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Werdegang im Plenum
Entwicklungsstadien in Bezug auf das Dokument :

Eingereichte Texte :

RC-B6-0124/2008

Aussprachen :

PV 13/03/2008 - 9.2
CRE 13/03/2008 - 9.2

Abstimmungen :

PV 13/03/2008 - 11.2
CRE 13/03/2008 - 11.2

Angenommene Texte :


Ausführliche Sitzungsberichte
Donnerstag, 13. März 2008 - Straßburg Ausgabe im ABl.

9.2. Verhaftungen von Demonstranten nach den Präsidentschaftswahlen in Russland
PV
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  Der Präsident. – Als nächster Punkt folgt die Aussprache über fünf Entschließungsanträge zu Verhaftungen von Demonstranten nach den Präsidentschaftswahlen in Russland(1).

 
  
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  Bernd Posselt, Verfasser. − Herr Präsident! Im Vorlauf der Ausarbeitung dieser Entschließung wurde einigen von uns vorgeworfen, wir seien Feinde oder Gegner Russlands. Wir sind aber genau das Gegenteil! Wir sind Freunde Russlands, und weil wir Freunde Russlands sind, machen wir uns Sorgen um Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in diesem wichtigen europäischen Land. Wir protestieren in aller Schärfe gegen die Inhaftierung von Oppositionellen, die nichts anderes getan haben, als auf eine Tatsache hinzuweisen, die alle internationalen Institutionen registriert haben, nämlich dass die Präsidentschaftswahlen in Russland extrem unfair waren.

Wir fordern die sofortige Freilassung der Oppositionellen und auch der anderen Menschen, die sich schon länger in Gefängnissen und in Arbeitslagern befinden, wie die so genannten Yukos-Häftlinge Chodorkowski und Lebedjew, und ich unterstütze den Appell von Bundeskanzlerin Merkel, diese beiden Persönlichkeiten endlich freizulassen.

Man muss auch eines ganz klar sehen: Der neu gewählte Präsident Russlands hat die einmalige Chance auf einen Neuanfang, einen Wandel hin zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und zu einer weniger nationalistisch und aggressiv ausgerichteten Außenpolitik. Aber dann muss er sich aus den Verstrickungen von Gazprom befreien, dann muss er sich aus dem System Putin befreien, und dafür haben wir leider nicht die geringsten Anzeichen.

Deshalb ist es unsere Pflicht, ehrlich Kritik zu üben. Nicht die sind die Freunde Russlands, die wie der ehemalige deutsche Bundeskanzler Schröder als Hofsänger und Lobredner des Systems Putin wirken und sich in die Propaganda dieses Systems und in die wirtschaftlichen und nationalistischen Interessen dieses Systems einbinden lassen, sondern die sind die Freunde Russlands, die für die Menschen- und Bürgerrechte des russischen Volkes eintreten, das eine Chance auf eine demokratische Entwicklung hat.

Wenn wir schweigen, dann werden Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in ihren schwachen Ansätzen, die Präsident Jelzin entwickelt und Präsident Putin gefährdet hat, endgültig erstickt, und dies kann nicht im Interesse Europas und auch nicht im Interesse des russischen Volkes sein!

(Beifall)

 
  
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  Marios Matsakis, Verfasser. (EN) Herr Präsident! Ich spreche hier in dieser Angelegenheit in persönlicher Eigenschaft.

In den letzten Jahren haben sich in Russland bedeutende Veränderungen vollzogen: vom stalinistischen Kommunismus zu den Anfängen eines liberalen Kapitalismus, von der nuklearen Bedrohung des Kalten Krieges zur Aufnahme freundschaftlicher Gespräche mit dem Westen über Abrüstung und militärische Zusammenarbeit. Gleichzeitig wurden im Land demokratischere Reformen eingeleitet, und der Lebensstandard der russischen Bevölkerung steigt stetig.

Wir begrüßen diese Veränderungen und müssen sie unterstützen. Wir dürfen das Schlechte nicht immer kritisieren; mitunter müssen wir etwas stillschweigend hinnehmen und das Gute unterstützen. So sind wir nicht nur objektiv, sondern ermutigen schneller und umfassender zu Veränderungen zum Besseren.

