BERICHT über den Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 77/388/EWG hinsichtlich bestimmter Maßnahmen zur Vereinfachung der Erhebung der Mehrwertsteuer, zur Unterstützung der Bekämpfung der Steuerhinterziehung und -umgehung und zur Aufhebung bestimmter Entscheidungen über die Genehmigung von Ausnahmeregelungen

9.6.2006 - (KOM(2005)0089 – C6‑0100/2005 – 2005/0019(CNS)) - *

Ausschuss für Wirtschaft und Währung
Berichterstatter: Christoph Konrad

Verfahren : 2005/0019(CNS)
Werdegang im Plenum
Entwicklungsstadium in Bezug auf das Dokument :  
A6-0209/2006
Eingereichte Texte :
A6-0209/2006
Aussprachen :
Angenommene Texte :

ENTWURF EINER LEGISLATIVEN ENTSCHLIESSUNG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS

zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 77/388/EWG hinsichtlich bestimmter Maßnahmen zur Vereinfachung der Erhebung der Mehrwertsteuer, zur Unterstützung der Bekämpfung der Steuerhinterziehung und ‑umgehung und zur Aufhebung bestimmter Entscheidungen über die Genehmigung von Ausnahmeregelungen

(KOM(2005)0089 – C6‑0100/2005 – 2005/0019(CNS))

(Verfahren der Konsultation)

Das Europäische Parlament,

–   in Kenntnis des Vorschlags der Kommission an den Rat (KOM(2005)0089)[1],

–   gestützt auf Artikel 93 des EG-Vertrags, gemäß dem es vom Rat konsultiert wurde (C6‑0100/2005),

–   gestützt auf Artikel 51 seiner Geschäftsordnung,

–   in Kenntnis des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Währung und der Stellungnahme des Haushaltskontrollausschusses (A6‑0209/2006),

1.  billigt den Vorschlag der Kommission in der geänderten Fassung;

2.  fordert die Kommission auf, ihren Vorschlag gemäß Artikel 250 Absatz 2 des EG-Vertrags entsprechend zu ändern;

3.  fordert den Rat auf, es zu unterrichten, falls er beabsichtigt, von dem vom Parlament gebilligten Text abzuweichen;

4.  fordert den Rat auf, es erneut zu konsultieren, falls er beabsichtigt, den Vorschlag der Kommission entscheidend zu ändern;

5.  beauftragt seinen Präsidenten, den Standpunkt des Parlaments dem Rat und der Kommission zu übermitteln.

Vorschlag der KommissionÄnderungen des Parlaments

Änderungsantrag 1

ERWÄGUNG 1 A (neu)

 

(1a) Um die Gemeinschaft vor einer Schädigung ihrer finanziellen Interessen im Mehrwertsteuerbereich - insbesondere vor Einbußen, die durch betrügerische oder andere illegale grenzüber­schreitende Aktivitäten entstehen - zu schützen, wozu sich die Mitgliedstaaten in Artikel 280 des Vertrags verpflichtet haben, sollten die Mitgliedstaaten eng mit dem Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) zusammenarbeiten.

Änderungsantrag 2

ERWÄGUNG 9 A (neu)

 

(9a) Die Steuerhoheit der Mitgliedstaaten sollte durch die vorliegende Initiative unangetastet bleiben.

Änderungsantrag 3

ERWÄGUNG 9 B (neu)

 

(9b) Die Vereinfachung der Ausnahmetatbestände sollte im Interesse der effektiven Bekämpfung von Steuerhinterziehung und -umgehung nur ein begrenzter Bestandteil eines umfassenden Programms der Reform des Mehrwertsteuersystems der EU sein, und deshalb sollten weitere Reformen des Systems unter anderem mit dem Ziel der Bekämpfung des Steuerbetrugs eingeleitet werden, beispielsweise bezogen auf Finanzdienstleistungen, E-Dienstleistungen, Doppelbesteuerungstatbestände und Dienstleistungen der öffentlichen Hand im Hinblick auf ihre Modernisierung und Vereinfachung.

Änderungsantrag 4

ERWÄGUNG 9 D (neu)

 

(9d) Maßstäbe für Überlegungen zu einem eventuellen Systemwechsel bei der Erhebung der Mehrwertsteuer sollten die Effektivität der Steuererhebung, die Steuergerechtigkeit sowie die Praktikabilität für die Unternehmen sein.

