BERICHT über Frauen in der internationalen Politik
17.10.2006 - (2006/2057(INI))
Ausschuss für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter
Berichterstatterin: Ana Maria Gomes
ENTWURF EINER ENTSCHLIESSUNG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS
zu Frauen in der internationalen Politik
Das Europäische Parlament,
– unter Bekräftigung der in Artikel 2, 3 Absatz 2, 13, 137 Absatz 1 Buchstabe i und 141 des EG-Vertrags verankerten Grundsätze,
– unter Hinweis auf die im Jahr 2000 proklamierte Charta der Grundrechte der Europäischen Union[1], insbesondere auf Artikel 23, worin es heißt: „Die Gleichheit von Männern und Frauen ist in allen Bereichen, einschließlich der Beschäftigung, der Arbeit und des Arbeitsentgelts, sicherzustellen. Der Grundsatz der Gleichheit steht der Beibehaltung oder der Einführung spezifischer Vergünstigungen für das unterrepräsentierte Geschlecht nicht entgegen“,
– unter Hinweis auf die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten aus dem Jahre 1950[2],
– unter Hinweis auf die Empfehlungen des Europarates, insbesondere die im Rahmen der 6. Europäischen Ministerkonferenz zur Gleichstellung von Männern und Frauen vom 8./9. Juni 2006 in Stockholm angenommene Entschließung sowie den bei dieser Gelegenheit ebenfalls angenommenen Aktionsplan, der in Teil I Buchstabe F des Anhangs auf die ausgewogene Beteiligung von Frauen und Männern an Entscheidungsprozessen Bezug nimmt,
– unter Hinweis auf die Athener Ministererklärung von 1992 anlässlich der Europäischen Konferenz über Frauen an der Macht, in der es heißt, dass „Frauen die Hälfte der Talente und Fähigkeiten der Menschheit repräsentieren und ihre unzureichende Mitwirkung an Entscheidungsprozessen einen gesamtgesellschaftlichen Verlust darstellt“,
– unter Hinweis auf die Pariser Ministererklärung von 1999 anlässlich der Europäischen Konferenz zum Thema Frauen und Männer an der Macht – eine solidarische Gesellschaft, eine dynamische Wirtschaft und eine Vision für Europa,
– unter Hinweis auf die Schlusserklärung der jährlichen Konferenz des Netzwerks der parlamentarischen Ausschüsse für die Gleichstellung von Frauen und Männern (NCEO), angenommen am 21. November 2003 in Rom,
– unter Hinweis auf die Lissabon-Strategie für Wachstum und Beschäftigung vom März 2000, insbesondere den darin enthaltenen nachdrücklichen Hinweis auf die positiven Auswirkungen einer gleichstellungsorientierten Wirtschaftspolitik auf die Gesamtstrategie für Wachstum und Beschäftigung in der EU,
– unter Hinweis auf seine Entschließungen vom 18. Januar 2001 zum Bericht der Kommission über die Durchführung der Empfehlung 96/694/EG des Rates vom 2. Dezember 1996 über die ausgewogene Mitwirkung von Frauen und Männern am Entscheidungsprozess[3] und vom 2. März 2000 über Frauen im Entscheidungsprozess[4],
– unter Hinweis auf die Entschließung des Rates vom 27. März 1995[5] und die Empfehlung 96/694/EG des Rates vom 2. Dezember 1996 über die ausgewogene Mitwirkung von Frauen und Männern am Entscheidungsprozess[6],
– unter Hinweis auf die Ministererklärung der Konferenz der Gleichstellungsminister in Luxemburg vom 4. Februar 2005,
– unter Hinweis auf den Fahrplan der Kommission für die Gleichstellung von Frauen und Männern (2006-2010) (KOM(2006)0092), insbesondere ihren Vorschlag, ein Netzwerk von Frauen in Entscheidungsprozessen zu fördern,
– unter Hinweis auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1948,
– unter Hinweis auf die Konvention der Vereinten Nationen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) von 1979, in der es unter anderem heißt, dass die Vertragsstaaten alle geeigneten Maßnahmen treffen, um die Diskriminierung der Frau im politischen und öffentlichen Leben ihres Landes zu beseitigen,
– unter Hinweis auf das 1999 angenommene CEDAW-Fakultativprotokoll, in dem es heißt, dass der Hoheitsgewalt eines Vertragsstaats unterstehende Einzelpersonen oder Personengruppen, die behaupten, Opfer einer Verletzung eines in der Konvention niedergelegten Rechts durch diesen Vertragsstaat zu sein, Mitteilungen einreichen können,
– unter erneutem Hinweis darauf, dass gemäß dem Übereinkommen über die politischen Rechte der Frau von 1952 Frauen und Männer gleichberechtigt sind und Frauen ohne jede Einschränkung das Stimmrecht bei allen Wahlen sowie das passive Wahlrecht für alle öffentlich gewählten Gremien sowie das Recht auf Bekleidung öffentlicher Ämter und die Wahrnehmung aller vom nationalen Recht vorgesehenen öffentlichen Aufgaben zusteht,
– unter erneutem Hinweis auf den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte von 1966, insbesondere dessen Artikel 25, wonach jeder Staatsbürger das Recht und die Möglichkeit hat, an der Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten unmittelbar oder durch frei gewählte Vertreter teilzunehmen und bei echten regelmäßig stattfindenden Wahlen zu wählen und gewählt zu werden,
– unter Hinweis auf die Vierte Weltfrauenkonferenz in Beijing vom September 1995, die dort angenommene Erklärung und die Aktionsplattform sowie die Abschlussdokumente der Sondersitzungen der Vereinten Nationen Beijing +5 und Beijing +10 über weitere Maßnahmen und Initiativen zur Umsetzung der Erklärung und der Aktionsplattform von Beijing, die am 9. Juni 2000 und 11. März 2005 angenommen wurden,
– unter Hinweis auf die Millenniums-Entwicklungsziele (MDG), insbesondere MDG 3, das die Förderung der Gleichstellung der Geschlechter und die Stärkung der Rolle der Frauen als Voraussetzung für die Überwindung von Hunger, Armut und Krankheit sowie die Gleichstellung auf allen Bildungsebenen, in allen Beschäftigungsbereichen und bei der Kontrolle über die Ressourcen und der Vertretung im öffentlichen und politischen Leben sieht,
