BERICHT über den Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Verhütung und Bekämpfung von Menschenhandel und zum Opferschutz sowie zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2002/629/JI des Rates

2.11.2010 - (KOM(2010)0095 – C7‑0087/2010 – 2010/0065(COD)) - ***I

Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und InneresAusschuss für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter
Berichterstatterinnen: Edit Bauer, Anna Hedh
(Verfahren mit gemeinsamen Ausschusssitzungen - Artikel 51)


Verfahren : 2010/0065(COD)
Werdegang im Plenum
Entwicklungsstadium in Bezug auf das Dokument :  
A7-0348/2010
Eingereichte Texte :
A7-0348/2010
Angenommene Texte :

ENTWURF EINER LEGISLATIVEN ENTSCHLIESSUNG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS

zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Verhütung und Bekämpfung von Menschenhandel und zum Opferschutz sowie zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2002/629/JI des Rates

(KOM(2010)0095 – C7‑0087/2010 – 2010/0065(COD))

(Ordentliches Gesetzgebungsverfahren: erste Lesung)

Das Europäische Parlament,

–   in Kenntnis des Vorschlags der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat (KOM(2010)0095),

–   gestützt auf Artikel 294 Absatz 2 sowie auf Artikel 82 Absatz 2 und Artikel 83 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, auf deren Grundlage ihm der Vorschlag der Kommission unterbreitet wurde (C7-0087/2010),

–   gestützt auf Artikel 294 Absatz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union,

–   in Kenntnis der Beiträge der nationalen Parlamente zum Entwurf des Gesetzgebungsakts,

–   in Kenntnis der Stellungnahme des Rechtsausschusses zu der vorgeschlagenen Rechtsgrundlage,

–   nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses[1],

–   nach Anhörung des Ausschusses der Regionen,

–    unter Hinweis auf die im Schreiben vom 25. November 2010 vom Vertreter des Rates gemachte Zusage, den Standpunkt des Parlaments gemäß Artikel 294 Absatz 4 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union zu billigen,

–   gestützt auf die Artikel 55 und 37 seiner Geschäftsordnung,

–   in Kenntnis der gemeinsamen Überlegungen des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres sowie des Ausschusses für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter gemäß Artikel 51 der Geschäftsordnung,

–   in Kenntnis des Berichts des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres und des Ausschusses für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter (A7-0348/2010),

1.  legt den folgenden Standpunkt in erster Lesung fest;

2.  fordert die Kommission auf, es erneut zu befassen, falls sie beabsichtigt, diesen Vorschlag entscheidend zu ändern oder durch einen anderen Text zu ersetzen;

3.  beauftragt seinen Präsidenten, den Standpunkt des Parlaments dem Rat, der Kommission und den nationalen Parlamenten zu übermitteln.

STANDPUNKT DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS[2]*

IN ERSTER LESUNG

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RICHTLINIE DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES

zur Verhütung und Bekämpfung von Menschenhandel und zum Opferschutz anstelle des Rahmenbeschlusses 2002/629/JI

DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION –

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf Artikel 82 Absatz 2 und Artikel 83 Absatz 1,

auf Vorschlag der Europäischen Kommission,

nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses[3]

nach Anhörung des Ausschusses der Regionen,

nach Zuleitung des Entwurfs des Gesetzgebungsakts an die nationalen Parlamente,

gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren,

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)    Menschenhandel ist eine schwere Straftat, die häufig im Kontext der organisierten Kriminalität begangen wird und bei der es sich um einen schwerwiegenden Verstoß gegen die Grundrechte handelt, der in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausdrücklich verboten ist. Die Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels ist für die Union und die Mitgliedstaaten ein vorrangiges Ziel.

(1a)  Diese Richtlinie ist Teil globaler Maßnahmen zur Bekämpfung des Menschenhandels, die Maßnahmen in Zusammenarbeit mit Drittstaaten umfassen, wie dies in dem Dokument mit dem Titel: „Maßnahmenorientiertes Papier zur Stärkung der externen Dimension der Union in Bezug auf Maßnahmen zur Bekämpfung des Menschenhandels: Auf dem Weg zu globalen Maßnahmen der EU gegen den Menschenhandel festgehalten ist. In diesem Zusammenhang sollten in den Herkunfts- und Transferdrittstaaten der Opfer die Maßnahmen im Hinblick auf die Sensibilisierung, die Verringerung der Gefährdung, die Unterstützung und Betreuung der Opfer, die Bekämpfung der Ursachen des Menschenhandels sowie die Unterstützung der betroffenen Länder bei der Ausarbeitung angemessener Rechtsvorschriften zur Bekämpfung von Menschenhandel weitergeführt werden.

(1b)  Diese Richtlinie trägt dem Umstand Rechnung, dass Menschenhandel ein geschlechterspezifisches Phänomen ist und dass Frauen und Männer von Menschenhändlern oft zu unterschiedlichen Zwecken ausgebeutet werden. Aus diesem Grund sollten auch die Unterstützungs- und Betreuungsmaßnahmen, sofern angebracht, geschlechterspezifisch angelegt sein. Die Schub- und Sogfaktoren können je nach den betroffenen Sektoren unterschiedlich sein, wie Menschenhandel zum Zwecke der Sexindustrie oder zur Ausbeutung der Arbeitskraft zum Beispiel in der Bauindustrie, im Agrarsektor oder im häuslichen Bereich als Leibeigene.

(2)    Die Europäische Union hat sich der Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels sowie dem Schutz der Opfer von Menschenhandel verpflichtet. Daher wurden der Rahmenbeschluss 2002/629/JI des Rates vom 19. Juli 2002 zur Bekämpfung des Menschenhandels[4] und ein EU-Plan über bewährte Vorgehensweisen, Normen und Verfahren zur Bekämpfung und Verhütung des Menschenhandels[5] angenommen. Außerdem wird der Bekämpfung des Menschenhandels in dem vom Europäischen Rat angenommenen Stockholmer Programm eindeutig Priorität eingeräumt. Andere Maßnahmen sollten in Betracht gezogen werden, wie die Förderung der Entwicklung allgemeiner gemeinsamer Indikatoren der Union für die Ermittlung von Opfern von Menschenhandel durch den Austausch bewährter Verfahren zwischen allen einschlägigen Akteuren, insbesondere öffentlichen und privaten Sozialdiensten.

(2a)  Die Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten sollten weiter zusammenarbeiten, um die Bekämpfung des Menschenhandels zu stärken. In dieser Hinsicht ist eine enge grenzüberschreitende Zusammenarbeit, der Austausch von Informationen und der Austausch bewährter Verfahren sowie ein kontinuierlicher offener Dialog zwischen den Polizei-, Justiz- und Finanzbehörden der Mitgliedstaaten von wesentlicher Bedeutung. Die Koordinierung der Ermittlung und Verfolgung von Menschenhandelsdelikten sollte durch eine verstärkte Zusammenarbeit mit Europol und Eurojust, die Einsetzung gemeinsamer Ermittlungsgruppen sowie die Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2009/948/JI des Rates zur Vermeidung und Beilegung von Kompetenzkonflikten in Strafverfahren erleichtert werden[6].

(2b)  Die Mitgliedstaaten sollten Einrichtungen der Zivilgesellschaft, einschließlich anerkannter und in diesem Bereich tätiger Nichtregierungsorganisationen, die mit Opfern von Menschenhandel arbeiten, insbesondere bei Initiativen zur Politikgestaltung, Informations- und Sensibilisierungskampagnen, Forschungs- und Bildungsprogrammen, und zur Schulung sowie zur Überwachung und Bewertung der Wirkungen von Maßnahmen zur Bekämpfung des Menschenhandels, ermutigen und eng mit ihnen zusammenarbeiten.

(3)    Die vorliegende Richtlinie sieht ein integriertes ganzheitliches und menschenrechtsbasiertes Vorgehen bei der Bekämpfung des Menschenhandels vor, und bei der Umsetzung sollten die Richtlinie 2004/81/EG des Rates vom 29. April 2004 über die Erteilung von Aufenthaltstiteln für Drittstaatsangehörige, die Opfer des Menschenhandels sind oder denen Beihilfe zur illegalen Einwanderung geleistet wurde und die mit den zuständigen Behörden kooperieren[7] und die Richtlinie 2009/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über Mindeststandards für Sanktionen und Maßnahmen gegen Arbeitgeber, die Drittstaatsangehörige ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigen[8], berücksichtigt werden. Eine rigorosere Prävention und Strafverfolgung sowie der Schutz der Rechte der Opfer sind vorrangige Ziele der Richtlinie. Diese Richtlinie enthält auch ein kontextabhängiges Verständnis der unterschiedlichen Formen des Menschenhandels und bezweckt, dass jede Form mit den effizientesten Mitteln bekämpft wird.

(3a)  Kinder sind aufgrund ihrer größeren Schutzbedürftigkeit stärker gefährdet, Opfer von Menschenhandel zu werden. Bei der Anwendung der Bestimmungen der Richtlinie muss das Wohl des Kindes entsprechend der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und dem UN-Übereinkommen über die Rechte des Kindes von 1989 eine vorrangige Erwägung sein.

(4)    Das Protokoll der Vereinten Nationen von 2000 zur Verhütung, Bekämpfung und Bestrafung des Menschenhandels, insbesondere des Frauen- und Kinderhandels, zum Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität und das Übereinkommen des Europarats von 2005 zur Bekämpfung des Menschenhandels haben die internationale Zusammenarbeit im Kampf gegen den Menschenhandel entscheidend vorangebracht. Das Übereinkommen des Europarats sieht einen Bewertungsmechanismus vor, der aus der Expertengruppe für die Bekämpfung des Menschenhandels (GRETA) und dem Ausschuss der Vertragsparteien besteht. Die Koordinierung zwischen den internationalen Organisationen mit Zuständigkeit für Maßnahmen zur Bekämpfung des Menschenhandels sollte unterstützt werden, um Doppelarbeit zu vermeiden.

(4a)  Diese Richtlinie gilt unbeschadet des Grundsatzes der Nichtzurückweisung gemäß dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (Genfer Abkommen) und steht im Einklang mit Artikel 4 und Artikel 19 Absatz 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union.

(5)    Damit jüngsten Entwicklungen des Menschenhandels Rechnung getragen wird, ist in dieser Richtlinie das Konzept dafür, was unter Menschenhandel zu verstehen ist, weiter gefasst als im Rahmenbeschluss 2002/629/JI des Rates; die Richtlinie erfasst daher zusätzliche Formen der Ausbeutung. Im Rahmen der Richtlinie sind Betteltätigkeiten als eine Form der Zwangsarbeit oder der erzwungenen Dienstleistung im Sinne des Übereinkommens Nr. 29 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) von 1930 über Zwangs- oder Pflichtarbeit zu verstehen. Die Ausbeutung für Betteltätigkeiten, wozu auch der Einsatz abhängiger Opfer des Menschenhandels als Bettler gehört, erfüllt daher nur dann die Definition von Menschenhandel, wenn alle Merkmale der Zwangsarbeit oder der erzwungenen Dienstleistung vorhanden sind. Vor dem Hintergrund der einschlägigen Rechtsprechung sollte die Gültigkeit einer möglichen Zustimmung zur Leistung eines solchen Dienstes in jedem Einzelfall geprüft werden. Geht es jedoch um ein Kind, so sollte die mögliche Zustimmung in keinem Fall als gültig betrachtet werden. Der Ausdruck „Ausnutzung strafbarer Handlungen“ sollte als Ausnutzung einer Person zur Begehung unter anderem von Taschendiebstahl, Ladendiebstahl, Drogenhandel und sonstigen ähnlichen Handlungen verstanden werden, die unter Strafe stehen und der Erzielung eines finanziellen Gewinns dienen. Die Definition umfasst auch den Menschenhandel zum Zwecke der Organentnahme, der ▌eine schwere Verletzung der Menschenwürde und körperlichen Unversehrtheit darstellt, sowie beispielsweise andere Verhaltensweisen wie illegale Adoption oder Zwangsehe, soweit diese die Tatbestandsmerkmale des Menschenhandels erfüllen.

