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Verfahren : 2011/2517(RSP)
Werdegang im Plenum
Entwicklungsstadien in Bezug auf das Dokument :

Eingereichte Texte :

RC-B7-0078/2011

Aussprachen :

PV 02/02/2011 - 15
CRE 02/02/2011 - 15

Abstimmungen :

PV 03/02/2011 - 8.10
Erklärungen zur Abstimmung
Erklärungen zur Abstimmung

Angenommene Texte :

P7_TA(2011)0038

Ausführliche Sitzungsberichte
Mittwoch, 2. Februar 2011 - Brüssel Ausgabe im ABl.

15. Lage im Mittelmeerraum, insbesondere in Tunesien und Ägypten (Aussprache)
Video der Beiträge
Protokoll
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  Der Präsident. − Der nächste Punkt ist die Erklärung der Vizepräsidentin der Kommission und Hohen Vertreterin der Union für Auswärtige Angelegenheiten und Sicherheitspolitik über Lage im Mittelmeerraum, insbesondere in Tunesien und Ägypten.

 
  
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  Catherine Ashton, Vizepräsidentin der Kommission/Hohe Vertreterin der Union für Auswärtige Angelegenheiten und Sicherheitspolitik. Herr Präsident, wir alle haben die Ereignisse vergangener Tage in Tunesien und die jüngsten Ereignisse in Ägypten sehr intensiv verfolgt.

Die Bevölkerungen in beiden Ländern haben ihre gerechtfertigten Beschwerden und Hoffnungen zum Ausdruck gebracht und erwarten nun eine aufrichtige Reaktion nicht nur aus ihrem eigenen Land, sondern auch von ihren Partnern, einschließlich Europäischer Union. Ihre Botschaft ist eindeutig: Ihre politischen Systeme haben einen Punkt erreicht, an dem es kein Zurück mehr gibt, und Veränderungen müssen jetzt stattfinden.

Ich nutze diese Gelegenheit, meine Bewunderung für ihren Würde und ihren Mut zum Ausdruck zu bringen und vor dem Hintergrund dessen, was wir gegenwärtig auf unseren Fernsehbildschirmen vor allem aus Ägypten sehen, fordere ich zu Ruhe und Zurückhaltung und Dialog auf.

Ich werde zunächst über Tunesien sprechen. Die Veränderungen, die dort stattgefunden haben, sind bemerkenswert und haben den Weg für eine demokratischere Entwicklung des Landes geebnet. Und trotz vieler Herausforderungen können wir bereits positive Entwicklungen in Tunesien dort verzeichnen, wo Anstrengungen unternommen wurden, den Forderungen des Volkes Rechnung zu tragen. So sind von der Übergangsregierung einige wichtige Schritte unternommen worden, insbesondere durch die Freilassung von politischen Gefangenen und die Gewährung der Freiheit der Meinungsäußerung sowie die strafrechtliche Verfolgung von Familienmitgliedern des ehemaligen Präsidenten Ben Ali wegen Korruption.

Darüber hinaus sind die drei folgenden unabhängigen Kommission gebildet worden, die auch schon ihre Arbeit aufgenommen haben: Die Kommission zur Untersuchung von Korruption und Missbrauch öffentlicher Gelder, die Kommission zur Untersuchung von Missbrauchsfällen während der Unterdrückung und im Verlauf der jüngsten Ereignisse, und die Hohe Kommission für politische Reformen.

Ich habe darüber hinaus auch die jüngst erfolgte Umbildung der Regierung aufgrund der öffentlichen Nachfrage zur Kenntnis genommen. Diese Regierung hat nun die Unterstützung der größten Oppositionsparteien und der größten Gewerkschaft, der Tunisian General Labour Union, erhalten. So sind Frieden und Stabilität wichtige Voraussetzungen, um demokratische und transparente Wahlen in Tunesien durchführen zu können und grundlegende politische, wirtschaftliche und soziale Veränderungen bewirken zu können. Die Europäische Union ist da, um dem Land und seiner Bevölkerung in dieser schwierigen Übergangsphase zu helfen, und wir haben sofort reagiert, und zwar nicht etwa, um unsere Ansichten oder Ideen zu propagieren, sondern um unsere Hilfe anzubieten und zusammenzuarbeiten.

So bin ich letzte Woche der Einladung des Außenministers, Herrn Ounaies, gefolgt und habe mit ihm, ebenso wie heute hier in Brüssel, ein Gespräch geführt. Wir hatten hier, an dem ersten Ort, den er nach seinem Amtsantritt besucht hat, ein grundsätzliches Gespräch darüber, wie die Europäische Union den Übergang am besten unterstützen und der tunesischen Bevölkerung am besten helfen kann. Dabei hat er heute die Anfrage wegen Unterstützung von der EU in der Vorbereitungsphase für die Wahlen und bei der Beobachtung zukünftiger Wahlen bestätigt. Deshalb stehen wir kurz davor, eine Experten-Mission nach Tunesien zu entsenden, um die Rechtsvorschriften in Bezug auf die Wahlen zu untersuchen und den Übergangsbehörden rechtlichen Beistand zu leisten, und letzte Woche ist auch der stellvertretende Generaldirektor des EAD vor Ort in Tunesien gewesen, um die öffentlichen Forderungen mit der Bevölkerung selbst zu besprechen.

Was weitere Formen der Hilfe anbelangt, so haben wir die Zuteilung für die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft erhöht. Dies wird in Kombination mit einer Neuausrichtung unserer Hilfsprogramme den Menschen auf einer direkteren Art und Weise helfen. Durch liberale Strategien allein kann jedoch der notwendige wirtschaftliche und soziale Wohlstand und die Verteilung des Reichtums auf die gesamte tunesische Bevölkerung nicht erreicht werden. Aus diesem Grund werden wir mit Tunesien unsere Prioritäten überprüfen und dabei die neue Lage berücksichtigen und unsere Unterstützung an die gesellschaftlichen Bedürfnisse des Landes anpassen.

Ich bin heute von den Ministern selbst über Details ihrer Bedenken und den von ihnen beabsichtigten Plänen informiert worden, so dass wir in der Lage sind, zusammen mit unseren internationalen Partnern zu reagieren.

Ich habe konkrete Unterstützung zunächst für die Bereiche Wahlunterstützung, Governance und Übergang zur Demokratie, Unterstützung der Zivilgesellschaft und der NRO, Unterstützung bei der Reform der Rechtsstaatlichkeit und der Justiz, der Economic Governance und der Korruptionsbekämpfung sowie der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung (einschließlich der Unterstützung der verarmten Regionen in Mittel- und Südtunesien) angeboten.

Wir sind auch gemeinsam mit den Mitgliedstaaten dazu bereit, mobilitätsbezogene Maßnahmen und einen erweiterten Marktzugang in Erwägung zu ziehen. So sind Kontakte auf Arbeitsebene in Bezug auf diese Themen in vollem Gange und wir werden den Dialog fortsetzen. Darüber hinaus plane ich, in der übernächsten Woche selbst nach Tunesien zu reisen.

Was die Anfrage der tunesischen Behörden betrifft, das Vermögen des Herrn Ben Ali und seiner Regimeanhänger einzufrieren, sind von uns bereits entsprechende erste Schritte unternommen worden. So haben wir die Verfahren beschleunigt, mit denen es dem Rat (Auswärtige Angelegenheiten) am Montag möglich sein wird, eine Entscheidung über restriktive Maßnahmen im Hinblick auf das Einfrieren von Vermögen von Personen, die unter dem Verdacht stehen, Staatsgelder in Tunesien veruntreut zu haben, anzunehmen. So ist uns von den tunesischen Behörden eine Liste von Personen übermittelt worden, für die diese Maßnahmen gelten sollten.

Wie ich bereits erwähnt habe, ist unser Generaldirektor Hugues Mingarelli letzte Woche in diese Region gereist. Er hat dort Gespräche mit der vorläufigen Regierung und den Präsidenten der jeweiligen neu gebildeten Kommissionen geführt und sich mit Vertretern der Zivilgesellschaft getroffen.

Ich möchte auch die Initiative des Europäischen Parlaments begrüßen, eine Delegation nach Tunesien zu schicken. Ich glaube, dass es von zentraler Bedeutung ist, dass das tunesische Volk eine breite Unterstützung von der EU, und insbesondere dem Europäischen Parlament, in dieser kritischen Übergangsphase in Richtung Demokratie erfährt. Wir müssen die direkten menschlichen Kontakte intensivieren und die Zivilgesellschaft erreichen, und darin eingeschlossen ist auch die Unterstützung der NRO, Berufsverbände und Studentenaustauschprogramme.

Wir haben nun die Gelegenheit, die Partnerschaft zwischen Tunesien und der Europäischen Union auf Grundlage einer Zusage für Demokratie und wirtschaftliche und soziale Reformen zu stärken. Ich hoffe, dass wir auf einem gegenseitigen Respekt und Vertrauen unserer jeweiligen Bevölkerungen bauen können, um Stabilität und eine demokratische und fruchtbare Zukunft für Tunesien sicherzustellen. Vor diesem Hintergrund freue ich mich auf die bevorstehenden freien und demokratischen Wahlen und die Bildung einer neuen Regierung. Ich habe mich mit dem tunesischen Außenminister darauf geeinigt, die Verhandlungen in Kürze im Hinblick auf ihren Abschluss, sobald eine neue demokratisch gewählte Regierung im Amt ist, unter dem fortgeschrittenen Status zusammenzufassen.

Abschließend ist die Atmosphäre vom Außenminister als eine Atmosphäre der Aussöhnung beschrieben worden. Ich hoffe, dass es uns gelingen wird, mit Tunesien gemeinsam daran zu arbeiten, diese Atmosphäre für die Bildung einer neuen, freieren Demokratie zu nutzen.

Ich möchte nun noch auf die Lage in Ägypten zu sprechen kommen. Es ist gerade mal eine Woche her, dass wir Zeugen des Beginns einer außergewöhnlichen Bewegung dort wurden. Anti-Regierungsdemonstrationen, die eindeutig von den Ereignissen in Tunesien und anderswo inspiriert worden sind und hauptsächlich über soziale Netzwerke und Mundpropaganda organisiert wurden, haben, so denke ich, die ganze Welt in Erstaunen versetzt.

Dabei liegt die große Stärke dieses Volksaufstands darin, dass er sich über ganz Ägypten erstreckt. So gehen überall hunderttausende von Menschen, Junge und Alte, Männer und Frauen, auf die Straße, um ihre legitimen politischen und sozioökonomischen Rechte einzufordern. Die Proteste erstrecken sich von Kairo bis nach Alexandria und Suez und noch weiter über ganz Ägypten, und die Massen nehmen an Umfang und Vielfältigkeit zu, indem sich die Protestanten in ihren Forderungen nach einem Regierungswechsel und der Einhaltung der grundlegenden Menschenrechte vereinen.

Die anfänglich relativ friedlichen Proteste haben sich jedoch durch den Einsatz von Tränengas und Gummigeschossen sowie von Wasserwerfern durch die Polizei in zunehmenden Maße verschärft. So sind wir sind besorgt darüber, dass möglicherweise auch Gefechtsmunition zum Einsatz gekommen ist. Ich bedauere wie alle Damen und Herren Abgeordnete hier den Verlust von Menschenleben während der Demonstrationen und meine Gedanken sind bei denjenigen, die ihre Angehörigen verloren haben. Darüber hinaus gibt auch die große Anzahl an Verletzten und Festgenommenen Anlass zur Sorge, und alle Parteien müssen nun Zurückhaltung zeigen und die Gewalt beenden.

Wir haben uns auf den Rat (Auswärtige Angelegenheiten) am Montag mit entsprechenden Schlussfolgerungen vorbereitet, in denen wir die ägyptischen Behörden auffordern, alle friedlichen Demonstranten, die festgenommen wurden, unverzüglich wieder freizulassen. Denn die Rechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit sind grundsätzliche Menschenrechte für jeden, und es ist Aufgabe des Staates, diese zu schützen. Die verhängten Einschränkungen für die Medien, einschließlich Internet, sind nicht hinnehmbar, und ich möchte die ägyptischen Behörden dringend bitten, alle Kommunikationsnetzwerke ohne weitere Verzögerung wiederherzustellen.

Durch die landesweiten Demonstrationen bringt das ägyptische Volk seinen Wunsch nach Veränderung zum Ausdruck. So haben sich Hunderttausende bei Kundgebungen im ganzen Land versammelt. Und es ist von größter Bedeutung, dass diese Stimmen nun auch gehört werden und dass dieser Situation durch schnelle, konkrete und entscheidende Maßnahmen entsprochen wird. Die Zeit ist reif für einen geregelten Übergang und eine friedliche und umfangreiche Veränderung.

Die Behörden müssen einen ernsthaften offenen Dialog mit den politischen Kräften anstreben. Dabei ist es wichtig, dass der Zivilgesellschaft eine entscheidende Rolle in diesem Dialog zukommt. Die ägyptischen Behörden müssen sich durch eine Regierung auf breiter Grundlage schnell vorwärts bewegen und einen echten Prozess einer grundlegenden demokratischen Reform einleiten und den Weg für freie und fairen Wahlen ebnen.

Wir werden unsere volle Unterstützung einem Ägypten anbieten, das eine Veränderung anstrebt, um ein demokratischeres und pluralistischeres Land zu werden. Wir haben ein gemeinsames Interesse daran, dass in der Mittelmeerregion und im Nahen Osten Frieden und Wohlstand herrschen.

Was wir nun tun müssen, ist die uns zur Verfügung stehenden Mittel zu nutzen und zu verstärken, um die notwendigen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Reformen zu unterstützen. So stützt sich unsere Zusammenarbeit bereits auf Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit als konstituierende Elemente, und wir müssen uns neu auf diese Arbeit konzentrieren und sie insgesamt verstärkt angehen.

Für mich persönlich geht es bei Politik darum, Dinge zu verändern: Den Menschen dabei zu helfen, ihr Leben nach ihren Vorstellungen zu gestalten. Wir sind derzeit Zeugen einer Reihe von potentiell positiven Veränderungen in der gesamten arabischen Welt, die durch die Anforderungen der Bevölkerung angetrieben werden.

Als Europäische Union besteht unser Angebot für diese Region und diese Völker darin, Solidarität und Unterstützung zur Umsetzung dieser Reformen zu liefern. Wir sind eine Union bestehend aus Demokratien, wir haben eine demokratische Berufung und deshalb werden wir diesen Prozess der Veränderung mit Kreativität und Überzeugung unterstützen.

 
  
  

VORSITZ: Stavros LAMBRINIDIS
Vizepräsident

 
  
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  José Ignacio Salafranca Sánchez-Neyra, im Namen der PPE-Fraktion. – (ES) Herr Präsident, Baroness Ashton, meine Damen und Herren, was auch immer das Ergebnis bzw. das Resultat der Lage in Ägypten sein wird, glaube ich, wir können sicher sagen, dass es einen Unterschied zwischen der Situation vor und nach den Ereignissen in Tunesien geben wird.

Meiner Meinung nach sollten wir in diesem Haus nicht nach Schuldigen suchen, da diese Krise die Europäische Union auf dem falschen Fuß erwischt hat. Dennoch bin ich der Ansicht, dass wir einige Schlussfolgerungen aus dieser Angelegenheit ziehen sollten.

Erstens muss die Europäische Union sichtbarer werden, sie muss mit einer geeinten Stimme sprechen, um jede Form einer Kakophonie zu vermeiden; deshalb haben wir den Europäischen Auswärtigen Dienst und die Position des Hohen Vertreters geschaffen.

Zweitens müssen wir die Lektionen aus den unbekümmerten Strategien gegenüber den Feinden der Freiheit, von Belarus bis Kuba und den dazwischen liegenden Mittelmeerländern, ziehen. Wir müssen uns selbst fragen, ob es tatsächlich mehr Stabilität, mehr Wohlstand und mehr Demokratie gibt wie es der Barcelona-Prozess vorsieht.

Drittens: Herr Präsident, ich glaube, wir müssen unterscheiden, was die Europäische Union mittelfristig und was sie kurzfristig unternehmen muss. Kurzfristig gesehen muss die Europäische Union diese Übergangsprozesse entschlossen unterstützen, damit die Hoffnung dieser befreundeten Länder auf Freiheit nicht frustriert wird. Ich glaube, dass Baroness Ashton bereits einen Fahrplan entwickelt hat. Herr Präsident, es ist unsere Pflicht, sie vor den mit diesem Prozess einhergehenden Risiken zu warnen, damit sie nicht von den Feinden der freien Gesellschaften überfallen werden.

In der Zwischenzeit, Herr Präsident, ist es wichtig, dass die Europäische Union eingehend über einen strategischen Ansatz zur Reformierung unserer Nachbarschaftspolitik nachdenkt, so wie wir gestern Herrn Füle im Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten dazu aufgefordert haben.

Alles muss getan werden, Herr Präsident, während wir berücksichtigen müssen, dass es oft schwieriger ist, das Gleichgewicht der Freiheit zu bewahren, als das Joch der Tyrannei abzuschütteln.

 
  
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  Adrian Severin, im Namen der S&D-Fraktion. Herr Präsident, die aktuellen Ereignisse in Tunesien, Ägypten und in anderen Ländern der Region müssen uns daran erinnern, dass Stabilität ohne Freiheit eine unhaltbare Realität, wenn nicht gar eine absolute Illusion, ist.

Wir müssen uns ebenfalls in Erinnerung rufen, dass eine Revolution oder ein sozialer Umbruch zwar eine Garantie für Veränderung ist, allerdings keine Garantie für eine Veränderung zum Besseren darstellt. Ich hoffe, wir werden die Eingebung haben, diesen Prozess zu unterstützen, um ihn zu einem Prozess zu machen, der eine Veränderung zum Besseren und nicht zum Schlechteren bedeutet.

Sowohl für die Lage in Tunesien als auch in Ägypten (und nicht nur dort) werden eingehende Analysen benötigt, da wir verstehen müssen, ob wir in der Vergangenheit das Richtige zur Vermeidung dieser Krisen unternommen haben. Welche Schritte sollen wir in Zukunft unternehmen, um ähnliche Krisen vorherzusehen oder zu vermeiden? Und zu guter Letzt, was können wir tun, um sicherzustellen, dass die aktuelle Krise für die betroffenen Völker eine Entwicklung hin zu Freiheit und Stabilität in der Region bedeutet und gleichzeitig eine Veränderung hin zu mehr bzw. einer anderen Form von Instabilität sowie zu einer anderen Form von Totalitarismus und Unterdrückung zu vermeiden?

Wir müssen in dieser Hinsicht eine präventive und proaktive Haltung einnehmen, und dafür ist eine Strategie notwendig. Unsere Botschaften hinsichtlich einem Gleichgewicht zwischen dem Schlüsselwort „Reform“ und den Schlüsselwörtern „Ordnung“ und „Stabilität“ sicherlich korrekt. Doch der Teufel steckt vor allem im Detail. Viele von uns sind tatsächlich der Ansicht, dass wir bisher die Einzelheiten noch nicht angesprochen haben und dass wir noch nicht genug Vision oder genug Stärke bei der Herangehensweise an die Herausforderungen gezeigt haben. Ein weiterer wichtiger Faktor ist unsere Fähigkeit, mit allen entscheidenden Akteuren, auch mit den islamischen Kräften, so zu kommunizieren, dass wir sie alle in einen positiven Prozess einbinden können.

Wir hoffen, dass die Kommission und der Rat in der Lage sein werden, solch eine Strategie in Zukunft zu gestalten. Wir wären erfreut, wenn sie uns mehr darüber erzählen könnten.

 
  
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  Guy Verhofstadt, im Namen der ALDE-Fraktion.(FR) Herr Präsident, ich glaube, dass die Ereignisse, die gerade in Tunesien stattfinden, und vor allem jene, die sich in den vergangenen Stunden in Ägypten ereignet haben, sowohl historisch als auch sehr tragisch sind.

Wir hören gerade, dass aberhunderte Menschen in den vergangenen Stunden verletzt wurden. Ich bringe dieses Argument vor allem deshalb vor, weil ich eine Ähnlichkeit zwischen dem sehe, was sich derzeit im Mittleren Osten und in Nordafrika ereignet und dem, was in Europa im Jahr 1989 stattgefunden hat. Darum bin ich gerade so überrascht, erstaunt und enttäuscht über die Art und Weise, wie Europa gerade dieselben Fehler begeht, die es bereits 1989 gemacht hat. Dies möchte ich zum Ausdruck bringen.

Herr Präsident, es ist unglaublich, dass wir - der sogenannte demokratische Kontinent - es noch immer nicht geschafft haben, den Massen in den Straßen unsere uneingeschränkte Unterstützung anzubieten; jenen Massen, die um nichts anderes als unsere Unterstützung bitten.

(Beifall)

Meine Damen und Herren, ich habe noch nicht gehört, dass Baroness Ashton unsere Unterstützung bereits angeboten hätte, weder gestern noch heute.

Baroness Ashton, warum hat Europa so langsam reagiert? Tatsächlich haben wir kaum reagiert. Sie haben reagiert, und dann haben Deutschland, Frankreich und das Vereinigte Königreich eine Mitteilung ohne gegenseitige Rücksprache veröffentlicht, so als ob Europa nicht existierte. Ich muss sagen, dass die einzige zufrieden stellende, europäische Rede nicht aus der Union kam, sondern vom türkischen Premierminister, Herrn Erdogan, der Herrn Mubarak mitteilte, er solle auf die Forderungen seines Volkes hören und deshalb zurücktreten. Das war die einzige anständige Antwort, die auf europäischer Ebene vernommen wurde.

(Beifall)

Ich glaube, dass die Rede, die Sie heute halten werden, für die Menschen auf den Straßen, die vielleicht sogar um ihr Leben kämpfen, überaus wichtig ist. Ich glaube, dass Europa in den letzten Tagen zwei Fehler begangen hat.

