BERICHT zum Sonderbericht des Europäischen Bürgerbeauftragten im Anschluss an seinen Empfehlungsentwurf an die Europäische Kommission in der Beschwerde 676/2008/RT

27.10.2010 - (2010/2086(INI))

Petitionsausschuss
Berichterstatterin: Chrysoula Paliadeli

Verfahren : 2010/2086(INI)
Werdegang im Plenum
Entwicklungsstadium in Bezug auf das Dokument :  
A7-0293/2010
Eingereichte Texte :
A7-0293/2010
Angenommene Texte :

ENTWURF EINER ENTSCHLIESSUNG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS

zum Sonderbericht des Europäischen Bürgerbeauftragten im Anschluss an seinen Empfehlungsentwurf an die Europäische Kommission in der Beschwerde 676/2008/RT

(2010/2086(INI))

Das Europäische Parlament,

–   in Kenntnis des Sonderberichts des Europäischen Bürgerbeauftragten an das Europäische Parlament vom 24. Februar 2010,

–   gestützt auf Artikel 228 Absatz 1 Unterabsatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (ex-Artikel 195 EGV),

–   unter Hinweis auf die Artikel 41 Absatz 1, 42 und 43 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union,

–   unter Hinweis auf den Beschluss 94/262/EGKS, EG, Euratom des Europäischen Parlaments vom 9. März 1994 über die Regelungen und allgemeinen Bedingungen für die Ausübung der Aufgaben des Bürgerbeauftragten[1], zuletzt geändert durch den Beschluss 2008/587/EG, Euratom des Europäischen Parlaments vom 18. Juni 2008[2],

–   unter Hinweis auf die Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Europäischen Bürgerbeauftragten über die Beziehungen zum Beschwerdeführer bei Verstößen gegen das Gemeinschaftsrecht (KOM(2002)0141)[3],

–   gestützt auf Artikel 205 Absatz 2 erster Satz seiner Geschäftsordnung,

–   in Kenntnis des Berichts des Petitionsausschusses (A7-0293/2010),

A. in der Erwägung, dass Artikel 228 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union den Europäischen Bürgerbeauftragten befugt, Beschwerden von jedem Bürger der Union über Missstände bei der Tätigkeit der Organe und Einrichtungen der Union entgegenzunehmen,

B.  in der Erwägung, dass die von Unionsbürgern eingereichten Beschwerden eine wichtige Informationsquelle zu möglichen Verstößen gegen das Unionsrecht darstellen,

C. in der Erwägung, dass in Artikel 41 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vorgesehen ist, dass jede Person ein Recht darauf hat, „dass ihre Angelegenheiten von den Organen und Einrichtungen der Union unparteiisch, gerecht und innerhalb einer angemessenen Frist behandelt werden“,

D. in der Erwägung, dass am 1. März 2007 eine im Umweltbereich tätige Nichtregierungsorganisation bei der Kommission einen Antrag auf Zugang zu Informationen und Dokumenten der Generaldirektion Unternehmen und Industrie und des ehemaligen Vizepräsidenten der Europäischen Kommission mit Zuständigkeit für Unternehmen und Industrie stellte, die sich auf Treffen zwischen der Kommission und Vertretern von Automobilherstellern, bei denen die Herangehensweise der Kommission im Zusammenhang mit Kohlendioxidemissionen von Kraftfahrzeugen erörtert worden war, bezogen,

E.  in der Erwägung, dass die Kommission Zugang zu 15 von 18 an das damalige Mitglied der Kommission Günter Verheugen gerichteten Schreiben gewährte, aber den Zugang zu drei Schreiben des deutschen Automobilherstellers Porsche mit der Begründung verweigerte, dass deren Freigabe den Schutz der geschäftlichen Interessen des Unternehmens beeinträchtige,

F.  in der Erwägung, dass in Artikel 1 Buchstabe a der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission[4] verfügt wird, dass Zweck dieser Verordnung die Gewährleistung eines größtmöglichen Zugangs zu Dokumenten des Rates, des Europäischen Parlaments und der Kommission ist, und in der Erwägung, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union jede Ausnahme von diesem Grundsatz eng auszulegen ist,

