Entschließungsantrag - B7-0116/2011Entschließungsantrag
B7-0116/2011

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG zum Anstieg der Lebensmittelpreise

9.2.2011

eingereicht im Anschluss an Erklärungen des Rates und der Kommission
gemäß Artikel 110 Absatz 2 der Geschäftsordnung

George Lyon, Britta Reimers im Namen der ALDE-Fraktion

Siehe auch den gemeinsamen Entschließungsantrag RC-B7-0114/2011

Verfahren : 2011/2538(RSP)
Werdegang im Plenum
Entwicklungsstadium in Bezug auf das Dokument :  
B7-0116/2011
Eingereichte Texte :
B7-0116/2011
Angenommene Texte :

B7‑0116/2011

Entschließung des Europäischen Parlaments zu Anstieg der Lebensmittelpreise

Das Europäische Parlament,

–   gestützt auf Artikel 33 des EG-Vertrags,

–   unter Hinweis auf seine Entschließung vom 25. Oktober 2007 zum Anstieg der Futtermittel- und Lebensmittelpreise[1] und auf seine Entschließung vom 22. Mai 2008 zum Preisanstieg bei Lebensmitteln in der EU und in den Entwicklungsländern[2],

–   unter Hinweis auf seine Entschließung vom 26. November 2009 zum FAO-Gipfeltreffen und zur Ernährungssicherheit,

–   unter Hinweis auf seine Entschließung vom 29. November 2007 zu einer neuen Dynamik für die afrikanische Landwirtschaft – Vorschlag für die Entwicklung der Landwirtschaft und für Nahrungsmittelsicherheit in Afrika[3],

–   unter Hinweis auf den Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über eine Krisenreaktionsfazilität zur Bewältigung des drastischen Anstiegs der Nahrungsmittelpreise in Entwicklungsländern (KOM(2008)0450),

–   unter Hinweis auf seine Entschließung zur gemeinsamen Agrarpolitik und globalen Ernährungssicherheit (McGuinness-Bericht (2008/2153(INI)),

–   unter Hinweis auf seine Entschließung zur Anerkennung der Landwirtschaft als Sektor von strategischer Bedeutung für die Ernährungssicherheit (Sarbu-Bericht) (2010/2112(INI))

–   unter Hinweis auf das Arbeitsdokument Politikforschung „Placing the 2006/08 Commodity Price Boom into Perspective“, J. Baffes und T. Haniotis, Arbeitsgruppe Entwicklungsaussichten der Weltbank, Juli 2010,

–   unter Hinweis auf die Analyse der Kommission „Prospects for Agricultural Markets and Income in the EU 2010-2020“ vom Dezember 2010,

–   unter Hinweis auf die Erklärung des Welternährungsgipfels 1996 und die Ergebnisse des Weltgipfels zur Ernährungssicherheit, der vom 16. bis 18. November 2009 in Rom stattfand,

–   unter Hinweis auf die Schlusserklärung des 3. Gipfeltreffens der Agrarminister 2011 in Berlin,

–   unter Hinweis auf die Mitteilung der Kommission über Grundstoffmärkte und Rohstoffe: Herausforderungen und Lösungsansätze vom 2. Februar 2011 (KOM (2011)25),

–   gestützt auf Artikel 110 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,

A. in der Erwägung, dass der Lebensmittelpreisindex der FAO im Januar 2011 seinen bisherigen Höchststand aus dem Jahr 2008 überschritten und mit einem Mittelwert von 231 Punkten den höchsten Stand seit der Messung der Lebensmittelpreise durch die FAO im Jahr 1990 erreicht hat, insbesondere aufgrund der steigenden Preise für Zucker, Öle und Fette sowie Getreide;

B.  in der Erwägung, dass die internationalen Getreidepreise im Mittel bei 245 Punkten lagen und damit um 3% höher als im Dezember 2010, damit aber immer noch ihren Höchststand vom April 2008 nicht erreicht haben, sowie in der Erwägung, dass es der stetige Anstieg der Preise für Weizen und Mais ist, der diese Entwicklung antreibt, während die Preise für Reis im Januar 2011 gesunken sind;