Erstens haben wir nicht erkannt, was für ein historischer Moment das überhaupt ist und, zweitens und viel bedeutender, haben wir die Situation falsch eingeschätzt. Wir haben Angst, dass nach den Wahlen ein islamistisches Regime an die Macht kommt, und aus diesem Grund gibt es diese falsch eingeschätzte Kommunikation. Lassen Sie mich Ihnen sagen, dass ich keine Angst habe. Ich habe Vertrauen in das tunesische und das ägyptische Volk.

(Beifall)

Sie sind diejenigen, die Demokratie wollen, und die Tatsache, dass Kopten und Muslime nun Schulter an Schulter marschieren, ist Beweis genug für das, was sie wollen, und das ist eine wahrhaft offene Demokratie.

Ich möchte Ihnen ein zweites Beispiel geben, um zu zeigen, warum wir keine Angst vor der Forderung nach einer offenen Demokratie in diesen Ländern haben sollten. Sie alle kennen Mohammed Bouazizi, den Mann, der die Revolution in Tunesien durch seine Selbstverbrennung ausgelöst hat. Baroness Ashton, auf Herrn Bouazizis Sarg lag nicht die grüne Fahne des Islam. Auf dem Sarg befand sich eine rote Fahne Tunesiens. Bei dem, was wir dort beobachten, handelt es sich also nicht um islamistische Revolutionen. Ganz im Gegenteil, es sind Revolutionen der Freiheit.

(Beifall)

Jetzt wo sich tausende Menschen seit nunmehr einer Woche in Kairo versammeln und es Demonstrationen in Jordanien, im Jemen, Syrien und in Algerien gibt, rufe ich Sie auf, Baroness Ashton, die Position der Europäischen Union zu ändern. Ich möchte, dass Sie in unserem Namen sprechen und heute, in diesem Haus, klar zum Ausdruck bringen, dass die Europäische Union zu 100% hinter dem ägyptischen Volk und seinen Forderungen steht. Wir wollen, dass Präsident Mubarak seinem Volk endlich zuhört und durch seinen Rücktritt sein Land befreit, sodass es heute Demokratie und Freiheit genießen kann. Das ist die Botschaft, die ich in der Antwort, die Sie dabei sind zu geben, wiederfinden möchte.

(Beifall)

 
  
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  Daniel Cohn-Bendit, im Namen der Verts/ALE-Fraktion.(FR) Herr Präsident, Baroness Ashton, Sie rufen zur Ruhe auf. Nennen Sie doch die Dinge beim Namen! Es waren Mubaraks Truppen, die heute in Ägypten den Terror auf den Marktplatz gebracht haben, nicht die Demonstranten! Also rufen Sie nicht alle auf, ruhig zu sein. Rufen Sie Herrn Mubarak auf, die Angriffe auf die Demonstranten zu beenden, da er diese befiehlt, um sagen zu können: „Ich stelle die Ordnung im Chaos wieder her.“ Das ist Falle, die er uns stellt, und alles was wir tun können, ist zu beiden Seiten zu sagen, „Beruhigt euch!“ Nein, absolut nicht. Wir müssen Herrn Mubarak dazu aufrufen, sich zu beruhigen, und der beste Weg zur Beruhigung der Lage ist für ihn zu verschwinden, zu gehen. Dann wird wieder Ruhe in Kairo einkehren.

Haben Sie gesehen, dass die Menschen, die mit Messern kamen, Herrn Mubaraks Polizisten waren? Es waren arme Menschen, die diesen Morgen mit dem Bus aus dem tiefsten Ägypten dorthin gebracht wurden und die den Aufruhr verursachten. Das muss gesagt werden, Baroness Ashton, und wir dürfen unsere Augen nicht davor verschließen. Es gibt etwas, dass mich an Ihnen erstaunt: Heute verstehen Sie alles, was geschehen ist, alles, was sich vor drei Wochen in Tunesien ereignet hat. Doch als wir Sie vor drei Wochen im Europäischen Parlament dazu aufriefen, die Verhandlungen über die Aufwertung Tunesiens aufgrund der Diktatur zu stoppen, teilten Sie uns mit, dass dies nicht möglich sei. Doch heute ist es möglich. Sie sind eine Widerstandskämpferin auf den letzten Drücker. Das erklärt alles. Ich möchte von Ihnen, Baroness Ashton, somit nur eines wissen: Sagen Sie uns wo, im Falle Tunesiens, Europa sein Geld investiert hat. Sagen Sie uns, welche Firmen europäisches Geld erhielten; sagen Sie uns, welche der Unternehmen von Herrn Ben Ali und seiner Frau mit europäischem Geld unterstützt wurden. Sie können es uns sagen. Dieses Parlament hat ein Recht darauf, es zu wissen.

Zweitens da Sie, Baroness Ashton, sagen, Sie würden nun das tunesische Volk unterstützen, möchte ich Sie bitten, eines zu gewährleisten: eine Chancengleichheit im demokratischen Prozess während des Übergangs. Wenn es neue Wahlen gibt – wie Sie wissen verfügt die tunesische Konstitutionelle Demokratische Sammlung (RCD) über finanzielle Mittel, doch die Oppositionsparteien, die seit Jahren verboten waren, nicht – muss die Europäische Union ihren Teil in Form der Unterstützung der demokratischen Fairness und Gleichheit leisten. Im Fall von Ägypten ist heute eines klar, Baroness Ashton: Wenn wir es nicht schaffen, die Ägypter in dem Befreiungsprozess zu unterstützen, werden uns die Völker des Nahen Ostens, die arabischen Völker, einmal mehr den Rücken kehren, zu einer Zeit, wenn wir vor einer außergewöhnlichen Situation stehen, einer Situation, die Sie, Herr Verhofstadt, uns gegenüber ebenfalls nicht erwähnt haben: In Gaza hat eine Demonstration zur Unterstützung der Ägypter stattgefunden, und die Hamas hat diese Demonstration verboten. Das ist der Beweis, dass der Wind der Freiheit nun den Theokratien im Nahen Osten und auch den arabischen Ländern entgegenweht, und dass es unsere Aufgabe ist, ihnen zu helfen. Wir haben Jahre mit Jammern zugebracht, als wir nur zwischen Diktaturen und Theokratien wählen konnten. Also inschallah! Es gibt eine dritte Möglichkeit und zwar die Freiheit und den Kampf für die Freiheit gegen Diktaturen und Theokratien, und es ist unsere Aufgabe als Europäer, jene zu unterstützen, die diesen Kampf anführen.

(Der Redner erklärt sich damit einverstanden, auf eine „Blue-Card“-Frage gemäß Artikel 149 Absatz 8 zu antworten)

 
  
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  Niki Tzavela (EFD). - Herr Präsident, mit allem gebührenden Respekt gegenüber Herrn Verhofstadt und Herrn Cohn-Bendit möchte ich der Hohen Vertreterin sagen, dass ich sehr große Bedenken bezüglich dem habe, was die beiden Herren vorhin gesagt haben. Die gesamte Situation erinnert mich an den Iran. Bitte seien Sie vorsichtig bei der Handhabe der Lage in Nordafrika. Dieser Teil der Welt ist nicht Europa.

Die Frage lautet: Können Sie sich nicht daran erinnern, was im Iran geschehen ist? Sehen Sie denn keinerlei Ähnlichkeiten? Stimmen Sie nicht damit überein, dass wir dort einen geordneten Übergang gewährleisten müssen?

(Der Präsident unterbricht die Rednerin)

 
  
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  Daniel Cohn-Bendit (Verts/ALE).(FR) Frau Tzavela, ich würde es nicht wagen, Ihnen eine Geschichtsstunde zu geben, doch ich möchte dennoch darauf hinweisen, dass es im Iran der Westen war, die Vereinigten Staaten, die den iranischen Schah unterstützten. Des Weiteren möchte ich anmerken, dass wir bis zum allerletzten Moment, sogar unter der Bakhtiar-Regierung, auf der falschen Seite waren und dass wir der iranischen Theokratie all die Waffen gaben, um ihr bei ihrem Sieg zu helfen.

Das war genau das, was ich anmerken wollte: Wenn wir jene nicht unterstützen, die für die Freiheit kämpfen, dann werden sie in einer Sackgasse enden, und die andere Seite wird gewinnen. Das ist genau die Lektion, die wir aus dem Iran gelernt haben, Frau Tzavela. Diese Lektion wurde von Herrn Gorbatschow so zusammengefasst: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.“

Ich fordere, dass Europa in dieser Region einmal nicht zu spät kommt.

(Beifall)

 
  
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  Charles Tannock, im Namen der ECR-Fraktion. Herr Präsident, Frankreich hat natürlich Ayatollah Khomeini gefördert und flog ihn zurück nach Teheran.

Andererseits ist Ägypten seit 1956 eine Republik, doch Mubarak ist erst der dritte Präsident des Landes. In Tunesien war Ben Ali lediglich der zweite Regierungschef seit der Unabhängigkeit vor 53 Jahren. Wenn die politische Landschaft so wenig Hoffnung auf Veränderung bietet, werden die Frustrationen unweigerlich hochkochen – so wie wir es jetzt mit dem Hurrikan der Veränderung sehen, der über diese Region hinwegfegt.

Meine Fraktion, die EKR-Fraktion, ruft zu einer wahrhaften Demokratie und zu einem friedlichen Übergang in Ägypten auf. Heute sehen wir einen Besorgnis erregenden Trend hin zu Gewalt. Es ist schwer abzuschätzen, wie Herr Mubarak eine glaubwürdige Rolle in diesem Übergang haben kann, wenn nicht durch seinen Rücktritt.

In Tunesien brodelt es weiterhin und je länger dieser Zustand anhält, desto größer ist die Gefahr, dass die Islamisten diese politische Initiative nutzen. Tunesien mag autoritär und korrupt gewesen sein, doch es war durch und durch weltlich und prowestlich; das dürfen wir nicht vergessen.

Dies ist auch eine Gefahr in Ägypten, wo die islamistische Muslimbruderschaft danach strebt, das politische Vakuum, von dem wir sprechen, zu füllen. Die Radikalisierung der ägyptischen Politik wäre für das Land selbst und für das benachbarte Israel ein Desaster. Doch es könnte auch schwerwiegende Konsequenzen für die Nutzung des Suezkanals haben.

Die diplomatischen Bemühungen der EU in Tunesien und Ägypten müssen auf die Gewährleistung von Stabilität und Ordnung abzielen sowie auf den Widerstand gegenüber jenen, die Angst und Gewalt verbreiten wollen, wie wir sie heute sehen. Für den Aufbau einer liberalen Demokratie in diesen Ländern, ohne bestehende einschlägige Tradition, müssen die EU, die Vereinigten Staaten und unsere politischen Denkfabriken in Europa beträchtliche Ressourcen hinter moderaten, demokratischen Politikern und neuen Parteien bündeln, die dem demokratischen Pluralismus sowie freien, fairen Wahlen verpflichtet sind und die im Gegensatz zur Muslimbruderschaft bereit sind, im Fall einer Wahlniederlage Macht abzugeben. Das ist eine enorme Herausforderung, und natürlich könnten wir jetzt einen Moment ähnlich dem Fall der Berliner Mauer in der muslimischen Welt erleben.

Es gibt bereits gute demokratische Vorbilder in Ländern mit muslimischer Mehrheit, wie in Indonesien, der Türkei und Bangladesch, denen Ägypten und Tunesien nacheifern können. Hoffentlich wird in Zukunft in der muslimischen Welt nicht nur zwischen säkularer Tyrannei und islamistischen Theokratien zu wählen sein, sondern vielmehr andauernde Demokratie.

(Der Redner erklärt sich damit einverstanden, auf eine „Blue-Card“-Frage gemäß Artikel 149 Absatz 8 zu antworten)

 
  
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  Marc Tarabella (S&D).(FR) Herr Präsident, ich möchte einfach Herrn Tannock ansprechen, um seine Einstellung gegenüber jenen anzuprangern, die heute demonstrieren und somit auf das näher eingehen, was Herr Verhofstadt und Herr Cohn-Bendit gesagt haben.

Das ist ein Volksaufstand, da das Volk bitterer Armut ausgesetzt ist. Somit üben die Regierungschefs, die wir unterstützt haben, sei es zur Wahrung eines gewissen Maßes an Stabilität und zur Abwehr der Gefahr des Islamismus, eine Schreckensherrschaft aus und halten das Volk in Armut. Ich möchte Sie deshalb fragen, ob Sie zustimmen, dass das Volk das Recht auf Aufstand hat, wenn es in Armut gehalten wird.

(Beifall)

 
  
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  Charles Tannock (ECR). - Herr Präsident, ich glaube, ich habe in meiner Rede klar zum Ausdruck gebracht, dass ich weder einen säkularen Tyrannen noch einen islamistischen Theokraten an der Macht irgendeines der an uns angrenzenden Länder sehen möchte. Ich möchte selbstverständlich einen liberalen Demokraten sehen, der für freie und faire Wahlen eintritt. Ich glaube, dass die wirtschaftliche Lage und die hohe Arbeitslosigkeit in Tunesien und Ägypten ein ernstzunehmendes Problem sind, und wir müssen alles tun, um dagegen anzugehen. Doch das ist jetzt nicht das Thema. Das Thema ist im Grunde vielmehr, einen ordentlichen und friedlichen Übergang in diesen Ländern zu sehen und keinen Zusammenbruch von Recht und Ordnung. Wir möchten Stabilität, Frieden und natürlich Demokratie in unserer Nachbarschaft sehen.

 
  
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  Der Präsident. − Lassen Sie mich nur anmerken, Herr Tannock, dass ihre positive Anmerkung zu liberalen Demokraten für viel Erheiterung in der Mitte des Saales gesorgt hat. Sie werden das später weiter ausführen müssen.

(Lachen)

 
  
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  Marie-Christine Vergiat, im Namen der GUE/NGL-Fraktion.(FR) Herr Präsident, ich wollte zwar an und für sich keinen Ausflug in die Vergangenheit unternehmen, doch ich höre einige überraschende Reden. Ich denke, dass wir in letzter Zeit, vor einigen Monaten, praktisch die Einzigen waren, zusammen mit einigen wenigen Abgeordneten der Fraktion der Grünen/Freie Europäische Allianz, die zu einer Diskussion zur Lage in Tunesien aufgerufen haben. Wie Herr Cohn-Bendit richtig gesagt hat, gibt es tatsächlich viele Last-Minute-Widerstandskämpfer. Wir könnten viel über die Vergangenheit sagen, doch wir haben dies in unserer Entschließung zum Ausdruck gebracht, und wir sind der Ansicht, dass wir uns vor allem auf die Zukunft konzentrieren sollten.

Zuerst müssen wir vermeiden, uns in irgendeiner Weise in die internen Angelegenheiten dieser Länder einzumischen. Es ist nicht an uns, als Europäer, zu bestimmen, wie die Zusammensetzung der Regierungen dieser Länder aussehen soll. Das tunesische Volk handelte eigenständig, um sich selbst vom diktatorischen Regime zu befreien. Wir müssen ihm erlauben, sich selbst auszudrücken und es auf dem Weg in die Demokratie unterstützen. Jeder, der die Lage in Tunesien verfolgt, weiß, dass die Vergangenheit noch nicht tot und begraben ist und dass es Menschen gibt, die im Hintergrund die Fäden ziehen und Komplotte schmieden.

Die Gewalt, die sich in Ägypten heute ereignet, zeigt auch, dass die Dinge schwierig sind. Verurteilen Sie also die Gewalt und rufen Sie nicht nur dazu auf, sie herunterzuspielen, wie Sie es mit den Vorkommnissen in Tunesien gemacht haben. Polizeiliche Gewalt ist immer inakzeptabel: Sie ist heute genauso inakzeptabel wie sie es in der Vergangenheit war; sie ist in Tunesien und Ägypten so inakzeptabel wie überall anders auch. Lassen Sie uns die tunesischen Behörden und das tunesische Volk fragen, was sie erwarten, ohne ihnen etwas aufzuzwingen.

Sie haben Ihre Diskussionen mit dem Außenminister besprochen, doch Sie haben hinzugefügt, ohne scheinbar gefragt worden zu sein, dass Sie den Marktzugang in Tunesien vergrößern wollen. Das ist meiner Meinung nach ziemlich unangebracht, da es keinen Engpass bei Hilfen seitens der Europäischen Union in diesem Bereich gegeben hat.

Jeder scheint die Korruption von Ben Alis Regime heute zu begreifen. Ja, die wirtschaftliche Liberalisierung in Tunesien ist den Familien Ben Ali und Trabelsi zugute gekommen, dank der Hilfe der Europäischen Union. Ja, die Europäische Union muss im Hinblick auf alle Menschenrechtsverletzungen standhaft sein. Die Europäische Union hat viel von ihrer Glaubwürdigkeit in diesen Ländern eingebüßt. Ja, wir müssen endlich die Demokraten unterstützen und alle Diktaturen verdammen.

 
  
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  Fiorello Provera, im Namen der EFD-Fraktion.(IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren, die alte Ordnung ändert sich im Maghreb, und diese Krise wirft eine Vielfalt an Problemen auf, die nicht einfach zu lösen sein werden.

Es gibt Risiken genauso wie Hoffnungen. Es ist möglich, dass weltliche autoritäre Regime durch aggressive, destabilisierende, islamistische, fundamentalistische Theokratien ersetzt werden. Wir sollten uns an die Ereignisse im Iran erinnern: Eine demokratische Entwicklung geht nur schwer mit einer Revolution Hand in Hand. Es gibt sicherlich Lehren, die aus dem Iran gezogen werden können.

Eine weitere Gefahr ist, dass sich die wirtschaftliche Krise in diesem Gebiet wahrscheinlich verschlimmern und zu noch größerer Jugendarbeitslosigkeit und einem größeren Zustrom von Zuwanderern führen wird, womit Europa nicht länger fertig werden wird.

Diese Ereignisse sind ein Zeichen, dass unsere Euro-Mittelmeerpolitik unzulänglich ist und zeigt, dass die bisher angewendete Kooperationspolitik der Aufgabe, Bedingungen für Entwicklung und Demokratie zu schaffen, nicht gewachsen ist. Was sich bisher ereignet hat, ist nicht ausschließlich der wirtschaftlichen Krise zuzuschreiben, obwohl diese schwerwiegend war, sondern geht auf den Mangel an sozialer Stabilität zurück, in anderen Worten auf den Mangel an Möglichkeiten zur Vertretung der Interessen des Volkes zum Beispiel in Form von Gewerkschaften, freier Presse, politischem Pluralismus, einem freiwilligen Bereich, Rechtsstaatlichkeit und Chancengleichheit für alle.

Im Mittelpunkt der Politik Europas sollte die Unterstützung der Länder in dieser Region auf ihrem Weg zusammen mit wirtschaftlicher und handelsbezogener Hilfe sein. Das ist der Weg, um wahre Stabilität zu schaffen: Nicht die Stabilität, die durch autoritäre Regimes geboten wird, sondern die Stabilität, die sich auf sozialen Konsens, Beteiligung und demokratische Institutionen stützt.

 
  
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  Nicole Sinclaire (NI). - Herr Präsident, im Vordergrund stehen für mich im Moment, in dem ich die morgige Ad-hoc-Delegation für Tunesien vorbereite – der auch in angehöre – das Wohlergehen des tunesischen Volkes und die Notwendigkeit für uns alle, uns an die Bedeutung zu erinnern sowie an den Grund für den Respekt ihrer kulturellen Werte und ihrer Identität, wenn wir ihnen dabei helfen, eine neue Zukunft basierend auf dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit und demokratischen Idealen aufzubauen.

Die Menschen erwarten Veränderung, und sie erwarten Hilfe ohne Verpflichtungen. Ich bin sehr froh, dass Herr Cohn-Bendit den Punkt, was genau mit den EU-Geldern in all diesen Jahren geschehen ist, aufgegriffen hat, den ich in meinem Delegationsausschuss heute morgen angesprochen habe. Der Vertreter des EAD hat gesagt, es wurde für Reformen ausgegeben. Welche Reformen? Wenn es angemessene Reformen gegeben hat, würden die Menschen nicht so rebellieren, wie sie es getan haben. Können wir einige ehrliche Antworten erhalten? Wir müssen die vorläufige Regierung zu einer Untersuchung drängen, wohin das Geld floss und sicherstellen, dass alle EU-Gelder in Zukunft rechtmäßig verwendet werden.

 
  
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  Ioannis Kasoulides (PPE). - Herr Präsident, die arabische Welt ist unser Partner in der Union für den Mittelmeerraum. In all unseren Beziehungen mit ihnen haben wir immer die Prinzipien der pluralistischen Demokratie, der Medien-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit, der Einhaltung der Menschenrechte, einer unabhängigen Gerichtsbarkeit und einem verantwortungsvollen Handeln vorgebracht. Doch wir haben immer betont, dass diese Prinzipien von innen umgesetzt werden müssen und nicht von außen aufgezwungen werden dürfen.

Das tunesische Volk hat es geschafft, von innen heraus der Unterdrückung, einem Polizeistaat und der Folter die Stirn zu bieten und Freiheit und Demokratie zu erlangen. Die tunesischen Behörden müssen den Willen des Volkes respektieren und ohne Verzögerung den Prozess der Demokratisierung fortsetzen und zwar mit Rechenschaftspflicht in Fällen von Korruption oder der Unterdrückung durch Ben Alis Spießgesellen.

Aus ähnlichen Gründen hat das ägyptische Volk Tötungen, Verhaftungen, Tränengas und Kugeln getrotzt und hat Brot und Freiheit, Würde und Emanzipation gefordert.

