BERICHT über die Reformen in der arabischen Welt: Welche Strategie verfolgt die Europäische Union?
3.4.2007 - (2006/2172(INI))
Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten
Berichterstatter: Michel Rocard
ENTWURF EINER ENTSCHLIESSUNG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS
zu den Reformen in der arabischen Welt: Welche Strategie verfolgt die Europäische Union?
Das Europäische Parlament,
– in Kenntnis der Leitlinien und Strategien der Kommission und des Rates für die verschiedenen Länder der arabischen Welt,
– in Kenntnis des im Dezember 2006 vom Europäischen Rat angenommenen Zwischenberichts über die strategische Partnerschaft mit dem Mittelmeerraum sowie dem Nahen und Mittleren Osten,
– in Kenntnis der im Jahre 2003 vom Hohen Vertreter der EU vorgelegten europäischen Strategie für die arabische Welt,
– in Kenntnis der Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament „Größeres Europa – Nachbarschaft: Ein neuer Rahmen für die Beziehungen der EU zu ihren östlichen und südlichen Nachbarn“ (KOM(2003)0104), ihr Strategiepapier zur Europäischen Nachbarschaftspolitik (KOM(2004)0373), ihren Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung eines Europäischen Nachbarschafts- und Partnerschaftsinstruments (KOM(2004)0628), ihre Mitteilung an den Rat über die Vorschläge der Kommission für Aktionspläne im Rahmen der Europäischen Nachbarschaftspolitik (ENP) (KOM(2004)0795) und die Aktionspläne für die betroffenen Länder sowie ihrer Mitteilung über die Stärkung der Europäischen Nachbarschaftspolitik (KOM(2006)0726),
– in Kenntnis der am 21. April 2005 formulierten politischen Prioritäten des europäischen Vorsitzes der Parlamentarischen Versammlung Europa-Mittelmeer (EMPA), die in der Intensivierung des Menschenrechtsdialogs mit den Parlamenten der Partnerländer bestehen,
– in Kenntnis der Entschließungen der Parlamentarischen Versammlung Europa-Mittelmeer, die auf den Tagungen vom 21. November 2005 in Rabat und vom 27. März 2006 in Brüssel angenommen wurden,
– in Kenntnis der Berichte über die menschliche Entwicklung in der arabischen Welt, die 2002, 2003 und 2005 vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) veröffentlicht wurden, und insbesondere des 2004 veröffentlichten Berichts mit dem Titel „Freiheit für die arabische Welt“,
– unter Hinweis auf seine früheren Entschließungen zur Mittelmeerpolitik der Europäischen Union, insbesondere die Entschließung vom 12. Februar 2004 zu neuen Impulsen für Maßnahmen der Europäischen Union im Bereich der Menschenrechte und der Demokratisierung in Zusammenarbeit mit den Partnern im Mittelmeerraum, das auf dem Europa-Mittelmeergipfel am 28. November 2005 in Barcelona angenommene Fünfjahres-Arbeitsprogramm sowie seine Entschließung vom 27. Oktober 2005 zum Barcelona-Prozess neu aufgelegt,
– unter Hinweis auf die Charta der Vereinten Nationen und die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte,
– gestützt auf Artikel 45 seiner Geschäftsordnung,
– in Kenntnis des Berichts des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten (A6‑0127/2007),
A. in der Erwägung, dass der Begriff Arabität, verstanden als identitätsstiftendes Bindeglied, wie ein Wesenszug empfunden wird, der den Völkern und den Staaten eines großen geografischen Gebiets, das sich vom Maghreb über den Maschrik und den Nahen Osten bis zum Persischen Golf erstreckt, gemeinsam ist und als solcher geltend gemacht wird,
B. in der Erwägung, dass diese Arabität jedoch unter unterschiedlichen Rahmenbedingungen, - in politischer Hinsicht (Monarchien, arabische Republiken, Staat Israel und Palästinensische Autonomiebehörde), in religiöser Hinsicht (Sunniten,– einschließlich der Wahhabiten -, Aleviten, Drusen, Schiiten oder Christen verschiedener Glaubensrichtungen) und in soziologischer Hinsicht (Großstädte, ländliche Gebiete, Bergregionen oder Nomadenvölker) in verschiedenen Formen zum Ausdruck kommt, allerdings - länderübergreifend - gemeinsame Merkmale aufweist,