(6)    An der Höhe der Strafen in dieser Richtlinie lässt sich die zunehmende Sorge der Mitgliedstaaten angesichts der Entwicklung des Menschenhandels erkennen. Aus diesem Grund liegen dieser Richtlinie die Schlussfolgerungen des Rates vom 24./25. April 2002 über einen Ansatz zur Angleichung der Strafen, Niveaus 3 und 4, zugrunde. Ist das Opfer der Straftat beispielsweise besonders schutzwürdig und wurde die Straftat unter bestimmten Umständen begangen, sollte eine strengere Strafe verhängt werden. Im Kontext dieser Richtlinie sollten besonders schutzbedürftige Personen zumindest alle Kinder ▌umfassen. Andere Faktoren, die bei der Beurteilung der Schutzbedürftigkeit eines Opfers berücksichtigt werden können, sind beispielsweise Geschlecht, Schwangerschaft, Gesundheitszustand und Behinderungen. Wenn es sich um eine besonders schwere Straftat handelt, beispielsweise wenn das Leben des Opfers gefährdet wurde oder die Straftat unter Anwendung schwerer Gewalt wie Folter, erzwungener Drogen-/Arzeimittelkonsum, Vergewaltigung oder anderer schwerwiegender Formen der psychischen, körperlichen oder sexuellen Gewalt begangen wurde oder dem Opfer auf sonstige Weise ein besonders schwerer Schaden zugefügt wurde, sollte sich dies in einer besonders strengen Strafe niederschlagen. Wird nach dieser Richtlinie auf die Übergabe verwiesen, so sollte dieser Verweis im Einklang mit dem Rahmenbeschluss 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten[9] ausgelegt werden. Die Schwere der begangenen Straftat kann im Rahmen der Urteilsvollstreckung berücksichtigt werden.

(6a)  Bei der Bekämpfung des Menschenhandels sollte von den bestehenden Rechtsinstrumenten zur Beschlagnahme und Einziehung von Erträgen aus Straftaten in vollem Umfang Gebrauch gemacht werden, wie dem Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität und den dazugehörigen Zusatzprotokollen, dem Übereinkommen des Europarates von 1990 über Geldwäsche sowie Ermittlung, Beschlagnahme und Einziehung von Erträgen aus Straftaten, dem Rahmenbeschluss des Rates 2001/500/JI vom 26. Juni 2001 über Geldwäsche sowie Ermittlung, Einfrieren, Beschlagnahme und Einziehung von Tatwerkzeugen und Erträgen aus Straftaten[10] sowie dem Rahmenbeschluss des Rates 2005/212/JI vom 24. Februar 2005 über die Einziehung von Erträgen, Tatwerkzeugen und Vermögensgegenständen aus Straftaten[11]. Die Verwendung beschlagnahmter und eingezogener Tatwerkzeuge und Erträge aus den in dieser Richtlinie genannten Straftaten zur Unterstützung und zum Schutz der Opfer, einschließlich der Entschädigung der Opfer und grenzüberschreitender Strafverfolgungsmaßnahmen der Union zur Bekämpfung des Menschenhandels, sollte gefördert werden.

(7)    Die Opfer von Menschenhandel sollten im Einklang mit den Grundprinzipien der Rechtsordnung der betreffenden Mitgliedstaaten vor strafrechtlicher Verfolgung oder Bestrafung wegen strafbarer Handlungen wie der Verwendung falscher Dokumente oder Verstößen gegen die Prostitutions- oder Einwanderungsgesetze geschützt werden, zu denen sie als unmittelbare Folge dessen gezwungen wurden, dass sie dem Menschenhandel ausgesetzt waren. Mit diesem Schutz wird das Ziel verfolgt, die Menschenrechte der Opfer zu schützen, ihre weitere Viktimisierung zu vermeiden und sie dazu zu ermutigen, in Strafverfahren als Zeugen gegen die Täter auszusagen. Dieser Schutz sollte eine strafrechtliche Verfolgung oder Bestrafung wegen Straftaten nicht ausschließen, die eine Person absichtlich begangen hat oder an denen sie absichtlich teilgenommen hat.

(8)    Damit die Ermittlung und die Strafverfolgung von Menschenhandelsdelikten erfolgreich durchgeführt werden können, sollte deren Einleitung grundsätzlich nicht von der Anzeige oder Anklage durch das Opfer abhängig gemacht werden. Straftaten des Menschenhandels sollten, soweit dies aufgrund ihrer Art erforderlich ist, während eines hinlänglich langen Zeitraums nach Erreichen der Volljährigkeit durch das Opfer verfolgt werden können. Die Dauer des hinlänglich langen Zeitraums für die Verfolgung sollte jeweils nach dem nationalen Recht bestimmt werden. Strafverfolgungsbeamte und Staatsanwälte sollten Schulungen erhalten, die auch zu einer besseren internationalen Zusammenarbeit der Strafverfolgungs- und Justizbehörden beitragen sollten. Den für strafrechtliche Ermittlungen oder die Strafverfolgung zuständigen Stellen sollten die Ermittlungsinstrumente zur Verfügung gestellt werden, die bei der Bekämpfung organisierter Kriminalität oder sonstiger schwerer Kriminalität verwendet werden ▌; zu solchen Instrumenten können unter anderem die Überwachung des Telekommunikationsverkehrs, die verdeckte Überwachung einschließlich elektronischer Überwachung, die Überwachung von Kontobewegungen oder sonstige Finanzermittlungen gehören.

(9)    Zur Gewährleistung einer effizienten Strafverfolgung international organisierter krimineller Gruppen, deren kriminelle Aktivitäten schwerpunktmäßig in einem Mitgliedstaat liegen und die Menschenhandel in Drittstaaten betreiben, sollte der betreffende Mitgliedstaat seine gerichtliche Zuständigkeit in Bezug auf Menschenhandelsdelikte begründen, bei denen der Täter die Staatsangehörigkeit dieses Mitgliedstaats besitzt ▌ und die Straftat außerhalb des Hoheitsgebiets des Mitgliedstaats begangen wird. Ähnlich kann die gerichtliche Zuständigkeit in Bezug auf Straftaten begründet werden, bei denen der Täter seinen gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Mitgliedstaat hat, das Opfer die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt oder seinen gewöhnlichen Wohnsitz in dessen Hoheitsgebiet hat oder die Straftat zugunsten einer im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats ansässigen juristischen Person außerhalb des Hoheitsgebiets des Mitgliedstaats begangen wird.

(10)  Während die Richtlinie 2004/81/EG ▌die Erteilung von Aufenthaltstiteln für Drittstaatsangehörige, die Opfer von Menschenhandel sind, vorsieht, und die Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über die Ausübung des Rechts der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten[12], die Ausübung des Rechts der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, einschließlich des Schutzes vor Ausweisung, regelt, legt diese Richtlinie spezifische Schutzmaßnahmen für die Opfer von Menschenhandel fest. Diese Richtlinie geht daher nicht auf die Bedingungen für ihren Aufenthalt im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten ein.

(11)  Die Opfer von Menschenhandel müssen in der Lage sein, ihre Rechte in Anspruch zu nehmen. Daher sollte den Opfern vor, während und für einen angemessenen Zeitraum nach dem Strafverfahren Unterstützung und Betreuung zuteil werden. Die Mitgliedstaaten sollten Ressourcen für die Unterstützung, die Betreuung und den Schutz der Opfer bereitstellen. Die den Opfern gewährte Unterstützung und Betreuung sollte ein Mindestpaket von Maßnahmen umfassen, die notwendig sind, damit das Opfer sich erholen und dem Einfluss der Menschenhändler entziehen kann. Bei der praktischen Umsetzung dieser Maßnahmen sollte auf der Grundlage einer gemäß den nationalen Verfahren durchgeführten Einzelbewertung den Bedingungen, dem kulturellen Hintergrund und den Bedürfnissen der betreffenden Person Rechnung getragen werden. Einer Person sollte Unterstützung und Betreuung zuteil werden, sobald berechtigter Grund zu der Annahme besteht, dass sie möglicherweise dem Menschenhandel ausgesetzt war, unabhängig davon, ob sie bereit ist, als Zeuge aufzutreten. In Fällen, in denen das Opfer sich nicht rechtmäßig in dem betreffenden Mitgliedstaat aufhält, sollten die Unterstützung und Betreuung ohne Vorbedingung zumindest während der Bedenkzeit gewährt werden ▌. Falls das Opfer nach Abschluss der Identifizierung oder nach Ablauf der Bedenkzeit nicht für einen Aufenthaltstitel in Frage kommt und auch ansonsten keinen rechtmäßigen Aufenthalt in dem betreffenden Mitgliedstaat hat oder falls das Opfer das Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats verlassen hat, ist der betreffende Mitgliedstaat nicht verpflichtet, dieser Person auf der Grundlage dieser Richtlinie weiterhin Unterstützung und Betreuung zu gewähren. Erforderlichenfalls sollten in Anbetracht der Umstände wie etwa des Umstands, dass das Opfer zur Zeit wegen der ernsten körperlichen oder psychischen Folgen der Straftat medizinisch behandelt wird oder dass seine Sicherheit aufgrund seiner Aussagen im Strafverfahren gefährdet ist, die Unterstützung und Betreuung für einen angemessenen Zeitraum nach dem Strafverfahren fortgesetzt werden.

(12)  Mit dem Rahmenbeschluss 2001/220/JI des Rates vom 15. März 2001 über die Stellung des Opfers im Strafverfahren[13] sind eine Reihe von Opferrechten im Strafverfahren, einschließlich des Rechtes auf Schutz und Entschädigung, festgelegt worden. Darüber hinaus sollten Opfer des Menschenhandels unverzüglich Zugang zu Rechtsberatung sowie – im Einklang mit der Stellung des Opfers in der betreffenden Rechtsordnung – zu rechtlicher Vertretung, auch zum Zweck der Beantragung einer Entschädigung, erhalten. Ein solcher rechtlicher Beistand könnte auch von den zuständigen Behörden zum Zweck der Beantragung einer Entschädigung seitens des Staates bereitgestellt werden. Zweck der Rechtsberatung ist es, den Opfern zu ermöglichen, sich über die verschiedenen ihnen offenstehenden Möglichkeiten informieren und beraten zu lassen. Rechtsberatung sollte von Personen geleistet werden, die eine angemessene rechtliche Ausbildung erhalten haben, ohne dass sie unbedingt Rechtsanwalt sein müssen. Die Rechtsberatung sowie – im Einklang mit der Stellung des Opfers in der betreffenden Rechtsordnung – die rechtliche Vertretung sollten zumindest dann, wenn das Opfer nicht über ausreichende Mittel verfügt, unentgeltlich und in einer Weise zur Verfügung gestellt werden, die mit den internen Verfahren der Mitgliedstaaten im Einklang steht. Da insbesondere Opfer im Kindesalter wahrscheinlich über keine solchen finanziellen Mittel verfügen, würden für sie die Rechtsberatung und rechtliche Vertretung praktisch unentgeltlich erfolgen. Darüber hinaus sollten die Opfer auf der Grundlage einer gemäß den nationalen Verfahren durchgeführten individuellen Risikobewertung vor Vergeltung, Einschüchterung und der Gefahr, erneut Opfer von Menschenhandel zu werden, geschützt werden.

(13)  Opfer von Menschenhandel, die die Folgen von Missbrauch und erniedrigender Behandlung wie sexuelle Ausbeutung, sexueller Missbrauch, Vergewaltigung, sklavereiähnliche Praktiken oder die Organentnahme, die gewöhnlich mit der Straftat des Menschenhandels einhergehen, zu tragen haben, sollten vor sekundärer Viktimisierung und einem weiteren Trauma während des Strafverfahrens geschützt werden. Unnötige Wiederholungen von Vernehmungen während der Ermittlungen, der Strafverfolgung und des Gerichtsverfahrens sollten vermieden werden, indem beispielsweise, sofern angebracht, Videoaufzeichnungen dieser Vernehmungen in einer möglichst frühen Stufe des Verfahrens angefertigt werden. Opfer von Menschenhandel sollten daher während der strafrechtlichen Ermittlungen und Verfahren eine geeignete Betreuung erhalten, bei der jeweils ihre individuellen Bedürfnisse zugrunde gelegt werden. Bei der individuellen Bedarfseinschätzung sollten Umstände wie das Alter, eine Schwangerschaft, der Gesundheitszustand, eine Behinderung oder sonstige persönliche Gegebenheiten sowie die körperlichen und psychischen Folgen der strafbaren Handlung, der das Opfer ausgesetzt war, berücksichtigt werden. Ob und wie die Behandlung erfolgt, ist von Fall zu Fall im Einklang mit den nationalen Rechtsvorschriften und dem Ermessensspielraum, den Gepflogenheiten oder Leitlinien der Gerichte zu entscheiden.