Aber aufgepasst: Demokratie bedeutet nicht Wahlen. Sie bedeutet sehr viel mehr als das. Wir unterstützen das ägyptische Volk rückhaltlos und rufen ihre derzeitigen Führer auf, auf die Weisheit ihres Volkes zu hören und zu keinem Hindernis bei der Verwirklichung ihrer Hoffnungen zu werden.

Unseren europäischen Beamten, dem Rat und der Vizepräsidentin/Hohen Vertreterin sage ich Folgendes: Es ist enttäuschend Präsident Obama oder Hillary Clinton zuzuhören, die mutig und zur rechten Zeit sprechen und dann Ihnen, da Sie wie immer die zweite Geige spielen und das kaum hörbar.

 
  
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  Véronique De Keyser (S&D).(FR) Herr Präsident, es gibt tatsächlich Zeiten, in denen man wissen muss, welche Seite zu wählen ist. Dies wurde mir viele Male in der Europäischen Union gesagt. Heute ist es eindeutig, welche Seite zu wählen ist: Wie meine Kolleginnen und Kollegen bereits gesagt haben, ist es die Seite der Freiheit, ist es die Seite der Stimme des Volkes.

Während ich hier spreche steht das Museum in Kairo in Flammen, brechen Kämpfe in den Straßen aus, und ich glaube, dass wir hier, zumindest was Ägypten betrifft, nicht eindeutig genug waren. Präsident Mubarak muss gehen, dass muss klar gemacht werden. So wie Präsident Mubarak heute ist - und ich respektiere seinen langen Kampf - ist er nicht in der Lage, den politischen Umbruch zu führen. Es ist Wahnsinn, dies von ihm zu verlangen und den Mubarak-Clan und den el-Baradei-Clan heute in den Straßen Kairos aufeinander loszulassen. Wir müssen unsere Verantwortungen in dieser Angelegenheit bündeln.

Ich möchte Ihnen ebenfalls sagen, dass ich in den vergangenen Tagen und Nächten nicht aufgehört habe, über den von uns begangenen Fehler nachzudenken. Wir haben einen außerordentlichen Fehler begangen: Wir haben korrupte Regime im Namen der Stabilität ohne einen Gedanken an soziale Gerechtigkeit oder die Wunsch der Völker nach Freiheit unterstützt.

(Beifall)

Das ist ein Fehler, den wir wieder gut machen müssen, und nun ist es an der Zeit, das zu tun.

Meine Damen und Herren, der zweite Fehler, wie ich fürchte sagen zu müssen, ist, dass wir es nicht geschafft haben, den politischen Islam zu verstehen. Ich habe nicht gesagt „wir haben es nicht geschafft, den politischen Islam zu akzeptieren“! Es gibt einen Unterschied zwischen Terroristen, Fundamentalisten und einigen Anhängern der Muslimbruderschaft. Es ist an uns, den Unterschied zu verstehen, in einen Dialog zu treten, jene davon auszunehmen, die nicht wollen, doch heute haben wir diesen Fundamentalisten den Weg geebnet. Wir haben einigen Terroristen den Weg geebnet!

Es ist an der Zeit, diese Positionen zu überdenken. Letztendlich müssen wir die vergangenen Errungenschaften in diesen Ländern, in Tunesien, Ägypten und so weiter, abwarten. Ich spreche hier über die säkularen Strukturen in diesen Ländern und die Rechte der Frauen, von denen es viele von ihnen in säkularen Strukturen und Einrichtungen gab, die mit der Sharia nichts zu tun hatten. Demokratien können mit extrem unterschiedlichen Parteien gebildet werden. Lassen Sie uns nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. Lassen Sie uns an der Idee eines säkularen Staates und des Respekts gegenüber verschiedenen Religionen und Überzeugungen und gegenüber politischer Vielfalt festhalten.

(Beifall)

 
  
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  Edward McMillan-Scott (ALDE). - Herr Präsident, ich bin der Ansicht, dass dringlichste Thema heute ist die aktuelle Lage in Ägypten. 2005 war ich dort Vorsitzender einer kleinen Wahlbeobachtungsmission. Wir wurden gebeten, zu dem ersten Durchgang zu kommen und dann zu dem zweiten, doch der erste Wahldurchgang war so chaotisch und unglaublich schlecht geführt, so korrupt, dass wir uns entschieden, für den zweiten Durchgang nicht zurückzukehren.

Ägypten ist ein Land, in dem vor etwa 30 Jahren ein Diktator, in Gestalt von Herrn Mubarak, die absolute Macht in einer besonders brutalen, tyrannischen und willkürlichen Herrschaft an sich gerissen hat. Während wir die außergewöhnliche Entwicklung der Ereignisse in den Straßen Ägyptens begreifen, erkennen wir auch anhand von Herrn Mubaraks Reaktion einen Menschen, der merkt, dass er Unterstützung hat, nicht nur in Ägypten sondern auch in anderen Ländern.

Wir müssen nun auch erkennen, dass die Europäische Union keine Sechste Flotte hat. Wir sind nur in der Lage, moralische Macht auszustrahlen. Als Baroness Ashton zu Beginn dieser Diskussion sehr leise sprach, hatte sie leider auch keinen großen Stab bei sich. Wir müssen also sanft sprechen, ja, aber auch mit einer Stimme, und ich denke, dass das Problem für Europa derzeit darin besteht, dass es nicht mit einer Stimme auf der Ebene von Cathy Ashton und anderen Führungspersonen spricht.

Darauf wurde bereits früher hingewiesen, die Premierminister von Großbritannien, Frankreich und Deutschland haben getrennt Stellungnahmen abgegeben. Lassen Sie uns gemeinsam sprechen. Lassen Sie uns absolut klarstellen, wo wir stehen – bei der Unterstützung der Demokratie und der Menschenrechte, nicht nur in Europa, sondern auf der ganzen Welt und diesmal vor allem im Mittelmeerraum.

 
  
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  Franziska Katharina Brantner (Verts/ALE). - Herr Präsident! Liebe Frau Ashton, ich möchte die Aufforderung an Sie wiederholen, uns die Liste der Empfänger von EU-Geldern in diesen Ländern mitzuteilen. Es gibt begründete Befürchtungen, dass der Familienclan von Ben Ali und seine Unternehmen auch von EU-Geldern profitieren. Ich glaube, wir brauchen eine Aufarbeitung unserer eigenen Arbeit in dieser Region, eine Klärung der Verwendung unserer Gelder und eine klare Umsteuerung. Für diese klare Umsteuerung braucht es auch als allererstes in Tunesien einen neuen Delegationschef. Ich würde Ihnen gerne vorlesen, was er heute in einer E-Mail an uns geschrieben hat:

(FR) Europas Strategie in Tunesien muss nicht überdacht werden. Wir werden mehr Freiheit bei der Wahl unserer Gesprächspartner und Partner haben, allerdings werden die Interventionsbereiche und unsere Abkommen mit dem Land heute sogar noch mehr an Bedeutung gewinnen.

Ich denke es ist unglaublich, dass der Delegationsleiter schreibt, wir müssten unsere Strategien betreffend Tunesien nicht überdenken. Ich rufe Sie auf, die Verantwortung zu übernehmen und den Delegationsleiter auszuwechseln.

Wenn ich noch einen Punkt zu dem von Frau De Keyser Gesagten hinzufügen darf: Ich denke, es ist auch an der Zeit, die Frauen im Übergang zu unterstützen. Warum nicht, zum Beispiel, eine große Konferenz mit Ihrer Unterstützung überall abhalten und Frauen für den Übergang unterstützen, ihre Rolle hervorheben und sie zu unterstützen, um den laizistischen bzw. säkularen Prozess in diesen Ländern zu stärken und zu betonen. Das könnte eine feministisches Programm für Sie sein.

(Beifall)

 
  
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  Mirosław Piotrowski (ECR). - (PL) Herr Präsident, politische Mächte auf der Welt und vor allem im strategisch bedeutenden Ägypten befinden sich im Bann der Massenproteste in Tunesien. Zahlreiche Szenarien sind möglich und reichen von einer friedlichen Machtübernahme der prodemokratischen Mächte bis zum wirtschaftlichen Chaos und dem Ausbruch eines bewaffneten Konflikts, nicht einmal der Einsatz von Atomwaffen kann ausgeschlossen werden.

Die Lage befindet sich in ständigem Wandel und ist schwer vorherzusehen. Die arabischen Gesellschaften, die über Jahre hinweg ihrer Grundrechte wie der Redefreiheit oder dem Recht, an freien Wahlen teilzunehmen, beraubt waren, sind entschlossen, einen Machtwechsel herbeizuführen; koste es was es wolle. Das Europäische Parlament sollte zu einem gemeinsamen Standpunkt gelangen und Schritte unternehmen, um zu verhindern, dass die gesamte Region aus dem Gleichgewicht gerät. Wir dürfen nicht die kürzlich von unserem Haus angenommene Entschließung über die Verfolgung von Christen vergessen, in der auch Ägypten erwähnt wird. Wir sollten in Betracht ziehen, konkretere Maßnahmen zu ergreifen und eine Beobachtungsmission nach Ägypten schicken.

 
  
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  Willy Meyer (GUE/NGL).(ES) Herr Präsident, Baroness Ashton, die Europäische Union muss ihre Nachbarschaftspolitik überdenken, da wir eindeutig den Eindruck hinterlassen haben, mehr an der Erreichung von Freihandelsabkommen interessiert zu sein als an der Entwicklung von Völkern und ihren Menschenrechten. Das Problem, Baroness Ashton, ist nicht die aktuelle Position der Europäischen Union hinsichtlich der Regime Ben Alis oder Mubaraks, sondern die Position, welche die Europäische Union vorgestern eingenommen hat, die nicht die geringste Unterstützung der von den Menschen in den Straßen geforderten Änderungen zeigte.

Das ist das Problem, welches die Europäische Union zu lösen hat: Dass wir überhaupt keine Unterstützung für die vom Volk geforderten Änderungen zeigen, nicht nur in Tunesien, sondern in Marokko, Ägypten, Jordanien und dem Jemen; einer großen Zahl an Völkern, die nicht länger Autokratie oder Krise ertragen können, die die Schwächsten betrifft. Das ist die Änderung, die die Europäische Union vorzunehmen hat; sie muss bei den Ereignissen führend sein, indem sie die Richtung ihrer Nachbarschaftspolitik ändert.

 
  
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  Bastiaan Belder (EFD). - (NL) Herr Präsident, es ist nicht überraschend, dass die aufregenden politischen Entwicklungen in Tunesien und Ägypten von der Islamischen Republik Iran genau beobachtet werden. Sowohl die iranische Regierung als auch die Opposition unterstützen die Stimmen in den Straßen. Interessanterweise beanspruchen beide die Lorbeeren für den arabischen Volksaufstand für sich. Das iranische Regime bejubelt die Ankunft der Revolutionswelle, die in ihrem Land 1979 begann und die nun, wie sie glauben, die arabische Welt erfasst, während sich die islamische Opposition als Auslöser der Massenproteste des Volkes in Tunis und Kairo betrachtet.

Solange sich das pragmatische arabische Lager im Nahen Osten dem unmittelbaren Zusammenbruch nähert, hat die iranische Führung mehr Grund zu Optimismus als die Opposition. Die Europäische Union sollte diese Bedrohung nicht ignorieren. Eine Radikalisierung der arabischen Welt ist mit einem würdevollen Leben, wonach sich die tunesischen und ägyptischen Demonstranten, wie sagen sie sagen, sehnen, definitiv unvereinbar. Die Islamische Republik Iran sollte unter keinen Umständen als Vorbild gesehen werden, sondern vielmehr als warnendes Beispiel.

 
  
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  Philip Claeys (NI). - (NL) Herr Präsident, was gerade in den Ländern wie Tunesien und Ägypten geschieht, ist eine unglaublich wichtige Entwicklung. Das Volk erhebt sich gegen diktatorische Despoten, und das ist gut so.

Die große Frage ist natürlich, was im Anschluss an diese Ereignisse kommen wird. Es gibt hier so etwas wie ein Paradoxon, wenn es um die Demokratisierung in der islamischen Welt geht, in der mehr Demokratie oft zu mehr Islamismus führt, welcher wiederum zu weniger Demokratie führt. Es liegt auf der Hand, dass wir aus Europa den demokratischen Prozess unterstützen sollten. Diese Unterstützung sollte allerdings wahrhaft demokratischen Mächten zuteil werden, und wir sollten niemals bewusst eine Organisation wie die Muslimbruderschaft bei der Errichtung einer theokratischen Diktatur unterstützen, in dem sie dafür Hilfe von der EU erhält. Sonst werden wir mit Situationen, wie wir sie nun im Iran sehen und die sich über die gesamte Region ausbreiten, konfrontiert werden.

Lassen Sie uns deshalb vorsichtig bei der Wahl unserer Partner sein. Immerhin waren Ben Ali und seine Partei bis vor einigen Wochen noch Mitglieder der Sozialistischen Internationalen. Nun, da sich das Blatt gewendet hat, wurde er von ihr über Nacht ausgeschlossen. Seien Sie, meine Damen und Herren, in Zukunft also vorsichtig bei der Wahl ihrer Partner, und machen Sie es den Islamisten nicht leicht.

 
  
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  Hans-Gert Pöttering (PPE). - Herr Präsident, Frau Hohe Beauftragte, liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere Antwort auf die Ereignisse in der arabischen Welt muss sich aus unserem Menschenbild ergeben. Jeder Mensch, ob Moslem, Jude, Christ oder ohne Bekenntnis, hat die gleiche Würde und das gleiche Recht, in Würde zu leben. Und wenn dies richtig ist, dann ergibt sich daraus das Recht für die Menschen in den arabischen Ländern, in Freiheit, in einer Demokratie und in einer die Würde des Menschen achtenden Lebensordnung zu leben. Deswegen ist es heute unsere Pflicht, unsere Verantwortung und unsere wichtige Aufgabe für die Zukunft, den Menschen in der arabischen Welt, die friedlich für Freiheit und Demokratie eintreten, zu sagen, wir stehen solidarisch an eurer Seite. Wir sind solidarisch mit den friedlichen Moslems in der arabischen Welt.

(Beifall)

Wir haben einmal den Fehler gemacht, dass wir im Verhältnis zum totalitären Kommunismus die Augen zugedrückt haben, weil wir sagten, wir brauchen Stabilität. Diesen Fehler dürfen wir heute nicht machen, denn zur Stabilität gehören die Freiheit und die Demokratie, und das sollten wir unterstützen.

Wenn das nun stimmt, was wir in diesen Stunden hören – ich wusste das vorher nicht, dass in Kairo geschossen wird, und bisher war ja die Armee sowohl in Tunesien wie auch in Ägypten zurückhaltend –, dass sich die Armee mit Gewalt durchsetzt, dann kann das immer nur für eine kurze Zeit sein. In Europa hatten wir 1953 den Aufstand in der DDR, 1956 in Ungarn, 1968 in der Tschechoslowakei, und dann kam Solidarność.

Am Ende wird die Freiheit sich durchsetzen, und deswegen müssen wir allen, die heute Gewalt ausüben, sagen: Hört auf zu schießen und gebt den Menschen die Freiheit durch freie Wahlen. Das sollten wir mit Rat und Tat, mit aller Kraft unterstützen, auch als Europäisches Parlament.

 
  
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  Hannes Swoboda (S&D). - Herr Präsident! Frau Hohe Beauftragte! Es gibt Leute, die sagen, aus der Geschichte kann man nicht lernen, aber dennoch sollten wir es versuchen. Bezüglich des Zwischenrufs zum Iran – und der Kollege Cohn-Bendit hat ja schon einige Antworten darauf gegeben – möchte ich nochmals darauf hinweisen, wie es damals gelaufen ist im Iran. Wir haben ein schmutziges Regime unterstützt. Wir haben die Sawak-Polizei, die damals gegen Leute vorgegangen ist und Menschen gefoltert hat, mehr oder weniger geduldet. Und Amerika und auch Großbritannien haben Mossadek gestürzt, der eine friedliche Revolution wollte. Wir sind heute schon ein bisschen weiter, aber wir sind noch nicht weit genug. Ich glaube, wir müssen ganz klar sagen – und da kann ich mich den Kollegen anschließen, die das bereits erwähnt haben –, dass wir auf der Seite der Leute stehen müssen, die diese Revolution begonnen und vorangetrieben haben. Und das waren eben nicht die Islamisten! Seien wir doch froh über diese große Chance, dass die Revolution nicht von den Islamisten ausgegangen ist, sondern von den Leuten auf der Straße, von den einfachen Bürgern, die mit dem sozialen Unrecht, mit der wirtschaftlichen Situation und mit dem Mangel an Demokratie unzufrieden waren. Das ist das, was dort geherrscht hat. Frau Hohe Beauftragte und liebe Kolleginnen und Kollegen, seien wir doch selbstkritisch, ein Teil unserer Nachbarschaftsstrategie ist damit zusammengebrochen. Und ein Teil unserer Nachbarschaftsstrategie hat darauf beruht, dass es Stabilität gibt. Wir brauchen Frieden im Nahen Osten. Wir haben damit gerechnet, dass der Friede im Nahen Osten auf den Schultern der Diktaturen und der Diktatoren lebt und das ist nicht möglich und das ist nicht akzeptabel.

Daher müssen wir eine klare Meinung vertreten und eine klare Sprache sprechen. Dauerhaft ist der Friede im Nahen Osten nur, wenn er auf Demokratie beruht und nicht auf Diktaturen. Und daher, Frau Ashton, müssen wir laut unsere Meinung sagen. Ich weiß, Sie sind bekannt für das Sanfte, aber da stimme ich den Kolleginnen und Kollegen zu: laut und deutlich! Sie müssen so laut reden, dass wir manche Stimmen unserer Außenminister nicht hören, vielleicht manchmal auch so laut, dass man die Stimme von Hillary Clinton nicht hört, sondern die Stimme von Catherine Ashton. Das erwartet dieses Parlament. Nehmen Sie es auch als Vertrauensbeweis, dass wir von Ihnen erwarten, eine deutliche Sprache zu sprechen.

 
  
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  Metin Kazak (ALDE).(BG) Herr Präsident, die Proteste in Tunesien und Ägypten, die durch Wut und Intoleranz gegenüber der steigenden Jugendarbeitslosigkeit, den brutalen Polizeimethoden, der Korruption und einem autoritären Regierungssystem sowie der Missachtung der Menschenrechte, der Redefreiheit und der demokratischen Prinzipien ausgelöst wurden, sind Herausforderungen, denen sich auch die anderen arabischen Länder, die bereits Veränderung wünschen, gegenüber sehen.

Die Ereignisse in Tunesien, das als Hafen der Stabilität und wirtschaftlichen Sicherheit galt, ähneln in erstaunlicher Weise jenen, die durch den Fall der Sowjetunion in Osteuropa ausgelöst wurden. Sie tragen den Funken in sich, der den Zusammenbruch des arabischen Pseudomodells der Stabilität einläutet und der die demokratischen Umbrüche in der Region auslösen wird.

Die Forderungen sind eindeutig, und die Bevölkerung Tunesiens und Ägyptens wird sich nicht mit halben Maßnahmen zufrieden geben. Viele der Bedingungen für den Übergang zu einer Demokratie greifen bereits, wie eine aktive, gut organisierte Zivilgesellschaft, eine freie Presse, respektierte Oppositionsfiguren und bestehende politische Parteien. Wir müssen allerdings unsere gesamte aktuelle Außenpolitik überdenken, Baroness Ashton.

Die Europäische Union sollte strategische Entscheidungen treffen, eine Balance zwischen ihren politischen und wirtschaftlichen Interessen sowie den uns verbindenden demokratischen Werten herstellen. Europa muss zeigen, dass es voll und ganz hinter der Demokratie steht und nicht nur die Stabilität in der Region unterstützt. Der Grund dafür ist, dass sich die Menschen, sobald Veränderung eintritt, daran erinnern, wer an ihrer Seite stand und wer den unmöglichen Status quo aufrechterhielt.

 
  
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  Heidi Hautala (Verts/ALE). - Herr Präsident, vor 60 Jahren bedeutete eine Revolution in der arabischen Welt das Ende der europäischen Kolonialherrschaft. Die zweite Revolution in der arabischen Welt ereignet sich nun vor unseren Augen. Das ist der Moment, in dem die Europäische Union wählen muss, ob sie auf der richtigen oder der falschen Seite der Geschichte steht.

Die Aufgabe besteht darin, eine unabhängige Zivilgesellschaft in der arabischen Welt zu fördern. Unser Haushaltsplan in der EU muss überdacht werden, um die dringenden Bedürfnisse in Tunesien anzupacken, das unter einer 23-jährigen Autokratie gelitten hat.

Die Mehrheit des tunesischen Volkes hat kein Vertrauen in diese temporäre, nicht gewählte Regierung. In Tunesien setzt der Wahrheitsprozess bereits ein, doch die Europäische Union braucht selbst einen Wahrheitsprozess, so groß war über Jahre hinweg ihre Vernachlässigung der Menschenrechte und der demokratischen Werte in der arabischen Welt. Dies ist wahrhaft die Zeit für Menschenrechte.

 
  
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  Ivo Strejček (ECR). - Herr Präsident, ich teile nicht die Meinung, dass ein anhaltender Aufruhr in Ägypten hauptsächlich durch jene Kräfte vorangetrieben wird, die sich nach Demokratie im europäischen Stil sehnen. Ich verstehe die aktuellen Ausschreitungen und das Chaos als eine Revolution des Wandels, deren Triebfeder das Streben nach einem besseren Leben ist.