G. in der Erwägung, dass die Kommission der Beschwerdeführerin den Zugang zu den betreffenden Schreiben der Porsche AG auf der Grundlage von Artikel 4 Absatz 2 erster Spiegelstrich der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 verweigerte, wonach die „Organe den Zugang zu einem Dokument, durch dessen Verbreitung … der Schutz der geschäftlichen Interessen einer natürlichen oder juristischen Person, einschließlich des geistigen Eigentums“ beeinträchtigt würde, verweigern,

H. in der Erwägung, dass die fraglichen Schreiben von der Porsche AG im Zusammenhang mit der von der Kommission durchgeführten Konsultation der wichtigsten Interessengruppen im Hinblick auf die Überprüfung der Gemeinschaftsstrategie zur Verringerung der Kohlendioxidemissionen von Personenkraftfahrzeugen übermittelt wurden; in der Erwägung, dass es folglich wahrscheinlich war, dass diese drei Schreiben Informationen über die Geschäftsbeziehungen der Porsche AG enthielten; in der Erwägung, dass die Kommission diese somit als unter den Geltungsbereich der Ausnahme gemäß Artikel 4 Absatz 2 erster Spiegelstrich der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 fallend betrachten konnte,

I.   in der Erwägung, dass die Dienststellen des Bürgerbeauftragten die drei Schreiben der Porsche AG wie auch die E-Mail-Korrespondenz zwischen der Kommission und Porsche prüften, in der die Kommission der Porsche AG ihre Absicht mitteilte, die drei Schreiben nicht freizugeben; in der Erwägung, dass der Bürgerbeauftragte auf der Grundlage dieser Prüfung zu dem Ergebnis kam, dass die Kommission zu Unrecht den vollständigen Zugang zu den Schreiben der Porsche AG nach Artikel 4 Absatz 2 erster Spiegelstrich und den teilweisen Zugang nach Artikel 4 Absatz 6 der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001[5] verweigert hatte; in der Erwägung, dass dies einen Missstand in der Verwaltungstätigkeit darstellte,

J.   in der Erwägung, dass der Bürgerbeauftragte der Kommission am 27. Oktober 2008 einen Empfehlungsentwurf mit den Einzelheiten seiner Prüfung des Sachverhalts und der Rechtslage vorlegte, und darin feststellte, dass die Kommission vollständigen Zugang zu den drei Schreiben der Porsche AG an den ehemaligen Vizepräsidenten der Kommission Günter Verheugen gewähren oder ihre teilweise Freigabe in Betracht ziehen sollte,

K. in der Erwägung, dass der Bürgerbeauftragte auf der Grundlage von Artikel 195 EG (jetzt Artikel 228 AEUV) die Kommission um eine detaillierte Stellungnahme innerhalb von drei Monaten, d. h. bis 31. Januar 2009, ersuchte,

L.  in der Erwägung, dass die Kommission ihre Stellungnahme nicht innerhalb der in Artikel 228 AEUV vorgesehenen Frist von drei Monaten übermittelte, sondern vielmehr sechs Fristverlängerungen für die Übermittlung ihrer detaillierten Stellungnahme zum Empfehlungsentwurf des Bürgerbeauftragten beantragte; in der Erwägung, dass der Bürgerbeauftragte im Juli und im September 2009 das Sekretariat der Kommission von seiner Absicht in Kenntnis setzte, dem Parlament einen Sonderbericht vorzulegen, wenn er keine Antwort auf seinen Empfehlungsentwurf erhalte,

M. in der Erwägung, dass die neue Kommission nach ihrem Amtsantritt in der Tat Zugang zu den Schreiben gewährte, dies aber statt nach den im Statut des Bürgerbeauftragten und in Artikel 228 AEUV vorgesehenen drei Monaten erst mehr als 15 Monate nach der Übermittlung des Empfehlungsentwurfs,

