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Verfahren : 2005/2146(INI)
Werdegang im Plenum
Entwicklungsstadium in Bezug auf das Dokument : A6-0414/2005

Eingereichte Texte :

A6-0414/2005

Aussprachen :

PV 18/01/2006 - 8
CRE 18/01/2006 - 8

Abstimmungen :

PV 19/01/2006 - 8.9
CRE 19/01/2006 - 8.9
Erklärungen zur Abstimmung

Angenommene Texte :

P6_TA(2006)0027

Ausführliche Sitzungsberichte
Mittwoch, 18. Januar 2006 - Straßburg Ausgabe im ABl.

8. Struktur, Themen und Kontext für eine Bewertung der Debatte über die Europäische Union
Protokoll
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  Präsident. Als nächster Punkt folgt der Bericht von Johannes Voggenhuber und Andrew Duff im Namen des Ausschusses für konstitutionelle Fragen über die Reflexionsphase: Struktur, Themen und Kontext für eine Bewertung der Debatte über die Europäische Union (2005/2146(INI)) (A6-0414/2005).

 
  
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  Andrew Duff (ALDE) , Berichterstatter.(EN) Herr Präsident! Dies ist die erste Reaktion des Parlaments auf die wegen der in Frankreich und den Niederlanden abgelehnten Verfassung entstandene Krise. Für uns ist es eine Möglichkeit, über mögliche Verluste nachzudenken, insbesondere für das Parlament, wenn wir es nicht schaffen, dieses Projekt zu retten und es einem erfolgreichen Abschluss zuzuführen. Es ist eine Möglichkeit, auf den aus dem Rat zu vernehmenden Missklang an Stimmen – manche primitiv, manche vertragsverletzend und manche politisch untragbar – zu reagieren. Es ist eine Möglichkeit, die Kommission darin zu bestärken, uns eindeutiger und unmittelbarer dabei zu unterstützen, einen Weg aus der Krise zu finden. Für das Parlament ist es eine Möglichkeit, politisch tätig zu werden und der Reflexionsphase einen Schwerpunkt zu verleihen.

Uns ist bewusst, dass wir all das nicht aus eigener Kraft erreichen können, sondern auf die enge Zusammenarbeit mit den einzelstaatlichen Parlamenten angewiesen sind. Ich muss gestehen, dass ich es in diesem Zusammenhang recht merkwürdig finde, dass die Präsidenten der Parlamente Österreichs, Finnlands und Deutschlands nur widerstrebend mit uns zusammenarbeiten. Die Entscheidung liegt bei den Parlamenten, ob sie mitmachen wollen oder nicht. Alle, die sich beteiligen, werden in entscheidender Weise darüber mitbestimmen können, wie die Zukunft Europas aussehen soll.

Die Vorschläge, die im Ausschuss vehement unterstützt wurden, setzten einen parlamentarischen Prozess in Gang. Wir wollen eine Reihe parlamentarischer Foren auf den Weg bringen, um einige grundsätzliche – vielleicht sogar primitive – Fragen über das Wesen und den Zweck Europas zu erörtern. Wir wollen die Aussprache über die Reform der Gemeinschaftspolitiken, die dem ersten Konvent teilweise verwehrt wurde. Diese politische Debatte kann und sollte radikal geführt werden, sie muss jedoch im Verfassungskontext stattfinden und sich eng an Zuständigkeitsfragen, Instrumenten und Verfahren orientieren.

Das erste dieser Foren wird am 9. Mai stattfinden. Dessen Schlussfolgerungen werden dem Europäischen Rat vorgestellt, der dann erste Entscheidungen in Bezug auf die Fortsetzung dieses Projekts treffen muss.

Unserer Auffassung nach sollte die Reflexionsphase dann gegen Ende 2007 mit einer klaren Entscheidung darüber zu Ende gehen, was mit dem Vertrag passieren soll. Laut Entschließungsantrag sind theoretisch mehrere Szenarien denkbar, doch praktisch gibt es für uns nur zwei. Das erste besteht darin, zum aktuellen Vertrag erklärende Protokolle oder Deklarationen hinzuzufügen. Das zweite wäre, Teil III in wesentlichen Teilen stärker zu ändern, so dass wir den berechtigten Bedenken und Sorgen der Bürger in Frankreich und den Niederlanden sowie einigen anderen Mitgliedstaaten Rechnung tragen können.

Zwischen und innerhalb der Fraktionen gehen die Meinungen sicherlich darüber auseinander, wie wir uns am besten verständlich machen können. Doch was die Rettung des Vertrags angeht, so sind wir uns einig, und ich empfehle den Entschließungsantrag dem Parlament.

(Beifall)

 
  
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  Johannes Voggenhuber (Verts/ALE), Berichterstatter. – Herr Präsident, Frau Kommissarin, Herr Ratspräsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir legen heute den Bericht zur europäischen Reflexionsphase vor, aus der nach vielen Monaten der Diskussion und mit überwältigender Unterstützung des Ausschusses für konstitutionelle Fragen eine road map zur Überwindung der Verfassungskrise wurde. Es sind wenige Minuten zu diesem großen Schritt und zu dieser großen Entscheidung des Parlaments, aber wenn ich auch nur eine Minute zu reden hätte, würde ich sie nutzen, um mich bei meinem Ko-Berichterstatter, Andrew Duff, für diese ganz außergewöhnliche Ehre und das Vergnügen zu bedanken, mit ihm diese Arbeit machen zu dürfen.

Er hat mich gelehrt, dass man aus den verschiedensten Richtungen die Zukunft, und zwar die gemeinsame Zukunft, in einem Europa, in unserem Europa, finden kann. Vielen Dank! Ein grüner Österreicher und ein liberaler Engländer - wenn das kein Handicap für den Beginn ist, dann, so glaube ich, können auch andere zueinander finden.

Herr Präsident, die harmonischen Töne aus der politischen Zauberflöte des Ratspräsidenten heute Vormittag haben natürlich die europäische Krise nicht überdecken können. Er hat nicht davon gesprochen. Ich möchte davon sprechen, und ich möchte vom Kern dieser Krise sprechen. All dieser neu ausgebrochene Streit, die Zerwürfnisse, die europäische Krise drehen sich um einen einzigen Satz, ausgesprochen von DEM Gründervater der Europäischen Union, Jean Monnet: „Wir vereinigen Menschen, nicht Staaten“. Der Streit, der heute geführt wird, geht darum.

Gibt es ein Europa der Staatskanzleien, der Regierungen, der Bürokratien, der Eliten, oder gibt es die Union der Bürger, zu der diese Verfassung den Weg geöffnet hat? Wer heute vom Tod der Verfassung spricht, erteilt dem Europa der Menschen eine Absage, stärkt das Europa der Regierungen und beschwört die Gespenster des 19. Jahrhunderts herauf, jene Urkrankheiten aus der Büchse der Pandora, den Nationalismus, die Rivalität der Staaten, das Balancedenken, das Hegemoniestreben, das Europa der Zersplitterung, das seinen eigenen Frieden nicht wahren, geschweige denn zu einer Friedensmacht werden kann. Darum wird dieser Streit geführt.

Da draußen vor dem Saal haben uns Abgeordnetenkollegen als Vogel Strauß verkleidet empfangen. Sie hätten sich nicht verkleiden müssen, wir haben sie auch so gut erkannt, und wir sind nicht blind; wir wissen, dass das vorläufige Scheitern des Ratifikationsprozesses in den Augen der Nationalisten eine historische Chance für die Renaissance des Nationalismus ist. Dem erteilt dieses Haus in großer Übereinstimmung aller im Ausschuss für konstitutionelle Fragen vertretenen Fraktionen mit diesem Bericht eine Absage.

(Beifall)

Die Verfassung ist nicht tot, weil das Bedürfnis der Menschen, in der Zukunft frei und gleich in innerem und äußerem Frieden in Europa zusammenzuleben, als Ziel in den Köpfen und Herzen der Menschen Bestand hat. Und auf dem Weg, eine Ordnung zu finden, eine politische Architektur, einen politischen Raum zu entwerfen, in dem das möglich ist, ist die Verfassung ein entscheidender Schritt.

Wir legen heute einen Bericht vor, in dem versucht wird, eine Strategie zur Beilegung dieser Krise zu entwerfen. Es ist eine Vertrauenskrise, es ist die Krise einer Union, die zwischen der Union der Bürger und der Union der Staaten nicht unterscheiden kann, in der die Erwartungen der Menschen geradezu programmatisch enttäuscht werden. Die Antwort auf die soziale Frage fehlt, die Demokratie ist defizitär, die Grundrechte sind nicht verankert, die Transparenz ist ungenügend, die Macht der Regierungen wenig kontrolliert und nicht gezähmt. Aber diese Verfassung ist ein Schritt, und wenn sie in Schwierigkeiten ist, so versuchen wir, auf diesem Weg fortzufahren.

Wir haben eine europäische Debatte entworfen; ich denke, wir bringen den Prozess zurück zu den Bürgern, und das heißt nicht weniger, als aus einem Projekt der Eliten eine res publica zu machen, eine Sache der Menschen selbst.

Ich hoffe, das Haus appelliert - wenn es diesen Bericht annimmt - mit uns auch an alle Parteien, an die Bevölkerung, an die Kommunen und Regionen, an die Gewerkschaften, an die zivile Gesellschaft, diese Debatte zu führen und diese Zukunft Europas als res publica mit aufzunehmen und mit uns darum zu streiten.

Wir haben diese Debatte nicht unstrukturiert vorgeschlagen. Wir haben uns, quer durch die Fraktionen, auf sechs Fragen geeinigt, darunter viele tabuisierte Fragen: das Ziel der europäischen Integration, die Grenzen Europas, die Zukunft des ökonomischen und sozialen Modells, die Rolle Europas in der Welt, die Frage des Raums von Sicherheit, Freiheit und Recht, auch die soziale Frage. Und auch wenn die Verfassung nicht alle Wünsche erfüllt - selbstverständlich tut sie das nicht -, so hoffe ich, dass wir mit diesem Plan diesem Ziel einen großen Schritt näher kommen.

Erlauben Sie mir nur noch ein Wort dazu, wo die Differenz zum Ausschuss für konstitutionelle Fragen liegt. Die Berichterstatter sind gewillt und haben darum gekämpft, einen Schritt weiterzugehen und nicht nur die Fortsetzung des Ratifikationsprozesses als Ergebnis dieser Debatte zu sehen, sondern auch die Möglichkeit, die Verfassung zu verbessern, ihren Kern zu erhalten und 2007 einen Revisionsprozess zu beschließen, offener darzulegen, um die Debatte glaubwürdiger zu machen, und eine solche Revision auch in einer europäischen Volksbefragung den Bürgern vorzulegen. Ich hoffe, dass bei diesem weiteren Schritt zur Besonnenheit der Kommission noch der Mut des Plenums hinzukommt.

(Beifall)

 
  
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  Hans Winkler, amtierender Ratspräsident. Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren Mitglieder des Europäischen Parlaments! Es ist mir eine große Freude, heute zum ersten Mal im Plenum zu sprechen und mit Ihnen zusammenzutreffen. Es freut mich ganz besonders, dass es bei dem interinstitutionellen Dialog, der zwischen den verschiedenen Institutionen geführt werden muss, um ein Thema geht, bei dem die Zusammenarbeit besonders wichtig ist. Es ist richtig – wie auch schon von den beiden Berichterstattern gesagt wurde –, dass das Jahr 2005 ein schwieriges Jahr war. Herr Voggenhuber hat gar das Wort Krise verwendet. In der Tat befinden wir uns in einer Vertrauenskrise mit den europäischen Bürgern. Wir müssen die berechtigten Fragen der Bürger beantworten. Ich stimme auch mit dem Abgeordneten Duff überein, dass diese Vertrauenskrise, diese Zweifel am europäischen Projekt eine Chance für uns alle sind. Wir müssen alle gemeinsam – Kommission, Parlament und Rat – diese Chance nutzen.

Ich möchte an dieser Stelle dem Parlament ganz besonders danken, denn zu einer Zeit, in der die Regierungen noch nicht bereit waren, ernsthaft eine Debatte zu beginnen, hat sich das Parlament bereits mit dieser Frage auseinandergesetzt. Auf der Grundlage des Berichts Duff/Voggenhuber hat in diesem Parlament eine Debatte stattgefunden, die uns weiterhilft. Die österreichische Präsidentschaft hat sich vom ersten Tag an bemüht, diese Debatte aufzugreifen, sie weiterzuführen und zu intensivieren. Sie werden alle verfolgt haben, dass diese Debatte von Anfang an sehr heftig war. Es wurde die gesamte Bandbreite von Meinungen geäußert, wie sie auch im vom Ausschuss für konstitutionelle Fragen angenommenen Bericht zum Ausdruck kommt.

Eines ist klar: Es gibt keine einfachen Lösungen, keine Tricks und keine Abkürzungen, mit denen man diese Vertrauenslücke zwischen Europa und seinen Bürgern sozusagen im Eiltempo überbrücken könnte. Seriös und langfristig wirkungsvoll kann nur eine echte und ernsthafte Auseinandersetzung mit den Problemen sein. Wir glauben, dass diese Debatte breit sein muss, wie dies auch in Ihrem Bericht, der heute zur Debatte steht, zum Ausdruck kommt. Es geht nicht nur um den Verfassungsvertrag und um eine juristische Debatte. Es geht um eine breite Debatte: Welches Europa wollen wir? Wo wollen wir hin? Wo sind die Grenzen Europas? Wie können wir den Ängsten und Sorgen der europäischen Bürger begegnen?

Wir wollen diese Debatte als Rat nicht nur fortsetzen, sondern auch intensivieren. Wir haben uns eine Reihe von Veranstaltungen vorgenommen, bei denen wir mit den europäischen Bürgern auf breiter Basis diskutieren wollen. Wir haben erst gestern gemeinsam mit der Kommission und dem Parlament über Methoden und Strategien, wie wir dieses Europa und das, wofür dieses Europa steht, den Bürgerinnen und Bürgern näher bringen können und mit welchen Mitteln, mit welchen Diskussionsforen und mit welcher Intensität wir die Erwartungen, die an Europa gestellt werden, am besten erfüllen können.

Es wird – der Ratsvorsitzende hat es heute schon gesagt – einen Auftakt für eine Debatte geben, bei der wir uns auch mit der Frage der Identität Europas auseinandersetzen wollen. Am 250. Geburtstag von Mozart wollen wir uns in Salzburg mit dieser Frage „Was ist Europa, was ist die europäische Identität?“ auseinandersetzen.

Bis zum Ende der österreichischen Ratspräsidentschaft wird es noch eine ganze Reihe weiterer Veranstaltungen geben, denn die Debatte über die Zukunft Europas hat viele Facetten. Nur wenn man sie alle beleuchtet, wird man sich der Dimensionen, um die es hier geht, voll bewusst werden können. Neben dieser öffentlichen Debatte, die wichtig ist, wird es auch konkreter Arbeit bedürfen. Diese Arbeit müssen die Regierungen der Mitgliedstaaten gemeinsam auf sich nehmen, um sich mehr Klarheit über den Weg, den wir gehen wollen, zu verschaffen.

