgemäß und positiv verlaufen.

Was der Präsident auf palästinensischer Seite derzeit unternimmt, um eine Waffenruhe und eine Übereinkunft zur Aufnahme eines Dialogs zwischen den Palästinensern zu erreichen, ist bewundernswert. Viele von uns hätten nicht gedacht, dass dies in solch einer kurzen Zeit möglich sei. Es ist gelungen, und es muss fortgesetzt werden. Dennoch, meine Damen und Herren, müssen wir uns bewusst sein, dass die Lage sehr anfällig ist. Einige Tage nach den Wahlen war das erste Treffen zwischen Sharon und Präsident Abu Mazen geplant, doch durch die Gewalt wurde die Möglichkeit zum Dialog wieder zunichte gemacht. Die Situation ist also anfällig, und während wir hier debattieren, hat sich ein weiteres Attentat ereignet. Deshalb ist uns allen wohl klar, dass wir, was auch immer geschehen mag, nicht zulassen dürfen, dass Gewalttäter den Schlüssel für die Zukunft des Prozesses in der Hand halten. Das wäre absurd und ungerecht. Die Gewalt muss gestoppt werden, und wir dürfen den Gewalttätern nicht erlauben, den Schlüssel für den Fortschritt des Prozesses zu besitzen. Ich muss darauf hinweisen, dass wir, wie jemand mir sagte, von Israel sehr viel fordern müssen. Es gibt eine ganz konkrete Sache, die Israel tun kann und muss: Der Abzug aus dem Gaza-Streifen, der seinerzeit als eine einseitige Entscheidung beabsichtigt war, darf nicht länger eine einseitige Entscheidung sein. Er muss zu einer Entscheidung auf der Grundlage einer Vereinbarung werden, zu einer Entscheidung, die einen ersten Schritt auf dem Weg darstellt, der zu einem Rückzug aus allen besetzten Gebieten führt. So muss unsere Forderung lauten, und dies ist ein Teil der grundlegenden Politik, die wir Europäer in die Tat umsetzen müssen.

Nach einer langen Woche, die ich auch in Israel verbracht habe, wo ich, wie bereits gesagt, mit allen Verantwortlichen des Landes gesprochen habe, glaube ich aufrichtig, dass dies nicht unmöglich ist, dass es möglich ist und dass auch wir unserer Verantwortung gerecht werden müssen. Ich möchte Sie bitten, sich Ihrer Vorstellungskraft zu bedienen, ich kann Sie nicht alle bitten, nach Gaza zu reisen, aber die Situation im Gaza-Streifen ist für jene, die sie erlebt haben und wissen, wovon ich spreche, dramatisch, und dieser Abzug darf nicht bedeuten, dass der Gaza-Streifen zu einem Gefängnis wird. Er muss in der Lage sein, mit anderen Gebieten Handel zu treiben, er muss einen See- und einen Flughafen haben, andernfalls können die Menschen im Gaza-Streifen niemals nach außerhalb reisen. Und deshalb müssen wir ihnen helfen; wir müssen dazu beitragen, dass dort ein Seehafen und ein Flughafen zur Verfügung stehen, und dieser Seehafen und dieser Flughafen müssen fraglos unter internationaler Kontrolle stehen, wobei wir bereit sein müssen, diese Verantwortung zu übernehmen, falls sie uns angetragen wird.

Wir müssen imstande sein, dieser Verantwortung gerecht zu werden. Deshalb glaube ich, dass alle diese Themen von großer Bedeutung sind und dass wir uns in unseren Debatten auf sie konzentrieren müssen, wenn wir Ergebnisse erzielen wollen. Die Zeit ist gekommen, um Ergebnisse zu erreichen. Die Zeit, die wir vor uns haben, ist nicht endlos; wenn wir uns zu viel Zeit lassen, werden wir Frustration verspüren, wir werden die Palästinenser frustrieren, wir werden die Israelis frustrieren, und dieser Moment der Hoffnung, den Sie alle erkannt haben, dieser Moment des Stolzes, der sowohl unter den Israelis wie auch den Palästinensern vorhanden ist, wird vergehen. Es muss eine Gemeinschaft entstehen, die auf die gleiche Weise zu denken beginnt, in Israel und in Palästina, und diese Gemeinschaft darf nicht zerstört werden, sondern muss den Geist wieder beleben, der früher existierte, in der Zeit von Oslo und unmittelbar vor und nach Oslo.

Deshalb muss genau dies getan werden. Und eines möchte ich dem Parlament und meinen israelischen Freunden noch sagen: Es dürfen keine Entscheidungen mehr getroffen werden, die gegen mögliche endgültige Vereinbarungen gerichtet sind. Das ist sehr wichtig, es ist sehr einfach zu sagen, aber sehr schwer zu tun. Doch es darf keine Entscheidung getroffen werden, die nicht rückgängig gemacht werden kann, wenn der Zeitpunkt gekommen ist, um die Entscheidungen für die endgültige Vereinbarung zu treffen, aber einige Entscheidungen, die jetzt getroffen werden, behindern oder vereiteln sogar, was nach Meinung vieler in diesen Vereinbarungen enthalten sein sollte: die Hauptparameter des dauerhaften Status.

Das ist ein Punkt, den wir in diesen Tagen, da Israel sehr trauriger Zeiten, sehr schmerzvoller Zeiten gedenkt, für die wir Europäer eine große Verantwortung zu tragen haben, auf freundschaftliche Weise ansprechen mussten. Mit jener Freundschaft und jenen Grundsätzen, die uns Europäern am Herzen liegen sollten, die wir für so viele Dinge eine große Verantwortung tragen, sollten wir dies als Freunde sagen, wie ich bemerkte, damit wir auch wirklich Gehör finden, denn was wir sagen, zielt auf den Frieden und nicht in die entgegengesetzte Richtung. Das war es, was ich Ihnen sagen wollte, meine Damen und Herren, und ich möchte jenen, die bis jetzt bei uns ausgeharrt haben, danken, und zwar in meinem eigenen Namen und, wie ich hoffe, auch im Namen meiner guten Freundin, Benita Ferrero, der ich dafür danke, dass sie hier mit uns anwesend war.

Vor uns liegt viel Arbeit, und wir benötigen die Hilfe aller. Es wird nicht leicht werden, es wird sehr schwierig sein, doch wir müssen diesen Kampf um den Frieden gewinnen, nicht nur für Israel und Palästina, sondern, wie viele sagten, für den Frieden in der Region. Wenn in Israel und in Palästina Frieden herrscht, wachsen die Möglichkeiten für einen Frieden in der Region, und auf das, was Sie über den Irak sagten, hätte ich viel zu entgegnen, aber ich glaube nicht, dass dies der Tag ist, um diese beiden unterschiedlichen Debatten miteinander zu vermischen. Bis Sonntag sind es noch vier oder fünf Tage, dann werden weitere Debatten über den Irak stattfinden, aber wir können sicher sein, dass diese Entwicklung eintreten wird.

Damit komme ich zu meiner abschließenden Bemerkung: In den vergangenen Jahren haben wir Israel und Palästina in einer Situation erlebt, die wir als Krisenmanagement beschreiben könnten. Von jetzt an müssen wir zur Politik zurückkehren, Politik großgeschrieben, und wir müssen Ergebnisse erzielen, denn wir haben ja klare Ziele. Wenn wir klare Ziele haben und den politischen Willen, sie zu erreichen, dann wird uns dies auch gelingen. Entschuldigen Sie die späte Stunde, ich danke allen Abgeordneten, die diesen so langen Tag mit uns verbracht haben. Vielen Dank.

(Beifall)

 
  
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  Ferrero-Waldner, Kommission. (EN) Herr Präsident, so wie Javier Solana setzen auch die Kommission und ich alles daran, diese Schritte, von denen wir wissen, wie schwierig sie auch angesichts all der gewährten Unterstützung zu gehen sind, Wirklichkeit werden zu lassen. Das heißt natürlich auch, dass wir es uns zur Aufgabe gemacht haben, die ersten konkreten Schritte einzuleiten, und da Sie darum ersucht haben, möchte ich einige von ihnen nennen.

Zuerst haben wir uns z. B. gerade darauf geeinigt, für den Gaza-Streifen weitere 20 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen. Außerdem arbeiten wir sehr eng mit der Weltbank zusammen. Erst letzte Woche habe ich mich mit Präsident Wolfensohn getroffen. Wir nehmen den Rat der Weltbank sehr ernst: Wenn der Gewalt und dem Waren- und Personenverkehr nicht Einhalt geboten wird, haben zusätzliche Geldmittel nur wenig Auswirkungen. Darum ist es uns ein zentrales Anliegen, in diesem Punkt Verbesserungen zu erreichen.

Wenn ich am 7. und 8. Februar in diese Region reise, werde ich diese Themen auch mit den Palästinensern und Israelis ganz konkret besprechen. Außerdem möchte ich feststellen, was wir planen können und ob gute Projekte bestehen, mit deren Umsetzung wir diesen Prozess wirklich auf den Weg bringen können, ganz gleich, ob es sich dabei um den Wiederaufbau oder um den Aufbau von Institutionen usw. handelt.

Herrn Laschet möchte ich außerdem sagen, dass wir auch Bemühungen unterstützen, die Lebensbedingungen der palästinensischen Flüchtlinge zu verbessern, bessere Wohnverhältnisse zu schaffen und eine Veränderung beim Flüchtlingsstatus zu erreichen. Dazu ist - wie in der Roadmap vorgesehen - eine Lösung auf dem Verhandlungswege erforderlich; das ist schwieriger.

Keinesfalls dürfen wir den politischen Prozess aus den Augen verlieren. Javier Solana hat dies gerade dargelegt. Außerdem müssen wir uns fragen, was am Tag nach dem Rückzug aus dem Gaza-Streifen geschehen wird. Die Parteien müssen sich an einem politischen Prozess beteiligen, der über Gaza hinausgeht. Das ist eines der wichtigsten Themen, die wir auch mit Präsident Bush und Condoleezza Rice diskutieren müssen, wenn sie nach Europa kommen.

Vielen Dank, dies war eine sehr anregende und interessante Diskussion. Wie Sie sehen können, fühlen wir uns alle diesem Prozess verpflichtet, doch möchte ich auch zur Vorsicht mahnen: Es handelt sich um einen schwierigen Prozess, und es kann jeden Augenblick zu neuen Gewaltausbrüchen kommen.

(Beifall)

 
  
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  Der Präsident. – Die Aussprache ist geschlossen.

Die Abstimmung findet am Donnerstag um 10.00 Uhr statt.

 

8. Antisemitismus und Rassismus
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  Der Präsident. – Nach der Tagesordnung folgen die mündliche Anfrage (O-0089/2004 – B6-0003/2005) von Herrn Schulz und Herrn Ford im Namen der Sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament an den Rat zu den Gedenkfeierlichkeiten in Auschwitz und die mündliche Anfrage (O-0090/2004 – B6-0004/2005) von Herrn Schulz und Herrn Ford im Namen der Sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament an die Kommission zu den Gedenkfeierlichkeiten in Auschwitz.

 
  
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  Schulz (PSE). Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute eine Entschließung zu einem schweren Tag. Zu einem Tag der Erinnerung, der morgen in Auschwitz stattfinden wird, zur Erinnerung an ein Verbrechen, das mit diesem Ort, mit Auschwitz, verbunden ist, das in der Geschichte der Menschheit ein singuläres Verbrechen ist. Deshalb müssen wir die Debatte hier auch mit aller gebotenen Zurückhaltung führen.

Ich bin Abgeordneter des Europäischen Parlaments, ich bin Vorsitzender einer multinationalen parlamentarischen Fraktion, aber ich bin auch Abgeordneter aus der Bundesrepublik Deutschland; ich bin Deutscher, und wenn ich in dieser Eigenschaft – sowohl in Bezug auf meine Funktion als auch auf meine Nationalität – an diesem Abend über Auschwitz und über eine Entschließung zum Holocaust rede, dann spreche ich natürlich auch als Bürger einer Nation, eines Landes – Deutschlands –, mit dessen Namen Auschwitz untrennbar verbunden ist.

Auschwitz ist der moralische Tiefpunkt in der Geschichte meiner Nation. Das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau ist von Deutschen errichtet worden, von Verbrechern, die meiner Nation angehörten, von Menschen, die das Ansehen meines Landes in einer Art und Weise besudelt haben wie niemand zuvor und nachher. Deshalb kann ein Deutscher nie unbefangen über dieses Thema reden. Jede Generation – auch meine Generation – erbt, was die Vorgängergenerationen hinterlassen haben. Auschwitz gehört zum Erbe, das wir als die heutigen Deutschen übernehmen mussten.

Deshalb bekenne ich mich ausdrücklich – auch in meiner Funktion als Vorsitzender dieser Fraktion – dazu, dass wir Deutsche eine besondere Verantwortung haben, wenn es darum geht, Antisemitismus, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Faschismus, Menschenverachtung, Terror und Mord zu bekämpfen.

Ich werde morgen wie viele andere Kolleginnen und Kollegen gemeinsam mit Josep Borrell als Vertreter meiner Fraktion an der Gedenkfeier in Auschwitz teilnehmen können. Morgen wird auch der Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland dort anwesend sein. Wenn 60 Jahre nach diesem Tag der Befreiung von Auschwitz Deutsche gemeinsam mit anderen dort gedenken können, wenn ein Deutscher als Vorsitzender einer multinationalen Parlamentsfraktion dorthin reisen kann und gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus anderen Ländern – aus Russland, aus Polen, aus Israel, aus Frankreich, aus Italien und aus vielen anderen Ländern – dort in Erinnerung verharren und in Erinnerung den Opfern ein Stück ihrer Würde zurückgeben kann, dann verdanken wir diese Tatsache der Europäischen Union. Denn sie hat es möglich gemacht, dass wir Deutsche erhobenen Hauptes in die demokratische Völkerfamilie zurückkehren konnten, wo wir als heutige Deutsche unseren Beitrag zur Demokratie, zur Menschenwürde und zum Kampf gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit leisten.

Deshalb unterstützt meine Fraktion diese Entschließung und wir deutschen Abgeordneten in meiner Fraktion – ich glaube, in allen anderen Fraktionen auch – stehen zu dem, was in dieser Entschließung niedergeschrieben ist.

(Beifall)

 
  
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  Schmit, amtierender Ratspräsident. (FR) Herr Präsident, wie der Abgeordnete Schultz bereits sagte, werden sich morgen in Auschwitz zahlreiche Staatschefs, Vertreter dieses Parlaments und anderer Parlamente zusammenfinden, um gemeinsam mit Überlebenden dieser Hölle der Befreiung des Vernichtungslagers vor sechzig Jahren zu gedenken.

Als Vertreter eines neuen Europas erfüllen sie die Pflicht des Gedenkens und der Vermittlung, die heute notwendiger ist denn je. Der Vorsitz dankt den beiden Abgeordneten dafür, dass sie uns durch diese Frage zu einem Moment des Nachdenkens und des Erinnerns hier in diesem Parlament veranlassen, das 1979, nach seiner ersten Direktwahl, eine Überlebende aus Auschwitz, Simone Veil, zur Parlamentspräsidentin gewählt hat, die ich für die mutige Ausübung ihres Amtes als Präsidentin dieses Parlaments würdigen möchte.

Sechzig Jahre - das ist kürzer als ein Menschenleben. Es ist eine Gelegenheit, denjenigen, den wenigen Überlebenden, das Wort zu erteilen, die die Narben dieses unbeschreiblichen Grauens tragen, das unaussprechlich ist, aber heute laut und deutlich ausgesprochen werden muss. Die Shoa wird für immer eine Zäsur, einen Bruch in der europäischen Geschichte darstellen, wie Sie bereits richtig erklärten. Des Weiteren kann die Shoa, wie es die ehemalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth sagte, mit nichts verglichen werden. Wir wissen, dass es in der Geschichte des 20. Jahrhunderts zahlreiche Völkermorde gab, aber die Shoa ist ein besonderer Fall, etwas nie da Gewesenes. Sie verkörpert die Negierung unserer Zivilisation, unserer geistigen und ethischen Werte, die Negierung des Humanismus, den Europa hervorgebracht hat.

Auschwitz gehört nicht nur zur Geschichte, einer unerträglichen Geschichte. Auschwitz muss eine gegenwärtige, schmerzhafte Realität bleiben, die derzeitige und künftige Generationen dazu veranlasst, ein besseres Verständnis zu gewinnen, jegliche Ideologie des Hasses und der Ausgrenzung zurückzuweisen und das Bewusstsein des „nie wieder“ täglich in die Tat umzusetzen. So wesentlich die Pflicht des Gedenkens auch ist, sie reicht nicht aus. Natürlich ist es notwendig, dass wir uns an das Geschehene erinnern, aber wir benötigen auch Einsatz und Taten. Der Antisemitismus ist nach wie vor gegenwärtig. Die Wiener Beobachtungsstelle stellt sogar ein Ansteigen des Antisemitismus sowie aller Arten von Rassismus in unseren Gesellschaften fest.