Doch entscheidend für uns Europäer ist die Gefahr, dass die dramatische Lage von radikalen Islamisten ausgenutzt werden könnte. Wenn es solch einen dramatischen politischen Umbruch gibt, würde Europa wie auch Amerika einen moderaten arabischen Verbündeten verlieren, und der ägyptische Friedensvertrag wäre in Gefahr. Ägypten kann sich schnell und einfach in ein Regime verwandeln, das Europa, Israel und Amerika gegenüber feindlich gesinnt ist und sich der Hamas annähern. Die Position der EU sollte klar an der Seite jener bleiben, die nach Freiheit streben und die freie Wahlen kompromisslos unterstützen.

 
  
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  Takis Hadjigeorgiou (GUE/NGL).(EL) Herr Präsident, meine Damen und Herren, offensichtlich unterstützt die überwältigende Mehrheit im Parlament den Aufstand in Ägypten. Das ist, natürlich, ganz in Ordnung, obwohl es einige Ausnahmen gibt, wie wir gerade gehört haben. Wie auch immer, ich bin der Ansicht, und Sie sollten hier mit mir einer Meinung sein, dass Politik schnelles und zeitgerechtes Handeln bedeutet, und ich glaube, dass alle von uns hier akzeptieren müssen, dass wir nicht gesehen haben, was in den vergangenen Jahrzehnten in Ägypten geschehen ist.

Wo waren wir alle, als Milliarden von Dollar von den Vereinigten Staaten nach Ägypten zur Unterstützung dieses Regimes flossen? Wir protestieren mit dem ägyptischen Volk für sein Recht auf Wohlstand, Gesundheit und Bildung. Das ist der Grund, warum das Parlament fortfahren sollte, seine einstimmige Unterstützung zu geben. Ich möchte anmerken, dass wir die Palästinenser in diesem Prozess berücksichtigen müssen, damit die palästinensische Bevölkerung nicht zum Opfer wird. Diejenigen hier unter uns, die Zypern repräsentieren, eines von Ägyptens Nachbarländern, beobachten die Ereignisse sehr genau, und ich wiederhole, wir unterstützen die Rechte des ägyptischen Volkes in diesem Aufstand.

 
  
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  Lorenzo Fontana (EFD).(IT) Herr Präsident, Baroness Ashton, meine Damen und Herren, wie bereits viele gesagt haben, ist es sicherlich erstrebenswert, dass die Demokratie in Nordafrika eingeführt wird, so wie wir hier in Europa Demokratie haben.

Dennoch gibt es auch Risiken, die wir zu berücksichtigen haben. Wir alle erinnern uns an den Anschlag auf koptische Christen, der um Weihnachten, genau hier in Ägypten, stattgefunden hat. Unsere Furcht, Baroness Ashton, ist, dass wir eines Tages mit einer islamistischen Diktatur in Nordafrika enden könnten.

Vor diesem Hintergrund ist es essenziell für Europa, vorsichtig zu sein, sodass wir nicht in eine Lage kommen, dass es feindliche Länder in Nordafrika gibt, die – und das dürfen wir nicht vergessen – viele Handelsverbindungen mit Europa haben. Zweifellos werden unsere Volkswirtschaften angesichts der aktuellen Wirtschaftskrise auf diese Destabilisierung nicht positiv reagieren. Wir sollten ebenfalls berücksichtigen, dass diese Destabilisierung mit Sicherheit Auswirkungen auf die Zuwanderung, vor allem in südliche europäische Länder, haben wird.

Ich rufe deshalb die Kommission und die Hohe Vertreterin zu Wachsamkeit in diesen Angelegenheiten auf.

 
  
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  Barry Madlener (NI). - (NL) Herr Präsident, Baroness Ashton, hören Sie auf, naiv zu sein. Herr Guy Verhofstadt, hören Sie ebenfalls auf, naiv zu sein. Denn was die Muslimbruderschaft will, ist die Sharia und die Sharia ist nicht Demokratie.

Die wichtigste Oppositionspartei, die Muslimbruderschaft, will Krieg mit Israel. Baroness Ashton, Sie haben kein einziges Wort darüber gesagt. Sie geben hier vor, naiv zu sein, wenn Sie eine bessere Zukunft für Ägypten fordern und sich gleichzeitig weigern, die Gefahren anzuerkennen, die der Islam darstellt. Denn Islam und Demokratie können nicht nebeneinander bestehen.

Ich möchte dies laut und deutlich mitteilen, dann ich möchte keine naive Frau Ashton sehen, die mit einer falschen Botschaft nach Ägypten geht. Frau Ashton, seien Sie wachsam gegenüber den Gefahren, die in Ägypten auf uns warten, und machen Sie diese bekannt. Warnen Sie das ägyptische Volk, dass die Sharia einer Katastrophe gleichkommt, einer Katastrophe für uns alle.

((Der Redner erklärt sich damit einverstanden, auf eine „Blue-Card“-Frage gemäß Artikel 149 Absatz 8 zu antworten)

 
  
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  Nirj Deva (ECR). - Herr Präsident, ich möchte dem geschätzten Abgeordneten folgende Frage stellen: Wie kann Demokratie in Gesellschaften gedeihen, in denen es keine Einrichtungen und keine Geschichte der demokratischen Tradition gibt?

Demokratie wächst nicht einfach so auf einem unfruchtbaren Feld. Wir sprechen unentwegt über die Schaffung demokratischer Staaten, ohne dass wir an der Einsetzung demokratischer Einrichtungen gearbeitet haben, in denen Demokratie gedeiht.

 
  
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  Barry Madlener (NI). - (NL) Herr Präsident, ich kann Herrn Deva nicht zustimmen. Natürlich schießt die Demokratie nicht einfach so aus dem Boden, doch ich sehe für Ägypten keine andere Alternative. Tatsächlich kann ich in Ägypten niemanden ausmachen, der die Führung übernehmen könnte. Im Grunde ist es an den Ägyptern, ihre eigenen Führer zu wählen.

Was wir tun können ist, die Ägypter aufzufordern, nicht die Muslimbruderschaft, sondern säkulare Führer zu wählen.

 
  
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  Mario Mauro (PPE).(IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren, Baroness Ashton, ich mag in der Vergangenheit hart mit Ihnen ins Gericht gegangen sein, doch ich muss zugeben, dass diese Angelegenheit Ihr Leben sehr kompliziert machen muss, also hoffe ich, dass meine Wortmeldung hilfreich sein wird.

Als Erstes möchte ich sehr deutlich zum Ausdruck bringen, dass es die Rolle des Staates ist, seine Bürgerinnen und Bürger zu beschützen und nicht ihr Leben zu bestimmen. Wenn eine Regierung das Leben des Volkes bestimmt, anstatt es zu beschützen, hört es auf eine Regierung zu sein und wird zu einem Regime. Das ist in Tunesien und Ägypten geschehen, wo es über viele Jahre hinweg Regime gab, da die politischen Situationen auf den tief greifenden Idealismus zur Gewinnung von Freiheit zurückgingen. Unsere Aufgabe ist die Verteidigung von Freiheit und Demokratie in den Herzen derjenigen, die sie heute in den Straßen verteidigen.

Das zweite Anliegen, das ich ansprechen möchte, betrifft uns, die Europäische Union. Wir müssen zugeben, dass wir keine politische Strategie für die Euro-Mittelmeerregion haben, das bedeutet, uns einzugestehen, dass der Barcelona-Prozess und die Union für den Mittelmeerraum fehlgeschlagen sind. Es ist ein Vorwand: Es sind nichts als politische Spiele, die keinen Zweck verfolgen und nichts erreichen. Wir müssen hier entschieden handeln. Wir müssen anfangen, eine Strategie zu entwickeln. Wir müssen sie planen, und wir müssen sie ausführen, so wie wir es für Osteuropa getan haben und so wie wir es für den Balkan getan haben, obwohl sie dazu gezwungen werden mussten. Wenn wir diese Strategie nicht haben, wird es keinen Unterschied machen, ob wir mit einer Stimme sprechen oder nicht, denn unsere Worte werden bedeutungslos sein.

 
  
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  Pier Antonio Panzeri (S&D).(IT) Herr Präsident, meine Damen und Herren, Baroness Ashton, ich habe den Eindruck, dass Sie sich über die Ereignisse in der Mittelmeerregion nicht vollkommen im Klaren sind. Ich kann nur sagen, dass die Behäbigkeit der EU-Einrichtungen, mit der auf die Lage im Mittelmeerraum reagiert wird, nur als Mangel des Bewusstseins der Lage und der Unfähigkeit erklärt werden können, die sich vollziehenden Veränderungen zu erkennen.

Wir erleben das Ende einer politischen und historischen Ära, in der Europas Politik gegenüber dem Süden verworren und kontraproduktiv war. Die Wirtschaftskrise, die Schwierigkeiten bei der Zuwanderung und der Mangel an Wechsel unter den herrschenden Klassen haben eine explosive Kombination geschaffen, die sich nun auf Tunesien und Ägypten auswirkt, aber auch andere Länder ergreifen kann.

Um auch einige meiner Kolleginnen und Kollegen anzusprechen, möchte ich sagen, dass wir nicht mit der Einstellung davonkommen werden, alles was wir zu tun haben, sei einfach unsere Unterstützung bei den gerade vorgehenden Demonstrationen anzubieten. Europa muss eine größere politische Reife zeigen. Dafür müssen wir Europas politische Fühler neu ausrichten. Europas Außenpolitik muss ihre halbverschlossene Haltung aufgeben und eine führende Rolle auf der internationalen Bühne bei der Unterstützung des sich gerade ereignenden demokratischen Übergangsprozesses einnehmen.

Wir benötigen vor allem klare Strategien in vielen Bereichen: einer neuen Partnerschafts- und Nachbarschaftspolitik; einer neuen Sicherheitspolitik für den Mittelmeerraum; größerer Bereitschaft des gesamten Europas, das Thema des Mittelmeerraumes anzugehen; und eine Politik der gemeinsamen Handlung, sodass Europa Seite an Seite mit anderen Akteuren, wie den Vereinigten Staaten und der Türkei, in der Region agiert.

Wir benötigen einen umfassenden Kurswechsel, was von der Kommission besondere Demut bei der Wiederaufnahme der Debatte über Außenpolitik gegenüber dem Mittelmeerraum erfordert sowie dabei, einen neuen Blick auf die Union für den Mittelmeerraum zu werfen und gleichzeitig zu gewährleisten, dass Europa darin eine Rolle einnimmt. Das ist für Europa von großer Wichtigkeit, und wir müssen uns dessen voll und ganz bewusst sein.

 
  
  

VORSITZ: Diana WALLIS
Vizepräsidentin

 
  
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  Marielle De Sarnez (ALDE).(FR) Frau Präsidentin, die Welt verschiebt und verändert sich, und nirgendwo trifft das mehr zu als in der arabischen Welt, wo, ich erinnere daran, 40 % der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze lebt und die jungen Menschen weltweit am stärksten von der Arbeitslosigkeit betroffen sind.

Die arabischen Völker streben nach Entwicklung und Demokratie, und da beide Aspekte sowohl in Tunesien als auch in Ägypten zusammengehören, haben diese Völker ihr Schicksal selbst in die Hand genommen, um die Veränderung einzuführen, die ihnen zusteht. Und trotz aller Provokationen – die wir heute wieder in Kairo erleben konnten – und Schwierigkeiten lässt sich diese Bewegung durch nichts und niemanden aufhalten.

Wie wir gestern in Tunesien und heute in Ägypten vernehmen konnten, haben wir eine Stimme gehört, nämlich die der Vereinigten Staaten, die sich entschieden auf die Seite der Demokraten geschlagen haben. Ich glaube an Europa, glaube aber auch, dass es bedeutungslos ist, sofern es sich nicht auch bei jeder Gelegenheit konsequent auf die Seite der Demokraten schlägt. Es wäre mein Traum für Europa gewesen, wenn es diese Gelegenheit ergriffen hätte; Ich hätte es mir gewünscht. Es ist nicht passiert. Das liegt nicht nur an der Rolle, die Sie gespielt haben; sondern auch an der Übervorsichtigkeit seiner politischen Verantwortlichen, die es nur allzu oft vorziehen, der Dinge zu harren, als zu handeln.

Über zwanzig Jahre nach dem Fall der Mauer werden wir Zeuge einer historischen Wende. Ich empfehle Ihnen, die Sache anzugehen, um diese Gelegenheit, Weltgeschichte zu machen, nicht zu verpassen.

 
  
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  Derk Jan Eppink (ECR). - Frau Präsidentin, alles, was ich sagen wollte, wurde eigentlich bereits gesagt, daher möchte ich mich darauf beschränken, eine Frage an die Hohe Vertreterin zu richten.

Heute hat der ehemalige britische Premierminister, Herr Blair, der Ihnen bekannt sein dürfte, große Worte des Lobes für den ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak gefunden. Gegenüber CNN sagte er heute: „Mubarak ist extrem mutig und ein positiver Machtfaktor.“ Herr Blair warnt auch vor voreiligen Wahlen in Ägypten.

Nun ist Herr Blair derzeit Sondergesandter für den israelisch-palästinensischen Friedensprozess, der von der Europäischen Union unterstützt wird. Was halten Sie von Tony Blairs Äußerungen?

 
  
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  Gerard Batten (EFD). - Frau Präsidentin, die große Gefahr für Ägypten und für die anderen nordafrikanischen Länder besteht natürlich darin, dass der Sturz ihrer Regierungen keine Demokratie nach westlichem Vorbild, sondern eher ein islamisch-fundamentalistisches Regime und ein neues dunkles Zeitalter einleiten wird, wie im Iran.

Dennoch ist eine gewisse Genugtuung bei der Aussicht zu verspüren, dass unterdrückte Völker ihre undemokratischen und nicht repräsentativen Regierungen stürzen. Alle Regierungen, auch Gewaltherrschaften, beziehen ihre Macht letztendlich aus der Zustimmung der Menschen, die sie regieren. Und man kann Menschen so lange und so massiv unterdrücken, allerdings besteht immer die „Gefahr“, dass sie rebellieren.

Nun lässt sich hier eine Parallele zu Großbritannien ziehen, wo sich eine nach der anderen Regierung jeglicher politischer Couleur regelmäßig des Verrats unseres Landes schuldig gemacht und unsere Rechte auf demokratische Selbstbestimmung an die Europäische Union abgegeben hat. Gemäß der Magna Carta haben die Engländer ein Recht auf eine rechtmäßige Rebellion. Ich frage mich nur, wie weit man sie drängen muss, damit sie wie die Ägypter auf die Straßen strömen.

 
  
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  Andrew Henry William Brons (NI). - Frau Präsidentin, wir alle sollten den Sturz oder bevorstehenden Sturz repressiver Regimes begrüßen, aber vielleicht nur dann, wenn wir wissen – oder ziemlich sicher sein können – wer oder was potentiell an deren Stelle tritt.

Selbst nach Nahost-Maßstäben war Tunesien wie der Irak oder Ägypten ein politisch repressives, genauso gut aber auch ein säkulares, gar sozialliberales Regime. Die Gefahr besteht, dass eine sozialliberale Selbstherrschaft von einer sozial repressiven Selbstherrschaft oder gar sozial repressiven Demokratie abgelöst werden könnte.

Diejenigen, die einen harmonischen und zivilisierten Machtwechsel in jedem oder einem dieser Länder erwarten, sollten noch einmal in sich gehen. Im Falle von Bürgerkriegen, Gräueltaten und der Vernichtung der Wirtschaft dieser Länder können vielleicht gute Ratschläge erteilt und von unseren Bevölkerungen Hilfe bereitgestellt werden, allerdings hoffe ich, dass wir es nicht als unsere Aufgabe ansehen, unsere Truppen dort hinzuschicken, um sie in den Tod laufen zu lassen. Es ist sicherlich nicht unsere Aufgabe, die Bevölkerungen dieser Länder zu retten und nach Europa zu bringen.

 
  
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  Mário David (PPE).(PT) Frau Präsidentin, die Welt, und vor allem Europa, kann der Wucht einer massiven Volksbewegung in Opposition zum Regime, die sich in zahlreichen Ländern des Nahen Ostens und Nordafrikas ereignet, weder gleichgültig gegenüberstehen, noch die Bedeutung und Rechtmäßigkeit dieser Demonstrationen verleugnen. Wir müssen jedem Volk, das nach Demokratie und Freiheit strebt, unsere echte uneingeschränkte Solidarität bekunden, wie wir es bereits bei unseren Freunden in Osteuropa vor kurzem getan haben.

Wir werden derzeit Zeuge eines seltenen Moments in der Geschichte: einer, der den Lauf der Geschichte verändert und neue Realitäten schafft. Objektiv ist zu sagen, dass der islamische Extremismus eine politische – und nicht religiöse – Antwort auf einige dieser Probleme ist, indem er durch soziale Ausgrenzung genährt und ausgelöst wurde. Die Zukunft dieser Region erfordert zuverlässige und tolerante Demokratien, in denen Minderheiten respektiert werden und der Staat allen zugesichert und nicht von einigen wenigen missbraucht wird.

Wir haben einen Teil der Welt als Nachbarn, der diesen Moment der Wiedergeburt ausschöpfen muss, um den Weg in Richtung Frieden und sozialen Fortschritt weiterzugehen. Es muss sich zeigen, dass in dieser Nachbarregion jeder in Frieden und gegenseitiger Achtung leben kann, ungeachtet des Glaubens, der politischen Entscheidung oder der ethnischen Zugehörigkeit.

Frau Präsidentin, ich komme zum Abschluss. Baroness Ashton, anstelle nur einiger weniger Staats- und Regierungschefs, die gemeinsam oder allein vorgehen – in Portugal sagen wir „Es ist schwer, der Pfarrer in der eigenen Gemeinde zu sein“ – muss ganz Europa eine führende Rolle bei der Unterstützung dieser Reformen einnehmen und ein neues Paradigma für den Nahen Osten finden, um Radikalismus zu vermeiden und die Achtung der Menschenrechte, vor allem die Rechte der Frauen, sicherzustellen.

 
  
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  Saïd El Khadraoui (S&D). - (NL) Frau Präsidentin, zur Zeit ereignen sich gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten, die für bzw. gegen Mubarak sind. Wir müssen eine klares Signal an Herrn Mubarak aussenden und seine Befürworter auffordern, unverzüglich das Feld zu räumen und ein unnötiges Blutvergießen zu vermeiden.

Das, was in Ägypten geschieht, kam für uns alle überraschend. Wir sollten dies als eine großartige Chance und als Möglichkeit ansehen, dieser Region zu helfen, sich nach Jahren der politischen und wirtschaftlichen Stagnation zu einer echten Demokratie zu entwickeln, die für alle eine Chance bedeutet. Hier denke ich vor allem an Millionen von jungen Menschen, die hungrig nach mehr Freiheit und Entwicklungschancen sind. Die Auswirkungen sollten hier nicht unterschätzt werden. Manche sprechen von einem 1989 für die arabische Welt, aber ob dem so ist oder nicht, wird sich noch zeigen.

Die Europäische Union könnte etwas mehr Bereitschaft zeigen, dem Übergangsprozess einen deutlichen Impuls zu geben, und natürlich hätte ich – wie bereits von anderen Mitgliedern gesagt wurde – hier gern Ihre Stimme gehört. Wir sollten sehr bald klar machen, dass dieser Übergangsprozess unverzüglich beginnen muss und dass Herr Mubarak eindeutig keinerlei Legitimität mehr hat, den Prozess zu steuern oder zu regieren.

Wir müssen daher baldmöglichst einen Zeitplan, eine klare Agenda über die Maßnahmen und Reformen erstellen, als Wegbereiter für die ersten freien und transparenten Wahlen im September dieses Jahres. Dies umfasst beispielsweise Änderungen der Verfassung, des Wahlrechts und der Art der politischen Berichterstattung in den Medien, so dass alle Kandidaten in der Lage sind, den Menschen ihre Kampagnen vorzustellen.

Alle demokratischen Kräfte sollten sich baldmöglichst an den Verhandlungstisch begeben, um diesen Prozess in die richtige Richtung zu lenken, und Europa sollte hierbei eine positive und konstruktive Rolle spielen.

Gleichzeitig müssen wir uns der Komplexität der Situation bewusst sein. Die Armee zum Beispiel wird wegen ihrer vermittelnden und wichtigen Rolle geschätzt. Hierfür hat sie viel Lob und Anerkennung erhalten, allerdings spielt sie auch in der Wirtschaft eine sehr große Rolle. Für die Umsetzung echter demokratischer Reformen brauchen wir auch wirtschaftliche Reformen, und das wird nicht einfach.

 
  
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  Annemie Neyts-Uyttebroeck (ALDE). - (NL) Frau Präsidentin, ich habe die Aussagen der Frau Hohen Vertreterin und meiner Kolleginnen und Kollegen mit großem Interesse verfolgt. Viele von Ihnen sagten, sie seien von den Ereignissen in Tunesien und Ägypten völlig überrascht worden. Erlauben Sie mir die Bemerkung, dass ich über diese Äußerungen erstaunt bin, weil wir wahrlich schon lange wussten, dass es sich hier nicht gerade um demokratische Regimes, sondern um autoritäre bzw. sehr autoritäre Regimes handelt, die ihr Volk unter Kontrolle gehalten haben.

Wir entschlossen uns, diese Situation nicht offensiv anzugehen, weil wir der Ansicht waren, dass dies der beste Weg sei, die Stabilität in der Region und im gesamten Mittelmeerraum zu sichern. Ein weiteres Mal bestätigt sich, dass die Unterstützung autoritärer und korrupter Regimes zugunsten der Stabilität und der Vermeidung von Chaos für gewöhnlich zu Instabilität, Chaos und zum Verlust großartiger Chancen für die Zukunft führt.

Ich hoffe, wir werden vernünftig vorgehen und den demokratischen Prozess auf sinnvolle Weise unterstützen. Vor diesem Hintergrund möchte ich Sie auffordern, sich vor allem um einige politische Parteien zu kümmern, sowohl in Tunesien, als auch in Ägypten. Es handelt sich hier um schwache Parteien. In den letzten Jahren hatten sie kaum die Möglichkeit, sich zu strukturieren. Sie brauchen daher jede Unterstützung, um im Rahmen hoffentlich fairer und baldiger Wahlen ihrer Rolle gerecht werden zu können.

