Entschließungsantrag - B7-0237/2012Entschließungsantrag
B7-0237/2012

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG zur Lage in der Ukraine und dem Fall Julija Tymoschenko

21.5.2012 - (2012/2658(RSP))

eingereicht im Anschluss an eine Erklärung der Vizepräsidentin der Kommission/Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik
gemäß Artikel 110 Absatz 2 der Geschäftsordnung

Johannes Cornelis van Baalen, Marielle de Sarnez, Nathalie Griesbeck, Gerben-Jan Gerbrandy, Robert Rochefort, Kristiina Ojuland, Marietje Schaake im Namen der ALDE-Fraktion

Siehe auch den gemeinsamen Entschließungsantrag RC-B7-0235/2012

Verfahren : 2012/2658(RSP)
Werdegang im Plenum
Entwicklungsstadium in Bezug auf das Dokument :  
B7-0237/2012
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B7-0237/2012
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B7‑0237/2012

Entschließung des Europäischen Parlaments zur Lage in der Ukraine und dem Fall Julija Tymoschenko

(2012/2658(RSP))

Das Europäische Parlament,

–   unter Hinweis auf seine vorangegangenen Entschließungen zur Ukraine und insbesondere auf seine Entschließungen vom 9. Juni 2011[1], 27. Oktober 2011[2] und 1. Dezember 2011[3],

–   unter Hinweis auf das Partnerschafts- und Kooperationsabkommen (PKA) zwischen der Europäischen Union (EU) und der Ukraine, das am 1. März 1998[4] in Kraft getreten ist und durch das Assoziierungsabkommen ersetzt werden soll,

–   unter Hinweis darauf, dass die Unterhändler der Europäischen Union und der Ukraine am 30. März 2012 das Assoziierungsabkommen, das auch ein tiefgreifendes und umfassendes Freihandelsabkommen einschließt, paraphiert haben,

–   unter Hinweis auf die Entschließung der Parlamentarischen Versammlung Euronest vom 4. April 2012 zur Situation von Julija Tymoschenko,

–   unter Hinweis auf die Erklärung des Sprechers von Catherine Ashton, Hohe Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik und Vizepräsidentin der Kommission, vom 26. April 2012 zur Situation von Julija Tymoschenko,

–   unter Hinweis auf die Erklärung von Androulla Vassiliou, für Sport zuständiges Mitglied der Kommission, vom 4. Mai 2012,

–   unter Hinweis auf die Ergebnisse der Tagung des Kooperationsrates EU-Ukraine vom 15. Mai 2012,

–   unter Hinweis auf den ENP-Fortschrittsbericht zur Ukraine, der am 15. Mai 2012 veröffentlicht wurde (SWD(2012) 124 endgültig),

–   gestützt auf Artikel 110 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,

A. in der Erwägung, dass sich die EU für eine stabile und demokratische Ukraine ausspricht, die die Grundsätze der freien Marktwirtschaft, die Rechtsstaatlichkeit und die Menschenrechte achtet;

B.  in der Erwägung, dass in der Ukraine bislang weder eine umfassende Justizreform noch Maßnahmen zur Durchsetzung der Achtung der Rechtsstaatlichkeit in strafrechtlichen Ermittlungen und bei der Strafverfolgung umgesetzt wurden, wozu auch der Grundsatz fairer, unparteiischer und unabhängiger Gerichtsverfahren zählt;

C. in der Erwägung, dass Korruption und Amtsmissbrauch in der Ukraine nach wie vor weit verbreitet sind und eine unmissverständliche Reaktion der Staatsorgane erfordern, indem die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden; in der Erwägung, dass die Strafverfolgung und Ermittlungen unparteiisch und unabhängig sein müssen und nicht zu politischen Zwecken missbraucht werden dürfen;

