BERICHT über die Verwendung der finanziellen Ressourcen für die Stilllegung
von Leistungsreaktoren
29.9.2005 - (2005/2027(INI))
Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie
Berichterstatterin: Rebecca Harms
ENTWURF EINER ENTSCHLIESSUNG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS
zur Verwendung der finanziellen Ressourcen für die Stilllegung von Leistungsreaktoren
Das Europäische Parlament,
– in Kenntnis der Mitteilung der Kommission zu dem Thema „Verwendung der finanziellen Ressourcen für die Stilllegung von Leistungsreaktoren“ (KOM(2004)0719),
– unter Hinweis auf seinen Standpunkt in erster Lesung vom 13. März 2002 im Hinblick auf den Erlass der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinien 96/92/EG und 98/30/EG über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und den Erdgasbinnenmarkt[1],
– unter Hinweis auf seinen Standpunkt in zweiter Lesung vom 4. Juni 2003 im Hinblick auf den Erlass der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 96/92/EG[2],
– unter Hinweis auf die Richtlinie 2003/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 96/92/EG[3] sowie auf die damit verbundene Interinstitutionelle Erklärung des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission und die Erklärung der Kommission vom 15. Juli 2003 zu Stilllegungen und Abfallbewirtschaftungsmaßnahmen,
– unter Hinweis auf die Richtlinie 96/29/Euratom vom 13. Mai 1996 zur Festlegung der grundlegenden Sicherheitsnormen für den Schutz der Gesundheit der Arbeitskräfte und der Bevölkerung gegen die Gefahren durch ionisierende Strahlungen[4],
– in Kenntnis der Vorschläge der Kommission für eine Richtlinie (Euratom) des Rates zur Festlegung grundlegender Verpflichtungen und allgemeiner Grundsätze im Bereich der Sicherheit kerntechnischer Anlagen (2003/0021(CNS)) und für eine Richtlinie (Euratom) des Rates über die Entsorgung abgebrannter Brennelemente und radioaktiver Abfälle (2003/0022(CNS)) (KOM(2003)0032),
– in Kenntnis der Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament zu dem Thema „Nukleare Sicherheit im Rahmen der europäischen Union“ (KOM(2002)0605),
– in Kenntnis des Berichts des französischen Rechnungshofs vom 27. Januar 2005 über die Verpflichtungen für Stilllegungen und insbesondere unter Hinweis darauf, dass die Verwendung von Mitteln, die für künftige Stilllegungen bestimmt sind, für andere Zwecke zu Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Erzeugern in der Gemeinschaft führen könnte,
– in Kenntnis der Entscheidung der Kommission C/2004/3474 vom 22. September 2004 über die staatlichen Beihilfen, die das Vereinigte Königreich für die Umstrukturierung des britischen Kernkraftunternehmens „British Energy Group plc“ zur Verfügung stellen will,
– gestützt auf Artikel 45 seiner Geschäftsordnung,
– in Kenntnis des Berichts des Ausschusses für Industrie, Forschung und Energie (A6‑0279/2005),
Stellenwert der Stilllegung von Leistungsreaktoren
1. ist sich der Bedeutung einer ordnungsgemäßen Stilllegung von Leistungsreaktoren nach ihrer endgültigen Abschaltung für die Sicherheit von Mensch und Umwelt bewusst;
2. weist darauf hin, dass das Aktivitätsinventar durch den Abtransport der Kernbrennstoffe nach der Abschaltung eines Leistungsreaktors drastisch reduziert wird; weist ferner darauf hin, dass das verbleibende Restinventar dennoch ein sehr hohes Sicherheitsniveau erfordert, das den Anforderungen der Richtlinie 96/29/Euratom zur Festlegung der grundlegenden Sicherheitsnormen für den Schutz der Gesundheit der Arbeitskräfte und der Bevölkerung gegen die Gefahren durch ionisierende Strahlungen entspricht;
3. stellt fest, dass die Stilllegung von Leistungsreaktoren in einigen Fällen auf Grund nicht vorhandener Mittel zur Finanzierung von Stilllegungsmaßnahmen hinausgezögert werden könnte und dass daher ausreichende Mittel bereitzustellen sind;
4. begrüßt die Absicht der Kommission, dem Europäischen Parlament jährlich einen Bericht über die Verwendung der finanziellen Ressourcen für die Stilllegung von Leistungsreaktoren vorzulegen;
Für die Stilllegung bestimmte Finanzmittel
5. hält es für notwendig, dafür zu sorgen, dass alle kerntechnischen Unternehmen in allen Mitgliedstaaten fristgerecht über ausreichende Finanzmittel zur Deckung der Kosten für die Stilllegung einschließlich der Abfallentsorgung verfügen;