Die Revisionisten und Holocaustleugner, all diejenigen, die versuchen, den singulären Charakter der Shoa zu relativieren, all diejenigen, die Scheinargumente hervorbringen, indem sie inakzeptable Verbindungen herstellen, müssen bekämpft werden. Dies ist ein Verbrechen gegen die Wahrheit, um die Worte des Präsidenten Chirac zu benutzen, und die Verantwortlichen müssen in einem auf ethische Werte und die Achtung der Menschenrechte aufgebauten Europa verfolgt werden, das sich nunmehr auf die Grundrechtecharta gründet, die in die Verfassung aufgenommen wurde und vom Parlament breite Zustimmung erhielt. Es handelt sich aber auch um ein Verbrechen gegen das Gedenken an all jene, die gelitten haben, insbesondere die zehn-, die hundertausende Kinder, deren Leben auf schändlichste Weise zerstört wurde, an ihre traurigen Blicke, die auf Fotos zu sehen sind. Mögen diese verängstigten Blicke sich tief in unser Gewissen eingraben und uns ermahnen, einen entschiedenen und engagierten Kampf gegen das Vergessen und, was noch schlimmer ist, das vollständige Leugnen dieses Verbrechens zu führen!

Herr Präsident, der Schutz der Menschenrechte und damit all derer, deren Würde Angriffen im Rahmen der gegenwärtigen Welle von Antisemitismus und Rassismus ausgesetzt ist – stellt einen der Stützpfeiler der Politik der Europäischen Union dar. Zu diesem Zweck arbeiten der Rat und die anderen Organe im Kampf gegen diese regelrechte Geißel eng mit internationalen Organisationen wie dem Europarat, der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und den Vereinten Nationen zusammen.

Der Rat begrüßte die von der OSZE getroffenen Maßnahmen, wie die Annahme der Erklärungen von Berlin und von Brüssel, die jegliche Äußerungen von Antisemitismus und alle anderen Äußerungen von Intoleranz verurteilen. Auf der Ministertagung der OSZE in Sofia wurden Stellen für persönliche OSZE-Vertreter für die Bekämpfung von Antisemitismus, Rassismus und Islamfeindlichkeit geschaffen. Dies dürfte die Arbeit des OSZE-Büros für demokratische Institutionen und Menschenrechte verstärken, das seinen Sitz in Warschau hat und verantwortlich für die Überwachung von Erscheinungen des Antisemitismus und anderer Arten von Intoleranz ist. Auf der 59. Tagung der Generalversammlung der Vereinten Nationen wurde auf Initiative der EU eine Resolution verabschiedet, die explizit alle Formen von Antisemitismus verurteilt. Anlässlich des Tages der Menschenrechte am 10. Dezember 2004 erinnerte die Union in New York an die Bedeutung der Bildung als wesentliche Voraussetzung für den Aufbau einer Kultur des Respekts und der Toleranz, die mit der Wahrung der Grundrechte vereinbar ist. Die Schaffung einer Europäischen Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit steht im Einklang mit dem Willen des Rates und der Union im Allgemeinen, sich mit den notwendigen Instrumenten für die Bekämpfung der verschiedenen Arten von Intoleranz auszustatten.

Die Erinnerungsarbeit mit Jugendlichen - ich habe den Abschnitt über die Geschichtsbücher und den Geschichtsunterricht, die auf europäischer Ebene gefördert werden müssen, gut gelesen -, ist eine europäische Initiative, die unterstützt werden muss. Der Vorsitz wird dafür sorgen, dass dies geschieht.

(Beifall)

 
  
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  Frattini, Vizepräsident der Kommission. (EN) Herr Präsident! Die Kommission ist sich voll und ganz darüber im Klaren, dass der Kampf gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit noch nicht vorüber ist, da Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit wiederaufflammen und offene rassistische Übergriffe wieder zunehmen. Dies bereitet uns allen große Sorge.

Die Organe der Union haben immer wieder bekräftigt, dass sie sich für die Verteidigung der Menschenrechte einsetzen. Zudem haben sie jegliche Formen der Intoleranz, des Rassismus, der Fremdenfeindlichkeit und des Antisemitismus stets verurteilt, weil sie eine direkte Verletzung der Grundsätze der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit darstellen. Das sind die Grundsätze, auf denen die Europäische Union beruht und die allen Mitgliedstaaten gemeinsam sind.

Die Kommission geht die Probleme des Rassismus, der Fremdenfeindlichkeit sowie rassistischer und religiöser Diskriminierung in einer ganzen Reihe von Programmen und Initiativen an, die von der Antidiskriminierungs-, Justiz- und Menschenrechtspolitik bis hin zu Bildungs- und Forschungsprogrammen reichen. Die Kommission beabsichtigt, ihre Bemühungen im Kampf gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus verstärkt fortzusetzen. Insbesondere hat die Kommission die Mitgliedstaaten und den Rat wiederholt aufgefordert, den Rahmenbeschluss zur Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zu verabschieden, den sie im November 2001 vorgelegt hat. Diesem Vorschlag zufolge müssten die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass rassistische und fremdenfeindliche Übergriffe strafrechtlich verfolgt werden können und ungefähr das gleiche Strafmaß in der gesamten EU gilt. Durch diesen Vorschlag würde auch die justizielle Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten verbessert werden, so dass die Straftäter leichter vor Gericht gestellt werden könnten. Die Kommission ist der Ansicht, dass Europa nach der Annahme dieses Textes über den notwendigen Rechtsrahmen verfügen würde, um gegen die Geißel des Rassismus und Antisemitismus wirksam angehen zu können. Insofern stimmen wir mit dem luxemburgischen Vorsitz voll und ganz überein und hoffen, dass die Gespräche über diesen Vorschlag in den kommenden Wochen wieder aufgenommen werden.

Abschließend möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, dass die Kommission vor kurzem ihren jährlichen Aufruf gestartet hat, Vorschläge für das Gedenken an die Opfer der Konzentrationslager zu unterbreiten. Diese Initiative zielt darauf ab, insbesondere unter der jüngeren Generation das Bewusstsein für die Verbrechen, die in diesen Lagern begangen wurden, zu schärfen.

 
  
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  Klamt (PPE-DE), im Namen der PPE-DE-Fraktion. – Herr Präsident, Herr Kommissar Frattini, sehr geehrte Herren des Rates! Die Gründerväter dieser unserer Europäischen Union hatten vor mehr als fünfzig Jahren einen Grundgedanken: Frieden für die Menschen eines von zwei Weltkriegen zerstörten Kontinents. Männern wie Schuman, Monnet und Adenauer hätte ich gewünscht, am heutigen Tag, in diesem Moment, an der Sitzung in diesem Europäischen Parlament teilzunehmen. Einem Tag, an dem Abgeordnete aus fünfundzwanzig Mitgliedstaaten derer gedenken, die vor 60 Jahren aus dem Todeslager der deutschen Nationalsozialisten, dem Lager Auschwitz-Birkenau, befreit wurden. Einem Tag, an dem wir all der Juden, Roma, Homosexuellen, Polen und anderen Nationalitäten gedenken, die dort und in anderen Lagern ermordet worden sind.

Ich, die ich als deutsche Abgeordnete heute hier spreche, bin mir der Taten, die im Namen meines Volkes von Deutschen vor mehr als 60 Jahren verübt worden sind, bewusst. Ich stelle mich der Verantwortung, die meinem Volk und meiner Generation daraus erwachsen ist. Dass wir heute hier gemeinsam an das Leid erinnern, dass wir gemeinsam dazu aufrufen, nicht zu vergessen – die Konzentrations- und Vernichtungslager noch die dort begangenen Verbrechen – nur das kann künftigen Generationen als Warnung vor einem Völkermord dienen, der seine Wurzeln in der Verachtung anderer Menschen, in Hass, Antisemitismus, Rassismus und Totalitarismus hat.

Wir, die Vertreter der Bürgerinnen und Bürger dieser geeinten Europäischen Union, verurteilen gemeinsam jegliche Form von Intoleranz und Aufwiegelung zum Rassenhass, insbesondere alle Akte und Erscheinungsformen von Antisemitismus und alle Gewalttaten, die aus Hass oder Intoleranz gegenüber anderen Religionen oder Rassen begangen werden. Ebenso verurteilen wir Anschläge auf religiöse Orte, Stätten und Heiligtümer von Juden, Christen, Moslems oder anderen Glaubensgemeinschaften sowie alle gewalttätigen Übergriffe auf Minderheiten.

Wir alle müssen deshalb dafür eintreten, dass die Zusammenarbeit und der Dialog zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen gefördert werden. Wir müssen mutig und öffentlich Intoleranz, Diskriminierung und Rassismus verurteilen. Wir dürfen weder heute noch in Zukunft unsere Geschichte vergessen oder verdrängen. Unsere Gründerväter haben sich ihrer, unserer Geschichte gestellt. Sie haben sich im kleinen Kreis zusammengesetzt, um ein friedliches Europa, ein freiheitliches und demokratisches Europa und ein sicheres Europa zu schaffen. Heute ist es an uns, im großen Kreis an dieser verantwortungsvollen Aufgabe weiterzuarbeiten. Zeigen wir uns dieser Aufgabe würdig und fähig, damit sich dieser Kontinent im 21. Jahrhundert friedlich, in aller Vielfalt weiterentwickeln kann; für die und mit den Menschen, die hier heute und zukünftig leben, und im Gedenken an jene, die ein friedliches Europa nicht erleben durften.

(Beifall)

 
  
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  Ford (PSE), im Namen der PSE-Fraktion. – (EN) Herr Präsident, heute und morgen begeht das Parlament den 60. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau. Im Parlament gab es einige Meinungsverschiedenheiten über die Herkunft und Nationalität der Verantwortlichen. Die Hauptakteure waren jedoch die deutschen Nazis mit ihrer Rassenideologie, die ausgehend von ihrer völlig abwegigen und verzerrten Erbgesundheitslehre die Juden für eine bösartige, minderwertige Rasse hielten, die es auszurotten galt. Leider gibt es heutzutage immer noch einige unter uns, die diese kranke Ideologie vertreten.

Zu den Komplizen der Nazis gehörten Angehörige aller möglichen Rassen und Nationen, die bei der Vernichtung entweder aktiv mitmachten oder aber alles stillschweigend mit ansahen und dem Bösen seinen Lauf ließen. Allerdings war kein europäisches Land durchweg unschuldig oder durchweg schuldig. In Großbritannien wurden zwar nur die Kanalinseln von den Nazis besetzt, doch die dortigen britischen Verantwortlichen erfassten die auf den Kanalinseln lebenden Juden, stempelten ein „J“ in ihre Pässe und arrangierten nur zu gern ihren Abtransport nach Auschwitz, wo sie alle ausnahmslos umgebracht wurden. All dies geschah, nachdem die damalige britische Regierung einigen dieser Juden das Recht verweigert hatte, sich auf die britische Hauptinsel zu retten, da sie als feindliche Ausländer angesehen wurden. Außerdem war da noch das Britische Freikorps, bestehend aus Getäuschten, Desertierten und Faschisten, die gemeinsam mit den Nazis an der Ostfront kämpften.

Bei dieser Aussprache geht es jedoch nicht vorrangig um die Vergangenheit, sondern um die Zukunft. Anfang dieser Woche nahm ich an einer Veranstaltung in London teil, die vom „Anne Frank Trust“ organisiert wurde. Dort berichteten 50 Überlebende des Holocaust von ihren Erlebnissen. Sie verlangten nicht nach mehr und besserer Geschichte, sie diskutierten nicht über die Nationalität oder die Herkunft ihrer Häscher und Wärter. Stattdessen forderten sie gemeinsam mit Überlebenden aus dem Kosovo und Ruanda, dass so etwas nie wieder geschehen dürfe. Leider gerät all dies langsam in Vergessenheit. Kürzlich erklärte ein Abgeordneter des Europäischen Parlaments, Herr Le Pen, dass die Okkupation Frankreichs durch die Nazis nicht besonders unmenschlich gewesen sei, obwohl im französischen Konzentrationslager Struthof 73 000 Juden umgebracht wurden.

Prinz Harry bewies seine – so hoffe ich jedenfalls – erschreckende Unkenntnis der Geschichte, als er es lustig fand, auf einer Faschingsparty als Nazioffizier zu erscheinen. Am besten können wir der Opfer heute hier im Parlament und morgen bei der Abstimmung gedenken, wenn wir den Kampf gegen Antisemitismus und Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Islamfeindlichkeit intensivieren. Die Kommission, insbesondere Kommissar Frattini, und der Rat sollten überlegen, wie sie die begrüßenswerte Rahmenrichtlinie gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit am besten vorantreiben können.

Wir müssen prüfen, ob neue Rechtsvorschriften gegen rassistische Straftaten erforderlich sind und ob auf Gemeinschaftsebene Maßnahmen ergriffen werden sollten, um das öffentliche Tragen von Nazisymbolen zu verbieten. Uns wurde immer wieder von den Verdiensten der Europäischen Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit berichtet. Vielleicht sollten wir noch einmal überprüfen, ob diese Beobachtungsstelle herabgestuft werden sollte, indem sie zu einer Stelle zur Beobachtung allgemeinerer Menschenrechte umfunktioniert wird.

Schließlich sollten wir nachdenken, wie wir auf Gemeinschaftsebene der jüngeren Generation Kenntnisse über die Schreckenstaten der Nazis - die Vernichtung der Juden sowie die Ermordung der Roma, der psychisch Kranken und der antifaschistischen Christdemokraten und Liberalen, Sozialisten und Kommunisten in den Konzentrationslagern - am besten vermitteln können.

(Beifall)

 
  
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  Ludford (ALDE), im Namen der ALDE-Fraktion. – (EN) Herr Präsident! Ich möchte Simone Veil, der ehemaligen Vorsitzenden der liberalen Fraktion und der ehemaligen Präsidentin dieses Parlaments, meine Anerkennung aussprechen. Ich freue mich, dass die UN-Generalversammlung in dieser Woche auf Initiative der EU hin zum ersten Mal der Opfer des Holocaust gedachte. Mein Kollege, Herr Geremek, war dort als Vertreter Polens und brachte zum Ausdruck, dass vor allem das Konzentrationslager Auschwitz, das von Hitlerdeutschland im besetzten Polen errichtet wurde, zum Symbol der Naziverbrechen wurde. Wenn die eigene Geschichte vergessen wird, dann wird sie sich zwangsläufig wiederholen. Heute, 60 Jahre später, müssen wir den Antisemitismus sowie rassistische und religiöse Vorurteile unbedingt bekämpfen.

Wir müssen aus dem Holocaust unsere Lehren ziehen, nämlich wie der Faschismus Fuß fasste, wie seine Ideologie schleichend Anklang fand und wie er viele, scheinbar ehrbare Menschen in seinen Bann zog. Wenn wir verstehen, wie Hitler die Deutschen des 20. Jahrhunderts überzeugte, sich seiner abscheulichen Ideologie anzuschließen und Juden, Roma, Osteuropäer, Homosexuelle und Andere als Sündenböcke hinzustellen, zu verachten und zu entmenschlichen, dann können wir im Europa des 21. Jahrhunderts denjenigen besser entgegentreten, die jüdische Gräber schänden oder Juden zusammenschlagen, Roma vertreiben, Moscheen mit Graffiti besprühen oder Ausländern beziehungsweise Einwanderern einfach mit Hass begegnen.

Wir gedenken aller Opfer des Holocaust. Das Leid kennt keine Rangfolge. Ich möchte jedoch – wenn Sie gestatten – nur darauf hinweisen, dass nicht nur der Völkermord an den Juden, sondern auch der an den Roma volle Beachtung finden sollte.

Ich möchte den Deutschen keineswegs einen Teil ihrer Verantwortung abnehmen, wenn ich behaupte, dass der Faschismus ein Virus war und auch heute noch ist – jeder kann sich anstecken. Der Onkel von Königin Elisabeth II. hat sich damit ein wenig infiziert, und ihr Enkel war in seiner Unwissenheit dumm genug, auf einer Faschingsparty mit einer Uniform mit Hakenkreuz zu erscheinen – offensichtlich wollte er Rommel darstellen. Die Unwissenheit von Prinz Harry ist erschreckend, doch leider handelt es sich hier nicht um einen Einzelfall. Daher muss die Aufklärung über den Holocaust als Pflichtthema in sämtliche Lehrpläne der Schulen aufgenommen werden. Die Mehrzahl der jungen britischen Schüler hat noch nie etwas vom Holocaust gehört.

