BERICHT über die Multifunktionalität der Landwirtschaft und die Reform der GAP
(2003/2048(INI))

22. Mai 2003

Ausschuss für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung
Berichterstatterin: María Rodríguez Ramos

Verfahren : 2003/2048(INI)
Werdegang im Plenum
Entwicklungsstadium in Bezug auf das Dokument :  
A5-0189/2003
Eingereichte Texte :
A5-0189/2003
Aussprachen :
Abstimmungen :
Angenommene Texte :

GESCHÄFTSORDNUNGSSEITE

In der Sitzung vom 15. Mai 2003 gab der Präsident des Europäischen Parlaments bekannt, dass der Ausschuss für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung die Genehmigung zur Ausarbeitung eines Initiativberichts über die Multifunktionalität der Landwirtschaft und die Reform der GAP gemäß Artikel 163 der Geschäftsordnung erhalten hat.

Der Ausschuss für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung hatte in seiner Sitzung vom 27. November 2002 María Rodríguez Ramos als Berichterstatterin benannt.

Der Ausschuss beschloss in seiner Sitzung vom 10. März 2003, den nachstehenden Entschließungsantrag in seinen Bericht einzubeziehen:

–   B5-0019/2003 von Jorge Salvador Hernández Mollar zum Schutz der andalusischen Landgüter, der am 10. März 2003 an den Ausschuss für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung als federführenden Ausschuss sowie an den Ausschuss für Regionalpolitik, Verkehr und Fremdenverkehr und den Ausschuss für Kultur, Jugend, Bildung, Medien und Sport als mitberatende Ausschüsse überwiesen wurde;

Der Ausschuss prüfte den Berichtsentwurf in seinen Sitzungen vom 25. März, 29. April und 20. Mai 2003.

In der letztgenannten Sitzung nahm der Ausschuss den Entschließungsantrag mit 33 Stimmen bei 3 Enthaltungen an.

Bei der Abstimmung waren anwesend: Joseph Daul, Vorsitzender; Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf und Albert Jan Maat, stellvertretende Vorsitzende; María Rodríguez Ramos, stellvertretende Vorsitzende und Berichterstatterin; Gordon J. Adam, Danielle Auroi, Alexandros Baltas (in Vertretung von María Izquierdo Rojo), Carlos Bautista Ojeda, Niels Busk, Giorgio Celli, Arlindo Cunha, Michl Ebner, Christel Fiebiger, Francesco Fiori, Christos Folias, Jean-Claude Fruteau, Georges Garot, Lutz Goepel, María Esther Herranz García (in Vertretung von Encarnación Redondo Jiménez), Liam Hyland, Elisabeth Jeggle, Salvador Jové Peres, Hedwig Keppelhoff-Wiechert, Heinz Kindermann, Dimitrios Koulourianos, Wolfgang Kreissl-Dörfler (in Vertretung von Willi Görlach), Vincenzo Lavarra, Jean-Claude Martinez, Véronique Mathieu, Xaver Mayer, Jan Mulder (in Vertretung von Giovanni Procacci), Karl Erik Olsson, Neil Parish, Mikko Pesälä, Christa Prets (in Vertretung von António Campos), Dominique F.C. Souchet und Robert William Sturdy.

Der Ausschuss für Regionalpolitik, Verkehr und Fremdenverkehr hat am 21. Mai 2003 beschlossen, keine Stellungnahme abzugeben. Der Ausschuss für Kultur, Jugend, Bildung, Medien und Sport hat am 18. März 2003 beschlossen, keine Stellungnahme abzugeben.

Der Bericht wurde am 22. Mai 2003 eingereicht.