Wenn wir das berücksichtigen und uns die jüngsten Präsidentschaftswahlen in Russland vor Augen führen, dann müssen wir sagen, dass diese demokratischer verliefen als in der Vergangenheit, wenngleich es immer noch ein Problem mit dem ungleichen Zugang von Kandidaten zu den Medien gab. Aber seien wir ehrlich, haben wir solch ein Problem nicht selbst in den EU-Mitgliedstaaten? Leider ja.

Nach den Wahlen gab es Proteste auf den Straßen. Berichten zufolge stießen einige dieser Proteste auf unverhältnismäßige Gewalt seitens der russischen Polizei. Können wir ehrlich sagen, dass unsere eigenen Polizeikräfte in den EU-Mitgliedstaaten oder in den Kandidatenländern Engel sind und nicht zuweilen – öfter, als es uns lieb ist – zu unverhältnismäßiger Gewalt greifen?

Ja, wir verurteilen die unfaire Behandlung von Kandidaten durch die staatlich gelenkten russischen Medien; ja, wir verurteilen die unangemessene Anwendung von Gewalt durch die russische Polizei gegen Demonstranten, aber wir tun das genau so und in demselben Geist, wie wir mit ähnlichen Geschehnissen in irgendeinem anderen Land oder Staatenbund, auch bei uns, umgehen.

 
  
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  Alexandra Dobolyi. − (EN) Herr Präsident! Ich muss Sie enttäuschen. Ich bin nicht die Verfasserin dieser Entschließung, und meine Fraktion hat die Entschließung nicht mitunterzeichnet. Der Grund dafür ist nicht, dass wir heute eine Diskussion umgehen wollen. Nicht dass wir meinen, wir bräuchten diese Dinge nicht zu diskutieren, und nicht dass wir meinen, es gebe keine Probleme in Russland, auch nicht dass wir meinen, wir bräuchten uns nicht mit den Implikationen der russischen Präsidentschaftswahlen zu befassen, sondern der Grund ist, dass wir der festen Überzeugung sind, dass wir, wenn es um Russland geht – eine Weltmacht, ein Mitglied des UN-Sicherheitsrats und einen der großen Partner der EU –, eine umfassende und gut vorbereitete Plenardebatte ansetzen müssen.

Russland ist für uns nicht nur ein enger Nachbar, sondern auch ein strategischer Partner. Wir wollen eine umfassende Aussprache über unsere Beziehungen, in der alle wichtigen Fragen zur Sprache kommen, vom Handel bis zu den Investitionen – die florieren –, zur Energie, zur Demokratie und auch zu den Menschenrechten.

Zu Russland gibt es viele unterschiedliche Meinungen, aber ich denke, alle sind sich darin einig, dass Russland für uns ein entscheidender Partner bei der Lösung regionaler Konflikte und bei der Bewältigung globaler Herausforderungen ist und dass viel zu tun bleibt, um das volle Potenzial unserer Beziehungen zu entwickeln. Wir müssen in diesem Haus, aber auch mit der Kommission und dem Rat, einen umfassenden Meinungsaustausch darüber führen können, wie wir auf pragmatische Weise an die Zusammenarbeit in Fragen herangehen, wo wir kooperieren können, und wo wir uneins in Fragen sind, die eine Kooperation unmöglich machen.

Es liegt auf der Hand, dass es unmöglich oder unangemessen ist, dieses wichtige und bedeutende Problem an einem Donnerstagnachmittag in einem Zeitfenster von zwanzig Minuten zu behandeln, und das ist der Grund dafür, dass meine Fraktion den Entschließungsentwurf nicht unterstützen kann, und der Grund, warum sich meine Fraktion später in der Abstimmung der Stimme enthalten wird.

 
  
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  Marcin Libicki, Verfasser. (PL) Herr Präsident! Wieder wurde in Russland gewählt, und erneut sind viele Kandidaten vor der Abstimmung ausgeschlossen worden. Wieder wurden Oppositionsanhänger, die gegen das Wahlergebnis protestierten, gewaltsam auseinandergetrieben. Und ein weiteres Mal ist der Westen in dreierlei Hinsicht überrascht: Erstens, dass in Russland die Bürgerrechte nicht geachtet werden. Zweitens: Weshalb sollte man die Opposition verfolgen, wenn sie ohnehin so schwach ist? Drittens: Warum sollte man dies überhaupt tun, wenn die Öffentlichkeit jede Regierungsentscheidung prinzipiell unterstützt?