D. in der Erwägung, dass die Verurteilung der ehemaligen Ministerpräsidentin der Ukraine, Julija Tymoschenko, am 11. Oktober 2011 zu sieben Jahren Haft und die Prozesse gegen andere Minister Anlass zu ernster Besorgnis in der EU gegeben haben und weithin entweder als Racheakte oder als Teil des Bestrebens gewertet werden, Mitglieder der Opposition zu verurteilen und zu verhaften, damit sie nicht für die Parlamentswahl am 28. Oktober 2012 oder bei der Präsidentschaftswahl 2015 kandidieren und sich nicht an den entsprechenden Wahlkämpfen beteiligen können;

E.  in der Erwägung, dass das selektiv gegen Julija Tymoschenko angewendete Gesetz noch aus der Zeit der Sowjetunion stammt und die strafrechtliche Verfolgung politischer Entscheidungen vorsieht; in der Erwägung, dass die Artikel 364 und 365 dieses Gesetzes nicht mit den Normen der EU und der VN vereinbar sind;

F.  in der Erwägung, dass die neue Strafprozessordnung von der Werchowna Rada angenommen und von Präsident Janukowytsch unterzeichnet wurde und voraussichtlich im November 2012 in Kraft tritt;

G. in der Erwägung, dass in einem vorläufigen Bericht des dänischen Helsinki-Ausschusses für Menschenrechte über die Ermittlungen gegen Julija Tymoschenko im November 2011 erhebliche Verstöße gegen die Europäische Menschenrechtskonvention aufgeführt sind;

H. in der Erwägung, dass die EU nach wie vor betont, dass die Rechtsstaatlichkeit geachtet werden muss, was auch faire, unparteiische und unabhängige Gerichtsverfahren einschließt, und dass der Eindruck vermieden werden muss, dass Maßnahmen der Justiz selektiv eingesetzt werden; in der Erwägung, dass die EU diese Grundsätze in einem Land, das engere vertragliche Beziehungen auf der Grundlage einer politischen Assoziierung anstrebt, als besonders wichtig erachtet;

I.   in der Erwägung, dass die Fünfte Sektion des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte am 15. März 2012 beschlossen hat, der ukrainischen Regierung mitzuteilen, dass sie gemäß Artikel 39 Absatz 1 der Verfahrensordnung gewährleisten muss, dass die ehemalige ukrainische Ministerpräsidentin Julija Tymoschenko eine angemessene medizinische Behandlung in einer entsprechend geeigneten Einrichtung erhält;

J.   in der Erwägung, dass das Büro des Bürgerbeauftragten der Ukraine bestätigt hat, dass Julija Tymoschenko während der Verlegung aus ihrer Zelle in ein Krankenhaus am 20. April 2012 körperliche Gewalt angetan wurde; in der Erwägung, dass die Ukraine internationalen Verpflichtungen unterliegt, jede Beschwerde betreffend Folter oder andere Formen einer grausamen, unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unverzüglich und unparteiisch zu prüfen;

K. in der Erwägung, dass Julija Tymoschenko am 20. April 2012 einen Hungerstreik begonnen hatte, um die Aufmerksamkeit der internationalen Gemeinschaft auf die Lage in der Ukraine zu lenken;

L.  in der Erwägung, dass Julija Tymoschenko am 9. Mai 2012 aus dem Gefängnis in ein Krankenhaus verlegt wurde, um dort medizinisch behandelt zu werden, und daraufhin den Hungerstreik beendet hat;

1.  erachtet es als besonders wichtig, in Ermittlungen, bei der Strafverfolgung und in Gerichtsverfahren für größtmögliche Transparenz zu sorgen, und warnt vor jeglichem Missbrauch des Strafrechts als Instrument zur Erreichung politischer Ziele;

2.  fordert die Staatsorgane der Ukraine auf, ein faires, transparentes, und unparteiisches Rechtsmittelverfahren für Julija Tymoschenko und andere Mitglieder ihrer Regierung, die Wirtschaftsstraftaten bezichtigt werden, zu gewährleisten;

3.  missbilligt das Urteil gegen die ehemalige Ministerpräsidentin Julija Tymoschenko; betont, dass die Stärkung der Rechtsstaatlichkeit und eine unabhängige Justiz sowie der Beginn einer glaubwürdigen Bekämpfung der Korruption nicht nur für die Vertiefung der Beziehungen zwischen der EU und der Ukraine, sondern auch für die Festigung der Demokratie in der Ukraine ausschlaggebend sind;