– unter Hinweis auf die Resolution 1325 des Sicherheitsrates (SR) der Vereinten Nationen vom 31. Oktober 2000, insbesondere Ziffer 1, in der die Mitgliedstaaten aufgefordert werden, für eine bessere Vertretung von Frauen auf allen Entscheidungsebenen in nationalen, regionalen und internationalen Institutionen und Mechanismen zu sorgen, die der Verhütung, Handhabung und Beilegung von Konflikten dienen, sowie unter Hinweis auf die förmliche Erklärung des Präsidenten des Sicherheitsrats (Presidential Statement) anlässlich des 5. Jahrestags der SR-Resolution 1325 vom Oktober 2005,
– unter Hinweis auf seine Entschließung vom 30. November 2000 zu der Beteiligung von Frauen an der friedlichen Beilegung von Konflikten[7],
– unter Hinweis auf seine Entschließung vom 1. Juni 2006 zur Lage von Frauen in bewaffneten Konflikten und ihrer Rolle beim Wiederaufbau und beim Demokratisierungsprozess in diesen Ländern nach Beilegung des Konflikts[8],
– unter Hinweis auf die Schlussfolgerungen des Rates Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen vom 23./24. Mai 2005 zur Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) und den Entwurf von Leitlinien zur Umsetzung der Resolution 1325 des VN-Sicherheitsrates im Rahmen der ESVP, angenommen vom Europäischen Rat am 16. Dezember 2005[9],
– unter Hinweis auf den Beschluss der norwegischen Regierung, per Gesetz eine 40%-Frauenquote für die Leitungsgremien von Kapitalgesellschaften einzuführen,
– gestützt auf Artikel 45 seiner Geschäftsordnung,
– in Kenntnis des Berichts des Ausschusses für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter (A6‑0362/2006),
A. in der Erwägung, dass die Beijing-Konferenz im Jahre 1995 richtungweisend war für Fortschritte bei der Geschlechtergleichstellung, auch im Hinblick auf die Vertretung der Frauen in der Politik,
B. in der Erwägung, dass eine uneingeschränkte und gleichberechtigte Mitwirkung der Frauen am politischen Prozess und an der Entscheidungsfindung die Zusammensetzung der Gesellschaft wahrheitsgetreuer widerspiegeln wird sowie für künftige Generationen und das ordnungsgemäße Funktionieren demokratischer Gesellschaften von wesentlicher Bedeutung ist,
C. in der Erwägung, dass eine verantwortungsvolle Regierungsführung die Achtung der Grundfreiheiten und die Behandlung der Rechte der Frauen als grundlegende Rechte beinhaltet,
D. in der Erwägung, dass die Situation von Frauen in der internationalen Politik in erster Linie von der Situation der Frauen auf nationaler Ebene und von den auf nationaler Ebene verfolgten Strategien zur Frauenförderung abhängt,
E. in Erwägung der bedeutsamen Rolle, die der Generalsekretär der Vereinten Nationen durch seine Personalpolitik spielt, mit der er ein Beispiel für ein ausgewogeneres Verhältnis der Geschlechter auf der internationalen politischen Bühne gibt,
F. in der Erwägung, dass von den 191 Ländern, die derzeit UN-Mitglieder sind, lediglich 47 das Übereinkommen über die politischen Rechte der Frau vom 20. Dezember 1952 unterzeichnet und 115 Vertragsparteien dieses Übereinkommens sind, und in der Erwägung, dass demzufolge die Frauen ihre politischen Rechte nicht uneingeschränkt ausüben können und ihnen eine Beteiligung an Wahlen oder das Bekleiden öffentlicher Ämter in einer Reihe von Ländern verwehrt ist,
G. in der Erwägung, dass von den 191 Ländern, die derzeit UN-Mitglieder sind, lediglich in 7 Ländern Frauen das höchste Amt (Staatschef) bekleiden, nur in 8 Ländern Frauen Regierungschef oder Premierminister sind und nur in 17 die Position des Außenministers und nur in 9 die des Verteidigungsministers bekleiden,
H. in der Erwägung, dass von 191 in den Vereinten Nationen vertretenen Staaten nur 18 derzeit von Botschafterinnen bei den Vereinten Nationen in New York vertreten werden und nur 11 Frauen als Botschafterinnen bei den Vereinten Nationen in Genf akkreditiert sind,
I. in der Erwägung, dass nach Angaben der Interparlamentarischen Union von den weltweit 43.961 Parlamentsmitgliedern (sowohl Unter- als auch Oberhaus) nur 16,4% Frauen sind (d.h. 7.195); in der Erwägung, dass die skandinavischen Länder über die höchste Anzahl weiblicher Abgeordneten verfügen (40%), gefolgt von Amerika (19,6%) und Europa (OSZE-Länder ohne skandinavische Länder) mit durchschnittlich 16,9%, was leicht über den Ländern südlich der Sahara (16,4%), Asien (16,3%), Pazifik (12%) und den arabischen Staaten (8.3%) liegt,
J. in der Erwägung, dass dies ein grundlegendes Demokratiedefizit sowohl auf europäischer Ebene als auch im weiteren internationalen Zusammenhang bedeutet,
K. in der Erwägung, dass trotz der rechtlichen Gleichstellung in den meisten europäischen Ländern weltweit de facto nach wie vor Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern bestehen in den Bereichen Aufteilung der Macht, Verantwortung sowie Zugang zu wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Gütern aufgrund des Fortbestands der vorherrschenden traditionellen Rollenverteilung und deren Auswirkung bei der ungleichen Aufteilung von familiären Pflichten und den Hindernissen bei der Vereinbarung von Familien- und Berufsleben für die meisten Frauen,
L. in der Erwägung, dass ungeachtet der in den vergangenen 30 Jahren eingeführten gemeinschaftlichen und nationalen Rechtsvorschriften nach wie vor in der gesamten EU ein geschlechtsspezifisches Lohngefälle für gleichwertige Arbeit von durchschnittlich 15% besteht,
M. in der Erwägung, dass heute mehr Frauen als Männer einen Hochschulabschluss haben,
N. in der Erwägung, dass die Verfahren bei den Wahlsystemen und in politischen Organen, u.a. in politischen Parteien, einen entscheidenden Einfluss auf die Strategien zur Erreichung eines Geschlechtergleichgewichts in der Politik und darauf haben, ob solch ein Gleichgewicht erreicht wird,