 
  
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  Geoffrey Van Orden (ECR). - Frau Präsidentin, ich möchte vor allem darauf hinweisen, dass Zufluchtsstätten unserer freien Gesellschaften im Westen zu oft von Extremisten missbraucht worden sind, die schließlich in ihre Heimatländer zurückkehren, unseren Werten feindlich gegenüberstehen und eine Revolution hervorbringen. Gestern war der 32. Jahrestag der Rückkehr des damals in Paris befindlichen Ayatollah Khomeini in den Iran. Wir wissen, wozu das geführt hat.

Rachid Ghannouchi, der zur Vernichtung des Staates Israel aufrief, ist nach zwei Jahrzehnten im Londoner Exil nach Tunesien zurückgekehrt. Er hält die Führungsrolle der palästinensischen Autonomiebehörde für illegitim; er unterstützt Hamas. Hamas geht natürlich aus der Muslimbruderschaft hervor, der am besten organisierten politischen Gruppe in Ägypten. Die Macht solcher Organisationen beruht darauf, dass sie auf die alltäglichen Bedürfnisse der Menschen reagieren und dann ihre Macht durch Terror konsolidieren.

Wir müssen verschärfte Maßnahmen ergreifen, um die Inkubation des Extremismus in unseren eigenen Hauptstädten zu verhindern und um der legitimen Zivilgesellschaft in Orten wie Ägypten und Tunesien mit gezielter Unterstützung, auch gut kontrollierter finanzieller Hilfe, unter die Arme zu greifen.

 
  
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  Vito Bonsignore (PPE).(IT) Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, ich stimme dem, was meine Kolleginnen und Kollegen der Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten) bereits gesagt haben, zu. Dennoch möchte ich darauf hinweisen, dass die jüngsten Ereignisse im Mittelmeerraum uns alle überrascht haben, weil sie bis vor wenigen Wochen völlig unvorhersehbar waren.

Der von Baroness Ashton geleitete Auswärtige Dienst wurde anscheinend überrumpelt und zeigt nun meines Erachtens eine schlechte Reaktionsfähigkeit. Im Augenblick frage ich mich, ob es sich lohnt, so viel Geld für einen Dienst auszugeben, der so organisiert ist wie heute. Wieder einmal glänzt die EU im Europa-Mittelmeer-Szenario durch Abwesenheit.

Wir verteidigen das Recht aller Menschen, sich für ihre eigene Regierung und Führungsschicht zu entscheiden, mittels freier, demokratischer Wahlen, und nicht durch Maßnahmen, die ihnen durch Brachialgewalt und Extremismus aufgezwungen wurden. Wie bereits gesagt wurde, ist es Zeit, dass Stabilität und Demokratie Hand in Hand gehen. Deshalb werden wir jetzt alle legitimen Mittel einsetzen, um die Demokratie und den politischen Pluralismus im Sinne der Rechtsstaatlichkeit, der Menschenrechte und der Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger zu fördern.

Die ganze Welt, und allen voran wir Europäer, brauchen einen Mittelmeerraum, in dem Frieden herrscht. Die Europäische Union muss ihre eigene Strategie ändern und sich schnellstmöglich um eine angemessene Unterstützung und Kooperation bemühen, damit in allen Mittelmeerländern die notwendige sozioökonomische Entwicklung ermöglicht wird.

 
  
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  Carmen Romero López (S&D).(ES) Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, die tunesischen Demokraten haben uns in jüngster Zeit eine beispielhafte Lektion in Sachen Reife erteilt. Daher würden wir uns in diesen Momenten der Spannungen, die wir durchleben, und angesichts des Massakers in Ägypten freuen, wenn die Europäische Union geschlossen ihre Stimme erheben würde, damit wir diesem Blutbad wirklich ein Ende bereiten können und der Wind der Freiheit auch in Ägypten tatsächlich einen tief greifenden Wandel zur Demokratie ermöglichen kann.

Im Falle Tunesiens haben wir jedoch noch Zeit. Morgen werden wir hier im Parlament über eine Entschließung abstimmen – es wird eine Delegation in dem Land geben – und auch unsere Unterstützung, unsere demokratische Garantie ist in diesen Momenten wichtig, vor allem in Tunesien, dann in Ägypten und all den Ländern, die nach mehr Freiheit verlangen.

Es gibt immer noch eine Menge zu tun, da die Kosten eines wirtschaftlichen Zusammenbruchs, der durch eine Zerrüttung und Revolution dieser Art verursacht wird, auf ein Minimum reduziert werden müssen. Es gibt zu viele Gegner, die Tunesien in ein Modell verwandeln wollen, das sich gänzlich von dem unterscheidet, das wir uns wünschen. Tunesien hat sich in ein Modell verwandelt, und das, was wir sehen, ist in Wahrheit das Ende einer postkolonialen Ära und der Beginn einer echten Unabhängigkeit.

Deshalb bietet die wirtschaftliche Situation Tunesiens der Europäischen Zentralbank – neben der von Frau Ashton genannten Unterstützung – eine Gelegenheit, Stellung zu beziehen, um nicht ein Ereignis zu verpassen, das für die Zukunft des Mittelmeerraums entscheidend sein könnte. Bei dieser Entscheidung ist eine gewisse Dringlichkeit geboten.

 
  
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  Marietje Schaake (ALDE). - Frau Präsidentin, genau in diesem Augenblick sind die ägyptischen Bürgerinnen und Bürger auf dem Tahrir-Platz eingeschlossen und werden angegriffen, und Berichten zufolge werden sie von der Armee und der Polizei nicht geschützt, sondern attackiert. Bei ihren friedlichen Protesten fordern Ägypter unterschiedlicher Herkunft die Achtung der Menschenrechte und der Demokratie, eine politische Reform und verantwortungsvolles Handeln sowie sozioökonomische Entwicklung.

Diese Forderungen kommen Ihnen vielleicht bekannt vor, da es sich hier genau um die Ziele der EU-Programme im Nahen Osten, insbesondere Ägypten, handelt. Allein die Kommission hat in den letzten 15 Jahren insgesamt fast 3 Mrd. EUR in diese Ziele investiert. Da die Forderungen der Menschen bereits in Einklang mit unseren politischen Zielsetzungen stehen, warum fällt es der EU dann so schwer, unverzüglich eine eindeutige Stellungnahme abzugeben?

Ein starkes, proaktives Europa ist jetzt dringlicher denn je. Jetzt, wo die Sonne der Freiheit und der Demokratie über dem Nahen Osten aufgeht, wird die Einheit Europas sowie die Fähigkeit, Verantwortung zu übernehmen, von der Zwiespalt überschattet. Ich bitte Sie eindringlich, die Ereignisse während unserer Aussprache im Auge zu behalten, und die Menschen einhellig zu unterstützen. Die Rechte und die Glaubwürdigkeit der EU sind miteinander verknüpft.

Weitere Phänomene, die regelmäßig bei Beziehungen zwischen Menschen und Diktaturen zu beobachten sind, sind die Kommunikation und Informationstechnologien. Die tunesische Regierung gehört in Bezug auf Zensur, Überwachung und Filtertechnologie zu den schlimmsten Unterdrückern. Europäische Unternehmen, beispielsweise Vodafone und France Télécom, haben in Ägypten eine starke Präsenz und taten sich keinen Zwang an, die Netze auf Knopfdruck abzuschalten und Ägypten stillzulegen. Ich fordere eine Untersuchung der Rolle von europäischen Unternehmen bei Menschenrechtsverletzungen, indem die Verletzung der Freiheit der Meinungsäußerung, der Pressefreiheit und des freien Zugangs zu Informationen unterstützt bzw. begünstigt wurde und ein Umfeld geschaffen wurde, in dem Menschenrechtsverletzungen undokumentiert geschehen konnten.

 
  
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  Tomasz Piotr Poręba (ECR).(PL) Frau Präsidentin, Frau Ashton, meiner Meinung nach hat die Europäische Union in ihren früheren Beziehungen zu Tunesien und Ägypten einige Fehler gemacht. Wir haben im Falle Tunesiens insofern Fehler gemacht, als dass es uns nach dem Sieg der Präsidentschaftswahlen Ben Alis 2009 nicht gelang, lautstark unsere Stimme zu erheben. Zur Erinnerung möchte ich ergänzen, dass er 90 % der Stimmen erhielt, die Wahlen aber weder frei noch demokratisch verlaufen waren. Gleiches gilt für die Änderung des Strafgesetzbuchs in Tunesien, wodurch den Aktivitäten von Nichtregierungs- und Menschenrechtsorganisationen ein Ende bereitet wurde. Angesichts der Maßnahmen, die Europa heute in der Region Nordafrika ergreifen muss, können wir uns so eine passive und inaktive Politik nicht leisten. Es wird sehr schwer werden, der Region wieder zur Stabilität zu verhelfen, wenn wir nicht eine aktive Rolle spielen und unsere Entschlossenheit demonstrieren, dieses Ziel zu erreichen. Regierungen, die die Menschenrechte, das Recht auf freie Meinungsäußerung und die Pressefreiheit respektieren, werden in Nordafrika nur dann wieder an die Macht zurückkehren, wenn wir bei dem, was in diesen Ländern geschieht, aktiv und entschlossen vorgehen. Vielen Dank.

 
  
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  Cristian Dan Preda (PPE).(FR) Frau Präsidentin, Baroness Ashton, meine Damen und Herren, vor einem Jahr haben wir in diesem Parlament über die Beziehungen der Europäischen Union mit Tunesien gesprochen, und ich sagte damals, dass die sozialen Errungenschaften, auf die die Tunesier so stolz waren, mit politischen Fortschritten einhergehen sollten.

Darüber hinaus haben wir in den letzten Wochen gesehen, dass zumindest insofern ein politischer Fortschritt erzielt wurde, als dass das einsetzende Aufbegehren ganz klar und offensichtlich Verlangen nach Freiheit ausdrückt. Die Situation in Ägypten ist ähnlich, auch wenn es schnell geht. Wir wissen nicht, wie es ausgeht, und die Zukunft dort wird zweifellos so aussehen, dass dieses Verlangen nach Freiheit anderenorts genauso klar zum Ausdruck kommen wird.

Gleichzeitig haben einige von uns, wie wir heute Abend sehen konnten, die Befürchtung, dass dieser Wind der Veränderung nicht unbedingt einen Säkularismus bzw. die Fortführung eines säkularen Staatssystems, Vermittlung oder Stabilität herbeiführt. Ich denke, wir müssen uns bewusst sein, dass es in der Region in den nächsten Wochen und Jahren tatsächlich keine stabilen sowie von Freiheit und Vermittlung inspirierten politischen Regimes geben könnte. Das ist durchaus möglich, und meines Erachtens müssen wir auch auf diese Eventualität vorbereitet sein.

Daher möchte ich Baroness Ashton dazu anhalten, die Strategie der Union eventuell auf den Kurs zurückzubringen, den die Kommission in ihrem Bericht für den Gipfel von Barcelona 2005 eingeschlagen hatte.

 
  
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  Kader Arif (S&D).(FR) Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, bislang hatte ich immer vermutet, dass die Völker ihrer politischen Elite immer voraus sind. Heute bin ich mir dessen ziemlich sicher. Zunächst möchte ich dem Mut und der Entschlossenheit der tunesischen und ägyptischen Bevölkerung Anerkennung zollen. Sie haben uns daran erinnert, dass es sich bei den Werten, für die wir in der Welt stehen – Menschenrechte und Demokratie – nicht um Werte handelt, die ausschließlich dem Westen vorbehalten sind, wie manche behaupten, sondern vielmehr um universelle Werte, die wir alle teilen.

Europa darf in diesem Teil der Welt meines Erachtens keine Fehler mehr machen, indem es so ein Hin und Her an den Tag legt, von falschen Analysen bis zu fehlgeleiteten Projekten. Diese Menschen erwarten eine Antwort von uns, die ihrem Mut und ihren Sehnsüchten gerecht wird. Sie bitten nicht um Almosen, aber natürlich um Solidarität, und noch mehr um Verantwortung. In diesen Zeiten der Ungewissheit wünscht sich niemand Chaos, allerdings sollte auch niemand mehr den Status quo hinnehmen müssen.

Wir müssen die Menschen in ihrer Hoffnung, die aus den Ereignissen in Tunesien und Ägypten erwachsen ist, bestärken, um die Konsolidierung und den Aufbau von Demokratien zu unterstützen, von denen diese Länder und ihre Völker, aber auch wir profitieren, und ich glaube, dass Sie dies deutlich zum Ausdruck gebracht haben, Baroness Ashton.

Zum Abschluss möchte ich die Worte zitieren, die ein Poet einmal gesagt hat: „Die Welt schlummert aus Mangel an Leichtsinn.“ Diese Menschen waren mit ihrer Forderung nach Freiheit zu recht leichtsinnig, vor allem aber hoffe ich, dass sie unser Bewusstsein geweckt haben.

 
  
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  Alexander Graf Lambsdorff (ALDE). - Frau Präsidentin, Frau Ashton! Ich würde Ihnen zurufen: Seien Sie etwas mutiger. Fahren Sie vor dem Außenministerrat nach Kairo. Sprechen Sie dort mit den Regierungsvertretern und mit der Opposition, kommen Sie zurück nach Brüssel und erklären Sie dann Ihren Kollegen, was Sie dort gesehen und gehört haben. Setzen Sie die Agenda und hören Sie sich nicht 27 verschiedene Meinungen an, aus denen es dann sehr schwierig ist, etwas zu machen. Wenn Hugues Mingarelli nach Tunis fährt – was ich sehr gut finde –, erzählen Sie es so, dass wir es mitkriegen und dass die Öffentlichkeit mitkriegt, dass Europa präsent ist. Ich habe zuerst erfahren, dass der Amerikaner da ist, und dann erst gehört, dass Mingarelli auch vor Ort ist. Sie sind die europäische Außenministerin, ich würde Ihnen wirklich raten, machen Sie das – einerseits. Andererseits müssen Sie als europäische Außenministerin auch nicht durch jeden Reifen springen, den man Ihnen hinhält.

Hier ist heute der Vergleich mit 1989 angestellt worden, und ich halte das für richtig. Ich finde, dass der Tahrir-Platz in Kairo 2011 ist, was der Alexanderplatz 1989 in Berlin war. Dort findet eine Revolution statt. Aber erinnern wir uns bitte einmal an die Revolution von 1989. Wir hatten dasselbe Dilemma. Wir wollten Freiheit, Stabilität und Demokratie, und wir verkennen dabei, dass dieser Prozess, der Übergang von einer stabilen Diktatur hin zu einer Demokratie, selten friedlich, selten geordnet und selten stabil abläuft. Insofern haben auch Diplomatie, Organisation und Vorsicht ihren Platz.

Das soll nicht davon ablenken, dass unsere Freude über diese Revolution groß ist. Es ist eine Revolution gegen die Diktatur und für die Freiheit. Ich glaube, dass Europa die Ordnung dieser Länder nicht diktieren kann. Dennoch muss unsere Freude klar sein, aber eines ist auch klar, selbst bei begrenztem Einfluss: Mit Herrn Mubarak ist sicher kein Staat zu machen. Mit der Gewalt heute auf dem Tahrir-Platz ist der letzte Rest an Legitimität für diesen Herrscher in Ägypten weg.

 
  
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  Sajjad Karim (ECR). - Frau Präsidentin, dieser Moment hat lange auf sich warten lassen. Er wird sowohl von der alten Generation getragen als auch von denjenigen, die in ein Ägypten ohne Mubarak gar nicht kennen. Unsere Reaktion bestand in der Aussage, dass Ägypten nicht weiter destabilisiert werden solle; dass das ägyptische Volk aufgrund seiner Willensfreiheit zu entscheiden habe, wer die Regierung führt.

Nun, das ist richtig, aber nicht ausreichend. Und dann höre ich heute von Rednern des Parlaments Warnungen über einen islamischen Tsunami, der darauf wartet, zu kommen und uns alle zu vernichten.

Ich fürchte, dass Sie mit diesen Äußerungen lediglich für ein totalitäres Regime plädieren, das leidlich durch einen Hauch der Demokratie kaschiert wird, und Sie auf diese Menschen, die sowohl in Tunesien, als auch in Ägypten, mit ihrem Blut und ihrem Leben bezahlt haben, keinerlei Wert legen. Sie haben im Kampf um die Freiheit ihrer Landsleute mit ihrem Leben bezahlt und werden Ihrer Freiheit nicht weniger Wert beimessen. Die Menschen auf den Straßen sind trotz ihrer sehr großen Zahl eine lautstarke Minderheit, die in Wahrheit eine noch größere schweigende Mehrheit repräsentieren.

Frau Hohe Vertreterin, dies ist nicht die Zeit für einen kleinen Schubs. Zeigen Sie, wo es lang geht, senden Sie ein klares Signal aus: Mubarak muss jetzt gehen.

 
  
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  Simon Busuttil (PPE). - (MT) Frau Präsidentin, Europa hätte zweifellos deutlich mehr tun können, um der arabischen Welt und ihren Ländern auf ihrem Weg zur Demokratie zu unterstützen. Wenn jedoch ein positives Ergebnis der dramatischen Ereignisse zu nennen ist, die wir erlebt haben, dann ist es natürlich die Tatsache, dass die Araber ihr Schicksal in die eigene Hand genommen haben, um ihre Situation zu verbessern.

Die Geschichte liefert letztlich viele Beispiele von Interventionen westlicher Länder, die mehr geschadet als genützt haben. Wir müssen uns daher von der Idee verabschieden, jedes Mal zur Rettung eilen zu müssen, wenn etwas ins Lot gebracht werden muss, und anderen diktieren und predigen zu müssen, wie sie ihre Angelegenheiten in den Griff bekommen. Angesichts der Ereignisse, die sich zugetragen haben, sollten wir uns heute selbst fragen, was ab jetzt getan werden kann.

Meiner Meinung nach gibt es zwei Dinge, die getan werden müssen. Zuallererst müssen wir mit aller denkbaren Tatkraft und mit all der Unterstützung, die wir bieten können, intervenieren, um das demokratische Umfeld in diesen Ländern und vor allem demokratische Institutionen zu stärken. Auf diese Weise können sie aufblühen, und gleichzeitig neue Extremisten und Diktatoren des Weges verweisen.

Danach müssen wir uns fragen, wo wir den falschen Weg eingeschlagen haben. Wir müssen uns fragen, ob unsere Europa-Mittelmeerpolitik nur aus Worten, und nicht aus Taten bestand. Wo war die Union für den Mittelmeerraum bei alledem? Wird Europa jemals aufhören, nur zu reagieren, und stattdessen Maßnahmen ergreifen?

 
  
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  Rosario Crocetta (S&D).(IT) Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, es wird Zeit, dass Europa sich dafür einsetzt, das tunesische Volk und seine Übergangsregierung gezielt zu unterstützen und erneut einen Europa-Mittelmeer-Dialog aufzunehmen, der in den letzten Jahren stark vernachlässigt wurde.

Der Ausbruch der Wut, die bei den jungen und alten Menschen im Maghreb und in Ägypten herrschte, wurde durch die ungerechte Verteilung des Wohlstands und durch die Einschränkung der Grundfreiheiten ausgelöst. Nordafrika ist in Aufruhr und verlangt mehr Demokratie, eine bessere Wirtschaft, mehr Beteiligung und mehr Beschäftigung, während es ungläubig auf den alten Kontinent Europa schaut, der unbeweglich und nicht in der Lage ist, die soziale Transformation, die in der Region herbeigeführt wurde, aufzugreifen, oder echte Politiken für den Fortschritt und den Frieden zu entwickeln.

Europa muss den Menschenrechten und der Demokratie mehr Aufmerksamkeit widmen und den Dialog, die Zusammenarbeit sowie eine echte Wirtschaftshilfe fördern. Europa muss Nordafrika mit offenen Türen und offenem Herzen empfangen, damit das Mittelmeer ein Meer des Friedens werden kann. Migranten dürfen nicht mehr durch eine gewaltbejahende Zusammenarbeit mit Ländern wie Libyen zurückgewiesen werden. Was wir brauchen, sind mehr Investitionen, mehr Offenheit, mehr Unterstützung und mehr Europa-Mittelmeer-Politik. Das fordert die Geschichte von uns.

 
  
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  Zbigniew Ziobro (ECR).(PL) Frau Präsidentin, wir können die innenpolitische Situation in Tunesien nicht mit der in Ägypten vergleichen. Die zugrunde liegende Ursache dieser Massenproteste ist in beiden Ländern gleich, allerdings wirken sie sich auf die internationale Situation völlig unterschiedlich aus.

Aus den grundlegenden Veränderungen in Tunesien, die dadurch verursacht wurden, dass Ben Ali nach öffentlichen Protesten das Land verließ, erwächst eventuell die Chance auf eine bessere Zukunft dieses Landes. Die Situation Ägyptens hingegen sollte mit einer gewissen Vorsicht eingeschätzt werden. Hosni Mubarak war trotz seines Feudalregimes ein Garant für Stabilität in Ägypten. Wenn er jetzt gestürzt wird, deutet es angesichts dessen, dass mangels geeigneter Voraussetzungen bislang keine demokratische Opposition entstanden ist – und dies ist ein Punkt, auf den ich gerne eingehen würde – darauf hin, dass Ägypten extremen politischen Gruppierungen in die Arme fallen könnte, die der Muslimbruderschaft angehören. Die internationalen Auswirkungen einer solchen Wendung sollten bedacht werden. Ein mögliches Bündnis mit der Hamas, eine kompromisslose Politik gegenüber Israel, die vermehrte Verfolgung von Christen und eine Verschärfung der Lage in der Region – sind diese Eventualitäten besser als die Stabilität unter Mubarak? Unter Berücksichtigung seiner grundlegenden Mängel sowie der Legitimität der Proteste gegen das, was sich unter seinem Regime ereignet hat, sollten wir überlegen, wie man diese Situation am besten lösen kann und wie die Europäische Union vorgehen sollte.

