Entschließung des Europäischen Parlaments vom 15. März 2012 zum 6. Weltwasserforum in Marseille, 12.–17. März 2012 (2012/2552(RSP))
Das Europäische Parlament,
– unter Hinweis auf das 6.Weltwasserforum, das vom 12. bis 17. März 2012 in Marseille stattfindet,
– in Kenntnis der Schlusserklärungen anlässlich der bisherigen fünf Weltwasserforen in Marrakesch (1997), Den Haag (2000), Kyoto (2003), Mexiko-Stadt (2006) und Istanbul (2009),
– in Kenntnis der Resolution 64/292 der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 28. Juli 2010 zum Menschenrecht auf Wasser und Sanitärversorgung und der Resolution 15/9 des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen vom 30. September 2010 über die Menschenrechte und den Zugang zu Trinkwasser und Sanitärversorgung,
– in Kenntnis der Millenniumserklärung der Vereinten Nationen vom 8. September 2000, in der die Millenniums-Entwicklungsziele als gemeinsame Vorgaben der internationalen Gemeinschaft für die Beseitigung der Armut festgelegt wurden und in der die Halbierung des Bevölkerungsanteils ohne dauerhaften Zugang zu sicherem Trinkwasser und sanitärer Grundversorgung bis zum Jahr 2015 vorgesehen wurde,
– unter Hinweis auf den dritten Weltwasserentwicklungsbericht der Vereinten Nationen mit dem Titel „Wasser in einer sich wandelnden Welt“,
– unter Hinweis auf die von der Paritätischen Parlamentarischen Versammlung AKP-EU in Budapest (16.–18. Mai 2011) angenommene Entschließung zur Wasserverschmutzung,
– unter Hinweis auf die Richtlinie 2000/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik(1) („Wasserrahmenrichtlinie“),
– unter Hinweis auf seine Entschließung vom 29. September 2011 zur Festlegung eines gemeinsamen Standpunkts der Union vor der Konferenz der Vereinten Nationen über nachhaltige Entwicklung (Rio+20)(2),
– unter Hinweis auf seine Entschließungen vom 12. März 2009 zum Wasser im Hinblick auf das fünfte Weltwasserforum vom 16. bis 22. März 2009 in Istanbul(3) und vom 15. März 2006 zum vierten Weltwasserforum vom 16. bis 22. März 2006 in Mexiko-Stadt(4),
– unter Hinweis auf die mündliche Anfrage an die Kommission betreffend das sechste Weltwasserforum in Marseille vom 12. bis 17. März 2012 (O-000013/2012 – B7-0101/2012),
– gestützt auf Artikel 115 Absatz 5 und Artikel 110 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass beinahe die Hälfte der Bevölkerung in den Entwicklungsländern keinen Zugang zu sanitären Einrichtungen hat, mehr als 800 Millionen Menschen nach wie vor Wasser aus unsicheren Quellen verwenden und dass der unzureichende Zugang zu sicherem Wasser und Sanitärversorgung sowie mangelnde Hygiene jedes Jahr zum Tod von mehr als 2,5 Millionen Kindern führen;
B. in der Erwägung, dass sich die Wasserbewirtschaftung unmittelbar auf die Gesundheit des Menschen, die Energieerzeugung, die Landwirtschaft und die Ernährungssicherheit auswirkt und dass eine effektive Wasserbewirtschaftung eine grundlegende Voraussetzung für die Armutsbekämpfung ist;
C. in der Erwägung, dass Entwaldung, Urbanisierung, Bevölkerungswachstum, biologische und chemische Umweltverschmutzung und Klimawandel die Verfügbarkeit und Qualität sicherer Wasserressourcen in verstärktem Maße beeinträchtigen und das Risiko von extremen Ereignissen im Zusammenhang mit Wasser erhöhen und dass in Armut lebende Bevölkerungsgruppen von diesen Entwicklungen am stärksten bedroht sind und sich am wenigsten daran anpassen können;
D. in der Erwägung, dass Wasser geografisch sehr ungleich verteilt ist und sich häufig am besten in Form einer Verwaltung auf mehreren Ebenen bewirtschaften lässt, bei der den regionalen und lokalen Gebietskörperschaften ein hoher Stellenwert zukommt;