Die wichtigste Aufgabe des Ratsvorsitzes ist es, alle Mitgliedstaaten an Bord zu holen, denn nur gemeinsam werden wir Fortschritte erzielen können. Wie der Bundeskanzler bereits gesagt hat, wollen wir erreichen, dass wir am Ende unseres Vorsitzes eine Wegskizze vorlegen und uns darüber einigen können, wie wir am besten zusammenwirken können, um die gemeinsamen Ziele zu erreichen.

Ich hoffe, dass es uns in den nächsten Monaten in einer gemeinsamen Anstrengung gelingen wird, mehr positives Denken in Europa zu erzeugen. Und – ja, Herr Voggenhuber – wir müssen Europa als res publica diskutieren, als etwas, was wirklich allen Bürgerinnen und Bürgern nützt.

(Beifall)

 
  
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  Margot Wallström , Vizepräsidentin der Kommission. (EN) Herr Präsident, sehr verehrte Abgeordnete! In dieser ersten Plenarteilsitzung des Jahres möchte ich Ihnen allen ein hervorragendes 2006 wünschen. Aus verfassungstechnischer Sicht kann es meiner Meinung nach nur besser als vergangenes Jahr werden. Als Verantwortliche sowohl für Verfassungsfragen als auch für interinstitutionelle Fragen hoffe ich, dass wir unsere fruchtbare, effektive und enge Zusammenarbeit fortsetzen können.

Ich möchte den Berichterstattern für diesen Bericht über die Reflexionsphase und den Entschließungsantrag danken. Ich habe ihn bereits mehrfach mit den beiden Abgeordneten des Europäischen Parlaments erörtert, die dem Europäischen Konvent angehörten. Verweisen möchte ich vor allem auf die bedeutenden Fortschritte, die seit den ersten Erörterungen erzielt wurden und den Mitberichterstattern für ihre geleistete Arbeit danken sowie ferner dafür, dass sie die vielen Meinungen, die während der intensiven Diskussionen im Ausschuss geäußert wurden, mit berücksichtigt haben.

Ich möchte meinen Beitrag auf vier Punkte beschränken. Der erste lautet, dass wir uns alle eine konstitutionelle Lösung wünschen, um Europa transparenter, demokratischer und effektiver gestalten zu können. Die Frage ist, wie wir eine solche Einigung nach dem „Nein“ Frankreichs und der Niederlande erreichen können. Ich habe mit Freude zur Kenntnis genommen, dass Ihr Entschließungsantrag alle Optionen in Bezug auf die Verfassung offen lässt. Während der Reflexionsphase ist es unabdingbar, den Bürgern, Sozialpartnern, politischen Parteien sowie den einzelstaatlichen und Regionalparlamenten zuzuhören, ohne vorschnell ein Urteil über das Ergebnis des breiteren Dialogs und der Aussprachen zu fällen. Tun wir das nicht, ergibt das alles keinen Sinn.

Ich habe auch Ihre bevorzugte Option zur Kenntnis genommen. Ohne die Unterstützung Frankreichs und der Niederlande sowie erforderlichenfalls ergänzenden Erklärungen und Maßnahmen wird es unmöglich sein, an der Verfassung festzuhalten. Jüngste Umfragen des Eurobarometers haben ergeben, dass sich die Unterstützung des Konzepts einer EU-Verfassung aufseiten der europäischen Bürger in den vergangenen fünf Monaten um zwei Prozentpunkte auf 63 % erhöht hat. Wie der Ausschuss für konstitutionelle Fragen schon mehrfach betont hat, ist es daher wichtig, statt des Textes besser den Kontext zu ändern. Aus diesem Grunde muss sich der Dialog auf das Projekt Europa im Zusammenhang mit der Verfassungsreform konzentrieren sowie auf das Endziel in Verbindung mit dem zu seiner Erreichung erforderlichen Instrumentarium. Erst nach vollständiger Anhörung der Ergebnisse der Debatten in den einzelnen Mitgliedstaaten wird es uns möglich sein, Schlussfolgerungen zur besten konstitutionellen Lösung für Europa zu ziehen. Aus diesem Grunde möchte sich die Kommission auf politische Schwerpunkte konzentrieren, in deren Mittelpunkt die Besorgnisse der Bevölkerung in Bezug auf Wachstum, Arbeitsplätze, Beschäftigung und Sicherheit stehen.

Zweitens kann ich Ihren Widerstand gegen Vorschläge für Kerngruppen bestimmter Mitgliedstaaten absolut nachvollziehen. Wir wollen ein Europa für alle, nicht nur für einige. Die Union befindet sich gerade in der Phase der Konsolidierung des jüngsten Beitrittsprozesses. Vor uns liegt noch viel Arbeit, um die reibungslose Integration der neuen Mitgliedstaaten sicherzustellen. Meiner Ansicht nach sollte eine verstärkte Zusammenarbeit unbedingt im Rahmen der bestehenden Verträge erfolgen und allen Mitgliedstaaten offen stehen.

Seien Sie versichert, dass die Kommission und ich keine Vorschläge für eine verstärkte Zusammenarbeit außerhalb des institutionellen Rahmens der EU unterstützen werden.

(Beifall)

Drittens erscheint es mir ratsam, die abschließenden Schlussfolgerungen über die Reflexionsphase erst unter deutschem oder portugiesischem Ratsvorsitz, im Jahre 2007, zu erarbeiten. Der Europäische Rat im Juni 2006 wird sicherlich ein wichtiger Meilenstein in diesem Prozess sein, sollte jedoch nicht sein Ende bedeuten. Natürlich wird der Europäische Rat darüber entscheiden müssen, ob die Reflexionsphase möglicherweise über den Juni 2006 hinaus andauern soll, wie es bereits vom österreichischen Ratsvorsitz vorgeschlagen wurde. Auf jeden Fall wird die Kommission, wie in Plan D vorgeschlagen, eine Mitteilung für den Europäischen Rat im Juni vorbereiten, in der sie ihre Ansichten über das erste während der Reflexionsphase empfangene Feedback darlegen wird. Die Grundlage dafür bilden neben einem Sonderbericht des Eurobarometers, Diskussionsforen sowie den Foren am 9. Mai Besuche in verschiedenen Ländern, die derzeit vom Präsidenten, mir und weiteren Kollegen aus der Kommission unternommen werden.

Mit diesem Synthesebericht sollen der Hintergrund und der Ansatz der Kommission aus dem vergangenen Jahr sowie die ersten Ergebnisse der Anhörung erläutert und eine Reihe von Schlussfolgerungen für den österreichischen Ratsvorsitz zu den nächsten anstehenden Schritten bereitgestellt werden. Damit wird der vom österreichischen Ratsvorsitz auf der Grundlage der Beiträge der Mitgliedstaaten erstellte Faktenbericht ergänzt.

Viertens unterstütze ich Ihre Ablehnung einer stückchenweisen Umsetzung der Verfassung. Der Grund dafür ist einfach – er hat mit Respekt zu tun. Respekt gegenüber jenen, die mit „Nein“ gestimmt habe, sowie jenen, die die Verfassung bereits ratifiziert haben, und auch Respekt gegenüber dem institutionellen Gleichgewicht. Pickt man nur einiges heraus, so könnte der Eindruck entstehen, dass die Union die Ergebnisse der einzelstaatlichen Referenden zu umgehen versucht und Gefahr läuft, das allgemeine institutionelle Gleichgewicht zu unterlaufen.

Wir sollten den Unterschied zwischen unseren Einrichtungen und denen der Mitgliedstaaten respektieren und vor allem bei der Inangriffnahme verschiedener lobenswerter Initiativen und Projekte stets die demokratischen Traditionen eines jeden Landes respektieren. Jedem von uns kommen wichtige, aber unterschiedliche Rollen zu.

Abschließend möchte ich betonen, dass wir diese Fragen nicht diskutieren können, ohne in eine politische Debatte zu treten und politische Schwerpunkte zu erörtern. Die europäischen Bürger werden erkennen, dass es politische Differenzen in Europa gibt. Dies ist ein anderes Forum zur Diskussion von politischen Schwerpunkten, aber ohne dieses und ohne jegliche Diskussion über Verfassungsfragen wird gar nichts funktionieren. Wir müssen diesen Prozess mit der Schaffung von Legitimation für unsere Institutionen verknüpfen, indem wir die politischen Ergebnisse liefern, die sich die europäischen Bürger wünschen. Deshalb müssen wir uns ihren täglichen Problemen genauso widmen wie den Verfassungsfragen.

(Beifall)

 
  
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  Elmar Brok (PPE-DE), Verfasser der Stellungnahme des mitberatenden Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten. – Herr Präsident, Herr Ratspräsident, Frau Vizepräsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Der Entwurf des Verfassungsvertrags hat im Rahmen des Konvents und der Regierungskonferenz eine Balance ergeben, die im Wesentlichen durch die nationalen Parlamente, die die stärkste Gruppe im Verfassungskonvent bildeten, getragen wurde. Vierzehn Länder haben ratifiziert, zwei davon durch Referendum, zwei nicht. Dieses Scheitern, das ja auch mit nationalen Fragen, aber auch mit der Stimmung in Europa insgesamt zu tun hat, ist ein Scheitern nationaler Politik, aber auch europäischer Politik, weil es uns nicht gelungen ist, Europa zu begründen.

Wir müssen die Sorgen der Bürger ernst nehmen; wir müssen sie auch in Frankreich und in den Niederlanden ernst nehmen und können nicht einfach darüber hinweggehen, aber wir sollten deutlich machen, warum wir dieses Europa brauchen. Dafür muss die Reflexionsphase genutzt werden. Dies ist kein Zeitraum der Debatte über Einzelheiten der Verfassung, sondern Europa muss in den Begründungen zu den Menschen zurückgebracht werden.

Dabei müssen wir auch sehen und deutlich machen, dass der Verfassungsvertrag gerade Dinge beinhaltet, die der Bürger kritisiert, weil sie bisher fehlen, z. B. eine größere Handlungsfähigkeit im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik, worauf sich meine Stellungnahme konzentriert. Alle Meinungsumfragen sagen, dass die Bürger genau das wollen: die Vertretung Europas nach außen hin. Und dafür bietet die Verfassung Regelungen, die nur sie vorsieht und die wir unter den gegenwärtigen Bedingungen nicht nebenher schaffen können. Sie schafft einen neuen Weg der Subsidiarität unter Mitwirkung der nationalen Parlamente, um auf diese Art und Weise Zentralismus zu verhindern, und verbindet diesen Gedanken der Subsidiarität mit der Solidarität.

Die Bürgerrechte und die Charta der Grundrechte spielen eine große Rolle. Die Bürger werden durch diese Verfassung zu entscheidenden Akteuren, und sie bekommen auch den Schutz. Man muss auch sehen, dass in Zukunft beispielsweise der Kommissionspräsident als Spitze der europäischen Exekutive unmittelbar als Resultat aus den Wahlen zum Europäischen Parlament hervorgeht und die Bürger dabei eine Rolle spielen. Deshalb sollten wir uns auch darauf konzentrieren, dass die Teile I und II der eigentliche Verfassungsvertrag sind, während Teil III der Vertrag von Nizza ist. Dieses Missverständnis haben wir bisher nicht ausräumen können. Daher bin ich dankbar, dass die österreichische Präsidentschaft eine road map vorlegen wird und Deutschland in seiner Präsidentschaft neue Initiativen ergreifen will. Wir sollten uns jetzt auf den Dialog konzentrieren, die Reflexionsphase bewerten und 2007 die Vorschläge vorlegen. Dies bedeutet, dass wir nicht jetzt schon Maßnahmen ergreifen sollten, wie Duff und Voggenhuber es in ihrem Antrag vorschlagen. Dies ist zu früh und entspricht nicht den Wünschen der Bürger.

 
  
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  Hannes Swoboda (PSE), Verfasser der Stellungnahme des mitberatenden Ausschusses für Industrie, Forschung und Energie. – Herr Präsident! Ich bin den beiden Berichterstattern sehr dankbar für ihren Bericht. Ich weiß, dass die Fragestellung, die Kollege Brok zuletzt angesprochen hat, zu vielen Diskussionen, auch innerhalb der Fraktionen, geführt hat. Es spricht vieles für beide Positionen. Vielleicht ist die Frage zu früh gestellt. Vielleicht müssen wir mit dem anfangen, was wir möglicherweise ein bisschen vernachlässigt haben, nämlich die inhaltliche Dimension. Wie können wir die Bürgerinnen und Bürger davon überzeugen, dass wir in Europa eine Verfassung, wie sie erarbeitet worden ist, brauchen? In meiner Stellungnahme, die ich für den Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie ausarbeiten konnte, habe ich einige Beispiele angeführt. Vielleicht kann ich das Beispiel nennen, das damals noch nicht viel Gewicht hatte, in den letzten Tagen in diesem Parlament aber Gewicht bekommen hat: die Energiefrage!

Es war schon überraschend und erstaunlich, dass sich viele Abgeordnete, die vielleicht bis vor kurzem der europäischen Energiepolitik mit einer gewissen Skepsis gegenüberstanden, jetzt sehr massiv für eine gemeinsame Energiepolitik ausgesprochen haben. Ich habe sehr begrüßt, was Herr Saryusz-Wolski gesagt hat. Der Herr Bundeskanzler als Ratspräsident, der immer wieder die Subsidiarität betont, hat sich heute deutlich für eine gemeinsame Energiepolitik ausgesprochen. Dies ist nur ein Beispiel, um zu zeigen, wie wichtig es ist, dass die Zuständigkeiten, die wir auf europäischer Ebene - gerade auch in der Verfassung - verankert haben, auch wirklich voll genutzt werden. Ich glaube, das ist der Weg, den wir gehen müssen.

Ich könnte jetzt beispielsweise die Frage der Raumfahrtpolitik erwähnen, über die wir hier auch gesprochen haben und wo es nicht darum geht, Europäer in den Weltraum zu schicken, sondern um die Frage der Kontrolle der Umwelt oder die Frage, Tsunami-Warnungen rechtzeitig zur Verfügung zu stellen. Viele andere Dinge sind realistisch, machbar und gegenüber dem Bürger erklärbar, wenn wir uns nicht auf die institutionellen Fragen konzentrieren, sondern auf die inhaltlichen Fragen.

Herr Ratspräsident! Wir in diesem Parlament erwarten natürlich diese road map oder diese Skizze, wie es weitergehen soll. Ich bitte Sie inständig, dass Sie bei all dem, was Sie in den nächsten Wochen und Monaten der Ratspräsidentschaft inhaltlich zu tun haben, darauf hinweisen, wie viel besser wir es tun könnten, wenn wir eine europäische Verfassung hätten. Das ist ein ganz wichtiger Aspekt.