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS

zur Multifunktionalität der Landwirtschaft und zur Reform der GAP (2003/2048(INI))

Das Europäische Parlament,

–   unter Hinweis auf den von Jorge Salvador Hernández Mollar eingereichten Entschließungsantrag zum Schutz der andalusischen Landgüter (B5-0019/2003),

–   unter Hinweis auf seine Entschließungen vom 30. Mai 2002 zu der ländlichen Entwicklung im Rahmen der Agenda 2000[1] und vom 7. November 2002 zur Halbzeitbewertung der Gemeinsamen Agrarpolitik[2],

–   in Kenntnis der Mitteilung der Kommission vom 10. Juli 2002 (KOM(2002) 394) und der Legislativvorschläge vom 21. Januar 2003 (KOM(2003) 23) über eine politische Langzeitperspektive für eine nachhaltige Landwirtschaft,

–   gestützt auf Artikel 163 seiner Geschäftsordnung,

–   in Kenntnis des Berichts des Ausschusses für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung (A5‑0189/2003),

A.   in Erwägung der Erklärungen des Europäischen Rates von Luxemburg 1997 und von Berlin 1999 zugunsten einer multifunktionalen europäischen Landwirtschaft im gesamten Gebiet der Union,

B.   in der Erwägung, dass das EP in zahlreichen Entschließungen die Multifunktionalität der europäischen Landwirtschaft hervorgehoben und positiv beurteilt hat,

C.   in der Erwägung, dass die Gemeinschaft gemäß Artikel 159 des EG-Vertrags bei der Festlegung und Durchführung all ihrer Politiken dem Ziel des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts verpflichtet ist und dass mit Artikel 16 der Begriff des territorialen Zusammenhalts eingeführt wurde,

D.   in der Erwägung, dass die Verhinderung der Landflucht, die Schaffung von Arbeitsplätzen und einer breiten Palette von Wirtschaftstätigkeiten in benachteiligten Gebieten sowie deren Beitrag zur Raumordnung, zur Erhaltung der Umwelt, der Landschaft und des kulturellen Erbes Leistungen für das Gemeinwohl sind, die die Landwirtschaft für die Gesellschaft als Ganzes erbringt und für die sie Entgelt erhalten muss,

E.   in der Erwägung, dass die Schaffung von Leistungen für das Gemeinwohl bzw. die positiven Nebenwirkungen, die mit der konventionellen landwirtschaftlichen Produktion einhergehen, durch angemessene und im Hinblick auf die Maximierung ihrer Wirksamkeit richtig verteilte öffentliche Mittel abgesichert werden muss,

F.   in der Erwägung, dass es vor allem in den rückständigen ländlichen Gebieten der EU eine Vielzahl von klein- und mittelständischen landwirtschaftlichen Betrieben gibt, deren Wert im Wesentlichen in ihrem Beitrag zur Erhaltung von Arbeitsplätzen auf dem Lande, zur Verhütung der Landflucht und zur Bewahrung der natürlichen und kulturellen Ressourcen liegt,

1.   geht davon aus, dass es nunmehr an der Zeit ist, den offiziellen Erklärungen der Gemeinschaftsinstitutionen zugunsten der Multifunktionalität der Landwirtschaft, des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts und der nachhaltigen Entwicklung konkrete Maßnahmen im Bereich der gesamten GAP folgen zu lassen, die sich nicht ausschließlich auf den Bereich der Entwicklung des ländlichen Raums beziehen dürfen;

2.   bedauert, dass in den Legislativvorschlägen der Kommission für die Reform der GAP keinerlei Vergütung für die Multifunktionalität der Landwirtschaft vorgesehen ist;

3.   lehnt den Vorschlag der völligen Abkopplung der für die einzelnen Betriebe anhand der historischen Referenzerträge berechneten Direktzahlungen ab, da diese Maßnahme eine unveränderliche Situation in Hinblick auf die derzeit bestehenden Ungleichgewichte voraussetzen und der Aufgabe von Betrieben in den Regionen in Randlage Vorschub leisten würde,

4.   befürwortet grundsätzlich die Vorschläge, die Direktzahlungen an die Erfüllung anderweitiger Verpflichtungen (cross-compliance) zu knüpfen, da sie dazu dienen können, sowohl die Leistungen der landwirtschaftlichen Tätigkeit insgesamt als auch die soziale Legitimität der GAP zu konsolidieren; ist jedoch der Auffassung, dass die Vorschläge der Kommission einer eingehenden Überarbeitung bedürfen, mit dem Ziel, eine praxisorientierte und EU-einheitliche Umsetzung zur Vermeidung von Wettbewerbszerrungen zu gewährleisten; ist ferner überzeugt, dass überdies die Kostennachteile, die der europäischen Landwirtschaft daraus erwachsen, dauerhaft abgegolten werden müssen;