N. in der Erwägung, dass die Kommission mit der Verzögerung ihrer Antwort auf den Empfehlungsentwurf um 15 Monate ihre Verpflichtung zur loyalen Zusammenarbeit mit dem Bürgerbeauftragten während seiner Untersuchung des Falls 676/2008/RT verletzt hat, und in der Erwägung, dass dies nicht nur dem interinstitutionellen Dialog, sondern auch dem öffentlichen Ansehen der EU schadet,

O. in der Erwägung, dass der Bürgerbeauftragte in einem weiteren Fall, der den Zugang zu Dokumenten betrifft (355/2007(TN)FOR), Verzögerungen seitens der Kommission feststellte; unter Hinweis darauf, dass die Kommission in dem besagten Fall ihre detaillierte Stellungnahme dem Bürgerbeauftragten bis zum 31. Oktober 2009 hätte übermitteln sollen, dies bisher aber noch nicht getan hat,

P.  in der Erwägung, dass die Kommission die ursprünglichen Fristen für die Beantwortung von Beschwerden nur in vier der 22 vom Bürgerbeauftragten im Jahr 2009 bearbeiteten Fälle betreffend den Zugang zu Dokumenten eingehalten hat; in der Erwägung, dass die Kommission in 14 von diesen 22 Fällen ihre Antwort mit mehr als 30 Tagen Verspätung übermittelte und sie in sechs Fällen ihre Antwort mindestens 80 Tage zu spät übermittelte,

Q. in der Erwägung, dass es dem Parlament als dem einzigen gewählten Organ der EU obliegt, die Unabhängigkeit des Europäischen Bürgerbeauftragten bei der Wahrnehmung seiner Pflichten gegenüber den Unionsbürgern zu wahren und zu schützen und die Umsetzung seiner Empfehlungen zu überwachen,

1.  unterstützt die kritischen Anmerkungen des Europäischen Bürgerbeauftragten und seine Empfehlung an die Kommission betreffend die Beschwerde 676/2008/RT;

2.  stellt fest, dass übermäßige Verzögerungen bei der Beantwortung der Ersuchen des Bürgerbeauftragten in diesem Fall eine Verletzung der Verpflichtung der Kommission zu loyaler Zusammenarbeit, wie sie im Vertrag vorgesehen ist, darstellen;

3.  ist sehr besorgt über die allgemeine Praxis der Verzögerung und Behinderung seitens der Kommission bei den Untersuchungen des Bürgerbeauftragten in Fällen, in denen es um den Zugang zu Dokumenten geht,

4.  erinnert daran, dass die Kommission im Zusammenhang mit den Konsultationen nach Artikel 4 Absatz 4 der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 Dritten eine Beantwortungsfrist setzen muss, und betont, dass die Kommission diese Befugnis so nutzen sollte, dass sie die Einhaltung ihrer eigenen Fristen ermöglicht[6];

5.  erinnert an die einschlägige Rechtsprechung in Bezug auf den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit (Artikel 4 Absatz 3 EUV), wonach die Organe der Union in ihren Beziehungen zur loyalen Zusammenarbeit untereinander verpflichtet sind; stellt fest, dass dies in dem neuen Artikel 13 Absatz 2 EUV klar geregelt ist;

6.  ist der Ansicht, dass das unkooperative Verhalten der Kommission in diesem und in anderen Fällen die Gefahr birgt, dass das Vertrauen der Bürger in die Kommission und die Fähigkeit des Europäischen Bürgerbeauftragten und des Europäischen Parlaments, die Kommission angemessen und wirksam zu kontrollieren, untergraben wird, und dass es als solches dem Rechtsstaatsprinzip zuwiderläuft, auf dem die EU basiert;

7.  fordert, dass sich die Kommission gegenüber dem Europäischen Parlament verpflichtet, in der Zukunft ihrer Verpflichtung zur loyalen Zusammenarbeit mit dem Europäischen Bürgerbeauftragten nachzukommen;

8.  ist der Ansicht, dass – sollte die Kommission dieser Verpflichtung nicht nachkommen und/oder ihr unkooperatives Verhalten gegenüber dem Bürgerbeauftragten beibehalten – das Parlament der Kommission Sanktionen auferlegen kann, die unter anderem die Zurückhaltung eines Teils der für die Ausgaben der Verwaltung vorgesehenen Haushaltsmittel der Kommission beinhalten können;

9.  beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission und dem Europäischen Bürgerbeauftragten zu übermitteln.