 
  
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  Paolo Costa (ALDE), Verfasser der Stellungnahme des mitberatenden Ausschusses für Verkehr und Fremdenverkehr. – (IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wie es jemand hervorragend formuliert hat, gleicht das Projekt Europa seit fünfzig Jahren einem Fußballspiel hinter verschlossenen Türen. Mit dem Referendum über die Verfassung in Frankreich und den Niederlanden sind die Bürger, die Einlass begehrten und von den Tribünen aus zusehen wollten, einen Schritt weiter gegangen und haben eine wahrhafte Invasion des Spielfelds organisiert. Die heutige Krise Europas ist auch dadurch bedingt, dass es nicht mehr möglich ist, hinter verschlossene Türen zurückzukehren, zurück zum Europa der Verträge und der elitären Beschlüsse, und dass gleichzeitig niemand weiß, wie man die Menschen zurück auf die Tribünen bekommt, damit sie ihre Meinungen angemessen äußern können, wie Fans dies normalerweise tun.

Die Wiedererfindung eines Systems der Mitwirkung und Rechenschaftspflicht, mit dem die Union direkt auf die Bürger reagiert, ohne die egoistische, verfälschende und irreführende Vermittlung der Mitgliedstaaten, ist eine Voraussetzung für das Wiederbeleben des Projekts Europa, wie es auch immer aussehen mag. Die Frage ist nur, Rechenschaft wofür? Wir müssen den Fehler vermeiden, dass die Pause des Nachdenkens eine Pause der Untätigkeit wird.

Kein Plan D wird gelingen, wenn das „D” für „Debatte”, „Dialog” und „Demokratie” nicht außerdem auch für „Delivery“ steht. Delivery ist der beste Kontext, in dem der Text der Verfassung überarbeitet werden kann, und die beste Möglichkeit, den Menschen verständlich zu machen, wie nützlich Europa sein kann. Daher können auch selbstverschuldete Niederlagen, wie die heutige De-facto-Ablehnung der Regulierung des Marktzugangs zu Hafendienstleistungen, in symbolischer Form gefährlich werden.

Es gibt Bereiche, in denen die Zuständigkeit Europas anerkannt ist und in denen die bestehenden Verträge bereits die Abstimmung mit qualifizierter Mehrheit und das interinstitutionelle Mitentscheidungsverfahren vorsehen – der Verkehr ist ein Beispiel. Es gibt auch Bereiche, in denen die Subsidiarität andersherum interpretiert werden sollte, d. h., verhindern, dass die Mitgliedstaaten etwas schlecht tun, das auf europäischer Ebene besser getan werden kann. In diesen Zuständigkeitsbereichen muss die Union ihre Quote beim Delivery erhöhen und es wagen, zu zeigen, wie nützlich sie sein kann.

Es reicht heute nicht mehr, die Union einzig als eine kluge Lösung für das Problem des Krieges, auch des Kalten Krieges, zu betrachten. Wir brauchen eine Union, die den globalen Herausforderungen des dritten Jahrtausends gewachsen ist. Wir denken auch nach, um besser zu verstehen, was wir morgen tun müssen. Wir müssen jedoch Acht geben, dass dies für uns nicht zu einem Vorwand wird, um heute untätig zu sein, da sonst all unsere Überlegungen zunichte werden könnten, wie klug sie auch immer sein mögen.

 
  
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  Vladimír Železný (IND/DEM) , Verfasser der Stellungnahme des mitberatenden Ausschusses für regionale Entwicklung. – (CS) Ich bin stolzes Mitglied der Fraktion Unabhängigkeit und Demokratie, die unzutreffenderweise als euroskeptisch dargestellt wird. Es dürfte Sie daher überraschen, dass ich mit der Abfassung der Stellungnahme des Ausschusses für regionale Entwicklung zum Bericht über die Reflexionsphase nach Ablehnung der Verfassung betraut wurde. Ich erachte dies als Beleg für die Offenheit, mit der unser Ausschuss dieses Thema angeht. Der Grundsatz „Audiatur et altera pars“ – auch die andere Seite soll gehört werden – zählt zu den grundlegenden Voraussetzungen für einen echten Dialog.

Meine Ansichten haben im Ausschuss eine konstruktive Debatte angestoßen, die schließlich zu einem wohl durchdachten und keineswegs wirkungslosen Kompromiss führte. Der Bericht wurde von den Mitgliedern des Ausschusses ohne Gegenstimmen bei vier Enthaltungen verabschiedet. Dies zeigt, dass ein Dialog über die Zukunft der Union möglich ist. In unserem Bericht werden übrigens Grundsätze befürwortet, die im Bericht der Herren Duff und Voggenhuber fehlen. Besonders möchte ich den Grundsatz der gesetzlichen Vorsorge nennen, von dem wir uns leiten lassen sollten, damit wir uns nicht in den Rechtsvorschriften, die wir während der Reflexionsphase beschließen, ständig auf eine Verfassung beziehen, die derzeit rechtlich gesehen tot ist, aber in ihrer ursprünglichen Form wiederaufleben könnte. Es wäre naiv und irrig zu glauben, dass dies umso wahrscheinlicher wird, je häufiger wir darauf Bezug nehmen. Dies könnte derartige Rechtsvorschriften in Zukunft unnötigerweise aushöhlen.

Der Bericht unseres Ausschusses enthält auch die Empfehlung, mit den Institutionen nationaler und regionaler Parlamente zusammenzuarbeiten, die ein hohes Maß an Sachverstand und Legitimität aufweisen, allerdings nicht nur – wie in dem uns vorliegenden Bericht empfohlen – einmal im Jahr als bloße Pflichtübung. Leider haben sich in andere Teile des Berichts Misstöne eingeschlichen, wobei am verwunderlichsten erscheint, dass dort das Ergebnis des offenen Dialogs bereits vorweggenommen wird. Es heißt dort sogar, dass die derzeit tote Verfassung im Jahre 2009 ratifiziert werden soll. Dies ist nichts anderes als die Missachtung des demokratischen Willens der Bevölkerung von mindestens zwei EU-Mitgliedstaaten. Wenn wir den Ausgang des Dialogs bereits im Voraus festlegen, wenn wir den Dialog auf das Niveau einer inszenierten Vorstellung nicht repräsentativer Einrichtungen reduzieren und wenn wir weiterhin das Geld so ausgeben, dass nur erwünschte Meinungsäußerungen Gehör finden, wird die EU niemals in der Lage sein, effektive Strukturen zu entwickeln.

 
  
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  Willem Schuth (ALDE), Verfasser der Stellungnahme des mitberatenden Ausschusses für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung. – Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst möchte ich den Kollegen Duff und Voggenhuber zu ihrem ausgewogenen Bericht gratulieren. Ich freue mich sehr, dass ich Ihnen heute kurz die Stellungnahme des Ausschusses für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung zu diesem Bericht vorstellen darf. Das Europäische Parlament hat im Agrarbereich lange um die Mitentscheidung kämpfen müssen. Es ist zu begrüßen, dass der Verfassungsentwurf die seit den Amsterdamer Verträgen festgeschriebene Mitentscheidung in den Bereichen Umweltschutz, Lebensmittelsicherheit und Verbraucherschutz übernommen hat. Im Bereich der Agrarpolitik kann sich der Rat der Agrarminister bis heute über die Meinung des Europäischen Parlaments hinwegsetzen, da das Mitentscheidungsverfahren nach dem heutigen Vertrag nicht auf die gemeinsame Agrarpolitik Anwendung findet.

Vor diesem Hintergrund stellte der Verfassungsentwurf zwar insofern einen Zugewinn an demokratischer Legitimation in Aussicht, als alle agrarpolitischen Grundsatzentscheidungen der Mitbestimmung unterliegen sollten. Aus Sicht des Landwirtschaftsausschusses bedarf es allerdings noch einiger Verbesserungen am vorliegenden Text. Die in Artikel III-227 genannten Ziele der gemeinsamen Agrarpolitik stehen im Widerspruch zu den in Artikel I-3 formulierten Zielen der Europäischen Union und sind nicht mehr vermittelbar. Sie müssen dringend dahingehend aktualisiert werden, dass sie der Multifunktionalität unserer heutigen Landwirtschaft auch tatsächlich Rechnung tragen. Die Landwirtschaft in der EU bietet heute Arbeitsplätze für 10 Millionen Menschen. Sie ist der einzige Garant für eine nachhaltige Entwicklung des ländlichen Raums und untrennbar mit ihm verbunden.

Für eine für die Gesellschaft akzeptierbare GAP reicht der vorliegende Verfassungsentwurf nicht aus. Vielmehr sollte im Rahmen eines künftigen Vertrags das Mitentscheidungsverfahren prioritär auf die gemeinsame Agrarpolitik ausgeweitet werden, wobei insbesondere die in den Artikeln III-230 Absatz 2 sowie III-231 Absatz 2 des vorliegenden Textes verbliebenen Lücken im Agrarbereich geschlossen werden könnten.

Angesichts der großen Bedeutung der GAP und ihrer herausragenden Stellung im Haushalt der EU verdienen die europäischen Bürger ein Höchstmaß an Transparenz und vor allem Mitbestimmung in diesem sensiblen Bereich. Dies kann in meinen Augen nur die volle Mitbestimmung des Europäischen Parlaments in allen Fragen der Agrarpolitik, des Verbraucherschutzes und der Lebensmittelsicherheit bedeuten.

 
  
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  Maria Berger (PSE), Verfasserin der Stellungnahme des mitberatenden Rechtsausschusses. – Herr Präsident! Darf ich – in diesem Fall wirklich von Herzen gemeint – den beiden Berichterstattern gratulieren, nicht nur zu dem jetzt vorliegenden Bericht, sondern zu ihrem anhaltenden Engagement für das Verfassungsthema auch in Zeiten, als das wenig Konjunktur hatte. Ich hoffe, dass diese Zeiten jetzt vorbei sind.

Ich durfte die Stellungnahme des Rechtsausschusses verfassen. Der Tenor der Stellungnahme passt sehr gut zu dem jetzt vorliegenden Berichtsentwurf des federführenden Ausschusses. Uns war es, speziell aus der Sichtweise des Rechtsausschusses, ein Anliegen, uns nicht frühzeitig von dem vorliegenden Verfassungsentwurf zu verabschieden. Bei den Themenbereichen, die uns sehr wichtig sind, wie Stellung und Kompetenzen des Europäischen Gerichtshofes, Neuordnung des Legislativverfahrens und des Komitologieverfahrens, Zusammenarbeit im justiziellen Bereich, können wir einfach nicht sehen, dass wir durch einen kompletten Neubeginn wirklich Verbesserungen erreichen können – ganz im Gegenteil! Wenn ich heute leider von der österreichischen Ratspräsidentschaft Kritik an der Kompetenz des Europäischen Gerichtshofes hören musste und es jetzt nicht nur von der österreichischen Präsidentschaft Kritik gibt, dann denke ich, dass die Lösungen, die hier im Verfassungsentwurf gefunden worden sind, doch sehr gut sind.

Aus rechtlicher Sicht verwahren wir uns natürlich auch gegen eine leichtfertige Teilung des Verfassungsentwurfs. Im Teil I haben wir sehr viele Grundsätze. Wir alle wissen, dass diese Grundsätze nur mit den Ausnahmen, die in Teil III enthalten sind, politisch akzeptabel waren. Auch aus rechtlicher Sicht müssten wir leider Teil I und Teil III in verbundener Weise sehen, und ohne grundsätzliche Überarbeitung des Teils III werden wir hier keine neue Struktur erreichen können.

Darf ich abschließend noch meine große Enttäuschung über das Schreiben dieser drei Präsidenten nationaler Parlamente zum Ausdruck bringen. Wenn ich mich daran erinnere – und ich sehe ja viele Mitglieder des früheren Konvents hier in diesem Saal –, wie engagiert die nationalen Abgeordneten am Verfassungsentwurf mitgearbeitet haben, welche wichtigen Vorschläge sie gemacht haben, dann kann ich dieses uns vorliegende Schreiben der drei Präsidenten einfach nicht als letzte Antwort in dieser Frage ansehen.

 
  
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  Jean-Marie Cavada (ALDE), Verfasser der Stellungnahme des mitberatenden Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres. (FR) Herr Präsident, Herr Winkler, Frau Wallström! Der Ausschuss für bürgerliche Freiheiten hat die von mir vorbereitete Stellungnahme am 28. November 2005 mit großer Mehrheit angenommen. Was ist der Inhalt dieser Stellungnahme? Erstens werden darin alle von der Verfassung vorgesehenen Verbesserungen gegenüber den gegenwärtigen Verträgen aufgeführt. Es sind zahlreiche und bedeutsame Verbesserungen auf dem Gebiet der Sicherheit, der Freiheit und des Rechts zu verzeichnen, die insbesondere alle Gegenstand des Konsenses der zur Union gehörenden Staaten sind.

Ich kann sie nicht alle aufzählen, sondern möchte lediglich auf vier Punkte eingehen, die mit dem ausgezeichneten Bericht meiner Kollegen Duff und Voggenhuber wieder auf die Tagesordnung gesetzt wurden und die uns aus den gegenwärtigen Schwierigkeiten herausführen können.

Erstens die durchgängige Anwendung der Abstimmung mit qualifizierter Mehrheit und die Vereinfachung der normativen Rechtsakte ermöglichen uns, Politik zu machen und nicht wegen ihrer Nuancen blockiert zu werden. Zweitens die Ausdehnung der Rechtsprechung des Gerichtshofs als Erzeuger von Gemeinschaftsrecht, wenn das Parlament keines zu schaffen vermag. Drittens ist die definitive Stärkung der Stellung des Parlaments als Mitgesetzgeber zu nennen, die wir fördern müssen. Viertens erhält die Grundrechtecharta durch ihre Aufnahme in die Verfassung Rechtswirksamkeit. Es gibt natürlich noch weitere positive Punkte, doch die von mir erwähnten sind wirklich von grundlegender Bedeutung.

Verzeihen Sie mir diesen Hinweis auf die uns noch verbleibenden Möglichkeiten, doch ich wollte die Fortschritte hervorheben, die diese Verfassung in einem Bereich bietet, der in sämtlichen Mitgliedsländern der Union unbestritten ist: der der Grundrechtecharta und des Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Hier bietet sich die Möglichkeit, bereits jetzt einen Rahmen zu schaffen, bis ein neuer Text verfügbar ist. Warum nutzen die Mitgliedstaaten diese Möglichkeit nicht stärker, um zu versuchen, eine Union wieder zu festigen, die sich in harter Bedrängnis befindet?

Des Weiteren sehen wir es als vorrangig an, die Auswirkungen der Unionspolitiken auf die Grundrechte zu berücksichtigen, und unterstreichen die dringende Notwendigkeit der Schaffung einer unabhängigen Agentur für Grundrechte, wie vom Parlament am 26. Mai 2005 gefordert, um unverzüglich einen ersten Schritt dazu zu tun.

 
  
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  Edit Bauer (PPE-DE) , Verfasserin der Stellungnahme des mitberatenden Ausschusses für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter. (SK) Herr Präsident, Herr Winkler, Frau Kommissarin! Wir sprechen selten über Dinge, die wichtiger sind als das Thema, das jetzt auf der Tagesordnung steht. Unser Dank gilt den Berichterstattern, die die Initiative ergriffen und sich ausgehend von umfassenden Diskussionen zu dieser Problematik geäußert haben.