Uns muss klar sein, dass, wer Russland wie einen normalen zivilisierten westlichen Staat und die Russen wie eine normale Gesellschaft behandelt, dieses Land nicht verstehen kann. Die russische Mentalität ist ganz anders, wie Russlands Nachbarn – viele Länder in Mittel- und Osteuropa – bezeugen können. Uns ist wohl bekannt, dass die russische Gesellschaft die Regierung und die Behörden immer unterstützt – Wahlen hin oder her. So ist es in Russland stets gewesen, so ist es heute und so wird es immer sein.

Natürlich stimme ich mit Herrn Posselt völlig darin überein, dass die wahren Freunde Russlands alles tun müssen, um das zu ändern. Aber meiner Ansicht nach ist daran nichts Überraschendes.

 
  
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  Jana Hybášková, im Namen der PPE-DE-Fraktion.(EN) Herr Präsident! Die Russische Föderation ist ein Land, mit dem wir sehr an dem Abschluss einer strategischen Partnerschaft interessiert sind. Wenn nicht die Demokratie, dann ist die Rechtsstaatlichkeit der entscheidende Punkt hier.

27. Februar: Ein Aktivist der Koalition Das Andere Russland wurde in der russischen Stadt Twer aus einer psychiatrischen Klinik entlassen. Roman Nikolaitschik war Opfer einer Strafmaßnahme, die ihn in die Psychiatrie verbannte. Nachdem er als lokaler Kandidat auf die Parteienliste der Koalition Das Andere Russland gesetzt worden war, hatte sich der Druck gegen ihn erhöht. Larisa Arap wurde 46 Tage gefangen gehalten, nachdem sie in der Zeitung Murmansk Oblast einen kritischen Artikel veröffentlicht hatte. Artem Basyrow wurde in der Republik Mari-El für mehr als einen Monat in ein Krankenhaus eingeliefert, weil er Das Andere Russland unterstützte.

1. März: Offener Brief an den Föderativen Sicherheitsdienst Russlands: „Wir, Journalisten und Kollegen von Natalja Morar, einer Korrespondentin der Zeitschrift The New Times, fordern von der Führung des FSD, ihre verfassungswidrige Festnahme im Zollbereich des Flughafens Domodedowo einzustellen und ihr die russische Grenze zu öffnen.“

4. März: Tausende marschierten in Moskau und in den Straßen St. Petersburgs. In Moskau, wo sich die Behörden weigerten, eine Versammlung zu genehmigen, wurden Dutzende verhaftet, als die Polizei mit Schlagstöcken auf die Menge losging. Nikita Belych, Vorsitzender der Union der Rechten Kräfte, wurde von getarnten Spezialkräften der OMON mitgenommen. Zu den Verhafteten gehörten auch Lew Ponomarjow, der Vorsitzende der Bewegung für Menschenrechte, und Denis Bulinow, Geschäftsführer der Vereinigten Bürgerfront.

7. März: Journalisten während der Wahl in Russland zum Schweigen gebracht: Auf Südsachalin griff ein Leutnant der Armee einen Reporter der Zeitung Twoja Gaseta von Jushno Sachalinsk an. In Nowosobirsk wurde der Fotograf Jewgeni Iwanow des „Widerstands gegen die Staatsgewalt“ und der „Unterlassung der Meldepflicht“ angeklagt. In St. Petersburg wurde ein Reporter der Grashdanski Golos von der Miliz festgenommen, weil er sich „ohne Genehmigung in einem Wahllokal aufhielt.“ Die Zeitung wird von Golos, einer unabhängigen Wahlbeobachtungsgruppe, geleitet. Ein Reporter von Wperjod (Vorwärts), einer Lokalzeitung aus Chimni, Im Gebiet Moskau, wurde von Offizieren der Miliz angegriffen, als er seinen Wahlzettel in die Urne werfen wollte.