5.   betont jedoch, dass die Europäische Union Ausgleichsmaßnahmen einführen muss, um zu verhindern, dass die Erfüllung anderweitiger Verpflichtungen (cross-compliance) dazu führt, dass gemeinschaftliche Erzeugnisse nicht mehr wettbewerbsfähig sind;

6.   hält ferner die Förderung der Maßnahmen betreffend den Umweltschutz in der Landwirtschaft im Rahmen der Politik der Entwicklung des ländlichen Raums für erforderlich, damit die Auflagenbindung möglichst nicht als Sanktion verstanden wird;

7.   fordert, dass die ergänzenden Bedingungen für die Förderfähigkeit nicht zu größerer Bürokratie bei der Gewährung von Förderungen führen und auch nicht deren Auszahlung verzögern dürfen; fordert ferner die Vereinheitlichung der Kontrolle zwischen den Mitgliedstaaten, ohne sie mit dem integrierten Verwaltungs- und Kontrollsystem (IVKS) zu verknüpfen;

8.   lehnt die degressiven Haushaltskürzungen ab, deren Hauptzweck darin besteht, künftige Sektorreformen zu finanzieren, deren Kosten, Ziele, Eigenschaften und Bedingungen im Augenblick noch gänzlich unbekannt sind;

9.   fordert, dass die GAP und die für die ländlichen Räume relevanten Politiken verstärkt auf eine dauerhafte Verbesserung der wirtschaftlichen, regionalen und sozialen Rahmenbedingungen ausgerichtet werden; ist der Auffassung, dass eine vielfältige und funktionsfähige Agrarstruktur nach den Zielen des europäischen Agrarmodells einer leistungsgerechten Abgeltung der gesellschaftlich erwünschten Funktionen im Rahmen der Multifunktionalität bedarf und dass die Modulation von Direktzahlungen bei Beachtung der Ziele der Direktzahlungen an der Kostendegression der Betriebe orientiert und unter Rücksichtnahme auf die Erhaltung einer intakten und standortgerechten Agrarstruktur entwickelt werden muss;

10.   hält es für erforderlich, dass sich die Marktpolitik und die Politik der Entwicklung des ländlichen Raums durch Maßnahmen, die darauf abzielen, die Produktion im Sinne der nachhaltigen Entwicklung und der Qualität neu auszurichten, gegenseitig ergänzen; stellt daher fest, dass der Großteil der Maßnahmen unter dem zweiten Pfeiler (Politik der Nahrungsmittelsicherheit, Qualitätspolitik, umweltfreundliche landwirtschaftliche Methoden, Junglandwirte usw.) in die Marktpolitik einbezogen werden müssten, um die gemeinschaftliche Agrarpolitik und die Politik der Entwicklung des ländlichen Raums in Übereinstimmung zu bringen;

11.   hält es für unbedingt notwendig, dass die Kommission anhand objektiver sozioökonomischer, ökologischer, pedologischer und klimatologischer Kriterien eine neue Klassifizierung der ländlichen Gebiete festlegt, damit festgestellt werden kann, welche Betriebe in diesen Gebieten wegen ihrer wirtschaftlichen Größe und aufgrund der Gegebenheiten des jeweiligen ländlichen Gebiets zahlreiche positive Nebeneffekte haben; hält es ebenfalls für notwendig, dass sie Kriterien für die Unterstützung dieser Betriebe einführt;

12.   hält es für ein vorrangiges Ziel, die landwirtschaftliche Erzeugung in ländlichen Gebieten aufrecht zu erhalten, in denen sie wesentlich für die Gewährleistung der Erhaltung der natürlichen Lebensräume ist; vertritt daher die Auffassung, dass die zusätzlichen Kosten, die umweltfreundliche Anbaumethoden mit sich bringen, die Einführung einer entsprechenden Umweltausgleichszahlung rechtfertigen müssen;

13.   fordert, dass bei der Modulation unterschiedliche Freibeträge gelten, um zu verhindern, dass die Kürzungen der Beihilfen den Fortbestand zahlreicher landwirtschaftlicher Betriebe gefährden; fordert, dass als weitere Bedingung auch aufgestellt wird, dass manche landwirtschaftlichen Betriebe „ihre Bedeutung für den ländlichen Raum“ als Kriterium anführen dürfen und nicht nur strikt „kommerziell“ geführt werden müssen, da Betriebe, die landschaftspflegerisch tätig sind, von der Anwendung der Modulation und der Degression ausgenommen sind;

