Gemeinsamer Entschließungsantrag - RC-B6-0241/2006/REV1Gemeinsamer Entschließungsantrag
RC-B6-0241/2006/REV1

GEMEINSAMER ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

5.4.2006

eingereicht gemäß Artikel 103 Absatz 4 der Geschäftsordnung von
anstelle der Entschließungsanträge folgender Fraktionen:zur Situation der Flüchtlinge in Malta

Werdegang im Plenum
Entwicklungsstadium in Bezug auf das Dokument :  
RC-B6-0241/2006
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RC-B6-0241/2006
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Entschließung des Europäischen Parlaments zur Situation der Flüchtlinge in Malta

Das Europäische Parlament,

– unter Hinweis auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, insbesondere auf den Artikel 14,

– unter Hinweis auf die Genfer Konvention von 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, insbesondere auf Artikel 31,

– unter Hinweis auf die Europäische Menschenrechtskonvention, insbesondere auf Artikel 5,

– unter Hinweis auf die Charta der Grundrechteder Europäischen Union[1], insbesondere auf die Artikel 1 und 18,

– unter Hinweis auf die Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten und die Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes,

– unter Hinweis auf die Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003, die so genannte Dublin-II-Verordnung, zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist,

– gestützt auf Artikel 6 des EU-Vertrags und Artikel 63 des EG-Vertrags,

– gestützt auf Artikel 103 Absatz 4 seiner Geschäftsordnung,

A. in der Erwägung, dass Besuche von Delegationen des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres in Gewahrsamseinrichtungen, zuletzt in Malta, gezeigt haben, dass Asylbewerber unter Bedingungen festgehalten werden, die weit unter international anerkannten Normen liegen, und dass auch ihre körperliche Verfassung sowie unzureichender oder nicht vorhandener Zugang zu grundlegenden Leistungen wie medizinische Versorgung, Sozialhilfe und rechtlicher Beistand besonderen Anlass zur Sorge geben,

B. in der Erwägung, dass eine Delegation des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres am 24. März 2006 nach Malta gereist ist, um die Einrichtungen für Verwaltungsgewahrsam zu besichtigen, und zwar Hal Safi, Hal Far und Lyster Barracks, und mit maltesischen Behörden und nichtstaatlichen Organisationen zusammenzutreffen, um über Einwanderungsprobleme zu beraten,

C. in Erwägung der von den Mitgliedern der Delegation vor Ort getroffenen Feststellungen,

D. in der Erwägung, dass die an den südlichen Grenzen der Europäischen Union gelegene Insel Malta als kleine Insel mit einer Größe von 316 km2 und 400 000 Einwohnern bei einer Bevölkerungsdichte von 1 200 Einwohnern pro km2 ganz offensichtlich nur über sehr begrenzte Kapazitäten für die Aufnahme und Unterbringung von Migranten und Asylbewerbern verfügt, die regelmäßig in großer Zahl an Maltas Küsten landen,

E. in der Erwägung, dass die im Jahresdurchschnitt in Malta ankommenden Personen 45 % der maltesischen Geburtenrate entsprechen und dass in Malta eine ankommende Person im Verhältnis zur Bevölkerung 140 ankommenden Personen in Italien, 150 in Frankreich und 205 in Deutschland entspricht, dass im Übrigen 2005 1 800 Personen in Malta angekommen sind, was mit 252 000 ankommenden Personen in Italien, 270 000 in Frankreich und 369 000 in Deutschland vergleichbar wäre,

F. unter Hinweis darauf, dass Malta 1 % seines Staatshaushalts zur Bewältigung der aktuellen Situation aufwendet, die sich in den kommenden Monaten und Jahren nur noch verschlimmern kann, und dass es einen erheblichen Teil seiner Armee und seiner Polizeikräfte, d.h. über 10 % seines Personals, zur Bewältigung der humanitären Notsituation und zur Verwaltung der Gewahrsams- und Aufnahmeeinrichtungen einsetzt,

