Entschließungsantrag - B7-0275/2009Entschließungsantrag
B7-0275/2009

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG zu religiösen Symbolen und Subsidiarität

15.12.2009

eingereicht im Anschluss an die Anfragen zur mündlichen Beantwortung B7‑0238/2009 und B7‑0152/2009
gemäß Artikel 115 Absatz 5 der Geschäftsordnung

von Judith Sargentini, Raül Romeva i Rueda und Hélène Flautre im Namen der Verts/ALE-Fraktion

Siehe auch den gemeinsamen Entschließungsantrag RC-B7-0275/2009

Werdegang im Plenum
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B7-0275/2009
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B7‑0275/2009

Entschließung des Europäischen Parlaments zu religiösen Symbolen und Subsidiarität

Das Europäische Parlament,

–   unter Hinweis auf die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit, das Recht auf Bildung und das Verbot von Diskriminierung, wie sie durch die internationalen europäischen Rechtsakte für Menschenrechte und Grundfreiheiten geschützt sind, insbesondere durch Artikel 9 und 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), Artikel 2 des zugehörigen Protokolls Nr. 1 und Artikel 10, 14 und 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union,

–   unter Hinweis u. a. auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in der Rechtssache Lautsi gegen Italien,

–   unter Hinweis auf den Vertrag von Lissabon und den künftigen Beitritt der EU zur EMRK,

–   gestützt auf Artikel 115 Absatz 5 und Artikel 110 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,

A. in der Erwägung, dass das Urteil Lautsi gegen Italien vom Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte auf der Grundlage der EMRK, bei der alle EU-Mitgliedstaaten, einschließlich Italien, Unterzeichnerparteien sind, gefällt wurde,

B.  in der Erwägung, dass gemäß den Kopenhagen-Kriterien Unterzeichnerstaat der EMRV zu sein, Voraussetzung für die Mitgliedschaft in der Europäischen Union ist, und in der Erwägung, dass die EU ihren internationalen Menschenrechtsdialog u.a. auf die EMRV und die Grundrechte-Charta stützt,

C. in der Erwägung, dass die Grundrechte-Charta der Europäischen Union auf der Grundlage der EMRV und ihrer Rechtsprechung konzipiert wurde, und in der Erwägung, dass sie gemäß Artikel 6 Absatz 1 EUV für alle EU-Mitgliedstaaten verbindlich ist, der Folgendes besagt: ‘Die Union erkennt die Rechte, Freiheiten und Grundsätze an, die in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 7. Dezember 2000 in der am 12. Dezember 2007 in Straßburg angenommenen Fassung niedergelegt sind; die Charta der Grundrechte und die Verträge sind rechtlich gleichrangig.’

D. in der Erwägung, dass die Europäische Menschenrechtskonvention völlig im Einklang mit dem Subsidiaritätsprinzip steht, da der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte nur tätig wird, wenn alle internen Rechtsbehelfe ausgeschöpft sind, und nur dann, wenn ein Unterzeichnerstaat der Konvention die in der Konvention und ihren Protokollen verkündeten Menschenrechte und Grundfreiheiten nicht achtet,

E.  in der Erwägung, dass die EMRK Einspruchsmöglichkeiten vorsieht, und in der Erwägung, dass Italien diese Möglichkeit genutzt hat, indem es sich an die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gewandt und um eine Überprüfung des Urteils ersucht hat,

F.  in der Erwägung, dass der Vertrag über die Europäische Union in Artikel 6 Absatz 3 Folgendes festlegt: „Die Grundrechte, wie sie in der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergeben, sind als allgemeine Grundsätze Teil des Unionsrechts“,

G. in der Erwägung, dass die EU auf der Grundlage von Artikel 6 Absatz 2 EUV die Bedeutung der EMRK und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte anerkennt (‚die Union tritt der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten bei’) und dadurch gewährleistet, dass die EU dort, wo sie zuständig ist, nicht gegen die EMRK verstößt,

1.  weist darauf hin, dass auf der Grundlage des Subsidiaritätsprinzips die Mitgliedstaaten auf nationaler Ebene die Menschenrechte und die Grundfreiheiten, wie sie in der EMRK, in ihrer einschlägigen Rechtsprechung und in der Charta der Grundrechte verankert sind, achten, anwenden und umsetzen;

2.  ist der Auffassung, dass die Mitgliedstaaten Angelegenheiten im Zusammenhang mit Menschenrechtskonflikten auf nationaler Ebene regeln können, indem sie die geeignetsten Lösungen finden, um individuellen Rechten ohne Diskriminierung Rechnung zu tragen, wodurch sie die Einschaltung von Gerichten auf nationaler und internationaler Ebene gering halten;

3.  ist der Auffassung, dass allein Staaten, die sich auf den Grundsatz der Trennung von Staat und Kirche – im Gegensatz zu theokratischen Staaten – stützen, die geeigneten Lösungen finden können, um das Recht jedes Einzelnen auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit, das Recht auf Bildung sowie das Verbot von Diskriminierung, die alle Grundwerte der Europäischen Union darstellen, zu gewährleisten;

4.  fordert die Mitgliedstaaten auf, das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit zu achten und die konfessionelle Bedeutung und den Charakter religiöser Symbole uneingeschränkt anzuerkennen;

5.  ist der Auffassung, dass öffentliche Einrichtungen auf nationaler und auf EU-Ebene alle Bürger unabhängig von Glauben, Religion oder Weltanschauung unterschiedslos vertreten sollten und Maßnahmen ergreifen sollten, um die Rechte jedes Einzelnen zu schützen;

6.  ist der Auffassung, dass es nicht zwingend vorgeschrieben sein sollte, religiöse Symbole in von den öffentlichen Behörden genutzten Gebäuden anzubringen, und dass ihre Verwendung, das Tragen oder Anbringen in privaten Orten wie Häusern, Gebetsstätten und Konfessionsschulen sowie in öffentlichen Bereichen uneingeschränkt gewährleistet sein sollten;

7.  verweist darauf, dass es für die EU-Mitgliedstaaten eine interne, internationale und europäische gesetzliche Pflicht ist, die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte lückenlos umzusetzen, sowohl auf der Grundlage der Verpflichtungen, die sie durch die Unterzeichnung und Ratifizierung der EMRK eingegangen sind, als auch durch ihre Mitgliedschaft in der Europäischen Union, wie dies in Artikel 6 VEU festgelegt ist;

8.  beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung den Mitgliedstaaten zu übermitteln.