 
  
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  Francisco José Millán Mon (PPE).(ES) Frau Präsidentin, die Ereignisse in Tunesien und Ägypten sind von großer Tragweite, und es ist möglich, dass sich diese Wandlungsprozesse auf weitere Länder im Mittelmeerraum erstrecken, der für die Europäische Union eine Region von größter Bedeutung ist. Diese Länder liegen direkt vor unserer Haustür, und mit ihnen verbinden uns zahlreiche enge Freundschaften.

In den letzten zehn Jahren war die Europäische Union nicht in der Lage, ihre Behörden zu überzeugen, die notwendigen Reformen einzuleiten. In der letzten Wahlperiode habe ich darauf hingewiesen, dass die Stabilität nicht länger als Rechtfertigung einer mangelnden Veränderung herangezogen werden dürfte und diese Länder vielmehr tief greifende politische, wirtschaftliche und soziale Reformen erfordern. Jetzt sind es die Menschen auf den Straßen, die Veränderungen und Reformen fordern.

Meine Damen und Herren, ich begrüße es, dass der Rat diesen Ereignissen am Montag schließlich Aufmerksamkeit zuteil werden ließ und einen Standpunkt eingenommen hat. Auch ich habe den Eindruck, dass der Übergangsprozess in Tunesien in die richtige Richtung geht. Ansonsten habe ich jedoch leider den Eindruck, dass die Europäische Union bei diesen Prozessen in den letzten Wochen nahezu abwesend war. Wir haben zahlreiche Reden von Präsident Obama gehört, wir haben Erklärungen der Außenministerin Clinton gehört, und wir haben sogar von Kontakten zwischen der tunesischen Armee und den Vertretern der US-Armee gehört…

Die Sichtbarkeit der Union ist in keinerlei Weise vergleichbar. Die neuen Mechanismen des Vertrags von Lissabon hätten aktiver und sichtbarer sein müssen, einschließlich des Präsidenten des Europäischen Rates.

Baroness Ashton, ich begrüße Ihre Reise nach Tunesien, die Sie in zwei Wochen antreten werden, glaube aber auch, dass wir unsere Fähigkeiten, was Prognosen und Reaktionen anbelangt, verbessern müssen. Wollen wir ein Global Player sein? Fangen wir damit an, wenigstens auf regionaler Ebene eine Rolle zu spielen.

 
  
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  Vasilica Viorica Dăncilă (S&D).(RO) Frau Präsidentin, die Europäische Union wacht sehr genau über die Lage in Tunesien und unterstützt die Bemühungen des tunesischen Volkes um einen friedlichen Übergang zur Demokratie. Die Maßnahmen, die die Übergangsregierung in Tunesien ursprünglich ergriffen hat, gehen in die richtige Richtung. Wir fordern die neuen Behörden auf, die Verpflichtungen, die sie hinsichtlich der Staatsführung, Achtung der Rechtsstaatlichkeit und der Grundfreiheiten, sowie der wirtschaftlichen und sozialen Reformen eingegangenen ist, vollumfänglich zu erfüllen. Ich denke, dass all diese Reformen eine der besten Voraussetzungen darstellen, in die Zukunft Tunesiens zu investieren und dem Land zu einer stabilen Demokratie zu verhelfen.

Europa strebt im Rahmen von EUROMED eine stabile Partnerschaft mit Tunesien an und muss all seine Instrumente mobilisieren, um den Übergangsprozess zu ermöglichen, starke demokratische Institutionen aufzubauen und die Entstehung einer aktiven Zivilgesellschaft zu fördern, die in die Umsetzung der Reformen einbezogen wird. Ein stabiles, wohlhabendes und demokratisches Tunesien, mit dem wir eine wertvolle beiderseitige Zusammenarbeit aufbauen können, die auf gemeinsamen Interessen und Werten basiert, ist für uns von besonderem Interesse.

 
  
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  Michael Gahler (PPE). - Frau Präsidentin! Lady Ashton! Liebe Kollegen! Was jetzt zu tun ist, ist bereits vielfach gesagt worden, dazu herrscht auch breiter Konsens. Unsere Entschließung ist klar bezüglich Tunesien, zu Ägypten müssen wir über mündliche Änderungsanträge das Notwendige ergänzen. Ich denke, es gibt Grund zur Selbstkritik. Unsere Exekutiven in Brüssel und in den Mitgliedstaaten hielten zu lange am Status quo fest. Wenn wir unsere eigenen Grundsätze auch in der Tagespolitik ernst genommen hätten in Bezug auf den universellen Charakter von Menschenrechten und Demokratie, dann hätten wir die offensichtlichen Defizite deutlich gegenüber Tunesien und Ägypten ansprechen müssen. Wir wussten, dass die Maßnahmen gegen Islamisten und Fundamentalisten nicht nur gegen diese Personengruppe, sondern gegen jegliche Kritik an der jeweiligen Regierungspolitik ergriffen wurden. Noch ist es nicht zu spät. Das Einfordern von Demokratie und Menschenrechten ist weder Einmischung in innere Angelegenheiten, noch kann es als ein Beitrag zur Destabilisierung der Verhältnisse denunziert werden. Keine Diktatur, kein autoritäres Regime ist aus sich heraus stabil. Mit unserer bisherigen Politik haben wir also nur Zeit, aber keine Stabilität gewonnen.

Tunesien und Ägypten stehen beispielhaft für Andere. Jeder kennt weitere in der Region. Manche fürchten sich, sie beim Namen zu nennen. Für mich ist zum Beispiel Saudi-Arabien so ein Kandidat. In dieser Situation bedarf es politischer Führung durch die Hohe Beauftragte. Die 27 haben jedoch keine unterschiedlichen Interessen. Wenn Sie die richtigen Einsichten haben, warten Sie nicht, bis der letzte diplomatische Bedenkenträger seinen Außenminister neu gebrieft hat. Was Senator John Kerry vorgestern und Barack Obama heute Nacht zu Ägypten gesagt haben, hätte auch von Ihnen kommen dürfen. Emanzipieren Sie sich im Interesse der Union, damit die EU in ihrer eigenen Nachbarschaft Politik für die Zukunft formuliert und nicht andere. Vielleicht können Sie ja schon nächste Woche nach Tunesien und Ägypten fahren, dann können Sie uns übernächste Woche in Straßburg berichten.

 
  
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  Richard Howitt (S&D). - Frau Präsidentin, wie jeder andere Beteiligte dieser Debatte bin auch ich in großer Sorge um die friedlichen Demonstranten in Ägypten, vor allem angesichts der heutigen Gewalt.

Ich möchte meine Sorge über die fortgesetzte Schließung von Al Jazeera, der Europa bislang stillschweigend gegenüberstand, über die Verhaftung von sechs Al-Jazeera-Journalisten und die von unserer Seite erforderliche Auseinandersetzung mit den IT-Gesellschaften, Internet- und Mobilfunkanbietern, einschließlich Vodafone meines eigenen Landes, hinsichtlich der Entscheidungen, die sie jüngst in Ägypten getroffen haben, zum Ausdruck bringen.

Ich wünschte auch, die Staats- und Regierungschefs der EU hätten das, was sie heute sagen, schon früher gesagt. Präsident Sarkozy sagte im Dezember 2007: „Ich möchte Präsident Mubarak sagen, wie sehr ich seine Erfahrung, Weisheit und maßvolle Vision schätze. … Präsident Mubarak ist für uns ein Freund.“ Heute fordert er einen Übergang.

Oder nehmen wir den Außenminister des Vereinigten Königreichs, Alistair Burt, der sagte, er wünsche sich die Stabilität in Ägypten mehr als alles andere. William Hague, der sich zu der Frage, wann er gerne Wahlen sähe, nicht äußern wollte, fordert nun einen Übergang.

Letztendlich teile ich die Meinung von unserer Hohen Vertreterin, Baroness Ashton. Europa leistet bei der Interimjustiz, bei der Vorbereitung von Wahlen und dem Aufbau von Demokratie sowie bei der Entwicklung von Zivilgesellschaften gute Arbeit. Ungeachtet der Fehler und Lasten der Vergangenheit sollten sie und wir dies als Krise in der Region, aber als Möglichkeit für Europa erachten, unsere Ressourcen dafür bereitzustellen, die Achtung der Demokratie und der Menschenrechte gedeihen zu lassen. Hier handelt es sich nicht um Werte, die wir ihnen aus Europa auferlegen. Sie werden auf den Straßen von Tunis und Kairo gefordert, und es ist unsere Pflicht, hinzuhören.

 
  
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  Bogusław Sonik (PPE).(PL) Jede Revolution birgt die Gefahr, dass die Forderungen der Menschen nach Demokratie und Brot von Feinden einer Rechtsstaatlichkeit, die auf rechtmäßiger und echter demokratischer Grundlage beruht, zu Eigen gemacht werden. Wir haben keine Garantie, dass die Aufruhr in Tunesien, Ägypten und in anderen Ländern dieser Region nicht als Vorwand für die Machtergreifung durch islamische Extremisten genutzt wird, wie es im Iran der Fall war. Der Moment der Wahrheit steht auch den europäischen Institutionen bevor. Die Europäische Union hat letztlich alle Möglichkeiten, die Rolle zu spielen, für die sie geschaffen worden ist. Sie sollte die politischen Kräfte, die den Pluralismus befürworten, effektiv unterstützen. Sie sollte auch die Nachbarschaftspolitik überdenken, da sehr offensichtlich ist, dass die Art, wie sie bislang durchgeführt wurde, zur Erhaltung von Regierungen korrupter Machthaber ausgenutzt wurde. Das Geld, das für die Entwicklung von benachbarten Gebieten sowie von Freiheit, Demokratie und Wohlstand vorgesehen ist, sollte durch eine enge Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorganisationen sowie den akademischen und kulturellen Gemeinschaften vor allem den Bürgerinnen und Bürgern dieser Länder zugute kommen. Vorrangig sollten auch Projekte, die sich an junge Menschen richten, sowie Frauenorganisationen unterstützt werden.

Frau Ashton, die Politik, die die Europäische Union bis dato in diesem Teil der Welt verfolgt hat, ist in einem Fiasko geendet. Wir sollten das Risiko auf uns nehmen, ein Ägypten ohne Mubarak zu unterstützen, auf dem Weg zu einer pluralistischen, säkularen Republik Ägypten, die ihre Minderheiten respektiert. Es ist bereits Zeit zu gehen für Mubarak; seine Zeit ist abgelaufen. Er hat seine Zeit vergeudet.

 
  
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  Nicole Sinclaire (NI). - (stellt Herrn Howitt eine „Blue-Card“-Frage gemäß Artikel 149 Absatz 8 der Geschäftsordnung) Sie haben einige Bemerkungen von Präsident Sarkozy und Herrn Burt aufgegriffen. Ich weiß nicht, ob Sie zu dem Zeitpunkt, als ein Kollege auf die Äußerungen einging, die Herr Blair über Herrn Mubarak abgegeben hatte, schon im Plenarsaal waren. Stimmen Sie Herrn Blair zu oder nicht?

 
  
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  Richard Howitt (S&D). - Frau Präsidentin, ich wiederhole, was ich in meiner Rede gesagt habe, nämlich, dass es viele Lasten aus der Vergangenheit gibt, über die wir alle nachdenken sollten, und die uns eine Lehre sein sollten.

Aber das sollte uns, als Europäische Union, nicht davon abhalten, auf Ägypten und die arabische Welt zuzugehen, um die Demokratie und die Menschenrechte zu fördern, und ich erwarte hier von meiner Kollegin, dass sie trotz ihrer unterschiedlichen Ansichten über Europa meiner Meinung ist.

 
  
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  Dominique Vlasto (PPE).(FR) Frau Präsidentin, es wurde bereits vieles gesagt, aber ich möchte mich all den Worten der Sympathie und der Unterstützung, die an die Menschen in Tunesien und Ägypten gerichtet wurden, anschließen. Sie sind für all jene, die sich für Freiheit einsetzen, ein Symbol der Hoffnung. Meine Gedanken sind auch bei den Opfern.

Jetzt möchte ich darauf zu sprechen kommen, dass die Europäische Union, die, wie es auch andere hier erwähnten, einen bemerkenswerten Mangel an Reaktion gezeigt hat, die Menschen in Tunesien und Ägypten wirklich unterstützen muss, damit sie ihre Länder für Reformen öffnen und eine Demokratie aufbauen können.

Die Europäische Union hat sich entschlossen, die tunesische Führungsspitze dabei zu unterstützen, einen friedlichen Übergang einzuleiten, die bevorstehenden Wahlen zu organisieren, um die Freiheit zu gewinnen, und den Menschen in Tunesien dabei zu helfen, den Wohlstand zu erlangen, den die Entwicklung, der soziale Frieden und eine Wirtschaft, die den jungen Menschen Beschäftigung bietet, mit sich bringen.

Abschließend möchte ich sagen, dass sich die Union für den Mittelmeerraum einer wichtigen Herausforderung stellen muss, da die Jasminrevolution in allen Staaten Nordafrikas sowie im gesamten Raum des Nahen und Mittleren Ostens ein Welle ausgelöst hat. Sie muss im Hinblick auf diese Länder eine tragfähige Strategie festlegen. Dennoch eine Warnung: Angesichts dieser legitimen demokratischen Bewegung muss Europa einen Mittelweg zwischen der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten, der Unterstützung der legitimen Ansprüche der Menschen und der Stabilität finden.

 
  
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  Alf Svensson (PPE).(SV) Frau Präsidentin, im Europäischen Parlament haben wir oft über die Achtung der Demokratie, der Menschenrechte und der Freiheiten gesprochen, aber die Wahrheit ist – und dies können wir heute Abend sicher bestätigen –, dass wir die Priorität oft auf etwas anderes gelegt haben, nämlich politische Stabilität und gute Geschäftsbeziehungen. Jetzt ist uns praktisch aus dem Nichts die Einsicht gekommen, dass auch die Menschen in der arabischen Welt Freiheit anstreben und ersehnen. Wir reden nun viel über die Risiken, die mit dem Übergang verbunden sind. Es ist klar, dass es sie gibt. Es gibt wahrscheinlich niemanden hier, der aufstehen und die Muslimbruderschaft hochleben lassen würde. Wir wissen jedoch, dass es langfristig Freiheit und die Wahrung der Menschenrechte und Freiheiten sind, die jedes Individuum anstrebt und auf die es ein Recht hat.

Wir müssen jetzt sichergehen, dass die EU nicht länger nur ein Beobachter ist, der die Dinge geschehen lässt. Wir müssen stattdessen die Initiative ergreifen und, wie Baroness Ashton hier gerade betont hat, versuchen, in den Aufbau von Demokratien einbezogen zu sein. Es ist beeindruckend, dass die jungen Menschen diese Aufstände initiiert haben, teilweise eventuell durch die Kommunikationsmittel, die jetzt zur Verfügung stehen. Daher denke ich nicht, dass wir diese Bewegungen zum jetzigen Zeitpunkt aus ideologischer oder religiöser Sicht zu hoch bewerten sollten. Dennoch, wofür sie auch immer stehen mögen – langfristig müssen wir uns in diesem Plenarsaal und im gesamten Europäischen Parlament vorrangig mit der Freiheit und der Achtung der Menschenrechte und der Freiheiten befassen.

 
  
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  Anna Záborská (PPE). – (SK) Frau Präsidentin, in mehr als zwei Jahren der Überwachung wurden wir bei den hier diskutierten Ländern Zeuge der allmählichen Aushöhlung der Demokratie, der Freiheit der Meinungsäußerung, der Versammlungsfreiheit und der Religionsfreiheit. Die Wahlergebnisse in diesen Ländern sind ein klarer Beweis dafür.

Totalitäre Regimes entstehen nicht über Nacht. Trotz der klaren Signale hat die Europäische Union es versäumt, für die Einhaltung der Menschenrechte eindeutig Stellung zu beziehen. Leider sind wir einer der letzten, die einen gemeinsamen Standpunkt einnehmen.

Warum haben wir während des französischen Ratsvorsitzes die Union für den Mittelmeerraum eingerichtet? Fehlte es uns an diplomatischen Mitteln, um über die Stabilität in diesem Teil der Welt zu verhandeln?

Die Länder der Europäischen Union haben diese Regierungen jahrzehntelang unterstützt, vor allem mit finanziellen Mitteln. Dieselben Länder fangen nun an, darüber nachzudenken, wie sie Bankkonten einfrieren und die Gegner dieser Regierungen unterstützen können. Ist das nicht dieselbe Art von Scheinheiligkeit? Die Situation im Mittelmeerraum ist eine Lektion für uns in Sachen mangelnde Einhaltung der Menschenrechte. Die Religionsfreiheit wird zum Beispiel nicht geachtet und könnte zu einer Waffe für Radikale und Terroristen werden, womit ein totalitäres Regime eingeleitet würde.

Ich sage das, weil es viele andere Länder gibt, die die gleichen Eigenschaften aufweisen.

 
  
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  Ernst Strasser (PPE). - Frau Präsidentin, Hohe Beauftragte! Die Debatte hier in diesem Haus – Sie haben sie interessiert verfolgt – hat vor allem einen gemeinsamen Nenner, und das ist die Aufforderung an Sie, Hohe Beauftragte: Erheben Sie Ihre Stimme! Schreiten Sie voran, seien Sie ein wenig mutiger, seien Sie auch ein wenig lauter! Ergreifen Sie Partei für jene, die in einer modernen Zivilgesellschaft für Demokratie, für Meinungs- und Pressefreiheit eingetreten sind! Tunesien, Ägypten und vielleicht noch einige andere Länder stehen vor einem schwierigen Wandel. Da braucht es unsere Unterstützung, und da ist es gerade falsch, dass Ihr erster Vertreter in diesem Land sagt, dass keine Änderung der Strategie erforderlich ist. Im Gegenteil, wir brauchen die Mittelmeerstrategie, vielleicht die Nahost-Strategie, vielleicht das Überdenken des Zusammenlebens über das Mittelmeer hinaus und natürlich an erster Stelle und sehr rasch die Ausrichtung, die Vorbereitung und die Unterstützung von Wahlen.

Es dürfte dem ersten Vertreter der EU in diesem Land entgangen sein, dass in Tunesien inzwischen die Übergangsregierung vier internationale Abkommen zur Wahrung der Menschenrechte anstrebt, dass die Freilassung aller politischen Gefangenen, die Rückkehr Oppositioneller und die Vorbereitung und Durchführung demokratischer Wahlen gegeben ist. Diesen Prozess müssen wir unterstützen, und das Parlament wünscht sich hier eine lautere Stimme von Ihnen.

 
  
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  Marco Scurria (PPE).(IT) Frau Präsidentin, Baroness Ashton, meine Damen und Herren, die Krise sollte uns den Impuls geben, herauszufinden, ob die Europäische Union wirklich eine außenpolitische Rolle will.

Außenpolitik ist eine ernsthafte Angelegenheit: Sie braucht Strategien, konkrete Ziele und klare Bündnisse. Wir können nicht weiter um die Welt reisen, jedem auf den Rücken klopfen und so tun, als sei immer alles gut gelaufen. Vor ein paar Wochen fanden in Ägypten Wahlen statt, und wir haben uns nicht darüber empört, weil wir bemerkt haben, dass dort eine Diktatur geherrscht hat, die uns alle zum Narren gehalten hat. Jetzt, wo Millionen von Menschen auf die Straßen gegangen sind, sprechen wir alle über Demokratie und Menschenrechte. Das ist es, was wir wollen, und wir setzen uns dafür ein, dass dies auch geschieht, aber wir sollten vorsichtig damit sein, der Masse zu folgen. Ich erinnere daran, wie sich die Menschen im Iran aufgebäumt haben, um den Schah loszuwerden, und wir wissen, wie das endete, nämlich in einem Regime, dass sogar heute noch dutzende Menschen aufhängt.

Ich hoffe zum Beispiel, dass die ägyptische Regierung in der Lage sein wird, sich Extremisten vom Leibe zu halten und eine stabilisierende Rolle in der israelisch-palästinensischen Krise zu spielen. Baroness Ashton, in diesem Teil der Welt wird sicher mehr Demokratie gebraucht, aber auch mehr europäische Politik.

 
  
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  Miroslav Mikolášik (PPE). – (SK) Frau Präsidentin, in Tunesien und Ägypten erleben wir enorme Spannungen und Konflikte zwischen der Regierung und der Zivilgesellschaft, die unweigerlich durch ernste, langfristige Probleme in der Wirtschaft und Gesellschaft, die von den staatlichen Behörden ignoriert worden waren, hervorgerufen wurden.

Die physische Gewalt bei diesen Auseinandersetzungen ist allenfalls bedauerlich und bestätigt lediglich die dringend notwendige externe Unterstützung eines friedlichen Übergangs zur Demokratie. Die Europäische Union sollte daher bereit sein, all ihre Ressourcen auf die Förderung des Rechtsstaats und der Menschenrechte in diesen Ländern, auch die religiösen Rechte, auszurichten. Wir wollen nicht, dass intolerante und militante Islamisten an die Macht kommen.

Im Rahmen der Aufrechterhaltung gutnachbarschaftlicher Beziehungen und der regionalen Sicherheit ist es wichtig, sich auf Aktivitäten zur Stärkung der Zivilgesellschaft, zum Aufbau einer gesunden Opposition und zur Sicherstellung demokratischer Wahlen zu konzentrieren, um zu verhindern, dass extremistische, radikale Gruppen die Macht an sich reißen.