C. in der Erwägung, dass zwischen 2003 und 2008 die nominellen Preise für Energie und Metalle um 230 % angestiegen sind, die Preise für Lebensmittel und Edelmetalle sich verdoppelt und die Preise für Düngemittel vervierfacht haben;

D. In der Erwägung, dass die Ernährungssicherheit für Europa ein wichtiges Thema ist und auf EU-Ebene und darüber hinaus Kohärenz und Abstimmung zwischen den einzelnen Politikfeldern erforderlich macht, insbesondere in den Bereichen GAP, Energiepolitik, Forschungsprogramme, Maßnahmen in der Entwicklungs- und Handelspolitik und Haushaltsführung;

E.  in der Erwägung, dass die Ernährungssicherheit für die Bürger Europas und die Versorgung der Verbraucher mit nährstoffreichen und hochwertigen Lebensmitteln zu vertretbaren Preisen unter anderem Kernziele der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) sind,

F.  in der Erwägung, dass die gegenwärtigen Schwankungen von Nahrungsmittel- und Rohstoffpreisen erhebliche Sorgen um das Funktionieren der Nahrungsmittelversorgung Europas und der Welt haben aufkommen lassen und dass die bedürftigsten Bevölkerungsgruppen und Länder vom Preisanstieg bei Nahrungsmitteln am härtesten betroffen waren,

G. in der Erwägung, dass die landwirtschaftlichen Einkommen in der EU um 50 % unter dem EU-Durchschnittseinkommen liegen und sich diese Situation durch die gegenwärtigen wirtschaftlichen Turbulenzen weiter zugespitzt hat,

H. in der Erwägung, dass es 2007 und 2008 weltweit in 22 Ländern auf Grund der rasch steigenden Lebensmittelpreise zu Unruhen kam,

I.   in der Erwägung, dass die Europäische Union der weltweit größte Geber von Entwicklungshilfe und humanitärer Hilfe ist, dass jedoch auf internationaler Ebene der Anteil der öffentlichen Entwicklungshilfe (ODA) für die Landwirtschaft seit den 80er-Jahren weltweit stetig abgenommen hat, sowie in der Erwägung, dass vor dem Hintergrund von Bevölkerungswachstum und knappen natürlichen Ressourcen eine Verdoppelung des weltweiten Bedarfs an Nahrungsmitteln bis zum Jahre 2050 zu erwarten ist und die weltweite Nahrungsmittelproduktion gesteigert werden muss,

J.   in der Erwägung, dass eine Förderung der landwirtschaftlichen Produktion in Entwicklungsländern die Widerstandskraft und Anpassungsfähigkeit in Fällen von Nahrungsmittelknappheit steigert;

K. in der Erwägung, dass die EU das Problem der extremen Preisschwankungen vor kurzem auf der Tagung des Ausschusses für Welternährungssicherheit (CFS) der FAO hervorgehoben hat und die neue hochrangige Expertengruppe (High Level Panel of Experts) ersucht wurde, über Ursachen und Maßnahmen hinsichtlich der Preisschwankungen zu berichten,

L.  in der Erwägung, dass der EU die Mittel fehlen, um die Entwicklung der Weltmarktpreise einschätzen zu können, und sie zu sehr auf Prognosen angewiesen ist, die in Drittstaaten wie den USA erstellt werden,

M. in der Erwägung, dass der Weltmarkt für Rohstoffe nunmehr stärker und regelmäßiger von Preisschwankungen gekennzeichnet sein könnte und dass höhere Nahrungsmittelpreise vor allem aufgrund der schnell steigenden Faktorkosten sowie aufgrund der im Laufe der Zeit ständig wachsenden Kluft zwischen Erzeuger- und Verbraucherpreisen nicht automatisch mit höheren Einkommen in der Landwirtschaft einhergehen,

N. in der Erwägung, dass die Daten der Kommission zur Funktionsweise der Lebensmittelversorgungskette erkennen lassen, dass im Zusammenhang mit der Produktion und den Marktentwicklungen Transparenz erforderlich ist und mehr Informationen bereitgestellt werden müssen,