6. fordert die Kommission auf, unter gebührender Beachtung des Subsidiaritätsprinzips präzise Definitionen für die Verwendung der Finanzmittel der einzelnen Mitgliedstaaten zu entwickeln und dabei die Stilllegung sowie den Umgang, die Konditionierung und die Endlagerung der dabei anfallenden radioaktiven Abfälle zu berücksichtigen;
7. stellt fest, dass die Art der Verwaltung der für die Stilllegung bestimmten Finanzmittel in den Mitgliedstaaten unterschiedlich ist, und fordert eine solide Verwaltung dieser Finanzmittel;
8. fordert, dass diese Finanzmittel für ordnungsgemäße Investitionen verwendet werden, die voll und ganz dem EU-Wettbewerbsrecht entsprechen, um Wettbewerbsverzerrungen vorzubeugen;
9. hält absolute Transparenz bei der Verwaltung und Verwendung der Finanzmittel und die Sicherstellung eines externen Audits für erforderlich;
Sicherheits- und Umweltschutzaspekte
10. nimmt die Mitteilung der Kommission (KOM(2004)0719) zum Anlass, auf sicherheitstechnische Aspekte bei der Stilllegung von Leistungsreaktoren hinzuweisen;
11. weist darauf hin, dass die einzelnen Schritte zur Stilllegung von Leistungsreaktoren der Sicherheit von Mensch und Umwelt Rechnung tragen müssen, wobei die vorhandenen Erfahrungen weitestgehend zu nutzen sind;
12. weist darauf hin, dass es die Strategien der unmittelbaren Stilllegung und der gestaffelten Stilllegung gibt, deren jeweilige Vor- und Nachteile standort- und reaktorspezifisch gegeneinander abgewogen werden müssen;
13. ist der Auffassung, dass bei der Entscheidung über die Stilllegungsstrategie die sicherheitstechnischen Aspekte im Hinblick auf den Schutz von Mensch und Umwelt im Vordergrund stehen müssen;
14. stellt fest, dass der Abbau oder die Stilllegung eines Leistungsreaktors in den Geltungsbereich der atomrechtlichen Vorschriften gemäß der Richtlinie 97/11/EG des Rates vom 3. März 1997 zur Änderung der Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten fällt;
15. fordert, dass in allen Mitgliedstaaten die Praxis überprüft wird, bei der Stilllegung besonders große Mengen von gering radioaktiven Stoffen aus dem atom- bzw. strahlenschutzrechtlichen Bereich freizusetzen;
Wirtschaftliche Aspekte
16. hält Ausnahmen aus sicherheitstechnischen Erwägungen, beispielsweise in den neuen Mitgliedstaaten, für zulässig;
17. bezweifelt, dass die bislang getätigten Rückstellungen und die entsprechenden Finanzmittel wirklich dem tatsächlichen Bedarf in einer Reihe von Mitgliedstaaten entsprechen;
18. begrüßt es, dass die die Europäische Union bestimmte Stilllegungsprojekte in den neuen Mitgliedstaaten unter gewissen Bedingungen finanziell unterstützt;
19. pflichtet der Kommission bei, dass die Stilllegungskosten für Leistungsreaktoren ebenso wie andere externe Kosten und Subventionen in andere Formen der Elektrizitätserzeugung bei der Bewertung der Wirtschaftlichkeit von Kraftwerken berücksichtigt werden müssen, um Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden;
20. stellt fest, dass der Betreiber eines Leistungsreaktors für die Versicherungsdeckung für seine zivilrechtliche Haftung während des gesamten Stilllegungszeitraums für den Fall von unvorhergesehenen Ereignissen oder Störfällen im Einklang mit den internationalen Haftungsübereinkommen verantwortlich ist;
21. stellt fest, dass das Pariser Übereinkommen vom 29. Juli 1960 und das Brüsseler Zusatzübereinkommen vom 31. Januar 1963 weiterhin gelten und nicht einseitig von der EU aufgekündigt werden können; stellt ferner fest, dass das Europäische Parlament in seiner legislativen Entschließung vom 26. Februar 2004 dem Vorschlag für eine Entscheidung des Rates seine Zustimmung erteilt hat, wonach die Mitgliedstaaten, die Vertragsparteien des Pariser Übereinkommens vom 29. Juli 1960 über die Haftung gegenüber Dritten auf dem Gebiet der Kernenergie sind, ermächtigt werden, das Änderungsprotokoll zu diesem Übereinkommen im Interesse der Gemeinschaft zu ratifizieren bzw. diesem beizutreten;
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22. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat und der Kommission zu übermitteln.