Ich kann zwar die Gründe für das Hakenkreuzverbot in Deutschland nachvollziehen, bin jedoch nicht davon überzeugt, dass die Ausdehnung dieses Verbots auf die gesamte EU Wirkung zeigen würde. Es wäre bei weitem sinnvoller, die festgefahrenen Diskussionen über eine EU-Rechtsvorschrift wieder aufzunehmen, mit der die Aufwiegelung zu Rassenhass und religiösem Hass unter Strafe gestellt werden soll. Unser vorrangiges Ziel müssen die Wurzeln und nicht die Symbole des Rassismus sein. Vergangene Woche gab der luxemburgische Justizminister gegenüber dem Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres das Versprechen ab, diese Angelegenheit erneut auf die Tagesordnung des Rates zu setzen. Wir werden ihn beim Wort nehmen. Meines Erachtens würde auch die Öffentlichkeit hinter uns stehen. Im Vereinigten Königreich wird solch ein Gesetz von 60 % der Bürger unterstützt.

Ich freue mich, dass sechs Fraktionen unseren Entschließungsantrag befürworten. Alle Europäer müssen sich gemeinsam und entschlossen dafür einsetzen, dass Antisemitismus und Rassismus ausgemerzt werden.

Nicht zuletzt wäre es höchst angebracht, dass der Vorsitz sämtlichen Regierungen vorschlägt, den 27. Januar in der gesamten EU zum Europäischen Holocaust-Gedenktag zu erklären. Dies ist bereits in einigen Mitgliedstaaten der Fall, aber noch nicht in allen. Dieser Vorschlag war auch in einer schriftlichen Erklärung dieses Parlaments enthalten, die bereits vor fünf Jahren abgegeben wurde und auch die Unterstützung des Jüdischen Weltkongresses fand. Ich möchte den Vorsitz darum ersuchen, diesen Punkt bei den Treffen mit seinen Kollegen hervorzuheben.

 
  
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  Kallenbach (Verts/ALE), im Namen der Verts/ALE-Fraktion. Herr Präsident, Herr Kommissar, Herr Minister, liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Fraktion begrüßt die vorliegende Entschließung und hofft sehr, dass eine überwältigende Mehrheit dieses Hohen Hauses damit zum richtigen Zeitpunkt das richtige Signal aussendet.

Es muss jeden demokratisch gesinnten Menschen aufrütteln, dass es selbst nach mehr als 60 Jahren in Europa und weltweit Tendenzen gibt, das barbarische Geschehen im Nationalsozialismus zu verharmlosen oder gar zu leugnen. Es muss aufrütteln, dass Menschen eine Klassifizierung von Menschen nach ihrer Herkunft, Religion sowie politischer oder sexueller Neigung als Parteiprogramm formulieren und dafür auch noch wählbar sind. Leider sind wir ja auch in diesem Parlament von solchen Vertretern nicht verschont geblieben. Daher ist es gut und wichtig, dass sich das Europäische Parlament klar positioniert und jegliche Form von Intoleranz, Aufwiegelung zum Rassenhass sowie alle Formen von Antisemitismus bedingungslos verurteilt. Es gilt immer wieder: Wehret den Anfängen!

Lassen Sie uns gemeinsam dafür eintreten, dass Bildungsangebote für die Jugend, Austauschprogramme und Besuche von Gedenkeinrichtungen für die Opfer des Holocaust zum Pflichtprogramm an Schulen und Universitäten werden. Vielleicht schaffen es ja die jungen Menschen, den Beton aus den Köpfen der Großväter zu sprengen, wenn diese selbst dazu offensichtlich nicht in der Lage sind. Lassen Sie uns auch gemeinsam darüber nachdenken, wie wir nationalistischen Tendenzen in diesem Parlament begegnen können. Ich möchte anfragen, wie lange wir noch den bewusst zum Ausdruck gebrachten anti-europäischen Sinn tolerieren werden und uns hier solche nationalen Flaggen schweigend entgegenstellen lassen.

Ich möchte darüber hinaus Ihre Aufmerksamkeit auch auf ein Ereignis der letzten Woche richten, das für mich inakzeptabel ist und mich besonders betroffen gemacht hat, weil es in meinem Land geschehen ist. Es geht um das Auftreten von NPD-Vertretern im Landtag von Sachsen in Deutschland. Diese Herren, für mich Wölfe im Schafspelz, verweigerten ihre Teilnahme am stillen Gedenken für die Opfer des Nationalsozialismus. Mehr noch, sie verhöhnten die Opfer, indem sie die Alliierten wegen der Luftangriffe 1945 auf Dresden als Massenmörder bezeichneten und von einem Bomben-Holocaust sprachen. Das ist eine Schande, nicht nur für Sachsen oder Deutschland.

Deshalb denke ich, Sachsen und Deutschland brauchen ein klares Signal aus Europa, dass derartiges Gedankengut intolerabel und somit zu ächten ist. Daher begrüßt unsere Fraktion insbesondere die erklärte Absicht des Luxemburger Ratsvorsitzes, die festgefahrenen Diskussionen über einen Rahmenbeschluss zur Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit wieder in Gang zu bringen und sich für ein europaweites Verbot der Volksverhetzung einzusetzen.

Ich habe mit Freude Ihren Beitrag, Herr Kommissar Frattini, und auch Ihren Beitrag, Herr Minister Schmit, wahrgenommen, weil Sie offensichtlich fest entschlossen sind, hier voranzukommen.

Wenn immer wieder volksverhetzende Reden gehalten werden dürfen, darf dies nicht im Schutz der Indemnität auch noch ein gesichertes Podium bekommen. Das ist unerträglich. Lassen Sie uns bitte morgen mit einer Schweigeminute gemeinsam ein Signal setzen. Ich nehme an, dass das Präsidium das vorgesehen hat; in der Tagesordnung habe ich es leider noch nicht gefunden.

 
  
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  Catania (GUE/NGL), im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – (IT) Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Frattini! Sehr geehrter Herr Schmit! Meine Damen und Herren! Hinter jenem Eisentor wurde die Barmherzigkeit zu Grabe getragen, wurden die höchsten Werte der Menschheit begraben, ist Gott gestorben. In den Vernichtungslagern wurden die Symbole nazistischer Grausamkeit und schrecklicher Verfolgungswut zur Reife gebracht, wurde das grausamste Verbrechen in der Geschichte des 20. Jahrhunderts begangen. Auschwitz ist zugleich Raum und Zeit, Geografie und Geschichte des Terrors, der tödlichen Barbarei und Mordbesessenheit, eine kaltblütige Tortur des Hasses, der über die Heimat der Aufklärung und des Positivismus hereinbrach, in einem Europa, das den Verstand verlor.

Der Wahnsinn der Konzentrationslager wurde durch eiskalte Rationalität, durch die perverse Vorstellung von einer Welt hervorgebracht, die kritische Kulturen ausmerzen, Gleichschaltung durchsetzen und in der Vielfalt ihren Erzfeind sehen sollte. Der Gedenktag darf nicht bloß dem Gedenken, der rhetorischen Erinnerung an ein ungeheures Geschehen gewidmet sein, er kann nicht nur in dem Bild jenes Soldaten zusammengefasst werden, der die Schrecken in Auschwitz erblickte. An jenem Tag wurde der Grundstein für ein friedliches Europa, für ein politisches Gebilde gelegt, durch das das Wort „Krieg“ mit der Wurzel ausgerottet werden sollte.

Es wurde schon viel erreicht, doch muss noch ein langer Weg zurückgelegt werden in einem Europa, das weiterhin keine klare und entschiedene Stellung gegen den Krieg bezieht und häufig von Sprachlosigkeit befallen wird, während der Mensch unserer Zeit, um es mit den Worten eines großen Dichters zu sagen, immer noch mit Stein und Schleuder herumläuft; er tötet weiter nach der exakten, auf Massenvernichtung ausgerichteten Wissenschaft. Es genügt nicht, sich zu erinnern, sondern es gilt, ebenso unerbittlich und entschlossen die aggressiven Triebe des Antisemitismus, des Rassismus und der Islamophobie zu bekämpfen. Es müssen wirksame, offizielle Hindernisse geschaffen werden, um die Ausbreitung der Diskriminierung aus geschlechtlichen, sexuellen und ethnischen Gründen zu verhindern.

Die ganze Welt sowie Europa werden von ansteckenden Keimen heimgesucht, die sich zusammen mit den Theorien über den Präventivkrieg und den permanenten Krieg ausbreiten, d. h. dem Dogma vom Kampf der Kulturen und den neuen Kreuzzügen gegen die Ungläubigen. Auschwitz ist nicht nur ein Ort, der sich tief ins Gedächtnis der Geschichtsschreibung über den Nazismus eingegraben hat; Auschwitz steht auch für die Angst und die Furcht vor dem, was die Zukunft bringen mag.

 
  
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  Pęk (IND/DEM), im Namen der IND/DEM-Fraktion. (PL) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich kann keinen weiteren Angriff auf die polnische Flagge unkommentiert hinnehmen. Deswegen werde ich ehrlich und geradeheraus antworten. Polnische Flaggen werden hier so lange hängen wie sie über dem Präsidenten des Europäischen Parlaments hängen – im Einklang mit dem europäischen Recht.

Keiner kann jemals daran zweifeln, dass der Holocaust, dieses beispiellose Verbrechen, verurteilt werden muss. Im Namen der polnischen Abgeordneten dieses Parlaments möchte ich jedoch betonen, dass unsere Reaktion auf den gemeinsamen Entschließungsantrag des Parlaments zum Konzentrationslager Auschwitz von den westlichen Medien und der westlichen Öffentlichkeit offenbar nicht richtig verstanden wurde. Daher möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf einige Fakten lenken.

Seit vielen Jahren erscheinen in der europäischen Presse, insbesondere in der englischsprachigen Presse, regelmäßig Verweise auf so genannte polnische Konzentrationslager, wie Auschwitz, Treblinka, Majdanek und Sobibor. Hierbei handelt es sich um eine abscheuliche Verzerrung der Geschichte, da auf deutsche Konzentrationslager in von Deutschland besetzten polnischen Gebieten verwiesen werden sollte, anstatt auf polnische Konzentrationslager. Ich möchte nur ein einziges Beispiel anführen, um dies zu verdeutlichen. In Frankreich haben die Deutschen 50 km von Straßburg entfernt das Konzentrationslager Struthof in der Nähe der Stadt Schirmeck gebaut. Dieses wurde niemals als französisches Konzentrationslager mit dem Namen Struthof bezeichnet, sondern immer als deutsches Konzentrationslager auf französischem Boden. Niemand, der bei Sinnen ist, würde das Lager in Guantánamo als kubanisches Lager bezeichnen. Mit dem Ausdruck, den Herr Schulz im ursprünglichen Entschließungsantrag gebraucht hat, und ich zitiere: „das Vernichtungslager Auschwitz in Polen“, wurde so gut wie suggeriert, dass es ein polnisches Konzentrationslager hätte gewesen sein können. Unsere Empörung und Wut sollte Sie also nicht überraschen, da solche falsche Darstellungen der Geschichte bewusst vorgenommen werden.

Zweitens bezieht sich der gemeinsame Kompromissentschließungsantrag nur auf Hitlers Nazis als Täter. Bei diesem Punkt möchten wir anmerken, dass Hitler von der breiten Mehrheit der Deutschen demokratisch gewählt worden ist. Den Deutschen wurde der Nationalsozialismus nicht aufgezwungen...

(Der Präsident entzieht dem Redner das Wort.)

 
  
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  Der Präsident. – Die Aussprache berührt selbstverständlich Themen, die starke Emotionen hervorrufen. Dennoch fordere ich alle Kolleginnen und Kollegen auf, das nicht auszunutzen, um gegen die Geschäftsordnung des Parlaments zu verstoßen. In diesem Zusammenhang erinnere ich daran, dass das Präsidium, unabhängig von den politischen Auffassungen, die Geschäftsordnung, auch unter Hinzuziehung des Juristischen Dienstes, geprüft und dabei festgestellt hat, dass sie keine Bestimmungen enthält, die ein Verbot der Aufstellung von Flaggen im Sitzungssaal des Parlaments begründen würden. Wer eine solche politische Auffassung durchsetzen will, der müsste daher zuerst eine Änderung der Geschäftsordnung erwirken. In Anbetracht dessen halte ich es für sinnlos, über dieses Thema zu diskutieren.

 
  
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  Muscardini (UEN), im Namen der UEN-Fraktion. – (IT) Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist beunruhigend festzustellen, dass trotz der furchtbaren Tragödie, die im vergangenen Jahrhundert die Juden und demzufolge die ganze Menschheit getroffen hat, immer noch eine Zunahme rassistischer und antisemitischer Gesinnungen zu verzeichnen ist, die sich nicht nur in Europa verbreiten. In den vergangenen Jahren haben wir selbst in diesem Parlament Vorurteile gegenüber Israel zu Ohren bekommen, die sicher weder der Wiederherstellung des Friedens im Nahen Osten noch der Durchsetzung eines Europas genutzt haben, das sich besser in den gemeinsamen Kampf gegen Terrorismus und Gewalt einzubringen vermag.

Das Wissen um die Massaker und Tragödien, die das Menschengeschlecht in der jüngsten Geschichte erlebt hat, und der Kampf, mit dem eine Wiederholung derartiger Verbrechen verhindert werden soll, gehören zu den Grundprinzipien der Europäischen Union, die sich aus dem Bewusstsein heraus entwickelt hat, dass Frieden, Demokratie und Achtung der anderen Menschen keine ewig garantierten Grundsätze sind, sondern vielmehr jeden Tag aufs Neue behauptet werden müssen.

Die Anwesenheit der Fraktionsvorsitzenden des Europäischen Parlamentes bei den Gedenkfeierlichkeiten anlässlich des 60. Jahrestages der Befreiung von Auschwitz – deren ich bereits 1999 zusammen mit dem heutigen Außenminister Italiens, Gianfranco Fini, gedachte - erlangt heute besondere Bedeutung, weil sie die Einheit und die Entschlossenheit der europäischen Völker demonstriert, nicht nur den Holocaust zu verurteilen, sondern auch den Kampf gegen heute noch in Europa und in der Welt bestehende Ungerechtigkeiten, Gewalthandlungen und Diskriminierungen fortzuführen.

Während wir unsere Verurteilung der Geschehnisse der Vergangenheit erneut bekräftigen, müssen wir jedoch unsere Besorgnis ob der Meldungen über Erscheinungen des Antisemitismus in Russland und verschiedenen Ländern Europas bekunden. Diejenigen, die heute noch nicht begreifen, dass es eines allseitigen Engagements gegen jede offene oder geheime Rechtfertigung oder auch Nichtverurteilung von Akten der Intoleranz, des Rassismus und des Antisemitismus bedarf, sind sich weder ihrer Ignoranz in Bezug auf die Geschichte noch der Tatsache bewusst, auch für sich selbst einen Abgrund aufzutun, aus dem es kein Zurück gibt.

 
  
  

VORSITZ: GÉRARD ONESTA
Vizepräsident

 
  
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  Claeys (NI).(NL) Wir behandeln heute einen Entschließungsantrag zum Gedenken an den Holocaust sowie zu Antisemitismus und Rassismus. Man hätte einen Text erwarten können, der den Opfern des Holocaust Anerkennung zollt, verbunden mit einem sachlich-nüchternen Appell, dieses abscheuliche Kapitel in der europäischen Geschichte niemals in Vergessenheit geraten zu lassen, damit sich derartiges nie mehr wiederholen kann. Selbstverständlich hätte meine Partei, die Vlaams Belang, zusammen mit 99 % der EP-Abgeordneten einem solchen Entschließungsantrag zustimmen können, aber der hier zur Diskussion vorliegende Antrag ist nicht in diesem Sinne verfasst worden. Die Schrecken des Zweiten Weltkriegs wurden darin schändlicherweise in einen Topf geworfen mit, ich zitiere, dem Zulauf zu extremistischen und ausländerfeindlichen Parteien sowie der wachsenden Akzeptanz ihrer Auffassungen in der Öffentlichkeit. In Ziffer 5 des Entschließungsantrags wird buchstäblich dazu aufgefordert, im Schulunterricht den heute geführten Kampf gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus vor dem Hintergrund des Holocaust zu sehen.

