Entschließungsantrag - B7-0060/2012Entschließungsantrag
B7-0060/2012

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG zu den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen in Russland (2012/2505(RSP))

8.2.2012

eingereicht im Anschluss an eine Erklärung der Vizepräsidentin der Kommission/Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik
gemäß Artikel 110 Absatz 2 der Geschäftsordnung

Rebecca Harms, Werner Schulz, Barbara Lochbihler, Bart Staes, Tarja Cronberg, Raül Romeva i Rueda, Indrek Tarand, Rui Tavares im Namen der Verts/ALE-Fraktion

Siehe auch den gemeinsamen Entschließungsantrag RC-B7-0052/2012

Verfahren : 2012/2505(RSP)
Werdegang im Plenum
Entwicklungsstadium in Bezug auf das Dokument :  
B7-0060/2012
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B7-0060/2012
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B7‑0060/2012

Entschließung des Europäischen Parlaments zu den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen in Russland (2012/2505(RSP))

Das Europäische Parlament,

–   unter Hinweis auf seine früheren Entschließungen zu Russland und insbesondere die Entschließung zu den Ergebnissen des Gipfels EU-Russland in Nischni Nowgorod vom 9. und 10. Juni 2011, die Entschließung vom 7. Juli 2011 zu den Vorbereitungen auf die Wahlen zur russischen Staatsduma im Dezember 2011 und die Entschließung zu dem bevorstehenden Gipfeltreffen EU-Russland am 15. Dezember 2011 und dem Ergebnis der Duma-Wahl vom 4. Dezember 2011,

–   unter Hinweis auf die seit 2008 laufenden Verhandlungen über ein neues Abkommen, mit dem ein neuer umfassender Rahmen für die Beziehungen zwischen der EU und Russland geschaffen werden soll, sowie auf die 2010 eingeleitete „Partnerschaft für Modernisierung“,

–   unter Hinweis auf die Konsultationen zu Menschenrechten zwischen der EU und Russland und insbesondere die letzte Sitzung in diesem Rahmen, die am 29. November 2011 in Brüssel stattfand,

–   unter Hinweis auf die Schlusserklärung und die Empfehlungen, die beim Abschluss der 14. Sitzung des Ausschusses für parlamentarische Kooperation EU-Russland vom 19./20. September 2011 in Warschau verabschiedet wurden,

–   unter Hinweis auf die Sitzung des Forums der Zivilgesellschaft EU-Russland in Warschau vom 1./2. Dezember 2011,

–   gestützt auf Artikel 110 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,

A. in der Erwägung, dass eine verstärkte Zusammenarbeit und gutnachbarschaftliche Beziehungen zwischen der EU und Russland von grundlegender Bedeutung für Stabilität, Sicherheit und Wohlstand in Europa sind; in der Erwägung, dass die Entwicklung einer strategischen Partnerschaft zwischen der EU und Russland nur auf der Grundlage gemeinsamer Werte möglich ist, und in der Erwägung, dass die Zusammenarbeit zwischen den beiden Partnern auf internationaler Ebene in allen Institutionen, Organisationen und Foren unbedingt intensiviert werden muss, um die globale Ordnungspolitik zu verbessern und die gemeinsamen Herausforderungen zu bewältigen;

B.  in der Erwägung, dass der faire Charakter der Duma-Wahl vom 4. Dezember nach Aussagen unabhängiger Beobachter stark in Frage gestellt wurde, da einige der grundlegenden Voraussetzungen der Abhaltung von Wahlen, wie eine öffentliche Diskussion, eine freie Presse und gleiche Bedingungen für alle politischen Kräfte im Lande, nicht gewährleistet waren und darüber hinaus schwerwiegende Behinderungen bei der Nominierung von Kandidaten und der Registrierung von Parteien sowie das Fehlen gleicher Möglichkeiten zur Durchführung des Wahlkampfs zu verzeichnen waren;

C. in der Erwägung, dass die Moskauer Staatsanwaltschaft am 1. Dezember 2011 gegen die Vereinigung Golos, die erfahrenste Wahlbeobachtungsgruppe Russlands, ein Verwaltungsverfahren eröffnet und eine Strafe verhängt hat, weil die Organisation durch die Einrichtung einer Website zur Registrierung von Betrug und Unregelmäßigkeiten bei den Wahlen gegen das Wahlrecht verstoßen habe;