Die Zukunft Europas geht uns alle an - sie ist für Jung und Alt, für Männer und Frauen gleich wichtig. Wie Frau Wallström betonte, haben die meisten europäischen Bürger mit den Entscheidungsmechanismen der europäischen Organe kein Problem. Ihr Problem besteht in erster Linie darin, dass sie keine klare Vorstellung von der eigenen Zukunft, ihren Aussichten, ihrer Sicherheit und den neuen Dingen haben, auf die sie sich noch einstellen müssen.

Ungewissheit und Angst vor der Zukunft waren, daran besteht kein Zweifel, die wichtigsten Faktoren für die Ablehnung der Verfassung. Natürlich ist es unser aller Aufgabe, einen Weg nach vorn zu finden. Wir hier im Europäischen Parlament sollten uns der Botschaften und Signale bewusst sein, die wir aussenden, wenn wir Entscheidungen treffen, beispielsweise zu den Kohäsionsinstrumenten oder zur Übertragung von Rentenansprüchen, oder wenn wir eher Einwanderern aus Drittstaaten eine Vorzugsbehandlung angedeihen lassen als den Bürgern der neuen Mitgliedstaaten.

Die Regierungen der Mitgliedstaaten können sich nicht aus der Verantwortung stehlen, wenn sie sich vielfach so verhalten, als gingen sie europäische Angelegenheiten - beispielsweise die in der Lissabon-Strategie festgelegten Zielvorgaben für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf - nichts an. Offen bleibt die grundlegende Frage, ob wir in der Lage sein werden, eine ausreichend ansprechende gemeinsame Vision zu entwickeln und ob unsere europäischen Werte so überzeugend sind, dass sie zu einem angemessenen Grad des sozialen Zusammenhalts führen.

Herr Präsident, Frauen machen über die [Hälfte] aller Bürger und Wähler in Europa aus. Sie haben ihre eigenen speziellen Probleme, die ein einfühlsames Vorgehen und zufriedenstellende Lösungen erfordern. In der kommenden Aussprache muss daher den Ansichten der Frauen ausreichend große Beachtung geschenkt werden. Lassen Sie mich abschließend betonen, Herr Präsident, dass nach Ansicht des Ausschusses für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter eine neuerliche Kluft zwischen den Kernländern Europas und den übrigen Staaten eines der schlechtesten Ergebnisse unserer Bemühungen sein würde, die man sich denken kann.

 
  
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  Alexander Stubb , im Namen der PPE-DE-Fraktion.(EN) Herr Präsident! Ich möchte mich zu drei Punkten äußern. Erstens ist es sehr schön, wieder über die Verfassung reden zu können. Der Haushalt ist geschafft, so können wir uns anderen Dingen widmen. Mir ist so, als habe sich die Verfassung in den vergangenen acht, neun Monaten auf Intensivstation befunden. Jetzt wird sie langsam entlassen, doch ich denke, der Erholungsprozess wird nur langsam voranschreiten, aber ich meine, wir sollten auf 2009 schauen.

Ich denke, die Botschaft dieses Berichts lautet, dass alle Optionen offen stehen; immer sachte; wir sollten die Verfassung nicht für tot erklären; lasst uns nicht von neuem verhandeln; lasst uns nicht sagen, dieser Vertrag könne nicht in Kraft treten. Wir haben Zeit und wir müssen darüber nachdenken.

Zweitens möchte ich feststellen, dass es in der letzten Zeit einige Kontroversen zwischen dem Europäischen Parlament und den Sprechern von drei einzelstaatlichen Parlamenten gegeben hat. Wir sollten das positiv sehen. Das Europäische Parlament sollte und darf nicht arrogant oder altväterlich gegenüber den einzelstaatlichen Parlamenten auftreten. Ja, wir sollten ein europäisches Forum schaffen, aber wir sollten es gemeinsam tun und eine echte Aussprache über die Zukunft der Europäischen Union führen.

Mein letzter Punkt bezieht sich darauf, dass in den vergangenen Monaten in einigen Kreisen von einem so genannten Kerneuropa die Rede war. Ich halte diese Gespräche für absoluten und vollkommenen Schwachsinn, da die Leute, von denen diese Ideen stammen, für gewöhnlich diejenigen sind, die die Integration bremsen wollen. Lassen Sie uns mit der Ratifizierung der Verfassung beginnen; lassen Sie uns den Ball ins Rollen bringen, zusammenarbeiten und lassen Sie uns vor allem gemeinsam in den Institutionen der Europäischen Union arbeiten. Jegliche Erwähnung des Wortes „Kerneuropa“ da draußen macht mich schaudern. Der beste Weg nach vorn besteht darin, ihn im Rahmen des Vertrags zu beschreiten, und zwar gemeinsam. Ich bin sicher, dass wir das bewältigen werden und bis 2009 eine Verfassung haben werden.

 
  
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  Richard Corbett , im Namen der PSE-Fraktion.(EN) Herr Präsident! Erst vor einem Jahr hat dieses Parlament die Verfassung mit überwältigender Mehrheit verabschiedet. Mittlerweile herrschen innerhalb dieser Mehrheit mindestens zwei Ansichten vor. Die eine besagt, dass der Wortlaut dieser Verfassung nach den Abstimmungsniederlagen in Frankreich und den Niederlanden tot ist und dass wir uns besser etwas anderes ausdenken und einen anderen Weg einschlagen sollten. Die andere besagt: Moment einmal, dieser Text wurde ja eigentlich von der Mehrheit der Mitgliedstaaten ratifiziert. Die Regierungschefs selbst haben ihn im Europäischen Rat nicht für tot erklärt, sondern den Ratifizierungszeitraum verlängert und eine Reflexionsphase eröffnet. In dieser Reflexionsphase müssen wir auf jene hören, die „Nein“ sagten, aber wir sollten auch auf die Mehrheit, die „Ja“ gesagt hat, hören und einen Weg finden, der die beiden letztlich zusammenbringt.

Mit diesem Bericht wird eine Synthese dieser beiden Standpunkte erreicht. Darin heißt es, dass es zu früh für Schlussfolgerungen ist; die Reflexionsphase muss bis mindestens 2007 ausgedehnt werden. Bis dahin müssen wir uns alle Optionen offen lassen. Wir brauchen längere und tiefergehende Überlegungen. Wie zu erwarten, würde das Parlament natürlich lieber auf dem bisherigen Wortlaut beharren, doch sehen wir ein, dass dies nur dann möglich wäre, wenn Maßnahmen zur Beruhigung und Überzeugung der öffentlichen Meinung ergriffen würden. Worin diese Maßnahmen bestehen, wird offen gelassen. Theoretisch gibt es zahlreiche Möglichkeiten: interpretierende Zusatzerläuterungen, Zusatzprotokolle, Teile des Wortlauts umschreiben, den gesamten Text umschreiben, einen neuen Text verfassen. Dies werden wir am Ende der Reflexionsphase beschließen, doch lassen Sie uns vorerst mit dieser Reflexion fortfahren, sie vertiefen, erweitern und in einem Jahr Schlussfolgerungen ziehen.

Eines ist sicher, Herr Präsident: Der Status quo – nämlich die aktuellen Verträge – ist nicht ausreichend für diese Union, wenn sie in ihrer erweiterten Form effektiv oder demokratisch funktionieren soll. Dieses Problem wird nicht verschwinden.

 
  
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  Bronisław Geremek, im Namen der ALDE-Fraktion.(FR) Herr Präsident, die Liberaldemokraten der ALDE-Fraktion begrüßen den Bericht Duff-Voggenhuber über die Reflexionsphase. Wir waren überzeugt, dass die Union einen verfassungsmäßigen Rahmen braucht. Wir haben den Verfassungsvertrag als wirksames Instrument angesehen, um die Union voranzubringen, um ihr die politische Dimension und die soziale Perspektive zu verleihen, die beide erforderlich sind. Wir haben unsere Meinung nicht geändert und denken nicht, dass man die Verfassung für tot erklären darf, ehe wir sie auf Lebenszeichen untersucht haben. Ohne eine solche Untersuchung kann der Patient nicht für tot erklärt werden.

Man darf jedoch auch nicht ignorieren, dass im Verlauf des Ratifizierungsprozesses eine Kluft deutlich geworden ist zwischen dem Willen der europäischen Eliten zu vertiefter Integration und den Gefühlen eines Teils der europäischen Gesellschaft. Diese Kluft zeigt sich nicht nur in den beiden Ländern, die die Ratifizierung abgelehnt haben. Es handelt sich um ein ernsthaftes Problem.

Jean Monnet sagte einmal, wenn man vor einem ernsthaften Problem steht, muss zuweilen dessen Kontext verändert werden. Genau dies ist das Ziel der Reflexionsphase. Die große öffentliche Debatte über die Zukunft der Europäischen Union soll einen neuen Kontext für das Vorhaben einer europäischen Verfassung schaffen. Es ist Aufgabe des Europäischen Parlaments, den Rahmen und die Einzelheiten für den Ablauf dieser Debatten festzulegen, die einzelstaatlichen Parlamente und die Zivilgesellschaft einzubeziehen, die Fragen zu präzisieren und die erforderliche Agenda aufzustellen. Auf diese Weise kann sich eine europäische Agora als öffentlicher Raum Europas herausbilden. Wir dürfen noch keine Entscheidung zur Zukunft des Textes treffen. Dazu wird die Zeit nach der Reflexionsphase, nach der europäischen Debatte, nach der Veränderung des Kontextes kommen. Dies wird in dem uns vorliegenden Bericht sehr treffend zum Ausdruck gebracht.

 
  
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  Monica Frassoni, im Namen der Verts/ALE-Fraktion. – Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Fraktion der Grünen/Freie Europäische Allianz unterstützt den Bericht Duff-Voggenhuber. Die Europäische Union braucht eine demokratische Verfassung und kann sich nicht einfach mit dem Vertrag von Nizza recht und schlecht durchschlagen. Über die Verfassung muss eine europäische Debatte stattfinden. Das Schreiben, das die drei Präsidenten nationaler Parlamente verschickt haben, zeigt, dass die Verantwortung für diese Debatte nicht der nationalen Ebene überlassen werden darf, sondern dass sie von einem wirklich europäischen Gremium wie diesem Parlament geführt sowie – ja, sagen wir es ganz offen – auch geleitet werden muss.

Zwei Dinge fehlen jedoch in dem Bericht, und wir hoffen, sie mit der Abstimmung in diesem Hohen Haus darin aufnehmen zu können. Herr Corbett, ich bin nicht Ihrer Meinung: Es ist ganz und gar nicht richtig, dass die Bewegung der Befürworter einer Verfassung zwischen denen, die den Text nun loswerden, und denen, die ihn behalten wollen, gespalten ist. So ist es nicht. In dem Änderungsantrag, den wir morgen zur Abstimmung stellen, heißt es ausdrücklich, dass eine Möglichkeit – keine theoretische, sondern eine praktische – darin bestehen könnte, den Text zu ändern, und dass, sollte dies geschehen, ein neuer Verfassungsprozess erforderlich wäre, der auch mit einem Referendum enden könnte.

Es ist falsch und kurzsichtig, zu denken, wir als Europäisches Parlament sollten lediglich vorschlagen, den jetzigen Text beizubehalten und sonst nichts. Diese Haltung könnte die pro-europäische Bewegung tatsächlich spalten, das heißt die Bewegung, die in diesem Hohen Haus mit 500 Stimmen große Unterstützung für die Verfassung bekam.

Ich bin daher der Ansicht, dass die beiden Änderungsanträge der Berichterstatter von einer breiten Mehrheit hier im Parlament unterstützt werden sollten, da es dort einfach nur heißt, es sei möglich, mehrere Optionen zu erörtern. Vielleicht ist keine Option besser als die andere, aber meines Erachtens sollten sie alle erörtert werden, auch diejenigen, die heute seltsam drastisch klingt, nämlich die Debatte über die Verfassung auch mit den Bürgern wieder zu eröffnen.

(Beifall)

 
  
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  Francis Wurtz, im Namen der GUE/NGL-Fraktion. (FR) Herr Präsident, die vom Europäischen Rat nach dem Sieg des Nein in Frankreich und den Niederlanden dekretierte Reflexionsphase hat bereits ein erstes Ergebnis erbracht: sie hat die Umgangsformen verbessert. So haben die beiden Verfasser der Entschließung, über die wir heute beraten, es diesmal nicht für angebracht gehalten, zur Beurteilung der Mehrheit der französischen und niederländischen Wählerinnen und Wähler die wenig schmeichelhaften Adjektive zu verwenden, mit denen diese noch vor einigen Monaten bedacht worden waren.

Vielen Dank daher an Herrn Voggenhuber und Herrn Duff, dass sie diesmal zumindest in ihrer Entschließung hervorheben, dass diese Bürger in Wirklichkeit – ich zitiere – „Bedenken und Ängste zum Ausdruck gebracht [haben], denen Rechnung getragen werden muss“, dass diese Entscheidung zu respektieren ist und „die Gründe für die negativen Ergebnisse … sorgfältig analysiert werden [müssen]“. Dies ist ein Fortschritt. Er wäre noch eindeutiger, wenn im Bericht festgestellt würde, dass dieser Vertragsentwurf jetzt hinfällig ist und es in der Diskussion nunmehr darum gehen muss, was an seine Stelle treten soll. Meine Fraktion ist bereit, sich aktiv in die Debatte über die Zukunft der Union mit unseren Mitbürgern einzubringen. Was die für diese geistige Auseinandersetzung vorgeschlagenen Themen betrifft, so stimmen wir ihnen im Wesentlichen zu.

Es stellt sich jedoch folgende Frage: Wohin soll diese Debatte politisch führen? Inwieweit sind Sie bereit, tief greifende Veränderungen der Orientierungen und Strukturen der gegenwärtigen Union zu akzeptieren, um den Forderungen nachzukommen, die in den meisten europäischen Gesellschaften erhoben werden und die durch die Ablehnung des Verfassungsvertrags auf spektakuläre Weise sichtbar wurden? Genau hierin besteht das Problem. Der uns vorliegende Bericht schlägt lediglich vor – ich zitiere – „die Öffentlichkeit zu beruhigen“, da davon ausgegangen wird – ich zitiere wieder -, dass die Verfassung „auf jeden Fall im Laufe des Jahres 2009 in Kraft tritt“. In diesem Fall handelt es sich nicht mehr um eine Debatte, sondern um eine Kommunikationskampagne.

Dieser Orientierung zu folgen, wäre schade. Es wäre eine verpasste Gelegenheit. Aus diesem Grund wird meine Fraktion faktisch einmütig diesem Weg nicht folgen.

 
  
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  Jens-Peter Bonde , im Namen der IND/DEM-Fraktion. – (EN) Herr Präsident! Eine Frage an die Straußfraktion in diesem Hohen Hause: Haben Sie nicht gehört, dass 55 % der französischen Wähler mit „Nein“ gestimmt haben, gegen die Empfehlung von 90 % ihrer Abgeordneten und Senatoren? Haben Sie nicht gesehen, dass 62 % der niederländischen Wähler dem Rat von 80 % der Abgeordneten ihres Parlaments nicht gefolgt sind? Haben Sie die Verträge nicht gelesen, gemäß denen für Änderungen am Vertrag Einstimmigkeit erforderlich ist? Warum brechen wir unsere eigenen Regeln? Sie haben doch Augen und Ohren. Benutzen Sie sie!