(13a) Unterstützungs- und Betreuungsmaßnahmen sollten auf der Grundlage bereitgestellt werden, dass die Opfer über die Maßnahmen aufgeklärt wurden und ihr Einverständnis dazu gegeben haben. Die Opfer sollten daher über wichtige Aspekte dieser Maßnahmen informiert werden; diese sollten den Opfern nicht aufgezwungen werden. Weist ein Opfer die Unterstützungs- oder Betreuungsmaßnahmen zurück, so sollten die zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaats deshalb nicht verpflichtet sein, alternative Maßnahmen für das Opfer bereitzustellen.

(14)  Jeder Mitgliedstaat sollte dafür Sorge tragen, dass neben den für alle Opfer von Menschenhandel vorgesehenen Maßnahmen besondere Hilfs-, Betreuungs- und Schutzmaßnahmen für Opfer im Kindesalter zur Verfügung stehen. Diese Maßnahmen sollten dem Wohl des Kindes Rechnung tragen und im Einklang mit dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes stehen. Kann das Alter einer dem Menschenhandel ausgesetzten Person nicht festgestellt werden und besteht Grund zu der Annahme, dass diese Person unter 18 Jahre alt ist, so sollte sie als Kind eingestuft werden und unmittelbar Unterstützung, Betreuung und Schutz erhalten. Die Unterstützungs- und Betreuungsmaßnahmen für Opfer im Kindesalter sollten auf deren körperliche und psychisch-soziale Rehabilitation und auf eine dauerhafte Lösung für die betreffende Person abzielen. ▌Zugang zur Bildung würde Kindern helfen, wieder in die Gesellschaft integriert zu werden. Angesichts der besonderen Gefährdung von Kindern, die Opfer von Menschenhandel sind, sollten für sie zusätzliche Schutzmaßnahmen zur Verfügung stehen, um sie bei Vernehmungen im Laufe strafrechtlicher Ermittlungen und Verfahren zu schützen.

(14a) Besondere Aufmerksamkeit sollte unbegleiteten Kindern, die Opfer von Menschenhandel sind, gelten, da sie aufgrund ihrer besonderen Schutzbedürftigkeit spezifischer Unterstützung und Betreuung bedürfen. Ab dem Zeitpunkt der Identifizierung eines unbegleiteten Kindes, das Opfer von Menschenhandel ist, sollten die Mitgliedstaaten so lange für die Bedürfnisse solcher Kinder geeignete Aufnahmemaßnahmen anwenden und dafür sorgen, dass die einschlägigen Verfahrensgarantien Anwendung finden, bis eine dauerhafte Lösung gefunden ist. Es sollten die notwendigen Maßnahmen getroffen werden, um gegebenenfalls sicherzustellen, dass ein Vormund und/oder ein Vertreter bestellt werden, um das Wohl des Minderjährigen zu schützen. Eine Entscheidung über die Zukunft jedes einzelnen unbegleiteten Kindes, das Opfer ist, sollte innerhalb kürzestmöglicher Zeit getroffen werden, damit dauerhafte Lösungen gefunden werden, die auf einer individuellen Bewertung des Wohls des Kindes, welches eine vorrangige Erwägung sein sollte, beruhen. Eine dauerhafte Lösung könnte in der Rückkehr und Wiedereingliederung in das Herkunftsland oder das Rückkehrland, in der Integration in die Aufnahmegesellschaft, in der Gewährung des internationalen Schutzstatus oder der Gewährung eines sonstigen Status nach dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten bestehen.

(14b) Wenn gemäß dieser Richtlinie ein Vormund und/oder ein Vertreter für das Kind benannt werden, können diese Rollen von derselben Person oder von einer juristischen Person, einer Einrichtung oder einer Behörde wahrgenommen werden.

(15)  Jeder Mitgliedstaat sollte Verfahren zur Verhütung von Menschenhandel einführen und/oder stärken, einschließlich Maßnahmen, um der Nachfrage, die jegliche Form von Ausbeutung begünstigt, entgegenzuwirken und diese zu reduzieren; des weiteren sollten Forschungs- (einschließlich der Erforschung neuer Formen des Menschenhandels), Aufklärungs-, Sensibilisierungs- und Schulungsmaßnahmen ergriffen werden, um die Gefahr, dass Menschen Opfer von Menschenhandel werden, zu verringern. Bei solchen Initiativen sollte jeder Mitgliedstaat der Geschlechterproblematik und den Rechten des Kindes Rechnung tragen. Beamte, bei denen die Wahrscheinlichkeit besteht, dass sie mit Opfern oder potenziellen Opfern in Kontakt kommen werden, sollten Schulungen erhalten, damit sie wissen, wie Opfer und potenzielle Opfer von Menschenhandel zu erkennen sind und wie mit ihnen umzugehen ist. Diese vorgeschriebenen Schulungen sollten speziell für die Mitglieder der folgenden verschiedenen Kategorien vorgesehen werden, wenn die Wahrscheinlichkeit besteht, dass sie mit Opfern in Berührung kommen: Polizei- und Grenzschutzbeamte, Einwanderungsbeamte, Staatsanwälte, Rechtsanwälte, Mitglieder der Justiz und Justizbedienstete, Arbeitsaufsichtsbeamte, Fachkräfte im Sozialbereich, in der Kinderbetreuung und im Gesundheitswesen sowie Konsularbedienstete ▌könnten aber je nach den örtlichen Umständen auch für andere Gruppen von Beamten, bei denen die Wahrscheinlichkeit besteht, dass sie im Rahmen ihrer Arbeit mit Menschenhandelsopfern zu tun haben werden, durchgeführt werden.

(16)  Die Richtlinie 2009/52/EG ▌sieht Strafen für Personen vor, die Drittstaatsangehörige ohne legalen Aufenthalt beschäftigen, die zwar nicht des Menschenhandels beschuldigt und nicht dafür verurteilt wurden, die aber erbrachte Arbeiten oder Dienste nutzen, obwohl sie wissen, dass der Betreffende Opfer von Menschenhandel ist. Auch die Mitgliedstaaten sollten die Möglichkeit in Betracht ziehen, Sanktionen gegen Personen zu verhängen, die erbrachte Dienste nutzen, obwohl sie wissen, dass der Betreffende Opfer von Menschenhandel ist. Diese weitergehende strafrechtliche Verfolgung könnte sich auch auf Personen erstrecken, die Drittstaatsangehörige mit legalem Aufenthalt und Unionsbürger beschäftigen, sowie auf Personen, die sexuelle Dienstleistungen von einem Opfer von Menschenhandel, ungeachtet der Staatsangehörigkeit, erwerben.

(17)  Nationale Kontrollsysteme wie nationale Berichterstatter oder gleichwertige Mechanismen sollten von den Mitgliedstaaten in der ihnen nach ihrer internen Organisation geeignet erscheinenden Weise und unter Berücksichtigung des Erfordernisses einer Mindeststruktur mit festgelegten Aufgaben eingeführt werden, um Tendenzen im Menschenhandel zu bewerten, statistische Daten zu sammeln, die Ergebnisse der Maßnahmen zur Bekämpfung des Menschenhandels zu beurteilen und ▌ regelmäßig Berichte zu verfassen. Solche nationalen Berichterstatter oder gleichwertigen Mechanismen sind bereits in einem informellen Unionsnetz zusammengeschlossen, das mit den Schlussfolgerungen des Rates vom 4. Juni 2009 eingerichtet wurde. Ein Koordinator für die Bekämpfung des Menschenhandels würde an den Arbeiten dieses Netzes teilnehmen, das die Union und die Mitgliedstaaten mit objektiven, verlässlichen, vergleichbaren und aktuellen strategischen Informationen zum Menschenhandel versorgt und Erfahrungen und bewährte Verfahren im Bereich der Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels auf Unionsebene austauscht. Das Europäische Parlament sollte berechtigt sein, an den gemeinsamen Tätigkeiten der nationalen Berichterstatter oder der gleichwertigen Mechanismen mitzuwirken.

(17a) Zur Bewertung der Ergebnisse der Maßnahmen zur Bekämpfung des Menschenhandels sollte die Union weiter an der Methodik und den Datenerhebungsmethoden im Hinblick auf die Erstellung vergleichbarer Statistiken arbeiten.

(17b)   Angesichts des Programms von Stockholm sowie im Hinblick auf die Entwicklung einer konsolidierten Strategie der Union zur Bekämpfung des Menschenhandels, die darauf abzielt, das Engagement und die Anstrengungen der Union und der Mitgliedstaaten zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels weiter zu verstärken, sollten die Mitgliedstaaten die Aufgaben eines Koordinators für die Bekämpfung des Menschenhandels erleichtern; zu diesen Aufgaben können beispielsweise die Verbesserung der Koordinierung und Kohärenz (wobei Doppelarbeit zu vermeiden ist) zwischen den Organen und Stellen der Union sowie zwischen den Mitgliedstaaten und internationalen Akteuren, ein Beitrag zur Ausgestaltung bestehender oder neuer Maßnahmen und Strategien der Union, die für die Bekämpfung des Menschenhandels von Belang sind, oder die Berichterstattung an die Organe der EU gehören.

(17c) Mit dieser Richtlinie sollen die Bestimmungen des Rahmenbeschlusses 2002/629/JI des Rates vom 19. Juni 2002 zur Bekämpfung des Menschenhandels[14] abgeändert und ausgeweitet werden. Da die vorzunehmenden Änderungen sowohl was ihre Zahl als auch was den Inhalt betrifft, erheblich sind, ist der Rahmenbeschluss aus Gründen der Klarheit vollständig zu ersetzen.

(18)  Nach Nummer 34 der Interinstitutionellen Vereinbarung über bessere Rechtsetzung sind die Mitgliedstaaten aufgefordert, für ihre eigenen Zwecke und im Interesse der Union eigene Tabellen aufzustellen, aus denen im Rahmen des Möglichen die Entsprechungen zwischen dieser Richtlinie und ihren Umsetzungsmaßnahmen zu entnehmen sind, und diese zu veröffentlichen.

(19)  Da das Ziel dieser Richtlinie, nämlich die Bekämpfung des Menschenhandels, von den Mitgliedstaaten allein nicht ausreichend verwirklicht werden kann und daher wegen des Umfangs und der Wirkungen der Maßnahmen besser auf Unionsebene zu erreichen ist, kann die Union gemäß dem Subsidiaritätsprinzip nach ▌Artikel 5 des Vertrags über die Europäische Union tätig werden. Entsprechend dem in diesem Artikel genannten Verhältnismäßigkeitsprinzip geht diese Richtlinie nicht über das für die Erreichung dieses Ziels erforderliche Maß hinaus.

(20)  Diese Richtlinie steht im Einklang mit den Grundrechten und Grundsätzen, die insbesondere mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannt wurden; dazu gehören vor allem die Achtung der Würde des Menschen, das Verbot der Sklaverei, der Zwangsarbeit und des Menschenhandels, das Verbot der Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe, die Rechte des Kindes, das Recht auf Freiheit und Sicherheit, die Freiheit der Meinungsäußerung und die Informationsfreiheit, der Schutz personenbezogener Daten, das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht sowie die Grundsätze der Gesetzmäßigkeit und der Verhältnismäßigkeit im Zusammenhang mit Straftaten und Strafen. Diese Richtlinie, die insbesondere darauf abzielt, die uneingeschränkte Wahrung dieser Rechte und Grundsätze zu gewährleisten, ist entsprechend umzusetzen.

(21) Gemäß Artikel 3 des dem Vertrag über die Europäische Union und dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union beigefügten Protokolls (Nr. 21) über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands hinsichtlich des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts hat ▌Irland mitgeteilt, dass es sich an der Annahme und Anwendung dieser Richtlinie beteiligen will.

(22)  Gemäß den Artikeln 1 und 2 des dem Vertrag über die Europäische Union und dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union beigefügten Protokolls (Nr. 21) über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands hinsichtlich des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts beteiligt sich das Vereinigte Königreich unbeschadet des Artikels 4 dieses Protokolls nicht an der Annahme dieser Richtlinie, die für es nicht bindend oder anwendbar ist.

(23)  Gemäß den Artikeln 1 und 2 des dem Vertrag über die Europäische Union und dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union beigefügten Protokolls (Nr. 22) über die Position Dänemarks beteiligt sich Dänemark nicht an der Annahme dieser Richtlinie, die somit für Dänemark weder bindend noch anwendbar ist -

HABEN FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:

Artikel 1

Gegenstand

Mit dieser Richtlinie werden Mindestvorschriften zur Definition von Straftaten und Strafen im Bereich Menschenhandel festgelegt. Des Weiteren werden gemeinsame Bestimmungen zur Stärkung der Prävention und des Opferschutzes unter Berücksichtigung der Geschlechterperspektive eingeführt.