14.   weist darauf hin, dass Maßnahmen zugunsten bereits niedergelassener Junglandwirte bei der Reform der GAP besonderen Vorrang bekommen müssen, und fordert die Kommission auf, dem Problem des Generationenwechsels in der Landwirtschaft auf europäischer Ebene besondere Aufmerksamkeit zu schenken;

15.   hält es für sinnvoll, dass das Europäische Parlament eine Studie in Auftrag gibt, in der die technischen Aspekte dieser Entschließung konkret formuliert werden, um sie mittelfristig bei den nächsten Initiativen für die Reform der GAP, und insbesondere im Hinblick auf die Debatte über die Finanzen im Jahr 2006 zur Anwendung zu bringen;

16.   fordert die Kommission auf, sich entschieden für die umfassenden Aspekte einer multifunktionalen Landwirtschaft im Sinne des europäischen Agrarmodells vor allem mit dem Ziel gleichwertiger Rahmenbedingungen und Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen einzusetzen und zu gewährleisten, dass diese in das Schlussdokument über die Verhandlungsmodalitäten des Agrarkapitels im Rahmen der WTO aufgenommen werden;

17.   fordert die Kommission auf, das Gemeinschaftsprogramm Leader+, das im Hinblick auf die Entwicklung der landwirtschaftlichen Betriebe in der Gemeinschaft hin zur Multifunktionalität bedeutende Ergebnisse erbracht hat, mit umfangreicheren finanziellen Mitteln auszustatten, indem sie es mit anderen Sektoren wie etwa dem Fremdenverkehr, der Lebensmittelindustrie, dem traditionellen Handwerk und dem Schutz der Artenvielfalt verknüpft;

18.   fordert den Konvent für die Zukunft Europas auf, die Multifunktionalität der landwirtschaftlichen Tätigkeit dadurch zu stärken, dass er vor der nächsten Regierungskonferenz die Änderung des derzeitigen Artikel 33 des Vertrags vorschlägt, sowie die Anwendung des Mitentscheidungsverfahrens auf alle die Landwirtschaft betreffenden Rechtsakte vorzuschlagen, um die demokratische Legitimität und die Transparenz der Beschlussfassung in der EU zu verbessern;

19.   beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat und der Kommission zu übermitteln.

  • [1] P5_TA(2002)0274 und P5_TA(2002)0275.
  • [2] P5_TA(2002)0532.

BEGRÜNDUNG

Im Dezember 1997 sprach sich zunächst der Rat der Landwirtschaftsminister und dann der Europäische Rat der Staats- und Regierungschefs in Luxemburg dafür aus, dass „die europäische Landwirtschaft ... ein multifunktionaler, nachhaltiger und wettbewerbsfähiger Wirtschaftssektor sein [muss], der sich auf das gesamte Gebiet der Union, einschließlich der Regionen mit spezifischen Problemen, erstreckt.“ Auf dieser Grundlage legte die Kommission im März 1998 Verordnungsvorschläge für die Reform der GAP im Rahmen der so genannten Agenda 2000 vor, die offiziell zum Ziel hatten, „dem, was in den nächsten Jahren das „Europäische Landwirtschaftsmodell“ sein muss, konkreten Inhalt zu geben.“

Eingang der Erklärungen der Institutionen zugunsten der Multifunktionalität in die Legislativtexte

Zahlreiche Entschließungen des EP beweisen, dass das EP als einzige Institution den Begriff der Multifunktionalität in der GAP ernst nimmt, seit dieser Begriff vom Rat geprägt wurde. Von der Kommission oder vom Rat selbst kann dies nicht behauptet werden, da der Begriff jetzt, wo es darum geht, die Reformen und Ziele in den multilateralen Verhandlungen im Rahmen der WTO und in den Reformvorschlägen zu konkretisieren, praktisch verschwunden ist.