G. unter Hinweis darauf, dass Malta nicht das Endbestimmungsland der auf der Insel ankommenden Personen ist, die erklären, dass sie in andere Länder der Europäischen Union einreisen wollen,

H. in der Erwägung, dass der maltesische Staat nicht über genügend Personal verfügt, um die Asylanträge innerhalb einer vertretbaren Frist zu bearbeiten,

I. unter Hinweis darauf, dass ein Teil der in Malta ankommenden Personen aus Ländern kommt, in denen Krieg herrscht, vor allem aus Ländern am Horn von Afrika und aus Darfour, und dass es schwierig ist, sie in ihre Herkunftsländer zurückzuschicken,

J. in der Erwägung, dass die Unterbringung in „offenen Einrichtungen“ dem Aufenthalt in echten Haftanstalten immer noch vorzuziehen ist, wie es die Erfahrung in den Städten Ceuta und Melilla gezeigt hat,

K. in der Erwägung, dass das maltesische Verwaltungsrecht die Höchstdauer des Gewahrsams auf achtzehn Monate bei Migranten und auf zwölf Monate bei Asylbewerbern, die auf die Entscheidung über ihren Antrag warten, beschränkt,

L. in der Erwägung, dass die maltesische Bevölkerung von der Europäischen Union ein Zeichen der Solidarität und der Unterstützung erwartet, das bisher jedoch noch ausgeblieben ist,

M. in der Erwägung, dass die Europäische Union dringend mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln einschreiten müsste, um Malta bei seinen Bemühungen um die Bewältigung des Migrantenzustroms zu bewältigen, wie es auch vom maltesischen Staat gewünscht wird,

N. unter Hinweis darauf, dass die Union alle möglichen Anstrengungen unternehmen sollte, um Malta und den anderen EU-Grenzstaaten, die ähnliche Schwierigkeiten haben, zu helfen,

O. in der Erwägung, dass der Beitritt zur Europäischen Union für Malta und andere kleine Länder Probleme mit sich gebracht hat, was die Anwendung der Verordnung 343/2003 vom 18. Februar 2003, der so genannten Dublin-II-Verordnung, angeht,

1. ist davon überzeugt, dass Malta und die anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen in Bezug auf Asylbewerber einhalten müssen;

2. erkennt die Schwierigkeiten an, vor denen Malta in den letzten Jahren bei der Bewältigung des Migrationsdrucks steht;

3. bringt seine Solidarität mit der Bevölkerung Maltas, den in Gewahrsam gehaltenen Asylbewerbern und Immigranten, dem maltesischen Staat und den Ordnungskräften zum Ausdruck, die angesichts der Größe Maltas und seiner Bevölkerungszahl und angesichts der Tatsache, dass Malta nicht das endgültige Bestimmungsland der Migranten und Asylsuchenden ist, vor einem erheblichen Problem stehen;

4. begrüßt es, dass der maltesische Staat um Transparenz bemüht ist und der Delegation des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres und der Presse freien Zugang zu den Einrichtungen gewährt hat;

5. bedauert jedoch die unhaltbaren Lebensbedingungen für Migranten und Asylbewerber in den Einrichtungen für Verwaltungsgewahrsam in Malta;

6. fordert den maltesischen Staat auf, den Zeitraum, während dessen die Migranten in Gewahrsam gehalten werden, erheblich zu verkürzen;

7. verlangt einen uneingeschränkten Zugang für das Hochkommissariat für Flüchtlinge und für nichtstaatliche Organisationen zu den geschlossenen Gewahrsamseinrichtungen; appelliert an die zuständigen nichtstaatlichen Organisationen, in diesen Einrichtungen für ständige Präsenz zu sorgen, um Zugang zu gesundheitlicher Versorgung und Rechtsbeistand zu gewährleisten;