Artikel 2

Straftaten im Zusammenhang mit Menschenhandel

1.      Jeder Mitgliedstaat trifft die erforderlichen Maßnahmen, damit die nachstehenden vorsätzlich begangenen Handlungen unter Strafe gestellt werden:

Die Anwerbung, Beförderung, Verbringung, Beherbergung und Aufnahme von Personen, einschließlich der Übergabe und Übernehme der Kontrolle über diese Personen, durch die Androhung oder Anwendung von Gewalt oder anderen Formen der Nötigung, durch Entführung, Betrug, Täuschung, Missbrauch von Macht oder Ausnutzung besonderer Hilflosigkeit oder durch Gewährung oder Entgegennahme von Zahlungen oder Vorteilen zur Erlangung des Einverständnisses einer Person, die Gewalt über eine andere Person hat, zum Zwecke der Ausbeutung.

2.      Eine besondere Schutzbedürftigkeit liegt vor, wenn die betreffende Person keine wirkliche oder für sie annehmbare andere Möglichkeit hat, als sich dem Missbrauch zu beugen.

3.      Ausbeutung umfasst mindestens die Ausnutzung der Prostitution anderer oder andere Formen sexueller Ausbeutung, Zwangsarbeit oder erzwungene Dienstleistungen, einschließlich Betteltätigkeiten, Sklaverei oder sklavereiähnliche Praktiken, Leibeigenschaft oder die Ausnutzung strafbarer Handlungen oder die Organentnahme.

4.      Das Einverständnis eines Opfers von Menschenhandel zur beabsichtigten oder tatsächlich vorliegenden Ausbeutung ist unerheblich, wenn eine der in Absatz 1 aufgeführten Voraussetzungen gegeben ist.

5.      Betrifft die Handlung nach Absatz 1 ein Kind, so ist sie auch dann als Menschenhandel unter Strafe zu stellen, wenn keine der in Absatz 1 aufgeführten Voraussetzungen gegeben ist.

6.      Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Begriff „Kind“ Personen im Alter von unter 18 Jahren.

Artikel 3

Anstiftung, Beihilfe und Versuch

Jeder Mitgliedstaat trifft die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die Anstiftung oder Beihilfe zur Begehung einer Straftat nach Artikel 2 sowie die versuchte Begehung einer Straftat nach Artikel 2 unter Strafe gestellt werden.

Artikel 4

Strafen

1.      Jeder Mitgliedstaat trifft die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass eine Straftat nach Artikel 2 mit einer Freiheitsstrafe im Höchstmaß von mindestens fünf Jahren bedroht ist.

2.      Jeder Mitgliedstaat trifft die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass eine Straftat nach Artikel 2 mit einer Freiheitsstrafe im Höchstmaß von mindestens zehn Jahren bedroht ist, wenn sie unter einem der folgenden Umstände begangen wurde:

a)      ▌

Opfer der Straftat wurde eine Person, die besonders schutzbedürftig war; dazu gehören im Kontext dieser Richtlinie zumindest alle Opfer im Kindesalter ▌.

b)      Die Straftat wurde im Rahmen einer kriminellen Vereinigung im Sinne des Rahmenbeschlusses 2008/841/JI[15] des Rates vom 24. Oktober 2008 zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität begangen.

c)      Durch die Straftat wurde das Leben des Opfers vorsätzlich oder grob fahrlässig gefährdet.

d)      Die Straftat wurde unter Anwendung schwerer Gewalt begangen oder dem Opfer wurde durch die Straftat ein besonders schwerer Schaden zugefügt.

3.      Jeder Mitgliedstaat trifft die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass es als erschwerender Umstand gilt, wenn eine Straftat nach Artikel 2 von einem öffentlichen Bediensteten in Ausübung seines Amtes begangen wurde.

4.      Jeder Mitgliedstaat trifft die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass Straftaten nach Artikel 3 mit wirksamen, angemessenen und abschreckenden Strafen bedroht sind, die mit einer Übergabe verbunden sein können.

Artikel 5

Verantwortlichkeit juristischer Personen

1.      Jeder Mitgliedstaat trifft die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass eine juristische Person für eine Straftat nach den Artikeln 2 und 3 verantwortlich gemacht werden kann, die zu ihren Gunsten von einer Person begangen wurde, die entweder allein oder als Teil eines Organs der juristischen Person gehandelt hat und die eine Führungsposition innerhalb der juristischen Person innehat aufgrund

a)    der Befugnis zur Vertretung der juristischen Person oder

b)    der Befugnis, Entscheidungen im Namen der juristischen Person zu treffen, oder

c)    einer Kontrollbefugnis innerhalb der juristischen Person.

2.      Die Mitgliedstaaten stellen außerdem sicher, dass eine juristische Person verantwortlich gemacht werden kann, wenn mangelnde Überwachung oder Kontrolle seitens einer Person gemäß Absatz 1 die Begehung von Straftaten nach den Artikeln 2 und 3 zugunsten der juristischen Person durch eine ihr unterstellte Person ermöglicht hat.

3.      Die Verantwortlichkeit einer juristischen Person nach den Absätzen 1 und 2 schließt die strafrechtliche Verfolgung natürlicher Personen als Täter, Anstifter oder Gehilfen bei Straftaten nach den Artikeln 2 und 3 nicht aus.

4.      Für die Zwecke dieser Richtlinie bezeichnet der Begriff „juristische Person“ jedes Rechtssubjekt, das nach dem jeweils geltenden Recht Rechtspersönlichkeit besitzt, mit Ausnahme von Staaten oder sonstigen Körperschaften des öffentlichen Rechts in der Ausübung ihrer hoheitlichen Rechte und von öffentlich-rechtlichen internationalen Organisationen.

Artikel 6

Sanktionen gegen juristische Personen

Jeder Mitgliedstaat trifft die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass gegen eine im Sinne des Artikels 5 Absätze 1 und 2 verantwortliche juristische Person wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen verhängt werden können, zu denen Geldbußen oder Geldstrafen gehören und zu denen andere Sanktionen gehören können, beispielsweise:

a)      Ausschluss von öffentlichen Zuwendungen oder Hilfen

b)      vorübergehendes oder ständiges Verbot der Ausübung einer Handelstätigkeit

c)      richterliche Aufsicht

d)      richterlich angeordnete Auflösung

e)      vorübergehende oder endgültige Schließung von Einrichtungen, die zur Begehung der Straftat genutzt wurden.

Artikel 6a

Beschlagnahme und Einziehung

Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass ihre zuständigen Behörden berechtigt sind, die Tatwerkzeuge und Erträge aus Straftaten im Sinne dieser Richtlinie zu beschlagnahmen und einzuziehen.

Artikel 7

Verzicht auf Strafverfolgung oder Straffreiheit der Opfer

Jeder Mitgliedstaat trifft im Einklang mit den Grundsätzen seines Rechtssystems die Maßnahmen, die erforderlich sind, um den zuständigen nationalen Behörden die Befugnis zu verleihen, Opfer von Menschenhandel wegen ihrer Beteiligung an strafbaren Handlungen, zu der sie sich als unmittelbare Folge davon, dass sie Straftaten im Sinne des Artikels 2 ausgesetzt waren, gezwungen sahen, nicht strafrechtlich zu verfolgen oder zu bestrafen.

Artikel 8

Ermittlung und Strafverfolgung

1.      Jeder Mitgliedstaat stellt sicher, dass strafrechtliche Ermittlungen oder die Strafverfolgung in Bezug auf Straftaten nach den Artikeln 2 und 3 nicht von der Anzeige oder Anklage durch das Opfer abhängig gemacht werden und dass das Strafverfahren auch dann fortgesetzt werden kann, wenn das Opfer seine Aussage zurückgezogen hat.

2.      Jeder Mitgliedstaat trifft die erforderlichen Maßnahmen, damit Straftaten nach den Artikeln 2 und 3, bei denen dies in Anbetracht ihrer Art erforderlich ist, während eines hinlänglich langen Zeitraums, nachdem das Opfer die Volljährigkeit erreicht hat, strafrechtlich verfolgt werden können.

3.      Jeder Mitgliedstaat trifft die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die für strafrechtliche Ermittlungen oder die Strafverfolgung in Bezug auf die Straftaten nach den Artikeln 2 und 3 zuständigen Personen, Stellen oder Dienste die geeigneten Schulungen erhalten.

4.      Jeder Mitgliedstaat trifft die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass den für die Ermittlung oder strafrechtliche Verfolgung von Straftaten nach den Artikeln 2 und 3 zuständigen Personen, Stellen oder Diensten effiziente Ermittlungsinstrumente, wie sie beispielsweise bei der Bekämpfung organisierter Kriminalität oder anderen schweren Straftaten verwendet werden, zur Verfügung stehen.

Artikel 9

Gerichtliche Zuständigkeit

1.      Jeder Mitgliedstaat trifft die erforderlichen Maßnahmen, um seine gerichtliche Zuständigkeit in Bezug auf eine Straftat nach den Artikeln 2 und 3 in den Fällen zu begründen, in denen

a)    die Straftat ganz oder teilweise in seinem Hoheitsgebiet begangen wird, oder

b)    es sich bei dem Straftäter um einen seiner Staatsangehörigen handelt ▌.

2.      Jeder Mitgliedstaat unterrichtet die Kommission über seine Entscheidung, eine weitere gerichtliche Zuständigkeit in Bezug auf eine Straftat nach den Artikeln 2 und 3, die außerhalb seines Hoheitsgebiets begangen wurde, zu begründen, beispielsweise in Fällen, in denen

a)    es sich bei dem Opfer der Straftat um einen seiner Staatsangehörigen handelt oder das Opfer seinen gewöhnlichen Wohnsitz im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats hat oder

b)    die Straftat zugunsten einer im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats niedergelassenen juristischen Person begangen wird, oder

c)          der Straftäter seinen gewöhnlichen Wohnsitz im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats hat ▌.

3.      Jeder Mitgliedstaat trifft im Hinblick auf die strafrechtliche Verfolgung einer Straftat im Sinne der Artikel 2 und 3, die außerhalb seines Hoheitsgebiets begangen wird, in Fällen nach Absatz 1 Buchstabe b und fakultativ in Fällen nach Absatz 2 die Maßnahmen, die erforderlich sind, um sicherzustellen, dass seine gerichtliche Zuständigkeit nicht an die Bedingung geknüpft wird,

a)    dass die Straftat an dem Ort, an dem sie begangen wurde, strafbar ist, oder

b)    dass die Strafverfolgung nur nach einer Anzeige des Opfers an dem Ort, an dem die Straftat begangen wurde, oder einer Verurteilung durch den Staat, in dem sich der Ort der Begehung der Straftat befindet, eingeleitet werden kann.

Artikel 10

Unterstützung und Betreuung von Opfern des Menschenhandels

1.      Jeder Mitgliedstaat stellt sicher, dass Opfern vor, während sowie für einen angemessenen Zeitraum nach Abschluss des Strafverfahrens Unterstützung und Betreuung erhalten, damit sie in der Lage sind, die in dem Rahmenbeschluss 2001/220/JI ▌und in der vorliegenden Richtlinie festgelegten Rechte in Anspruch zu nehmen.

2.      Jeder Mitgliedstaat trifft die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass eine Person Unterstützung und Betreuung erhält, sobald den zuständigen Behörden berechtigte Gründe für die Annahme vorliegen, dass gegen diese Person eine Straftat im Sinne der Artikel 2 und 3 verübt worden sein könnte.

3.     Jeder Mitgliedstaat stellt sicher, dass die Unterstützung und Betreuung eines Opfers nicht von dessen Bereitschaft, bei den strafrechtlichen Ermittlungen, der strafrechtlichen Verfolgung und beim Gerichtsverfahren zu kooperieren, abhängig gemacht wird, unbeschadet der Richtlinie 2004/81/EG oder vergleichbarer nationaler Vorschriften.

4.      Jeder Mitgliedstaat trifft die erforderlichen Maßnahmen, um in Zusammenarbeit mit den einschlägigen Opferbetreuungsorganisationen geeignete Verfahren für die frühzeitige Erkennung, Unterstützung und Betreuung von Opfern festzulegen.