Begründung

Angesichts der bereits herrschenden Vielfalt und Unübersichtlichkeit der geltenden Mehrwertsteuerregelungen muss ein eventueller Systemwechsel dazu führen, dass alle politisch gesteckten Ziele auf die einfachste Art und Weise erreicht werden. Es müssen Rechtsvorschriften herauskommen, die einfacher anzuwenden und wirkungsvoller sind.

Änderungsantrag 5

ARTIKEL 1 NUMMER 1
Artikel 4 Absatz 4 (Richtlinie 77/388/EWG)

(1) In Artikel 4 Absatz 4 wird folgender Unterabsatz hinzugefügt:

entfällt

„Nimmt ein Mitgliedstaat die in Unterabsatz 2 vorgesehene Möglichkeit in Anspruch, sorgt er dafür, dass den Steuerpflichtigen daraus weder ungerechtfertigte Vorteile noch ungerechtfertigte Nachteile entstehen.“

 

Begründung

Die rechtlichen Voraussetzungen für diese Bestimmung sind unbestimmt und bergen daher die Gefahr von Rechtsunsicherheit und/oder Gestaltungsmissbrauch.

Änderungsantrag 6

ARTIKEL 1 NUMMER 2
Artikel 5 Absatz 8 Satz 2 (Richtlinie 77/388/EWG)

(2) Artikel 5 Absatz 8 Satz 2 wird durch folgenden Wortlaut ersetzt:

entfällt

„Gegebenenfalls können die Mitgliedstaaten in den Fällen, in denen der Begünstigte nicht voll steuerpflichtig ist, die zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen erforderlichen Maßnahmen treffen. Sie sorgen dafür, dass weder ungerechtfertigte Vorteile noch ungerechtfertigte Nachteile entstehen.“

 

Begründung

Siehe Änderungsantrag 2.

Änderungsantrag

ARTIKEL 1 NUMMER 7
Artikel 21 Absatz 2 Buchstabe c a (neu) (Richtlinie 77/388/EWG)

 

(ca) Die Abgrenzung dieser Leistungen, für die der steuerpflichtige Empfänger die Steuer schuldet, von den anderen Leistungen, für die wie bisher die Steuer von dem die Dienstleistung liefernden Unternehmen geschuldet wird, muss für die Unternehmen klar und unstrittig erkennbar und kontrollierbar sein.

Begründung

Im Interesse der Unternehmen ist es sehr wichtig, dass die Sektoren, für die die Umkehr der Steuerschuldnerschaft gilt, exakt und unstreitbar definiert sind, und die Abgrenzung von den Leistungen, die wie bisher die Inrechnungstellung durch das liefernde Unternehmen erfordern, deutlich ersichtlich ist. Unsicherheiten und Streitigkeiten über die Art der Rechnungssausstellung führen zu weiteren bürokratischen und finanziellen Belastungen der Unternehmen.

Änderungsantrag 8

ARTIKEL 1 NUMMER 7 A (neu)

Artikel 30 a (neu) Richtlinie 77/388/EWG)

 

(7a) Folgender Artikel ist einzufügen

 

„Artikel 30a

 

Um dem grenzüberschreitenden Mehrwertsteuerbetrug zum Schaden der finanziellen Interessen der Gemeinschaft, insbesondere dem so genannten Karussell-Betrug, entgegenzuwirken, halten die Mitgliedstaaten ihre zuständigen Dienststellen dazu an, bei Betrugsverdacht eng mit dem Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) zusammenzuarbeiten. Die Kommission berichtet dem Europäischen Parlament im Rahmen ihres Jahresberichts gemäß Artikel 280 Absatz 5 des Vertrags über die Fortschritte in diesem Bereich.“

Änderungsantrag 9

ARTIKEL 1 NUMMER 7 B (neu)

Artikel 34a (neu) (Richtlinie 77/388/EWG)

 

(7a) Folgender Artikel ist einzufügen:

 

„Artikel 34 a

 

Die Kommission wird zur Feststellung der besten langfristigen Regelung der Mehrwertsteuerhebung für die Europäische Union eine umfassende vergleichende Synopse erstellen, die die nationalen Überlegungen zu diesem Thema prüft und die vielfältigen Konsequenzen eines Systemwechsels zur Umkehr der Steuerschuldnerschaft (Reverse-Charge-Modell) sowie seine Vor- und Nachteile für die EU-Staaten und die in der Europäischen Union tätigen Unternehmen konkret aufführt.“

  • [1]  Noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht.