1)   Multifunktionalität bei der Halbzeitreform der GAP

In den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Berlin vom März 1999, mit denen das Paket der Agenda 2000 geschnürt wurde, hieß es wie folgt: „Mit dem Inhalt dieser Reform wird sichergestellt, dass die Landwirtschaft multifunktional, nachhaltig und wettbewerbsfähig ist und sich über den gesamten europäischen Raum (einschließlich der Regionen mit besonderen Schwierigkeiten) verteilt, dass sie in der Lage ist, die Landschaft zu pflegen, die Naturräume zu erhalten und einen wesentlichen Beitrag zur Vitalität des ländlichen Raums zu leisten, und dass sie den Anliegen und Erwartungen der Verbraucher in Bezug auf die Qualität und die Sicherheit der Lebensmittel, den Umweltschutz und den Tierschutz gerecht wird.“ In den angenommenen Legislativtexten finden sich jedoch lediglich bestimmte multifunktionale Aspekte in einigen wenigen Maßnahmen wieder, z.B. die Einführung der Einhaltung von Umweltschutzerfordernissen: in der Verordnung (EG) Nr. 1259/99 wird die Zahlung von Beihilfen an die allgemeine Forderung der Einhaltung „guter landwirtschaftlicher Praxis“ geknüpft und die fakultative Modulation eingeführt, um die Entwicklung des ländlichen Raumes zu stärken, die seitdem unter den zweiten Pfeiler der GAP fällt.

Der Europäische Rat beschränkte sich in seinem Standpunkt auf dem Gipfel in Brüssel im Oktober 2002 darauf, den finanziellen Rahmen für die Marktpolitik für den Zeitraum 2007-2013 abzustecken. Im angenommenen Text findet sich nur ein einziger allgemeiner Hinweis darauf, dass „den Bedürfnissen der in benachteiligten Regionen der derzeitigen Europäischen Union lebenden Erzeuger Rechnung getragen werden [sollte]; die multifunktionale Landwirtschaft wird in allen Gebieten Europas entsprechend den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates (Luxemburg) von 1997 und des Europäischen Rates (Berlin) von 1999 aufrechterhalten.“

Die Kommission wiederum hat in diesem langen Entscheidungsprozess über die Reform der GAP ihren Standpunkt gewechselt. In der Mitteilung (KOM(2002) 394), die im Juli zur Halbzeitbewertung der Agenda 2000 vorgelegt wurde, findet sich kein einziges Mal das Wort „Multifunktionalität“. Und auch in den im Januar vorgelegten Legislativvorschlägen (KOM(2003) 23) hat die Kommission den Ausdruck explizit nicht mehr verwendet. Die Multifunktionalität beschränkt sich auf die Einhaltung der Bedingungen für die Beihilfen im Rahmen des ersten Pfeilers und jegliche Absicht einer Reform der Stützungsmechanismen, die die Leistungen der Landwirtschaft insgesamt berücksichtigt, wird aufgegeben. So schlägt sich allein im zweiten Pfeiler der multifunktionale Charakter der Landwirtschaft nieder. Dieser mangelnde politische Wille zeigt sich zudem darin, dass die modulierten Mittel, die für den zweiten Pfeiler bestimmt sind, gekürzt werden, obwohl andererseits im Vorschlag für eine Verordnung über die ländliche Entwicklung neue Maßnahmen aufgenommen werden.

2)   Multifunktionalität bei den WTO-Verhandlungen

Der Begriff der Multifunktionalität der Landwirtschaft war im Landwirtschaftsausschuss der WTO nie glaubwürdig, und die Beharrlichkeit, die die EU an den Tag gelegt hat, damit dieses Konzept in das Landwirtschaftsabkommen eingeführt wurde, nährte in den Drittländern den Verdacht, dass es eher in einer Spitzfindigkeit bei den Verhandlungen bestand als in einem echten Bemühen um Reform und Neuausrichtung unserer Landwirtschaftspolitik.