Die vorgeschlagene Verfassung ist tot! Und dennoch bedrängen Sie die einzelstaatlichen Parlamente, gegen das Gesetz zu verstoßen. Sie propagieren den Wortlaut weiter. Außerhalb dieses Gebäudes sagen Sie weiterhin „Ja“ zur Verfassung. Könnten Sie sich ein einzelstaatliches Parlament vorstellen, das die Labour-Politik lobt und die Politik der Konservativen vor dem Parlamentsgebäude selbst verdammt? Das könnten Sie nicht, nicht wahr? Mit Hilfe von Steuergeldern werden noch immer Millionen von Broschüren verbreitet, die etwas propagieren, was abgelehnt wurde. Sie haben die Ratifizierung eines Textes eingeleitet, der noch gar nicht richtig übersetzt worden war. Sie haben die Veröffentlichung einer leserfreundlichen Ausgabe der Verfassung abgelehnt, da Sie den Text ungelesen annehmen lassen wollten. Sie haben den Zeitplan für die Abhaltung von Referenden manipuliert und gehofft, das Vereinigte Königreich nach 24 Ratifizierungen in eine Ecke treiben zu können. Aber, liebe Kollegen, Sie haben verloren, so wie auch ich mehrmals.

Jetzt sind Sie an der Reihe, sich an das Urteil der Wähler zu halten. Doch stattdessen finanzieren Sie weitere Propaganda: 300 000 Euro an die Europäische Bewegung, 110 000 Euro an die Europäischen Föderalisten, Millionen von Euro an Befürworter der Verfassung.

Wir fordern eine freie, faire und offene Debatte bei gleicher Vertretung der Befürworter und der Gegner. Diejenigen, die eine Überstimmung der niederländischen und französischen Wähler planen, sollten sich schämen. Die interfraktionelle Arbeitsgruppe SOS Demokratie hat einen Minderheitenbericht eingeleitet. Wir lehnen das Konzept einer Staatsverfassung ab, treten dafür ein, dass die bestehenden Verträge überprüft werden und stattdessen ein Kooperationsabkommen geschlossen wird.

Es sollte ein neues Übereinkommen von einem direkt gewählten Konvent erarbeitet werden, zu dem in allen Mitgliedstaaten Referenden stattfinden, vielleicht gleichzeitig mit den nächsten Europawahlen. Dann würden wir wissen, wie die Bürger denken. Die französischen Wähler haben ihr „Nein“ nicht bedauert; viele niederländische Wähler haben ihre Meinung geändert, doch das waren diejenigen, die mit „Ja“ gestimmt hatten. Hören Sie auf die Wähler, lassen Sie uns von neuem beginnen.

(Beifall)

 
  
  

VORSITZ: MANUEL ANTÓNIO DOS SANTOS
Vizepräsident

 
  
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  Brian Crowley , im Namen der UEN-Fraktion.(EN) Herr Präsident! Zunächst möchte ich den Berichterstattern für ihre Arbeit und ihre mit dem Bericht verbundenen Zielsetzungen danken. Zweitens gilt mein Dank dem österreichischen Ratsvorsitz für seinen politischen Mut, dieses Thema aus der esoterischen Ecke zurück auf die politische Agenda zu holen.

Eine der wichtigsten Fragen, mit denen wir uns beschäftigen müssen – und das geht auch aus dem eben von Herrn Bonde Gesagten hervor –, lautet: Wann ist ein „Nein“ wirklich ein „Nein“? Wann darf ein Land die übrigen Länder daran hindern weiterzugehen? Wann dürfen zwei Länder andere Länder daran hindern weiterzugehen? Die Einzigartigkeit der Europäischen Union bestand bisher darin, dass sie versucht hat, angesichts sehr unterschiedlicher und wechselnder Interessen eine gemeinsame Basis zu finden. Weil wir bei der Änderung der Verfassung und des Vertrags, die auf eine effizientere und effektivere Art und Weise der Entscheidungsfindung abzielte, auf ein Hindernis gestoßen sind, bedeutet das doch nicht, dass wir den Kopf in den Sand stecken müssen, wie manche Kollegen sagen würden. Der Strauß, der vielleicht manchmal den Kopf in den Sand steckt, ist aber auch der schnellste Läufer auf der Erde.

Wir sollten sehr schnell lernen, wie man ein schneller Läufer wird, um uns um die Bedenken der Bürger kümmern zu können. Diese Bedenken betreffen nicht nur das Modell der Europäischen Union. Für viele, die in Frankreich oder den Niederlanden mit „Nein“ gestimmt haben, waren dies innenpolitische Gründe. Da spielte auch Angst mit. Wie wir vor einigen Jahren in Irland festgestellt haben, herrschte unter manchen Bürgern, die mit „Nein“ stimmten, eine irrationale Angst, dass unsere Arbeitsplätze durch den großen Zustrom von Einwanderern besetzt werden könnten, unsere soziale Sicherheit verloren geht und unser Land ruiniert wird. Die Wirklichkeit sah ganz anders aus: Integration ist möglich; gesunder Menschenverstand und Besonnenheit sind möglich. Aber das gilt nicht nur für unser abgeschottetes Hohes Haus und nicht nur für die einzelstaatlichen Parlamente. Erst wenn wir eines Tages die Bürger überzeugt und sie sich mit dem Projekt der Europäischen Union identifiziert haben, dann und wirklich nur dann können wir sagen, dass wir ein Europa der Bürger haben, das ihnen zu Recht gehört.

 
  
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  James Hugh Allister (NI) . – (EN) Herr Präsident! Nachdem die Verfassung an ihrem eigenen Überlebenstest so spektakulär gescheitert ist, nämlich die Zustimmung aller Mitgliedstaaten zu erhalten, kann ein Bericht, der die sich daraus ergebenden Tatsachen dermaßen verneint, nur aus dem exklusiven Dunstkreis der Wirklichkeitsferne kommen, sprich: aus dem Ausschuss für konstitutionelle Fragen. Mit beispielloser Arroganz versuchen der Bericht, und mehr noch mein Vorredner, die demokratische Entscheidung der Franzosen und Niederländer im Nachhinein zu kritisieren und abzulehnen, indem sie erklären, dass es sich dabei nicht um die Ablehnung der Verfassung, sondern nur um Meinungsverschiedenheiten und andere Probleme handelte.

Unsinn! Auf dem Wahlzettel ging es nur im eines – die Annehmbarkeit der Verfassung – und die Antwort war ähnlich eindeutig. Warum sehen wir der Wahrheit nicht ins Auge? Sie haben verloren. Stattdessen haben die Europhilen in diesem Hohen Hause einen neuen Slogan und halten diesen für äußerst clever: „Das Problem ist nicht der Text, sondern der Kontext“. Wie passend, dass „Kontext“ mit k.o. beginnt. Denn darum geht es doch in dieser Reflexionsphase. Wie kann der Text so umgeschichtet werden, dass sie das nächste Mal die Wähler k.o. setzen können, damit sie ihr die befleckte Ware Verfassung abnehmen?

 
  
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  Jean-Luc Dehaene (PPE-DE).(NL) Herr Präsident! Aus den Ausführungen der letzten Redner muss ich zu meinem großen Erstaunen den Schluss ziehen, dass ein Bürger wichtig ist, wenn er mit „Nein“ votiert, und offenbar als unwichtig gilt, wenn er mit „Ja“ stimmt, wobei an dieser Stelle zu bemerken ist, dass es ja auch positiv verlaufende Referenden gegeben hat und dass 13 Mitgliedstaaten bereits die Verfassung gebilligt haben. Dem messe ich genauso große Bedeutung bei, was nicht heißen soll, die „Nein“-Stimmen brauchten nicht berücksichtigt zu werden, denn auch sie vermitteln eine klare Botschaft, der Rechnung getragen werden muss. Allerdings handelt es sich um eine ausschließlich negative Botschaft, die keine Alternative bietet, während die in einem solchen „Nein“ zum Ausdruck kommende Besorgnis paradoxerweise vielleicht am besten durch eine europäische Verfassung, durch eine europäische Antwort ausgeräumt werden könnte.

Wie ein Blick auf das Eurobarometer – worauf die Frau Kommissarin zu Recht hingewiesen hat – in der Tat zeigt, ist den Bürgern durchaus bewusst, dass zur Lösung einiger grenzüberschreitender Probleme eine europäischen Antwort und „mehr Europa“ erforderlich sind. Dabei denke ich insbesondere an die Möglichkeiten im Rahmen des zweiten und dritten Pfeilers, wie sie vor allem die Verfassung geboten hätte. Ein weiteres Paradox besteht darin, dass die Stärkung dieses politischen Europa im Rahmen des zweiten und dritten Pfeilers bei den Debatten im Zusammenhang mit den Referenden so gut wie nicht zur Sprache kam.

Meiner Meinung nach ist es nunmehr an der Zeit, die Denkpause im Sinne des Plans D der Kommission aktiv zu nutzen. Mit anderen Worten, wir sollten uns so viel Zeit nehmen, wie wir brauchen, und nichts überstürzen. Deshalb stimme ich dem Bericht in seiner jetzt vorliegenden Fassung zu, da er in diese Richtung weist, obwohl ich befürchte, dass durch einige der von den Berichterstattern erneut eingebrachten Änderungsanträge offensichtlich Patentlösungen favorisiert und voreilige Schlussfolgerungen gezogen werden. Wir sollten uns meines Erachtens gemeinsam mit den nationalen Parlamenten die Zeit nehmen, um vor allem die in dem Bericht gestellte grundsätzliche Frage zu beantworten.

 
  
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  Carlos Carnero González (PSE).(ES) Herr Präsident, ich möchte die Frau Kommissarin und einige Kollegen daran erinnern, dass Spanien vor zwanzig Jahren der Europäischen Union beigetreten ist. Das war eine gute Nachricht für mein Land und gewiss für die gesamte Union. Ich sage dies, weil wir Spanier vor zwanzig Jahren Mitglied wurden und wir vor einem guten Jahr ein Referendum abhielten und mit „Ja „ für die europäische Verfassung stimmten, mit den gleichen Rechten, Pflichten und Verantwortlichkeiten, mit denen andere Länder, Frankreich und die Niederlande, „Nein“ sagten. Ein Ja gilt so viel wie ein Nein, ob nun in einem Referendum geäußert oder durch ein Parlament. Und heute hat eine absolute Mehrheit von Mitgliedern der Union der europäischen Verfassung zugestimmt.

Dieser Bericht – ich hatte Gelegenheit, vier Monate lang mit seinen beiden Berichterstattern als Schattenberichterstatter für die Sozialdemokratische Fraktion zusammenzuarbeiten – ist ein ausgewogenes Ergebnis und sagt im Wesentlichen vier Dinge aus:

Erstens, dieses Parlament betrachtet die Verfassung auch weiterhin als das beste Instrument zur Schaffung einer demokratischeren und effektiveren Union.

Zweitens, wenn sie nicht in Kraft tritt, werden die politischen und institutionellen Probleme nicht nur andauern, sondern sich zuspitzen, und darüber hinaus werden auf der Grundlage des Vertrags von Nizza nach dem Beitritt von Bulgarien und Rumänien künftige Erweiterungen unmöglich sein.

Drittens müssen wir eine wirkliche Zeit des Nachdenkens und der Debatte zwischen den Institutionen und mit den Bürgern beginnen, um nach Lösungen für die derzeitige Krise zu suchen. Zum Abschluss dieses Zeitraums werden wir Schlussfolgerungen ziehen müssen, die es uns erlauben, voranzukommen und die politische Union zu vollenden.

Im Einklang mit dem, was wir im Januar 2005 getan haben, bestände, viertens, ein positives Ergebnis dieser Reflexion in der Beibehaltung des gegenwärtigen Textes, was nur mit den entsprechenden Maßnahmen möglich wäre. Legen wir also die geeigneten Maßnahmen fest.

Im derzeitigen politischen Kontext können wir sagen, dass es neue Elemente gibt, auf deren Grundlage wir mit der Verfassung weitermachen und zwei Positionen widerlegen können: erstens die Erklärung, dass die Verfassung tot sei – Übrigens waren Berichte über ihren Tod eine grobe Übertreibung –, und zweitens die Idee, dass wir uns zunächst mit der Arbeitslosigkeit, der Einwanderung und der Verbrechensbekämpfung befassen müssten, ein Standpunkt, der die Tatsache ignoriert, dass wir dafür diese Verfassung benötigen. Dies ist nicht nur ein Thema für Institutionalisten.

(Beifall)

 
  
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  Ignasi Guardans Cambó (ALDE). – (FR) Herr Präsident, ich möchte von medizinischen Metaphern zu küchensprachlichen Umschreibungen übergehen. Ich fordere das Hohe Haus auf, Nein zu diesen in der Mikrowelle aufgewärmten Überresten zu sagen. Es handelt sich um ein schales, abgestandenes Gericht, das all seinen Geschmack und sein Aroma verloren hat. Man könnte sicherlich mit den gleichen Zutaten ein neues Essen kochen, indem einige Gewürze hinzugefügt und die unverträglichsten Zutaten weggelassen werden. Doch die Bürger Europas haben Anspruch auf ein neues Rezept, ein neues Gericht, das allen schmeckt, und nicht nur auf die aufgewärmten Reste vom Vortag.

Ich sage mit allem Respekt für meine Abgeordnetenkollegen, dass ich zuweilen den Eindruck habe, wenn ich einige von ihnen sprechen höre, dass diese persönlich zu stark an der – um wieder eine medizinische Umschreibung zu verwenden - dahingeschiedenen Verfassung hängen. Ich wünschte mir, dass diese Kollegen den Mut aufbringen, sich von diesem Text zu lösen, der in ihren Armen das Licht der Welt erblickt hat, und den Mut, eine neue Etappe zu eröffnen, nämlich die neue Küche zu erfinden, die Europa und die Bürger brauchen.

 
  
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  Bernat Joan i Marí (Verts/ALE).

(Der Redner spricht katalanisch.)

 
  
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  Präsident. Herr Joan i Mari, ich bitte Sie, Ihren Redebeitrag nicht fortzusetzen, weil die Dolmetscher Anweisung haben, nicht aus dem Katalanischen zu übersetzen. Wenn Sie weiter auf Katalanisch sprechen, können die Abgeordneten nicht verstehen, was Sie sagen.

 
  
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  Bernat Joan i Marí (Verts/ALE).

(Der Redner spricht weiter katalanisch.)

 
  
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  Präsident. Wie ich Ihnen gesagt habe, Herr Joan i Mari, wurde Ihr Redebeitrag von den Dolmetschern nicht übersetzt, und der Text des Beitrags wird in den ausführlichen Sitzungsberichten nicht enthalten sein.