D. in der Erwägung, dass sich laut OSZE/BDIMR am Wahltag die Qualität des Prozesses während der Auszählung, die durch häufige Verfahrensfehler und offensichtliche Manipulation, einschließlich einiger schwerwiegender Hinweise auf mit gefälschten Wahlzetteln gefüllte Wahlurnen, gekennzeichnet war, erheblich verschlechtert habe;

E.  in Kenntnis des Schlussberichts der Wahlbeobachtungsmission von OSZE/BDIMR, in dem darauf hingewiesen wird, dass „der Wahlkampf .... massiv zugunsten der Regierungspartei beeinflusst“ wurde, „die Wahlleitung ... nicht unabhängig“ war, „fast alle Medien ... parteiisch“ waren, „und außerdem [auf] die Einflussnahme des Staates in allen Phasen der Wahl“, weswegen nicht die notwendigen Bedingungen für einen fairen Wahlkampf erfüllt gewesen seien;

F.  in Kenntnis des Schlussberichts der inländischen Wahlbeobachtungsorganisation GOLOS, in dem es heißt, dass die Wahl „weder frei noch fair verlaufen [sei] und weder der russischen Wahlgesetzgebung noch internationalen Wahlstandards entsprochen“ habe und dass „grundlegende Wahlprinzipien – Wettbewerb von gleichberechtigten Konkurrenten, Neutralität der Behörden, Unabhängigkeit der Wahlkommissionen, eine in Übereinstimmung mit den Gesetzen durchgeführte Abstimmung, eine korrekte Auszählung der Stimmen – verletzt“ worden seien;

G. in der Erwägung, dass die Polizei Hunderte Aktivisten der Opposition, die versuchten, am 4. Dezember und an den darauffolgenden Tagen in Moskau, St. Petersburg und in anderen russischen Städten Protestdemonstrationen gegen die Art der Abhaltung der Wahlen zu organisieren, ohne rechtliche Handhabe verhaftet hat;

H. in der Erwägung, dass am 10. Dezember 2011 auf dem Bolotnaja-Platz in Moskau 50 000 Menschen die Annullierung der Wahlergebnisse vom 4. Dezember 2011, die Abhaltung von Neuwahlen, den Rücktritt des Vorsitzenden der Wahlkommission, eine Untersuchung der Vorwürfe der Wahlmanipulation und die sofortige Freilassung der verhafteten Demonstranten gefordert haben;

I.   in der Erwägung, dass Präsident Medwedew in einer Rede vor der Duma am 22. Dezember einige Änderungen am politischen System angekündigt hat, zu denen die Einrichtung eines neuen unabhängigen öffentlich-rechtlichen Fernsehens, vereinfachte Verfahren für Parteien und Präsidentschaftskandidaten, die Rückkehr zur direkten Wahl regionaler Gouverneure und eine Untersuchung von Wahlbetrug gehörten;

J.   in der Erwägung, dass etwa 80 000 Russen am 28. Dezember 2011 in Moskau auf die Straße gegangen sind und sich auf dem Sacharow-Prospekt versammelt haben und forderten, dass Ministerpräsident Putin zurücktritt und die Parlamentswahlen vom 4. Dezember in fairer Weise wiederholt werden;

K. in der Erwägung, dass hochrangige Persönlichkeiten die russischen Behörden nachdrücklich aufgefordert haben, einen versöhnlichen Kurs einzuschlagen, und angeboten haben, zwischen den Vertretern der Demonstranten und der Regierung zu vermitteln;

L.  in der Erwägung, dass eine Gruppe von 16 russischen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und Aktivisten die Liga der Wähler gegründet haben, eine Organisation, die das Ziel verfolgt, Wahlfälschungen zu verhindern und allgemein die Beteiligung der Öffentlichkeit an der Politik zu fördern;

M. in der Erwägung, dass sich am 4. Februar Zehntausende von Menschen einem Marsch angeschlossen haben und ehrliche Wahlen forderten, während in anderen Teilen der Hauptstadt Tausende zu Gunsten von Wladimir Putin demonstrierten;

N. in der Erwägung, dass die EU und Russland im Juni 2010 eine gemeinsame Erklärung über die Prioritäten der neuen Partnerschaft für Modernisierung verabschiedet haben, mit deren Hilfe die Volkswirtschaften und Gesellschaften beider Seiten modernisiert werden sollen, und in der Erwägung, dass den Teilen des Arbeitsplans, die konkrete Vorschläge und Projekte für Zusammenarbeit und Unterstützung im Bereich der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit beinhalten, kaum konkrete Schritte gefolgt sind;