Ist das Rechtsstaatlichkeit?

 
  
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  Lidia Joanna Geringer de Oedenberg, im Namen der PSE-Fraktion. (PL) Herr Präsident! Die Vereinbarungen der EU mit Russland betreffen nicht nur die verstärkte Zusammenarbeit in den Bereichen Wirtschaft, Sicherheit und Energie, sondern auch die Achtung der Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und grundlegenden Menschenrechte.

Dennoch gab es im Vorfeld der Wahlen für oppositionelle Gruppen und Nichtregierungsorganisationen deutlich strengere Auflagen im Hinblick auf das Recht auf Versammlungsfreiheit und friedliche Kundgebungen. Darüber hinaus wurden die wichtigsten Tageszeitungen sowie Rundfunk- und Fernsehstationen einer strengen staatlichen Kontrolle unterworfen. Der von den Oppositionsparteien organisierte Protestmarsch am 3. März wurde von den Moskauer Behörden zunächst nicht genehmigt und endete schließlich mit der Verhaftung der Teilnehmer, darunter auch der Oppositionsführer. Bedauerlicherweise haben die jüngsten Wahlen gezeigt, dass Demokratie und die Achtung des Rechtsstaats in Russland nicht stark ausgeprägt sind. Damit meine ich nicht nur den unverhältnismäßigen Einsatz von Gewalt durch die Polizei während der Demonstrationen, sondern auch die feindselige Haltung gegenüber der Überwachungsmission der OSZE.

Die internationale Gemeinschaft darf von Russlands neuem Präsidenten zu Recht mehr erwarten als die Zusicherung des weiteren Aufbaus der Demokratie im größten Land der Welt – nämlich konkrete Maßnahmen wie die Überprüfung der Situation der schon seit Jahren inhaftierten politischen Aktivisten.

 
  
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  Ewa Tomaszewska, im Namen der UEN-Fraktion. (PL) Herr Präsident! Weder der russische Präsidentschaftswahlkampf noch die Wahlen selbst entsprachen demokratischen Regeln. Bei der Ankündigung der Kandidaturen versuchte man nicht einmal, den Schein zu wahren. Die Medien waren ständigem Druck ausgesetzt, keine kritischen Bemerkungen über den vom amtierenden Präsidenten unterstützten Kandidaten zu veröffentlichen. Der Opposition war der Zugang zu den Medien versperrt, und die Wahlbeobachtung wurde behindert.

Das ist insbesondere im Hinblick auf Russlands Mitgliedschaft im Europarat und die früheren Erklärungen des russischen Staates zur Achtung der Menschenrechte kaum hinnehmbar. Zugegebenermaßen sind solche Erklärungen nur für Menschen glaubwürdig, die Russland nicht kennen. Der Verletzung demokratischer Grundprinzipien während der Wahlen folgten Proteste, die gewaltsame Auflösung einer Demonstration und die Verhaftung von Demonstranten. Russland ist entschieden vom demokratischen Weg abgewichen. Wir fordern die zügige Freilassung aller politischen Häftlinge.

 
  
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  Jiří Maštálka, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. – (CS) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich freue mich darüber, dass dieses Problem der Entwicklungen in Russland Eingang in die Plenaraussprachen gefunden hat.

Zweifellos sind gute gegenseitige Beziehungen mit der Russischen Föderation eine Vorbedingung für eine zukünftig starke Europäische Union. Ich bedauere sehr, dass die Wahlen in Russland nicht ohne Einmischung seitens der Behörden stattfanden. Andererseits mangelt es uns wie schon so oft an einer simplen Achtungsbezeugung unsererseits für die geleistete Arbeit und für die Kultur der Nation und des Landes, über das wir heute diskutieren.

Ohne den geringsten Zweifel liegt vor Russland noch ein langer Weg bis zur Erreichung eines Niveaus an sozialer Gerechtigkeit und Lebensqualität, wie wir es gern überall in der Welt sehen würden. Das Land kommt nur schwer mit seiner demografischen Krise zurecht. Andererseits zieht der höchste Repräsentant des Landes zum ersten Mal in der russischen Geschichte freiwillig aus dem Kreml aus, und sein Nachfolger wurde vom Volk gewählt. Es besteht kein Zweifel darüber, dass politische Technologien, Mittel und Managementmethoden in Russland, darunter auch die Wahlverfahren, bis zur Perfektion ausgebaut worden sind. Diese Technologien wurden jedoch aus dem Westen eingeführt.