BEGRÜNDUNG

I.      Legislativer Hintergrund

Die Erste Mehrwertsteuerrichtlinie geht auf das Jahr 1967 zurück[1] und gilt als das erste politische und rechtliche Bekenntnis der EU zur Einführung eines gemeinsamen MwSt.-Systems, um das Ziel der Errichtung eines funktionierenden und wettbewerbsfähigen Binnenmarktes mit „kompatiblen“ MwSt.-Systemen zu untermauern, und bereits Anfang der siebziger Jahre führten alle Mitgliedstaaten ein gemeinsames MwSt.-Modell ein.

Der nächste wichtige Schritt war die Sechste MwSt.-Richtlinie[2], durch die eine weitgehend einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage eingeführt wurde. Später legte die Kommission im Einklang mit dem „Weißbuch zum Binnenmarkt“ des Jahres 1985 ein Vorschlagspaket zu der Thematik vor. Diese Vorschläge erwiesen sich jedoch für die Regierungen als unannehmbar, und es wurde klar, dass es nicht möglich sein würde, den festgelegten Zeitplan, nämlich bis 1993 zu einem gemeinsamen Standpunkt zu gelangen, einzuhalten. Der Rat beschloss daher, eine vorläufige Regelung unter Abschaffung der Steuerkontrollen an den Grenzen einzuführen. Seitdem findet die als Übergangslösung gedachte MwSt.-Regelung (sie sollte Ende 1996 auslaufen) allgemein Anwendung auf den EU-weiten Handelsverkehr.

II.     Anreize für eine Veränderung und Ziele des Vorschlags

Im Jahr 1996 unterbreite die Kommission einen erneuten Vorschlag zur Einführung eines gemeinsamen Systems. Wenngleich der Big-Bang-Ansatz des Jahres 1987 (sofortige Umstellung) aufgegeben wurde und der Vorschlag des Jahres 1996 einen allmählichen Übergang vorsah, erwies sich seine Durchführung bald als genauso schwierig.

Zum Zweck der Kohärenz der neuen Initiativen mit den bereits bestehenden Rechtsvorschriften beschloss die Kommission, das Schwergewicht auf eine Verbesserung der derzeitigen „Übergangsregelungen“ zu legen. Die neue Strategie wurde im Jahr 2000 veröffentlicht[3], und die darin enthaltenen Empfehlungen basierten auf einer einzigen entscheidenden Feststellung, nämlich der, dass das derzeitige MwSt.-System den Unternehmen übermäßige Kosten und Belastungen auferlegt. Im Oktober 2003 gab die Kommission eine überarbeitete Strategie heraus. Der Vorschlag kann als „Rationalisierungsmaßnahme“ verstanden werden, deren allgemeines Ziel darin bestand, die Sechste MwSt.-Richtlinie zu ändern, um den Mitgliedstaaten die Möglichkeit zu geben, rasch rechtlich einwandfreie Maßnahmen zur Bekämpfung von unlauterem Wettbewerb und Einnahmenausfällen und zur Vereinfachung des Verfahrens zur Erhebung der Mehrwertsteuer zu erlassen.

–  Ausnahmeregelungen: In Artikel 27 werden die Mitgliedstaaten ermächtigt, Sondermaßnahmen zur Vereinfachung der Steuererhebung und zur Verhinderung von Steuerhinterziehung oder -umgehung einzuführen. Inzwischen sind rund 140 Ausnahmeregelungen in Kraft und die Tendenz ist steigend. Im Bewusstsein des Mangels an Transparenz und Rechtssicherheit beschloss die Kommission, einige Anstrengungen zur Rationalisierung dieses Phänomens zu unternehmen und einige besonders wirksame einzelne Ausnahmeregelungen auf alle Mitgliedstaaten auszudehnen, so dass sie fakultativ angewandt werden können, ohne dass jeweils, so wie es derzeit der Fall ist, um eine Genehmigung nachgesucht werden muss. Die Kommission ist der Ansicht, dass eine breitere Anwendung dieser Ausnahmen die vorschriftentreuen Unternehmen davor schützen würde, dass Steuerumgeher und -hinterzieher Wettbewerbsvorteile erlangen;

–  Steuerumgehung und -hinterziehung: Artikel 22 Absatz 8 gibt den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, weitere Pflichten vorzusehen, die sie für die Erhebung der Mehrwertsteuer und die Vermeidung von Steuerhinterziehung als erforderlich erachten;

–  Vereinfachung der Besteuerung: Nach Abschnitt XIV können auf fakultativer Grundlage vereinfachte Verfahren für die Erhebung der Mehrwertsteuer oder Steuerermäßigungen für bestimmte Steuerpflichtige angewandt werden (Sonderregelungen für kleine Unternehmen, Landwirte usw.). Die fakultative Anwendbarkeit dieser Bestimmung führte dazu, dass sich die vereinfachten Regelungen von einem Mitgliedstaat zum anderen stark unterscheiden, und sorgte damit für Unübersichtlichkeit.