1.  stellt fest, dass die Preise für landwirtschaftliche Rohstoffe in der nächsten Zukunft voraussichtlich auf einem höheren Niveau als ihr historischer Mittelwert verbleiben und so den langfristigen Trend zu einem Preisrückgang in diesem Bereich umkehren werden;

2.  vertritt die Auffassung, dass zahlreiche Faktoren bei der Analyse kurzfristiger Bewegungen und langfristiger Trends bei Lebensmittelpreisen berücksichtigt werden müssen, wie etwa die Auswirkungen der Biokraftstoffe der ersten Generation, die Energiepreise, die weltweite Nachfrageentwicklung, der verlangsamte Anstieg der Erträge, die extremen Wetterereignisse und der Klimawandel;

3.  fordert dazu auf, die durch das immer stärkere Zusammenspiel zwischen den Preisbewegungen auf dem Energiemarkt und auf den Märkten für andere Rohstoffe, insbesondere für Lebensmittel, entstehende grundlegende Unsicherheit gebührend zu berücksichtigen;

4.  stellt fest, dass es keine eindeutigen Hinweise auf eine Verbindung zwischen Spekulationsgeschäften und den weltweiten extremen Preisschwankungen für Lebensmittel oder gar den langfristigen Entwicklungen der Lebensmittelpreise gibt;

5.  fordert die Kommission auf, ihre Analyse der Ursachen für die Schwankungen auf den Märkten zu verfeinern und größere Klarheit über das Zusammenspiel zwischen Spekulation und Agrarmärkten sowie Energiemärkten und Lebensmittelpreisen anzustreben; betont, dass diese Maßnahmen im Rahmen der Bemühungen um die Regulierung der Finanzmärkte auf internationaler und EU-Ebene getroffen werden sollten;

6.  vertritt die Auffassung, dass eine derartige gründliche Analyse zu einem besseren Verständnis der Faktoren führen würde, die die kurz- und langfristigen Trends bei der Entwicklung der Lebensmittelpreise beeinflussen und so eine angemessenere Wahl der Maßnahmen zur Abmilderung der Auswirkungen von Preisschwankungen ermöglichen würde;

7.  nimmt die Initiative der französischen G20-Präsidentschaft zur Kenntnis, die Themen Preisschwankungen und Spekulation auf den Agrarmärkten und ihre mögliche Beziehung zur weltweiten Ernährungssicherheit auf die Agenda der G20 zu setzen;

8.  begrüßt die von 48 Staaten unterzeichnete gemeinsame Schlusserklärung des 3. Gipfeltreffens der Agrarminister in Berlin vom 22. Januar 2011, die insbesondere ein verbessertes Funktionieren der Agrarmärkte fordert und die wichtige Rolle des Handels für die Schaffung eines Gleichgewichts zwischen den Akteuren auf den Agrarmärkten hervorhebt;

9.  fordert eine größere Transparenz sowie eine verbesserte Qualität und Aktualität der Angaben über Lebensmittelreserven und -vorräte sowie über die Preisbildung auf internationaler Ebene, wie sie in der vor kurzem angenommenen Mitteilung der Kommission „Grundstoffmärkte und Rohstoffe: Herausforderungen und Lösungsansätze“ gefordert wird;

10. fordert die Kommission auf, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um gegen ein Übermaß an Spekulation auf den Rohstoffmärkten vorzugehen; betont, dass diese Maßnahmen im Rahmen der Bemühungen um die Regulierung der Finanzmärkte auf internationaler und EU-Ebene getroffen werden sollten;

11. fordert wirksame, international koordinierte Lösungsansätze für ein Vorgehen gegen exzessive Preisschwankungen; fordert, Missbrauch und Manipulationen im Bereich der Lebensmittelpreise als potenzielle Risiken für die weltweite Ernährungssicherheit auf internationaler Ebene zu bekämpfen;

12. betont, dass hohe Preise für Grundnahrungsmittel eine Bedrohung für die weltweite Ernährungssicherheit und für die Bevölkerung der Entwicklungsstaaten darstellen, was bei den durch hohe Lebensmittelpreise ausgelösten jüngsten Unruhen in Nordafrika sichtbar wurde;