  • [1]  ABl. L 113 vom 4.5.1994, S. 15.
  • [2]  ABl. L 189 vom 17.7.2008, S. 25.
  • [3]  ABl. C 244 vom 10.10.2002, S. 5.
  • [4]  ABl. L 145 vom 31.5.2001, S. 43.
  • [5]  Artikel 4 Absatz 6 der Verordnung Nr. 1049/2001 lautet: „Wenn nur Teile des angeforderten Dokuments einer der Ausnahmen unterliegen, werden die übrigen Teile des Dokuments freigegeben.“
  • [6]  Artikel 5 Absatz 5 der Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 im Anhang zu dem Beschluss der Kommission 2001/937/EG bestimmt: „Der konsultierte Dritte verfügt über eine Beantwortungsfrist, die mindestens fünf Werktage beträgt und es gleichzeitig der Kommission ermöglichen muss, ihre eigenen Beantwortungsfristen zu wahren, … .“

BEGRÜNDUNG

Einleitung

Sonderberichte sind das äußerste Mittel des Europäischen Bürgerbeauftragten. Die Entscheidungen des Bürgerbeauftragten sind rechtlich nicht bindend, so dass er sich auf seine Überzeugungsarbeit, d. h. seine Fähigkeit, durch begründete Argumentation zu überzeugen, und gelegentlich auf die Öffentlichkeit und die Kraft der öffentlichen Meinung stützt. Die sehr geringe Zahl der Sonderberichte, die der Europäische Bürgerbeauftragte dem Europäischen Parlament bisher vorlegen musste (17 seit 1995), zeugt von der kooperativen Herangehensweise der Organe der EU in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle.

Diese Zusammenarbeit kommt aber zum Teil auch deswegen zustande, weil der Bürgerbeauftragte befugt ist, dem Europäischen Parlament einen Sonderbericht vorzulegen. Insbesondere dann, wenn ein Empfehlungsentwurf vorliegt, ist das Wissen darum, dass der nächste Schritt ein Sonderbericht sein könnte, häufig hilfreich, um das betreffende Organ oder die betreffende Institution zur Änderung seines oder ihres Standpunkts zu bewegen. Sonderberichte sollten daher nur in Bezug auf wichtige Angelegenheiten, in denen das Parlament helfen könnte, das betroffene Organ bzw. die betroffene Institution zur Änderung seines bzw. ihres Standpunkts zu bewegen, vorgelegt werden.

Als politisches Organ ist das Europäische Parlament bei der Behandlung der Sonderberichte des Bürgerbeauftragten – sowohl im Hinblick auf die Verfahren als auch im Hinblick auf seine Herangehensweise und seine Handlungen – souverän. Bei der Prüfung eines Sonderberichts trägt das Parlament immer dem Umstand Rechnung, dass das Recht, sich an den Bürgerbeauftragten zu wenden – wie das Recht, Petitionen beim Europäischen Parlament einzureichen – ein Grundrecht der Bürger darstellt, das in der Charta der Grundrechte, die nach dem Vertrag von Lissabon nunmehr rechtlich bindend ist, fest verankert ist.

Die Beschwerde

Im März 2007 beantragte eine im Umweltbereich tätige Nichtregierungsorganisation nach der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission Zugang zu bestimmten Dokumenten.

Die Dokumente bezogen sich auf Treffen zwischen der Europäischen Kommission und Automobilherstellern, in denen die Herangehensweise der Kommission im Zusammenhang mit den Kohlendioxidemissionen von Kraftfahrzeugen erörtert wurde.