BEGRÜNDUNG
Vorbemerkung
Von den 149 im Juni 2005 in der EU in Betrieb befindlichen Leistungsreaktoren werden laut EU-Kommission in den nächsten 20 Jahren ca. 50 bis 60 Reaktoren stillgelegt[1]1. Das Durchschnittsalter der in Betrieb befindlichen Reaktoren beträgt über 20, oft über 25 Jahre.
Die Lebensdauer (Betriebszeit) eines Atomkraftwerkes ist wie bei anderen technischen Anlagen begrenzt. Insbesondere die Veränderungen der Werkstoffeigenschaften des Reaktordruckbehälters und der Komponenten des Primärkühlkreislaufes durch Neutronenstrahlung, Wärme, mechanische Beanspruchung und Korrosion erfordern nach einer gewissen Betriebszeit die endgültige Abschaltung eines Leistungsreaktors. Außerdem können Störfälle oder Erkenntnisse, nach denen das aktuelle Sicherheitsniveau für einen Betrieb nicht mehr als ausreichend anzusehen ist, zur Stilllegung führen.
Stilllegung und Gefahrenpotenzial
Auch nach der Abschaltung eines Leistungsreaktors und dem Abtransport des Kernbrennstoffs ist die Anlage weiter als kerntechnische Anlage zu betrachten, da auch das verbliebene Restaktivitätsinventar von 1017 Bq eine Gefahr für Mensch und Umwelt darstellt. Dementsprechend sind auch während der Stilllegung hohe Sicherheitsanforderungen zu erfüllen.
Unterbleiben Stilllegungsmaßnahmen nach dem Abschalten von Leistungsreaktoren, können weitreichende Umweltfolgen und Belastungen der anwohnenden Menschen auftreten. Diese Gefahr besteht wegen nicht vorhandener finanzieller Mittel insbesondere in den neuen EU-Mitgliedstaaten.
Gefahren entstehen nach Abschaltung der Reaktoren durch die Instabilität bzw. Durchlässigkeit der Gebäudestrukturen: Durch Gebäudeöffnungen können radioaktive Stoffe freigesetzt werden, durch Risse im Boden kontaminierte Flüssigkeiten versickern und damit möglicherweise das Trinkwassers am Standort verseuchen. Langfristig können schon ungewöhnliche Witterungslagen zum Problem werden. Durch unterbleibende Dekontaminationsmaßnahmen wird die Gefahr für die Umgebung erhöht.
Auf Grund der beispielhaft genannten Gefahren sind nach der Abschaltung eines Leistungsreaktors unbedingt Stilllegungsmaßnahmen einzuleiten.
Bei der Stilllegung fallen große Mengen radioaktiver Abfälle an. Zur Verringerung der Mengen besteht nach der Richtlinie 96/29/Euratom für Stoffe mit geringer Aktivität die Möglichkeit der Freigabe aus dem Atom- bzw. Strahlenschutzrecht zum Umgang im konventionellen Bereich. Diese Möglichkeit wird in vielen Mitgliedstaaten genutzt. In Frankreich ist für diese Stoffe dagegen ein eigenes Entsorgungskonzept mit einem bezüglich sicherheitstechnischer Anforderungen entsprechend angepassten Endlager entwickelt worden. Diese zu bevorzugende Vorgehensweise vermeidet die bei der Freigabe teilweise erfolgende unkontrollierte Ausbreitung von Radionukliden bzw. ihre nicht auszuschließende Akkumulation im konventionellen Bereich.