Ich möchte diejenigen fragen, die heute über die Notlage der Demokratie in Russland Tränen vergießen, ob sie ebenso erbost sind über die etwas feige Weigerung des Europäischen Parlaments, Herrn Solana zu fragen, wie er es mit dem internationalen Recht hält.

 
  
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  Urszula Krupa, im Namen der IND/DEM-Fraktion. – (PL) Herr Präsident! Thema der heutigen Aussprache ist die Verletzung der Menschenrechte in Russland im Rahmen der Proteste gegen das Demokratiedefizit, vor allem während der jüngsten Präsidentschaftswahlen. Dabei wurde nicht nur Gewalt gegen Demonstranten eingesetzt und gab es Verhaftungen, sondern die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa musste ihre Mission zur Überwachung der Wahlen aufgrund der extremen Beschränkungen seitens der russischen Regierung abbrechen. Der russische Staat hat Druck auf oppositionelle Gruppen ausgeübt, Wahlbetrug toleriert und die Medien eingeschränkt. Nichtregierungsorganisationen wurden behindert, und die Organisation von Zusammenkünften unterlag Restriktionen.

Wir können die Missachtung von Demokratie und Menschenrechten, die fehlende Redefreiheit, die Diskriminierung nationaler Minderheiten und die Behinderung unabhängiger Organisationen auf gar keinen Fall hinnehmen. Allerdings dürfen wir nicht vergessen, dass es in Russland keine demokratische Tradition gibt. Die kurze Zeit der Demokratisierung, die 1864 begann, endete 1917 mit der Gründung Sowjetrusslands, eines typischen totalitären Staates, der zunächst von Lenin und Stalin, später dann von ihren Schülern angeführt wurde, was die absolute Negierung der Demokratie bedeutete.

Die Lage in Russland sollte anderen Imperien und totalitären Staaten, die sich vor der Demokratisierung scheuen, als Warnung dienen, selbst wenn die Opposition eine Minderheit darstellt und nur damit droht, die Wahrheit zu enthüllen, die um jeden Preis im Verborgenen bleiben soll.

 
  
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  Koenraad Dillen (NI).(NL) Zwei Bemerkungen nur. Ich habe keinerlei Problem, diesen Entschließungsantrag zu unterstützen. Selbstverständlich ist uns jedoch allen bewusst, dass Russland ein zu wichtiger Energielieferant ist, sodass die Staats- und Regierungschefs dieses Stück Papier seelenruhig beiseite legen werden.

Aus Erfahrung wissen wir, dass, sobald Wirtschaftsinteressen auf dem Spiel stehen, sei es in China, Russland oder Saudi-Arabien, das Menschenrechtsengagement aller dieser Grundrechtecharta-Apologeten der Realpolitik weichen muss. Geben wir uns daher keinen Illusionen hin.

Zweitens, werte Kolleginnen und Kollegen, ersetzen Sie in dem vorliegenden Entschließungsantrag „Russland“ durch „Belgien“, und der Text behält seine volle Gültigkeit. Vor noch gar nicht allzu langer Zeit wurden nämlich auch in Belgien friedliche Demonstranten auf Anweisung des Brüsseler Bürgermeisters durch aufgehetzte Polizeidienste auseinander getrieben. Auch in Belgien ist der Opposition der Zugang zu den Medien weitgehend verwehrt. Auch in Belgien wurde eine Oppositionspartei auf Geheiß der Regierung – sowie auf Antrag der Partei, der der hier anwesende Kommissar angehört – durch politisch ernannte Richter verboten. Und die betreffenden Richter sind daraufhin befördert worden. Europa sollte erst einmal vor seiner eigenen Tür kehren und diese Pseudodemokraten in die Schranken weisen.

 
  
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  Józef Pinior (PSE). – (EN) Herr Präsident! Russland ist ein großes Land, eine Weltmacht, Mitglied des UN-Sicherheitsrats und ein strategischer Partner der Europäischen Union.