 
  
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  Sylvia-Yvonne Kaufmann (GUE/NGL). – Herr Präsident! Ein Satz im Bericht kann gar nicht dick genug unterstrichen werden: „Der Vertrag von Nizza bildet keine zukunftsfähige Grundlage für die Weiterführung des europäischen Integrationsprozesses“. Ich füge hinzu: Dieser Vertrag steht für den Anfang vom Ende einer erweiterten Union der Bürgerinnen und Bürger. Was heißt denn Nizza? Keine rechtsverbindlichen Grundrechte, keine Bürgerinitiativen, keine klare Abgrenzung der Kompetenzen, kein volles Haushaltsrecht für das Europäische Parlament, kein Interventionsrecht der nationalen Parlamente gegenüber Kommissionsvorschlägen, keine parlamentarische Kontrolle von Europol, kein Außenminister und kein Europäischer Diplomatischer Dienst.

Die Liste all dessen, was Europa ohne Verfassung zu verlieren hat, ist sehr lang. Einen Marsch zurück in die Vergangenheit darf es nicht geben! Soll denn Nizza ernsthaft in Beton gegossen werden? Ich will nicht, dass die Europäische Union zu einer Freihandelszone mit beschränkter sozialer Haftung verkommt. Ein Kerneuropa, das neue Trennlinien in Europa aufreißt, ist inakzeptabel. Deshalb muss der Verfassungsprozess weitergehen. Europa braucht einen neuen Vertrag. Nur eines ist vollkommen klar: Mit einem bloßen „Weiter so“ wird dies nicht gelingen.

Die Sorgen und Probleme der Menschen müssen endlich ernst genommen werden. Das ist die klare Botschaft der Verfassungsreferenden in Frankreich und in den Niederlanden. Was wir brauchen, ist ein Politikwechsel in der Europäischen Union, und zwar hin zu einem sozialen Europa. Nur dann werden wir die aktive Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger für die erweiterte Union und für ein friedlich geeintes Europa bekommen.

 
  
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  Bastiaan Belder (IND/DEM).(NL) Herr Präsident! Der Tenor des Berichts der Herren Duff und Voggenhuber erinnert mich an die Plenardebatte vor einem Jahr, als dieses Haus mit großem Enthusiasmus die Verfassung begrüßte und ihrer erfolgreichen Ratifizierung durch alle 25 Mitgliedstaaten nichts im Wege zu stehen schien.

Zu meiner Enttäuschung muss ich nunmehr feststellen, dass das Parlament aus dem mit dem doppelten Nein erteilten Denkzettel nichts gelernt hat. Diesem Haus geht es nicht um die Zukunft Europas, sondern um eine Strategie, um die Ratifizierung der zweimal abgelehnten Verfassung doch noch zu erreichen. All dies geschieht selbstverständlich unter dem Deckmantel umfassender Maßnahmen zur Beruhigung der Öffentlichkeit.

Vor dem Hintergrund dieser durchsichtigen Versuche, den ausdrücklichen Willen der französischen und niederländischen Wählerschaft zu ignorieren, möchte ich den beiden Berichterstattern allerdings meine Wertschätzung für einige ihrer Änderungsanträge zum Ausdruck bringen. Sie halten jedenfalls nicht hartnäckig an der heutigen Verfassung fest; außerdem haben sie das „Nein“ in Frankreich und den Niederlanden offensichtlich besser verstanden als die Mitglieder der großen Fraktionen, und sie zeigen ferner mehr Bereitschaft, wirklich über die Probleme nachzudenken.

Ich habe meinen Kollegen Voggenhuber von Nationalismus sprechen hören. Ich schätze seine intellektuellen Fähigkeiten so hoch ein, dass ich annehme, er meint damit nicht all diejenigen, die gegen diese Verfassung sind, denn damit habe ich wirklich nichts am Hut.

 
  
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  Irena Belohorská (NI) . – (SK) Ich möchte Herrn Duff für seinen wertvollen Bericht danken. In den Augen vieler europäischer Bürger verbringt die EU ihre Zeit damit, über Bananen, die Form einer Mohrrübe und solare Strahlungsdosen zu diskutieren, aber nicht über die Dinge, die mit dem alltäglichen Leben der europäischen Bürger in Zusammenhang stehen. Sieben von zehn Bürgern in der Slowakei wissen sehr wenig über die EU und ihre Strukturen. Die Bürger betrachten die Union als etwas, das mit ihren Alltagsproblemen nichts zu tun hat. Es war erschreckend zu erleben, dass bei einer „Big-Brother“-Show im Fernsehen mehr Menschen ihre Stimme abgaben als bei den Wahlen zum Europäischen Parlament.

Die Massenmedien spielen bei der Information der europäischen Bürger eine wichtige und zentrale Rolle. Die Bürger sind an der EU interessiert und wollen wissen, wie sie funktioniert. Die Massenmedien sollten anfangen, sie über die Arbeit der europäischen Organe und Einrichtungen und die Art und Weise zu informieren, wie sich deren Entscheidungen auf das tägliche Leben auswirken können. Damit das geschehen kann, müssen jedoch die richtigen Voraussetzungen gegeben sein. Ich kann verstehen, dass es für einen Journalisten möglicherweise schwierig ist, Entwürfe von Rechtsakten zu erläutern, die Tausende von Änderungen enthalten, vor allem wenn der Wortlaut nur wenige Tage vor der Abstimmung veröffentlicht wird und daher nicht in allen Sprachen verfügbar ist. Wenn die Medien die Bürger über die Arbeit der EU objektiv informieren sollen, müssen sie sich auf die wirkliche Tätigkeit konzentrieren und sollten sich nicht ständig auf irgendwelche Sensationen oder Skandale stürzen. Gleichzeitig müssen wir jedoch die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Bürger besser Bescheid wissen: Wir müssen Schluss machen mit der komplizierten europäischen Rechtsetzung und die Zahl der Debatten einschränken, die hinter verschlossenen Türen stattfinden.

 
  
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  Íñigo Méndez de Vigo (PPE-DE).(ES) Herr Präsident, ich hoffe, Sie verstehen mich, denn ich werde in einer Amtssprache sprechen. Meiner Ansicht nach sind die Sprachen ein Mittel zur Kommunikation und nicht zur Isolierung.

Ich glaube, Herr Präsident, dass dieser Bericht drei wichtige Punkte setzt. Herr Dehaene und Herr Stubb haben zu diesem Thema bereits Wichtiges gesagt, doch gibt es drei Punkte, die ich erwähnen möchte.

Erstens, diese Verfassung ist das Ergebnis eines Konsenses, und solange es kein Alternativmenü gibt, ist es eben das, was wir haben. Und es ist ein guter Konsens, weil jene, die in einigen Ländern der Europäischen Union mit „Nein“ gestimmt haben, nicht imstande sind, miteinander einen Kaffee zu trinken oder einen alternativen Text zu erarbeiten. Das ist die Realität. Jene, die mit „Nein“ gestimmt haben, sind Leute, die ablehnen aber nicht aufbauen. Von ihnen kommen keinerlei Vorschläge. Solange kein anderes Menü auf dem Tisch steht, werde ich bei diesem bleiben, und dieses Parlament wird es auch tun.

Zweitens, wir sind gegen die partielle Anwendung von Aspekten der Verfassung. Warum? Aus dem gleichen Grund: weil die Verfassung das Ergebnis eines Konsenses ist und wir nicht alle mit allem einverstanden sind, aber wir stimmen ihr als Ganzes zu und würden daher nicht akzeptieren – und das Parlament hat Recht, dies in seinem Bericht festzustellen –, dass der eine Punkt aufgenommen wird und der andere nicht. Wir sind mit allem als Ganzem einverstanden, aber nicht mit Rosinenpickerei.

Drittens, dieses Parlament sagt in diesem Bericht, dass es ohne Verfassung keine neuen Erweiterungen der Europäischen Union geben wird, und das hat seinen Grund. Wir sind uns bewusst, dass die Union ohne die in der Verfassung festgeschriebenen Bestimmungen weder demokratisch noch wirksam funktionieren wird. Das steht im Artikel 49 der aktuellen Verträge, Herr Präsident, und ich sage dies mit Blick auf unsere Freunde, die eine Vogel-Strauß-Politik betreiben, weil dieses Parlament seine Meinung zu jeder Erweiterung der Europäischen Union äußern muss, und mit diesem Bericht gibt das Parlament eine sehr deutliche und feierliche Verpflichtung ab: Ohne Verfassung wird es keine Erweiterungen geben.

 
  
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  Jo Leinen (PSE). – Herr Präsident! Als Vorsitzender des Ausschusses für konstitutionelle Fragen danke ich den Berichterstattern, die ein sehr wichtiges Thema in einer ziemlich schwierigen Zeit bearbeitet haben. Der Bericht Duff-Voggenhuber ist schon ein Teil des Plans D von Margot Wallström, denn er hat lebhafte Debatten ausgelöst.

Das Ergebnis unserer Beratungen ist doch sehr erfreulich. Die übergroße Mehrheit dieses Hauses hält an der europäischen Verfassung fest. Die Gründe für den neuen Europavertrag sind ja nicht verschwunden. Im Gegenteil, sie werden von Tag zu Tag immer dringender. Mehr Handlungsfähigkeit, mehr Transparenz, mehr Demokratie. Alle Reformen und alle Fortschritte, die die Verfassung bringt, sind dringend notwendig. Sie sind nicht durch die Debatte in den Niederlanden oder in Frankreich entfallen. Ich bin sehr froh, dass die österreichische Präsidentschaft diese Debatte wiederbelebt. Wir hatten in den letzten Monaten eine Art Lähmung. Wir brauchen im Jahre 2006 eine umfassende Debatte in allen 25 Ländern, und ich hoffe, Herr Ratspräsident und Frau Vizepräsidentin, dass auch alle 25 Länder ihre Beiträge liefern. Ich habe den Zwischenbericht des Gipfels vom Dezember gesehen. Das war sehr dürftig. In der Mehrheit der Länder hat die Debatte noch gar nicht begonnen. Deshalb wäre es völlig falsch, schon jetzt im Januar 2006 die Ergebnisse einer Debatte zu präsentieren, bevor man überhaupt begonnen hat. Wir müssen jetzt ein Jahr lang in allen Ländern auf allen Ebenen mit allen Akteuren die großen Fragen der Europapolitik diskutieren. Dann kann man 2007 Schlussfolgerungen ziehen, welches Verfahren wir wählen, um dieses Projekt erfolgreich zu Ende zu führen. Dazu gibt es verschiedene Optionen. Meine Kanzlerin hat gesagt: Warum nicht die Verfassung verlängern, indem wir ein Protokoll über das soziale Europa oder das Europa der Identitäten anhängen? Das ist ein Weg, den wir diskutieren sollten.

Diese Phase der Reflexion wird uns stärker machen, und sie wird die Europäische Demokratie stärken. Wir haben alle Chancen, besser aus dieser Krise herauszukommen, als wir in sie hineingegangen sind.

(Beifall)

 
  
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  Jules Maaten (ALDE).(NL) Herr Präsident! Der Verfassungsvertrag ist tot, lang lebe der Vertrag. Zwar stimmt es, dass der Verfassungsvertrag mehr des Kontextes als des Textes wegen abgelehnt worden ist, aber ebenso wahr ist, dass sich der Text des Verfassungsvertrags für eine Lösung der kontextuellen Probleme als zu schwach erwiesen hat. Es mangelt ihm an kühnen und erfrischenden Ideen.

Weshalb verleihen wir den Bürgern keine echten Befugnisse und lassen sie beispielsweise den Präsidenten der Europäischen Kommission direkt wählen, oder warum sehen wir nicht die Möglichkeit eines europäischen Kollektivreferendums – also nicht 25 bzw. 27 einzelne Volksabstimmungen, sondern ein wahrhaft europäisches Referendum – vor, oder warum schaffen wir nicht einen wirklich europäischen politischen Raum, d. h. eine europäische res publica?

Was den Kontext anbelangt, so wollen die Bürger in den Niederlanden – wie vermutlich auch in den meisten anderen Mitgliedstaaten – im Augenblick keinesfalls eine Debatte über die Institutionen, das lehnen sie dankend ab. Ihr Wunsch ist ein Europa, das wettbewerbsfähig wird, Arbeitsplätze schafft, den Terrorismus und die grenzüberschreitende Kriminalität bekämpft, das eine angemessene Außenpolitik betreibt und das endlich schlicht und einfach seinen Aufgaben gerecht wird. Gelingt dies nicht, so bedeutet die versuchte Neubelebung einer Vertragsrevision verlorene Liebesmühe und sinnloses Gerede.

Gewiss brauchen wir einen neuen Vertrag, um Europa demokratischer und effizienter zu gestalten, aber es besteht keine Eile. Unsere Berichterstatter haben zahlreiche hervorragende Vorschläge unterbreitet, unter anderem eine Verlängerung der Reflexionsphase bis Ende 2007, die Offenhaltung mehrerer Optionen sowie generell eine Vorgehensweise für die Durchführung der Debatte, die ich ebenfalls ausgezeichnet finde. Was wir jedoch nicht brauchen, das ist ein als „Verfassung“ bezeichnetes Dokument, das auf die Menschen nicht anziehend, sondern abschreckend wirkt. Eine Rose duftet schließlich genauso so lieblich, auch wenn sie anders genannt wird. Das krampfhafte Festhalten an dem Namen und an dem Text stellt infolgedessen für meine Fraktion ein unüberwindbares Problem dar.

Wenn die Lösung in der Vorlage eines verbesserten Textes besteht, was uns hoffentlich gelingen wird, weil dies wichtig ist, dann bin ich dafür, dass dieser im Rahmen eines gleichzeitig mit den nächsten Europawahlen durchzuführenden Referendums allen Unionsbürgern zur Abstimmung unterbreitet wird.

 
  
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  Roger Knapman (IND/DEM) . – (EN) Herr Präsident! Dies ist kein Bericht von Voggenhuber und Duff, sondern nur ein mieser Bericht. Man muss sich fragen, ist die Verfassung tot oder schläft sie nur? Wenn die Antwort darauf jeweils „Ja“ gewesen wäre, dann hätten die Kommissare ohne Schwierigkeiten erklären können, was „Ja“ zu bedeuten hatte. Nur wir armen Bauern, die wir an „Nein“ glauben, müssen jetzt erklärt bekommen, was „Nein“ bedeutet.

„Nein“ heißt in diesem Fall pure Arroganz aufseiten der Kommission, die sich anmaßt, dieses Projekt weiter zu verfolgen, obwohl 70 % der Menschen in Österreich dies nicht wünschen; obwohl zwei Drittel der britischen Bevölkerung keinen Nutzen in einer weiteren Mitgliedschaft in diesem Scheinparlament sehen; obwohl die Menschen in Frankreich mit „Nein“ gestimmt haben und auch die Menschen in den Niederlanden mit „Nein“ gestimmt haben.