O. in der Erwägung, dass die Auflage, nach Geschlechtern ausgewogene Kandidatenlisten einzuführen, nicht wirksam wäre, wenn die Frauen allesamt am Ende der Liste platziert würden, und in der Erwägung, dass eine perfekt nach dem Reißverschlussverfahren erstellte Liste das gewünschte Ergebnis nicht erzielen könnte, wenn das Land ein Wahlsystem mit einer offenen Liste verwendet, bei der die Wähler die Reihenfolge der Kandidaten auf der Liste ändern können,
P. unter Hinweis auf die entscheidende Rolle, die die Parteien dabei spielen, eine stärkere Vertretung der Frauen in der Politik zu verhindern bzw. mit unterschiedlichen Mitteln, u.a. einer Quotenpolitik, ihre Vertretung zu stärken; unter Hinweis darauf, dass zwar mehr und mehr Parteien behaupten, ihre allgemeine Mitgliedschaft sei geschlechterausgewogen, dass die oberen Ebenen der Parteien dies jedoch selten zum Ausdruck bringen, da weltweit lediglich 11% der Parteiführer Frauen sind,
Q. mit großem Interesse zur Kenntnis nehmend, dass neben den Quoten ein ganzes Spektrum sonstiger Instrumente zur Verfügung steht, um dafür zu sorgen, dass Frauen in der Politik stärker vertreten sind, z.B. positive Diskriminierung mit dem Ziel, die Präsenz und Aktivität von Frauen in Parlamenten und in anderen gewählten Positionen zu gewährleisten,
R. ferner unter Hinweis auf das diesbezügliche Beispiel Ruandas, das weltweit an erster Stelle bei der Zahl der weiblichen Abgeordneten (Unterhaus) mit 48,8% weiblicher Abgeordneter nach den Wahlen im Oktober 2003 steht und das eine neue Verfassung verabschiedet, das Wahlsystem geändert und bei den Parteien Quoten eingeführt hat,
S. unter Hervorhebung der Tatsache, dass in den Ländern, in denen Konflikte stattgefunden haben und deren Wahlsysteme und Wahlen von der UN entwickelt und organisiert wurden (wie Ruanda, Afghanistan und Osttimor), die Wahrscheinlichkeit, dass Frauen in Ämter gewählt werden, größer ist, da die UN dort eine ausgewogenere Geschlechtervertretung durchgesetzt haben,
T. in der Erwägung, dass die kulturelle Akzeptanz einer ausgewogenen Entscheidungsfindung durch Sensibilisierungskampagnen verändert werden muss, und in der Erwägung, dass für eine Ausgewogenheit der Geschlechter in der Politik häufig Veränderungen in der Einstellung der Bevölkerung erforderlich sind,
U. in der Erwägung, dass die Aufteilung der familiären Pflichten auf Frauen und Männer einen Einfluss auf die uneingeschränkte Mitwirkung der Frauen in der Politik hat,
V. in Anerkennung der Schlüsselrolle von Nichtregierungs- und Freiwilligenorganisationen bei den Bemühungen, auf die Gesellschaft insgesamt einzuwirken, damit sie ein ausgewogeneres Geschlechtergleichgewicht in der Politik akzeptiert,
W. in der Erwägung, dass Frauen durch ihre Mitwirkung an der Basis einen positiven Beitrag zum Entstehen einer Kultur der Veränderung in Geschlechterfragen und in wesentlichen gesellschaftlichen und politischen Fragen insgesamt leisten können und bereits geleistet haben,
X. in Erwägung der Bedeutung einer frühen Erziehung und Ausbildung, damit Frauen das Wissen, die Fähigkeiten und das Vertrauen entwickeln, die für eine uneingeschränkte Mitwirkung in Gesellschaft und Politik erforderlich sind,
Y. in Erwägung des Beitrags, den Frauen geleistet haben, um auf ihre besonderen Bedürfnisse (Vereinbarung von Berufs- und Privatleben, Einfluss des geschlechtsspezifischen Lohngefälles auf die Politik in allen Bereichen der Gesellschaft Bedürfnisse und Bestrebungen von Frauen in Konfliktgebieten) aufmerksam zu machen, damit die künftige Politik eine Geschlechterperspektive beinhaltet und der Demokratie insgesamt besser dient,
Z. unter Hervorhebung der Tatsache, dass die Anerkennung für Frauen durch ihre Geschlechtsgenossinnen für ihren positiven Beitrag zur internationalen Politik von wesentlicher Bedeutung für die Entstehung einer nach Geschlechtern ausgewogeneren politischen Kultur ist, und unter Hinweis darauf, dass nur 12 der 92 Friedensnobelpreisträger Frauen sind,
1. verweist darauf, dass auf europäischer Ebene[10] bereits anerkannt wurde, dass eine ausgewogene Beteiligung der beiden Geschlechter am Entscheidungsprozess eine unerlässliche Voraussetzung für Demokratie ist;
2. begrüßt das Ergebnis der vor kurzem abgehaltenen Wahlen, in deren Folge Frauen in Finnland, Liberia und Chile als Staatschefinnen und in Deutschland, Jamaika und Südkorea als Regierungschefinnen in die höchsten Staatsämter gelangt sind;
3. begrüßt die jüngste Ernennung einer Frau zur Vizepräsidentin der Regierung in Spanien, zur Außenministerin in Österreich, Griechenland, Israel und im Vereinigten Königreich sowie zur Verteidigungsministerin in Chile;
4. begrüßt die Geschlechtergleichstellungspolitik der spanischen Regierung unter Führung von José Luis Zapatero, die insbesondere zur Ernennung eines exemplarischen paritätisch besetzten Kabinetts geführt hat;
5. bedauert zutiefst, dass trotz zahlreicher politischer Erklärungen und Empfehlungen, weltweit angenommener Aktionsprogramme und auf nationaler Ebene erlassener konkreter Rechtsvorschriften nach wie vor Ungleichheit und geschlechterspezifische Diskriminierung herrschen und Frauen in der Politik sowohl in Europa als auch weltweit unterrepräsentiert sind; verweist insbesondere darauf, dass der Prozentanteil der weiblichen Mitglieder des Europäischen Parlaments je nach Mitgliedstaat schwankt zwischen 0 und 58 % (mit einem Durchschnitt von leicht über 30%) und dass der Prozentanteil der weiblichen nationalen Abgeordneten der Mitgliedstaaten zwischen 9 und 45 % schwankt;
6. verweist darauf, dass die schwache Beteiligung von Frauen in den Entscheidungs- und Führungsgremien häufig auf Probleme bei der Vereinbarkeit von Privat- und Berufsleben, eine ungleiche Aufteilung der familiären Pflichten und auf Diskriminierung am Arbeitsplatz und bei der beruflichen Bildung zurückzuführen ist;