Zunächst möchte ich zu einer ernsthaften, ruhigen und objektiven Debatte im Europäischen Parlament über die Notlage der russischen Demokratie und über die Menschenrechte in dem Land aufrufen.

Die Realität ist die, dass Russland es internationalen Akteuren schwer gemacht hat, die letzten Parlamentswahlen zu überwachen. Der Europäische Menschenrechtshof hat bis heute in 15 Fällen im Zusammenhang mit Tschetschenien gegen Russland entschieden. Folter und illegale Festnahmen durch regierungsamtliche Kräfte unter Führung des tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow sind weit verbreitet und werden systematisch vorgenommen. In der Zeit vor den Wahlen hatten die russischen Behörden die Einschränkung der Versammlungsfreiheit verschärft und übermäßige Gewalt angewendet, um friedliche Demonstrationen aufzulösen. Die russischen Gesetze im Zusammenhang mit Nichtregierungsorganisationen sind besonders restriktiv.

Es ist unmöglich, am heutigen Nachmittag eine ordentliche Aussprache über alle diese Fragen zu führen. Einmal mehr möchte ich zu einer ernsthaften Plenardebatte über die Notlage der Demokratie und der Menschenrechte in Russland aufrufen.

 
  
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  Zbigniew Zaleski (PPE-DE). – (PL) Herr Präsident! Wie sich zeigt, verläuft der demokratische Wandel in Russland nicht Hand in Hand mit einer Verbesserung der fundamentalen Bürgerrechte, vor allem im Hinblick auf die Rechte der Opposition. Die Menschen in Russland haben gelernt, stolz zu denken, obwohl sie in kläglicher Knechtschaft leben. Der Staat wird uns kaum Beachtung schenken, egal, was wir sagen, aber dem russischen Volk sollte die Haltung Europas bewusst gemacht werden. Vielleicht wird es ein langwieriger Prozess, schrittweise das Verständnis dafür zu fördern, dass auch in Russland die Dinge anders, normaler laufen und die Menschen glücklicher sein könnten, da das Land das Potenzial dazu hat. Diesen Sensibilisierungsprozess müssen wir unterstützen.

 
  
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  Zita Pleštinská (PPE-DE). – (SK) Ich stimme meinen Vorrednern zu, dass gute Nachbarschaftsbeziehungen zwischen der Europäischen Union und Russland von entscheidender Bedeutung für die Stabilität, die Sicherheit und die Prosperität ganz Europas sind.

Einerseits muss sich die Europäische Union um eine Vertiefung der Zusammenarbeit mit Russland bemühen, namentlich in Fragen der Politik, der Sicherheit, der Wirtschaft und vor allem der Energie. Andererseits dürfen wir bei Verletzungen der Demokratie und der politischen Freiheit in Russland nicht weiter schweigen. Wir müssen unsere Unzufriedenheit in Fällen zum Ausdruck bringen, in denen wir von vornherein Kenntnis über eine Verletzung der Demokratie erhalten, wie beispielsweise im Fall der Disqualifizierung des Präsidentschaftskandidaten Michail Kasjanow.

Ich vertraue darauf, dass der neu gewählte russische Präsident Dmitri Medwedjew Rechtsstaatlichkeit und Demokratie achtet und die Voraussetzungen für eine baldige Aufnahme der Verhandlungen über das neue Abkommen über Partnerschaft und Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und Russland schafft.

 
  
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  Janusz Onyszkiewicz (ALDE). – (PL) Herr Präsident! Ich würde gern einen weiteren Punkt zur Liste der Missstände hinzufügen, die diese Wahl gekennzeichnet haben und aufgrund derer man nicht wirklich von einer Wahl sprechen kann, denn die Möglichkeit, zwischen Kandidaten zu wählen, gab es nicht. Ich meine damit die Tatsache, dass einige Kandidaten aufgrund der finanziellen Schwierigkeiten ihrer Partei nicht auf die Wahllisten gesetzt werden konnten.