Meine Partei, die Vlaams Belang, ist weder extremistisch noch fremdenfeindlich, doch der allgemeine Sprachgebrauch der political correctness richtet sich in starkem Maße gegen die demokratischen politischen Parteien, die sich heute für die Wahrung der nationalen Identität einsetzen. Den traditionellen Fraktionen geht es schlichtweg darum, einige erfolgreiche und zunehmende Konkurrenten auf Kosten der Holocaustopfer zu verteufeln. Dies bedeutet nicht nur eine Beleidigung von Millionen Wählern in Europa, sondern, schlimmer noch, durch diese billigen politischen Manöver werden die Schrecknisse totalitärer Regime, einschließlich des Nationalsozialismus, bagatellisiert. Ein weiterer Besorgnis erregender Aspekt ist die Forderung, und ich zitiere, nach einem europaweiten Verbot der Aufstachelung zum Rassenhass und zum religiösen Hass unter Wahrung der rechtmäßigen freien Meinungsäußerung. Den traditionellen Fraktionen zufolge besteht offensichtlich so etwa wie eine nicht rechtmäßige freie Meinungsäußerung, die unbedingt zu unterbinden ist. Sie vergessen scheinbar, dass Meinungsfreiheit nur besteht, wenn sie für politische Gegner gleichermaßen gilt. Solche abstrusen Gedanken brauchen nicht zu verwundern angesichts dessen, dass dieser Entschließungsantrag auch von der kommunistischen Fraktion eingereicht worden ist.

 
  
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  Sonik (PPE-DE). (PL) Vor 60 Jahren wurde das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau befreit. Auschwitz war nicht das einzige Todeslager, das von Hitlers Drittem Reich auf erobertem und besetztem polnischen Boden gebaut wurde, doch war es die größte Todesfabrik in der Geschichte der Menschheit. In Auschwitz wurden anderthalb Millionen Menschen in industriellem Maßstab mit industriellen Mitteln vernichtet. 150 000 Polen wurden nach Auschwitz deportiert, die Hälfte von ihnen wurde ermordet. Auch 15 000 russische Kriegsgefangene wurden in Auschwitz getötet, außerdem starben dort Tschechen, Weißrussen, Franzosen, Slowenier, Ukrainer, Letten, Holländer und sogar Chinesen. Zu den Häftlingen zählten selbst 2 000 Deutsche. Den Roma war der sichere Tod bestimmt, 20 000 wurden ermordet. Die überwältigende Mehrheit der Opfer bildeten jedoch die Juden, von denen in Auschwitz eine Millionen ermordet wurden. Diese Zahl schließt Ältere und Jüngere, Frauen und Kinder mit ein. Das bloße Grauen des Holocaust besteht nicht nur im enormen Ausmaß des Verbrechens, sondern auch darin, dass alle Juden, unabhängig davon, wer sie waren, woran sie glaubten, was sie taten oder aus welchem Land sie kamen – selbst die, die noch nicht einmal geboren waren – von Hitler und den deutschen Nazis zur Vernichtung verurteilt waren.

Es ist von entscheidender Bedeutung, dass dieses Haus anerkannt hat, wie wichtig das Gedenken an dieses Verbrechen ist. Seit der Befreiung von Auschwitz sind 60 Jahre vergangen. Dies ist nicht nur ein willkürliches Datum, da immer weniger Zeitzeugen unter uns weilen. Die lebendige Erinnerung hört auf und die Geschichte beginnt. Denjenigen von uns, die am Leben sind und die das Glück hatten, zu einem späteren Zeitpunkt geboren zu werden, bleibt die Pflicht, die gesamte Wahrheit über diese Tragödie zu erzählen. Das schulden wir den Millionen von Menschen, die ermordet wurden.

Morgen wird die Gründungsurkunde des Internationalen Zentrums für die Vermittlung des Holocaust und Auschwitz vor den Toren von Auschwitz verlesen werden. Das Zentrum wurde auf Initiative des Museums Auschwitz-Birkenau und mit der Unterstützung des Internationalen Auschwitzrates eingerichtet, dessen Direktor Władysław Bartoszewski selbst Häftling in Auschwitz war. Er sagte und ich zitiere: „Unsere Last wird bald von Historikern, Gelehrten und Lehrern übernommen. Darum wenden wir uns an sie und fordern sie auf, gemeinsam mit uns das Andenken an die Opfer von Auschwitz und des Holocausts zu wahren, das Verständnis der Mechanismen des Hasses und der Verachtung zu vertiefen und den Dialog und die Zusammenarbeit zu fördern, damit verhindert wird, dass solche Mechanismen jemals wieder zum Tragen kommen“. Wir Politiker tragen eine besondere Verantwortung, wenn es darum geht sicherzustellen, dass wir die historischen Tatsachen nicht in eine Richtung interpretieren, die den politischen Interessen Einzelner dient. Selbst wenn dafür edle Motive bestehen, wird uns das Vergessen oder Verzerren der Geschichte nicht dabei helfen, ein dauerhaftes Verständnis oder einen dauerhaften Frieden zu errichten. Die stärkste Grundlage für die Versöhnung der Nationen ist die Demut vor der historischen Wahrheit, da nur so Vergebung erlangt werden kann.

Wir können die Tragik der Geschichte nicht ändern, doch sie kann zumindest für die übrige Welt als Warnung gelten. Ich respektiere die heutigen Anmerkungen von Herrn Schulz. Da die polnischen Abgeordneten dieses Parlaments und die Europäische Volkspartei die morgige Annahme einer gemeinsamen Entschließung dieses Hauses unterstützen, möchte ich Sie, Herr Schulz, trotzdem bitten, der Annahme eines anderen Standpunkts zuzustimmen, damit Sie und Ihre Partei dafür stimmen können, was ursprünglich erreicht werden sollte, nämlich eine klare Aussage, dass die Nazis deutsche Nazis waren.

 
  
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  Roure (PSE).(FR) Herr Präsident, das Konzentrationslager Auschwitz, das berüchtigste der von Hitler eingerichteten Konzentrationslager, wurde am 14. Juni 1940 offiziell eröffnet. Es war zunächst für polnische Kriegsgefangene bestimmt, die die Nazis mit besonderer Härte behandeln wollten. Lagervorsteher war ein ehemaliger Straftäter, der sich 1946 damit brüstete, drei Millionen Menschen vernichtet zu haben. Ab 1942 ließ er pro Tag 6 000 Opfer in die Gaskammern bringen, in der Mehrzahl Juden aus ganz Europa.

Bei ihrer Ankunft wurden diejenigen, die zu schwach zum Arbeiten waren, aussortiert und getötet. Die anderen wurden bis zur völligen Erschöpfung ausgenutzt. Im Sommer 1944 griffen die Nazis auf Massenerschießungen zurück, um mehr Juden zu liquidieren. Auch russische Kriegsgefangene, Roma, Homosexuelle, Behinderte und antifaschistische Widerstandkämpfer wurden in Auschwitz umgebracht. Auschwitz lieferte ebenfalls Versuchsobjekte für Versuche an lebenden Menschen. Das Außenlager Birkenau wurde besonders für die Vernichtung der Juden konzipiert. In den Vernichtungsöfen wurden mehr als 20 000 Leichen pro Tag verbrannt. Dort wurde der Großteil der aus Westeuropa und den Balkanländern verschleppten Juden ermordet. So starb der Großteil der Juden Westeuropas, insbesondere fast drei Millionen polnische Juden. Mit ihnen wurde eine Welt von Traditionen und Kultur zerstört, die nun für immer verloren ist.

Dieser Völkermord ist in jedem Fall grundlegend mit dem Antisemitismus und in weiterem Sinne mit dem Rassismus der Nazis verbunden. Insbesondere Hitlers Weltvorstellung war von entscheidender Bedeutung, gründete sie ja auf der mit Besessenheit verfolgten Rassenreinheit. Hitlers Rassismus barg von Anfang an den Ansatz zum Völkermord in sich. Außer den Juden waren auch andere Volksgruppen wie Zigeuner und Slawen den mörderischen Auswirkungen dieses Rassismus ausgesetzt. Hitlers Ansicht nach verdienten sie alle den Tod.

Im Februar 1940 wurde das tödliche Gas Zyklon B an 250 Roma-Kindern getestet, danach begannen das unerträgliche Leiden, der Hunger, die Kälte, die auszehrende Arbeit, die Krankheiten, die brutalen Ausschreitungen und die pseudomedizinische Versuche; die letzten 4 000 Zigeuner wurden am 1. August 1944 vergast und verbrannt, um Platz für neue Deportierte zu schaffen.

Werden Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit niemals aufhören? Zweifellos werden sie erst dann verschwinden, wenn alle Menschengruppen, die treu zu ihrer Kultur und ihren Traditionen stehen, sich im Rahmen einer Weltgemeinschaft zusammenfinden werden. Die Juden haben viel gelitten und leiden immer noch, Minderheiten werden oft unterdrückt und tragen unmäßiges Leid. Den Antisemitismus und den Rassismus zu bekämpfen bedeutet folglich nicht, für Juden oder für Minderheiten zu kämpfen, sondern für die Menschheit zu kämpfen.

 
  
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  Lambert (Verts/ALE).(EN) Herr Präsident! Wie viele andere Redner des heutigen Abends begrüße auch ich diesen Entschließungsantrag zu diesem äußerst wichtigen Jahrestag. Meine Vorredner wiesen bereits auf die Gefahr hin, dass die Erinnerung an die tatsächlichen Gräueltaten in den Konzentrations- und Vernichtungslagern langsam verblassen könnte. Zudem möchte ich erwähnen, dass wir im Laufe des Jahres auch der Auswirkungen von Atomwaffen gedenken werden.

Bei der Erinnerung an diese Ereignisse geht es nicht bloß um Gedenkfeierlichkeiten oder Aufklärungsarbeit. Wie es in der Entschließung heißt, dürfen wir diese Ereignisse nicht einfach als ein Kapitel der Geschichte ansehen, sondern als eine sehr reale und allgegenwärtige Gefahr, die sie meines Erachtens auch sind. Wenn sich politische Bewegungen nicht nur durch extremistische Haltungen auszeichnen und einzig und allein auf Überzeugung basieren, sondern sich auch noch auf ein Gefühl eigener Überlegenheit oder den Wunsch danach stützen, dann stellt dies für uns alle eine äußerst gefährliche Mischung dar.

Wie meine Vorredner begrüße ich die Bemühungen der Kommission und des luxemburgischen Vorsitzes, die Verhandlungen über den Vorschlag für einen Rahmenbeschluss zur Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit wieder aufzunehmen, denn diese Frage verlangt nach einer politischen Antwort.

Ich bin sehr erfreut, dass in der Entschließung auf die Rolle der Medien hingewiesen wird, die einen guten oder schlechten Einfluss ausüben können, indem sie entweder Hass säen oder auf positive Art und Weise Unterschiede erläutern. Schaut man sich einmal an, wie beispielsweise einige britische Medien über die Not der Juden, die aus Hitlerdeutschland flohen und im Vereinigten Königreich Zuflucht suchten, Bericht erstatteten, dann stößt man auf Sprüche wie „Wir haben genug“, „Andere sollten mehr tun“, „Die Last sollte geteilt werden“ – wie man vermutlich heutzutage sagen würde. Die Berichterstattung in den Zeitungen ließ häufig eine feindliche Haltung erkennen, da die Juden diffamiert und als Untermenschen behandelt wurden. Wenn man sich ansieht, wie einige der gleichen Zeitungen heutzutage die Roma im Vorfeld des Beitritts der neuen Mitgliedstaaten im vergangenen Jahr darstellten und wie sie Asylbewerber gnadenlos zur Zielscheibe machen, dann wissen wir, dass diese Ideen nicht verschwunden sind.

Ferner müssen Politiker eine führende Rolle dabei übernehmen, das Verständnis für unterschiedliche Religionen und Rassen und deren Achtung zu fördern. Dies bedeutet nicht, dass wir Schwierigkeiten aus dem Wege gehen sollten, doch wenn es uns wirklich ernst damit ist, dass sich die Schrecken des Holocaust niemals wiederholen dürfen, dann müssen wir uns als Politiker für eine entschlossene Antidiskriminierungspolitik einsetzen und Rassismus, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und religiösen Hass bekämpfen und dürfen nicht klein beigeben.

Dieser Entschließungsantrag zeigt, dass es unseres Erachtens möglich ist, die Zukunft positiv zu gestalten, und dass wir als Politiker hier im Parlament das Recht und die Möglichkeit haben, die Zukunft auf positive und konstruktive Weise mitzugestalten.

 
  
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  Schulz (PSE). Herr Präsident! Ich bin von Kolleginnen und Kollegen hier mehrfach angesprochen worden wegen meiner Äußerungen. Deshalb bitte ich, mir nachzusehen, Herr Präsident, dass ich zur Geschäftsordnung das Wort erbitte.

Es gibt eine Reihe von Kolleginnen und Kollegen, die mit diesem Text insofern Schwierigkeiten haben, als sie das Gefühl haben, dass ich als einer der Antragsteller die Worte „deutsche Nationalsozialisten“ nicht in dem Text haben will. Das ist falsch. Im ursprünglichen Text gab es diese Worte auch nicht. Aber ich will, Herr Sonik, an Ihre Adresse Folgendes sagen: Wenn diese Worte dazu führen können, dass wir morgen in Würde der Opfer gedenken können, dann empfehle ich meinen Kollegen: Fügt ein, es handelt sich um ein Konzentrationslager, das von deutschen Nationalsozialisten betrieben wurde.

 
  
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  Triantaphyllides (GUE/NGL). – (EL) Herr Präsident! Morgen jährt sich zum sechzigsten Mal der Tag, an dem das Konzentrationslager Auschwitz befreit wurde. An solchen Tagen sind wir jedes Jahr aufs Neue aufgerufen, der Kämpfe und des Widerstandes von Millionen von Menschen, deren individuelle Form des Andersseins Anlass für ihre Ausrottung war, zu gedenken. Auschwitz und Dachau dürfen jedoch kein abgeschlossenes Kapitel in unserer Geschichte darstellen; im Gegenteil, sie sollten uns, insbesondere in unserer heutigen Zeit, ständig an das Ausmaß der Katastrophe erinnern, das der Mensch allein hervorbringen kann, wenn er von ideologischem Fanatismus, von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit angetrieben wird.

Wir sind es den Menschen, die dem zum Opfer gefallen sind sowie denjenigen, die sich erheben und gegen jede Form von Expansionspolitik, von repressiven Plänen sowie Weltherrschaftsplänen kämpfen werden, schuldig, dieses traurige Kapitel in der Geschichte der Menschheit in unserer Erinnerung und in unserem Denken lebendig zu halten. Im Gedenken an all die Opfer des Nazismus und jeglicher anderen extremistischen rassistischen Bewegung müssen wir die Forderung stellen, alle Formen von nationalsozialistischen und faschistischen Symbolen zu verbieten, und uns weiterhin dafür einsetzen, diese Symbole und ihre Anhänger ein für alle Mal aus unserer modernen Realität zu verbannen.

 
  
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  La Russa (UEN). – (IT) Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich beziehe mich auf einen Änderungsantrag, den ich zu dem Entschließungsantrag eingebracht habe. Europa legt heute den Grundstein für die Schaffung eines friedlicheren und toleranteren Klimas. Den 27. Januar zum „Holocaustgedenktag“ zu erklären, um die Aufklärung über den Holocaust zu verstärken, zeugt von der klaren Entschlossenheit, alle Erscheinungen von Intoleranz und Rassismus zu bekämpfen und zu überwinden. Diesem Schritt schließe ich mich selbstverständlich voll an.

Doch wenn wir einen Holocaustgedenktag ins Auge fassen, können und dürfen wir uns nicht davor drücken, ebenso der anderen Fälle von Völkermord zu gedenken und sie zu verurteilen, die vielleicht weniger bekannt, doch in Anbetracht der dabei verübten Verbrechen gegen die Menschlichkeit gewiss nicht weniger schlimm sind. Deshalb bekräftige ich meine uneingeschränkte und überzeugte Zustimmung zu dem zur Debatte stehenden Entschließungsantrag, in dem jede Art von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit und ganz allgemein jede Form von Verfolgung aus religiösen und ethnischen Gründen geächtet wird und darüber hinaus jene Geschehnisse verurteilt werden, die zu den größten Schrecken der gesamten Menschheitsgeschichte gehören, nämlich der Holocaust.

Ich halte es nur für richtig, dass dieses Parlament daran erinnert, dass wir zusammen mit dem jüdischen Volk auch andere Völker und ethnische Minderheiten, die ebenfalls Opfer von Völkermord und Verfolgung waren, nicht vergessen dürfen, wie es leider oft geschieht. Deshalb habe ich in meinem Änderungsantrag gefordert, dass in der Entschließung auch die Armenier und die Kurden, die von Marschall Tito in Istrien niedergemetzelten Italiener und die in den sowjetischen Gulags umgebrachten Millionen unschuldiger Menschen, darunter auch Juden, erwähnt werden. Ihre Zahl ist gewiss nicht weniger bedeutend als die der Opfer der deutschen Nationalsozialisten, wie unsere polnischen Kollegen zu Recht zu bedenken gaben.