7. betont die Notwendigkeit, hinter die Zahlen zu blicken und sich vor allem darauf zu konzentrieren, wie sich der Gestaltungswille der in der Politik tätigen Frauen auf die Führungsarbeit und die Konfliktbeilegung auswirkt und wie sie dazu beitragen, sicherzustellen, dass die Themen Reform der Regierungsführung, Rechenschaftspflicht und Rechtsstaatlichkeit auf nationaler wie internationaler Ebene ganz oben auf die politische Agenda gesetzt werden;
8. unterstreicht, dass Europa durch die schwache Präsenz von Frauen in der Politik kostbare Humanressourcen vorenthalten werden;
9. unterstützt die Arbeit des VN-Entwicklungsfonds für Frauen und der Interparlamentarischen Union im Hinblick auf eine nach Geschlechtern ausgewogenere politische Szene;
10. begrüßt die Einbeziehung des Themas Gleichstellung von Frauen und Männern in Entscheidungsprozessen auf allen Ebenen in das Arbeitsprogramm der CEDAW für 2006 und sieht ihren Erkenntnissen und Empfehlungen erwartungsvoll entgegen; fordert Kommission und Ratsvorsitz auf, dem Parlament eine Kurzdarstellung der CEDAW-Verhandlungen zu geben;
11. bedauert zutiefst, dass Frauen in den Funktionen von Sonderbeauftragten oder persönlichen Vertreterinnen oder als persönliche Beraterinnen oder Sonderberaterinnen des Generalsekretärs der Vereinten Nationen und in anderen hochrangigen Funktionen innerhalb der Vereinten Nationen unterrepräsentiert sind;
12. verweist darauf, dass die Position des UN-Generalsekretärs noch nie von einer Frau bekleidet wurde; bedauert zutiefst, dass nach dem Ausscheiden der stellvertretenden UN-Generalsekretärin die frei gewordene Position mit einem Mann besetzt wurde; fordert nachdrücklich, die Position des stellvertretenden Generalsekretärs mit einer Frau zu besetzen, wenn der Generalsekretär ein Mann ist, und umgekehrt;
13. ermutigt den Generalsekretär der Vereinten Nationen, mehr Frauen zu Sonderbeauftragten des Generalsekretärs, Vertreterinnen oder Sonderbotschafterinnen, persönlichen Beraterinnen oder Sonderberaterinnen zu ernennen; fordert den Generalsekretär der Vereinten Nationen auf, von den VN-Mitgliedstaaten zu verlangen, neben den Namen männlicher Kandidaten auch die Namen weiblicher Kandidaten zu übermitteln, wenn solche hochrangigen Positionen zu besetzen sind;
14. ermutigt die Delegationen des Sicherheitsrates, Frauen aufzunehmen, bei allen friedenserhaltenden und friedensschaffenden sowie Konfliktlösungsmaßnahmen die Berücksichtigung des Gleichstellungsaspekts sicherzustellen und bei Reisen in Konfliktgebiete auch mit lokalen Frauenorganisationen zusammenzutreffen;
15. begrüßt den Beschluss des Rates, einen Fragebogen an die Mitgliedstaaten zu senden und sie um Informationen über die Schritte zu bitten, die sie zwecks Umsetzung der Resolution 1325 des VN-Sicherheitsrates unternommen haben; fordert den Rat auf, dem Parlament seine Erkenntnisse mitzuteilen;
16. fordert den Hohen Vertreter der EU für die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, die Kommission und alle Mitgliedstaaten auf, mehr Frauen als zivile und militärische Mitarbeiterinnen sowie bei der Polizei einzustellen und bei allen ESVP-Missionen eine für Gleichstellungsfragen verantwortliche Person zu benennen;
17. ermutigt nachdrücklich dazu, das gesamte bei ESVP-Missionen eingesetzte Personal in Sachen Gleichstellung zu schulen; regt die Veröffentlichung eines Leitfadens zum Thema Gleichstellung an, der sich mit den das gesamte Personal der ESVP-Operationen betreffenden geschlechtsspezifischen Folgen während und nach Konflikten befasst;
18. begrüßt die gestiegene Zahl von weiblichen Kommissaren unter Kommissionspräsident Barroso, bedauert jedoch, dass auf der Ebene der Kommissionsmitglieder noch nicht die volle Parität erreicht ist, die Europa und der Welt als Beispiel dienen könnte;
19. begrüßt den neuen Fahrplan der Kommission für die Gleichstellung von Frauen und Männern, insbesondere ihre Entscheidung, ein Netzwerk von Frauen in Entscheidungsprozessen zu fördern;
20. begrüßt den Beschluss, ein Europäisches Institut für Gleichstellungsfragen zu schaffen, das die Initiative zur Förderung einer stärkeren Vertretung der Frauen in der internationalen Politik ergreifen sollte;
21. fordert die Kommission auf, es regelmäßig über den Stand der Arbeiten der für Grundrechte, Antidiskriminierung und Chancengleichheit zuständigen Gruppe von Kommissionsmitgliedern zu informieren;
22. bedauert, dass lediglich 7 der 107 EU-Delegationen für die Beziehungen zu Drittländern derzeit von Frauen geleitet werden; fordert die Kommission auf, in den Außendelegationen mehr Frauen in Spitzenpositionen einzustellen;
23. fordert die Kommission auf, die Außenbeziehungen der EU und die entwicklungs- und kooperationspolitischen Instrumente als Mittel zur Förderung von Frauen in der Politik zu nutzen, insbesondere die Mitwirkung der Frauen als Wählerinnen und Kandidatinnen, die Aufnahme des Themas Geschlechterfragen in die Wahlprogramme der Parteien während der Wahlkampagnen wie auch bei der Zusammenarbeit mit anderen regionalen Organisationen, vor allem mit Blick auf den Kapazitätsaufbau;
24. fordert die Kommission auf, ihre Unterstützung für Projekte zur Gewährleistung der Mitwirkung der Frauen am politischen Leben innerhalb und außerhalb der EU, vor allem in Entwicklungsländern, zu erhöhen;
25. empfiehlt, dass sein zuständiger Ausschuss eine ständige und regelmäßige Zusammenarbeit zwischen weiblichen Abgeordneten aus der ganzen Welt herstellt und unterstützt und Mittel zur Verfügung stellt, damit sie mindestens einmal jährlich zusammentreffen können, sowie für andere gemeinsame Aktivitäten im Rahmen dieser Zusammenarbeit;
26. fordert die Mitgliedstaaten und die Kommission auf, gegebenenfalls Bildungsprogramme zu fördern, die Bürger, vor allem junge Menschen, dafür sensibilisieren, dass Frauen ebenso wie Männer das Recht haben, sich schon in jungen Jahren uneingeschränkt am politischen Leben zu beteiligen;