Warum finanzielle Probleme? Weil seit den letzten Wahlen zur Duma die Zuteilung von Sendezeit für Wahlwerbung bezahlt werden muss, wenn es der betreffenden Partei nicht gelingt, eine bestimmte Stimmenzahl zu erreichen. Folglich haben einige Parteien Schulden und können sich keine politischen Aktivitäten mehr leisten. Schlimmer noch, sie laufen Gefahr, wegen Insolvenz für illegal erklärt zu werden. Diese bizarre Situation sollte man im Hinterkopf behalten.

 
  
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  Louis Michel, Mitglied der Kommission. (FR) Herr Präsident! Ich möchte mit einer kleinen persönlichen Richtigstellung beginnen. Ich habe den Beitrag von Herrn Dillen, dem Vertreter einer belgischen rechtsextremen Partei, gehört, der sich einen vollkommen ungehörigen Vergleich zwischen der Situation in Belgien und der in Russland erlaubt hat. Ich kann sie nur klar anprangern. Ich erkenne darin die klassischen Methoden, auf die er und seine Partei üblicherweise zurückgreifen und die nur eine Form von Beleidigung sind. Lassen Sie mich ganz deutlich sagen, dass diese Methoden denjenigen, die sie anwenden, nicht zur Ehre gereichen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Kommission verfolgt die Entwicklungen um die Demonstrationen vom 3. März in Moskau und Sankt Petersburg sehr genau: wir tun dies nicht nur über unsere Delegation in Moskau, sondern auch über direkte Kontakte mit den Mitgliedstaaten. Wir haben auch regelmäßig Verbindung zu den russischen und internationalen NRO, die im Bereich der Menschenrechte tätig sind. Die Kommission teilt Ihre Besorgnis in Bezug auf die offensichtliche Verschlechterung der Menschenrechtssituation in Russland und den Anstieg der gemeldeten Zahl von Fällen von Menschenrechtsverletzungen, insbesondere was die Versammlungsfreiheit und die Meinungsfreiheit betrifft. Wir waren sehr enttäuscht darüber, dass das Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte der OSZE feststellen musste, dass es nicht möglich war, eine Mission zur Beobachtung der Wahlen zu entsenden. Die Europäische Union betont regelmäßig in ihren bilateralen Kontakten auch auf höchster Ebene mit Russland die Bedeutung der Einhaltung der Menschenrechte.

In einem Monat findet eine von zwei jährlichen Konsultationen zu den Menschenrechten mit Russland statt. Diese Konsultationen eröffnen uns die Möglichkeit, die allgemeinen Tendenzen im Bereich der Menschenrechte tief greifender zu untersuchen und den Standpunkt Russlands zu Einzelfällen zu hören. In der bevorstehenden Konsultation werden wir unsere Besorgnisse im Besonderen in Bezug auf die Meinungsfreiheit und die Versammlungsfreiheit, die mit der Zunahme des Rassismus und der Fremdenfeindlichkeit verbundenen Probleme, die Zusammenarbeit mit Russland in internationalen Organisationen wie der OSZE und dem Europarat mitteilen. Die Konsultationen bieten uns außerdem die Möglichkeit Fälle von Einzelpersonen anzusprechen. Vor und nach dieser Beratung werden wir eine Gruppe von Vertretern russischer und internationaler NRO treffen, die im Bereich der Menschenrechte tätig sind. Solche Zusammenkünfte bieten der Europäischen Union Gelegenheit, sich näher den Anliegen der Verfechter der Menschenrechte vertraut zu machen und einen direkten Meinungsaustausch zu führen.

Perspektivisch gesehen müssten wir bald in der Lage sein, Verhandlungen zu einem neuen Abkommen zwischen der Europäischen Union und der Russischen Föderation zu beginnen. Es wird sich um ein umfassendes Abkommen handeln, das die wachsende Zahl von politischen Bereichen einschließt, in denen wir zusammenarbeiten. Wie es in der Erklärung der Europäischen Union nach den russischen Präsidentschaftswahlen heißt, haben wir ein gemeinsames Interesse daran, die Beziehungen voranzubringen, und wir hoffen, dass diese Partnerschaft während der Präsidentschaft von Dmitri Medwedjew konstruktiv verstärkt und entwickelt wird. Während der Verhandlungen zum neuen Abkommen werden wir darauf achten, dass sich die Werte, denen sich beide Seiten verschrieben haben, darin widerspiegeln: Eine aufblühende Zivilgesellschaft und unabhängige Medien sind natürliche und unabdingbare Verbündete von Wachstum und Stabilität in Russland. Diese Erfahrung haben wir selbst in der Europäischen Union gemacht, und das ist eine Botschaft, die wir – als Nachbarn und Partner – an unsere russischen Freunde tagtäglich sowie in den Diskussionen zur Gestaltung unserer künftigen Beziehungen unermüdlich weitergeben werden. Ich bin sicher, dass uns das Europäische Parlament bei diesen Bemühungen großzügig unterstützen wird.