 
  
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  Czarnecki, Ryszard (NI). (PL) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Dies ist eine wichtige Debatte und ein äußerst wichtiger Jahrestag, an dem wir der Millionen von Juden, Polen und Vertretern anderer Nationen gedenken, die in den deutschen Konzentrationslagern ermordet wurden. Wir dürfen nicht vergessen, dass der Hass, der sie ausgelöscht hat, leider nicht der Vergangenheit angehört, da er auch weiterhin Erscheinungsbild unseres heutigen Lebens ist. Heute sehen wir uns Fällen gegenüber, in denen Lügen erzählt werden und die Geschichte verfälscht wird, in denen die Rolle der Konzentrationslager verharmlost, ja sogar ihre Existenz geleugnet und der Holocaust bagatellisiert wird. Wir sehen uns auch Fällen gegenüber, wo von polnischen, nicht deutschen, Konzentrationslagern gesprochen wird, was angesichts der vielen polnischen Opfer im Zweiten Weltkrieg besonders erschreckend ist. Ein Beispiel hierfür ist diese Woche in der Wochenbeilage der belgischen Zeitung „le Soir“ zu finden. Daher sollten wir für die historische Wahrheit kämpfen und jegliche Erscheinungsform von Antisemitismus verurteilen, da dieser für das moderne Europa eine moralische Schande darstellt und vom polnischen Papst Johannes Paul II entschieden verurteilt wurde. Es ist intellektuell und moralisch beschämend, dass wir immer noch von Berichten über ein Wiederaufleben des Antisemitismus hören müssen, insbesondere in West-, aber auch in Osteuropa. Wir sollten nicht darüber streiten, wo ein solches Wiederaufleben zu beobachten ist. Der entscheidende Punkt ist, dass es geschieht. Wo der Antisemitismus auch in Erscheinung tritt, sollten wir entschieden reagieren und ihn in den Mülleimer der Geschichte werfen.

 
  
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  Gaubert (PPE-DE).(FR) Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen, morgen wird in ganz Europa ein Jahrestag der Trauer begangen: der 60. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau, das symbolisch für alle Lager steht, die von den Nazis mit dem einzigen Ziel errichtet wurden, die geplante Vernichtung der damals in Europa lebenden elf Millionen Juden durchzuführen. Mehr als die Hälfte von ihnen wurde zu Asche verbrannt. Obwohl ihre Asche noch nicht erkaltet ist, haben, auch kürzlich einige Menschen wieder versucht, die absolute Barbarei zu leugnen oder zu verharmlosen. Leider gehören zwei von ihnen auch diesem Parlament an.

Werte Kolleginnen und Kollegen, es ist eine Frage der Ehre für dieses Parlament, durch diese Entschließung gegen den Antisemitismus - die, so hoffe ich, einstimmig verabschiedet wird - zur Bekämpfung dieser Geißel sowie aller Formen von Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Diskriminierung beizutragen. Es ist eine Frage der Ehre für dieses Parlament, gegen Geschichtsfälscher anzukämpfen. Es ist eine Frage der Ehre für dieses Parlament, die Politik des Friedens und der Einheit, der wir uns alle verpflichtet fühlen, fortzuführen, indem wir empfehlen, in unseren Anstrengungen für Erziehung, Toleranz und lückenlose Aufklärung über dieses schwarze Kapitel der europäischen und der Weltgeschichte nicht nachzulassen. In einer Zeit, da fast überall in Europa das Wiederaufflammen eines gewaltsamen Antisemitismus und ein Anwachsen der verschiedener Formen von Intoleranz zu beobachten ist, müssen wir uns fragen, wie wir diese Erinnerung im Laufe der Geschichte lebendig erhalten, wenn die Zeitzeugen nicht mehr da sein werden. Unser Parlament muss daher die Mitgliedstaaten, die noch über keine diesbezüglichen gesetzlichen Bestimmungen verfügen, ermutigen, solche zu verabschieden, so wie es bereits einige europäische Länder getan haben.

Unser Parlament ist bestrebt, für die kommenden Generationen eine bessere Zukunft mit mehr Freiheit, mehr Demokratie, mehr Toleranz und mehr gegenseitige Achtung aufzubauen. Heute tragen wir dazu bei, dass nie in Vergessenheit gerät, was der menschliche Wahnsinn zu tun fähig war. Die Unterstützung, die wir dieser Entschließung zuteil werden lassen, wird ein klares Signal für unsere Völker, für unsere Kinder, für die kommenden Generationen und für all diejenigen, die für Frieden und menschliche Brüderlichkeit kämpfen, sein.

 
  
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  Pinior (PSE). (PL) Sehr geehrte Ratsmitglieder, meine Damen und Herren! Die heutige Sitzung dieses Hauses ist etwas Besonderes. Sie findet am 60. Jahrestag der Befreiung des Nazi-Konzentrationslagers von Auschwitz statt und ist sowohl ein Gedenken an die Befreiung Auschwitz-Birkenaus durch die sowjetische Armee als auch ein Tribut an die Opfer des Holocaust.

Ich komme aus Polen, einem Land, das Zeuge der Vernichtung europäischer Juden und Roma sowie des Todes und des Leids anderer unter der militärischen Besatzung Nazi-Deutschlands wurde. Auch ist Polen ein Land, das einen Großteil seiner Elite und ungefähr drei Millionen seiner jüdischen Bürger in den Konzentrationslagern verloren hat. Die Nazis bauten Vernichtungslager in den besetzten Gebieten in Belzec, Sobibor, Treblinka, Majdanek und Chelmno, und in diesen Lagern wurde der Völkermord an den Juden verübt. Auschwitz wurde zum Symbol dieses Verbrechens, das in der gesamten Geschichte der Menschheit seinesgleichen sucht. Meine Generation wuchs im Schatten des für Polen so katastrophalen Zweiten Weltkriegs sowie im Schatten des Völkermords auf, der mit diesem Krieg einherging.

Heute spreche ich vor dem Europäischen Parlament, einem Symbol des antifaschistischen und antitotalitären Europas und eines Europas, das die Verteidigung der Menschenrechte sowie Toleranz und Demokratie groß schreibt. Die Erinnerung an den Holocaust muss uns als Europäer und auch für die europäischen Organe Anlass sein, als Teil einer weltweiten Zivilisation im 21. Jahrhundert besondere Pflichten zu übernehmen.

Sehr geehrte Ratsmitglieder, wir werden ständig an die Existenz des Antisemitismus, des Fremdenhasses und des Rassismus in Europa erinnert. Wir müssen uns mit der Schändung jüdischer Friedhöfe und jüdischer ritueller Gegenstände sowie mit der Zurschaustellung von Intoleranz gegenüber den jüdischen Gemeinden befassen. Den Juden werden regelmäßig ihre Rechte am europäischen Erbe vorenthalten, obwohl sie historisch gesehen zu den ersten Gruppen gehörten, die sich auf dem europäischen Kontinent niederließen. Wir müssen uns mit Fremdenhass und offen rassistischen Ausschreitungen gegen Emigranten sowie mit religiöser und moralischer Intoleranz und mit Aggressionen gegen sexuelle Minderheiten befassen.

Ist es nach Ansicht des Rates nicht angebracht, dass sich die Europäische Union daran macht, ein besonderes Bildungsprogramm einzurichten, das die Jugendlichen darauf vorbereitet, eine auf multinationalen, multikulturellen und multireligiösen Prinzipien beruhende europäische Gesellschaft zu schaffen?

Im Bereich der Außenpolitik warten andere Aufgaben auf die Europäische Union. Hat der Rat vor, die politischen Aktivitäten und das wirtschaftliche Engagement der EU im Nahen Osten zu erhöhen, damit die Europäische Union zum Garanten für Frieden und Demokratie in der Region wird? Zu den künftigen Prioritäten der Europäischen Union sollten die Entwicklungspolitik, Hilfe für Entwicklungsländer und humanitäre Hilfe gehören. Die Union ist außerdem aufgerufen, in verschiedenen Teilen der Welt Maßnahmen zur Förderung von Menschenrechten und Demokratisierung zu ergreifen. Sie muss in Regionen, in denen es vor dem Hintergrund von Vorurteilen aufgrund von Nationalität, Religion, Rasse, Gesellschaftsschicht oder Traditionen zu Völkermord, Mord oder Gewalt kommen könnte, angemessenen reagieren. Ist sich der Rat dieser Herausforderungen bewusst? Ist er sich bewusst, was von der Union an der Schwelle eines neuen Jahrhunderts erwartet wird?

 
  
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  Borghezio (IND/DEM). – (IT) Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir in der Lega Nord werden für diesen Entschließungsantrag stimmen. Gleichwohl haben wir soeben eine Rednerin gehört, von der die Frage des Holocaust mit nichts Geringerem als dem Patriotismus, dem Nationalbewusstsein und den sich davon leiten lassenden Bewegungen gleichgesetzt und sogar gefordert wurde, die Nationalflaggen der Mitgliedstaaten von den Bänken des Parlaments zu entfernen, obwohl sie doch für das gesunde Gefühl des Patriotismus stehen, an den wir weiterhin glauben.

Das zeigt, wie man von einem vernünftigen Prinzip ausgehen, aber zu Schlussfolgerungen gelangen kann, welche die Freiheit beschneiden und der Demokratie entgegenwirken. Aus eben diesem Grund begegnen wir dieser europäischen Richtlinie mit großem Misstrauen und erinnern die Vertreter der Kommission an die Gefahr, dass sie zu demokratie- und freiheitsfeindlichen Zwecken missbraucht werden kann, wie soeben in diesem Sitzungssaal geschehen.

Während der Aussprache habe ich auch viel von Islamophobie sprechen hören. Man sollte sich vielleicht fragen, wovor sich die Juden heutzutage in Europa und in der Welt fürchten, wo doch die Synagogen und jüdischen Zentren - zumindest in den Städten Italiens und Europas, die ich besuche – 24 Stunden am Tag gewissermaßen militärisch bewacht werden. Wir sollten uns fragen, wer heutzutage wirklich eine Bedrohung darstellt, weil er rassistische Propaganda über die Fernsehkanäle verbreitet und physische Gewaltakte und Attentate verübt. Es wurde die wichtige UN-Vollversammlung erwähnt, doch welchen Ländern gehören die Bänke, die leer geblieben sind? Erinnern wir uns also an die islamische Gefahr und an den antisemitischen islamischen Rassismus, zu dessen Verurteilung sich dieses Parlament aus Ehrfurcht vor den Opfern moralisch hätte verpflichtet fühlen müssen.

 
  
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  Roszkowski (UEN). (PL) Herr Präsident! Wenn wir uns mit so schrecklichen Verbrechen wie den in Auschwitz begangenen beschäftigen, dann ist es unsere besondere Pflicht, niemanden mit der Wahrheit zu beleidigen, aber dafür zu sorgen, dass diese historische Warnung weiterhin Beachtung findet und im richtigen Zusammenhang und im Verhältnis betrachtet wird. Anderenfalls laufen wir Gefahr, am Ende auf Lügen oder sogar auf eine Tragikomödie angewiesen zu sein. Das Konzentrationslager Auschwitz wurde von den deutschen Nazis auf besetztem Gebiet in Polen errichtet, einem Land, das im September 1939 vom Dritten Reich und von der UdSSR angegriffen und aufgeteilt wurde. Obwohl die ersten Häftlinge und Opfer des Lagers hauptsächlich Polen waren, wurde es später in ein Vernichtungslager für Juden umfunktioniert, so dass das Dritte Reich die „Endlösung“ umsetzen konnte. Im Ergebnis wurden über eine Millionen Juden in Auschwitz ermordet, ebenso wie ungefähr 75 000 Polen, ungefähr 20 000 Roma und Zehntausende Menschen anderer Nationalitäten sowie mehrere Dutzend Homosexuelle. Wie in diesem Haus bereits dargelegt wurde, war der Antisemitismus auch in anderen Ländern, nicht nur im Dritten Reich verbreitet. Jedoch war Nazi-Deutschland das einzige Land, das den Plan zur Vernichtung der Juden umsetzte. Den Polen ist klar, dass die jetzige Generation von Deutschen nicht für die Verbrechen ihrer Vorfahren verantwortlich ist. Sie sehen ein, dass der Holocaust beispiellos in der Geschichte war und dass die Vernichtung der Roma oft an den Rand gedrängt wurde. Was die Polen allerdings nicht verstehen, und sie werden dem auch niemals zustimmen, ist eine Verharmlosung der Leiden ihres Volkes während des Zweiten Weltkriegs. Sie werden auch niemals dem Gebrauch der Ausdrücke „polnische Konzentrationslager“ oder „Todeslager in Polen“ zustimmen. Political Correctness in der Frage der Nationalität der Nazis trägt nicht dazu bei, das Vertrauen zu schaffen und die Versöhnung herbeizuführen, die den Polen so wichtig ist. Wir sollten keine Angst davor haben, so offen über diese erschreckenden Tatsachen zu sprechen wie das Herr Fischer während der letzten Debatte in der UN und wie das Herr Schulz vorhin in diesem Parlament getan hat. Das Leben eines jeden Menschen hat denselben Wert, doch wenn es um große Zahlen geht, dann grenzt es ans Absurde, jüdische, Roma-, homosexuelle und polnische Opfer auf einer Liste gleichzusetzen. Ungeachtet dieser schmerzlichen Überlegungen ist die Fraktion Union für das Europa der Nationen jedoch der Ansicht, dass die Erinnerung an das enorme Ausmaß der Verbrechen im Lager Auschwitz-Birkenau wach gehalten werden sollte, damit es nie wieder zu solch einem Völkermord kommen kann.

 
  
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  Kirkhope (PPE-DE).(EN) Herr Präsident! Der 60. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz stellt einen Moment des Gedenkens und der Besinnung dar. Das Gräuel, das die Befreiungstruppen im Januar 1945 erwartete, kennen die meisten von uns nur aus Filmen oder von Fotografien. Wir können uns die Art des Völkermords nicht wirklich vorstellen, der in Auschwitz und in den anderen Todeslagern in ganz Europa verübt wurde.

Auschwitz ist ein Schandfleck für die Menschheit sowie ein Symbol des Bösen, das einfach nicht fassbar ist. Diejenigen von uns, die dieses Lager besucht haben, waren von seiner Trostlosigkeit überwältigt. Man kann das Abscheuliche, das dort geschah, noch immer fühlen und schmecken: die Gaskammern, die mit Jungen und Alten vollgestopften Baracken, die Eisenbahnschienen, auf denen die Todeszüge entlang rollten, die Wachtürme, die Krematorien, die ergreifenden sterblichen Überreste der Millionen von Menschen, die auf so grausame Art und Weise umgebracht wurden. Geht man durch die Tore von Auschwitz, so hat man wirklich das Gefühl, als ginge man durch das Tor zur Hölle.

Heute stehen wir an der Seite der jüdischen Menschen in Europa und der ganzen Welt. Wir gedenken derjenigen, die ums Leben kamen, wir danken Gott für diejenigen, die befreit wurden, und wir ehren diejenigen, die den Horror überlebt haben, wozu auch einige aus meinem eigenen Wahlkreis Yorkshire and The Humber gehören. Wir dürfen niemals zulassen, dass der Holocaust aus unserem kollektiven Gedächtnis verschwindet. Wir sollten jedoch auch all diejenigen nicht vergessen, die seit dem Zweiten Weltkrieg überall in der Welt bei schrecklichen Völkermorden starben. Ruanda und Kambodscha sind nur zwei Beispiele für Völkermorde der heutigen Zeit, die bei uns Entsetzen auslösen.

Diskriminierung, Vorurteile und Hass bringen nach wie vor Verderben über unsere Welt. Daher sollten wir während dieser Gedenkwoche sicherstellen, dass das Unvermögen der Welt, den Holocaust und Auschwitz zu verhindern, uns allen, die wir die Freiheit schätzen, als Mahnung dient, dass wir niemals vergessen dürfen.

 
  
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  Cashman (PSE).(EN) Herr Präsident! Wie ich heute hier so stehe, habe ich das Gefühl, dass ich, wenn ich vor 60 Jahren in der Nähe von Auschwitz gelebt hätte, wohl als Homosexueller auch verhaftet und ins Lager geschickt worden wäre und wahrscheinlich nicht überlebt hätte. Heute haben wir hier die Aufgabe, die Menschen getrennt von den verschiedenen Gruppen und den damit verbundenen Begriffen zu betrachten, denn wir haben es mit Millionen von Einzelpersonen zu tun. Sie wurden umgebracht, weil sie eine Gefahr für eine bestimmte Ideologie darstellten oder weil sie einfach anders waren.