27. fordert das künftige Europäische Institut für Gleichstellungsfragen auf, dem Europäischen Parlament regelmäßig über seine Datensammlung und die Auswirkungen der nationalen Gleichstellungsgesetze und -politiken sowie über bewährte Verfahren europäischer und nationaler Parteien Bericht zu erstatten;
28. fordert das künftige Europäische Institut für Gleichstellungsfragen auf, die Fortschritte bei der ausgewogenen Mitwirkung von Frauen und Männern am politischen und öffentlichen Leben in Europa durch die Festlegung und Anwendung von Indikatoren für die Überwachung und Bewertung auf der Grundlage international vergleichbarer nach Geschlechtern aufgeschlüsselte Daten zu überwachen und zu bewerten und dann Berichte über die ergriffenen Maßnahmen und die erzielten Fortschritte bei der Beteiligung der Frauen am Entscheidungsprozess zu veröffentlichen und diese Berichte umfassend zu verbreiten;
29. fordert das künftige Europäische Institut für Gleichstellungsfragen auf, sich mit unabhängigen Gremien wie einer Beobachtungsstelle für Gleichstellungsfragen oder einer auf nationaler Ebene geschaffenen besonderen unabhängigen Vermittlungsstelle abzustimmen, um die Regierungspolitik im Bereich ausgewogene Mitwirkung von Frauen und Männern am politischen und öffentlichen Leben zu überwachen;
30. ermutigt das künftige Europäische Institut für Gleichstellungsfragen, mit Forschungseinrichtungen zusammenzuarbeiten, um die Hindernisse für den Zugang von Frauen zu hochrangigen öffentlichen Funktionen und zur Politik eingehender zu untersuchen, auch durch Erforschung von Frauenstereotypen in der Politik;
31. ermutigt das künftige Europäische Institut für Gleichstellungsfragen, es nicht bei Zahlenangaben zu belassen und tatsächlich zu messen, wie Frauen die politischen Tagesordnungen auf nationaler wie auch internationaler Ebene beeinflussen, insbesondere durch die Förderung einer verantwortungsvollen Regierungsführung, der Rechenschaftspflicht und der Rechtsstaatlichkeit;
32. erkennt an, dass Staaten der wichtigste Motor für einen effektiven Wandel bei der politischen Vertretung sind; fordert, dass alle Staaten den Verpflichtungen, die sie im Rahmen der Erklärung und der Aktionsplattform von Beijing im September 1995 sowie von Beijing +5 und Beijing +10 eingegangen sind, sowie ihren Verpflichtungen gemäß dem Völkerrecht nachkommen, insbesondere im Hinblick auf die Umsetzung der Resolution 1325 des VN-Sicherheitsrates und der Lissabon-Strategie;
33. ermutigt die Vereinten Nationen nachhaltig, eine neue Weltfrauenkonferenz zu fordern, die die Schaffung eines geeigneten weltweiten Forums zur Erörterung der Rechte der Frauen gewährleisten soll, und zehn Jahre nach der Vierten Weltfrauenkonferenz, die 1995 in Peking stattfand, diesen Prozess in Gang zu halten;
34. appelliert an die Mitgliedstaaten, Frauen zu ermutigen, sich für hochrangige Ämter auf internationaler Ebene zu bewerben, und fordert die Mitgliedstaaten auf, neben den Namen männlicher Kandidaten für hochrangige Positionen bei internationalen Verhandlungen und politischen Gestaltungsprozessen, vor allem in internationalen Organisationen, auch die Namen weiblicher Kandidaten zu nennen;
35. fordert die Kommission auf, bewährte Verfahren bei internationalen und nationalen Maßnahmen zur Stärkung der Stellung der Frau in den höchsten Ämtern der internationalen Politik zu analysieren und zu verbreiten;
36. fordert die Regierungen der Mitgliedstaaten auf, soweit dies nötig ist, ihre nationalen Rechtsvorschriften zu revidieren, um die Geschlechterparität in der Politik zu fördern; fordert die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten auf, gegebenenfalls ihre nationalen Aktionspläne zur Gleichstellung der Geschlechter zu revidieren, um praktische Maßnahmen zur Umsetzung der Geschlechterparität in der Politik zu formulieren;
37. fordert die Mitgliedstaaten auf, mehr Frauen für die diplomatische Laufbahn zu gewinnen, auszubilden und zu benennen und bei den Delegationen, die zu den VN und anderen internationalen Treffen und Konferenzen entsandt werden, für Geschlechterparität zu sorgen;
38. fordert die Regierungen der Mitgliedstaaten auf, negativen gesellschaftlichen Haltungen in Bezug auf die Fähigkeit von Frauen entgegenzutreten, gleichberechtigt am politischen Prozess teilzunehmen, z.B. durch Gesetzesänderungen oder Kampagnen zugunsten einer stärkeren Vertretung von Frauen in der Politik, und das Ziel der Geschlechterparität in allen öffentlichen Ämtern zu fördern;
39. fordert die Mitgliedstaaten auf, ihre Verfassung, ihre Rechtsvorschriften und die Praxis in ihrem Land zu überprüfen, um zu gewährleisten, dass die Gleichstellung von Männern und Frauen als ein Grundprinzip in den Verfassungen der Mitgliedstaaten verankert wird, und die unterschiedlichen Auswirkungen von Wahlsystemen auf die politische Vertretung von Frauen in gewählten Gremien zu überprüfen und eine Anpassung oder Reform dieser Systeme in Erwägung zu ziehen, um eine ausgewogene Vertretung zu gewährleisten;
40. fordert die Mitgliedstaaten auf, im Einklang mit den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Barcelona und der Lissabon- Strategie Maßnahmen zur Förderung der Vereinbarkeit von Gesellschafts-, Familien- und Berufsleben zu treffen und so ein Umfeld zu schaffen, das die uneingeschränkte Beteiligung von Frauen an der Politik ermöglicht;
41. fordert die Mitgliedstaaten auf, angemessene gesetzgeberische und/oder administrative Maßnahmen zu treffen, um gewählte Vertreter bei der Vereinbarung ihrer familiären und öffentlichen Pflichten zu unterstützen, und insbesondere Parlamente sowie kommunale und regionale Behörden zu ermutigen, dafür zu sorgen, dass ihre Terminpläne und Arbeitsmethoden gewählten Vertretern beiderlei Geschlechts die Vereinbarkeit von Arbeits- und Familienleben ermöglichen;