Welcher Teil von „Nein“ ist der Kommission unverständlich? „Nein“ heißt, dass große Teile der Bevölkerung Europas mit dieser Chimäre nichts mehr zu tun haben wollen. Wir dachten, wir würden einem gemeinsamen Markt beitreten, doch dieser wucherte und wucherte wie Unkraut bis zu diesem Abschlussbericht, der uns in Richtung einer vollen politischen Union schieben will. Nun, diese wird ohne Zweifel zusammenbrechen, da das nicht das ist, wofür die Menschen gestimmt haben. Ich bin froh, dass die UKIP nicht scheitern wird, da nichts eine Idee aufhalten kann, deren Zeit gekommen ist, und diese heißt nationale Freiheit.

 
  
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  Jan Tadeusz Masiel (NI). – (PL) Herr Präsident! Europa entstand im Mittelalter mit dem Christentum als Fundament. Die Europäische Union kam ursprünglich zustande, um weitere Kriege zu verhindern. Nationen und Völker schließen sich meist entweder um eine Sache oder dagegen zusammen.

Europa gehört nunmehr der Vergangenheit an. Es wurde ersetzt durch die Europäische Union, der noch immer eine gemeinsame Vision fehlt, die ihre Mitglieder verbindet. Zurzeit kann jeder von uns einen Grund vorbringen, warum die Verfassung abgelehnt werden sollte. Einige meinen, der Haushalt sei zu klein, andere, er sei zu groß, und wieder andere haben Bedenken im Zusammenhang mit der Türkei. Die neuen Mitgliedstaaten sind unzufrieden mit der ungerechten Gemeinsamen Agrarpolitik und dem abgeschotteten Arbeitsmarkt. Dennoch wollen wir zusammenbleiben.

Wir müssen unsere Differenzen beilegen, bevor wir die Verfassung erneut den Bürgern vorlegen, und diesmal müssen wir darauf hören, was diese zu sagen haben, und es entsprechend berücksichtigen.

 
  
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  József Szájer (PPE-DE) . (HU) Herr Präsident! Obgleich die Minderheit immer etwas lauter ist, sind hier im Parlament nicht wenige der Ansicht, dass die Europäische Union für ihr reibungsloses Funktionieren einen Verfassungsvertrag braucht, und zwar insbesondere auf Gebieten wie der verbesserten Transparenz, der zunehmend stärkeren Kontrollfunktion des Parlaments oder sogar dem Schutz von Minderheitenrechten in Europa.

Der Hauptgrund für die entstandene Krise ist jedoch nicht der Inhalt der Verfassung, die eine bessere Regelung des künftigen Funktionierens der Europäischen Union gewährleistet, sondern die Tatsache, dass die Ergebnisse der EU in den Augen nicht weniger Bürger weder zufriedenstellend noch überzeugend sind. Die Institutionen und die Eliten, die die Geschicke der EU bestimmen, haben das Vertrauen vieler Bürger verloren.

Ich teile die Meinung der Europäischen Kommission. Wie ich in meinem angenommenen Änderungsantrag erwähnt habe, geht es darum, dass in der Reflexionsphase eines der Ziele der Europäischen Union darin bestehen muss, das Vertrauen der Öffentlichkeit wiederherzustellen. Damit wir Erfolg haben, brauchen wir unserer Auffassung nach eine Debatte darüber, wie die EU ihre Leistung steigern und wie sie zur Lösung der wahren Probleme der Menschen beitragen kann.

Der Verfassungsvertrag beziehungsweise seine wichtigsten Teile müssen erhalten bleiben. Allerdings sollten wir uns darüber im Klaren sein, dass wir das Vertrauen der EU-Bürger nicht mit komplizierten Texten, sondern mit der Leistung der Europäischen Union, mit Arbeitsplätzen, mit Wirtschaftswachstum und mit der wirkungsvollen Vertretung der gemeinsamen Interessen Europas in der Welt zurückgewinnen können. Und wenn wir ihr Vertrauen zurückgewinnen, werden die Menschen auch den Verfassungsvertrag unterstützen.

 
  
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  Pierre Moscovici (PSE). – (FR) Herr Präsident, ich möchte zunächst den Ko-Berichterstattern, Herrn Duff und Herrn Voggenhuber, danken. Sie haben eine bemerkenswerte und sehr aufgeschlossene Arbeit geleistet, die – wie bereits gesagt – eine ausgezeichnete Diskussionsgrundlage darstellt.

Als ehemaliges Konventmitglied, Sozialist und Franzose – wobei die Reihenfolge nichts besagen will – möchte auch ich mich zu diesem Zeitpunkt an dieser famosen Debatte darüber, ob die Verfassung tot ist oder nicht, beteiligen. Ich bringe den Völkern, die für diesen Text gestimmt haben – auch ich habe mit Ja gestimmt – große Achtung entgegen, doch gleichzeitig können wir nicht so tun, als ob nichts geschehen sei, als ob das Abstimmungsergebnis in den Niederlanden und in Frankreich nichts an der Situation geändert hätte. Wir können auch nicht so tun, als gäbe es nur eine Lösung, einen Ausweg, nämlich den gegenwärtigen, von den Franzosen und den Niederländern abgelehnten Text nach einigen Irrwegen zu ratifizieren.

Daher müssen wir den Berichterstattern helfen, und in diesem Sinne habe ich mit Pervenche Berès gemeinsam eine Reihe von Änderungsanträgen unterzeichnet, in denen dazu aufgerufen wird, die Realitäten zu berücksichtigen. Ich meine damit insbesondere die Änderungsanträge 18, 24 und 27. Ich denke, wenn wir sie annehmen, wenn das Europäische Parlament sie annimmt, wird es eine Reihe von Optionen eröffnen, wird es sich als aufgeschlossen erweisen, einen wirklichen Beitrag zur Debatte leisten und sich nicht auf eine einzige Lösung, Vorstellung oder Denkweise festlegen. Letztlich bin ich geneigt, für diesen Text zu stimmen, was ebenfalls auf die französischen Sozialisten zutrifft, doch ist dies nicht möglich, wenn es sich um eine Einbahnstraße handelt. Wir sollten daher weiter voranschreiten, indem wir morgen für diese Änderungsanträge stimmen.

(Beifall)

 
  
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  Nils Lundgren (IND/DEM). – (SV) Herr Präsident! Mit den Referenden in Frankreich und den Niederlanden ist der Verfassungsentwurf hinfällig geworden. Darüber kann kein Zweifel bestehen. Zwei Länder haben in Volksbefragungen mit großer Mehrheit und einer hohen Wahlbeteiligung gegen diesen Entwurf gestimmt. Die Tatsache, dass das europäische politische Establishment jetzt versucht, dies abzutun, ist ein demokratischer Skandal. Politiker und hohe Beamte diskutieren jetzt offen darüber, wie die Ergebnisse dieser Volksbefragungen umgangen werden können, und besitzen die Frechheit, diese nach eigenem Gutdünken als Unzufriedenheit mit den amtierenden Regierungen dieser beiden Länder zu interpretieren. Sie fangen jetzt an zu zählen, wie viele Länder für den Verfassungsentwurf waren, obwohl klar ist, dass alle dem Vorschlag zustimmen müssen.

Selten ist so deutlich geworden, wie groß die Kluft zwischen der politischen Elite und der Bevölkerung in EU-Fragen ist. Alles deutet darauf hin, dass der Verfassungsentwurf auch in Deutschland abgelehnt worden wäre, wenn es dort ein Referendum gegeben hätte. Das gleiche gilt für Großbritannien, Österreich, Schweden und Dänemark und vielleicht auch noch für weitere Länder. Die Machtelite der EU spricht schamlos von schweren Rückschlägen, die es im vergangenen Jahr gab. Lassen Sie mich daran erinnern, dass demokratische Ergebnisse nur Rückschläge für diejenigen sind, die dabei verloren haben, weil sie keine Unterstützung in der Öffentlichkeit hatten. Daran kommt man nicht vorbei.

 
  
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  Daniel Hannan (PPE-DE) . – (EN) Herr Präsident, der Verlauf dieser Aussprache erinnert mich an den folgenden Ausspruch von Bertolt Brecht:

„Wäre es dann nicht doch einfacher, die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes?“

(EN) Die Völker zweier Gründerstaaten haben Ihre Projekte gekippt, liebe Freunde. Ich weiß, es ist schwer, eine Ablehnung zu akzeptieren, aber sehen Sie sich die Zahlen an: 55 % der französischen Wähler und 62 % der niederländischen Wähler. Vielleicht versuchen Sie jetzt zu argumentieren, dass die Wähler das falsch verstanden haben und an etwas leiden, was die Marxisten falsches Bewusstsein nannten, und dass sie eine bessere Propaganda bräuchten, so dass wir, die Euro-Elite, ihnen den rechten Weg zeigen müssten. Dazu sage ich nur: „Legen Sie sich ins Zeug“.

Aktuellen Umfragen in den Niederlanden zufolge würden 82 % der niederländischen Wähler jetzt mit „Nein“ stimmen – ein Tribut an die Vernunft dieser mutigen Menschen. Wenn Sie, liebe Kollegen, jedoch glauben sollten, Sie könnten sie umstimmen, dann nur zu. Dies würde zumindest Ihr Engagement für die demokratischen Ideale beweisen, die Sie so oft heraufbeschwören.

Weitaus empörender wäre es, ohne Zustimmung der Bevölkerung mit der Einführung der Verfassung oder zumindest ihrer Inhalte fortzufahren. Doch genau dies tun Sie gerade. Schauen Sie sich die ganzen Politiken und Einrichtungen an, die von der Verfassung vorgesehen sind und unabhängig davon in Angriff genommen wurden oder werden: Europäischer Auswärtiger Dienst, die Europäische Agentur für Menschenrechte, die Europäische Verteidigungsagentur, die Europäische Raumfahrtagentur, die Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Europäischen Union, eine rechtsverbindliche Charta der Grundrechte – nichts davon hat außerhalb der Verfassung eine ordentliche Rechtsgrundlage. Dadurch, dass Sie sie dennoch annehmen, zeigen Sie, dass Sie es keiner Kraft erlauben – intern oder extern, weder eigenen Gesetzen noch dem erklärten Widerstand der Menschen an den Wahlurnen – das eilige Streben nach politischer Assimilierung aufzuhalten. Damit rechtfertigen Sie die heftigsten Kritiken Ihrer Gegner.

Um es mit den Worten meines Landsmannes Oliver Cromwell auszudrücken: „Ich flehe Euch um Christi Erbarmen an, zieht in Betracht, dass Ihr Euch irrt“.

(Beifall)

 
  
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  Genowefa Grabowska (PSE). – (PL) Herr Präsident! Die Entschließung, über die wir derzeit beraten, ist ein fundiertes und hinreichend ausgewogenes Kompromissdokument. Außerdem wurde sie in Rekordzeit behandelt. Sie bietet sehr gute Anknüpfungspunkte an die Prioritäten des österreichischen Ratsvorsitzes, die uns heute vorgestellt wurden, und auch an den finnischen sowie den künftigen deutschen Ratsvorsitz.

Das bedeutet, dass die Verfassung trotz des geäußerten Zweifels und Widerstrebens keinesfalls vom Tisch ist. Sie ist nicht Geschichte. Im Gegenteil, sie steht weiterhin oben auf unserer Tagesordnung. Infolge der Ablehnung in Frankreich und den Niederlanden bleibt die Verfassung sehr lebendig, denn wir debattieren weiter über sie. Alle Europäer müssen eine Antwort auf die Frage finden, was für ein Europa sie haben wollen.

Mit dieser Entschließung ruft das Parlament alle europäischen Bürger auf, sich an einer umfassenden Diskussion über die gerade von mir genannten Fragen zu beteiligen. Es ruft auch alle nationalen Parlamente und Regierungen dazu auf, ihre Erwartungen darzulegen. Wir sollten den Regierungen der neun Mitgliedstaaten, die die Verfassung noch nicht ratifiziert haben, klar machen, dass sie, da ihre Regierungschefs das Dokument unterzeichnet haben, mit dem Ratifizierungsverfahren beginnen sollten, denn dazu sind sie völkerrechtlich berechtigt und verpflichtet. Verpflichtet sind sie dazu nach dem Übereinkommen zum Vertragsrecht.

Noch eine Bemerkung zum Abschluss: Das Herangehen eines Landes an die europäische Verfassung ist nicht nur ein Prüfstein für seinen Willen, beim Aufbau eines gemeinsamen Europas mitzuhelfen. Es ist auch ein Prüfstein für die Glaubwürdigkeit dieses Landes als Partner in den internationalen Beziehungen.

 
  
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  Maria da Assunção Esteves (PPE-DE).(PT) Herr Präsident! Das Parlament hat heute eine wichtige Debatte in Gang gesetzt. Nun liegt es in der Verantwortung von politischen Einrichtungen und gesellschaftlichen Akteuren – und auch der Medien – die folgende Frage zu stellen: Will Europa die Zukunft sichern?

Das Verfassungsproblem ist keine einfache Angelegenheit, die nur die Architektur der Institutionen betrifft. Es geht doch eher darum, wie Europa gewährleisten will, dass seine Einrichtungen und Organe für die Welt im Bewusstsein der Moral handeln. Wir alle, Bürger Europas in den Korridoren der Macht, an der vordersten Front der Union, sind uns der Größe dieser Herausforderung bewusst. Wie können wir ein derart riesiges und offenes kosmopolitisches Gebiet regieren? Wie können wir ein Projekt von Gerechtigkeit sowohl innerhalb als auch außerhalb der Grenzen Europas verwirklichen? Wie können wir eine Lebensweise gestalten, die nicht in der Tradition begründet ist? Wie können wir Europa zu einer demokratischen Macht und zum Schöpfer einer neuen Weltordnung umgestalten? Wie können wir als ein Bund aus unterschiedlichen Gemeinschaften zum Vorbild werden? Wie können wir – gemeinsam – einen Weg finden, die Menschenrechte überall auf der Welt zu schützen? Wie können wir – gemeinsam – einen Weg finden, auf die Welt Einfluss zu nehmen? Wie können wir der Politik ihre gesetzgebende Gewalt über eine globalisierte und deregulierte Wirtschaft zurückgeben? Wie können wir Recht und Effizienz verbinden? Wie können wir die Tür zu neuen politischen Modellen öffnen?

Die Zukunft lässt uns keinen Raum für Furcht. Wir brauchen dringend einen Austausch über die politische Integration, über die Einführung einer kosmopolitischen und menschlicheren Lebensweise und über das Ausmaß, in dem unsere europäische Identität von der Verfassung selbst repräsentiert und erzeugt wird. Immerhin wurde die europäische Identität ja nicht aus Tradition geboren, sondern aus Moral-, Wunsch- und Vernunftgründen.

 
  
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  Pasqualina Napoletano (PSE).(IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es besteht tatsächlich die Gefahr eines Scheiterns des Projekts Europa, das ist offensichtlich. Um das Vertrauen der Menschen zu gewinnen oder wiederzugewinnen, brauchen wir eine Vision, wirksame Politiken und Instrumente, und zu den Instrumenten gehören finanzielle Ressourcen und die Institutionen.