Hier im Parlament reden wir zwar von Grundrechten und Grundfreiheiten, doch um uns herum herrschen heutzutage in der Welt nach wie vor Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Homophobie, Islamfeindlichkeit und Antisemitismus. Deshalb kommt es nicht darauf an, was wir heute sagen, sondern was wir tun. Die Vorschläge der Kommission zählen. Es ist wichtig, ob sie den Mut haben wird, ein Verbot für die Diskriminierung aus sämtlichen und nicht nur einigen Gründen des Artikels 13 vorzuschlagen. Letzteres würde dazu führen, dass eine Hierarchie der Unterdrückung wiederhergestellt werden würde. Wir alle müssen die Verantwortung für die Ereignisse der Vergangenheit tragen – jedes Volk, jedes Land. Allerdings geht es jetzt darum, ob wir entweder Gefangene der Vergangenheit bleiben oder zu Hütern der Zukunft werden und sicherstellen, dass solche unmenschliche Taten nie wieder geschehen.

Ich erinnere an die Ermordung der Behinderten, Gewerkschaftler, Antifaschisten, Homosexuellen und Millionen anderen Menschen, die hier heute Abend erwähnt wurden. Wir müssen alles daran setzen, dass so etwas nie wieder passiert.

Ich möchte mit folgenden brillanten Worte von Pfarrer Niemöller schließen: Als sie die Juden holten, sagte ich nichts, denn ich war kein Jude. Als sie die Gewerkschafter holten, sagte ich nichts, denn ich war kein Gewerkschafter. Als sie die Homosexuellen holten, sagte ich nichts, denn ich war kein Homosexueller. Als sie mich holten, war niemand mehr da, der hätte etwas sagen können.

Daran sollten wir uns erinnern und deshalb beschließen, dass die Zukunft anders aussehen wird.

 
  
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  Záborská (PPE-DE). (SK) Ein Eldorado des Todes und des Leids, eine Frohlockung des Hasses und ein Ort, an dem sich das Böse mit dem Bösen vermählt. So beschrieb mein Vater seinen Schmerz beim Besuch in Auschwitz, wo seine Familie umgekommen ist. Beim Anblick der frisch gestrichenen Gaskammern konnte er sehen, in welcher Verkleidung das Böse Hass und Rachsucht hervorrufen kann. Frieden ist nicht einfach nur die Abwesenheit von Krieg. Er ist ein Zustand von Gerechtigkeit, Freiheit, Glaube und Bewusstsein. Nach der Befreiung von Auschwitz haben sich Frieden und Demokratie nicht automatisch in ganz Europa verbreitet. Totalitäre Regime sind bestehen geblieben, wenn auch in anderer Form. Der östliche Teil Europas hatte seine Fähigkeit zur Selbstbestimmung verloren. Wir waren in den Grenzen eines Reichs des Bösen gefangen, das versuchte, unsere religiösen Traditionen, unsere Verbindung zur Geschichte und die eigentlichen Wurzeln unserer Kultur zu zerstören. Viele wurden eingekerkert, einfach deshalb weil sie ihr Recht auf Gewissensfreiheit und Freiheit der Religionsausübung beansprucht haben. Mein Vater war einer von ihnen. Was hat uns Auschwitz heute zu sagen? Dass die Bereitschaft zur Vergebung eine persönliche und freiwillige Haltung ist, die keiner Wiederholung bedarf. Kein internationales Abkommen kann die Wunden heilen. Ohne Vergebung kann es keine Versöhnung geben. Staaten können nicht versöhnt werden, wenn ihre Bürger einander nicht vergeben. In diesem Zusammenhang kommt einem das Wort Propaganda in den Sinn, denn Propaganda ist ein Instrument aller totalitären Regime. Sie wird eingesetzt, um die Politik der Elite zu verteidigen und abweichende Ansichten unter Androhung des Todes zu unterdrücken. Es ist kein Zufall, dass aufgeklärte europäische Staatsmänner stets versucht haben, zwischen verschiedenen Staaten Bande herzustellen, die einigen. Das war das Ergebnis ihrer eigenen Gewissenfreiheit und religiösen Überzeugung. Sie haben verstanden, dass das Gute der Menschheit dabei hilft, dass in jeder Nation sich letztlich das Gute durchsetzt. Diese Staatsmänner haben nationales, kulturelles und rechtliches Erbe nicht mit der Preisgabe politischer Souveränität verwechselt. Heute sucht Europa noch immer nach seiner eigenen Zukunft und seinem Sinn. Wir warten noch immer auf Frieden, Gerechtigkeit, Glaubens-, Gewissens- und Gedankenfreiheit. Auschwitz ist ein Teil der Europäischen Union. Auschwitz und Straßburg gehören definitiv zusammen und werden uns immer an die Fehlschläge in unserer Geschichte erinnern.

 
  
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  Schapira (PSE).(FR) Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen! Es gibt ein jiddisches Sprichwort, das besagt: „Erinnere dich, und vergiss nicht.“ Es ist von entscheidender Bedeutung für unsere Mitbürger, dass sie die Einzigartigkeit der Shoa verstehen, und vor dem Hintergrund des wiederauflebenden Antisemitismus müssen wir äußerst wachsam sein. Ich bin auch etwas überrascht, dass auf der Anschlagtafel nur das Wort Rassismus zu lesen ist, obwohl der Titel der mündlichen Anfrage unseres Kollegen Schulz doch „Antisemitismus und Rassismus“ lautet. Ich wundere mich, dass der Titel nicht vollständig angegeben wird.

Die lebendige Erinnerung der Generationen von Überlebenden wird es bald nicht mehr geben. Daher müssen die Institutionen den jungen Generationen die Erinnerung an diesen Völkermord vermitteln. Ich möchte Ihnen einen konkreten Vorschlag unterbreiten. Ich schlage vor, dass die Europäische Union alle Schulen verpflichtet, an ihren Fassaden Gedenktafeln mit den Namen der ehemaligen Schüler, die deportiert wurden und nicht zurückkamen, anzubringen. Am 27. Januar jedes Jahres könnte eine Gedenkfeier für diese Kinder organisiert werden. Ebenso schlage ich vor, dass vor Polizeidienststellen, Gerichtsgebäuden und regionalen Verwaltungsgebäuden, die Befehle zur Deportation erteilten und deren Beamte feige genug waren, die antisemitische Barbarei zuzulassen, Tafeln anzubringen, auf denen die Kollaboration angeprangert wird.

Wenn wir zulassen, dass diese Schrecken der Vergangenheit in Vergessenheit geraten, dann werden die künftigen Generationen nicht die Notwendigkeit verstehen, gegen die Infragestellung der universellen Werte Toleranz und Freiheit anzukämpfen.

 
  
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  Der Präsident. – Herr Schapira, der Sitzungsdienst erklärt uns, dass es allein technische Gründe hat, wenn auf der Tafel nur Rassismus als Titel erscheint. Der Titel unserer Debatte ist natürlich „Antisemitismus und Rassismus“.

 
  
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  Sumberg (PPE-DE).(EN) Herr Präsident! Heute gehen uns die historischen Worte „Gegen das Vergessen“ und „Nie wieder“ nicht aus dem Sinn, denn in wenigen Stunden werden wir den Jahrestag der Befreiung von Auschwitz begehen. „Gegen das Vergessen“ – so lautete das Vermächtnis des kleinen Rests des europäischen Judentums, der die Todesmaschinerie der Nazis und ihrer Komplizen überlebte. Die morgigen Feierlichkeiten, die ich eben erwähnte, werden zeigen, dass wir – Gott sei Dank – nicht vergessen haben.

Können wir uns jedoch genauso sicher sein, was das andere Vermächtnis – „Nie wieder“ – angeht? Gegenwärtig erleben wir auf unserem Kontinent und in der ganzen Welt, wie das Gespenst des Antisemitismus immer weiter um sich greift. Ab und zu nimmt es zwar eine andere Gestalt an, doch die Ultranationalisten und die Ultrarechten, die schon immer antisemitisch eingestellt waren, sind heutzutage in einigen unserer Länder noch immer anzutreffen: in Deutschland, in Russland, in Frankreich. Und leider muss ich mich mit der traurigen Tatsache abfinden, dass sie auch in meinem Land – Großbritannien – vertreten sind, das sich bei der Bekämpfung der Nazityrannei und der Aufnahme der Verfolgten besonders verdient gemacht hat. Zudem können wir beobachten, wie sich im islamischen Fundamentalismus eine neue Variante des antisemitischen Virus breit macht – dies gilt allerdings nicht für den Islam, der dem jüdischen Volk immer freundlich gesinnt war. Der islamische Fundamentalismus hingegen ist weder der Freund des jüdischen Volkes, noch der Freund der westlichen Welt oder der Freund eines unserer Länder. Wir können zwar – und sollten vielleicht auch – über den Nahen Osten verschiedener Meinung sein, müssen jedoch in den kommenden Jahren sicherstellen, dass diese Differenzen niemals dazu führen, dass verbale oder körperliche Gewalt gegenüber Mitgliedern der jüdischen Gemeinden in Europa geduldet oder gestattet wird.

Ich stehe heute hier, weil meine Vorfahren – Gott sei Dank – vor über einem Jahrhundert Europa verließen und in Großbritannien ein sicheres Zuhause fanden. Deshalb kann ich heute hier sein. Aus dieser Erinnerung heraus möchte ich betonen, dass vor allem dieses europäische Parlament die historische Verpflichtung und Verantwortung hat, die Worte „Gegen das Vergessen“ und „Nie wieder“ auszusprechen.

 
  
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  Beňová (PSE). (SK) Herr Präsident, meine Damen und Herren. Es ist für mich eine Ehre, hier sprechen zu dürfen, auch wenn der Saal jetzt halb leer ist und wir allein durch die Anwesenheit der Dolmetscher gerettet werden. Bitte gestatten Sie mir, kurz meine persönlichen Gedanken darzulegen, denn ich habe das Gefühl, dass jeder sich zu den Opfern zählen möchte. Aber wir wollen hier niemanden anklagen, und ich meine, die Schuld sollte vor uns allen ausgebreitet werden. Der slowakische Staat war der erste Satellitenstaat des Nazi-Reiches, von dem aus Juden in die Todeslager deportiert wurden. Die Deportation slowakischer Juden war Teil des von den Nazis als „Endlösung der Judenfrage“ in Europa bezeichneten Prozesses. Das Wort „Endlösung“ hört sich auch heute noch fürchterlich an. Der Fall des slowakischen Staates ist aus historischer Sich von Bedeutung, da er den Testfall für die Nazistrategie gegenüber den Juden war, die später dann in anderen Ländern angewandt wurde, und nicht nur im Hinblick auf die Deportationen. Ein Fall von verhängnisvoller historischer Bedeutung. 89 000 Juden wurden aus dem slowakischen Staat deportiert. Dies nur als kurzer Ausflug in die Geschichte des ideologisch motivierten Mordes. Ich will auch nicht hinter dem Berg damit halten, dass dieser slowakische Staat von einem katholischen Priester angeführt wurde. In den Todeslagern kamen Juden, Roma, Antifaschisten aller Nationalitäten und viel andere Menschen um, die dort zu einem absurden und grausamen Tod verdammt waren. Haben wir Lehren aus der Geschichte gezogen? Erkennen wir, dass der Holocaust, als die extremste Form von Völkermord, zu einem universellen Symbol für alles Böse geworden ist? Wissen wir, was diesen Gräueltaten vorausging? War es ein Wort oder ein Satz, der die gesamte mörderische Maschinerie von Hass und Gewalt in Gang setzte? Ich möchte Ihnen eine Frage stellen, Herr Kommissar und Herr Minister. Ist Ihrer Ansicht nach die Diffamierung einer Nation, einer ethnischen Gruppe, einer Rasse oder eines Glaubens in der demokratischen Welt ein Straftatbestand? Erreicht die Redefreiheit als eines der grundlegendsten demokratischen Rechte ihre Grenzen, wenn sie zu einem Instrument derartiger Diffamierungen einer Nation, einer ethnischen Gruppe usw. wird? Verstecken sich nicht die modernen Nazis paradoxerweise hinter den hart erstrittenen demokratischen Werten und Freiheiten, und sollten wir ihnen nicht das Handwerk legen, ehe diese Extremisten in braunen Bomberstiefeln unter dem Schutzschild demokratischer Prinzipien durch die Straßen ziehen? Ich möchte darauf gerne eine Antwort von Ihnen.

 
  
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  Vincenzi (PSE). – (IT) Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bitte Herrn Minister Schmit und Herrn Frattini, deren Ausführungen ich großartig fand, zu prüfen, ob eine Initiative zur europaweiten Koordinierung und Implementierung der Arbeit vieler nationaler öffentlicher oder privater Institute, Stiftungen und Forschungszentren möglich ist, die sich der Erinnerung an die Geschehnisse in den Lagern sowie auch dem Andenken an den vielfachen Widerstand gegen den Nationalsozialismus widmen, der dazu führte, dass beispielsweise 48 000 Italiener in den Lagern zu Tode kamen.

Ich schlage vor, eine europäische Bibliothek zu gründen, die Quelle und Garant einer erkennbaren gemeinsamen europäischen Identität ist. Sie sollte die Übersetzung und den kontinuierlichen Austausch ihres gesamten Materials vorsehen, insbesondere jenes, das aus den neuen Mitgliedstaaten stammt, wonach wir wissbegierig sind, aber auch aus allen Kandidatenländern. Auch auf diese Art und Weise kann meines Erachtens eine Zukunft gestaltet werden, die in der Erinnerung die Möglichkeit für die Stärkung eines Europas sieht, das sich auf die gegenseitige Achtung der Menschen, Rassen und Kulturen gründet.

 
  
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  Tabajdi (PSE). (HU) Jede Nation, jedes Land muss seine eigene nationale Überprüfung vornehmen. Wir dürfen den beispiellosen, unwiederholbaren Völkermord, die schlimmsten Gräueltaten der Menschheit, die Shoah, nicht vergessen. Wir Ungarn müssen die moralische Last tragen, in der Zeit der Krise zugelassen zu haben, dass die deutschen Nazis und ihre ungarischen Kollaborateure unserer Nation 550 000 jüdische Landsleute entreißen, darunter auch den ungarischen Dichter und Märtyrer Miklós Radnóti, der dieses Zeitalter in seinem Gedicht „Torso“ folgendermaßen beschrieben hat: „Zu einer Zeit lebt ich auf Erden, / da der Mensch so verkommen war, dass er / freiwillig tötete, nicht auf Befehl nur, / und da er, Irres glaubend, schäumend Irres sann / geschah’s, dass wüster Wahn sein Leben ganz umspann.

In Europa wurden mehrere Denkmäler errichtet, Dokumentationszentren eröffnet und viele Publikationen zu diesem Thema herausgegeben, doch das wichtigste Denkmal der Shoah sollte im Herzen aller europäischen Bürger stehen. Für Ungarn war es nicht leicht, sich der Geschichte zu stellen, und auch heute ist es noch schwierig. In Westeuropa ist es früher und gründlicher zu dieser nationalen Selbstüberprüfung gekommen als in den zehn neuen Mitgliedstaaten. Jedoch kann ich mit Stolz berichten, dass wir dem Holocaust einen Gedenktag gewidmet, Lehrbücher für Schüler geschrieben haben und dass im vergangenen Frühjahr endlich das Holocaust-Gedenkzentrum in der Páva utca eröffnet wurde. Darüber hinaus hat der ungarische Ministerpräsident, wenn auch mit 60 Jahren Verspätung, den ungarischen Kollaborateuren die Verantwortung zugesprochen.

Im Frühjahr werden wir die Bestimmungen zur Hasspredigt sowie zur Verleugnung von Auschwitz verschärfen. In unserer heutigen Zeit ist es von entscheidender Bedeutung, dass jede Form des Rassenhasses und die offenen oder kodierten Hasspredigten ohne Zaudern mit gesetzlichen Maßnahmen bekämpft und moralisch verurteilt werden. Wir Ungarn möchten im europäischen Kampf gegen die Diskriminierung, beim Schutz der nationalen, ethnischen, religiösen, sexuellen und aller anderen Minderheiten sowie bei der Förderung des Kampfes gegen die Diskriminierung an der Spitze stehen. Zusätzlich zu den Erklärungen und Beteuerungen, in denen Diskriminierung und Hasspredigt verurteilt werden, benötigen wir stabile europäische Rechtsvorschriften, die allgemein durchsetzbar sind und die angemessene Sanktionen einführen. Vonnöten ist außerdem ein funktionierendes System zum Schutz der Minderheitenrechte innerhalb der Union, da wir nur so die Minderheiten in Europa schützen können. Das ist die Pflicht der Union und das moralische Gebot der Shoah.

 
  
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  Schmit, amtierender Ratspräsident. (FR) Herr Präsident, ich glaube, dass es nicht viel hinzuzufügen gibt nach einer Debatte wie dieser, die besonnen, aus historischer Sicht ehrlich und oft bewegend war.