C. in der Erwägung, dass die europäische Wahrnehmung der arabischen Welt sich im Allgemeinen auf ein Konzept beschränkt, das auf bilateralen oder subregionalen Beziehungen zwischen den Staaten beruht, und in der Erwägung, dass es angezeigt ist, der allgemeinen Strategie der EU für die arabische Welt ausgehend nicht nur von bestehenden regionalen Organisationen (Arabische Liga, Golf-Kooperationsrat, Union des Arabischen Maghreb), sondern auch von den bestehenden Instrumenten und Strukturen (Euromed, Meda-Programm, Assoziierungsabkommen, Europäische Nachbarschaftspolitik) sowie durch eine Verstärkung der Unterstützung für die nichtstaatlichen Akteure in der Region neuen Schwung zu verleihen,
D. in der Erwägung, dass die Strategie für die arabische Welt, die vom Hohen Vertreter der EU im Jahre 2003 vorgelegt wurde, weitestgehend das Ergebnis der Gefahren und Bedrohungen war, die seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 aufgetreten sind,
E. in der Erwägung, dass heute auf europäischer Seite ein besseres und tieferes Verständnis der facettenreichen Gesellschaft und kulturellen Verschiedenartigkeit innerhalb der arabischen Welt erforderlich ist, um die Kluft zwischen den beiden Seiten des Mittelmeers zu überbrücken, die Integrationspolitik in den Mitgliedstaaten der EU zu verbessern und Klischees und Vorurteile zu überwinden,
F. in der Erwägung, dass die durch das Ende des Kalten Krieges und der bipolaren Weltordnung hervorgerufenen Umwälzungen sowohl die Emanzipationsbestrebungen der arabischen Gesellschaften als auch die Ambitionen gewisser arabischer Regierungen und wirtschaftlicher und sozialer Kräfte unterstützt haben, sich aktiv an den Prozessen der Globalisierung und der multipolaren Ordnung zu beteiligen,
G. in der Erwägung, dass die Zivilgesellschaft und die lebendigen, über einen langen Zeitraum hinweg unterdrückten Kräfte in der arabischen Welt ihre Stimme immer lauter erheben und eine größere Aufmerksamkeit und Verantwortung sowie eine zunehmende politische Rolle fordern,
H. in der Erwägung, dass sich eine Reihe von Intellektuellen, insbesondere Samir Kassir in seinen „Considérations sur le malheur arabe“ (Betrachtungen über das arabische Unglück[1]) oder Guy Sorman in „Les enfants de Rifaa“ (Die Kinder von Rifaa), zu diesen Fragen geäußert hat,
I. in der Erwägung, dass die früheren Erfahrungen der „arabischen Renaissance“, die als Reformversuche verstanden wurden, im Allgemeinen zum Scheitern verurteilt waren und dass der Staatsnationalismus ein erhebliches Hindernis für jedes Projekt war, das auf die Herbeiführung der arabischen Einheit abzielte,
J. in der Erwägung, dass die auf dem Gipfeltreffen des Rates der Arabischen Liga in Tunis vom 23. bis 24. Mai 2004 angenommene Abschlusserklärung unter anderem eine verbindliche Zusage enthält, sich im Wege demokratischer Konsolidierung und politischer Partizipation um die Reform und Modernisierung der Mitgliedstaaten zu bemühen,
K. in der Erwägung, dass es im gemeinsamen Interesse der arabischen Staaten und ihrer europäischen Partner ist, dass eine Reihe politischer, wirtschaftlicher und sozialer Reformen eingeleitet wird, um der Zusammenarbeit, der Stabilität, der Demokratisierung und dem Anheben des Lebensstandards bzw. einer Verminderung des Wohlstandsgefälles in der gesamten Region neue Impulse zu geben,
L. in der Erwägung, dass es die Fortschritte in Punkto politischer und wirtschaftlicher Liberalisierung und bei der Achtung der Menschenrechte sowie im Sozial- und Bildungsbereich sind, die zu einer größeren Stabilität dieser Länder beitragen werden, und dass umgekehrt die Ablehnung von Veränderungen keine Garantie für wirkliche Stabilität ist,