E. in der Erwägung, dass das Parlament die Kommission und den Rat in seinen Entschließungen zum vierten und fünften Weltwasserforum aufforderte, die lokalen Gebietskörperschaften der Europäischen Union dazu anzuregen, einen Teil der von den Nutzern für die Bereitstellung der Wasserversorgung und der Abwasserentsorgung erhobenen Gebühren für Maßnahmen dezentraler Zusammenarbeit bereitzustellen, und in der Erwägung, dass diese Aufforderungen – obwohl Maßnahmen in diesem Bereich zu einem verbesserten Zugang zu Wasser und Sanitärversorgung für die am stärksten in Armut lebenden Menschen führen würden – bislang erfolglos blieben;
F. in der Erwägung, dass die Infrastruktursysteme im Bereich Wasser in Entwicklungsländern häufig unzureichend und in entwickelten Ländern veraltet sind;
G. in der Erwägung, dass neue technologische Entwicklungen das Potenzial bergen, eine effizientere und nachhaltigere Nutzung von Wasser zu erreichen, und insbesondere zum Vorteil von Entwicklungsländern genutzt werden können;
H. in der Erwägung, dass die Wasserrahmenrichtlinie einen Rahmen für die Reinhaltung und Reinigung von Wasser in der EU und für die Sicherstellung seiner langfristigen und nachhaltigen Nutzung vorgibt;
I. in der Erwägung, dass sich ein guter Gewässerzustand am besten erreichen lässt, indem Einleitungen, Emissionen und Verluste von Schadstoffen in die Umwelt verringert werden;
J. in der Erwägung, dass mit den vorgeschlagenen neuen EU-Rahmenbedingungen für die Gemeinsame Agrarpolitik und die Kohäsionspolitik im Zusammenhang mit der Strategie Europa 2020 für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum eine systematische Einbeziehung umwelt- und klimapolitischer Belange gefördert werden soll;
K. in der Erwägung, dass das alle drei Jahre stattfindende Weltwasserforum eine einzigartige Plattform bietet, auf der die Wassergemeinschaft sowie Politiker und Entscheidungsträger aus der ganzen Welt zusammenkommen, diskutieren und nach Lösungen zur Erreichung der Wasserversorgungssicherheit suchen können;
L. in der Erwägung, dass im Rahmen des sechsten Weltwasserforums unter dem Motto „Zeit für Lösungen“ 12 Prioritäten für Maßnahmen im Bereich Wasser genannt werden, die in die drei strategischen Leitlinien „Sicherstellung des Wohlergehens aller Menschen“, „Beitrag zur Wirtschaftsentwicklung“ und „Der blaue Planet muss blau bleiben“ unterteilt sind, ebenso wie drei „Voraussetzungen für den Erfolg“;
Sicherstellung des Wohlergehens aller Menschen
1. erklärt, dass Wasser ein Gemeingut der Menschheit ist und daher keine unrechtmäßige Profitquelle sein sollte und dass der Zugang zu Wasser ein universelles Grundrecht sein sollte; begrüßt es, dass die Vereinten Nationen das Menschenrecht auf sicheres Trinkwasser und Sanitärversorgung anerkennen, das sich aus dem Recht auf einen angemessenen Lebensstandard ableitet; fordert, dass bis 2015 alle notwendigen Anstrengungen unternommen werden, um den Zugang der ärmsten Bevölkerungsgruppen zu Wasser zu gewährleisten;
2. fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, ihren Einsatz für die uneingeschränkte Verwirklichung der Millenniums-Entwicklungsziele der Vereinten Nationen im Bereich Wasser und Sanitärversorgung zu verstärken und darüber hinaus die diesbezüglichen Ergebnisse der Konferenz Rio+20 über nachhaltige Entwicklung zu berücksichtigen; hebt hervor, dass bei der Debatte auf dem Weltwasserforum Strategien und Lösungen für die landwirtschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung angestrebt werden sollten, mit denen ein hohes Maß an Verfügbarkeit von Wasser und eine hohe Wasserqualität gewährleistet werden können;