Ich möchte nur kurz etwas zu den Maßnahmen sagen, die ergriffen werden müssen. Ich bin der Ansicht, dass wir jetzt die angemessenen Lehren aus dieser schrecklichen Erfahrung des bis zum Äußersten getriebenen Grauens ziehen müssen. Wir wurden als Vorsitz zusammen mit der Kommission aufgefordert, uns insbesondere wieder mit dem Vorschlag für einen Rahmenbeschluss gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zu befassen. Ich bin der Meinung, dass dies getan werden muss, und ich denke auch, dass es viele Missverständnisse gibt.

Es wird manchmal mit einer gewissen Aufrichtigkeit, aber auch mit einer guten Portion Naivität, die Glaubens- und Meinungsfreiheit angeführt. Darum geht es hier aber nicht. Ich vertrete die Auffassung, dass der verbale Hass und der Rassismus, die dem Antisemitismus innewohnen, nicht mit Meinungsfreiheit zu tun haben, da wir ja wissen - und die Geschichte lehrt es uns - dass auf verbalen Hass oftmals der physische folgt: derjenige, der konkret zuschlägt und verletzt.

Ich denke also, dass wir mit uns selbst konsequent sein und diese Arbeit wieder aufnehmen müssen. Wir müssen auch prüfen, wie wir unwürdige Symbole verbieten können, die ebenfalls zu Hass und Gewalt aufwiegeln, da verbale Gewalt zu physischer Gewalt und Aggression werden kann. Diese Schritte müssen wir nun in die Wege leiten, und ich glaube, dass dies ein bescheidener Beitrag zum Gedenken an all jene wäre, die wir auf die schrecklichste Art verloren haben. Ich bin der Ansicht, dass wir, wenn das Parlament diesen Weg mit uns, mit dem Vorsitz und mit den Mitgliedstaaten gehen kann, einen wesentlichen Beitrag leisten können.

 
  
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  Frattini, Vizepräsident der Kommission. – (IT) Herr Präsident! Ich glaube, heute Abend haben Parlament, Rat und Kommission ein wichtiges Zeugnis dafür abgelegt, wie wir mit unserer Erinnerung an den Holocaust umgehen können und müssen. Die Behauptung, dass die Erinnerung unsere Werte stärken kann, ist richtig. Wie gesagt worden ist, geht es dabei um die Werte, von denen die Gründungsväter unseres Europas beseelt waren und die wir bewahren und stärken müssen.

Herr Schulz hat daran erinnert – und ich schließe mich diesem Gedanken voll an –, dass die Gründungsväter, Konrad Adenauer für das deutsche Volk, und lassen Sie mich auch Alcide de Gasperi für die Italiener erwähnen, nach der Tragödie der Diktatur für den Neubeginn standen. Sie haben es uns ermöglicht – ich sage das als Italiener –, erhobenen Hauptes in das neue Europa zu gehen. Das ist die große Verpflichtung, die wir gegenüber den Gründungsvätern haben.

Es wurde gesagt, das Gedenken sei eine Schuld gegenüber den Jugendlichen. Heute muss Europa diese Schuld abtragen durch Erziehung, Schule und Bildung und in gewisser Weise durch eine Verpflichtung, die Vergangenheit im Gedächtnis zu bewahren und dabei gleichzeitig in die Zukunft zu blicken. Ich persönlich begrüße den Vorschlag einiger Parlamentsmitglieder, die sich einen europäischen Holocaustgedenktag wünschen, den wir alle gleichzeitig begehen könnten.

Die Kommission ist, wie Minister Schmit in Erinnerung brachte, gegenwärtig dabei, in enger Zusammenarbeit mit dem Rat den Rahmenbeschluss zur Bekämpfung von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus erneut zu prüfen. Diesbezüglich stimme ich mit der vom Rat getroffenen Einschätzung voll überein.

Die Kommission wird die Schaffung einer europäischen Agentur für den Schutz der Grundrechte zügig vorantreiben. In diesem Zusammenhang möchte ich einigen Abgeordneten, die sich dazu geäußert haben, versichern, dass diese Agentur unsere Schutz- und Vorsichtsmaßnahmen gegen Antisemitismus und Rassismus nicht aufgeben, sondern sogar verstärken wird. Die Achtung dieser Grundsätze und Werte wird demnach im Mittelpunkt der Tätigkeit der Agentur stehen, welche die Kommission in Abstimmung mit dem Rat schon bald auf den Weg bringen wird.

Herr Präsident, heute scheinen in Europa die Geister – wenn ich sie so nennen darf – des Hasses und der Intoleranz, der Gewalt und des Rassismus wieder aufzuerstehen. Ich meine, dass dieses Europa eine wichtige Rolle übernehmen muss, wenn es darum geht, insbesondere bei den Jugendlichen diese negativen Wertvorstellungen auszumerzen und stattdessen die Toleranz und den Dialog mit anderen Kulturen und Religionen zu fördern - im Namen eines Grundsatzes, der bereits in der Grundrechtecharta, die wir in die Europäische Verfassung aufgenommen haben, verankert ist. Ich glaube, das ist der beste Weg, um den Opfern dieser Tragödie Ehre zu erweisen.

 
  
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  Der Präsident. – Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie erlauben, werde ich diese Aussprache mit einer persönlichen Bemerkung abschließen. Ich erinnere mich daran, wie ich vor dreißig Jahren als Gymnasiast den Film „Nacht und Nebel“ gesehen habe, der stark zu meinem politischen Engagement beigetragen hat. Ich dachte damals nicht, dass ich dreißig Jahre später die bewegende Aufgabe haben würde, diese Aussprache zu leiten. Ich glaube, dass ich im Namen aller meiner Kollegen und Kolleginnen der Kommission, dem Rat und all denjenigen, die sich an dieser sehr positiven Aussprache beteiligt haben, aufrichtig danken kann.

SCHRIFTLICHE ERKLÄRUNG (ARTIKEL 142)

 
  
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  Özdemir (Verts/ALE), schriftlich. – Als Lehre aus den Verbrechen der Nazi-Zeit und als Auftrag an künftige Generationen lautet der Artikel 1 des deutschen Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“.

Dieses Fundament unserer Rechtsordnung und seinen Ursprung gilt es auch den jungen Generationen zu vermitteln, ihnen das Bewusstsein wie die historische Verantwortung mit auf den Weg zu geben. Doch verändert sich die Zusammensetzung unsere Gesellschaften: Es sind einerseits junge Menschen sowie zunehmend Jugendliche mit Migrationshintergrund denen der direkte persönliche Bezug fehlt. Deshalb müssen die Formen der Geschichtsvermittlung insbesondere in den Schulen überdacht werden. Das bedeutet, dass die Lehrerausbildung ebenso Lehrinhalte und -methoden dieser demographischen Veränderung angepasst werden müssen. Schulen sind ein zentraler Ort der interkulturellen Verständigung. Dieses Potenzial muss genutzt werden.

Besorgnis erregend ist ein zunehmender Antisemitismus in radikalen muslimischen Kreisen in Europa und wie die Studie der EUMC aus 2003 feststellte, insbesondere auch unter jungen arabischen Muslimen. Also in einer Gruppe, die selbst potentiell Opfer von Ausgrenzung und Rassismus ist. Antisemitismus ist aber in jeder Form unentschuldbar. Deshalb müssen umfassende Anstrengungen gemacht werden, muslimische Jugendliche in die Gesellschaft einzubinden. Ihre gesellschaftliche Integration ist dabei von größter Relevanz für einen selbstbewussten Widerstand gegenüber antisemitischen Positionen in ihrem eigenen sozialen Umfeld.

 

9. Digitale Inhalte
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  Der Präsident. – Nach der Tagesordnung folgt die Empfehlung für die zweite Lesung (A6-0002/2005) von Paul Rübig im Namen des Ausschusses für Industrie, Außenhandel, Forschung und Energie betreffend den Gemeinsamen Standpunkt des Rates im Hinblick auf die Annahme des Beschlusses des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Mehrjahresprogramm der Gemeinschaft zur Erleichterung des Zugangs zu digitalen Inhalten, ihrer Nutzung und Verwertung in Europa (10458/4/2004 - C6-0140/2004 - 2004/0025(COD)).

 
  
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  Rübig (PPE-DE), Berichterstatter. – Herr Präsident, sehr geehrte Frau Kommissarin Viviane Reding, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin auch tief beeindruckt von der eben stattgefundenen Debatte. Ich muss dazu sagen: Wehret den Anfängen! Man hört auch oft Töne des Hasses gegen die Europäische Union, gegen die Demokratie in Europa, und ich glaube, wir sollten bald damit beginnen, aufzuklären, zu informieren und die europäischen Werte auch der europäischen Bevölkerung näher zu bringen.

Deshalb ist dieses Programm E-Content Plus für uns von ganz besonderer Bedeutung, da es darum geht, digitale Inhalte mit hoher Qualität in den globalen Netzen zu präsentieren. Europa in den globalen Netzen zu präsentieren, hat für uns strategisch den Vorteil, dass auf globale Netze sofort und unmittelbar zugegriffen werden kann und dass wir damit unsere Möglichkeiten im weltweiten Kontext auch dementsprechend ausschöpfen können.

Ich glaube, dass die Finanzierung des Programms mit 149 Millionen Euro bis zum Jahr 2008, die wir in der zweiten Lesung erreicht haben, eine erhebliche Möglichkeit darstellt, diese europäischen Inhalte in den digitalen Netzen deutlich zu verbessern. Wir haben auch die 55,6 Millionen bis zum Jahr 2006 festgezurrt.

Ich glaube, dass dieses Programm in der Vergangenheit schon gezeigt hat, dass es unsere Wettbewerbsfähigkeit erhöht, dass es die Ziele von Lissabon dementsprechend unterstützt, und wir sehen ja gerade, dass im Informations- und Kommunikationstechnologiebereich sehr viele neue Jobs entstanden sind. Wenn wir zusätzliche 10 Millionen Jobs bis zum Jahr 2010 erreichen wollen, muss dieser Bereich „Content“ einen zentralen Teil der Strategie für die Erreichung der Lissabon-Kriterien darstellen. Europa zu vernetzen, Europa insbesondere, auch einschließlich der kleinen und mittleren Betriebe, in den Mittelpunkt zu stellen, ist eine wesentliche Herausforderung. Gerade die Vermittlungsdienste, die hier entstanden sind, sollten für die digitalen Inhalte auch neue Geschäftsmodelle abbilden.

Nach diesem Internet-Hype, den wir gehabt haben, kommen wir jetzt in die nächste Phase des Aufschwungs hinein, und hier hat die Europäische Kommission vorbildlich gearbeitet. Ich möchte mich bei allen, die hier mitgearbeitet haben, sehr herzlich bedanken, weil uns dies ganz einfach die Chance gibt, hier weltweit Standards zu setzen, auf die wir sehr wohl stolz sein können.

Ich glaube auch, dass das E-Content-Programm sehr umfassend sein sollte – das sehen wir im Haushalt – in den Kategorien 1, 2, 3, 4, 5. Auch die europäischen Institutionen sollten betroffen sein. Wir sollten uns Gedanken darüber machen, wie wir unseren Content besser aufbereiten, dem Bürger näher bringen, insbesondere in den Schulen. Andererseits soll es auch den Forschern gegenüber ein breites Angebot der Verknüpfung virtueller Bibliotheken geben, z. B. den schnellen Zugriff über Suchmaschinen. Es gibt ja auch bei den Suchmaschinen die verschiedensten Geschäftsmodelle, die hochinteressant sind, die neue Verknüpfungen zulassen, die sehr schnell den Zugriff auf die wichtigsten digitalen Inhalte, die es gibt, ermöglichen.

Uns allen ist bewusst, dass bei den wissenschaftlichen Ressourcen in den vergangenen Jahren schon sehr viel aufgebaut wurde; ich erinnere nur an eine Bibliothek aus den alten Klöstern, wo man einmal verglichen hat, welche Heilwirkung die Kamille in den verschiedensten Bereichen ermöglicht hat. Dies ist nur ein kleines Beispiel, aber es zeigt, dass hier die Wissenschaft von den vergangenen Erkenntnissen sehr profitieren kann.

Letztlich geht es dann auch um den Telekommunikationsbereich; darum, welche Lizenzierungssysteme wir hier in Zukunft verwenden können, wie wir mit den Nutzungsrechten umgehen können. Hier zeichnet sich auch ab, dass gerade die micro payments im Telekommunikationsbereich Refinanzierungsmodelle oder Kofinanzierungsmodelle geradezu anbieten. Wir alle wissen: Was nichts kostet, ist nichts wert; und deshalb ist eine Kofinanzierung von 50 %, wie es die Europäische Kommission vorgeschlagen hat, aus meiner Sicht geradezu optimal.

Nachdem ich ja bekannt dafür bin, dass ich mich sehr für unsere europäischen klein- und mittelbetrieblichen Strukturen einsetze, sollten wir auch besonders das Digital-TV mit den Programmen, die dort angeboten werden, gerade im lokalen Bereich massiv unterstützen. Deshalb wären möglichst kleine Pakete – ich denke da an eine Größenordnung von etwa 100.000 Euro –, aber eine Vielzahl von solchen Programmen, um den europäischen Inhalt professionell aufzubereiten, in Zukunft von besonderer Bedeutung. Hier könnte auch ein gewisser Wettbewerb entstehen zwischen den öffentlich-rechtlichen und gebührenfinanzierten und auf der anderen Seite den durch Anreize finanzierten Privaten, die derzeit sehr massiv in diese modernen Bereiche vordringen, ebenso wie die Telekommunikationsfirmen, die ja diese digitalen Inhalte in Zukunft auch über das Handy anbieten werden. Es gibt hier völlig neue Möglichkeiten, wie Europa zeigen könnte, dass wir hier ganz einfach vorn mit dabei sind.

Gerade im Bereich des E-Government sollte die Europäische Union – die Europäische Kommission, das Europäische Parlament, der Rat – Vorbild sein. Wir sollten nicht nur im Hardwarebereich, im Softwarebereich den allerletzten Stand haben. Ich glaube, best practice heißt: bei sich selbst beginnen. Wir sollten zeigen, dass wir in Europa Regierungen haben, die uns sehr wohl auf europäischer Ebene zeigen, wo wir uns hinentwickeln könnten. Wir können im E-Health-Bereich viel auf dem Gebiet der Vorsorge, im Bereich der Analyse machen. Wir können im E-Learning-Bereich viel Wissen mit dem Learning entertainment gestalten, damit spannende, interessante Inhalte endlich auch den Lehrern in der Schule zur Verfügung stehen.

Wir können hier die 20 Sprachen, die kulturelle Vielfalt in Europa, gerade von der europäischen Ebene her sehr unterstützen. Gerade die Infrastruktur, die wir hier in Zukunft brauchen, ermöglicht uns, dieses Europa in einem neuen Licht zu sehen. Wir brauchen die Faszination für Europa, wir brauchen die Liebe für Europa.

 
  
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  Reding, Kommission. (EN) Herr Präsident! Ich möchte hervorheben, dass wir schon 12 Monate nach der Verabschiedung durch die Kommission dabei sind, sämtliche Bedingungen zu erfüllen, um in zweiter Lesung eine Einigung über dieses wichtige Programm zu erzielen. Das ist eher ungewöhnlich, und deshalb möchte ich es betonen. Ich möchte dem Berichterstatter, Herrn Rübig, und allen an den Verhandlungen beteiligten Abgeordneten danken, die eine Einigung mit dem Rat möglich gemacht haben und gleichzeitig die Mittel für ein reibungsloses Funktionieren des Programms sichergestellt haben, insbesondere was die Haushaltsmittel angeht.

Uns allen ist bekannt, dass der Zugang zu Inhalten einer der entscheidenden Faktoren für die Entwicklung der neuen Dienstleistungen der Informationsgesellschaft ist. Im Bereich der digitalen Wirtschaft umfasst der Begriff Inhalt sämtliche Arten von Informationen, Texten, Bildern und Tönen, die über Netzwerke verbreitet werden können. Das Programm eContent Plus ist darauf ausgerichtet, die Bedingungen für Innovationen, insbesondere in bestimmten Sektoren des Marktes für digitale Inhalte, zu verbessern. Die Online-Umgebung bietet eine ausgezeichnete Plattform für innovative, grenzüberschreitende Produkte und Dienstleistungen mit digitalen Inhalten. Deshalb bringt dieses Programm einen echten zusätzlichen Nutzen für Europa.