Nach der Klassifizierung der Kommission sieht der Vorschlag der Kommission drei Kategorien von Maßnahmen vor, die sich wie folgt umschreiben lassen:

Vorsichtsmaßnahmen: ergeben sich nicht unmittelbar aus den Ausnahmeregelungen

–  Stärkung präventiver Maßnahmen in den Bereichen Behandlung als „MwSt.-Gruppe“ (rechtliche Unabhängigkeit, aber enge finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen zwischen Steuerpflichtigen) und Übertragung von Vermögen (Übertragung des Gesamtvermögens oder eines Teilvermögens);

–  Klarstellung in Bezug auf die Berichtigung des Vorsteuerabzugs bei Investitionsgütern (Art. 20 Abs. 2 und 3), die in gleicher Weise auch für Dienstleistungen gelten kann, die die Merkmale von Investitionsgütern aufweisen, d.h. eine langfristige Anlage darstellen;

Weniger wichtige Bestimmungen

–  fakultative Ausdehnung der Sondermaßnahmen für den Goldhandel zur Vermeidung von MwSt.-Umgehungen auf Anlagegold (von der Mehrwertsteuer befreit), das als Rohmaterial für die Herstellung von Konsumgütern verwendet wird (mehrwertsteuerpflichtige Leistung);

Zentrale Bestimmungen

–  fakultative Bestimmungen, die es ermöglichen, unter bestimmten Voraussetzungen eine Bewertung/Neubewertung einer Lieferung oder Dienstleistung zu ihrem Normalwert vorzunehmen, da die Bewertung von Leistungen einer der betrugsanfälligsten Bereiche ist. Diese Regelung gilt jedoch nicht für normale, alltägliche Umsätze;

–  Ausdehnung der fakultativen Anwendung der Umkehrung der Steuerschuldnerschaft (reverse charge mechanism) auf bestimmte, eigens aufgeführte Leistungen an Steuerpflichtige, wie z.B.: Dienstleistungen im Bausektor und die Überlassung des entsprechenden Personals, Lieferung von Abfallstoffen, Schrott und recyclingfähigem Material, Lieferung von Grundstücken und Gebäuden, für die die Option der Besteuerung ausgeübt wurde, Lieferung von Gegenständen, die als Sicherheit dienen, Lieferung von Gegenständen im Anschluss an die Übertragung des Eigentumsvorbehalts auf einen Zessionar und die Ausübung des übertragenen Rechts durch den Zessionar, Verkauf von Grundstücken und Gebäuden im Rahmen eines gerichtlichen Liquidationsverfahrens, wenn die Option für die Besteuerung ausgeübt wurde. Diese Bereiche wurden als die Bereiche ermittelt, die sich für die Mitgliedstaaten als problematisch und in denen sich die Rechtsvorschriften als nicht ausreichend erwiesen haben.

III.   Standpunkt des Berichterstatters

Der Berichterstatter befürwortet und unterstützt das Ziel dieser Initiative der Kommission. Derzeit wenden die Mitgliedstaaten jeweils gemäß individuellen Regelungen über 140 nationale Ausnahmen zur geltenden Mehrwertsteuer-Richtlinie an, die sich häufig auf gleichartige Sachverhalte des Mehrwertsteuerbetruges beziehen. Vor dem Hintergrund der EU-Erweiterung ist die Tendenz neuer Anträge für nationale Ausnahmen weiter steigend. Die Zusammenfassung der bereits in einigen EU-Staaten geltenden und gut funktionierenden Ausnahmeregelungen für den Kampf gegen Steuerhinterziehung und -umgehung ist somit begrüßenswert, damit alle EU-Staaten - wenn sie es wollen - diese Regelungen im Kampf gegen Steuerbetrug nutzen können. Die Straffung und Vereinheitlichung der geltenden Bestimmungen erlaubt die rasche Einsetzung der Mittel, ohne dass jeder Staat selbst solche Ausnahmen, eventuell eine reine Dopplung bereits erfolgter Anträge anderer Staaten, beantragen muss. Besonders für die mittel- und osteuropäischen EU-Staaten wird dadurch der Kampf gegen Mehrwertsteuerbetrug erheblich übersichtlicher und die Instrumente sind schneller umsetzbar. So kann Steuerhinterziehung EU-weit mit den bereits bestehenden Mitteln wirksamer und schneller bekämpft werden, ohne einen grundlegenden Systemwechsel in der Mehrwertsteuer-Erhebung in Europa nötig zu machen. Die EU-weit tätigen Unternehmen und die EU-Staaten erhalten mehr Rechtssicherheit. Zudem ist die Straffung der unübersichtlichen Ausnahmen durch Maßnahmen in den Fällen vorgesehen, in denen der Steuerschuldner in finanziellen Schwierigkeiten ist.