5.      Die Unterstützungs- und Betreuungsmaßnahmen im Sinne der Absätze 1 und 2, über die die Opfer aufgeklärt wurden und zu denen sie ihr Einverständnis gegeben haben, umfassen mindestens die Mittel zur Sicherstellung des Lebensunterhalts der Opfer durch Maßnahmen wie die Bereitstellung einer geeigneten und sicheren Unterbringung und materielle Unterstützung sowie die notwendigen medizinischen Behandlungen einschließlich psychologischer Hilfe, Beratung und Information sowie bei Bedarf Übersetzungs- und Dolmetschleistungen ▌.

6.      Die Informationen nach Absatz 5 umfassen, soweit von Belang, Informationen über die Bedenk- und Erholungszeit aufgrund der Richtlinie 2004/81/EG und Informationen über die Möglichkeit zur Gewährung internationalen Schutzes aufgrund der Richtlinie 2004/83/EG[16] des Rates und der Richtlinie 2005/85/EG[17] des Rates oder aufgrund anderer internationaler Rechtsinstrumente oder vergleichbarer nationaler Vorschriften.

7.      Dabei schenken die Mitgliedstaaten Opfern mit speziellen Bedürfnissen, die sich insbesondere aus Schwangerschaft, dem Gesundheitszustand, einer Behinderung, geistigen oder psychischen Störungen oder anderen schwerwiegenden Formen der psychologischen, körperlichen oder sexuellen Gewalt herleiten, besondere Beachtung.

Artikel 11

Schutz der Opfer von Menschenhandel bei Strafermittlungen und Strafverfahren

1.      Die in diesem Artikel genannten Schutzmaßnahmen werden zusätzlich zu den im Rahmenbeschluss 2001/220/JI festgelegten Rechten angewandt.

2.      Jeder Mitgliedstaat stellt sicher, dass Opfer von Menschenhandel unverzüglich Zugang zu ▌Rechtsberatung sowie – im Einklang mit der Stellung des Opfers in der betreffenden Rechtsordnung – zu rechtlicher Vertretung, auch zum Zweck der Beantragung einer Entschädigung, haben. Rechtsberatung und rechtliche Vertretung sollten unentgeltlich sein, wenn das Opfer nicht über ausreichende finanzielle Mittel verfügt. ▌

3.      

Jeder Mitgliedstaat stellt sicher, dass Opfer von Menschenhandel auf der Grundlage einer individuellen Risikoabschätzung angemessen geschützt werden, unter anderem indem sie gegebenenfalls und im Einklang mit den nationalen Rechts- und Verfahrensvorschriften Zugang zu Zeugenschutzprogrammen oder vergleichbaren Maßnahmen erhalten.

4.      Unbeschadet der Verteidigungsrechte stellt jeder Mitgliedstaat sicher, dass Opfer von Menschenhandel entsprechend einer von den zuständigen Behörden vorgenommenen Einschätzung ihrer persönlichen Umstände eine spezielle Behandlung zur Verhinderung sekundärer Viktimisierung erhalten, wobei im Einklang mit den nationalen Rechtsvorschriften und dem Ermessensspielraum, den Gepflogenheiten oder Leitlinien der Gerichte Folgendes so weit wie möglich zu vermeiden ist:

         a)    unnötige Wiederholungen von Vernehmungen während der Ermittlungen, der Strafverfolgung und des Gerichtsverfahrens

         b)    Blickkontakt zwischen Opfer und Beklagtem, auch während der Beweisaufnahme, zum Beispiel bei Gesprächen und kontradiktorischen Befragungen, durch geeignete Mittel, einschließlich Kommunikationstechnologie

         c)    Zeugenaussagen in öffentlichen Gerichtsverhandlungen und

         d)    unnötige Fragen zum Privatleben.

Artikel 12

Allgemeine Bestimmungen über Unterstützungs-, Betreuungs- und Schutzmaßnahmen für Kinder, die Opfer von Menschenhandel sind

1.      Kinder, die Opfer von Menschenhandel sind, erhalten Unterstützung, Betreuung und Schutz ▌. Bei der Anwendung dieser Richtlinie ist das Wohl des Kindes eine vorrangige Erwägung.

2.  Jeder Mitgliedstaat stellt sicher, dass eine Person, die Opfer von Menschenhandel ist, deren Alter aber nicht festgestellt werden konnte und bei der es Gründe für die Annahme gibt, dass es sich bei der Person um ein Kind handelt, als Kind eingestuft wird und unmittelbar Zugang zu Unterstützung, Betreuung und Schutz nach den Artikeln 13 und 14 erhält.

Artikel 13

Unterstützung und Betreuung von Kindern, die Opfer ▌sind

1.     Jeder Mitgliedstaat trifft die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die besonderen Maßnahmen, mit denen Kinder, die Opfer von Menschenhandel sind, kurz- und langfristig bei ihrer körperlichen und psychisch-sozialen Rehabilitation unterstützt und betreut werden sollen, erst ergriffen werden, nachdem die besonderen Umstände des Kindes unter gebührender Berücksichtigung seiner Ansichten, Bedürfnisse und Sorgen mit dem Ziel, eine langfristige Lösung für das Kind zu finden, geprüft worden sind. Jeder Mitgliedstaat gewährt Kindern, die Opfer von Menschenhandel sind, und Kindern von Opfern, die Unterstützung und Betreuung nach Artikel 10 dieser Richtlinie erhalten, Zugang zur Bildung gemäß seinem nationalen Recht.

1a.   Die Mitgliedstaaten bestellen in den Fällen, in denen die Träger der elterlichen Verantwortung nach einzelstaatlichem Recht aufgrund eines Interessenkonflikts zwischen ihnen und dem Opfer nicht für das Wohl des Kindes sorgen dürfen und/oder das Kind nicht vertreten dürfen, von dem Zeitpunkt an, in dem es von den Behörden identifiziert ist, einen Vormund oder einen Vertreter für das Kind, das Opfer von Menschenhandel ist.

2.      Jeder Mitgliedstaat trifft gegebenenfalls im Rahmen des Möglichen Maßnahmen zur Unterstützung und Betreuung der Familie des Kindes, das Opfer von Menschenhandel ist, sofern sich diese in seinem Hoheitsgebiet aufhält. Insbesondere wendet jeder Mitgliedstaat Artikel 4 des Rahmenbeschlusses 2001/220/JI des Rates auf die Familie an, sofern dies angemessen und möglich ist.

3.      Dieser Artikel gilt unbeschadet des Artikels 10.

Artikel 14

Schutz von Kindern, die Opfer von Menschenhandel sind, bei Strafermittlungen und Strafverfahren

1.      Jeder Mitgliedstaat ergreift die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die zuständigen Behörden im Einklang mit der Stellung des Opfers in der betreffenden Rechtsordnung in den Fällen, in denen die Träger der elterlichen Verantwortung nach einzelstaatlichem Recht das Kind aufgrund eines Interessenkonflikts zwischen ihnen und dem Opfer nicht in Strafverfahren vertreten dürfen ▌ für die strafrechtlichen Ermittlungen und Verfahren einen Vertreter des Kindes, das Opfer von Menschenhandel ist, benennen.

1a.   Jeder Mitgliedstaat stellt im Einklang mit der Stellung des Opfers in der betreffenden Rechtsordnung sicher, dass Opfer von Menschenhandel im Kindesalter unverzüglich Zugang zu unentgeltlicher Rechtsberatung sowie zu unentgeltlicher rechtlicher Vertretung, auch zum Zweck der Beantragung einer Entschädigung, haben, sofern sie nicht über ausreichende Mittel verfügen.

2.      Unbeschadet der Verteidigungsrechte trifft jeder Mitgliedstaat die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass bei strafrechtlichen Ermittlungen wegen einer Straftat im Sinne der Artikel 2 und 3 Folgendes beachtet wird:

a)    Die Vernehmung des Opfers im Kindesalter findet statt, sobald die Fakten den zuständigen Behörden gemeldet wurden, wobei ungerechtfertigte Verzögerungen vermieden werden.

b)    Die Vernehmung des Opfers im Kindesalter findet erforderlichenfalls in Räumen statt, die für diesen Zweck ausgestattet sind oder entsprechend angepasst wurden.

c)    Die Vernehmung des Opfers im Kindesalter wird erforderlichenfalls von oder unter Einschaltung von speziell ausgebildeten Fachleuten durchgeführt.

d)    Sofern dies möglich und angezeigt ist, werden sämtliche Vernehmungen des Opfers im Kindesalter von denselben Personen durchgeführt.

e)    Es sollten möglichst wenige Vernehmungen durchgeführt werden; zudem sollten Vernehmungen nur dann durchgeführt werden, wenn sie für das Strafverfahren unabdingbar sind.

f)     Das Opfer im Kindesalter kann von seinem ▌Vertreter oder gegebenenfalls einem Erwachsenen seiner Wahl begleitet werden, es sei denn, dass in Bezug auf diese Person eine begründete gegenteilige Entscheidung getroffen wurde.

3.      Jeder Mitgliedstaat trifft die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass bei strafrechtlichen Ermittlungen wegen einer Straftat im Sinne der Artikel 2 und 3 sämtliche Vernehmungen des Opfers im Kindesalter oder gegebenenfalls eines Zeugen im Kindesalter auf Videoband aufgenommen und diese Aufnahmen im Einklang mit seinen einzelstaatlichen Rechtsvorschriften als Beweismaterial in Gerichtsverhandlungen verwendet werden können.

4.      Jeder Mitgliedstaat trifft die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass bei Strafverfahren wegen einer Straftat nach den Artikeln 2 und 3 Folgendes angeordnet werden kann:

a)    Die Anhörung findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt und

b)    durch Einsatz geeigneter Kommunikationstechnologie im Gerichtssaal kann die Anhörung des Opfers im Kindesalter im Gerichtssaal stattfinden, ohne dass das Opfer anwesend ist.

5.      Dieser Artikel gilt unbeschadet des Artikels 11.

Artikel 14a

Unterstützung, Betreuung und Schutz von unbegleiteten Kindern, die Opfer von Menschenhandel sind

1.        Jeder Mitgliedstaat trifft die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die in Artikel 13 Absatz 1 genannten besonderen Maßnahmen, mit denen Kinder, die Opfer von Menschenhandel sind, unterstützt und betreut werden sollen, den persönlichen und spezifischen Umständen von unbegleiteten Kindern, die Opfer von Menschenhandel sind, Rechnung tragen.

2.        Jeder Mitgliedstaat trifft die erforderlichen Maßnahmen, damit eine auf die Einzelbewertung des Kindeswohls gestützte dauerhafte Lösung gefunden wird.

3.        Jeder Mitgliedstaat trifft die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass, sofern angebracht, ein Vormund für unbegleitete Kinder, die Opfer von Menschenhandel sind, bestellt wird.

4.        Jeder Mitgliedstaat trifft die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die zuständigen Behörden bei strafrechtlichen Ermittlungen und Verfahren in den Fällen, in denen das Kind unbegleitet oder von seiner Familie getrennt ist, im Einklang mit der Stellung des Opfers in der betreffenden Rechtsordnung einen Vertreter bestellen.

5.        Dieser Artikel gilt unbeschadet der Artikel 13 und 14.

Artikel 14b

Entschädigung der Opfer

Jeder Mitgliedstaat stellt sicher, dass Opfer von Menschenhandel Zugang zu bestehenden Regelungen für die Entschädigung der Opfer von vorsätzlich begangenen Gewalttaten erhalten.

Artikel 15

Prävention

1.      Jeder Mitgliedstaat trifft die geeigneten Maßnahmen wie Bildung und Ausbildung, um der Nachfrage, die jegliche Form von Ausbeutung im Zusammenhang mit Menschenhandel begünstigt, entgegenzuwirken und diese zu reduzieren.

2.      Jeder Mitgliedstaat unternimmt gegebenenfalls in Zusammenarbeit mit einschlägigen Organisationen der Zivilgesellschaft und anderen Akteuren geeignete Initiativen – auch über das Internet –, wie beispielsweise Informations- und Aufklärungskampagnen, Forschungs- und Schulungsprogramme, um Menschen, insbesondere Kinder, zu sensibilisieren und die Gefahr, dass sie Opfer des Menschenhandels werden, zu verringern.

3.      Jeder Mitgliedstaat fördert die regelmäßige Schulung von Beamten, bei denen die Wahrscheinlichkeit besteht, dass sie mit Opfern und potenziellen Opfern von Menschenhandel in Kontakt kommen, insbesondere der an vorderster Front tätigen Polizeibeamten ▌, damit sie wissen, wie Opfer und potenzielle Opfer von Menschenhandel zu erkennen sind und wie mit ihnen umzugehen ist.