Man stelle sich nur vor, Europa würde über einen einheitlichen Markt für digitale Inhalte verfügen, in dem keine Beschränkungen gelten sowie einzelstaatliche Grenzen und organisatorische Hindernisse entfallen würden – einen Markt, wo alle Verbraucher sämtliche Sprachen der Union verstehen würden. Vermutlich würden dann im Internet viel mehr Karten, beispielsweise von transeuropäischen Straßennetzen, Wasserwegen und anderen Gegebenheiten, zu finden sein. Es würde – wie der Berichterstatter eben hervorhob – riesige europäische digitale Bibliotheken geben, die in kulturellen und wissenschaftlichen Kreisen hoch angesehen wären. Zudem wären in Europa mehr digitale Unterrichtsmaterialien verfügbar, die unsere Schulen und Lehrer benötigen. Somit würde es zwischen den Kulturen zu einer wirklichen gegenseitigen Bereicherung kommen, wobei jedes Land Zugang zu den Traditionen der anderen Staaten hätte.

Genau das möchten wir mit dem neuen Programm erreichen. Doch wir sind uns darüber im Klaren, dass noch viel getan werden muss, um die bestehende Aufsplitterung zu überwinden und Unternehmen in die Lage zu versetzen, innovative, grenzüberschreitende Produkte und Dienstleistungen mit digitalen Inhalten zu entwickeln. Dennoch handelt es sich hierbei um eines der seltenen Programme, in das auch die KMU sehr stark integriert sind. Wenn ich mir anschaue, wie das Programm bisher gelaufen ist, dann wird offenkundig, dass sich unter den 600 Organisationen, die an den finanzierten Projekten teilnehmen, 241 KMU befinden. Daher ist dieses Programm für solche KMU von Nutzen, die innovative Wege beschreiten und den Fortschritt vorantreiben möchten.

Dieses Programm ist nur auf solche Bereiche des digitalen Marktes ausgerichtet, die innerhalb Europas stark aufgesplittert sind und wo die Marktkräfte allein nicht für ausreichendes Wachstum sorgen können. Daher liegt der Schwerpunkt auf drei Gebieten: räumliche bzw. geografische Daten, Unterrichtsmaterialien und kulturelle Inhalte. Besonderes Augenmerk werden wir auch auf die Sprachenvielfalt in der Europäischen Union richten, denn wir wissen, dass die heutigen Informationstechnologien funktionsfähig gemacht werden können und die Schwierigkeiten bei der Verwendung unterschiedlicher Formate und Sprachen überwunden werden können.

Dazu sind große organisatorische Anstrengungen und grenzüberschreitende Versuchsprojekte notwendig, doch genau darum geht es ja bei eContent Plus. Mit diesem Programm werden die Bedingungen für einen florierenden Markt für Inhalte verbessert, was den Unternehmen, Bürgern und unseren Kulturen zugute kommt. Daher nimmt die Kommission den Änderungsantrag des Berichterstatters auch gern an.

 
  
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  Seeber (PPE-DE), im Namen der PPE-DE-Fraktion. – Herr Präsident, sehr geehrte Frau Kommissarin, Herr Berichterstatter! Auch ich war beeindruckt von der eben geführten Rassismusdebatte und möchte auch dem Präsidenten für seine persönlichen Worte danken. Mein Dank gilt auch dem Berichterstatter Paul Rübig für den ausgezeichneten Bericht, den er vorgelegt hat, und vor allem auch für die schnelle Einigung über die 149 Millionen Euro, die ja für dieses wichtige Programm sicher notwendig sind.

Bedenken wir doch, dass der Gesamtmarkt für digitale Inhalte bereits 2002 ca. 515 Milliarden Euro betragen hat. Er ist im Wachsen begriffen, und er soll auch weiter wachsen, denn er ist ja Teil unserer Lissabon-Strategie, um Europa zur wettbewerbsfähigsten Region zu machen. Das bedingt natürlich auch, dass diese Hindernisse, die es in der Union aufgrund der verschiedenen Sprachen, der verschiedenen Kulturen, Mentalitäten und natürlich der Verwaltungstraditionen gibt, überwunden werden. Natürlich haben wir es hier auch mit Marktversagen zu tun, und um dem Ganzen entgegenzuwirken, brauchen wir eine bestimmte finanzielle Hilfe der EU, eine Anstoßfinanzierung, die uns hilft, über diese Hindernisse hinwegzukommen.

Wir müssen nämlich die vorhandenen Infrastrukturen und auch technisch mögliche neue Infrastrukturen, wie den Mobilfunk der dritten Generation, mit sinnvollen Inhalten füllen. Mit diesen Inhalten können wir das Leben unserer Bürger verbessern und natürlich auch erleichtern. Erlauben Sie mir, hier auf regionalpolitische, umweltpolitische und auch verkehrspolitische Folgen hinzuweisen. Wenn wir einen funktionierenden Markt mit sinnvollen Inhalten haben, dann bedeutet das auch, dass dünn besiedelte Regionen hochwertige Arbeitsplätze bieten können und Menschen dort weiter leben werden; dass diese nicht entsiedelt werden. Das gilt insbesondere für Berggebiete und natürlich für sonstige dünn besiedelte Regionen. Das bedeutet auf der anderen Seite auch, dass weniger Verkehr in Ballungszentren entsteht, und es hat natürlich auch die positiven Umweltauswirkungen, dass keine Abgase und sonstigen Dinge entstehen.

Daher begrüße ich dieses Programm sehr und wünsche mir natürlich auch, dass es möglichst rasch zur Verwirklichung kommt.

 
  
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  Gill (PSE) , im Namen der PSE-Fraktion. – (EN) Herr Präsident! Auch ich möchte positiv hervorheben, dass wir eine solch interessante Aussprache zum Thema Rassismus geführt haben, doch vor allem möchte ich dem Berichterstatter zu seiner Arbeit gratulieren, und zwar nicht nur was diesen Bericht, sondern auch seine Bemühungen während der Verhandlungen mit dem Rat anbelangt. Ich bin hocherfreut, dass das Parlament die Mittelzuweisung in Höhe von 135 Millionen Euro, die vom Rat ursprünglich vorgeschlagen wurde, auf den jetzigen Betrag, nämlich 149 Millionen Euro, anheben konnte. Besonders wichtig ist es, dass wir – wie der Berichterstatter erwähnte – vor dem Auslaufen der aktuellen Finanziellen Vorausschau eine Summe von 55,6 Millionen Euro sichern konnten.

Da ich als Berichterstatter für das erste Programm eContent fungierte, bin ich sehr erfreut, dass dieser Vorschlag über das Programm eContent Plus nun so schnell Gestalt angenommen hat. Heutzutage ist der Markt für digitale Inhalte einer der am schnellsten wachsenden Sektoren. Wenn Europa nicht genauso schnell reagiert, dann könnten wir weiter zurückbleiben. Wir müssen die Möglichkeiten, die sich in diesem Bereich auftun, in vollem Umfang ausschöpfen, um den Vereinigten Staaten einige der marktbeherrschenden Stellungen, die sie sich sichern konnten, streitig zu machen. Im Zuge der fortschreitenden Privatisierung kann noch viel mehr getan werden, und daher halte ich diesen Vorschlag für besonders begrüßenswert.

Angesichts der großen Sprachenvielfalt der nunmehr 25 Mitgliedstaaten gibt es für uns viele Einsatzmöglichkeiten. Wie bereits der Kommissar und andere Redner sagten, sollte das Programm eContent Plus nunmehr in sämtlichen Medienbereichen in Form von Büchern, Informationen des öffentlichen Sektors und den Medien im Allgemeinen spürbar werden Doch eines der Probleme, dem wir innerhalb der EU gegenüberstehen, ist die Vielzahl von Wirtschaftszweigen, die von der Textilindustrie bis hin zur Telekommunikation reichen und unsere einzelstaatlichen Märkte aufsplittern. Aufgrund dieser Vielzahl stehen wir im Hinblick auf die Koordinierung und die Sicherstellung der Wettbewerbsfähigkeit noch größeren Herausforderungen gegenüber.

Wir müssen dafür sorgen, dass im Hochgeschwindigkeitsbereich eine sichere Übertragung von Informationen möglich ist. Denn dies ist eines der Probleme, das viele davor zurückhält, die Möglichkeiten des Internets voll auszuschöpfen. Deshalb müssen wir mehr an der Verbreitung dieser Informationskultur arbeiten. Wir müssen die Websites der EU weiter ausbauen, damit nicht nur sämtliche Bürger Zugang zu ihren Vertretern haben, sondern damit auch Frust abgebaut wird.

 
  
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  Belder (IND/DEM), im Namen der IND/DEM-Fraktion.(NL) Herr Präsident! In dem Bericht von Herrn Rübig geht es um die Optimierung digitaler Inhalte, wobei die Erleichterung des Zugangs zweifellos einen Aspekt darstellt. Digitale Inhalte müssen für Menschen mit Behinderungen maximal zugänglich sein. Für Sehbehinderungen beispielsweise sind Sprachtechnologie oder Tastaturen mit Braillezeilen verfügbar. Die Zugänglichkeit lässt jedoch insofern zu wünschen übrig, als die technischen Eigenschaften der Web-Seiten mit den von diesen Personen benutzten Spezialausstattungen nicht hinreichend konform sind. Zwar bestehen W3C-Richtlinien für gute Web-Standards, doch werden diese Richtlinien noch sehr unzulänglich umgesetzt. Das Programm „eContent plus“ sollte zur internationalen Harmonisierung der Zugänglichkeitsrichtlinien für Behinderte beitragen. Für Unternehmen ist eine Beteiligung sogar finanziell einträglich. Die Entwicklung der zugänglichen Anwendungen mag zwar mehr kosten, im finanziellen Ergebnis wird dies jedoch durch die Kosteneinsparungen in Unterhalt und Management wettgemacht. Hier handelt es sich um ein Thema, das unbedingt einen Platz in dem Programm verdient, zumal das Ziel der Zugänglichkeit, mehr noch als andere Ziele, eine internationale Harmonisierung erfordert. Der Fokus auf die Zugänglichkeit von Menschen mit Behinderungen ist meiner Ansicht nach wichtig im Hinblick auf die Frage, ob gegenüber dem Vorgehen auf einzelstaatlicher Ebene ein ausreichender Mehrwert besteht, um einer Aufstockung der Haushaltsmittel zustimmen zu können. Der Aufmerksamkeit für Personen mit besonderen Bedürfnissen muss durch die Aufnahme der Zugänglichkeit in das Programm als Ganzes Substanz verliehen werden. Darf ich davon ausgehen, dass die Kommission Zugänglichkeitsanforderungen in die Auswahlkriterien und Indikatoren für die Leistungsbemessung einzubeziehen gedenkt? Ich möchte Aufschluss darüber erhalten, welchen Nachdruck die Kommission bei den Haushaltsmitteln auf die Zugänglichkeit für Menschen mit einer Behinderung legen wird, denn daran wird sich zeigen, ob durch das Programm tatsächlich sichergestellt wird, dass Menschen mit Behinderungen Zugang zu digitalen Informationen und Dienstleistungen erhalten, was zweifellos Bestandteil der Werte und Normen der Europäischen Union ist.

 
  
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  Janowski (UEN), in Namen der UEN-Fraktion. (PL) Herr Präsident, Frau Kommissarin, meine Damen und Herren! Dieser gemeinsame Beschluss des Parlaments und des Rates ist ein dringend benötigter und sehnsüchtig erwarteter Schritt hin zu einem großflächigeren Einsatz der digitalen Technologien und der Dienste für Breitbandinformationen. Die Entwicklungen, die wir auf dem Gebiet der angewandten Mathematik und Informationstechnologie erleben, sind ganz einfach überwältigend, und sie gehen einher mit einer ebenso schnellen Entwicklung der elektronischen Technologien. So wird insbesondere die Größe auf ein Minimum reduziert, während die Nutzerfunktionen auf ein Maximum erhöht wird.

Hinter all diesen Entwicklungen stehen, wie ich es nennen würde, edle Absichten, wie Bildung, erweiterter Zugang zu Kultur sowie eine effizientere Gestaltung der Verwaltung und des Bankwesens. Dadurch wiederum sollte die Entwicklung aller wissenschaftlichen und technologischen Disziplinen gefördert, die Wirtschaft angekurbelt sowie die Verteidigung und Sicherheit, darunter auch der Schutz gegen den Terrorismus, verbessert werden. All dies sollte für jeden, der einen solchen Zugang benötigt, erreichbar sein. Ich sagte „jeder“, doch muss ich das einschränken, da der Zugang sowie Einrichtungen dieser Art unter keinen Umständen für Kriminelle, darunter auch verschiedene Computerpiraten, verfügbar sein dürfen. Es muss ein wirksames Mittel gefunden werden, dieser Gruppe von potenziell böswilligen Nutzern Einhalt zu gebieten.

Wir sollten diesen Beschluss auch im Zusammenhang mit anderen Dokumenten sehen, insbesondere mit dem Beschluss des Parlaments und des Rates über die sicherere Nutzung des Internets und der Online-Technologien. Jedoch können wir nicht einerseits über Benutzerfreundlichkeit sprechen und andererseits danach trachten, Patente für Computerprogramme einzuführen. Wir täten besser daran, nach einer Möglichkeit zu suchen, eine weite Verbreitung des Internetzugangs zu erreichen und dessen hohe Qualität preisgünstig zur Verfügung zu stellen, beispielsweise über Niederspannungsnetze.

Damit will ich sagen, dass der Beschlussentwurf als konstruktiver Vorschlag angesehen werden sollte. Ich möchte dem Berichterstatter meinen Dank aussprechen, obwohl die zur Umsetzung dieser Initiative vorgesehene Geldsumme leider bei weitem hinter dem zurückbleibt, was benötigt wird. Der Rat hat 135 Millionen Euro vorgeschlagen, der Berichterstatter 149 Millionen Euro und die Kommission 163 Millionen Euro. Wie lässt sich das mit den Zielen der Lissabon-Strategie vereinbaren? Wie können so wichtige Ziele mit so wenig Geld erreicht werden?

 
  
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  Paasilinna (PSE). (FI) Herr Präsident, sehr geehrte Frau Kommissarin, meine Damen und Herren! Das Programm „eContent Plus“ ist von erheblicher Bedeutung. Wenn es erfolgreich durchgeführt wird, leistet es einen Beitrag gerade zum wichtigsten Bestandteil der Lissabon-Strategie. Seine Auswirkungen werden jedoch nicht allzu schnell zu spüren sein. Ich möchte Herrn Rübig zu seiner ausgezeichneten Arbeit beglückwünschen. Wir hoffen, dass die Kommission schnell die entsprechenden Änderungen vornehmen wird.

Die vernetzte Umgebung als Mittel zum Erlangen von Wissen und Fertigkeiten kann nur an Bedeutung gewinnen, wenn es sachdienliche, hochwertige, zuverlässige, umfassende und sichere Inhalte gibt. Als Gesetzgeber der Union müssen wir unserer Verpflichtung nachkommen, für alle unsere Bürger qualitativ hochwertige europäische Informationsquellen bereitzustellen. Dabei berücksichtigen wir unsere kulturelle Vielfalt und die wachsenden Bedürfnisse unserer Bürger sowie die großen Möglichkeiten, die aus der Vielfalt erwachsen.

Kulturelle Vielfalt kann auch in der digitalen Welt eine Quelle des Reichtums sein. Denn hier handelt es sich um ein anders geartetes, selbstentwickeltes, künstliches, anregendes, trügerisches und extrem kraftvolles Werkzeug. Darum wissen wir, dass Maßnahmen auf europäischer Ebene notwendig sind, um Vielfalt und Qualität zu sichern. Uns ist auch bekannt, dass die Kräfte des globalen Marktes solche Dienste nicht bieten können. Aus diesem Grunde ist eine gesamteuropäische Erstellung von Inhalten von größter Bedeutung, damit wir uns von einer Informationsgesellschaft in Richtung einer Bildungsgesellschaft bewegen können. Wir sind Teil des öffentlichen Sektors, der digitale Dienste für die Zivilgesellschaft zur Verfügung stellt. Deshalb müssen wir uns auch um die Frage der Finanzierung kümmern. Ich begrüße daher die Änderungsanträge von Herrn Rübig, in denen die für dieses Programm veranschlagten Mittel gegenüber den von Rat vorgenommenen Kürzungen erhöht werden. Damit alle an der digitalen Welt teilhaben können, muss jeder einzelne Bürger einbezogen werden, unabhängig von seiner sozialen Stellung. Demokraten dürfen eine digitale Diktatur nicht tolerieren, aber das ist dann schon ein anderes Thema.

 
  
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  Der Präsident. – (FR) Die Aussprache ist geschlossen.

Die Abstimmung findet morgen um 10.00 Uhr statt.

 

10. Zusammensetzung der Ausschüsse (siehe Protokoll)

11. Tagesordnung der nächsten Sitzung (siehe Protokoll)

12. Schluss der Sitzung (siehe Protokoll)
  

(Die Sitzung wird um 22.30 Uhr geschlossen.)

 
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