Stilllegungsmaßnahmen und -strategie
Die Stilllegung von Leistungsreaktoren von der Abschaltung bis zur „grünen Wiese“ beinhaltet eine Vielzahl unterschiedlicher Tätigkeiten. Es sind hierfür sicherheitstechnisch wichtige Entscheidungen zu treffen. Dies sollte im Rahmen eines eigenständigen, alle Aspekte der Stilllegung umfassenden Verfahrens geschehen, in dessen Rahmen die EU-Richtlinie zur Umweltverträglichkeitsprüfung konsequent angewendet wird. Die EU-Kommission sollte prüfen, ob dies in allen Mitgliedstaaten der Fall ist.
Zwei Strategien zur Stilllegung sind möglich:
Die Maßnahmen bei der „unmittelbaren Stilllegung“ erfolgen Schritt auf Schritt ohne konzeptbedingte Verzögerung. Wegen des nach wie vor hohen Gefahrenpotenzials, der Komplexität der Anlage und der notwendigen Sorgfalt beim Abbau und Zerlegen von Systemen und Komponenten sowie beim Abriss von Gebäudestrukturen werden mehr als 10 Jahre dafür benötigt.
Die „gestaffelte Stilllegung“ beinhaltet eine Phase der Unterbrechung (international zwischen 30 und 100 Jahren), den das Reaktorgebäude sowie eventuell einige angrenzende Gebäudeteile betreffende „Konservierungsbetrieb“. In dieser Phase wird die Funktion notwendiger Systeme (Belüftung, Beleuchtung, Radioaktivitätsmessung) sichergestellt. Alle anderen Rohr- bzw. elektrischen Leitungen werden an diesen räumlichen Grenzen unterbrochen und abgedichtet, und alle Öffnungen mit Ausnahme eines Zugangs werden fest verschlossen. Damit entsteht (sofern die Gebäudestruktur dafür geeignet ist) ein überwachter, dicht verschlossener Bereich, aus dem praktisch keine radioaktiven Stoffe entweichen sollen.
Die Wahl der Stilllegungsstrategie sollte nicht formalistisch vorgegeben sein oder überwiegend unter Berücksichtigung ökonomischer Aspekte bestimmt werden. Im Mittelpunkt der Entscheidung über die Stilllegungsstrategie müssen die Auswirkungen auf Mensch und Umwelt stehen. Vor allem gilt es, negative Folgen durch verzögerte oder unzureichende Maßnahmen zur Stilllegung zu verhindern. Beide Stilllegungsstrategien besitzen Vorteile, die meist Nachteile der jeweils anderen Strategie sind. Die Festlegung der Stilllegungsstrategie sollte im Einzelfall und für Bevölkerung und EU-Kommission transparent und nachvollziehbar erfolgen.
In diesem Zusammenhang ist es sinnvoll, wenn die Kommission zur Berücksichtigung sicherheitstechnischer Aspekte zum Schutz von Mensch und Umwelt bei der Festlegung der Stilllegungsstrategie einen Kriterienkatalog vorgibt. U. a. sollten dabei folgende Kriterien berücksichtigt werden:
· Zustand von Gebäudestrukturen
· Hydrologische Standortbedingungen
· Oberflächen- und Grundwasserqualität am Standort
· Wechselwirkungen mit anderen Anlagen
· Endlagerverfügbarkeit
· Störfallsicherheit
· Reaktortyp
· Höhe der Restaktivität
· Strahlenbelastungen von Personal und Bevölkerung
· anfallende Abfallmengen
· Abbau-Technologien
· Personalfragen
· Nachnutzung des Geländes
· Ökonomische Aspekte
Mit einem solchen Katalog könnte die EU die Erreichung wichtiger sicherheitsgerichteter Ziele des Euratom-Vertrages und EU-einheitliche Standards fördern, ohne unzulässig in die nationalen Kompetenzen einzugreifen.
Die Strategie der „gestaffelten Stilllegung“ nimmt einen deutlich längeren Zeitraum in Anspruch. Zu gewährleisten ist dabei: Begrenzung des Zeitraumes, regelmäßige sicherheitstechnische Kontrolle des „Konservierungsbetriebes“, regelmäßige Berichterstattung an die EU-Kommission. Ferner muss Vorsoge getroffen werden, dass im Fall von unvorhergesehenen Ereignissen oder gar Störfällen während der Stilllegung eine zivilrechtliche Haftung des ehemaligen Betreibers des Leistungsreaktors und nicht etwa der Gesellschaft gegeben ist.