M. in der Erwägung, dass die Beiträge der Vereinten Nationen und insbesondere die Empfehlungen der Hochrangigen Gruppe des Bündnisses der Zivilisationen und des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen UNDP, die in den letzten Jahren und in unmittelbarer Nähe zu den verschiedenen Bevölkerungsgruppen der arabischen Gesellschaften entstanden sind, nur in konkrete und reale politische Maßnahmen umgesetzt werden müssen,
N. in der Erwägung, dass die Beziehungen der Europäischen Union zu den Regierungen der betreffenden Länder allzu lange ausschließlich auf die Verwirklichung von Stabilität und den Aufbau einer strategischen Partnerschaft ausgerichtet waren, aber nicht berücksichtigt wurde, ob die Regierungen die allgemeinen Menschenrechte achten, und damit die Bemühungen der Akteure der Zivilgesellschaft um eine Reform der Gesellschaften von innen untergraben wurden,
O. in der Erwägung, dass es wichtig ist, einen Rahmen zu schaffen, innerhalb dessen der Dialog mit den verschiedenen Akteuren der arabischen Gesellschaften frei und offen geführt werden kann, um von innen einen echten Reformprozess in Gang zu bringen,
P. in der Erwägung, dass die 1994 verabschiedete Arabische Charta der Menschenrechte Ausdruck des Bestrebens ist, die Einhaltung der Menschenrechte in der arabischen Welt zu gewährleisten; in dem Bedauern, dass einige der Bestimmungen der Charta so formuliert sind, dass sie beliebig interpretiert werden können,
Q. in der Erwägung, dass die Arabitätsbewegung, wie sie von ihren Gründervätern konzipiert wurde, ein Vorhaben ist, zu dessen erklärten Zielen die Säkularisierung der Gesellschaften gehört; in der Erwägung, dass der vom politischen Islam derzeit verfolgte Weg offenbar keine angemessenen Lösungen für die Probleme der politischen Reform beisteuert; in Sorge darüber, dass das Stagnieren der politischen Reform radikalen islamischen Bewegungen und ihren Hassreden gegen die Juden Auftrieb gibt; in Erinnerung rufend, dass die Mäßigung des Islamismus sowohl von der Stabilität des institutionellen Rahmens, in dem sich diese Parteien bewegen, als auch von den Möglichkeiten, die dieser Rahmen für eine Einflussnahme auf die politische Entscheidungsfindung bietet, abhängt,
1. ist der Überzeugung, dass die arabische Identität keineswegs unvereinbar mit dem Begriff der Modernität noch mit der Durchführung ernsthafter Reformen ist; vertritt die Auffassung, dass die Ohnmacht, die die Ursache für das Gefühl des „arabischen Unglücks“ darstellt, im Rahmen einer erneuerten Partnerschaft, die auf dem gegenseitigen Verständnis und Vertrauen, der Achtung der gesellschaftlichen und kulturellen Bräuche und der Glaubwürdigkeit des Anderen beruht, überwunden werden kann; ruft in Erinnerung, dass die Verwestlichung der arabischen Gesellschaften nicht der geeignetste Weg hierzu ist und dass die Begriffe Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit grundlegende und universelle Werte sind, die unzählige muslimische Autoritäten und muslimische Regierungen für mit dem Islam vereinbar erklärt haben;
2. begrüßt die zuvor genannte Mitteilung der Kommission über die Stärkung der Europäischen Nachbarschaftspolitik (ENP); sieht die ENP als wichtiges Instrument an, um die Reformen in den südlichen und östlichen Nachbarländern der EU voranzubringen; äußert Enttäuschung über den vorgeschlagenen Umfang der im Rahmen der„Governance Facility“ bereitgestellten Mittel, der seiner Ansicht nach vergrößert werden muss, um die Wirksamkeit dieses Instruments zu gewährleisten;