42. fordert die Mitgliedstaaten auf, gesetzgeberische und/oder administrative Maßnahmen in Erwägung zu ziehen, mit denen Arbeitgeber ermutigt und unterstützt werden sollen, damit Beschäftigte, die am politischen und öffentlichen Entscheidungsprozess teilnehmen, das Recht erhalten, ohne Benachteiligung von ihrer Tätigkeit freigestellt zu werden;
43. fordert die Mitgliedstaaten auf, den Frauen mehr Ausbildungsmöglichkeiten zum Erwerb der entsprechenden Kompetenzen anzubieten, um eine Laufbahn in der Politik und den Zugang zu hochrangigen Posten zu erleichtern;
44. fordert die Parteien in ganz Europa auf, auf ihren Listen für alle Arten von gemeinschaftlichen Organen beiden Geschlechtern einen Anteil von mindestens 40% und höchstens 60% einzuräumen, um eine paritätische Vertretung sicherzustellen;
45. fordert die Mitgliedstaaten auf, die Parteienfinanzierung an das Erreichen der paritätischen Listenaufstellung zu binden;
46. ermutigt die Parteien in ganz Europa dazu, alle Hindernisse zu beseitigen, die direkt oder indirekt die Beteiligung von Frauen erschweren, um sicherzustellen, dass Frauen auf allen Entscheidungsebenen, in sämtlichen politischen Leitungsorganen, bei Ernennungverfahren sowie bei der Führung von Parteien Männern ohne Einschränkung gleichgestellt werden;
47. fordert die Parteien auf, ihre weiblichen Mitglieder in Kampagnenführung und Rhetorik zu schulen;
48. fordert die Parteien auf, qualifizierte Frauen und Männer auf ihre Listen für Wahlämter zu setzen;
49. spricht sich dafür aus, speziell auf Wählerinnen zugeschnittene Strategien zu entwickeln und die konkreten Belange und Erwartungen von Frauen in den Parteiprogrammen deutlicher zu akzentuieren;
50. ermutigt die Außendelegationen des Parlaments, das Bewusstsein für die Frage der Vertretung von Frauen in der Politik zu schärfen;
51. bekräftigt sein Bekenntnis zu seinem Gender Mainstreaming-Konzept und einer ausgewogenen Vertretung beider Geschlechter in allen Delegationen und Missionen, einschließlich Wahlbeobachtungsmissionen;
52. ermutigt Wahlbeobachtungsmissionen unter der Leitung seiner Mitglieder, besonders auf die Beteiligung von Frauen an Wahlkampagnen zu achten, und zwar sowohl als Kandidatinnen wie als Wählerinnen;
53. unterstützt die Förderung junger Frauen in zivilgesellschaftlichen Organisationen, damit sie Erfahrungen, Fertigkeiten und Fähigkeiten erwerben können, die auf den Bereich der politischen Mitwirkung übertragbar sind;
54. unterstützt die Schaffung von Nichtregierungsorganisationen, die Schulungen durchführen zum Erwerb von Führungsqualitäten, Entscheidungsfähigkeiten, freien Rhetorikfähigkeiten, zur Nutzung der Informations- und Kommunikationstechnologien, in Vertrauensbildung und Organisation politischer Kampagnen, sowie die Förderung solcher NGO, sofern sie bereits existieren;
55. bestärkt die Medien darin, die Bedeutung der Mitwirkung von Frauen im politischen Prozess anzuerkennen, eine faire und ausgewogene Berichterstattung über männliche und weibliche Kandidaten anzubieten und auch die Auswirkungen von Parteiprogrammen auf die Förderung der Bedürfnisse der Frauen sowie ihrer Rechte und demokratischen Vertretung zu beachten;
56. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat und der Kommission, den anderen EU-Institutionen und -Organisationen, den Regierungen und Parlamenten der EU- sowie der VN-Mitgliedstaaten sowie dem Generalsekretär der Vereinten Nationen zu übermitteln.
- [1] ABl. C 364 vom 18.12.2000, S. 1.
- [2] http://conventions.coe.int/Treaty/en/Treaties/Html/005.htm
- [3] ABl. C 262 vom 18.9.2001, S. 248.
- [4] ABl. C 346 vom 4.12.2000, S. 82.
- [5] ABl. C 168 vom 4.7.1995, S. 3.
- [6] ABl. L 319 vom 10.12.1996, S. 11.
- [7] ABl. C 228 vom 13.8.2001, S. 186.
- [8] Angenommene Texte dieses Datums, P6_TA(2006)0245).
- [9] http://www.europa-eu-un.org/articles/en/article_5495_en.htm
- [10] Entschließung des Europäischen Parlaments zu Frauen im Entscheidungsprozess (ABl. C 346 vom 4.12.2000, S. 82).
BEGRÜNDUNG
Angefangen bei den Sagen des klassischen Altertums (Amazonen in der griechischen Mythologie) bis zur Alten Geschichte (legendäre Königinnen von Äthiopien — 4530-3240 v. Chr.) und zur Neuen Geschichte: Die Beteiligung von Frauen am politischen Leben, sei sie direkt (mittels eines öffentlichen Amtes) oder indirekt (mittels einflussreicher Positionen) gewesen, wurde häufig thematisiert. Noch heute ist es interessant, die Wortwahl in den Medien zu beobachten: Geht es um die Wahl/Ernennung einer Frau in ein hohes politisches Amt, wird systematisch das Adjektiv „weiblich“ bzw. das Substantiv „Frau“ verwendet. Bei Männern ist dies nicht der Fall.
Das aktive und passive Wahlrecht von Frauen hat im Laufe des 20. Jahrhunderts langsam an Boden gewonnen. Amerikanerinnen erhielten 1788 als erste Frauen das passive Wahlrecht. Neuseeland war das erste Land, das Frauen offiziell das aktive Wahlrecht zusprach — dies geschah im Jahr 1893. Es folgten Australien (1902), Finnland (1906), Norwegen (1907), Portugal (1931), Frankreich (1944) und die Schweiz (1971), um nur einige Länder zu nennen. In Kuwait wurde das Frauenwahlrecht erst kürzlich eingeführt, in Afghanistan nach dem Fall des Taliban-Regimes wieder eingeführt[1]. Angemerkt sei ferner, dass Beschränkungen des Wahlrechts von Frauen (z. B. nur Hochschulabsolventinnen) nach und nach aufgehoben wurden und Frauen in den meisten Ländern heutzutage Männern gleichgestellt sind.
Im vorliegenden Bericht wird die Situation von Frauen in der internationalen Politik an der Schwelle zum 21. Jahrhundert dargestellt. Es darf dabei nicht vergessen werden, dass Frauenrechte für mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung vor allem Menschenrechte sind. Welche internationalen Positionen nehmen Frauen heute ein? Welche Art von politischer Verantwortung mit außenpolitischem Bezug wird ihnen anvertraut? Welchen Unterschied macht ihre Präsenz aus, wenn es um die Förderung von Frauenrechten als Menschenrechten bzw. die gesamtgesellschaftliche Politikgestaltung geht?