Im November 2007 gewährte die Kommission Zugang zu 15 von 18 an das damalige Mitglied der Kommission Günter Verheugen gerichteten Schreiben. Im Fall von drei Schreiben des deutschen Automobilherstellers Porsche verweigerte die Kommission jedoch den Zugang mit der Begründung, dass deren Freigabe den Schutz der geschäftlichen Interessen des Unternehmens beeinträchtige. Die Beschwerdeführerin wandte sich dann an den Europäischen Bürgerbeauftragten. Im September 2008 prüften Mitarbeiter der Dienststellen des Bürgerbeauftragten die Schreiben in den Räumlichkeiten der Kommission. Auf der Grundlage dieser Prüfung kam der Bürgerbeauftragte am 27. Oktober 2008 zu dem Ergebnis, dass die Kommission den Zugang zu diesen drei Schreiben zu Unrecht verweigert hatte. Er legte der Kommission daher einen Empfehlungsentwurf vor, wonach sie den vollständigen Zugang zu den Schreiben gewähren bzw. ihre teilweise Offenlegung in Betracht ziehen sollte.

Nach Artikel 3 Absatz 6 des vom Europäischen Parlament für den Europäischen Bürgerbeauftragten erlassenen Statuts standen der Europäischen Kommission drei Monate für ihre detaillierte Stellungnahme zum Empfehlungsentwurf des Bürgerbeauftragten zur Verfügung. Die Frist für die Antwort der Kommission lief daher am 31. Januar 2009 ab. Die Kommission antwortete nicht und ersuchte am 30. Januar 2009 um Fristverlängerung. Danach beantragte die Kommission am 23. Februar 2009, am 26. März 2009, am 29. April 2009, am 29. Mai 2009 und am 26. Juni 2009 weitere Fristverlängerungen.

Nachdem er der Kommission alle beantragten Fristverlängerungen gewährt hatte, teilte der Bürgerbeauftragte der Kommission am 3. Juli 2009 schriftlich mit, es sei nicht nachvollziehbar, warum das Verfassen einer detaillierten Stellungnahme derartig viel Zeit in Anspruch nehme, dass sechs Fristverlängerungen zu einer ohnehin schon großzügigen Frist benötigt werden. Die Kommission antwortete am 17. Juli, dass sie noch keine fundierte Antwort geben könne, da sie sich noch mit einem Dritten (Porsche) konsultiere.

Am 30. September 2009, zehn Monate nach der Vorlage des Empfehlungsentwurfs, teilte die Kommission dem Bürgerbeauftragten mit, dass sie beschlossen habe, den teilweisen Zugang zu den betreffenden Schreiben zu gewähren, und zu diesem Zweck entsprechende Fassungen erstellt habe. Sie deutete auch an, sie beabsichtige, Porsche über ihre Entscheidung zu unterrichten. Am 27. Oktober 2009 erklärte die Kommission, dass ihre Entscheidung, Porsche zu informieren, ins Deutsche übersetzt werde und dem Unternehmen Anfang November übermittelt werde. Am 9. November 2009 übermittelte der Bürgerbeauftragte der Kommission ein weiteres Schreiben, in dem er um eine Kopie des Porsche übermittelten Notifizierungsschreibens und um Auskunft über den Abschluss des Verfahrens für die Gewährung von Zugang zu diesen Schreiben ersuchte. Am 4. Dezember 2009 teilten die Dienststellen der Kommission dem Bürgerbeauftragten telefonisch mit, dass das Notifizierungsschreiben in Kürze an Porsche geschickt werde.

Bis zur Vorlage seines Sonderberichts an das Europäische Parlament am 24. Februar 2010 war der Europäische Bürgerbeauftragte weder über das Notifizierungsschreiben noch über die Gewährung des Zugangs zu den betreffenden Schreiben unterrichtet worden. Die neue Kommission gewährte nach ihrem Amtsantritt nach der Vorlage des Sonderberichts durch den Bürgerbeauftragten Zugang zu diesen Schreiben. Dieser Zugang erfolgte allerdings erst über 15 Monate nach der Übermittlung des Empfehlungsentwurfs statt nach den durch das Europäische Parlament im Statut des Bürgerbeauftragten und in Artikel 228 AEUV vorgesehenen drei Monaten.