3. ist der Auffassung, dass es angesichts der inhärenten Grenzen der bilateralen und punktuellen Strategien, die die EU in den letzten Jahrzehnten gegenüber den Partnerländern verfolgt hat, angezeigt ist, der Partnerschaft der EU und der Mitgliedstaaten mit der gesamten arabischen Welt durch die Rationalisierung des außenpolitischen Handelns der EU neue Impulse zu geben und dabei darauf zu achten, spezifische Bereiche der Zusammenarbeit zu berücksichtigen und in Abstimmung mit den bestehenden politischen Strukturen wie der Arabischen Liga oder dem Golf-Kooperationsrat oder der Union des arabischen Maghreb, wenn diese neu belebt werden sollte, vorzugehen; betont, dass die Zusammenarbeit mit Organisationen der Zivilgesellschaft und Reformbewegungen Teil dieser Bemühungen auf regionaler Ebene sein sollte und dass eine spezifische Zusammenarbeit insbesondere mit den politischen Organisationen, die Demokratie durch Gewaltlosigkeit fördern, entwickelt werden sollte;
4. weist darauf hin, dass die Schwäche des Reformprozesses in der arabischen Welt auch auf die Probleme und Kontroversen zwischen einigen arabischen Ländern zurückzuführen ist; vertritt die Ansicht, dass die EU sich nach Kräften bemühen sollte, die politische und wirtschaftliche Integration der Länder zu fördern; stellt fest, dass die EU, um ihren Einfluss geltend zu machen, keine Überlegenheit demonstrieren und nicht als Lehrmeisterin auftreten, sondern den Dialog mit den arabischen Ländern zu einem wirklichen, auf Augenhöhe geführten Dialog machen sollte;
5. vertritt die Auffassung, dass zwar der Notwendigkeit der Bekämpfung des Terrorismus in den Beziehungen zwischen der Europäischen Union und der arabischen Welt Aufmerksamkeit geschenkt werden muss, es aber für die Wirksamkeit und den Inhalt dieser Beziehungen von wesentlicher Bedeutung ist, dass darüber eine Reihe von anderen Themen von gemeinsamem Interesse weder übersehen noch vernachlässigt werden, d.h. vor allem im Bereich der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung, der Beschäftigung, der nachhaltigen Entwicklung, der verantwortungsvollen Staatsführung, beispielsweise der Bekämpfung von Korruption, des Aufbaus und der Konsolidierung einer starken und echten Zivilgesellschaft als Motor für Fortschritt im demokratischen System und Toleranz; des Kampfs um die Gleichstellung der Geschlechter, der Bewahrung des weltweiten Kulturerbes, des Dialogs zwischen den Kulturen, verantwortungsvoller Regierungsführung, der freien und unparteiischen Medien, der politischen Beteiligung und der Förderung der Menschenrechte und Grundfreiheiten, der Gewissensfreiheit, einschließlich der Religionsfreiheit sowie der Meinungs- und Vereinigungsfreiheit, der Bekämpfung der Folter und der Abschaffung der Todesstrafe sowie der Ablehnung von Intoleranz und radikalen religiösen Lehren, um eine wirkliche Zone des Friedens und des gemeinsamen Wohlstands zu schaffen;
6. fordert die arabischen Länder auf, auf die Abschaffung aller Formen von Straflosigkeit hinzuarbeiten und provisorische Justizverfahren zu schaffen, um zu garantieren, dass Opfern schwerer Menschenrechtsverletzungen Gerechtigkeit widerfährt und die für diese Verbrechen Verantwortlichen verurteilt werden; fordert in diesem Sinne die arabischen Länder auf, das Statut von Rom zur Schaffung des internationalen Strafgerichtshofs zu ratifizieren und die internationale Konvention zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen zu unterzeichnen;
7. begrüßt das Bestehen von Dialogstrukturen zwischen der Europäischen Union und der arabischen Welt sowie die zahlreichen Projekte und Initiativen für Zusammenarbeit, die im Rahmen des Barcelona-Prozesses, der strategischen Partnerschaft für den Mittelmeerraum und Nahen Osten sowie der Zusammenarbeit mit dem Kooperationsrat der Arabischen Golfstaaten (CGEAG) ins Leben gerufen wurden;