 
  
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  Ioan Mircea Paşcu (S&D). - Frau Präsidentin, allein die Tatsache, dass wir über Tunesien – unser ursprüngliches Thema – diskutieren, zu einer Zeit, in der Ägypten den Siedepunkt erreicht hat, zeigt, wie sehr wir der Realität hinterherhinken, auch wenn der Titel unserer Aussprache problemlos ausgetauscht werden kann.

Unsere öffentlichen Reaktionen waren zaghaft: Während um uns herum Revolutionen tobten, wurden Bedenken und fromme Appelle zur Zurückhaltung und zum Dialog geäußert, was von mangelndem praktischen Verständnis zeugt. Auch die Erwartungen, dass die Revolutionen Gesellschaften hervorbringen, die auf unseren Werten beruhen, blenden die kulturellen und religiösen Unterschiede aus, die diese Gesellschaften von unseren trennen.

Wie sollen wir dann reagieren? Zunächst sollten wir realisieren, dass dies eine Herausforderung ist, die eine gemeinsame Antwort zur Koordinierung von Maßnahmen erfordert, und kein Wettstreit darüber, wer zuerst die größte Anteilnahme zeigt. Baroness Ashton, Ihre Worte werden den Zuhörern nur dann die notwendige Autorität vermitteln, wenn sie von der uneingeschränkten öffentlichen Unterstützung des gesamten Rates getragen werden.

Anschließend sollten wir dazu übergehen, uns mit dem Endresultat dieser revolutionären Bewegungen zu beschäftigen. Welche Regimes werden daraus hervorgehen? Und am Ende sollten wir ihr Recht, selbständig zu entscheiden, respektieren.

 
  
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  Ivo Vajgl (ALDE). - (SL) Frau Präsidentin, wenn die Revolution, die sich derzeit in den Straßen Kairos ereignet, zum Ende kommt, wird das ägyptische Volk über ihr Regierungssystem und ihre Führungsspitze entscheiden. Es besteht die Möglichkeit, dass es solche geben wird, die Präsident Mubarak für die positive Rolle, die er bei der Erhaltung einer gewissen Stabilität im Nahen Osten gespielt hat, Anerkennung zollen werden. Das ist jedoch nicht der Punkt, den ich im Augenblick ansprechen möchte.

Die Entwicklungen in Tunesien und Ägypten bringen die marginale Rolle zum Vorschein, die die Europäische Union im Mittelmeerraum und in den gesamten Regionen, die unsere Nachbarschaftspolitik umfasst, gespielt hat. Die Europäische Nachbarschaftspolitik bedarf einer Reform, wir brauchen eine dynamische Strategie, mit der wir auf aktuelle Fragestellungen im Zusammenhang mit Belarus, Ossetien, Abchasien, Nagorny-Karabach, Transnistrien, Zypern, Palästina und der Westsahara reagieren können. Wir brauchen eine Strategie für die Länder der ehemaligen Sowjetunion in Zentralasien und Transkaukasien. Auch sie werden von dem Wind der Demokratie erfasst werden; man muss kein Prophet sein, um dies kommen zu sehen. Hier wartet viel Arbeit auf Sie, Baroness Ashton. Seien Sie ehrgeizig, und wir werden Sie unterstützen.

 
  
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  Malika Benarab-Attou (Verts/ALE).(FR) Frau Präsidentin, Baroness Ashton, nachdem wir irrtümlicherweise diktatorische Regimes entlang der Südküste des Mittelmeerraums unterstützt haben, vermutlich als Bollwerk gegen islamischen Fundamentalismus, müssen wir uns jetzt der Herausforderung dieser historischen Ereignisse stellen.

Europa muss seine derzeitige Politik zu autoritären Regimes und Diktaturen überdenken. Präsident Mubarak muss jetzt zurücktreten. Wir sind gefordert, die Demokratien und demokratischen Prozesse zu unterstützen, für die sich die Menschen dieser Länder entscheiden, und nicht einfach unsere eigene Vision aufzuoktroyieren. Lassen Sie uns auf ihre Stimme hören, Demut an den Tag legen, und nicht Säkularismus und Sicherheit durcheinander bringen. In diesen Ländern vollzieht sich bereits ein Wandel. Unsere finanziellen Instrumente müssen angepasst werden, um die Verfechter der Demokratie zuverlässig zu unterstützen …

(Der Präsident unterbricht die Rednerin)

 
  
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  Marisa Matias (GUE/NGL).(PT) Frau Präsidentin, meiner Meinung nach haben diese beiden und auch weitere Länder dieser Region in den letzten Jahren mehrfach gezeigt, dass die Führungsspitze Europas es fertig gebracht hat, sich mehr auf die geschäftliche als auf die demokratische Seite, und mehr auf die Seite der Diktatoren als auf die der Armen zu schlagen.

Ich bin ehrlich gesagt besorgt über die derzeitige Situation in Ägypten sowie über die heutigen Entwicklungen, daher glaube ich, dass nicht Besonnenheit, sondern vielmehr Solidarität gefragt ist. Wir müssen Solidarität mit den Millionen von Ägyptern in Kairo und im gesamten Land zeigen, die den Hunger, die Unterdrückung und die Arbeitslosigkeit satt haben. Aus diesem Grund müssen wir darauf hinweisen, dass wir nach der heutigen Rede Mubaraks, nachdem das Regime seine Jagd eröffnet und den Weg für die Gewalt freigemacht hat, Seite an Seite mit diesen Menschen stehen müssen. Wir dürfen nicht zulassen, dass eine Strategie der Angst geschaffen wird, damit sie umkehren.

Hätten wir diese Empfehlungen vor 36 Jahren in Portugal gehört, wären wir umgekehrt. Gut, dass wir nicht umgekehrt sind, denn so hatten wir eine demokratische Revolution.

 
  
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  Jaroslav Paška (EFD). – (SK) Frau Hohe Vertreterin, der Europäische Auswärtige Dienst verfügt über eine große Anzahl an Mitarbeitern, Spezialisten und Analysten. Unsere Experten sollten daher in der Lage sein, die gesellschaftlichen Umbrüche sowohl in Tunesien als auch in Ägypten kompetent einzuschätzen und Ihnen geeignete Maßnahmen zu empfehlen, mit denen Europa den Einwohnern dieser Länder helfen kann, Probleme mit unerwünschten politischen Führungskräften zu überwinden. Die Vogel-Strauß-Politik, die wir bislang bei den gesellschaftlichen Unruhen in afrikanischen Ländern gezeigt haben, wecken jedoch Zweifel darüber, ob unser Auswärtiger Dienst in der Lage ist zu handeln.

Frau Hohe Vertreterin der Europäischen Union, wenn nicht umgehend kompetent auf die aktuellen Ereignisse in Tunesien und Ägypten reagiert wird, werden sich unsere Steuerzahler zu Recht fragen, warum für sie diese Vielzahl diversester Bürokraten im Auswärtigen Dienst der EU zahlen müssen, wenn sie außerstande sind, Ihnen eine unverzügliche und kompetente Antwort auf die brisanten Ereignisse in Europa zu liefern.

 
  
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  Andreas Mölzer (NI). - Frau Präsidentin! Lady Ashton! Optimisten meinen, dass die revolutionären Ereignisse in Tunesien und in Ägypten der Anfang von so etwas wie einem arabischen Völkerfrühling sein könnten, Ereignisse, wie wir sie etwa in Osteuropa 1989 erlebt haben. Es ist ja so, dass wir als Europäer stets auf der Seite der Freiheit und der Demokratie stehen sollten, und wir würden uns freuen, wenn es so wäre. Allerdings können wir nicht vergessen, dass auch wir Europäer, der Westen insgesamt, zum Teil mit den miesesten und brutalsten Diktaturen in dieser arabischen Welt paktiert haben. Wir sollten uns keine Illusionen machen. Facebook, Internet und Twitter sind zwar moderne Mittel, um eine Revolution voranzutreiben, sie ersetzen aber nicht rechtsstaatliche und demokratische Strukturen, die hinter den Kulissen existieren müssen, um eine Revolution in ein demokratisches System überführen zu können. Was wir Europäer machen können und sollten, ist, klar Stellung zu beziehen und beim Aufbau solcher demokratischer Strukturen zu helfen, um schließlich Rechtsstaat und auch freie Marktwirtschaft, die notwendig sind für eine Demokratie, in diesen Bereichen durchsetzen zu können.

 
  
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  Catherine Ashton, Vizepräsidentin der Kommission/Hohe Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik. Frau Präsidentin, lassen Sie mich zu Beginn ganz deutlich sagen: Die Aussage, dass Europa auf irgend eine Art langsam oder spät war, akzeptiere ich grundsätzlich nicht. Wir waren die ersten, die sich sowohl zu Tunesien, als auch zu Ägypten geäußert haben. Am 10. Januar haben wir unsere Gespräche über Tunesien aufgenommen, und letzte Woche habe ich zu Ägypten Erklärungen abgegeben. Wir waren allen anderen voraus. Dies ist kein Wettstreit und auch kein Rennen, aber ich akzeptiere diese Kritik nicht.

Ich akzeptiere auch nicht, dass wir zögerlich gehandelt haben. Wir standen in stündlichem Kontakt mit Tunesien und Ägypten, mit unseren Delegationen, denen für das, was sie in den letzten Wochen leisten mussten, meine Anerkennung gebührt, und auch in direktem Kontakt mit der Regierung und den Diensten. Ihnen dürften auch die anderen Fragestellungen bekannt sein, mit denen wir uns gleichzeitig auseinandergesetzt haben, daher akzeptiere ich nicht, dass wir zu ruhig waren. Ich akzeptiere nicht, dass wir nicht genug getan haben.

Ich akzeptiere, dass wir noch mehr tun können. Haben Sie mir alle Instrumente gegeben, die ich durch den Vertrag von Lissabon brauche? Wahrscheinlich nicht. Haben Sie mir alle Mittel gegeben, die ich brauche? Wahrscheinlich nicht, aber wir werden unser Bestes geben, was in diesem Kontext, in dem wir den Auswärtigen Dienst sowie die Rolle haben, die ich spiele, möglich ist. Ich gehöre nicht zu denen, die rausgehen können, um ihre persönliche Meinung kundzutun. Ich spreche für die Europäische Union. Ich höre auf Sie, auf die Mitgliedstaaten, und auf die Kommission. Das ist die Rolle, die Sie mir durch den Vertrag von Lissabon gegeben haben, und das ist die, die ich spielen werde.

Dem einen oder anderen, der erst später gekommen ist, sei gesagt, dass der tunesische Außenminister heute in meinem Büro war und seinen allerersten Besuch aus Tunesien in der Europäischen Union angetreten hat, weil ich ihn eingeladen habe und er weiß, wie wichtig wir sind, nicht nur heute, sondern auch nächste Woche, nächsten Monat, nächstes Jahr. Wenn ich mit ihm spreche, spreche ich im Namen Europas. Er weiß, dass hinter dem, was ich sage, 27 Länder stehen, hoffentlich in Unterstützung des Europäischen Parlaments sowie in Unterstützung der Kommission.

Das bedeutet diesen Menschen einiges. Es bedeutet ihnen einiges, dass es, wenn wir sprechen, eine Botschaft ist, nicht unbedingt – wie es immer heißt – eine Stimme. Es ist die gleiche Botschaft, sei sie von der deutschen Bundeskanzlerin, vom britischen Premierminister, vom Präsidenten eines anderen Landes in der Europäischen Union, oder von irgendeinem anderen der 27 Mitgliedstaaten. Wir sagen das gleiche. Das ist der Grund dafür, dass das Treffen der Außenminister am Montag, dass die Schlüsse, die sie gezogen haben, und die Pressekonferenzen, die sie zu all den Fragen gegeben haben, mit denen wir uns in unserer Nachbarschaft und darüber hinaus auseinandersetzen müssen, für die Menschen vor Ort von so großer Bedeutung sind. Wir dürfen dies nicht aus den Augen verlieren, egal was wir tun.

Ich stimme Ihnen zu, dass wir vor Ort aktiver sein und mehr tun müssen, und ich stimme voll und ganz zu, dass wir uns erneut der Nachbarschaftspolitik zuwenden müssen. Das sage ich seit langem. Wir müssen für einen vielseitigeren Ansatz sorgen, uns mit jedem Land befassen und herausfinden, was es ist, das wir mit den Menschen dieses Landes erreichen wollen – ja, mehr mit der Zivilgesellschaft machen, ja, einen Schwerpunkt auf die Menschenrechte und die Demokratie legen und ja, uns mit den Fragen der gemeinsamen Außenpolitik auseinandersetzen, die sich bei ihnen stellen. Dem stimme ich zu. Ich versuche, das zu tun. Wenn Sie sich die Arbeit anschauen, die wir in den letzten zwei oder drei Monaten geleistet haben, werden Sie bei dem, was ich gesagt habe, einen roten Faden entdecken, und zwar, dass wir in unserer Nachbarschaft aktiver sein müssen. Dies sollte nach der Einrichtung des Dienstes unsere erste Priorität sein, und hierbei müssen wir besser, intelligenter und stärker auf ihre Bedürfnisse eingehen.

Für das, was vor meiner Zeit passiert ist, kann ich keine Verantwortung übernehmen, aber ich übernehme die Verantwortung für die Umsetzung dessen, was ich in einer Strategie für die Zukunft übernommen habe, worauf Sie genauso stolz sein können, wie ich es sein möchte. Es beginnt damit, was wir jetzt tun und wie weit wir in der Lage sind, Verantwortung zu übernehmen und Fortschritte zu machen.

Ich unterschätze nicht, wie schwierig die Situation ist und wie schnell sie sich abspielt. Ich stimme denjenigen zu, die auch erwähnten, dass Demokratie keine Momentaufnahme ist. Sie ist ein Prozess. Man baut die Demokratie auf und richtet die Organisationen ein, die mit den Menschen arbeiten können, um ihnen zu helfen, ihre demokratischen Rechte verstehen zu lernen, und um zu vermitteln, was Demokratie bedeuten und bewirken kann – die Transformation der Gesellschaft. Es gibt einen Grund, dass wir dieses Wort in den Schlussfolgerungen des Rates verwenden, denn ich glaube an die Transformation, nicht nur heute und morgen, sondern langfristig. Das ist das, was Europa bietet. Es ist das, was Europa unseren Nachbarn geboten hat, die unsere Partner geworden sind und das, was es seinen eigenen Mitgliedern geboten hat. Es hat eine Transformation herbeigeführt, die über Generationen hinweg fortwähren wird. Das ist das, wofür wir stehen. Wir stehen nicht für Kurzschlussreaktionen und -antworten. Wir stehen für Maßnahmen, die wir den Menschen für ein ganzes Leben lang mitgeben, die wir ihren Kindern für ein ganzes Leben lang mitgeben, und darüber hinaus.

Und bei alledem habe ich natürlich all die weiteren Belange nicht vergessen. Ich beobachte, was in Jordanien passiert. Ich stehe in Verbindung mit der Region. ich beschäftige mich natürlich auch mit dem, was im Iran passiert. Am vorletzten Wochenende habe ich mit den Iranern Gespräche geführt, und nach all meinen Erklärungen, nach all den Themen, die wir angesprochen haben, wissen Sie, wie sehr mir die Menschenrechte im Iran am Herzen liegen.

Ich habe natürlich nicht den Friedensprozess im Nahen Osten vergessen. Gestern habe ich mit George Mitchell gesprochen. Morgen treffen wir Premierminister Fayyad. Wir sind mit dem Quartett involviert. Sie tagen im Rahmen der Münchner Sicherheitskonferenz am Samstag, wobei ich den Vorsitz des Quartetts übernehmen werde.

Ich habe keinen der anderen Belange vergessen. Auch Albanien habe ich nicht vergessen, wohin Miroslav Lajčák diese Woche erneut eine Reise in meinem Namen antreten wird, um den Dialog fortzusetzen. Wir vergessen nichts von dem, was angegangen werden muss, und sicherlich auch nicht die Fragen, über die wir heute Abend in diesem Parlament diskutieren.

Und ich bin nicht für das verantwortlich, was Tony Blair sagt. Ich spreche vielleicht dieselbe Sprache; ich komme vielleicht aus der gleichen politischen Partei, aber ich bin nicht für ihn verantwortlich und werde für ihn auch nicht verantwortlich gemacht werden.

Nächste Woche treffe ich den Sicherheitsrat, ebenfalls in Ihrem Namen. Im Sicherheitsrat können wir wieder zeigen, was die Europäische Union diesen Menschen zu bieten hat, für heute und für morgen. Es ist wirklich wichtig, dass ich auf Ihre Unterstützung zählen kann, um dies zu tun – nicht ruhig, ich kann sehr laut sein – aber korrekt, mit Zusammenhalt, mit einer Richtung, mit einer Zielsetzung, mit einer Strategie und einem Plan, so dass ich dem tunesischen Außenminister einen Plan vorlegen kann, wenn er in mein Büro kommt. Ich sage nicht: „Ich freue mich sehr, Sie zu sehen, kommen Sie, wir reden fünf Minuten vor den Fernsehkameras.“ Nein. Ich sagte ihm, wir setzen uns eine Stunde zusammen, wir arbeiten Ihren Plan durch, und sehen, was wir Ihnen meiner Meinung nach bieten können. Wie viel Geld? Was kann ich tun? Was muss ich ändern? Welche Instrumente müssen wir zusammenbringen? Wie viel Flexibilität habe ich jetzt? Wie viel muss ich bekommen? Was brauchen Sie von uns, der Europäischen Investitionsbank, der Afrikanischen Zentralbank, den Vereinigten Staaten, Ihren anderen Partnern? Wie erstellen wir den Plan?

Dann traf ich den jemenitischen Außenminister, und wir machten das gleiche: Wie stellt eine Gruppe von Ländern, die Freunde von Jemen sind, einen neuen Entwicklungsfonds zusammen? Werden wir das mit den arabischen Ländern machen, mit denen ich gesprochen habe? Was machen wir?

Meiner Meinung nach sollte Europa so funktionieren, und das ist, was ich jeden Tag in Ihrem Namen tue und auch weiterhin tun werde.

Jetzt hoffe ich, diese Sitzung in Kürze verlassen zu dürfen, und bitte einen anderen Kommissar, zu übernehmen. Ich möchte mich hierfür bei Ihnen entschuldigen, aber die Ereignisse in Ägypten schreiten, wie Sie richtig sagen, voran, und ich kann Ihnen sagen, was wir während dieser Aussprache noch getan haben. Wir haben Mitteilungen gesendet, wir haben in meinem Namen mit dem stellvertretenden Außenminister gesprochen. Unmittelbar bekamen wir soeben Mitteilungen. Die Sicherheitskräfte müssen sofort eingreifen, um eine Eskalation der Gewalt zu verhindern. Diese Nachricht kam von mir, zur selben Zeit, als ich mit Ihnen diese Aussprache geführt habe. Dort muss Verantwortung übernommen werden; die Regierung ist dafür verantwortlich, die Armee zu beauftragen, die Menschen zu unterstützen und sicherzustellen, dass die Bürgerinnen und Bürger jetzt geschützt werden. Rettungswagen müssen innerhalb und außerhalb des Platzes erlaubt sein, weil wir gehört haben, dass ihnen der Zugang zum Platz nicht gestattet ist. Ich werde mit Vizepräsident Suleiman sprechen, sobald ich diesen Plenarsaal verlassen habe. Die Verbindung wird nun hergestellt, weshalb Sie mich bitte entschuldigen.

Es findet eine laufende Tagung statt, bei der eine Road Map mit der Opposition erarbeitet werden soll, während sich die europäischen Staats- und Regierungschefs jetzt in unserem Namen bemühen, mit anderen Staats- und Regierungschefs in der Region zu sprechen und sie darüber hinaus dazu zu bringen, selber Anrufe in die Wege zu leiten. Dies muss eine nie da gewesene Telefonkette sein, von Staatsoberhaupt zu Staatsoberhaupt, damit die Nachrichten in Ägypten ankommen. Während all dies passiert, findet in meinem Büro eine Krisensitzung statt, bei der genau erarbeitet wird, wie wir im Falle aller Eventualitäten vorgehen werden.

Das ist, was ich jeden Tag seit Beginn der Krise getan habe, bei den Ereignissen in Albanien, bei den Ereignissen in Belarus, bei unseren Maßnahmen im Sudan, wo unsere Sonderbeauftragte eine Task Force aufstellte und wo Véronique De Keyser sich vor Ort einen Eindruck darüber verschaffte, was Europa tut.

Das ist, was wir tun. Könnten wir mehr tun? Natürlich. Wünsche ich mir, mich gäbe es viermal? Ja, das tue ich. Denke ich, dass die Instrumente richtig sind? Nein. Denke ich, wir haben Fortschritte gemacht? Ja. Denke ich, wir können viel mehr tun? Natürlich.

Wenn Sie nur wollen, dass ich erscheine und an jedermanns Seite zu sehen bin, werde ich das nicht tun. Was ich für Sie tun werde, ist, das zu geben, wofür Europa meiner Meinung nach geschaffen wurde, und zwar, die Demokratie und die Menschenrechte zum Herzstück einer jeden Handlung zu machen und die Menschen in Ägypten und Tunesien heute zu unterstützen.

(Beifall)

 
  
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  Die Präsidentin. − Ich habe sechs Entschließungsanträge(1) gemäß Artikel 110 Absatz 2 der Geschäftsordnung erhalten.

Die Aussprache wird beendet.

Die Abstimmung über die Entschließungsanträge über die Lage in Tunesien findet am Donnerstag statt.

Die Abstimmung über die Entschließungsanträge über die Lage in Ägypten findet in der Sitzungsperiode im Februar II statt.