Finanzierung der Stilllegung
Nach Angaben der Kommission betragen die Kosten für die Stilllegung eines Leistungsreaktors zwischen 200 Million und 1 Milliarde EUR[2]2. Für die ökonomische Betrachtung der Nutzung der Atomenergie zur Elektrizitäts- und Wärmeproduktion sind diese Kosten in vollem Umfang zu berücksichtigen.
Zur Sicherstellung der Finanzierung der Stilllegung fordert die Kommission Fonds, in die Betreiber von Leistungsreaktoren während der gesamten Laufzeit regelmäßig einzahlen sollen. Die Verfügbarkeit und Angemessenheit der Mittel für die Stilllegung sowie für die Entsorgung der radioaktiven Abfälle muss gewährleistet sein. Das Bestehen dieser Ressourcen soll über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten gesichert sein. „Hierbei ist die Einrichtung externer, von den Betreibern getrennter und für die Stilllegung ihrer Anlagen reservierter Stilllegungsfonds die beste Option, um das angestrebte Ziel zu erreichen, nämlich die Stilllegung unter Einhaltung aller nötigen Sicherheitsvorkehrungen“[3]3.
Spätestens seit der Liberalisierung des Energiebinnenmarktes in Europa und im Rahmen der integrierten Produktverantwortung obliegt es grundsätzlich den Verursachern, d.h. den Betreibern der Atomkraftwerke, den gesicherten Zugriff auf ausreichende Mittel zur Stilllegung nachweisen zu können. Dieser Zugriff ist vom jeweiligen Mitgliedstaat rechtlich so zu regeln, dass ausreichende Mittel zur Verfügung stehen, aber keine Wettbewerbsverzerrungen auf dem liberalisierten Energiemarkt entstehen können. Die Realität sieht aber auch nach Auffassung der Kommission anders aus.
Z. B. in der Bundesrepublik Deutschland beläuft sich die Höhe der Rückstellungen auf mehr als 30 Milliarden Euro. Diese Mittel wurden von den Atomenergie nutzenden Energieversorgungsunternehmen für Zukäufe von anderen Energieunternehmen oder auch Unternehmen anderer Wirtschaftssparten genutzt. Damit ergeben sich drastische ökonomische Vorteile sowohl gegenüber Mitbewerbern, die ebenfalls Leistungsreaktoren besitzen, aber keinen Zugriff auf Rückstellungen haben, als auch gegenüber Mitbewerbern, die Energieträger einsetzen, für die Rückstellungen zur Beseitigung der Anlagen gar nicht oder nur in deutlich geringerem Umfang erforderlich sind. Diese ökonomischen Vorteile müssen zukünftig vermieden werden, um aus globalen Umweltgesichtspunkten insbesondere eine Benachteiligung für alle erneuerbaren Energien und Effizienzinvestitionen zu verhindern.
In anderen Mitgliedstaaten sind diese Fonds nicht ausreichend bestückt und es wird schon jetzt deutlich, dass auf den Steuerzahler erhebliche Nachforderungen zukommen werden. Dies betrifft die neuen Mitgliedstaaten, aber z.B. auch Frankreich, das einen hohen Anteil von Atomstrom an der Elektrizitätsversorgung und ein dominierendes staatliches Unternehmen hat. Die in den Fonds eingezahlten Gelder werden auch von EDF für den Ankauf weiterer Unternehmen und Beteiligungen genutzt. Der französische Rechnungshof bemängelt ausdrücklich, dass die Stilllegungsverpflichtungen unklar seien, dass die Laufzeiten willkürlich verändert werden können, dass die Rechnungslegung intransparent sei und dass sich aus all dem unübersehbare staatliche Verpflichtungen ergeben könnten. Er führt unter dem Stichpunkt über die angemessenen finanziellen Ressourcen insbesondere aus, dass in einem Strommarkt, der sich Tag für Tag weiter dem Wettbewerb öffnet, die Nutzung von Rückstellungen für den späteren Abbau zu anderen Zwecken Wettbewerbsverzerrungen zwischen Produzenten innerhalb der Gemeinschaft hervorrufen können[4]4.