In einigen Mitgliedstaaten wird seit längerer Zeit bei der Suche nach wirksamen Methoden gegen Umsatzsteuerbetrug ein grundsätzlicher Systemwechsel bei der Mehrwertsteuererhebung diskutiert. Dabei scheint das Reverse-Charge-Modell, d.h. die Umkehrung der Steuerschuld auf die Unternehmen, die eine Ware oder eine Dienstleistung erwerben, durchaus einige Vorteile zu bieten. Die Befürworter sind überzeugt, dass der organisierte nationale und internationale Steuerbetrug durch dieses System wirksamer unterbunden werden könnte. Gerade die mittelständischen Unternehmen fallen häufig dem Umsatzsteuerbetrug zum Opfer, so dass die Reduzierung dieser Belastung ein wichtiges Ziel der Unternehmenspolitik der EU sein muss. Die Gegner dieses Systemwechsels sind aber der Ansicht, dass gerade dem Mittelstand durch das Reverse-Charge-Modell mehr Belastungen und administrativer Aufwand drohen. Der Berichterstatter empfiehlt der Kommission, die einen Systemwechsel bisher ablehnt, die Debatte der Mitgliedstaaten um diese sowohl für die EU-Staaten als auch für die Unternehmen wichtige Frage aktiv und intensiv zu begleiten, um die richtige Lösung zu finden. Die Kommission sollte zu diesem Zweck eine umfassende vergleichende Synopse vorlegen, die die diversen nationalen Überlegungen prüft und die Konsequenzen eines eventuellen Systemwechsels sowie seine Vor- und Nachteile konkret aufführt. Die Kommission sollte das Parlament früh und regelmäßig an dieser Debatte beteiligen.

Abgesehen von dieser künftig zu klärenden Grundsatzfrage handelt es sich beim vorliegenden Entwurf der Kommission also um keine neue Initiative der Kommission, sondern um eine sinnvolle Vereinfachung, Konsolidierung und teilweise auch Flexibilisierung geltender Regeln. Diese sollen den Mitgliedstaaten alternativ, also neben den auch weiterhin geltenden Regeln und nationalen Ausnahmeregelungen, zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung und ‑umgehung zur Verfügung stehen. Die Staaten müssen diese Regeln nicht anwenden - oder sie können sie auch selektiv anwenden, etwa in Bezug auf spezielle Steuerbetrüger in ihrem Land, nicht aber auf alle Unternehmer. Auch in Zukunft besteht die Möglichkeit - wenn nötig -, für spezifische Probleme nationale Ausnahmeregeln zu beantragen. Bereits 2004 hat die Kommission das Verfahren einer Beantragung von Ausnahmetatbeständen verbessert und transparenter gemacht (Richtlinie 2004/7/EG). Es ist in jedem Falle zu begrüßen, mit der vorliegenden Initiative anzufangen und das angestrebte, jetzt rasch Machbare im Kampf gegen den Steuerbetrug zu tun.