4.      Um Menschenhandel dadurch, dass der Nachfrage entgegengewirkt wird, wirksamer zu verhüten und zu bekämpfen, erwägt jeder Mitgliedstaat die Einleitung von Maßnahmen, mit denen die Inanspruchnahme von Diensten, die eine Ausbeutung im Sinne des Artikels 2 darstellen, in dem Wissen, dass die betreffende Person Opfer einer Straftat nach Artikel 2 ist, als strafbare Handlung eingestuft wird.

Artikel 16

Nationale Berichterstatter oder gleichwertige Mechanismen

Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um nationale Berichterstatter einzusetzen oder gleichwertige Mechanismen einzuführen. Diese Mechanismen haben unter anderem die Aufgabe, die Entwicklungen beim Menschenhandel zu bewerten, die Ergebnisse der Maßnahmen zur Bekämpfung des Menschenhandels zu messen, wozu auch die Sammlung statistischer Daten in enger Zusammenarbeit mit einschlägigen Organisationen der Zivilgesellschaft, die auf diesem Gebiet tätig sind, gehört, und ▌darüber Berichte vorzulegen.

Artikel 16aKoordinierung der Strategie der Union zur Bekämpfung des Menschenhandels

Um zu einer koordinierten und konsolidierten Strategie der Europäischen Union zur Bekämpfung des Menschenhandels beizutragen, unterstützen die Mitgliedstaaten einen Koordinator für die Bekämpfung des Menschenhandels bei seinen Aufgaben. Insbesondere übermitteln die Mitgliedstaaten dem Koordinator für die Bekämpfung des Menschenhandels die Informationen nach Artikel 16, anhand derer der Koordinator alle zwei Jahre den Bericht der Kommission über die Fortschritte bei der Bekämpfung des Menschenhandels ergänzt.

Artikel 17

Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2002/629/JI

Der Rahmenbeschluss 2002/629/JI zur Bekämpfung des Menschenhandels wird in Bezug auf die Mitgliedstaaten, die sich an der Annahme dieser Richtlinie beteiligen, unbeschadet der Verpflichtungen der Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit den Fristen für die Umsetzung in innerstaatliches Recht ersetzt.

In Bezug auf die Mitgliedstaaten, die sich an der Annahme dieser Richtlinie beteiligen, gelten Verweise auf den ersetzten Rahmenbeschluss als Verweise auf die vorliegende Richtlinie.

Artikel 18

Umsetzung

1.      Die Mitgliedstaaten setzen die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft, um dieser Richtlinie spätestens bis zwei Jahre nach Annahme der Richtlinie nachzukommen. ▌

2.      Die Mitgliedstaaten übermitteln der Kommission den Wortlaut der innerstaatlichen Rechtsvorschriften zur Umsetzung ihrer Verpflichtungen aus dieser Richtlinie.

3.      Bei Erlass dieser Vorschriften nehmen die Mitgliedstaaten in den Vorschriften selbst oder durch einen Hinweis bei der amtlichen Veröffentlichung auf diese Richtlinie Bezug. Die Mitgliedstaaten regeln die Einzelheiten dieser Bezugnahme.

Artikel 19

Berichterstattung

1.      ▌Die Kommission berichtet dem Europäischen Parlament und dem Rat bis zwei Jahre nach der in Artikel 18 festgelegten Frist, inwieweit die Mitgliedstaaten die zur Einhaltung dieser Richtlinie notwendigen Maßnahmen ergriffen haben, wobei sie auch die nach Artikel 15 Absatz 4 ergriffenen Maßnahmen beschreibt, und unterbreitet erforderlichenfalls Gesetzgebungsvorschläge.

2.      Die Kommission berichtet dem Europäischen Parlament und dem Rat bis drei Jahre nach der in Artikel 18 festgelegten Frist, wie sich die bestehenden nationalen Rechtsvorschriften, mit denen die Inanspruchnahme von Diensten, die eine Ausbeutung durch Menschenhandel darstellen, unter Strafe gestellt wird, auf die Verhütung des Menschenhandels auswirken, und unterbreitet erforderlichenfalls geeignete Vorschläge.

Artikel 20

Inkrafttreten

Diese Richtlinie tritt am ▌Tag ▌ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft.

Artikel 21

Adressaten

Diese Richtlinie ist gemäß den Verträgen an die Mitgliedstaaten gerichtet.

Geschehen zu […] am […]

Im Namen des Europäischen Parlaments    Im Namen des Rates

Der Präsident                                               Der Präsident

___________

  • [1]  Stellungnahme vom 21.10.2010.
  • [2] * Textänderungen: Der neue bzw. geänderte Text wird durch Fett- und Kursivdruck gekennzeichnet; Streichungen werden durch das Symbol ▌ gekennzeichnet.
  • [3]            Stellungnahme vom 21. Oktober 2010.
  • [4]            ABl. L 203 vom 1.8.2002, S. 1.
  • [5]            ABl. C 311 vom 9.12.2005, S. 1.
  • [6]            ABl. L 328 vom 15.12.2009, S. 42.
  • [7]               ABl. L 261 vom 6.8.2004, S. 19.
  • [8]               ABl. L 168 vom 30.06.2009, S. 24.
  • [9]            ABl. L 190 vom 18.07.2002, S. 1.
  • [10]           ABl. L 182 vom 5.7.2001, S.1.
  • [11]          ABl. L 68 vom 15.03.2005, S. 49.
  • [12]           ABl. L 158 vom 30.4.2004, S. 77.
  • [13]           ABl. L 82 vom 22.3.2001, S. 1.
  • [14]             ABl. L 203 vom 1.8.2002, S. 1.
  • [15]           ABl. L 300 vom 11.11.2008, S. 42.
  • [16]             Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes.
  • [17]             Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft.

BEGRÜNDUNG

Der Menschenhandel ist eine moderne Form der Sklaverei, eine schwerwiegende Straftat und eine schwere Verletzung grundlegender Menschenrechte und bringt Menschen durch Drohungen, Gewalt und Erniedrigung in einen Zustand völliger Abhängigkeit.

Der Menschenhandel ist für die organisierte Kriminalität zudem ein außerordentlich rentables Geschäft mit hohen Gewinnmöglichkeiten und begrenztem Risiko und kann vielfältige Formen annehmen, die beispielsweise sexuelle Ausbeutung, Zwangsarbeit, rechtswidrigen Handel mit menschlichen Organen, Betteln, einschließlich der Benutzung abhängiger Personen zum Betteln, illegale Adoptionen und häusliche Arbeit betreffen.

Dieses Problem ist von großer Bedeutung, jedoch sicher nicht hinreichend bekannt.

Der Vertrag von Lissabon hat das Vorgehen der EU im Bereich der justiziellen und polizeilichen Zusammenarbeit in Strafsachen einschließlich der Bekämpfung des Menschenhandels gestärkt, und das Parlament spielt hierbei als Mitgesetzgeber eine maßgebliche Rolle.

Der Vertrag von Lissabon enthält zahlreiche Verweise auf die Bekämpfung des Menschenhandels: In Artikel 82 und 83 wird eine Rechtsgrundlage für die Schaffung von Mindestvorschriften zur Definition von Straftaten und Strafen im Bereich Menschenhandel und sexueller Ausbeutung von Frauen und Kindern begründet. Artikel 79 sollte jedoch ebenfalls berücksichtigt werden, da in diesem Artikel eine rechtliche Grundlage für die gemeinsame Einwanderungspolitik geschaffen wird.

Der Rechtsrahmen der EU in Bezug auf den Menschenhandel beruht derzeit im Wesentlichen auf folgenden Rechtsakten:

- Rahmenbeschluss 2002/629/JI vom 19. Juli 2002 zur Bekämpfung des Menschenhandels, der darauf abzielt, ein Mindestmaß an Harmonisierung der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften zu gewährleisten;

- Richtlinie 2004/81/EG vom 29. April 2004 über die Erteilung von Aufenthaltstiteln für Drittstaatsangehörige, die Opfer des Menschenhandels sind oder denen Beihilfe zur illegalen Einwanderung geleistet wurde und die mit den zuständigen Behörden kooperieren.

Die Erfahrung hat gezeigt, dass dieser Rechtsrahmen nicht wirksam genug ist und dass die EU mehr tun muss. Unter diesem Blickwinkel hat die Europäische Kommission 2009 einen Vorschlag für einen neuen Rahmenbeschluss vorgelegt. Mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon, aufgrund dessen alle laufenden Gesetzgebungsverfahren unterbrochen wurden, konnten die Verhandlungen im Rat nicht in einer förmlichen Annahme des Rahmenbeschlusses münden, und die Europäische Kommission legte einen neuen Vorschlag für eine Richtlinie zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz von Opfern sowie zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2002/629/JI vor (KOM(2010)0095 endg.).

Das Europäische Parlament engagiert sich als Mitgesetzgeber stark für die Zusammenarbeit mit der Kommission und dem Rat, um eine wirkungsvolle EU-Politik gegen den Menschenhandel voranzubringen.

In der am 10. Februar 2010 verabschiedeten Entschließung (P7_TA(2010)0018) vertrat das Europäische Parlament unter anderem folgenden Standpunkte:

a) Es sind Maßnahmen gegen Menschenhandel auf der Grundlage eines ganzheitlichen Ansatzes zu entwickeln, der die Menschenrechte in den Mittelpunkt stellt und auf die Bekämpfung des Menschenhandels, seine Verhütung und Opferschutz ausgerichtet ist.

b) Es ist ein auf die Opfer ausgerichteter Ansatz zu wählen, was bedeutet, dass alle potenziellen Arten von Opfern ermittelt, zur Zielgruppe bestimmt und geschützt werden müssen, wobei Kindern und anderen Risikogruppen besonderes Augenmerk gelten muss.

c) Es ist ein EU-Koordinator für die Bekämpfung des Menschenhandels zu schaffen, der das Vorgehen und die Strategien der EU in diesem Bereich – einschließlich der Tätigkeiten des Netzwerks nationaler Berichterstatter – koordiniert und sowohl dem Europäischen Parlament als auch dem Ständigen Ausschuss für die operative Zusammenarbeit im Bereich der inneren Sicherheit (COSI) verantwortlich ist.

d) Es ist sicherzustellen, dass Maßnahmen zur Bekämpfung des Menschenhandels auch Aspekte umfassen, die mit dem sozialen Bereich und der Eingliederung in die Gesellschaft zusammenhängen, einschließlich geeigneter Programme und wirksamer Methoden zur Sicherung der gesellschaftlichen Rehabilitierung der Opfer, die auch Maßnahmen in Bezug auf den Arbeitsmarkt und das System der sozialen Sicherheit einschließen.

e) Der Dimension der Außenbeziehungen im Zusammenhang mit dem Menschenhandel und den Aspekten der Zuwanderungs-, Asyl- und Wiedereingliederungspolitik ist gebührende Beachtung zu schenken.

f) Es sind Aufklärungs- und Sensibilisierungskampagnen über das Bildungs- und Schulwesen in den Herkunfts-, Transit- und Zielländern durchzuführen.

Das Europäische Parlament vertritt die Auffassung, dass das Strafmaß für Menschenhändler auf das Niveau des Vorschlags von 2009 erhöht werden muss, und dass auch die Beschlagnahme von Vermögenswerten angewandt werden sollte.

Darüber hin aus ist das Europäische Parlament davon überzeugt, dass die Unterstützung für die Opfer, insbesondere für Kinder, weiter ausgebaut werden sollte. Im Falle von Kindern, die Opfer von Menschenhandel geworden sind, sollte das Wohl des Kindes eine vorrangige Erwägung sein.

Zudem sollten sowohl die EU als auch die Mitgliedstaaten mehr tun, um der Nachfrage entgegenzuwirken, unter anderem durch Sensibilisierungskampagnen, Bildungs- und Schulungsmaßnahmen usw. und dabei stets in vollem Umfang dem geschlechtsspezifischen Gesichtspunkt Rechnung tragen. Die Mitgliedstaaten müssen ebenfalls die wissentliche Inanspruchnahme von Diensten von Opfern des Menschenhandels unter Strafe stellen. Diese Kriminalisierung entspricht den Gepflogenheiten in anderen Politikbereichen der EU, in denen Arbeitgeber, die Arbeitskräfte beschäftigen, die Opfer von Menschenhandel sind, gemäß den Rechtsvorschriften bestraft werden.