8. hebt die Rolle der Parlamentarischen Versammlung Europa-Mittelmeer als demokratische Instanz hervor, die auf der Grundlage der drei Säulen des Barcelona-Prozesses Parlamentarier der beiden Seiten des Mittelmeers zusammenbringt; fordert eine besondere Verstärkung der Zusammenarbeit zwischen der Parlamentarischen Versammlung, der Kommission und dem Rat der Europäischen Union; bekräftigt die Bereitschaft und den Willen der Parlamentarischen Versammlung in ihrer Eigenschaft als parlamentarisches Gremium des Barcelona-Prozesses, ihren Beitrag zur Lösung des israelisch-arabischen Konflikts zu leisten;
9. hält es für notwendig, die dritte Säule des Barcelona-Prozesses, die menschliche und soziale Zusammenarbeit, zu verstärken, um die Klischees und Missverständnisse zu überwinden, die eine offene und echte Annäherung zwischen den Völkern der beiden Seiten des Mittelmeers erschweren; fordert die Beteiligten der Europa-Mittelmeer-Partnerschaft und insbesondere die Regierungen auf, die Tätigkeit der Europa-Mittelmeer-Stiftung Anna Lindh für den Dialog zwischen den Kulturen durch Zuweisung umfangreicher Mittel zu unterstützen, um das Netzwerk dieser Stiftung, in dem mehr als 1200 Organisationen und Vereinigungen zusammengeschlossen sind, die sich um den Dialog innerhalb der Gesellschaften bemühen, zu unterstützen;
10. fordert die EU und ihre Mitgliedstaaten sowie die gesamte internationale Gemeinschaft auf, ausgewogene Beziehungen zu den Ländern der Region zu entwickeln; stellt fest, dass eine einseitige Unterstützung bzw. Verurteilung bestimmter Staaten zu einer Polarisierung führen und die schon jetzt äußerst komplizierte Situation in der arabischen Welt weiter komplizieren kann;
11. ist der Auffassung, dass bei der Suche nach neuen Ansprechpartnern in der arabischen Welt Personen, Organisationen und Staaten nicht in Frage kommen, die Terroranschläge gutheißen und die Rechtmäßigkeit der Existenz des Staates Israel leugnen;
12. stellt fest, dass Europa im israelisch-arabischen Konflikt häufig als parteiisch empfunden wird und dass jede Vertiefung der Beziehungen zwischen der Europäischen Union und der arabischen Welt von der Tatkraft und dem Talent Europas abhängig ist, seine historische Verpflichtung und Verantwortung gegenüber dem Staat Israel und dem jüdischen Volk erfolgreich mit seiner Verpflichtung zu vereinbaren, eine aktivere und effektivere Rolle auf der Grundlage des Völkerrechts und des humanitären Rechts zu übernehmen, um zu einer dauerhaften Lösung des Konflikts zu gelangen, was besonders die Schaffung eines palästinensischen Staates voraussetzt, der in Frieden und Sicherheit mit dem israelischen Staat koexistiert;
13. versteht, dass die dem Dialog zwischen der Europäischen Union und der arabischen Welt innewohnenden Schwächen auf den Mangel an Legitimität zurückzuführen sind, der zuweilen den arabischen politischen Gesprächspartnern in ihren jeweiligen Ländern anhaftet, insbesondere aufgrund ihrer Defizite in den Bereichen Demokratie, Wirtschaft und Soziales;
14. fordert infolgedessen, dass Europa auch die Akteure in der Zivilgesellschaft, in Verbänden und Religionsgemeinschaften, insbesondere die politischen Organisationen, die die Demokratie durch Gewaltlosigkeit fördern, mit Ausnahme extremistischer Kräfte und gegebenenfalls unter Einschluss der gemäßigten Islamisten und laizistischen Gruppen, die Europa ermutigt hat, sich an den demokratischen Prozessen zu beteiligen, sichtbar politisch unterstützt und auf diese Weise einen Mittelweg zwischen kulturalistischen Wahrnehmungen und politischem Pragmatismus einschlägt; vertritt die Ansicht, dass der Erfolg einer solchen Unterstützung in hohem Maße von einem eingehenden Verständnis der politischen und gesellschaftlichen Strukturen und Entwicklungen und der Fähigkeit abhängt, in Einklang mit der politischen Dynamik innerhalb der jeweiligen Länder zu handeln; vertritt die Auffassung, dass sich die Wiederbelebung des interkulturellen Dialogs über das Bekenntnis zu einem gemeinsamen und universellen Fundament humanistischer Werte vollzieht, das über Dogmen und den Kommunitarismus hinausgeht, in Einklang mit den Vorschlägen des Bündnisses der Zivilisationen auf Initiative der Vereinten Nationen;