8. besteht darauf, dass die Mitgliedstaaten den Zugang zum Asylverfahren sowie die Bestimmungen der Richtlinie über Mindestnormen für Verfahren zur Zuerkennung oder Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft in kohärenter und konsequenter Weise umsetzen und dafür sorgen, dass Asylanträge umgehend und effizient bearbeitet werden;

9. fordert den maltesischen Staat auf, die Richtlinie 2003/9/EG über die Aufnahme von Asylbewerbern genauer anzuwenden, besonders was die Lebensbedingungen in den Gewahrsamseinrichtungen betrifft;

10. setzt sich für eine stärkere Rolle der Europäischen Union bei der Bewältigung humanitärer Notsituationen ein, die durch Migrationsströme und Asylbewerber verursacht werden;

11. fordert den Rat auf, möglichst bald eine außerordentliche Tagung der Minister für Justiz und Inneres in Malta einzuberufen, um der Notwendigkeit Rechnung zu tragen, dringliche Sofortmaßnahmen zu treffen, um der erwarteten Zunahme der Zahl von unrechtmäßigen Einwanderern in Malta während der Sommermonate zu begegnen und zugleich eine vertretbare Lösung für die gegenwärtigen Schwierigkeiten anzustreben;

12. vertritt die Auffassung, dass die Mitgliedstaaten der Union mehr Solidarität mit den Mitgliedstaaten zeigen sollten, die besonders stark dem Zustrom von Migranten in die EU ausgesetzt sind, und fordert die Mitgliedstaaten auf, aus Malta und anderen kleinen Ländern kommende Asylbewerber auf ihrem Hoheitsgebiet aufzunehmen, indem sie insbesondere die im Programm ARGO und im Europäischen Flüchtlingsfonds sowie im Europäischen Fonds für die Zusammenarbeit an den Außengrenzen, im Europäischen Integrationsfonds und im Rückführungsfonds für den Zeitraum 2007–2013 vorgesehenen technischen und finanziellen Mittel verwenden;

13. fordert den Rat und die Mitgliedstaaten auf, praktische Unterstützung für Malta zu leisten,

  • -indem sie Expertengruppen, darunter auch unabhängige Experten, entsenden, um Unterstützung bei der Gewährung des Asylbewerberstatus zu leisten, und
  • -indem sie Expertengruppen, darunter auch unabhängige Experten, entsenden, um Beratung bezüglich der Einhaltung der Richtlinie 2003/9/EG über die Aufnahme von Asylbewerbern zu gewähren;

14. fordert die Kommission auf, umgehend die Schaffung eines Soforthilfefonds vorzuschlagen, um humanitäre Krisen in den Mitgliedstaaten zu bewältigen, und im Rahmen der neuen Fonds für den Zeitraum 2007–2013 einen Soforthilfemechanismus vorzusehen, damit in Notsituationen Finanzhilfe geleistet werden kann;

15. fordert die Kommission eindringlich auf, umgehend einen Vorstoß zur Änderung der Verordnung 343/2003, der so genannten Dublin-II-Verordnung, zu unternehmen, durch die deren eigentlicher Grundsatz, wonach das erste Einreiseland der für die Bearbeitung eines Asylantrags zuständige Mitgliedstaat ist, was für die Länder im Süden und Osten der EU eine untragbare Belastung darstellt, in Frage gestellt wird und ein Mechanismus für eine gerechte Verteilung der Verantwortlichkeiten auf die Mitgliedstaaten festgelegt wird;

16. erinnert daran, dass die Einwanderungs- und Asylpolitik der Gemeinschaft auf der Öffnung der legalen Einwanderungswege und auf der Definition gemeinsamer Normen für den Schutz der Grundrechte von Einwanderern und Asylbewerbern in der gesamten Europäischen Union beruhen muss, wie es 1999 vom Europäischen Rat von Tampere festgelegt und durch das Programm von Den Haag bestätigt wurde;

17. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten sowie dem Hochkommissariat für Flüchtlinge der Vereinten Nationen zu übermitteln.