In einem sehr begrenzten Umfang führt de Kommission die Umkehr der Steuerschuldnerschaft durch die Ausweitung des Reverse-Charge-Mechanismus in bestimmten Fällen ein: Die Berichtigung des Vorsteuerabzuges, wie sie bei „Investitionsgütern“ (die Definition erfolgt durch die Mitgliedstaaten) gilt, soll nunmehr explizit auch für solche Dienstleistungen gelten, die Merkmale von „Investitionsgütern“ aufweisen und als solche behandelt werden. Darunter fallen Dienstleistungen, die über längere Zeit in Unternehmen in Anspruch genommen werden. In bestimmten Branchen ist die Mehrwertsteuer-Zahlung besonders schwer zu prüfen, etwa in der Bauwirtschaft oder bei bestimmten Abfall-Lieferungen. Der neue Anhang M führt auf, welche Form von Abfallstoffen hier betroffen ist. Gerade hier ist im Interesse der Unternehmen dafür zu sorgen, dass die Definition der Sektoren, für die die Umkehr der Steuerschuldnerschaft gilt, exakt und unstreitbar ist und dass die Abgrenzung von den Leistungen, die wie bisher die Inrechnungstellung durch das liefernde Unternehmen erfordern, deutlich ersichtlich ist. Unsicherheiten und Streitigkeiten über die Art der Rechnungssausstellung führen zu weiteren bürokratischen und finanziellen Belastungen der Unternehmen und wären somit eher kontraproduktiv. Sie müssen daher vermieden werden.

Dies ist eine sinnvolle Vorlage zur Entschlackung geltender Regelungen, wobei der nationale Entscheidungsspielraum vollständig erhalten bleibt. Die Harmonisierung der Mehrwertsteuererhebung ist jedenfalls aus Sicht des Berichterstatters die einzige Steuerpolitik, die europäisch geregelt werden sollte. Davon abgesehen ist der Steuerwettbewerb ein zentrales Element der positiven Wirtschaftsentwicklung in den EU‑Staaten und sollte unbedingt erhalten bleiben.

  • [1]  Richtlinie 67/227/EWG des Rates vom 11.4.1967, ABl. 071 vom 14.4.1967.
  • [2]  Richtlinie 77/388/EWG vom 17.5.1977, ABl. L 145 vom 13.6.1977.
  • [3]  KOM(2000)348 vom 7.6.2000.

STELLUNGNAHME des Haushaltskontrollausschusses (4.5.2006)

für den Ausschuss für Wirtschaft und Währung

zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 77/388/EWG hinsichtlich bestimmter Maßnahmen zur Vereinfachung der Erhebung der Mehrwertsteuer, zur Unterstützung der Bekämpfung der Steuerhinterziehung und -umgehung und zur Aufhebung bestimmter Entscheidungen über die Genehmigung von Ausnahmeregelungen
(KOM(2005)0089 – C6‑0100/2005 – 2005/0019(CNS))

Verfasser der Stellungnahme: Herbert Bösch

KURZE BEGRÜNDUNG

Nach Artikel 27 der Sechsten Mehrwertsteuer-Richtlinie[1] kann der Rat auf Vorschlag der Kommission einstimmig jeden Mitgliedstaat ermächtigen, von der Sechsten Mehrwertsteuer-Richtlinie abweichende Sondermaßnahmen einzuführen, um die Steuererhebung zu vereinfachen oder bestimmte Arten der Steuerhinterziehung oder -umgehung zu verhüten.

Derzeit wenden die Mitgliedstaaten über 140 Ausnahmeregelungen an. Diese Zahl wird sich demnächst noch erhöhen, da die Mitgliedstaaten, die der EU am 1. Mai 2004 beigetreten sind, nun auch Ausnahmeregelungen beantragen. Darüber hinaus werden sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf andere Sondermaßnahmen im Rahmen ihrer Rechtsvorschriften stoßen, die einer gemeinschaftsrechtlichen Grundlage bedürfen.

In ihrer Mitteilung an den Rat und das Europäische Parlament vom 7. Juni 2000 über eine Strategie zur Verbesserung der Funktionsweise des Mehrwertsteuer-Systems im Binnenmarkt[2] hat die Kommission hinsichtlich der zahlreichen derzeit geltenden Ausnahmeregelungen eine gewisse Straffung zugesagt. In ihrer Mitteilung vom 20. Oktober 2003[3] zur Überprüfung und Aktualisierung dieser Strategie bekräftigte die Kommission dieses Vorhaben. Im Rahmen dieser Straffung sollte die Möglichkeit zur Anwendung bestimmter Ausnahmeregelungen durch eine Änderung der Sechsten Mehrwertsteuer-Richtlinie allen Mitgliedstaaten eingeräumt werden. Gegenstand einer solchen Änderung wären diejenigen Ausnahmeregelungen, die sich als wirksam erwiesen haben und Probleme betreffen, die in mehr als nur einem Mitgliedstaat auftreten.

Die Zahl der Ausnahmeregelungen und der Umstand, dass sie gleichartige Sachverhalte betreffen, deuten darauf hin, dass die Mehrwertsteuererhebung gerade auch aufgrund von Mehrwertsteuerhinterziehung und -betrug in den letzten Jahren zu einem bedeutenden Problem geworden sind.