 
  
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  Der Präsident. – Die Aussprache ist geschlossen

Die Abstimmung findet im Anschluss an die Aussprache statt.

Schriftliche Erklärungen (Artikel 142)

 
  
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  Filip Kaczmarek (PPE-DE), schriftlich. (PL) Herr Präsident! Mich überraschen immer wieder Menschen, die hohe Ansprüche an die amerikanische Demokratie stellen, aber oftmals geringe Erwartungen gegenüber Russland haben. Für Russland und die Russen ist das beschämend. Von den Großen und Mächtigen sollte man mehr erwarten – nicht weniger. Jene, die die in Guantanamo und im Kampf gegen den Terrorismus angewendeten Methoden verurteilen, die nach den Spuren der CIA und CIA-Verschwörungen in Europa suchen, sollten Russland vielleicht genauer unter die Lupe nehmen. Aber sie und Politiker, die ihre Denkweise teilen, wollen nichts von Menschen- und Bürgerrechten in Russland wissen. Im Gegenteil: Sie finden die verschiedensten Gründe und Entschuldigungen, um sich nicht mit den Problemen der russischen Demokratie auseinandersetzen zu müssen.

Mit Russlands angeblichen Leistungen, wie beispielsweise der Tatsache, dass Präsident Putin die russische Verfassung nicht verletzt hat und aus eigenem Antrieb von seinem Amt zurückgetreten ist, können wir uns nicht zufriedengeben. Das ist kein Verdienst, sondern Mindeststandard. Das erinnert mich an einen Witz über Stalins Güte: Ein Kind verlässt das Büro Stalins. Es blutet zwar, aber es lächelt: „Warum lächelst du?“, fragt jemand. „Ich lächele, weil Stalin so gut zu mir war.“ „Was meinst du mit gut?“, entgegnet der Fragesteller. „Er hat dich geschlagen, nicht?“ „Ja“, sagt das Kind, „aber er hätte mich auch umbringen können.“

 
  
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  Katrin Saks (PSE), schriftlich.(ET) Herr Präsident! Bedauerlicherweise muss ich Ihnen mitteilen, dass ich den Standpunkt meiner Fraktion zur Stimmenthaltung bei der Abstimmung über den Entschließungsantrag zu Russland nicht teile.

In der Tat brauchen wir eine Entschließung, wenn der Präsidentschaftsanwärter Dmitri Medwedjew im Amt ist. Es bleibt abzuwarten, welches seine ersten Schritte sein werden und welche Rolle sich Wladimir Putin unter dem neuen Präsidenten gibt.

Außerdem ist es mir angesichts der aktuellen Lage, in der demokratisch gesinnte Kandidaten nicht an den Wahlen teilnehmen bzw. ihre Meinung zur Situation im Land nach den Wahlen nicht äußern durften, ein großes Anliegen, meine eigene Sicht darzustellen. Ansonsten geht es uns so wie dem Europarat, der die Veröffentlichung seines Berichts über Russland bis auf weiteres auf einen dafür besser geeigneten Zeitpunkt verschoben hat.

Ich werde also meine Stimme abgeben, und zwar für die Entschließung, auch wenn der Wortlaut vielleicht nicht ganz meinem Geschmack entspricht. Nach meinem Dafürhalten ist es unsere Pflicht, als demokratische Institution eine mutige, unseren Prinzipien verpflichtete Stellung zu beziehen und unsere Meinung zu einem so wichtigen Thema wie das der freien Wahlen zu äußern.

 
  

(1)Siehe Protokoll.

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