In ihren verschiedenen Mitteilungen zu der Angelegenheit erklärte die Kommission, dass sie ihrer Verpflichtung, auf den Empfehlungsentwurf zu antworten, nicht nachkommen könne, da die Konsultationen mit Porsche in Bezug auf die vorgeschlagene Freigabe der fraglichen Dokumente noch nicht abgeschlossen seien. Die Kommission rechtfertigte die Länge dieser Konsultationen mit zwei Argumenten: Erstens habe es Aussichten auf ein positives Ergebnis der Verhandlungen mit Porsche gegeben, was die vorgeschlagene Freigabe anbelangte, und zweitens sei Porsche eine angemessene Frist einzuräumen, um rechtliche Schritte gegen die Entscheidung der Kommission, die fraglichen Dokumente freizugeben, einzuleiten.

Was das erste Argument der Kommission anbelangt, ist daran zu erinnern, dass die Kommission im Rahmen der in der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 vorgesehenen Konsultationen dem Dritten eine Frist setzen muss. Die Kommission sollte diese Befugnis sicher so nutzen, dass sie die Einhaltung ihrer eigenen Fristen ermöglicht. Was das zweite Argument der Kommission anbelangt, ist festzustellen, dass das Erfordernis, der Porsche AG die Ausübung der ihr zustehenden Rechte zuzugestehen, nicht die außerordentliche Verzögerung bei der ersten Antwort auf den Empfehlungsentwurf und anschließend bei ihrer Entscheidung, Porsche über die von ihr beabsichtigte Freigabe der Dokumente zu unterrichten, rechtfertigen kann.

In diesem Zusammenhang ist an die einschlägige Rechtsprechung in Bezug auf den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit (Artikel 4 Absatz 3 des Vertrags über die Europäische Union) zu erinnern, wonach die Organe der Union in ihren Beziehungen zur loyalen Zusammenarbeit untereinander verpflichtet sind. Diese Verpflichtung wird in dem neuen Artikel 13 Absatz 2 der Europäischen Union klar geregelt.

Weitere Informationen

Gemäß Artikel 41 der Charta der Grundrechte hat jede Person ein Recht darauf, „dass ihre Angelegenheiten von den Organen und Einrichtungen der Union unparteiisch, gerecht und innerhalb einer angemessenen Frist behandelt werden“.

Leider gehört es zu den Erfahrungen des Bürgerbeauftragten, dass die Kommission zu häufig die Fristen der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 bei Anträgen auf Zugang der Öffentlichkeit missachtet. Noch schlimmer ist die Bilanz der Kommission, wenn sich Bürger beim Bürgerbeauftragten in Fällen beschweren, bei denen es um den Antrag auf Zugang zu Dokumenten geht.

In 22 derartigen vom Bürgerbeauftragten im Jahr 2009 bearbeiteten Fällen hatte die Kommission die ursprüngliche Frist für die Antwort auf die Beschwerde nur in 4 Fällen, d. h. in weniger als einem Fünftel eingehalten. In der Mehrzahl der Fälle (14 von 22) gab es eine Verspätung von über 30 Tagen. In mehr als einem Viertel aller Fälle (6 von 22) gab es eine Verspätung von über 80 Tagen.

Am 4. Mai 2010 nahm der Bürgerbeauftragte an einer Sitzung des Petitionsausschusses teil und erläuterte den Sonderbericht. In seinem Redebeitrag führte er aus, dass es einen weiteren Fall zur Frage des Zugangs zu Dokumenten (355/2007(TN)FOR) gebe, in dem die Kommission ihre detaillierte Stellungnahme zu einem Empfehlungsentwurf drei Mal verzögert habe. Dabei handelt es sich um eine Beschwerde einer Nichtregierungsorganisation, des Europäischen Umweltbüros (European Environmental Bureau). Am 29. Juni 2009 legte der Bürgerbeauftragte in dieser Sache einen Empfehlungsentwurf vor. Die Kommission sollte ihre Stellungnahme bis zum 31. Oktober 2009 übermittelt haben. Am 27. Mai 2010 teilte die Kommission mit, dass sie bis zum 31. Juli 2010 Zeit brauchte, um ihre detaillierte Stellungnahme zu übermitteln, da „weiterhin eine unklare Rechtslage bestehe“.