Gründe, dies zu glauben, gab es nicht wenige. Tatsächlich hatten die meisten der von der EU in Bezug auf die Multifunktionalität vorgelegten Dokumente stets das Ziel, diesen Begriff in dem Maße in die Landwirtschaftsverhandlungen der WTO einzuführen, wie er aus den Vorschlägen und Beschlüssen der internen Reform der GAP (Agenda 2000) verschwand. Inzwischen ist festzustellen, dass die Kommission die Multifunktionalität zugunsten des Multilateralismus völlig aufgegeben hat. Im Vorschlag der Gemeinschaft, der über die Modalitäten für die Landwirtschaftsverhandlungen vorliegt, wird nur einmal ausdrücklich der Ausdruck “multifunktionale Erwägungen“ in Bezug auf den Zugang der ärmsten Länder zum Markt verwendet. In Bezug auf die europäische Landwirtschaft werden nur einige multifunktionale Ziele und Instrumente erwähnt, nämlich die so genannten „sozialen Ziele“: Tierschutz, Lebensmittelsicherheit und Umweltschutz.

Die Reaktionen des Vorsitzenden des Landwirtschaftsausschusses der WTO auf diesen Vorschlag waren entmutigend. In den von ihm bislang vorgelegten Entwürfen steht nichts von der Verpflichtung, „nichtkommerzielle Erwägungen“ zu bedenken. Deshalb steht die Multifunktionalität zurzeit nicht auf der Tagesordnung der nächsten multilateralen Verhandlungen.

Die Multifunktionalität als neues Leitprinzip für die Reform der GAP

Die jetzige GAP ist mit schweren Unstimmigkeiten behaftet. Einerseits gibt es eine große Inkohärenz zwischen dem ersten Pfeiler, der hauptsächlich auf die Produktion gerichtet ist, und dem zweiten Pfeiler, der auf die Entwicklung des ländlichen Raums ausgerichtet ist. Die Lage wird dadurch noch verschärft, dass Mittel aus dem ersten Pfeiler auf den zweiten Pfeiler übertragen werden, ohne das dominierende Marktstützungsmodell in Frage zu stellen. Dieses Stützungsmodell basiert im Allgemeinen auf den erzeugten Mengen und ist noch weit davon entfernt, den offiziellen Erklärungen der EU zugunsten der Multifunktionalität der Landwirtschaft, der Nahrungsmittelsicherheit, des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts oder einer nachhaltigen Entwicklung konkrete Gestalt zu geben.

Überraschenderweise hat die Kommission, die sich bei der Halbzeitbewertung darum bemüht, die rein auf die Produktion zielende Ausrichtung des ersten Pfeilers zu überwinden, und die völlige Abkopplung der Beihilfen von der Produktion vorschlägt, den Begriff der Multifunktionalität völlig vergessen, mit dem sie das Europäische Agrarmodell ja definiert hat. Um der GAP eine neue Legitimität zu geben, muss die Multifunktionalität als Leitprinzip für die neuen politischen Maßnahmen erhoben werden, die die öffentliche Unterstützung an die positiven Nebenwirkungen der landwirtschaftlichen Tätigkeit binden, sofern es diese überhaupt gibt.

Andererseits beharrt die Kommission in ihrem Vorschlag auf der Logik der zwei Pfeiler, weil sie erkannt hat, dass die Modulation erstens nicht mehr eine ausschließliche Formel für die Stärkung des zweiten Pfeilers ist, sondern sich zu einer Haushaltssparmaßnahme wandelt, um künftige Reformen der Sektoren zu finanzieren, und dass zweitens der zweite Pfeilers nach dem Abkommen über die Stabilisierung der Agrarausgaben vom Oktober vergangenen Jahres zu finanzieller Auszehrung verurteilt ist, ohne dass die entsprechenden Beträge — anders als die Beträge in der in der Rubrik 1b — konsolidiert worden wären. Nichtsdestotrotz sollen unter diesem Pfeiler neue landwirtschaftliche Funktionen einbezogen werden, wie beispielsweise die Sicherheit der Nahrungsmittelversorgung, für die aber bekanntlich keine Mittel zur Verfügung stehen werden.

All das scheint ein Indiz dafür zu sein, dass das Pfeilerschema versagt hat, als es darum ging, die Unterstützung für die mit der landwirtschaftlichen Tätigkeit verbundenen Funktionen konkret zu unterfüttern. Lediglich die ökonomischen Auswirkungen der landwirtschaftlichen Produktion werden durch agrarpolitische Maßnahmen kompensiert, während es für die sozialen Auswirkungen dieser Tätigkeit und ihre Auswirkungen auf die Umwelt und den ländlichen Raum keinerlei wirtschaftliche Entschädigung gibt. Das jetzige System hat sich als unfähig erwiesen, Lösungen für eine landschaftspflegerisch tätige Landwirt zu finden, deren Erhaltung für das Überleben vieler ländlicher Gebiete in der EU von entscheidender Bedeutung ist.