3. hebt hervor, dass konkrete Verpflichtungen im Hinblick auf die Förderung und den Schutz der Wasserressourcen notwendig sind, insbesondere vor dem Hintergrund der bevorstehenden Konferenz Rio+20;
4. erachtet Volksgesundheit und Umweltschutz als Prioritäten jeder Wasserwirtschaftspolitik; betont die wesentliche Rolle des Schutzes der Trinkwasservorräte für die Gesundheit der Menschen; fordert die Planung und Umsetzung von Wasserschutzmaßnahmen auf Ebene der Flusseinzugsgebiete unter Einbeziehung des gesamten hydrologischen Kreislaufs; hebt hervor, dass das Problem der Wasserverschmutzung an der Wurzel bekämpft werden sollte, indem die Menge der gefährlichen Stoffe begrenzt wird, die in die Umwelt und in Trinkwassergebiete gelangen; fordert die Anwendung des Verursacherprinzips;
5. betont die Bedeutung des Wassers für Frieden und Zusammenarbeit; fordert den Abschluss und die Umsetzung internationaler Vereinbarungen für die gemeinsame Bewirtschaftung grenzübergreifender Oberflächengewässer und des Grundwassers, wobei Bürger und Regierungen gemeinsam die nachhaltige Bewirtschaftung der Wasservorräte sicherstellen sollten, um lokalen und internationalen Konflikten vorzubeugen;
Beitrag zur Wirtschaftsentwicklung
6. hebt hervor, dass die verschiedenen Arten der Wassernutzung in ein Gleichgewicht gebracht werden müssen, um Wasserbedarf und -angebot aneinander anzunähern und die Wasserqualität sicherzustellen, insbesondere in Entwicklungsländern; fordert die Annahme integrierter Pläne zur Bewirtschaftung der Wasserressourcen, ebenso wie eine Raumplanung auf internationaler, einzelstaatlicher und lokaler Ebene;
7. fordert staatliche und private Investitionen in die Erforschung und Entwicklung innovativer Wassertechnologien in allen Bereichen; fordert den Einsatz neuer Technologien, Geräte und Anlagen im Bereich Wasser in der Landwirtschaft, um durch den effizienteren Einsatz von Wasser und die bessere Nutzung nicht herkömmlicher Wasserquellen, einschließlich der Wiederverwendung von aufbereitetem Abwasser für Bewässerungszwecke und industrielle Zwecke, eine ausreichende Menge an sicheren Nahrungsmitteln zu erzeugen;
8. fordert die Beseitigung von Hemmnissen, die den Transfer von Wissen und Technologien in den Bereichen Gewässerschutz, Wassergewinnung, Bewässerungstechniken, Grundwasserbewirtschaftung, Abwasserbehandlung usw. verhindern;
9. betont die Bedeutung einer effizienten Wassernutzung; fordert eine effizientere Wassernutzung, insbesondere in Sektoren, in denen am meisten Wasser verbraucht wird, wie etwa in der Landwirtschaft, weil in diesen Sektoren die größten Effizienzsteigerungen erzielt werden können; fordert darüber hinaus Mindesteffizienzanforderungen für Erzeugnisse, die in der EU in Verkehr gebracht werden und sich stark auf den Wasserverbrauch auswirken, wobei auch deren Energiesparpotenzial zu berücksichtigen ist;
10. hebt hervor, dass die nachhaltige Nutzung von Wasser ebenso sehr eine wirtschaftliche wie eine ökologische Notwendigkeit darstellt und grundlegende Bedeutung für die Gesundheit hat; fordert mehr Transparenz bei der Wasserpreisgestaltung;
Der blaue Planet muss blau bleiben
11. betont, dass Wasser durch die Auswirkungen des Klimawandels besonders gefährdet ist, was zu einer Abnahme der Menge und der Qualität des verfügbaren Wassers führen könnte, insbesondere des Trinkwassers, sowie zu einer Zunahme der Häufigkeit und Intensität von Überschwemmungen und Dürren; fordert, dass bei politischen Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel und zu seiner Abmilderung die Auswirkungen auf die Wasservorräte angemessen berücksichtigt werden; hebt hervor, wie wichtig Strategien in den Bereichen Risikovorbeugung, Folgenabschwächung und Reaktion sind, um extremen Phänomenen im Zusammenhang mit Wasser vorzubeugen;