Durch den Mehrwertsteuerbetrug, insbesondere durch so genannte innergemeinschaftliche Karussellgeschäfte, entsteht jährlich ein ungeheurer Schaden. Das ifo-Institut für Wirtschaftsforschung schätzt die Gesamtverluste an nationalen Mehrwertsteuereinnahmen für Deutschland in den Jahren 2003 bis 2005 auf 17 000 bis 18 000 Millionen EUR jährlich, wovon ein Drittel auf grenzüberschreitende Betrügereien entfällt. Andere Mitgliedstaaten weisen ebenfalls Verluste bei den Mehrwertsteuereinnahmen in Milliardenhöhe auf, die auf bis zu 10% ihrer Gesamteinnahmen geschätzt werden.

In diesem Zusammenhang muss daran erinnert werden, dass nur die tatsächlichen Einnahmen für die Erhebung der Mehrwertsteuereigenmittel herangezogen werden können und die Ausfälle das Funktionieren des Eigenmittelsystems der Gemeinschaft beeinträchtigen.

ÄNDERUNGSANTRÄGE

Der Haushaltskontrollausschuss ersucht den federführenden Ausschuss für Wirtschaft und Währung, folgende Änderungsanträge in seinen Bericht zu übernehmen:

Vorschlag der KommissionÄnderungen des Parlaments

Änderungsantrag 1

ERWÄGUNG 1 A (neu)

 

(1a) Um finanziellen Schaden im Mehrwertsteuerbereich - insbesondere Schaden, der durch grenzüberschreitende Aktivitäten entsteht - von der Gemeinschaft abzuwenden, wozu sich die Mitgliedstaaten in Artikel 280 des Vertrags verpflichtet haben, sollten die Mitgliedstaaten eng mit dem Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) zusammenarbeiten.

Änderungsantrag 2

ARTIKEL 1 NUMMER 7 A (neu)

Artikel 30 a (neu) Richtlinie 77/388/EWG)

 

(7a) Folgender Artikel ist einzufügen

 

„Artikel 30a

 

Um dem grenzüberschreitenden Mehrwertsteuerbetrug, insbesondere dem so genannten Karussell-Betrug, zum Schaden der finanziellen Interessen der Gemeinschaft entgegenzuwirken, halten die Mitgliedstaaten ihre zuständigen Dienststellen dazu an, bei Betrugsverdacht eng mit dem Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) zusammenzuarbeiten. Die Kommission berichtet dem Europäischen Parlament regelmäßig im Rahmen des Jahresberichts gemäß Artikel 280 Absatz 5 des Vertrags über die Fortschritte in diesem Bereich.“

Änderungsantrag 3

ARTIKEL 1 NUMMER 7 B (neu)

Artikel 34a (neu) (Richtlinie 77/388/EWG)

 

(7a) Folgender Artikel ist einzufügen:

 

„Artikel 34 a

 

Die Kommission wird zur Feststellung der besten langfristigen Regelung der Mehrwertsteuerhebung in der Europäischen Union eine umfassende vergleichende Synopse erstellen, die die nationalen Überlegungen zu diesem Thema prüft und die vielfältigen Konsequenzen eines Systemwechsels zur Umkehr der Steuerschuldnerschaft (Reverse-Charge-Modell) sowie seine Vor- und Nachteile für die EU-Staaten und die in der Europäischen Union aktiven Unternehmen konkret aufführt.“

VERFAHREN

Titel

Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 77/388/EWG hinsichtlich bestimmter Maßnahmen zur Vereinfachung der Erhebung der Mehrwertsteuer, zur Unterstützung der Bekämpfung der Steuerhinterziehung und -umgehung und zur Aufhebung bestimmter Entscheidungen über die Genehmigung von Ausnahmeregelungen

Bezugsdokumente

KOM(2005)0089 – C6-0100/2005 – 2005/0019 (CNS)

Federführender Ausschuss

ECON

Mitberatender Ausschuss
  Datum der Bekanntgabe im Plenum

CONT
27.4.2005

Verstärkte Zusammenarbeit – Datum der Bekanntgabe im Plenum

 

Verfasser der Stellungnahme
  Datum der Benennung

Herbert Bösch
20.4.2005

Ersetzte(r) Verfasser(in) der Stellungnahme

 

Prüfung im Ausschuss

19.4.2006

 

 

 

 

Datum der Annahme

4.5.2006

Ergebnis der Schlussabstimmung

+:

–:

0:

13

 

1

Zum Zeitpunkt der Schlussabstimmung anwesende Mitglieder

Herbert Bösch, Paul van Buitenen, Simon Busuttil, Szabolcs Fazakas, Ingeborg Gräßle, Ona Juknevičienė, Nils Lundgren, Hans-Peter Martin, Jan Mulder, Borut Pahor, José Javier Pomés Ruiz, Bart Staes und Kyösti Virrankoski.