Schlussfolgerungen

Uns bleibt nur übrig, darauf zu hoffen, dass künftige Reformen ein neues Modell der Stützung einer multifunktionalen europäischen Landwirtschaft entwerfen. Außerdem darf die Multifunktionalität nicht auf wenige Maßnahmen, die unter den Pfeiler Entwicklung des ländliches Raums fallen, beschränkt bleiben. Im Gegenteil: Entsprechend der Entschließung des EP vom 7. November 2002 (P5_TA-PROV (2002) 0532) muss die Multifunktionalität der Landwirtschaft Vorgabe für den Inhalt der wichtigsten Reformen, die die Kommission im Rahmen der Halbzeitbewertung vorschlägt, sein: Abkopplung, Modulation, „cross compliance“ und Stärkung der Entwicklung des ländlichen Raums.

Die Anwendung der Multifunktionalität im vorliegenden Reformvorschlag muss Folgendes gewährleisten.

  • Die Zunahme der Dimension der landwirtschaftlichen Betriebe muss angesichts der Senkung der Stützungspreise und der Notwendigkeit, auf einem immer stärker liberalisierten Markt wettbewerbsfähig zu sein, mit der Existenz einer ausreichenden Zahl von Landwirten kompatibel sein, die eine angemessene Bewirtschaftung des ländlichen Raums sicherstellen.
  • Naturgemäß kann aufgrund der Leistungen der Landwirtschaft insgesamt, bei der nichtproduktive Funktionen in die landwirtschaftliche Tätigkeit einbezogen werden, eine multifunktionale Landwirtschaft nur erreicht werden, wenn gleichzeitig die landwirtschaftliche Tätigkeit in weiten ländlichen Gebieten der Union beibehalten oder gesichert wird.
  • Die Anwendung des Prinzips der Multifunktionalität der Landwirtschaft muss konkret dazu dienen, dass die Beihilfen, die teilweise von der Produktion abgekoppelt wurden, denjenigen Erzeugern gezahlt werden, die eine landwirtschaftliche Tätigkeit ausüben, die im Wesentlichen anhand der unersetzlichen multifunktionalen Dienstleistungen zu bewertet ist, die die Landwirte in vielen ländlichen Gebieten erbringen.

[13. Februar 2003]

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG B[5-0019/2003]

eingereicht gemäß Artikel 48 der Geschäftsordnung

von Jorge Hernández Mollar

zum Schutz der andalusischen Landgüter

([2003/2048](INI))

Das Europäische Parlament,

A.   in der Erwägung, dass die Landgüter in Andalusien einzigartige Baudenkmäler auf dem Lande sind,

B.   in der Erwägung, dass die Gesellschaft sich bewusst werden muss, welchen Wert diese andalusischen Landgüter darstellen, und dass diese als eigenständiges und typisches Erbe erhalten werden müssen,

C.   in der Erwägung, dass die Vorschriften zum Schutz der Landgüter in die Änderungen der Regelungen über die Zuschüsse der Gemeinden einfließen müssen,

D.   in der Erwägung, dass die Kundgebungen, die derzeit in Andalusien stattfinden, auf den baulichen Zustand dieses ländlichen architektonischen Erbes in Andalusien aufmerksam machen wollen,

1.   fordert, dass die andalusischen Landgüter geschützt werden, um das ursprüngliche, für die andalusische Landwirtschaft typische Erbe zu erhalten;

2.   fordert, dass eine Bestandsaufnahme aller bedeutenden Landgüter in Andalusien durchgeführt wird, damit diese nicht verschwinden;

3.   empfiehlt, dass die EU einen Beitrag zum Schutz der andalusischen Landgüter leistet, und zwar durch ein Gemeinschaftsprogramm zur Erhaltung eines für den ländlichen Raum wesentlichen Erbes in einer wichtigen und seit jeher agrarisch geprägten Region.