Die Sicherheit einer ausreichenden Verfügbarkeit finanzieller Mittel für die Stilllegung muss im Interesse des Umwelt- und Vorsorgeprinzips des EG-Vertrages sowie im Interesse eines liberalisierten Energiemarktes durch ein EU-weit einheitliches, jedoch für jeden Mitgliedstaat autonomes Fondssystem gesichert werden. Die Struktur und das Finanzvolumen des Fonds müssen die sicherheitstechnischen Aspekte in überragender Weise berücksichtigen, um mögliche Folgen für Mensch und Umwelt nachhaltig zu verhindern.
Die von der Kommission zu erarbeitende Richtlinie sollte u.a. folgende Aspekte berücksichtigen:
· Beginn und Zeitraum der Einzahlungen sowie Höhe der im Fonds mindestens zu akkumulierenden Mittel
· Art der Berechnung der Stilllegungskosten
· dauerhafte Trennung der Fonds von Budget und Verfügbarkeit des jeweiligen Unternehmens und ihre Einrichtung bei einer Bank oder einer anderen, öffentlichen oder öffentlich kontrollierten Institution
· sanktioniertes Verbot bei Zuwiderhandlung in Bezug auf strikte Trennung sowie staatliche Kontrolle von Quersubventionen und Fehlnutzung
· Verwendungszweck der Fondsmittel (Berücksichtigung der Entsorgungs- einschl. Endlagerkosten)
· Verbot der vorübergehenden Entnahme von Fondsmittel für nicht anlagenbezogene Investitionen
- [1] 1 KOM(2004)0719.
- [2] 2 KOM(2002)0605.
- [3] 3 (2003/0021(CNS)), (2003/0022(CNS)) und KOM(2003)0032.
- [4] 4 Cour de Comptes (Rechnungshof): „Der Abbau von nuklearen Installationen und die Behandlung radioaktiver Abfälle“, 26. Januar 2005, http://www.ladocumentationfrancaise.fr/brp/notices/054000069.shtml.
VERFAHREN
Titel |
Verwendung der finanziellen Ressourcen für die Stilllegung von Leistungsreaktoren | ||||||||||||
Verfahrensnummer |
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Grundlage in der Geschäftsordnung |
Art. 45 | ||||||||||||
Federführender Ausschuss |
ITRE | ||||||||||||
Mitberatende Ausschüsse |
CONT |
ENVI |
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Nicht abgegebene Stellungnahmen |
16.3.2005 |
14.3.2005 |
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Verstärkte Zusammenarbeit |
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In den Bericht aufgenommene(r) Entschließungsantrag / -anträge |
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Berichterstatterin |
Rebecca Harms |
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Ersetzte(r) Berichterstatter(in) |
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Prüfung im Ausschuss |
20.6.2005 |
13.7.2005 |
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Datum der Annahme |
26.9.2005 | ||||||||||||
Ergebnis der Schlussabstimmung |
Ja-Stimmen: Nein-Stimmen: Enthaltungen: |
35 1 4 | |||||||||||
Zum Zeitpunkt der Schlussabstimmung anwesende Mitglieder |
Ivo Belet, Šarūnas Birutis, Jan Březina, Renato Brunetta, Jerzy Buzek, Joan Calabuig Rull, Pilar del Castillo Vera, Jorgo Chatzimarkakis, Giles Chichester, Den Dover, Adam Gierek, András Gyürk, Fiona Hall, David Hammerstein Mintz, Rebecca Harms, Ján Hudacký, Romana Jordan Cizelj, Werner Langen, Anne Laperrouze, Nils Lundgren, Angelika Niebler, Reino Paasilinna, Herbert Reul, Teresa Riera Madurell, Mechtild Rothe, Paul Rübig, Andres Tarand, Britta Thomsen, Patrizia Toia, Catherine Trautmann, Claude Turmes, Nikolaos Vakalis, Dominique Vlasto | ||||||||||||
Zum Zeitpunkt der Schlussabstimmung anwesende Stellvertreter(innen) |
Malcolm Harbour, Edit Herczog, Lambert van Nistelrooij, Francisca Pleguezuelos Aguilar, Vittorio Prodi, Esko Seppänen | ||||||||||||
Zum Zeitpunkt der Schlussabstimmung anwesende Stellv. (Art. 178 Abs. 2) |
Ulrich Stockmann | ||||||||||||
Datum der Einreichung – A6 |
29.9.2005 |
A6‑0279/2005 | |||||||||||