O. in der Erwägung, dass die freie Meinungsäußerung sowie die Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit in Russland immer noch bedroht sind und die Initiativen und Aktivitäten von Menschenrechtsverfechtern, unabhängigen Organisationen der Zivilgesellschaft, Oppositionellen, unabhängigen Medien und gewöhnlichen Bürgern häufig Einschränkungen unterworfen sind bzw. behindert werden, was besonders im nördlichen Kaukasus und in anderen Teilen der Russischen Föderation Anlass zur Sorge gibt;

P.  in der Erwägung, dass sich die Russische Föderation als Mitglied der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa und des Europarates verpflichtet hat, die demokratischen Grundsätze und die Menschenrechte, insbesondere im Hinblick auf die Meinungs- und die Versammlungsfreiheit, zu achten;

Q. in der Erwägung, dass Russland zweimal den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen daran gehindert hat, eine Resolution zur Krise in Syrien zu verabschieden, in der eine Unterstützung des Plans der Arabischen Liga gefordert wurde, der auch von der EU unterstützt wird;

1.  betont, dass die Glaubwürdigkeit der Russischen Föderation auf internationaler Ebene und die Legitimität ihrer Behörden sowohl innerhalb als auch außerhalb Russlands von freien und fairen Wahlprozessen, konsolidierten demokratischen Institutionen und der Achtung der Rechtsstaatlichkeit abhängen;

2.  verurteilt die Übergriffe der Polizei gegenüber friedlichen Demonstranten, die gegen Unregelmäßigkeiten bei den Wahlen und gegen Wahlbetrug protestierten, über die von internationalen Beobachtern berichtet wurde und die durch Videoaufnahmen von Bürgern belegt sind; fordert die russischen Behörden auf, die Versammlungsfreiheit und die Meinungsfreiheit im Einklang mit der Verfassung der Russischen Föderation in vollem Umfang zu achten;

3.  bedauert, dass fast 3 000 Beschwerden gegen Fälle von Gesetzesübertretung, Betrug und Verstößen bei den Wahlen in einzelnen Wahlkreisen von den entsprechenden Gerichten zurückgewiesen wurden und einige noch anhängig sind;

4.  fordert die russischen Behörden auf, sich umfassend mit allen Schwächen und Mängeln zu befassen, die sowohl von der Wahlbeobachtungsmission von OSZE/BDIMR als auch von der unabhängigen Organisation Golos beanstandet worden sind, und ihre Empfehlungen rasch umzusetzen, um den Weg für echte freie und faire Präsidentschaftswahlen freizumachen; fordert insbesondere eine wirksame, genaue, unparteiische und verlässliche Beobachtung der Wahlen im Einklang mit den Standards von OSZE/BDIMR und Europarat;

5.  bekräftigt in diesem Zusammenhang seine Forderung nach Annullierung der Duma-Wahl vom 4. Dezember und Durchführung neuer freier und fairer Wahlen auf der Grundlage der Wahlstandards, wie sie von der OSZE festgelegt wurden, und nach grundlegenden Änderungen des Wahlgesetzes, damit sich alle Oppositionsparteien registrieren lassen und beteiligen können;

6.  fordert darüber hinaus eine Überprüfung der Zusammensetzung und der Tätigkeiten des Parlamentarischen Kooperationsausschusses EU-Russland;

7.  fordert die Behörden nachdrücklich auf, alle Versuche einzustellen, Lehrer und Beschäftigte von Staatsbetrieben zu zwingen, an Demonstrationen für Putin teilzunehmen, und Schüler von Protesten der Opposition fernzuhalten, und fordert sie auf, dem Missbrauch administrativer Ressourcen für politische Zwecke ein Ende zu setzen;

8.  bedauert die Entscheidung der zentralen Wahlkommission, den Führer der Partei Jabloko, Grigori Jawlinski, von der Bewerbung um das Präsidentenamt auszuschließen, wodurch seine Partei daran gehindert wird, Beobachter zu stellen;