4.  fordert, dass die Staatsorgane der Ukraine die Grundrechte von Julija Tymoschenko, Jurij Luzenko und Walerij Iwaschtschenko auf Gesundheit und Wohlergehen wahren und sie die medizinische Versorgung, die sie benötigen, gemäß internationalen Normen erhalten;

5.  verurteilt den zahlreichen Berichten zufolge gewaltsamen Umgang mit Julija Tymoschenko im Gefängnis und erwartet von den Staatsorganen der Ukraine, dass sie eine unabhängige Untersuchung der Angelegenheit gestatten;

6.  fordert die Staatsorgane der Ukraine auf, ein unabhängiges und unparteiisches internationales Gremium für Rechtsfragen einzusetzen, das über die mutmaßlichen Verletzungen der Grundrechte und -freiheiten in den Fällen von Julija Tymoschenko und anderer Mitglieder ihrer Regierung berichtet; nimmt das Ergebnis des Treffens des Präsidenten des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, mit dem Ministerpräsidenten der Ukraine, Mykola Asarow, mit Wohlwollen zur Kenntnis und erwartet von den Staatsorganen der Ukraine eine Reaktion auf den angenommenen Vorschlag, indem sie Leitlinien für seine unverzügliche Umsetzung erlassen, damit in Zusammenarbeit mit dem Ärzteteam der Charité und zu dessen Unterstützung eine ordnungsgemäße medizinische Behandlung von Julija Tymoschenko gewährleistet sowie die justizielle Kontrolle durch eine maßgebliche und kompetente Persönlichkeit der EU in den Rechtsmittelverfahren und künftigen Gerichtsverfahren gegen die ehemalige Ministerpräsidentin der Ukraine sichergestellt wird;

7.  vertritt die Auffassung, dass die fehlenden Fortschritte seitens der Staatsorgane der Ukraine im Hinblick auf Belege für ein deutliches Bekenntnis zu einer grundlegenden Revision der tendenziösen Vorgehensweise rund um die Rechtssachen gegen Julija Tymoschenko und andere Mitglieder ihrer Regierung die Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens weiter verzögern dürften;

8.  nimmt zur Kenntnis, dass die Anhörung im Rechtsmittelverfahren zum Fall Julija Tymoschenko auf den 26. Juni 2012 vertagt wurde, hält diese Verzögerung für bedauerlich und warnt vor einer Verschleppung des ordentlichen Gerichtsverfahrens;

9.  fordert die Hohe Vertreterin und Vizepräsidentin der Kommission auf, einen gemeinsamen Standpunkt zu einem etwaigen politischen Boykott der Fußball-Europameisterschaft 2012 in der Ukraine anzustreben;

10. missbilligt, dass der Ausschuss für Informationsfreiheit der Werchowna Rada vor kurzem den Entwurf eines Gesetzes angenommen hat, mit dem die „Förderung“ der Homosexualität kriminalisiert wird; fordert die Werchowna Rada auf, diesen Vorschlag zurückzuweisen und für die Achtung, den Schutz und die Förderung der Menschenrechte in der Ukraine ohne Unterscheidung nach der sexuellen Ausrichtung zu sorgen, wie es die Europäische Menschenrechtskonvention vorsieht;

11. erklärt sich bestürzt über den Zustand der demokratischen Freiheiten und die Praxis der Instrumentalisierung der staatlichen Institutionen für parteipolitische Zwecke und politische Racheakte; weist die Staatsorgane der Ukraine erneut auf ihre Pflicht hin, ein freies und faires Wahlverfahren in der Ukraine zu gewährleisten; erachtet die Parlamentswahl am 28. Oktober 2012 in der Ukraine als entscheidend für die künftigen Aussichten auf eine engere Assoziierung der EU und der Ukraine;

12. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, dem EAD, den Mitgliedstaaten, dem Staatspräsidenten, der Regierung und dem Parlament der Ukraine sowie den Parlamentarischen Versammlungen des Europarats und der OSZE zu übermitteln.