Schriftliche Erklärungen (Artikel 149)

 
  
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  Sergio Berlato (PPE), schriftlich.(IT) In den vergangenen Tagen hat sich die Situation in Tunesien und in anderen Ländern des südlichen Mittelmeerraums zugespitzt. Dutzende Menschen, die sich an Demonstrationen gegen die hohen Lebenshaltungskosten und gegen das Fehlen eines freien Marktes im Land beteiligt haben, haben ihr Leben verloren. Ich möchte bei dieser Gelegenheit daran erinnern, dass die EU 1995 in Barcelona ein Partnerschaftsprogramm mit den Ländern des Mittelmeerraums eingeleitet hat, mit dem Ziel, eine wirtschaftliche, politische, militärische und soziale Zusammenarbeit zu erreichen. Derzeit sind diese Ziele jedoch bei Weitem nicht erreicht. Die dramatische Situation in Tunesien zeigt, dass eine europäische Vision für den Mittelmeerraum oder die tatsächliche Einbeziehung der Länder des südlichen Mittelmeerraums in die vorhandene Partnerschaft und die Nachbarschaftspolitik dringend notwendig ist. Die Situation in Ägypten hat sich in den vergangenen Stunden sogar noch verschlimmert. Es gibt Berichte, dass mehrere Menschen in Zusammenstößen, die im ganzen Land zwischen der Polizei und Menschen stattfinden, die gegen die Regierung von Präsident Mubarak demonstrieren, verletzt und getötet worden sind. Ich bin der Ansicht, dass der Weg, den wir im Interesse dieser Länder, aber insbesondere auch im Interesse Europas, verfolgen müssen, in der Unterstützung wirtschaftlicher und sozialer Reformen besteht, die die Hoffnungen eines großen Teils der Bevölkerung erfüllen können und die zum Frieden und zur sukzessiven Verbesserung der Lebensbedingungen in den Ländern Nordafrikas führen würden.

 
  
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  Richard Falbr (S&D), schriftlich. – (CS) 1995 hat die Europäische Union das ehrgeizige Ziel skizziert, in der Mittelmeerregion Frieden, Stabilität und Wohlstand zu schaffen. Die Länder des Mittelmeerraums haben unter der Bedingung Finanzmittel erhalten, dass sie die notwendigen wirtschaftlichen und politischen Reformen durchführen würden. Nichts von alledem ist jedoch passiert. In den meisten Fällen waren die Versuche der EU, ihren südlichen Nachbarn zu helfen, von der Furcht geleitet, dass radikale Islamisten an die Macht gelangen und die Stabilität der gesamten Region gefährden könnten. Die Unterstützung autoritärer Regime zahlt sich, wie die Geschichte gezeigt hat, nicht aus. Es hat sich für die Vereinigten Staaten in Süd- und Mittelamerika nicht ausgezahlt, und es zahlt sich auch für die EU nicht aus. Einige Kritiker nennen uns zu Recht Heuchler. Wir sprechen über Menschenrechte, über die Notwendigkeit eines sozialen Dialogs und über wirtschaftliche Entwicklung, und dennoch haben wir jahrzehntelang die Tatsache ignoriert, dass Tunesien und andere nordafrikanische Länder von grausamen und undemokratischen Regimen beherrscht worden sind. Man muss sagen, dass das zu einem dramatischen Misserfolg für diejenigen, die eine derartige Politik gefördert haben, geführt hat. Der peinliche Aufruf von EU-Vertretern an Mubarak, demokratische Wahlen zu organisieren, ist nur das traurige Ergebnis dieser gescheiterten Politik.

 
  
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  Ilda Figueiredo (GUE/NGL), schriftlich.(PT) Die Welle der Empörung in den Ländern Afrikas und der Kampf der Völker Afrikas und insbesondere der Kampf der Tunesier und der Ägypter erfordern unsere größte Aufmerksamkeit und Solidarität. Im speziellen Fall Ägyptens, wo die Menschen weiterhin für ihre sozialen und ihre Arbeitnehmerrechte, für soziale Gerechtigkeit, für Demokratie und Freiheit kämpfen, verurteilen wir die Repressionen, die auf Anweisung der Regierung von Präsident Mubarak auf die kämpfenden Arbeiter und Menschen gerichtet waren und weiterhin gerichtet sind, auf das Schärfste und ehren die fast 100 ägyptischen Bürgerinnen und Bürgern, die durch staatliche Gewalt getötet wurden.

Ebenso wie in Tunesien und in mehreren anderen Ländern der arabischen Welt und Afrikas ist die Situation in Ägypten untrennbar mit der Vertiefung der Krise des Kapitalismus und dem gewalttätigen antisozialen Angriff verbunden, durch den sie sich auszeichnet, nicht zuletzt im Hinblick auf das exponentielle Wachstum der Arbeitslosigkeit, von der junge Menschen betroffen sind, und auf den exponentiellen Anstieg der Lebensmittelpreise.

Die jüngsten Ereignisse in Ägypten und die breite soziale Bewegung, die sie auszeichnet, sind außerdem untrennbar verbunden mit dem Mut, der Beharrlichkeit und der Entschlossenheit von Organisationen, die die Arbeitnehmer vertreten, und von anderen fortschrittlichen Volksbewegungen, die während dieses viele Jahre andauernden und unter schwierigen Bedingungen stattfindenden Kampfes wichtige Maßnahmen unternommen haben. Wir treten weiterhin für eine politische Lösung ein, die im Rahmen einer strikten Achtung des souveränen Willens des ägyptischen Volkes, frei von jeglichem Einfluss, Manipulation oder Druck von außen gefunden werden muss.

 
  
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  Filip Kaczmarek (PPE), schriftlich.(PL) Die jüngsten Ereignisse in Tunesien und Ägypten könnten einen großen Einfluss auf die Zukunft der gesamten Region haben. Die Gesellschaften dieser Region hatten lange Zeit keine Möglichkeit, ihren Wünschen, Träumen oder Ängsten Ausdruck zu verleihen. Wir wissen noch nicht, welche Folgen die Ereignisse in Nordafrika haben werden. Es ist jedoch sicher, dass wir versuchen sollten, einen größeren Einfluss auf die Entwicklung der Situation auszuüben. Schließlich finden diese Ereignisse in Ländern in unserer unmittelbaren Nachbarschaft statt. Europa hat sich in dieser Region, über die wir sprechen, in der Tat stark engagiert. Wir wissen nicht erst seit gestern, dass die lokalen Regierungen nicht immer alle Erwartungen ihrer Bevölkerungen erfüllt haben. Die Proteste wurden durch die Probleme entfacht, die die häufigsten Ursachen für soziale Unzufriedenheit sind – Armut, Hoffnungslosigkeit und die Arroganz der Obrigkeit. Ich glaube nicht, dass die Tunesier und die Ägypter von einer Demokratie nach westlichem Vorbild träumen. Die Menschen träumen ganz einfach von einem besseren Leben, und ein besseres Leben ist nicht zwangsläufig mit Demokratie verbunden. Verdienen sie ein besseres Leben? Ja, das tun sie eindeutig. Jeder hat das Recht auf ein besseres Leben und auf das Recht, dass man seine Menschenwürde achtet, auf Freiheit und Entwicklung. Mögen ihre Hoffnungen rasch und ohne Blutvergießen in Erfüllung gehen. Vielen Dank.

 
  
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  Kelam, Tunne (PPE), schriftlich. Die erste Schlussfolgerung, die aus den tiefgreifenden Veränderungen gezogen werden muss, die in Tunesien, Ägypten und anderswo stattfinden, ist, dass die demokratische Welt vollkommen unvorbereitet auf sie war. Die EU wurde ebenso wie die USA vollkommen davon überrascht und muss in Bezug auf ihre Reaktionen und wie sie diesen revolutionären Entwicklungen Rechnung trägt immer noch improvisieren.

Das Gleiche ist vor 20 Jahren passiert, als die Sowjetunion zusammenbrach. Es stellte sich heraus, dass Tausende von Sowjetologen in ihren Analysen die latente gewaltige Kraft, die schließlich die Sowjet-Diktatur außer Gefecht gesetzt hat, nicht berücksichtigt haben – den Wunsch der versklavten Bevölkerung nach Freiheit.

Die aktuelle Situation hat eine Schwäche offenbart, die der gemeinsamen europäischen Außenpolitik, die noch in den Kinderschuhen steckt, innewohnt. Sie hat eine chronische Krise in Bezug auf die Werte offenbart, auf denen die EU offiziell basiert. In der Realpolitik wurden diese Werte systematisch vernachlässigt oder man hat ihnen zugunsten der Stabilität oder pragmatischer kurzsichtiger Beziehungen einen geringeren Wert eingeräumt.

Das ist ein Augenblick, in dem man verstehen muss, dass, wenn man die Unterdrückung von Freiheit mit der Begründung ignoriert, die Stabilität und wirtschaftliche Interessen zu wahren, dies zwangsläufig zu verheerenden politischen Fehlern führt. Nur eine echte Demokratie kann zu einer langfristigen Stabilität führen. Wenn man sich auf autokratische Regime verlässt, vergrößert man die Seifenblase des Selbstbetrugs, die früher oder später platzen und zu schwerwiegenden moralischen Schäden für ihre demokratischen Partner führen wird.

 
  
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  Krzysztof Lisek (PPE), schriftlich.(PL) Laut der Meinung von Experten haben die Unruhen in Tunesien einen Dominoeffekt verursacht. Es ist sehr wahrscheinlich, dass das nächste Land in der Region, in dem es nach Tunesien und Ägypten zu Veränderungen kommt, Jemen sein wird. Auch Libyen, Jordanien, Syrien und Marokko wurden erwähnt. Die Globalisierung und der damit einhergehende freie Informationsfluss öffnet den Bürgerinnen und Bürgern dieser Regime die Augen. Sie wollen einen Wandel, ein Leben in Würde in einem modernen demokratischen Rechtsstaat, der nach transparenten Grundsätzen funktioniert. In derartigen Situationen sollte die EU diese Werte fördern und alles dafür tun, um sicherzustellen, dass die arabischen Länder einen Bürgerkrieg oder die Übernahme der Macht durch Extremisten verhindern. Ich möchte unterstreichen, dass unsere Unterstützung auf politische Maßnahmen beschränkt sein muss und keine militärischen Maßnahmen einschließen darf. Als EU sollten wir die arabischen Länder bei der friedlichen Umsetzung von Reformen unterstützen. Es ist ganz klar nötig, einen Dialog sowohl mit den Vertretern der Regierung, die die Macht abgeben, als auch mit der Opposition, einschließlich der islamistischen Bewegungen, zu führen. Die EU muss in der Region stärker präsent sein, und die gesamte europäische Nachbarschaftspolitik muss reformiert werden, wodurch es möglich sein wird, nicht nur in den arabischen Ländern, sondern auch in unseren östlichen Nachbarländern, wie Belarus, die Demokratie besser zu fördern. Wir brauchen wirksame Strategiepläne, die eine angemessene EU-Finanzhilfe für die Förderung der Demokratie, der Zivilgesellschaft und von Menschenrechten einschließen. Ich bin der Ansicht, dass die EU mit einer Stimme sprechen und antidemokratische Regime eindeutig verurteilen sollte.

 
  
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  Nuno Teixeira (PPE), schriftlich.(PT) Die Ereignisse, die in unzähligen arabischen Ländern, einschließlich Tunesien und Ägypten, stattfinden, sind Demonstrationen, die in die Geschichte der Befreiung der Menschen von autoritären Regimen eingehen werden, die die Grundregeln einer demokratischen Gesellschaft nicht einhalten: die Rechtsstaatlichkeit und die Verteidigung der Menschenrechte.

Ich denke, dass es jetzt wichtig sein wird, im langen Prozess des Übergangs zur Demokratie die kurz- und langfristigen Strategien für Tunesien und Ägypten zu überdenken, um zu verhindern, dass extremistische Gruppierungen die Macht ergreifen. Ich begrüße die Mission der EU zur Bewertung der rechtlichen Situation in der Phase vor den Wahlen und die Beobachtungsmission für diese Wahlen: Sobald in Ägypten Stabilität hergestellt ist, müssen die gleichen Maßnahmen auch dort getroffen werden.

Dennoch sehe ich es als äußerst wichtig an, die Nachbarschaftspolitik zu überprüfen, die, wie wir beobachten konnten, eines ihrer Ziele nicht erfüllen konnte: die Förderung der Demokratie und der Menschenrechte. Ich denke, dass es eine größere Vielfalt an Herangehensweisen in den Vereinbarungen zwischen der EU und den Mittelmeeranrainerstaaten geben sollte, die eine andere Wirkung auf die Zivilgesellschaft haben sollten. Ein Dialog mit Tunesien, Ägypten und ihren Nachbarländern muss das Ziel verfolgen, die demokratische Stabilität sicherzustellen. Um dies zu erreichen, müssen Strategien geschaffen und Mittel für die notwendigen soziökonomischen und politischen Reformen müssen aufgestockt werden.

 
  
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  Traian Ungureanu (PPE), schriftlich. Auch wenn der demokratische Fortschritt in der arabischen Welt gefördert werden sollte, so sollten die strategischen Interessen der EU nicht gefährdet werden. Die Ereignisse in Tunesien und Ägypten haben bewiesen, dass Autokratie keine Lösung ist. Dennoch garantieren diese Ereignisse nicht, dass ein demokratisches Ergebnis erreicht wird. Die jüngste Geschichte hat gezeigt, dass demokratische Revolutionen vom gut organisierten, militanten Islam in Geiselhaft genommen werden können. Die iranische Revolution von 1979 ist ein bekanntes Beispiel eines demokratischen Umsturzes, der in die Autokratie umschlug. Wir sollten eine ausgewogenen Bilanz ziehen aus der Sozialpolitik von Präsident Mubarak und der strategischen Linie Ägyptens. Ägypten ist ein stabiler Bündnispartner, es hat sich den Streitkräften angeschlossen, die Kuwait befreit haben, und hat einen mehr als 30 Jahre andauernden Frieden mit Israel gesichert. Den aktuellen Ereignissen in Ägypten wohnt Hoffnung und auch Gefahr inne. Die Demonstranten und ihre legitimen Forderungen sind ein echter Ausdruck des Bedürfnisses nach einer offenen Debatte. Aber es gibt in der ägyptischen Gesellschaft ein gewaltiges Potenzial für Verhalten, Praktiken und politische Linien, die unterdrückender Natur sind. Die Beschneidung von Frauen, die Befürwortung öffentlicher Hinrichtung, Folter und die strenge Auslegung des islamischen Rechts sind weit verbreitet. Die Muslimbrüder preisen diese Ansichten offen an und können etwa 20 % der Wähler für sich gewinnen. Wenn die Demokratie in Ägypten eine Zukunft haben soll, dann müssen wir jetzt Vorsicht walten lassen.

 
  
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  Antonio Masip Hidalgo (S&D), schriftlich.(ES) Die instabile Lage in der Mittelmeerregion und am Suezkanal verleiht unseren Argumenten in Bezug auf die Wichtigkeit der Kohle größere Bedeutung.

Lassen Sie uns die in der EU produzierte Energie unterstützen, die eine sichere Ressource ist.

 
  
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  Corina Creţu (S&D), schriftlich.(RO) Die Unruhen in der arabischen Welt, die dadurch ausgelöst wurden, dass der junge Mohamed Bouazizi sich selbst anzündete, beinhalten keineswegs ein religiöses oder ideologisches Element. Sozio-ökonomische Forderungen sind zu einer Zeit, in der in Ägypten der Anstieg der Lebensmittelpreise die schwierigen Bedingungen, unter denen die Hälfte der 80 Millionen Einwohner des Landes, die unterhalb der Armutsgrenze von zwei Dollar am Tag lebt, ihr Leben zu meistern versucht, noch verschlimmert hat, natürlich das vorrangige Anliegen. Ich denke, dass unsere Haltung in Bezug auf die in der arabischen Welt stattfindenden Ereignisse einerseits die selbstverständliche Unterstützung für den Wunsch nach Frieden berücksichtigen muss, andererseits können wir aber nicht die Gefahren für die weltweite Stabilität ignorieren, die aus dem Zusammenbruch der Region erfolgen könnten, die immer unvorhersehbarer, chaotischer wird oder zunehmend unter islamischen Einfluss gerät. Alarmierende Hinweise deuten darauf hin, dass viele Demonstranten überhaupt nicht das westliche Modell der Demokratie anstreben, ganz im Gegenteil. Ich muss an dieser Stelle an den russischen Einmarsch in Georgien vor zwei Jahren denken, als die westliche Welt, die vollkommen überrascht war, den Vorgängen stumm zusah und sie ignorierte. Wieder einmal kommt es an den Grenzen der EU zu entscheidenden Entwicklungen, die uns überrumpeln. Wieder einmal sind wir an den Vorgängen nicht beteiligt, obwohl diese Vorgänge die europäische Stabilität in vielerlei Hinsicht beeinflussen.

 
  
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  John Attard-Montalto (S&D), schriftlich. Der erste Staatsbesuch des neuen tunesischen Ministerpräsidenten ging in die Europäische Union. Baroness Catherine Ashton hat den Ministerpräsidenten willkommen geheißen, und man wusste es zu würdigen, dass er seine erste Auslandreise in die EU unternommen hat. Die getroffene Wahl an sich war wichtig, da der tunesische Ministerpräsident eine klare Botschaft in Bezug auf den Weg senden wollte, den sein Land nach seinem Wunsch bestreiten soll. Die EU steht für Demokratie, die Rechtsstaatlichkeit, die Achtung der Menschenrechte und für gewisse Grundprinzipien. Sie steht für Stabilität und Sicherheit, in diesem Fall in der Mittelmeerregion. Tunesien ist einer der nächsten nordafrikanischen Nachbarn Maltas. Was während dieses Übergangszeitraums passiert, ist nicht nur für mein Land sondern auch für die gesamte Region wichtig. Da Tunesien als moderater Staat angesehen wird, bin ich optimistisch, dass die tunesische Außenpolitik in die gleiche Richtung gehen wird wie bisher. Außerdem hege ich die Hoffnung, dass seine innenpolitische Situation sich verbessern wird. Es ist wichtig, dass die EU durch ihre verschiedenen Hilfs- und Unterstützungsprogramme, die auf Tunesien ausgerichtet werden können, sichtbar ist. Länder, die demokratische Werte annehmen und zur Stabilität und Sicherheit in einer Region beitragen, müssen für ihre Bemühungen Anerkennung erfahren. Deshalb ist es entscheidend, dass die EU diese Anerkennung sowohl sichtbar als auch fühlbar zum Ausdruck bringt.

 
  
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  Rafał Trzaskowski (PPE), schriftlich.(PL) Die Vereinten Nationen haben gestern bekanntgegeben, dass über 200 Menschen aufgrund der Unruhen, die mit der Revolution in Tunesien einhergingen, gestorben sind. Das ist die tragische Seite der überraschenden Ereignisse im Süden. Das sollte uns alle dazu bringen, umso größere Anstrengungen zu unternehmen, um eine Demokratisierung sowohl dieses Landes als auch der gesamten Region zu erreichen, insbesondere, da die alte Ordnung auch in Ägypten vor unseren Augen zusammenbricht. Leider konnte keine Rede davon sein, dass die Europäische Union mit einer Stimme spricht. Wir sollten uns angesichts der starken Partikularinteressen der Mitgliedstaaten nicht vormachen, dass der neu errichtete Auswärtige Dienst der EU von Anfang an die erste Geige spielen wird. Im Falle Tunesiens sind die uns zur Verfügung stehenden Instrumente vielleicht weniger spektakulär, aber sie können greifbare Ergebnisse erzielen. Zu ihnen gehört die Nachbarschaftspolitik der EU, die momentan einer Überprüfung unterzogen wird und die im Hinblick auf die aktuellen Ereignisse entsprechend modifiziert werden sollte. Dazu gehört außerdem die Möglichkeit der Entsendung einer EU-Beobachtungsmission, und es muss wahrscheinlich keiner mehr davon überzeugt werden, dass eine Notwendigkeit besteht, dies zu tun. Das sind konkrete Aufgaben, denen sich das Europäische Parlament jetzt widmen muss.

 
  
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  Kristiina Ojuland (ALDE), schriftlich. Ich würde mich gerne der Bewunderung anschließen, die während der Aussprache in Bezug auf den Mut der Bürgerinnen und Bürger Tunesiens und Ägyptens, ihre Unzufriedenheit und Enttäuschung gegenüber ihrem jeweiligen Regime zu äußern, ausgedrückt worden ist. Zum jetzigen Zeitpunkt sind die Unruhen über einen Punkt hinaus eskaliert, nach dem es kein Zurück mehr gibt, und die Europäische Union muss zum eingeleiteten Übergangsprozess ihren Beitrag leisten. Es waren, insbesondere in Ägypten, einige verhaltene Stimmen für die Aufrechterhaltung des Status quo zu hören, die argumentierten, dass der Sturz des Regimes zu einem Bürgerkrieg führen könnte, der wiederum religiöse Fundamentalisten an die Macht bringen könnte. Ich finde, dass es nicht an uns ist, die möglichen Entwicklungen in diesen Ländern vorauszusagen. Ich möchte Sie daran erinnern, dass, als sich der Ostblock am Rande des Zusammenbruchs befand, es immer noch Menschen gab, die aus Furcht vor Instabilität in der Region keinen Ärger machen wollten. Lassen Sie uns nicht diesen Fehler machen und stattdessen, so gut wir können, den Bürgerinnen und Bürgern Tunesiens und Ägyptens dabei helfen, die Grundlage für eine echte Demokratie zu legen. Ich bin sicher, dass der Islam und die Demokratie nicht unvereinbar sind – Indonesien, eine Demokratie, hat die größte muslimische Bevölkerung der Welt.

 
  

(1) Siehe Protokoll.

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