15. vertritt daher dezidiert die Ansicht, dass die Europäische Union einen umfassenden kulturellen Dialog führen muss, durch den bei ihren arabischen Gesprächspartnern die grundlegenden Werte der Union (Rechtsstaat, Menschenrechte, Demokratie, usw.) gefördert werden und bei dem den verschiedenen kulturellen und politischen Vorstellungen Rechnung getragen wird;
16. nimmt die begrenzten Fortschritte bei der Liberalisierung des innerarabischen Handels sowie bei der Stärkung des privaten Sektors zur Kenntnis; fordert die Kommission und den Rat auf, die Anstrengungen zu verstärken, um die nachhaltige und ausgewogene wirtschaftliche Entwicklung der arabischen Staaten zu unterstützen mit dem Ziel, durch die Unterstützung struktur- und sozialpolitischer Maßnahmen, die die nachteiligen Auswirkungen der Wirtschaftsreformen beschränken, Ungleichheiten zu verringern; begrüßt die wirtschaftliche Integration der arabischen Länder, insbesondere in Bezug auf so bedeutende Märkte wie den Energie- oder Telekommunikationssektor, um eine Entwicklungsdynamik zu erzeugen, die sich günstig auf andere Wirtschaftsbereiche auswirkt, und parallel dazu politische Maßnahmen zu ergreifen, die Reformen unter genauen und begrenzten technischen und politischen Bedingungen anstoßen; begrüßt die Bemühungen zur Schaffung einer Freihandelszone zwischen Europa und dem Mittelmeerraum und begrüßt das Abkommen von Agadir, das der Förderung des innerregionalen Handels dient; hofft auf einen baldigen Abschluss des Freihandelsabkommens des Kooperationsrates EU-Golfstaaten;
17. stellt fest, dass sich die Situation in der arabischen Welt, was politische Reformen und demokratischen Fortschritt anbelangt, sehr unterschiedlich darstellt, weshalb keine einheitlichen Modelle aufgestellt werden sollten;
18. erhofft sich seitens der arabischen Staaten, in denen dies bisher nicht gegeben ist, ein größeres Engagement für die Religionsfreiheit beziehungsweise für das Recht der Menschen und der Gemeinschaften, sich frei zu ihren Überzeugungen und zu ihrem Glauben zu bekennen; in diesem Zusammenhang sollten die Erfahrungsberichte der Millionen Moslems, die in Europa leben, den arabischen Ländern helfen, das Prinzip der Gegenseitigkeit, das die dauerhafte Basis der internationalen Beziehungen bildet, auch in ihren Ländern zu verwirklichen;
19. betont, dass Unterstützung für die Entwicklung der Zivilgesellschaft und die Achtung der Grundrechte, insbesondere die Freiheit der Meinungsäußerung und die Religionsfreiheit, nicht mit der Wahl von Regimes oder den Modalitäten für die Auswahl der politischen Führung verwechselt werden darf; betont, dass die Entwicklung der Region unter Achtung des Willens der Völker und Berücksichtigung der kulturellen, historischen und politischen Unterschiede begleitet werden muss, stellt fest, dass sich die diesbezüglichen Zielvorstellungen von denen in Europa unterscheiden können, weshalb sich ihre gewaltsame Angleichung an die europäischen Bedingungen als kontraproduktiv erweisen kann; betont nicht zuletzt, dass legitime Änderungen voraussetzen, dass die betroffenen Völker selbst sie annehmen und unterstützen;
20. wünscht insbesondere eine größere Sensibilität für die Rolle der Frau und für ihre Emanzipation in der Bürgergesellschaft und in der Politik;