Dank des so wichtigen Beijinger Gipfels von 1995 wurde das Bewusstsein für die Hindernisse geschärft, die Frauen nach wie vor den uneingeschränkten Zugang zur Politik verstellen. Beijing war ein Wendepunkt und hat dazu beigetragen, Antidiskriminierungsfragen in den Vordergrund politischen Handelns zu rücken. Die öffentliche Meinung und die Entscheidungsträger stehen seitdem der Möglichkeit, hohe Ämter mit Frauen zu besetzen, aufgeschlossener gegenüber. Gleichstellungsgesetze, die Einführung von Quoten oder allein die Drohung damit folgten. Was hat dies alles nun bewirkt?
Die jüngste Entwicklung kann Mut machen: Die Sichtbarkeit von Frauen auf der weltpolitischen Bühne hat sich in den letzten Jahren verstärkt, seit mit Madeleine Albright und Condoleezza Rice (Vereinigte Staaten), Megawati Sukarnoputri (Indonesien), Corazon Aquino, Gloria Arroyo (Philippinen) und Angela Merkel (Deutschland) Frauen in die höchsten Staats- oder Regierungsänter gelangt sind. Einige Frauen sind zu Ministerinnen in Ressorts ernannt worden, die traditionell Männern vorbehalten waren, wie Verteidigung oder Finanzen (z. B. Michèle Alliot-Marie in Frankreich und Manuela Ferreira Leite in Portugal). In den ersten Monaten dieses Jahres wurde die finnische Präsidentin Tarja Kaarina Halonen in ihrem Amt bestätigt. Michelle Bachelet in Chile und Hellen Johnson-Sirleaf in Liberia sind auf ihren jeweiligen Kontinenten als erste Frauen zu Staatspräsidentinnen gewählt worden. In Südkorea wurde Han Myeong Sook im März zur Außenministerin ernannt. Israel und das VK, Länder, in denen es bereits Premierministerinnen gegeben hat, ernannten kürzlich ebenfalls weibliche Außenminister. Anfang Juni wurde Susan Schwab zur US-Handelsvertreterin ernannt. Heute, da die Wahl eines neuen Generalsekretärs der Vereinten Nationen ansteht, wird vielfach die Ansicht vertreten, dass es viele erfahrene und qualifizierte Frauen gibt, die dieses Amt übernehmen könnten.
Die nähere Betrachtung der aktuellen Zahlen zur Vertretung von Frauen in der Politik bietet jedoch nur wenig Anlass zur Freude. Hindernisse, die außerhalb des gesetzlichen Bereichs liegen, stehen der uneingeschränkten Beteiligung von Frauen am öffentlichen Leben nach wie vor im Weg. Das Thema Frauen in der Politik muss weiterhin ganz oben auf der politischen Tagesordnung bleiben, auf internationaler wie auf nationaler Ebene. Trotz aller Willensbekundungen und internationalen Übereinkünfte, der Resolution 1325 des Sicherheitsrates oder der Entschließung 2025 der Europäischen Parlaments vom November 2000, ist der Anteil der auf der internationalen Bühne vertretenen Frauen im Verhältnis zu ihren männlichen Kollegen nach wie vor ziemlich gering. Frauen werden nach wie vor nicht als gleichberechtigte Partnerinnen von Männern angesehen, obwohl sie nach wie vor stets im Zentrum der Konfliktlösungsstrategien stehen (siehe Véronique de Keysers Bericht über die Situation von Frauen in bewaffneten Konflikten und ihre Rolle beim Wiederaufbau und im demokratischen Prozess in Ländern nach der Beendigung von Konflikten).
Der positive Beitrag von Frauen zu Frieden und Sicherheit wird noch immer nicht gewürdigt, wenn man beispielsweise den Friedensnobelpreis zum Maßstab nimmt (er wird seit 1901 vergeben, doch nur 12 der 92 Preisträger waren weiblich).
In lediglich 7 der 191 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen bestimmen Staatschefinnen, in 8 dieser Staaten Regierungschefinnen die Geschicke ihres Gemeinwesens.
In einer kürzlich veröffentlichten Umfrage hebt die Interparlamentarische Union (IPU) hervor, dass nur 16,4% (7.195) der weltweit gezählten 43.961 Abgeordneten (beide Kammern zusammengerechnet) Frauen sind. In den skandinavischen Staaten gibt es die meisten weiblichen Abgeordneten (40%), dann folgen Nord- und Südamerika (19,6) und Europa (OSZE-Staaten ohne skandinavische Staaten) mit einem Durchschnitt von 16,9% — kaum höher als im südlichen Afrika (16,4%) oder in Asien (16,3%); im pazifischen Raum (12%) und in den arabischen Staaten sind lediglich 8,3% der gewählten Parlamentsmitglieder weiblich.
Interessanterweise ist in Staaten, die erst kürzlich einen Konflikt überstanden haben, eine hohe Zahl von Frauen in öffentlichen Ämtern anzutreffen, obwohl es vorher keine solche Tradition gab und es sich um sehr patriarchalisch geprägte Gesellschaften handelte. Dies ist der Fall in Afghanistan, Ruanda und Osttimor. Grund dafür war der Umstand, dass die Organisation der Wahlen in diesen Ländern in den Händen der VN lag, die eine ausgewogenere Berücksichtigung der Geschlechter in den Partei- und Wahlstrategien erzwangen. Diese Erfahrungen zeigen, dass es in allen Ländern möglich ist, den Anteil der in der Politik vertretenen Frauen ebenso dramatisch zu verändern, wenn auf Seiten der für den politischen Prozess bzw. die Wahlen Verantwortlichen der entsprechende politische Wille vorhanden ist.
Man muss jedoch hinter die Zahlen blicken und den tatsächlichen Einfluss von Frauen auf die politische Agenda messen, und zwar auf nationaler wie auf internationaler Ebene. Nach Ansicht der Berichterstatterin werden Themen wie verantwortungsvolles Regieren, Reformen der Regierungsführung und Rechtsstaatlichkeit auf nationaler wie auf internationaler Ebene mehr Gewicht gewinnen und auf der politischen Agenda weiter nach oben rücken.
In den letzten Jahren wurde der positive Beitrag von Frauen auf den Gebieten Diplomatie, Konfliktlösung, Friedenseinsätze und -verhandlungen, aber auch Polizei und Justiz weithin anerkannt. Die Resolution 1325 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom Oktober 2000 ist ein Beleg für dieses Bewusstsein, da darin nicht nur die allgemein bekannte Tatsache hervorgehoben wird, dass Konflikte das Schicksal von Frauen beeinflussen, sondern ebenso, dass Frauen Einfluss auf Konflikte nehmen können, und zwar auf allen Ebenen, indem sie u.a. Lösungsmöglichkeiten finden und Versöhnungsprozesse sowie langfristige Entwicklungsstrategien fördern. Daraus folgt die Notwendigkeit, dass Frauen an friedenserhaltenden Missionen (und zwar nicht nur als Beraterinnen für Gleichstellungsfragen) und Friedensverhandlungen beteiligt werden müssen.