9.  vertritt die Ansicht, dass die Partnerschaft für Modernisierung nicht auf wirtschaftliche Zusammenarbeit und technologische Innovationen beschränkt sein darf, sondern mit einem ehrgeizigen Prozess innenpolitischer Reformen einhergehen muss, die sich auch auf die Konsolidierung der demokratischen Institutionen und eines verlässlichen Rechtssystems, die Achtung der Rechtsstaatlichkeit und die ungehinderte Entwicklung einer wirklichen Zivilgesellschaft erstrecken; fordert die Kommission und die russische Regierung in diesem Zusammenhang auf festzustellen, welche Schritte unternommen werden müssen, damit diese Ziele erreicht werden;

10. begrüßt die Konsolidierung einer echten Zivilgesellschaft in Russland; weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass das Forum der Zivilgesellschaft EU-Russland eine Schlüsselrolle dabei spielen könnte, der Partnerschaft für Modernisierung in den Bereichen Menschenrechte und bürgerliche Rechte, Korruptionsbekämpfung und Rechtsstaatlichkeit neue Impulse zu geben;

11. bedauert zutiefst die weitere Verschlechterung der Menschenrechtslage in Russland und die Tatsache, dass in Bezug auf die Modalitäten der Konsultationen zwischen der Europäischen Union und Russland über Menschenrechtsthemen keine Fortschritte zu verzeichnen sind; ist beunruhigt über diesen Dialog, der inzwischen kein Mittel zur Erreichung messbarer und konkreter Ziele mehr darstellt, sondern eher die Form eines Verfahrens angenommen hat; besteht erneut darauf, dass es notwendig ist, öffentlich zugängliche Maßstäbe für den Fortschritt in diese Konsultationen über Menschenrechtsthemen einzubeziehen, um die Modalitäten des Dialogs zu verbessern, wozu beispielsweise alternierende Veranstaltungsorte, die Interaktion zwischen den russischen nichtstaatlichen Organisationen und den russischen Staatsorganen anlässlich dieses Verfahrens, die Zusammensetzung der russischen Delegation und die Veröffentlichung von Bewertungen des Fortschritts anlässlich der EU-Russland-Gipfel und nach Sitzungen des Partnerschaftsrates gehören;

12. fordert die russischen Behörden auf, alle politischen Gefangenen freizulassen, die auf einer Liste von 39 Häftlingen, zu denen u. a. Michail Chodorkowski und Platon Lebedew gehören, stehen, die durch die Liga der Wähler und andere NRO öffentlich gemacht wurde;

13. äußert seine tiefe Sorge über den Missbrauch der Rechtsvorschriften zur Bekämpfung des Extremismus, der dazu geführt hat, dass Strafgesetze rechtsmissbräuchlich gegen Organisationen der Zivilgesellschaft, wie Memorial, und religiöse Minderheiten, wie die Zeugen Jehovas und Falun Dafa, eingesetzt wurden und ihre Materialien wegen des Vorwurfs des Extremismus in unzulässiger Weise verboten wurden;

14. verurteilt scharf die Annahme eines Gesetzes gegen die „Propagierung von Sodomie, Lesbianismus, Bisexualismus, Transgenderismus und Pädophilie gegenüber Minderjährigen“ durch das Parlament von St. Petersburg; verurteilt genauso ähnliche Gesetze, die in den Regionen Rjasan, Archangelsk und Kostroma angenommen wurden; fordert die russischen Behörden auf, damit aufzuhören, die Freiheit der Meinungsäußerung in Bezug auf sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität zu beschränken, und die Europäische Menschenrechtskonvention und den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte einzuhalten; fordert die Hohen Vertreterin/Vizepräsidentin der Kommission auf kundzutun, dass die Europäische Union gegen diese Gesetze ist;

15. bedauert zutiefst die Entscheidung Russlands, zusammen mit China im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ein Veto gegen einen Resolutionsentwurf einzulegen, der von allen übrigen 13 Mitgliedern des Sicherheitsrates getragen wurde und durch den die Forderung der Arabischen Liga nach einem politischen Übergang zu einem demokratischen und pluralistischen politischen System unter syrischer Führung unterstützt und die gewaltsame Niederschlagung oppositioneller Kräfte verurteilt werden sollte, und fordert Russland auf, unverzüglich sämtliche Verkäufe von Waffen und Verteidigungsgütern an das syrische Regime einzustellen;

16. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung der Vizepräsidentin der Kommission/Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, der Kommission, den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten, der OSZE, dem Europarat sowie dem Präsidenten, der Regierung und dem Parlament der Russischen Föderation zu übermitteln.