Glyphosat
3.10.2011
Anfrage zur schriftlichen Beantwortung E-009044/2011
an die Kommission
Artikel 117 der Geschäftsordnung
Sir Graham Watson (ALDE)
Der Fragesteller bezieht sich auf die Antwort von Kommissionsmitglied John Dalli vom 4. August 2011 auf sein Schreiben vom 4. Juli 2011. Darin hatte sich der Fragesteller zu der Besorgnis der Wählerin Claire Robinson aus seinem Wahlkreis über die erst für 2015 geplante Neubeurteilung der Substanz Glyphosat geäußert. Im Schreiben von Kommissionsmitglied John Dalli heißt es zum Bericht von Earth Open Source und anderen Berichten zur Toxizität von Glyphosat: „In diesen Berichten konnten bislang keine möglichen Risiken für den Einsatz von Glyphosat in Pflanzenschutzmitteln aufgezeigt werden, die nicht bereits 2002 beim ersten Zulassungsverfahren berücksichtigt wurden“.
Es ist allerdings genau dieses Verfahren für die erste Zulassung selbst, das in dem Bericht von Earth Open Source in Frage gestellt wird und an dem Claire Robinson als Mitautorin beteiligt ist. In dem Entwurf für den Beurteilungsbericht, auf dessen Grundlage Glyphosat 2002 die Zulassung erhalten hat, wurden von dem Bericht erstattenden Mitgliedstaat Deutschland unwissenschaftliche Verfahren angewendet: So wurden unter anderem in Branchenstudien festgestellte Geburtsschäden bei Labortieren heruntergespielt oder blieben gänzlich unberücksichtigt. Der Bericht wird in folgenden Punkten kritisiert:
- —Nicht ossifizierte Sternebrae bei Labortieren wurden als eher „entwicklungsbedingte Abweichungen“ statt als „Missbildungen“ gedeutet, obwohl das anerkannte Fachbuch The Handbook of Skeletal Toxicology die Einordnung des Phänomens als Missbildung nachdrücklich empfiehlt.
- —Mehrfach wird auf „historische Kontrolldaten“ zurückgegriffen, durch die künstlich eine größere Variabilität angenommen wird, um die bei den exponierten Gruppen auftretenden Missbildungen bei ihrem Vergleich mit parallel durchgeführten Negativkontrollen „verschwinden lassen“ zu können.
- —Es wird fälschlicherweise behauptet, Missbildungen seien nur nach Verabreichung hoher und für das Muttertier toxischer Dosen aufgetreten, obwohl dies aber auch bei geringeren Dosen der Fall war.
- —Bei der Auswertung einer Studie wurden am Herzen aufgetretene Missbildungen mit der Begründung nicht einbezogen, es seien darüber hinaus keine weiteren Arten von Missbildungen in dieser Studie festgestellt worden.
- —Missbildungen wurden mit der Begründung nicht einbezogen, ihre Folgen seien nicht „eindeutig“ genug.
- —Statistisch relevante Missbildungen, die nach Verabreichung von Dosen unterhalb der Höchstdosis auftraten, wurden mit der Begründung nicht einbezogen, die Gaben entsprächen nicht der Behandlungspraxis und seien daher irrelevant.
- —In Branchenstudien festgestellte statistisch relevante Fälle von Missbildungen, die nach Verabreichung von Dosen unterhalb der Höchstdosis auftraten, wurden nicht einbezogen, nachdem die zulässige Tagesdosis bzw. das „ungefährliche Maß“ des Kontakts mit Glyphosat neu festgelegt wurde.
Aus diesen und vielen weiteren Gründen gelangen Claire Robinson und Earth Open Source zu dem Schluss, dass in dem Zulassungsverfahren für Glyphosat eindeutige Hinweise auf durch Glyphosat hervorgerufene Schädigungen fälschlicherweise nicht einbezogen wurden und das Verfahren als unwissenschaftlich anzusehen ist. Sie halten die Aussage für unzutreffend, dass auftretende Missbildungen „berücksichtigt“ worden seien, wenn deren Bedeutung für das Untersuchungsergebnis in Wirklichkeit ignoriert oder nicht ernst genommen wurde.
Kann die Kommission eine wissenschaftliche Begründung für die vorstehende Vorgehensweise Deutschlands wissenschaftlich nennen?
ABl. C 154 E vom 31/05/2012