Schlussfolgerungen

Dass die Kommission zu den Schreiben im Fall 676/2008/RT in der Tat Zugang gewährte, nachdem der Bürgerbeauftragte seinen Sonderbericht vorgelegt hatte, sollte als Erfolg für das parlamentarische Verfahren der Überwachung der Tätigkeit der Kommission mittels der Durchführung der Untersuchungen des Bürgerbeauftragten gewertet werden.

Trotzdem kann das Europäische Parlament nur zu dem Ergebnis kommen, dass die Europäische Kommission ihre Verpflichtung, mit dem Europäischen Bürgerbeauftragten loyal zusammenzuarbeiten, dadurch verletzt hat, dass sie ihre Antwort auf den Empfehlungsentwurf um 15 Monate verzögerte und nicht ihrer Pflicht nachkam, Porsche über ihre Freigabeabsicht zu unterrichten, und dass dieses Verhalten der Kommission nicht nur dem interinstitutionellen Dialog, sondern auch dem öffentlichen Ansehen der EU schadet.

Im Verlauf seiner Untersuchung stellte der Europäische Bürgerbeauftragte einen Missstand in der Verwaltungstätigkeit fest und räumte der Kommission alle Möglichkeiten ein, diesen zu beheben. Das diesbezüglich unkooperative Verhalten der Kommission birgt die Gefahr, dass das Vertrauen der Bürger in die Kommission und die Fähigkeit des Europäischen Bürgerbeauftragten und des Europäischen Parlaments, die Kommission angemessen und wirksam zu kontrollieren, untergraben wird. Als solches läuft dieses Verhalten dem Rechtsstaatsprinzip zuwider, auf dem die Europäische Union basiert.

Darüber hinaus ist klar, dass die Kommission auf Anträge auf Zugang zu häufig zu spät antwortet. Sie verspätet sich in der Mehrzahl der Fälle zur Frage des Zugangs zu Dokumenten beträchtlich mit ihrer Antwort an den Bürgerbeauftragten, und in manchen Fällen sind die Verzögerungen sehr erheblich. Diese Situation schafft ein grundsätzliches Problem. Sie verhindert, dass den Bürgern einer der wesentlichen Vorteile, der von der Inanspruchnahme ihres Grundrechts auf Beschwerde beim Bürgerbeauftragten erwartet werden kann, vorenthalten wird, nämlich ein schnelleres Ergebnis, als es im Falle einer Klage vor Gericht möglich wäre.

Das Europäische Parlament fordert die Europäische Kommission daher auf, anzuerkennen, dass die übermäßigen Verzögerungen bei der Beantwortung der Ersuchen des Bürgerbeauftragten in diesem Fall eine Verletzung der Verpflichtung der Kommission zu loyaler Zusammenarbeit, wie sie im EUV vorgesehen ist, darstellen, und dass die Kommission sich gegenüber dem Europäischen Parlament verpflichtet, ihrer Verpflichtung zur loyalen Zusammenarbeit mit dem Europäischen Bürgerbeauftragten in der Zukunft nachzukommen. Sollte die Kommission diese Verpflichtung nicht abgeben und/oder ihr unkooperatives Verhalten gegenüber dem Bürgerbeauftragten beibehalten, kann das Parlament der Kommission Sanktionen auferlegen. Zu diesen Sanktionen kann unter anderem die Zurückhaltung eines Teils der für die Ausgaben der Verwaltung vorgesehenen Haushaltsmittel der Kommission gehören.

ERGEBNIS DER SCHLUSSABSTIMMUNG IM AUSSCHUSS

Datum der Annahme

25.10.2010

 

 

 

Ergebnis der Schlussabstimmung

+:

–:

0:

10

0

0

Zum Zeitpunkt der Schlussabstimmung anwesende Mitglieder

Margrete Auken, Victor Boştinaru, Pascale Gruny, Peter Jahr, Mariya Nedelcheva, Chrysoula Paliadeli, Nikolaos Salavrakos, Jarosław Leszek Wałęsa, Angelika Werthmann

Zum Zeitpunkt der Schlussabstimmung anwesende Stellvertreter(innen)

Axel Voss