12. fordert alle Länder auf, bis 2015 ein quantitatives Ziel für die Verringerung der chemischen und biologischen Verschmutzung durch städtische Abwässer und landgestützte Tätigkeiten festzulegen, um die Wasserqualität zu schützen und wiederherzustellen und um die Nachhaltigkeit der Wasserressourcen und Ökosysteme zu fördern; erinnert die Mitgliedstaaten an ihre Verpflichtung gemäß der Wasserrahmenrichtlinie, bis 2015 einen guten Gewässerzustand zu erreichen; fordert die Mitgliedstaaten auf, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen und genügend Mittel bereitzustellen, um diese Ziele im Bereich der Wasserqualität zu erreichen;
Voraussetzungen für den Erfolg
13. fordert eine Datenbank für hydrologisches Wissen, die weltweit und auf Ebene der EU gemeinsam genutzt wird; fordert die Entwicklung globaler Schlüsselindikatoren für die Qualität, Menge, Verfügbarkeit und Bezahlbarkeit von Wasser sowie Indikatoren für die Wassereffizienz im Bereich von Flusseinzugsgebieten;
14. unterstützt die Entwicklung integrierter Bewirtschaftungspläne für Flusseinzugsgebiete auf globaler Ebene; hebt den hohen Stellenwert von Plänen zur Bewirtschaftung von Flusseinzugsgebieten für die Umsetzung der EU-Wasserpolitik gemäß der Wasserrahmenrichtlinie hervor; betont die grundlegende Rolle der regionalen und lokalen Gebietskörperschaften bei der kosteneffizienten Behandlung globaler Fragen im Bereich Wasser und bei der Korruptionsverhütung;
15. fordert die Kommission auf, im Namen der Europäischen Union dem Übereinkommen der Vereinten Nationen von 1997 über internationale Wasserläufe beizutreten, fordert ebenso die Mitgliedstaaten auf, diesem beizutreten, und fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, das Inkrafttreten der Änderungen des Übereinkommens von Helsinki von 1992 zum Schutz und zur Nutzung grenzüberschreitender Wasserläufe und internationaler Seen zu unterstützen, damit der Anwendungsbereich dieses Instruments über die Länder der UN/ECE-Region hinaus ausgeweitet wird; fordert sie außerdem auf, sich stärker für die Ratifizierung des Protokolls über Wasser und Gesundheit zu dem Übereinkommen von Helsinki von 1992 einzusetzen, um eine koordinierte und faire Bewirtschaftung des Wassers in nationalen und grenzüberschreitenden Einzugsgebieten zu fördern;
16. betont die Notwendigkeit, eine Konzentration der verfügbaren Finanzmittel auf Probleme im Bereich Wasser zu erreichen und das Thema Wasser in allen Politikbereichen durchgehend einzubeziehen, auch in die finanziellen und rechtlichen Instrumente der EU; hebt hervor, dass die Bewältigung von Problemen im Bereich Wasser für den erfolgreichen Übergang zu einer funktionierenden umweltgerechten Wirtschaft wesentlich ist;
17. fordert die Kommission und den Rat erneut auf, die lokalen Gebietskörperschaften der Europäischen Union dazu anzuregen, einen Teil der von den Nutzern für die Bereitstellung der Wasserversorgung und der Abwasserentsorgung erhobenen Gebühren für Maßnahmen dezentraler Zusammenarbeit bereitzustellen; nennt als mögliches förderfähiges Beispiel den Grundsatz „ein Prozent Solidarität für Wasser“, den sich einige Mitgliedstaaten zu Eigen gemacht haben;
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18. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat und der Kommission sowie den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten und dem Generalsekretär der Vereinten Nationen zu übermitteln.