Um ein besseres und genaueres Bild des Phänomens des Menschenhandels zu vermitteln, ist es notwendig, harmonisierte Daten zu erheben, die zumindest Angaben über die Zahl der Personen, die Opfer von Menschenhandel geworden sind, einschließlich Angaben über Geschlecht, Alter, Staatsangehörigkeit der Opfer sowie über die Art des Menschenhandels enthalten, sowie über die die Art der Dienste, die die Opfer leisten mussten, die Zahl der verhafteten, verfolgten und verurteilten Menschenhändler und die Zuweisungssysteme für die nationalen Asylbehörden.

Schließlich sollte der Koordinator für die Bekämpfung des Menschenhandels innerhalb eines klar festgelegten Rechtsrahmens handeln.

STELLUNGNAHME DES RECHTSAUSSCHUSSES ZUR RECHTSGRUNDLAGE

22.9.2010

Herrn Juan Fernando López Aguilar

Vorsitzender

Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres

BRÜSSEL

und

Frau Eva-Britt Svensson

Vorsitzende

Ausschuss für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter

BRÜSSEL

Betr.:               Stellungnahme zu der Rechtsgrundlage des Vorschlags für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels (Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2002/629/JI) (KOM(2010)0095 – C7‑0087/2010 – 2010/0065(COD))

Sehr geehrter Herr Vorsitzender, sehr geehrte Frau Vorsitzende,

mit Schreiben vom 7. September 2010 haben der Ausschuss für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter und der Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres den Rechtsausschuss gemäß Artikel 37 der Geschäftsordnung mit der Prüfung der Rechtsgrundlage des Vorschlags für eine Richtlinie zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz von Opfern sowie zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2002/629/JI befasst.

Die Kommission hat als Rechtsgrundlage Artikel 82 Absatz 2 AEUV in Verbindung mit Artikel 83 Absatz 1 AEUV vorgeschlagen.

Der Ausschuss hat den genannten Gegenstand in seiner Sitzung vom 20. September 2010 geprüft.

I. Hintergrund

Der derzeitige Rechtsrahmen für Menschenhandel besteht auf EU-Ebene aus dem Rahmenbeschluss 2002/629/JI des Rates[1], der Richtlinie 2004/81/EG des Rates[2] und auf internationaler Ebene aus dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes, dem Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität, insbesondere dem dazugehörigen Protokoll zur Verhütung, Bekämpfung und Bestrafung des Menschenhandels, insbesondere des Frauen- und Kinderhandels, und dem Übereinkommen des Europarates über Maßnahmen zur Bekämpfung des Menschenhandels.

Im Jahr 2009 legte die Kommission einen Vorschlag für einen neuen Rahmenbeschluss vor, der nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon zurückgezogen wurde. Bekanntlich wurde das ehemalige Pfeiler-System durch den Vertrag von Lissabon abgeschafft. Nunmehr müssen praktisch alle Rechtsakte, die den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts betreffen, einschließlich der Artikel 82 und 83 AEUV über die Zusammenarbeit in Strafsachen in Titel V Kapitel 4 nach dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren erlassen werden.

Am 29. März 2010 legte die Kommission einen Vorschlag für eine Richtlinie (KOM(2010)0095) zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2002/629/JI vor.

Während der gemeinsamen Ausschusssitzung am 2. September 2010 haben der Ausschuss für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter und der Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres, die gemäß Artikel 51 der Geschäftsordnung zusammenarbeiten, vorgeschlagen, in der Präambel der vorgeschlagenen Richtlinie eine Bezugnahme auf Artikel 79 Absatz 2 als eine zusätzliche Rechtsgrundlage aufzunehmen.

Artikel 79 AEUV, Titel V Kapitel 2, enthält Bestimmungen über die Einwanderungspolitik, die bereits vor dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon in den „Gemeinschaftspfeiler“ überführt wurden.

Gemäß dem Bericht wird die Hinzufügung einer Bezugnahme auf Artikel 79 AEUV mit der Notwendigkeit gerechtfertigt, den Verträgen zu entsprechen, sowie mit der Vorstellung, dass der in dieser Richtlinie vorgeschlagene ganzheitliche Ansatz auch zur Kohärenz mit anderen damit in Zusammenhang stehenden Rechtsinstrumenten führen muss, dass die Richtlinie nicht die Regeln für die Asylpolitik berühren kann, und mit der Notwendigkeit, einen kohärenten Ansatz in der Asylpolitik zu verbessern. Ferner wird Bezug genommen auf den zunehmenden Menschenhandel zu Zwecken der Ausbeutung der Arbeitskraft und auf das Ziel, die Opfer möglichst umfassend zu schützen.

II. Die einschlägigen Artikel des AEUV

Die Kommission schlägt die Artikel 82 und 83 als Rechtsgrundlage vor. Diese Artikel sehen Folgendes vor:

Artikel 82[3]

1. Die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen in der Union beruht auf dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Urteile und Entscheidungen und umfasst die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten in den in Absatz 2 und in Artikel 83 genannten Bereichen.

Das Europäische Parlament und der Rat erlassen gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren Maßnahmen, um

(a) ...;

(b) ...;

(c) ...;

(d) ....

2. Soweit dies zur Erleichterung der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Urteile und Entscheidungen und der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen mit grenzüberschreitender Dimension erforderlich ist, können das Europäische Parlament und der Rat gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren durch Richtlinien Mindestvorschriften festlegen. Bei diesen Mindestvorschriften werden die Unterschiede zwischen den Rechtsordnungen und -traditionen der Mitgliedstaaten berücksichtigt.

Die Vorschriften betreffen Folgendes:

(a) ...;

(b) die Rechte des Einzelnen im Strafverfahren;

(c) die Rechte der Opfer von Straftaten;

(d) ....

3. Ist ein Mitglied des Rates der Auffassung, dass ein Entwurf einer Richtlinie nach Absatz 2 grundlegende Aspekte seiner Strafrechtsordnung berühren würde, so kann es beantragen, dass der Europäische Rat befasst wird. In diesem Fall wird das ordentliche Gesetzgebungsverfahren ausgesetzt. Nach einer Aussprache verweist der Europäische Rat im Falle eines Einvernehmens den Entwurf binnen vier Monaten nach Aussetzung des Verfahrens an den Rat zurück, wodurch die Aussetzung des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens beendet wird.

...

Artikel 83

(Ex-Artikel 31 EUV)

1. Das Europäische Parlament und der Rat können gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren durch Richtlinien Mindestvorschriften zur Festlegung von Straftaten und Strafen in Bereichen besonders schwerer Kriminalität festlegen, die aufgrund der Art oder der Auswirkungen der Straftaten oder aufgrund einer besonderen Notwendigkeit, sie auf einer gemeinsamen Grundlage zu bekämpfen, eine grenzüberschreitende Dimension haben.

Derartige Kriminalitätsbereiche sind: Terrorismus, Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung von Frauen und Kindern, illegaler Drogenhandel, illegaler Waffenhandel, Geldwäsche, Korruption, Fälschung von Zahlungsmitteln, Computerkriminalität und organisierte Kriminalität.

...

2. ...

3. Ist ein Mitglied des Rates der Auffassung, dass der Entwurf einer Richtlinie nach den Absätzen 1 oder 2 grundlegende Aspekte seiner Strafrechtsordnung berühren würde, so kann es beantragen, dass der Europäische Rat befasst wird. In diesem Fall wird das ordentliche Gesetzgebungsverfahren ausgesetzt. Nach einer Aussprache verweist der Europäische Rat im Falle eines Einvernehmens den Entwurf binnen vier Monaten nach Aussetzung des Verfahrens an den Rat zurück, wodurch die Aussetzung des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens beendet wird.

Sofern kein Einvernehmen erzielt wird, mindestens neun Mitgliedstaaten aber eine Verstärkte Zusammenarbeit auf der Grundlage des betreffenden Entwurfs einer Richtlinie begründen möchten, teilen diese Mitgliedstaaten dies binnen derselben Frist dem Europäischen Parlament, dem Rat und der Kommission mit. In diesem Fall gilt die Ermächtigung zu einer Verstärkten Zusammenarbeit nach Artikel 20 Absatz 2 des Vertrags über die Europäische Union und Artikel 329 Absatz 1 dieses Vertrags als erteilt, und die Bestimmungen über die Verstärkte Zusammenarbeit finden Anwendung.

Die zuständigen Ausschüsse schlagen vor, die folgende Bestimmung als zusätzliche Rechtsgrundlage hinzuzufügen:

Artikel 79

1. Die Union entwickelt eine gemeinsame Einwanderungspolitik, die in allen Phasen eine wirksame Steuerung der Migrationsströme, eine angemessene Behandlung von Drittstaatsangehörigen, die sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhalten, sowie die Verhütung und verstärkte Bekämpfung von illegaler Einwanderung und Menschenhandel gewährleisten soll.

2. Für die Zwecke des Absatzes 1 erlassen das Europäische Parlament und der Rat gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren Maßnahmen in folgenden Bereichen:

(a) Einreise- und Aufenthaltsvoraussetzungen sowie Normen für die Erteilung von Visa und Aufenthaltstiteln für einen langfristigen Aufenthalt, einschließlich solcher zur Familienzusammenführung, durch die Mitgliedstaaten;

(b) Festlegung der Rechte von Drittstaatsangehörigen, die sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhalten, einschließlich der Bedingungen, unter denen sie sich in den anderen Mitgliedstaaten frei bewegen und aufhalten dürfen;

(c) illegale Einwanderung und illegaler Aufenthalt, einschließlich Abschiebung und Rückführung solcher Personen, die sich illegal in einem Mitgliedstaat aufhalten;

(d) Bekämpfung des Menschenhandels, insbesondere des Handels mit Frauen und Kindern.

3. ....

4. ...

5. ...

III. Rechtsprechung zur Rechtsgrundlage[4]

Wenn eine Maßnahme zwei Zielsetzungen hat oder zwei Komponenten umfasst und sich eine von ihnen als die hauptsächliche oder überwiegende Zielsetzung oder Komponente ausmachen lässt, so ist die Rechtsgrundlage auf der Grundlage des Artikels des Vertrags festzulegen, der der hauptsächlichen Zielsetzung oder Komponente des Rechtsakts entspricht. Wenn beispielsweise die Harmonisierung einzelstaatlicher Rechtsvorschriften lediglich von nebensächlicher Bedeutung für die Maßnahme ist, die hauptsächlich eine andere Zielsetzung verfolgt, dann muss die Maßnahme ausschließlich auf der Grundlage des spezifischen Artikels des Vertrags angenommen werden, der ihrer hauptsächlichen oder überwiegenden Zielsetzung oder Komponente entspricht[5]. Dieses Kriterium wird häufig als „Schwerpunktkriterium” bezeichnet.

Umgekehrt stellt ein allgemeiner Artikel des Vertrags eine ausreichende Rechtsgrundlage dar, wenn die Maßnahme auf die Harmonisierung einzelstaatlicher Maßnahmen abzielt, selbst wenn die Maßnahme auch ein Ziel verfolgt, für das es spezifische Artikel des Vertrags gibt, wenn dieses Ziel von untergeordneter Bedeutung ist[6]. Nach ständiger Rechtsprechung muss sich die Wahl der Rechtsgrundlage eines gemeinschaftlichen Rechtsakts auf objektive, gerichtlich nachprüfbare Umstände gründen wie besonders das Ziel und den Inhalt des Rechtsakts[7].

Grundsätzlich sollte sich eine Maßnahme auf nur eine Rechtsgrundlage stützen. Ergibt die Prüfung des Ziels und Inhalts einer Gemeinschaftsmaßnahme, dass sie zwei Zielsetzungen hat oder zwei Komponenten umfasst, die in den Anwendungsbereich verschiedener Rechtsgrundlagen fallen, und lässt sich eine von ihnen als die hauptsächliche oder überwiegende ausmachen, während die andere nur nebensächliche Bedeutung hat, so ist die Maßnahme nur auf eine Rechtsgrundlage zu stützen, und zwar auf die, die die hauptsächliche oder überwiegende Zielsetzung oder Komponente erfordert[8].

Steht ausnahmsweise fest, dass gleichzeitig mehrere Ziele verfolgt werden, die untrennbar miteinander verbunden sind, ohne dass das eine gegenüber dem anderen nur zweitrangig und mittelbar ist, so wird ein solcher Rechtsakt auf die einschlägigen Rechtsgrundlagen gestützt werden müssen, sofern die für sie jeweils vorgesehenen Verfahren miteinander vereinbar sind[9].

Ein Rückgriff auf zwei Rechtsgrundlagen ist grundsätzlich ausgeschlossen, wenn die für sie jeweils vorgesehenen Verfahren miteinander unvereinbar sind[10].