Ich glaube, dass wir als Parlament die Perspektive eines Verfassungsvertrags nicht aufgeben dürfen. Was die Schmähreden gegen die jetzige Fassung angeht, muss das Parlament meines Erachtens all das verteidigen, was mit ihr erreicht wurde. Sind Fortschritte bei der Debatte möglich? Ich glaube nicht, dass es einfach sein wird, aber, offen gesagt, ich werde diesen Weg auch nicht ausschließen.

Des Weiteren möchte ich, wie bereits hervorgehoben wurde, dass wir diesen Weg in enger Zusammenarbeit mit den nationalen Parlamenten gehen, da die einschlägige Debatte, vor allem von den europäischen Regierungen, meines Erachtens weder sorgfältig noch richtig geführt wurde. Ich möchte dem österreichischen Ratsvorsitz danken, die Debatte zumindest teilweise wiederbelebt zu haben. Wir wollen hoffen, dass zwischen den verschiedenen Institutionen von nun an mehr Übereinstimmung herrscht.

 
  
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  Panayiotis Demetriou (PPE-DE) . – (EL) Herr Präsident! Ich will hier nicht die Argumente wiederholen, die von den Berichterstattern und anderen Rednern mit Blick auf die Verfassung vorgebracht wurden. Auch auf die detaillierten, ausführlichen und erschöpfenden Diskussionen des letzten Jahres werde ich keinen Bezug nehmen. Mir geht es vielmehr um den Dialog, auf den sie sich beziehen.

Nach meiner Ansicht sollte sich der Dialog, den wir führen müssen, nicht um die Verfassung drehen, sondern um die existenziellen Probleme der Europäischen Union. Die erste Frage lautet: Inwieweit wird die Europäische Union überhaupt noch benötigt? Die zweite: Wenn wir die Europäische Union benötigen, wie sollte sie dann aussehen? Und die dritte: Wie weit sollte die Erweiterung der Europäischen Union gehen?

Wenn die Politik und die Bürger keine einheitliche Antwort auf diese existenziellen Fragen geben, dann befürchte ich sehr, dass keine wie auch immer geartete Verfassung bei den Bürgern Europas je auf Akzeptanz stoßen wird. Sofern und soweit wir in der Europäischen Union der Ansicht sind, dass sie größerer Geschlossenheit und Stärke bedarf, ist es unsere Aufgabe, die Bürger von der Richtigkeit dieser Marschroute zu überzeugen. Zuversicht und Vertrauen in das Zukunftsbild Europas sind die Grundlagen für die breite Zustimmung der Staaten und Bürger zu einer verfassungsrechtlichen Regelung der Funktionsweise der Europäischen Union.

Wenn die Bürger der europäischen Staaten die Bedeutung der Existenz und der weiteren Vertiefung und Stärkung der Europäischen Union für die Menschheit nicht erkennen, wage ich die Prognose, dass auch künftig kein Vorschlag zu einer Verfassung Zustimmung finden wird. Deshalb meine ich, dass wir darauf keine weitere Zeit verschwenden sollten. Wir müssen auf dem aufbauen, was wir haben, und das ist heute nun einmal die Verfassung. Daran müssen wir arbeiten, und darauf müssen wir aufbauen, denn ich befürchte sehr, dass alle Bemühungen um eine Alternative scheitern werden, und zwar endgültig, was dem Einigungsprozess und der weiteren Entfaltung der Europäischen Union sehr schaden wird.

 
  
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  Stavros Lambrinidis (PSE) . – (EL) Herr Präsident! Acht Monate nach der Ablehnung des Verfassungsvertrags bei den Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden befinden wir uns noch immer in einer nicht enden wollenden Phase des Nachdenkens darüber, wie er eigentlich aussehen soll. Es ist höchste Zeit, dass wir uns an die Arbeit machen. Worin soll diese Arbeit bestehen? Nach meiner Ansicht geht es nicht darum, dass wir uns in endlosen Diskussionen über die genaue Definition des neuen Sozialstaats, die EU-Finanzierung oder Ähnliches einer Selbstanalyse unterziehen. Wenn wir der Meinung sind, dass wir uns erst über alle diese Fragen verständigen müssen, bevor wir es noch einmal mit der Verfassung versuchen, wird es wohl nie etwas mit der europäischen Verfassung werden.

Nach meiner Auffassung sollte die Reflexionsphase letztendlich nur einem Ziel dienen. Wir müssen uns ungeachtet der jeweiligen politischen Überzeugung darüber klar werden, dass wir als Europäer alle großen europäischen Vorhaben besser gemeinsam als einzeln bewältigen können. Dies ist vielleicht auch der wichtigste fehlende Kontext bei einem Text, der breite Zustimmung finden soll.

 
  
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  Reinhard Rack (PPE-DE). – Herr Präsident! Ich habe kein Verständnis für das Demokratieverständnis einiger EU-Kritiker, die sich im Normalfall hinter ihren nationalen Flaggen einmauern und andere europäische Bürger zu Handlangern ihrer Anliegen machen wollen. Mehrmals wurde jetzt gesagt: 70 % der Österreicher wollen diese Verfassung nicht. Offenbar eine Anspielung auf jüngste Eurobarometer-Umfragen, aber genau so offenkundig unter völliger Missachtung demokratischer Regeln und Vorgangsweisen in meinem Land Österreich. Dort haben der Nationalrat und der Bundesrat die Verfassung mit gewaltigen Mehrheiten ratifiziert. Aber offensichtlich haben für manche Umfragewerte ein höheres Gewicht als verfassungsrechtliche Verfahren.

Ich habe auch kein Verständnis für die Vorgangsweise einiger anderer, die jetzt schon Alternativen diskutieren wollen, bevor der laufende Ratifikationsprozess so oder so abgeschlossen ist. Wer jetzt nach neuen Alternativen ruft, negiert die demokratischen Entscheidungen in den meisten Mitgliedstaaten der Europäischen Union.

Im Übrigen: Wo sind denn diese Alternativen? Wir haben im Konvent zur Zukunft Europas über all diese Alternativen lange Diskussionen geführt, über ein demokratischeres Europa, eine sozialere Union, usw. Wir sind immer wieder zu denselben Ergebnissen gekommen. Jede derartige Verbesserung – so wünschenswert sie auch sein mag – führt im Ergebnis zu mehr und zu einem stärkeren Europa und damit genau zu dem von den meisten Mitgliedstaaten und den dort lebenden Menschen derzeit nicht gewünschten weiteren Machtverlust der Nationalstaaten. Daher tun wir das, was die Mehrheit des Ausschusses für konstitutionelle Fragen vorgeschlagen hat. Versuchen wir, die europäischen Bürger über das zu informieren, was im Verfassungsvertrag des Jahres 2004 tatsächlich steht, was dort nicht steht, und versuchen wir, in einem zweiten Anlauf doch einen Konsens für das beste Verfassungswerk, das derzeit am Markt ist, zu erreichen.

 
  
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  Hans Winkler, amtierender Ratspräsident. Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Es war für mich sehr interessant, an dieser Debatte teilzunehmen und den Meinungsaustausch zu verfolgen. Es wurde eine Vielfalt von Meinungen zum Ausdruck gebracht, aber eines erscheint mir doch dem zu entsprechen, was auch die Mehrheit der Ratsmitglieder fühlt, dass sich nämlich die Europäische Union zu diesem Zeitpunkt, bevor wir mehr Klarheit gewonnen haben, alle realistischen und vernünftigen Optionen offen halten sollte, denn die Erfahrungen des vergangenen Jahres haben gezeigt, dass wir mit schnellen, vielleicht sogar voreiligen oder leichtfertigen Einschätzungen in dieser Debatte nicht weiterkommen. Ich stimme mit Herrn Leinen überein, dass es für die Ratspräsidentschaft in dieser Phase der Debatte unklug, ja sogar schädlich wäre, würden wir den Versuch unternehmen, Ergebnisse vorwegzunehmen.

Was wir jetzt brauchen, ist eine Diskussion. Ich sage noch einmal, dass ich dem Ausschuss für konstitutionelle Fragen und den Berichterstattern Duff und Voggenhuber dankbar bin, dass sie diese Debatte in Gang gesetzt haben. Die Präsidentschaft wird sie aufgreifen. Wir glauben auch, dass alle Meinungen, die in dieser Debatte zum Ausdruck kommen, respektiert werden müssen. Wie es die Vizepräsidentin sehr treffend formuliert hat, geht es darum, ein Europa für alle zu bauen. Das ist die Aufgabe, die sich auch der österreichische Ratsvorsitz gestellt hat. Gemeinsam mit den anderen Mitgliedstaaten und im Einvernehmen mit den anderen Institutionen werden wir an der Wegskizze, von der bereits die Rede war, arbeiten.

Wenn heute gesagt wurde, dass die Bürgerinnen und Bürger kein Interesse an einer Debatte über Institutionen haben, dann setze ich dem entgegen, dass dieses Europa aber die entsprechenden Institutionen und institutionellen Strukturen braucht, damit es das leisten kann, was sich die Bürgerinnen und Bürger von ihm erwarten.

Ich hoffe sehr, dass heute auch aus den Ausführungen des Ratspräsidenten klar hervorgegangen ist, dass sich der österreichische Ratsvorsitz sehr ernsthaft mit den Problemen, die die Bürgerinnen und Bürger Europas interessieren und betreffen, auseinandersetzen wird.

 
  
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  Margot Wallström, Vizepräsidentin der Kommission. (SV) Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Ich möchte eigentlich nur zwei Dinge kurz ansprechen. Erstens möchte ich Herrn Brok zitieren, der zu Beginn dieser Aussprache erklärt hat, die Bürger seien die entscheidenden Akteure. Die Bürger Europas sind die wichtigste Zielgruppe und haben am meisten zu gewinnen oder zu verlieren, je nachdem, wie wir in der Frage einer neuen Verfassung für Europa verfahren.

Zweitens möchte ich sagen, dass Demokratie kein Zuschauersport ist. Sie verlangt, dass wir Debatten und einen Dialog mit den Bürgern führen, unsere politischen Führungskräfte und unsere Bürger auf jede erdenkliche Art und Weise einbeziehen und uns gegenseitig zu helfen, unsere verschiedenen Rollen in diesem Zusammenhang zu spielen.

Nun habe ich schon des Öfteren ironische Kommentare gehört wie „Was ist an einer Abstimmungsniederlage so schwer zu verstehen?“. Dazu möchte ich sagen, dass wir aus Meinungsumfragen und Interviews tatsächlich genau wissen, warum die Menschen für bzw. gegen den Verfassungsentwurf gestimmt haben. Das haben wir uns ja nicht ausgedacht. Wir wissen, dass bei jeder Volksbefragung, bei der auch um Verfassungsfragen geht, die Gefahr besteht, dass man dann Antworten auf Fragen erhält, die man nicht gestellt hat. Das wissen auch die Politiker in allen Mitgliedstaaten.

Es ist ja auch nicht besonders verwunderlich, dass 25 Mitgliedstaaten, die sich an einer Diskussion darüber beteiligen, wie wir der konstitutionellen Herausforderung eines Europas begegnen, das von 15 auf 25 Mitglieder angewachsen ist, die sich fragen, wie wir aus einer Lage herauskommen, in der zwei Mitgliedsaaten den Verfassungsentwurf abgelehnt und 14 ihm zugestimmt haben. Wie gehen wir mit einer solchen Sachlage um? Sollen wir jetzt diesen Prozess einfach beenden oder gibt es einen Ausweg? Solche Überlegungen sind nicht abwegig. Sie machen es sich da etwas zu einfach. Besonders interessant ist, dass diejenigen, die die UKIP (UK Independence Party) vertreten und dieses Haus als Scheinparlament bezeichnen, nur zu glücklich damit zu sein scheinen, dass sie nicht eine einzige konstruktive Idee beisteuern und die europäischen Steuerzahler ihre Abgeordnetendiäten in diesem Scheinparlament bezahlen lassen.

Ich finde, wir müssen uns zusammenreißen und eine intelligente, ehrliche Debatte über die Europafragen führen. Wir wissen sehr viel, und es gibt keine Abkürzung. Sie mögen darüber lachen, aber alles was wir tun können ist eine Debatte und einen Dialog mit den Bürgern führen und zunächst Sachfragen diskutieren, ehe wir sie mit den konstitutionellen Lösungen verknüpfen, die für ein offeneres, demokratischeres und effektiveres Europa notwendig sind.

 
  
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  Präsident. Die Aussprache ist geschlossen.

Die Abstimmung findet am Donnerstag um 12.00 Uhr statt.

Schriftliche Erklärungen (Artikel 142)

 
  
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  Bruno Gollnisch (NI). – (FR) Man sieht oft den Splitter im Auge des anderen, doch den Balken im eigenen Auge nicht. Dieselben Leute, die gestern die unglaubliche Absage an die parlamentarische Demokratie anklagten, die die Brüsseler Kommission veranlasst hatte, ihre Richtlinie über die Hafendienstleistungen erneut vorzulegen, obwohl diese bereits abgelehnt worden war, sind heute bereit, für einen Bericht zu stimmen, der – was weitaus schlimmer ist – eine Absage an die Demokratie des Volkes darstellt.

Die Europäische Verfassung ist von zwei Gründungsländern der Europäischen Union, den Niederlanden und Frankreich, abgelehnt worden. Nach Auffassung aller objektiven Beobachter haben deren Bürger ihre Entscheidung in voller Sachkenntnis getroffen. Sie haben nicht aufgrund eines bestimmten Kontextes abgestimmt, sondern gegen den Text. Zehn Mitgliedstaaten haben sich noch nicht geäußert, und einige ihrer führenden Vertreter sind der Auffassung, dass dies auch nicht mehr angezeigt ist. Denn nach Recht und Gesetz sowie nach dem Wortlaut der Verfassung selbst kann sie nicht in Kraft treten, da mehrere Unterzeichnerstaaten ihre Ratifizierung abgelehnt haben. Sie ist tot.

Doch alles, was das Parlament vorschlägt, läuft darauf hinaus, die beste Art und Weise herauszufinden, wie der alte Text mit demselben Wortlaut den Bürgern wieder aufgetischt und ihnen mit Propagandakampagnen unter willfähriger Mithilfe der Medien das Gehirn gewaschen werden kann. Dieser Skandal kann nicht hingenommen werden.

 
  
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  Ian Hudghton (Verts/ALE).(EN) Ich kann diesen Bericht nicht unterstützen. Im Wortlaut wird nicht berücksichtigt, dass der Verfassungsvertrag von den Wählern zweier Mitgliedstaaten abgelehnt wurde. Hätte es weitere Referenden gegeben, wären zweifellos weitere Ablehnungen zustande gekommen. Die beiden Berichterstatter wollen den Kern des aktuellen, abgelehnten Textes irgendwie wiederbeleben. Dies halte ich für sehr bedenklich. Wie kann man von den französischen und niederländischen Wählern erwarten, dass sie eine solche Arroganz hinnehmen? Wir befinden uns in der so genannten Reflexionsphase, lassen Sie es eine Phase werden, in der ein Dokument, das schon so eindeutig abgelehnt wurde, nicht einfach wiedergekäut, sondern überdacht und ersetzt wird.

 
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