Zum Zeitpunkt der Schlussabstimmung anwesende Stellvertreter(innen)

Janusz Wojciechowski

Zum Zeitpunkt der Schlussabstimmung anwesende Stellv. (Art.178 Abs. 2)

 

  • [1]     Sechste Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitglied­staaten über die Umsatzsteuern: Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145 vom 13.6.1977, S. 1). Richtlinie zuletzt geändert durch die Richtlinie 2006/18/EG (ABl. L 51 vom 22.2.2006, S. 12).
  • [2]     KOM(2000)0348.
  • [3]     KOM(2003)0614.

VERFAHREN

Titel

Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 77/388/EWG hinsichtlich bestimmter Maßnahmen zur Vereinfachung der Erhebung der Mehrwertsteuer, zur Unterstützung der Bekämpfung der Steuerhinterziehung und -umgehung und zur Aufhebung bestimmter Entscheidungen über die Genehmigung von Ausnahmeregelungen

Bezugsdokumente – Verfahrensnummer

KOM(2005)0089 – C6-0100/2005 – 2005/0019(CNS)

Datum der Konsultation des EP

14.4.2005

Federführender Ausschuss
  Datum der Bekanntgabe im Plenum

ECON
27.4.2005

Mitberatende(r) Ausschuss/Ausschüsse
  Datum der Bekanntgabe im Plenum

CONT
27.4.2005

 

 

 

 

Nicht abgegebene Stellungnahme(n)
  Datum des Beschlusses

 

 

 

 

 

Verstärkte Zusammenarbeit
  Datum der Bekanntgabe im Plenum

 

 

 

 

 

Berichterstatter(in/innen)
  Datum der Benennung

Christoph Konrad
11.4.2005

 

Ersetzte(r) Berichterstatter(in/innen)

 

 

Vereinfachtes Verfahren – Datum des Beschlusses

 

Anfechtung der Rechtsgrundlage
  Datum der Stellungnahme JURI

 

 

 

Änderung der Mittelausstattung
  Datum der Stellungnahme BUDG

 

 

 

Konsultation des Eur. Wirtschafts- und Sozialausschusses durch das EP – Datum des Beschlusses des Plenums

 

Konsultation des Ausschusses der Regionen durch das EP – Datum des Beschlusses des Plenums

 

Prüfung im Ausschuss

23.1.2006

20.3.2006

18.4.2006

 

 

Datum der Annahme

30.5.2006

Ergebnis der Schlussabstimmung

+:

–:

0:

40

0

0

Zum Zeitpunkt der Schlussabstimmung anwesende Mitglieder

Zsolt László Becsey, Pervenche Berès, Sharon Bowles, Udo Bullmann, Ieke van den Burg, David Casa, Jan Christian Ehler, Jonathan Evans, Jean-Paul Gauzès, Robert Goebbels, Gunnar Hökmark, Karsten Friedrich Hoppenstedt, Othmar Karas, Piia-Noora Kauppi, Christoph Konrad, Guntars Krasts, Kurt Joachim Lauk, Astrid Lulling, Gay Mitchell, Cristobal Montoro Romero, John Purvis, Alexander Radwan, Bernhard Rapkay, Karin Riis-Jørgensen, Dariusz Rosati, Eoin Ryan, Antolín Sánchez Presedo, Manuel António dos Santos, Peter Skinner und Margarita Starkevičiūtė

Zum Zeitpunkt der Schlussabstimmung anwesende Stellvertreter(innen)

Harald Ettl, Donata Maria Assunta Gottardi, Werner Langen, Andrea Losco, Giovanni Pittella und Gilles Savary

Zum Zeitpunkt der Schlussabstimmung anwesende Stellv. (Art.178 Abs. 2)

María del Pilar Ayuso González, Godfrey Bloom, Ville Itälä und Holger Krahmer

Datum der Einreichung

9.6.2006

 

Anmerkungen (Angaben nur in einer Sprache verfügbar)

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