IV.      Wahl der Rechtsgrundlage durch die Kommission

Die Kommission rechtfertigt ihren Rückgriff auf eine doppelte Rechtsgrundlage mit folgenden Worten:

Im Rahmen der Bekämpfung des Menschenhandels ist die Angleichung der strafrechtlichen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten erforderlich, um die Zusammenarbeit in Strafsachen zu verbessern. Zu diesem besonderen Zweck sieht der Vertrag nur die Annahme von Richtlinien vor.

...

Durch den Vorschlag werden das materielle Strafrecht und die Verfahrensvorschriften der Mitgliedstaaten stärker als durch den derzeitigen Rahmenbeschluss einander angenähert. Dies wird sich positiv auf die internationale Zusammenarbeit der Strafverfolgungs- und Justizbehörden auswirken und zu einem größeren Schutzniveau und besserer Unterstützung der Opfer beitragen. ...

V. Untersuchung von Ziel und Inhalt des Richtlinienvorschlags

Um das Ziel und den Inhalt der vorgeschlagenen Richtlinie zu ermitteln, müssen ihre Bestimmungen untersucht werden.

Artikel 1 legt fest, dass das Ziel der Richtlinie die Festlegung von Mindestvorschriften zur Definition von Straftaten und Strafen im Bereich Menschenhandel ist. Des Weiteren sollen gemeinsame Bestimmungen zur Stärkung der Prävention und des Opferschutzes eingeführt werden.

Artikel 2 sieht vor, dass jeder Mitgliedstaat die erforderlichen Maßnahmen trifft, damit bestimmte vorsätzlich begangene Handlungen als Straftaten im Zusammenhang mit Menschenhandel unter Strafe gestellt werden.

Artikel 3 beschäftigt sich mit Anstiftung, Beihilfe und Versuch.

Artikel 4 beinhaltet Bestimmungen über Strafen.

Artikel 5 und 6 beschäftigen sich mit der Verantwortlichkeit juristischer Personen und Sanktionen gegen diese.

Artikel 7 behandelt den Verzicht auf Strafverfolgung oder Straffreiheit der Opfer.

Artikel 8 enthält Bestimmungen betreffend Ermittlung und Strafverfolgung.

Artikel 9 beschäftigt sich mit der gerichtlichen Zuständigkeit.

Artikel 10 behandelt die Unterstützung und Betreuung von Opfern von Menschenhandel.

Artikel 11 enthält Bestimmungen zum Schutz der Opfer von Menschenhandel bei Strafermittlungen und Strafverfahren.

Artikel 12 legt allgemeine Bestimmungen über Unterstützungs-, Betreuungs- und Schutzmaßnahmen für Kinder, die Opfer von Menschenhandel sind, fest.

Artikel 13 beschäftigt sich mit der Unterstützung und Betreuung von Kindern, die Opfer von Menschenhandel sind, und Artikel 14 mit dem Schutz von Kindern, die Opfer von Menschenhandel sind, bei Strafermittlungen und Strafverfahren.

Artikel 15 enthält Präventionsbestimmungen, namentlich die Annahme von Maßnahmen durch die Mitgliedstaaten, um der Nachfrage, die jegliche Form von Ausbeutung im Zusammenhang mit Menschenhandel begünstigt, entgegenzuwirken, das Ergreifen geeigneter Initiativen durch die Mitgliedstaaten, wie beispielsweise Informations- und Aufklärungskampagnen, Forschungs- und Schulungsprogramme sowie die Förderung regelmäßiger Schulung von Beamten, bei denen die Wahrscheinlichkeit besteht, dass sie mit Opfern und potenziellen Opfern in Kontakt kommen, damit sie wissen, wie Opfer und potenzielle Opfer von Menschenhandel zu erkennen sind und wie mit ihnen umzugehen ist. Er sieht auch vor, dass Mitgliedstaaten die Einleitung von Maßnahmen erwägen sollen, mit denen die Inanspruchnahme von Diensten, die eine Ausbeutung darstellen, in dem Wissen, dass die betreffende Person Opfer einer Straftat nach Artikel 2 der Richtlinie ist, als strafbare Handlung eingestuft wird.

Artikel 16 sieht nationale Berichterstatter oder gleichwertige Mechanismen zur Bewertung der Entwicklungen beim Menschenhandel, zur Messung der Ergebnisse der Maßnahmen zur Bekämpfung des Menschenhandels und zur Berichterstattung an die zuständigen Stellen in den Mitgliedstaaten vor.

Artikel 17 hebt den Rahmenbeschluss 2002/629/JI auf. Artikel 18 beschäftigt sich mit der Umsetzung, Artikel 19 mit der Berichterstattung und Artikel 20 mit dem Inkrafttreten.

VI. Würdigung

Aus der obigen Untersuchung des Inhalts des Vorschlags für eine Richtlinie geht hervor, dass sie sich praktisch ausschließlich mit Aspekten beschäftigt, die unter die Artikel 82 und 83 AEUV fallen, insbesondere die Festlegung von Straftaten und Sanktionen in diesen Bereichen besonders schwerwiegender Straftaten, insbesondere Menschenhandel, die aufgrund der Art oder der Auswirkungen der Straftaten oder aufgrund einer besonderen Notwendigkeit, sie auf einer gemeinsamen Grundlage zu bekämpfen, eine grenzüberschreitende Dimension haben. An dieser Schlussfolgerung ändert sich auch durch die von den beiden zuständigen Ausschüssen eingebrachten Änderungsanträge nichts.

Unter Berücksichtigung der vom Gerichtshof geübten Kritik, sollte sich der Vorschlag für eine Richtlinie daher auf die Bestimmungen des Vertrags über das Strafrecht stützen. Es besteht kein Grund für die Nennung der Bestimmung über die Einwanderungspolitik.

V. Schlussfolgerungen und Empfehlung

Aus den vorstehenden Gründen wird die Auffassung vertreten, dass es nicht gerechtfertigt ist, Artikel 79 Absatz 2 AEUV als Rechtsgrundlage hinzuzufügen.

Der Rechtsausschuss hat daher in seiner Sitzung vom 20. September 2010 mit einer Enthaltung[11] beschlossen, die folgende Empfehlung an Sie zu richten: Der Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz von Opfern sowie zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2002/629/JI sollte sich auf die Rechtsgrundlage der Artikel 82 Absatz 2 und Artikel 83 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union stützen.

Mit freundlichen Grüßen

Klaus-Heiner Lehne

  • [1]  Rahmenbeschluss 2002/629/JI des Rates vom 19. Juli 2002 zur Bekämpfung des Menschenhandels (ABl. L 203 vom 1.8.2002, S. 1).
  • [2]             Richtlinie 2004/81/EG des Rates vom 29. April 2004 über die Erteilung von Aufenthaltstiteln für Drittstaatsangehörige, die Opfer des Menschenhandels sind oder denen Beihilfe zur illegalen Einwanderung geleistet wurde und die mit den zuständigen Behörden kooperieren (ABl. L 261 vom 6.8.2004, S. 19).
  • [3]  Hervorhebung vom Verfasser.
  • [4]  Der folgende Abschnitt basiert auf Constitutional Law of the European Union, Lenaerts und Van Nuffel, Sweet & Maxwell, London. Hervorhebung vom Verfasser.
  • [5]             Rechtssache 68/86 Vereinigtes Königreich/Rat, Slg. 1988, 855, Randnrn. 14-16; Rechtssache C-70/88 Europäisches Parlament/Rat, Slg. 1991, I-4529, Randnrn. 16-18; EuGH, Rechtssache C-155/91, Kommission/Rat, Slg. 1993, I-939, Randnrn. 18-20; Rechtssache C-187/93 Europäisches Parlament/Rat, Slg. 1994, I-2857, Randnrn. 23-26; Rechtssache C-426/93 Deutschland/Rat, Slg. 1995, I-3723, Randnr. 33; Rechtssache C-271/94 Europäisches Parlament/Rat, Slg. 1996, I-1689, Randnrn. 28-32; Rechtssache C-84/94 Vereinigtes Königreich/Rat, Slg. 1996, I-5755, Randnrn. 11-12 und 22; Verbundene Rechtssachen C-164/-165/97 Europäisches Parlament/Rat, Slg. 1999, I-1339, Randnr. 16; Rechtssache C-36/98 Spanien/Rat, Slg. 2001, I-779, Randnr. 59; Rechtssache C-281/01, Kommission/Rat, Slg. 2002, I-12649, Randnrn. 33-49; Rechtssache C-338/01, Kommission/ Rat, Slg. 2004, I-4829, Randnr. 55.
  • [6]             Rechtssache C-377/03, Niederlande/Europäisches Parlament und Rat, Slg. 2001, I-7079, Randnrn. 27-28; Rechtssache C-491/01 British American Tobacco (Investments) und Imperial Tobacco, Slg. 2002, I-11453, Randnrn. 93-94;
  • [7]  Rechtssache C-440/05, Kommission/Rat, Slg. 2007, I-9097.
  • [8]  Rechtssache C-91/05, Kommission/Rat, Slg. 2008, I-3651.
  • [9]  Rechtssache C-338/01, Kommission/Rat Slg. 2004, I-4829.
  • [10]  Rechtssache C-178/03, Kommission/Parlament und Rat, Slg. 2006, I-107.
  • [11]    Bei der Schlussabstimmung waren anwesend: Klaus-Heiner Lehne (Vorsitzender), Luigi Berlinguer (stellvertretender Vorsitzender), Raffaele Baldassarre (stellvertretender Vorsitzender), Evelyn Regner (stellvertretende Vorsitzende), Sebastian Valentin Bodu (stellvertretender Vorsitzender), Eva Lichtenberger (Berichterstatterin), Françoise Castex, Marielle Gallo, Kurt Lechner, Francesco Enrico Speroni, Dimitar Stoyanov, József Szájer, Alexandra Thein, Cecilia Wikström und Tadeusz Zwiefka.

VERFAHREN

Titel

Menschenhandel

Bezugsdokumente - Verfahrensnummer

KOM(2010)0095 – C7-0087/2010 – 2010/0065(COD)

Datum der Übermittlung an das EP

29.3.2010

Federführender Ausschuss

       Datum der Bekanntgabe im Plenum

LIBE-FEMM (Verfahren mit gemeinsamen Ausschusssitzungen - Artikel 51)

21.4.2010

Mitberatende(r) Ausschuss/Ausschüsse

       Datum der Bekanntgabe im Plenum

 

 

 

 

Berichterstatter(-in/-innen)

       Datum der Benennung

Anna Hedh

27.4.2010

Edit Bauer

27.4.2010

 

Anfechtung der Rechtsgrundlage

       Datum der Stellungnahme JURI

JURI

20.9.2010

 

 

 

Prüfung im Ausschuss

27.4.2010

13.7.2010

25.11.2010

29.11.2010

Datum der Annahme

29.11.2010

 

 

 

Ergebnis der Schlussabstimmung

+:

–:

0:

51

0

0

Zum Zeitpunkt der Schlussabstimmung anwesende Mitglieder

Jan Philipp Albrecht, Regina Bastos, Emine Bozkurt, Simon Busuttil, Andrea Češková, Carlos Coelho, Marije Cornelissen, Silvia Costa, Tadeusz Cymański, Cornelia Ernst, Edite Estrela, Iratxe García Pérez, Ágnes Hankiss, Anna Hedh, Salvatore Iacolino, Sophia in ‘t Veld, Lívia Járóka, Teresa Jiménez-Becerril Barrio, Philippe Juvin, Rodi Kratsa-Tsagaropoulou, Juan Fernando López Aguilar, Astrid Lulling, Claude Moraes, Elisabeth Morin-Chartier, Georgios Papanikolaou, Carmen Romero López, Raül Romeva i Rueda, Judith Sargentini, Nicole Sinclaire, Birgit Sippel, Joanna Katarzyna Skrzydlewska, Eva-Britt Svensson, Britta Thomsen, Wim van de Camp, Axel Voss, Renate Weber, Marina Yannakoudakis, Anna Záborská

Zum Zeitpunkt der Schlussabstimmung anwesende Stellvertreter(innen)

Izaskun Bilbao Barandica, Ioan Enciu, Ana Gomes, Franziska Keller, Kartika Tamara Liotard, Rovana Plumb, Kyriacos Triantaphyllides, Cecilia Wikström, Glenis Willmott

Zum Zeitpunkt der Schlussabstimmung anwesende Stellv. (Art. 187 Abs. 2)

Arlene McCarthy, Judith A. Merkies, Peter Skinner, Jutta Steinruck