Der keineswegs alle Aspekte behandelnde Bericht konzentriert sich auf die „sichtbarsten“ Positionen in der politischen Arena, die es Frauen ermöglichen, Einfluss auf Frieden und Sicherheitsangelegenheiten zu nehmen: Staatschefinnen, Premier-, Außen- und Verteidigungsministerinnen, Repräsentantinnen der Institutionen regionaler Organisationen (wobei der Schwerpunkt auf Europa gelegt wird — EU, OSZE und Europarat) sowie die Vereinten Nationen.
Die politische Bedeutung von Indikatoren bzw. Daten oder aber ihr Fehlen sei hervorgehoben. Die Erfassung von Daten und Gleichstellungsmaßnahmen in anderen regionalen Organisationen für diesen Bericht war eine echte Herausforderung. Nicht einfacher war es, herauszufinden, welche öffentlichen Positionen Frauen derzeit innehaben oder welche Spitzenämter in internationalen Organisationen mit Frauen besetzt sind. Als noch komplizierter erwies es sich, an Daten zu regionalen Organisationen außerhalb des „Westens“ zu gelangen. Die wichtigsten Empfehlungen der Berichterstatterin richten sich hauptsächlich an die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten als die zentralen Verwahrstellen für alle auf internationaler Ebene angenommenen Gesetzestexte. Die EU und ihre Mitgliedstaaten müssen ein Beispiel auf internationaler Ebene geben, insbesondere auf der Ebene der Vereinten Nationen. Regierungen der EU-Mitgliedstaaten und sämtliche EU-Institutionen, allen voran Kommission und Rat, müssen den Namen eines weiblichen Kandidaten für jeden von ihnen für eine Stelle auf EU-Ebene (wie z. B. Sonderbeauftragte/r für die GASP) oder auf internationaler Ebene vorgeschlagenen männlichen Kanditaten nennen, vor allem bei den Vereinten Nationen. Eine aktivere Rolle wird auch empfohlen in Bezug auf die EU-Außenstellen, um die ausgewogene Vertretung der Geschlechter in allgemein- und entwicklungspolitischen Programmen in Drittstaaten zu fördern, und zwar als Teil der Gesamtstrategie der EU zur Verwirklichung der Millenniums-Entwicklungsziele, wobei insbesondere die in MDG3 formulierten entscheidenden Aspekte zu nennen sind, nämlich die „Förderung der Gleichstellung der Geschlechter und Stärkung der Rolle der Frauen“.
Die Berichterstatterin möchte ferner eine Reihe von Empfehlungen für Maßnahmen des Generalsekretärs der Vereinten Nationen geben, der eine wichtige Rolle bei der Einstellungspolitik der VN spielen und sie zu einem Modell für eine gerechtere Verteilung von hoch angesiedelten Positionen auf Männer und Frauen werden lassen kann.
Die Rolle der Parteien in jedem einzelnen Land ist ebenfalls von zentraler Bedeutung für die Herstellung der Geschlechterparität. Die Berichterstatterin fordert die Parteien in ganz Europa auf, Maßnahmen zu ergreifen, die sicherstellen, dass sich der Anteil beider Geschlechter in allen gemeinschaftlichen politischen Organen innerhalb einer Spanne von mindestens 40% und höchstens 60% bewegt. Sie fordert die Parteien außerdem auf, weibliche Politiker in geeigneter Weise zu schulen, um die derzeit herrschende Geschlechterkluft abbauen zu können. Die Lissabonner EU-Strategie für Wachstum und Beschäftigung hebt die volle Beteiligung von Frauen am Wirtschaftsleben als entscheidend hervor. Die Berichterstatterin weist darauf hin, dass die Lissabon-Strategie eine gleichstellungsorientierte Wirtschaftspolitik ins Zentrum der Gesamtstrategie für Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit der EU stellt. Nach Ansicht der Berichterstatterin ist die uneingeschränkte Teilhabe von Frauen an der Politik ein Schlüsselelement zur Verwirklichung einer gleichstellungsorientierten Wirtschaftspolitik.
- [1] In den Vereinigten Arabischen Emiraten, wo die Parlamentsmitglieder offiziell ernannt werden, besitzen weder Männer noch Frauen das aktive oder passive Wahlrecht. In Saudi-Arabien nahmen Männer 2005 an den ersten Kommunalwahlen teil, die je in diesem Land stattfanden. Frauen blieb das aktive wie das passive Wahlrecht verwehrt. Kuwaitische Frauen durften das aktive und passive Wahlrecht erstmals bei den Kommunalwahlen im April 2006 ausüben. http://www.ipu.org/wmn-e/suffrage.htm
VERFAHREN
Titel |
Frauen in der internationalen Politik |
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Verfahrensnummer |
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Federführender Ausschuss |
FEMM |
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Mitberatende(r) Ausschuss/Ausschüsse |
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Nicht abgegebene Stellungnahme(n) |
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Verstärkte Zusammenarbeit |
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Berichterstatter(in/innen) |
Ana Maria Gomes |
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Ersetzte(r) Berichterstatter(in/innen) |
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Prüfung im Ausschuss |
12.9.2006 |
5.10.2006 |
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Datum der Annahme |
5.10.2006 |
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Ergebnis der Schlussabstimmung |
+: –: –: |
12 9 0 |
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Zum Zeitpunkt der Schlussabstimmung anwesende Mitglieder |
Edit Bauer, Hiltrud Breyer, Edite Estrela, Věra Flasarová, Lissy Gröner, Lívia Járóka, Rodi Kratsa-Tsagaropoulou, Urszula Krupa, Astrid Lulling, Siiri Oviir, Marie Panayotopoulos-Cassiotou, Marie-Line Reynaud, Teresa Riera Madurell |
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Zum Zeitpunkt der Schlussabstimmung anwesende(r) Stellvertreter(in/innen) |
Iratxe García Pérez, Lidia Joanna Geringer de Oedenberg, Ana Maria Gomes, Karin Resetarits, Feleknas Uca |
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Zum Zeitpunkt der Schlussabstimmung anwesende(r) Stellv. (Art. 178 Abs. 2) |
Manolis Mavrommatis, Margrietus van den Berg, Karin Scheele |
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Datum der Einreichung |
17.10.2006 |
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Anmerkungen (Angaben nur in einer Sprache verfügbar) |
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