13. besteht darauf, dass die internationale Gemeinschaft einen langfristig gültigen Ansatz vertreten und dabei die Erfahrungen aus der Nahrungsmittelkrise von 2007‑2008 nutzen muss, wie es die FAO Ende Januar 2011 gefordert hat, um so fehlende Koordination und übereilte Maßnahmen zu vermeiden, die die Krise noch verschärfen könnten;

14. stellt jedoch fest, dass die gegenwärtige Lage mit ihren weltweit hohen Lebensmittelpreisen sich von der Situation 2008 insofern unterscheidet, als die Probleme auf der Angebotsseite nicht so schwerwiegend sind und nicht unbedingt durch dieselben Faktoren wie vor zwei Jahren verursacht werden;

15. fordert die nationalen Regierungen auf, gemäß den Empfehlungen der FAO keine Maßnahmen zur Einschränkung der Exporte zu ergreifen, da diese die Unsicherheit der Märkte noch verstärken und Störungen auf den Weltmärkten bewirken und so möglicherweise die Weltmarktpreise weiter steigen lassen;

16. bestätigt die Zusage der EU, ihre Ausfuhrerstattungen bis 2013 auslaufen zu lassen, wenn diese Maßnahme ihr Pendant in gleichzeitig stattfindenden ähnlichen Maßnahmen bzw. Maßnahmen mit ähnlicher Wirkung seitens der WTO-Partnerländer findet;

17. betont in diesem Zusammenhang erneut, dass Mechanismen zum Risikomanagement und absichernde Maßnahmen auf internationaler Ebene in koordinierter Weise beschlossen werden sollten, um weitere Marktstörungen zu vermeiden;

18. begrüßt das von Eurostat eingerichtete EU-Instrument für die Überwachung der Lebensmittelpreise sowie die Einrichtung des Hochrangigen Forums für eine verbesserte Funktionsweise der Lebensmittelversorgungskette;

19. vertritt die Auffassung, dass Primärerzeuger aufgrund der starken Position, die die verarbeitende Industrie, der Einzelhandel und die Betriebsmittelerzeuger in der Lebensmittelkette haben, in die Schere zwischen hohen Faktorpreisen und niedrigen Ab‑Hof-Preisen geraten und folglich nicht von den gestiegenen Ausgabepreisen profitieren können;

20. fordert die Kommission auf, im Zusammenhang mit der zunehmenden Konsolidierung dafür zu sorgen, dass in der Betriebsmittelindustrie, einschließlich der Düngemittelbranche, ein frei funktionierender Markt besteht, da es sich bei Strom und Düngemitteln um wesentliche Primärgüter für den Anbau von Erzeugnissen handelt, die für die Nahrungsmittelversorgung eine tragende Rolle spielen;

21. vertritt die Auffassung, dass freier Handelsverkehr unter nicht verzerrenden Bedingungen sichergestellt werden sollte; fordert den Abschluss ausgewogener Handelsabkommen, da diese ein wesentliches Element der Maßnahmen zur Gewährleistung der weltweiten Ernährungssicherheit darstellen;

22. betont erneut seine Unterstützung für ein auf WTO-Ebene zu erreichendes Abkommen, mit dem die Doha-Runde zu einem ehrgeizigen und ausgeglichenen Abschluss gebracht werden kann, zum Ausdruck;

23. fordert die Kommission auf, dafür zu sorgen, dass die in den Bereichen Handel und Landwirtschaft getroffenen Maßnahmen nicht miteinander im Konflikt stehen, und zur Kenntnis zu nehmen, dass ein ausgewogenes Zielsetzungspaket geschnürt werden muss, das neben Fortschritten im Handel auch eine nachhaltige Zukunft für die europäischen Landwirte ermöglicht;

24. fordert die Kommission auf, sich bei bilateralen Handelsgesprächen mit dem Mercosur und anderen Drittländern umfassend für die Interessen der europäischen Erzeuger einzusetzen, indem keine Zugeständnisse eingegangen werden, die die Landwirtschaft der EU gefährden könnten.

25. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat und der Kommission zu übermitteln.