21. fordert die Arabische Liga auf, einige Bestimmungen der Arabischen Charta der Menschenrechte zu überprüfen und zu präzisieren und Mechanismen zu schaffen, mit deren Hilfe die Einhaltung der Beschlüsse der Charta in den Unterzeichnerstaaten überprüft werden kann;
22. erinnert daran, dass die Stärkung der Demokratie und des Rechtsstaats sowie die Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten zu den Zielen der Außenpolitik der Union gehören und dass es in diesem Sinne nur recht und billig ist, eine ehrgeizige Menschenrechtspolitik anzustreben, die auf der Einhaltung der Menschenrechts- und Demokratieklausel der Abkommen und einem strukturierten und intensivierten Dialog in diesen Fragen basiert; erinnert gleichzeitig daran, dass die arabischen Länder den internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte ratifiziert und sich in diesem Sinne verpflichtet haben, diesen Rechten in ihren eigenen Ländern Geltung zu verschaffen;
23. ersucht die Kommission, im Einklang mit den Aktionsplänen der Europäischen Nachbarschaftspolitik und den im Rahmen des Barcelona-Prozesses gefassten Beschlüssen in der arabischen Welt die Achtung des Grundsatzes der Rechtsstaatlichkeit und die Bewegung zugunsten einer Reform des Rechts im Geiste der Werte des universellen Systems der Menschenrechte stärker zu fördern, einer politischen Reform, die darauf ausgerichtet ist, die Betätigung der Opposition zu legalisieren, und dies ausgehend von bestehenden Institutionen, ohne diese unvermittelt in Frage zu stellen; fordert die Kommission auf, die Möglichkeiten, die die Europäische Initiative für Demokratie und Menschenrechte (EIDMR) zur Unterstützung der Zivilgesellschaft und von politischen Reformbewegungen in der Region bietet, voll auszuschöpfen;
24. fordert die Kommission in diesem Sinne auf, alle am Reformprozess in der arabischen Welt beteiligten Kräfte, sowohl staatliche Akteure als auch Akteure der Zivilgesellschaft, ebenso zu unterstützen wie die Schaffung gemeinsamer arabischer, besonders parlamentarischer, Institutionen; fordert die Kommission ferner auf, einen formalen regelmäßigen Konzertierungs- und Begleitmechanismus auf höchstem Niveau und subsidiarisch in allen Bereichen von gemeinsamem Interesse mit den arabischen Staaten auszuarbeiten; ruft zu regelmäßigen Gipfeltreffen zwischen der Europäischen Union und der Liga der Arabischen Staaten auf, um gemeinsame Programme und Projekte zu entwickeln;
25. nimmt die Bedeutung der neuen Medien bei der Verbreitung demokratischer Werte in der arabischen Welt und bei der Schaffung einer panarabischen Öffentlichkeit, in der Debatten geführt werden und ein Austausch von Ideen stattfindet, zur Kenntnis und unterstützt diese Rolle; betont in diesem Zusammenhang die Notwendigkeit, europäische Nachrichtenprogramme in die arabische und farsische Sprache zu übertragen;
26. fordert die Kommission, den Rat und die Mitgliedstaaten auf, den Austausch von Studenten, Lehrern, Wissenschaftlern und Forschern zwischen der EU und den arabischen Ländern zu fördern und diesen Austausch durch eine angepasste und flexiblere Visaregelung zu erleichtern;
27. fordert die Kommission auf, die wissenschaftliche Forschung und Hochschulforschung in der arabischen Welt nach Kräften zu fördern und die Entwicklung einer ehrgeizigen Bücherpolitik zu unterstützen mit dem Ziel der Herausgabe, Veröffentlichung und Übersetzung wissenschaftlicher und literarischer Werke zu erschwinglichen Preisen für alle;
28. fordert die Kommission auf, Initiativen zu unterstützen, die der Bekämpfung der Korruption in der arabischen Welt dienen, insbesondere die Einführung transparenter Regeln für die Einsetzung von Staatsbeamten;
29. vertritt die Auffassung, dass die Finanzhilfe seitens der Europäischen Union wie vor kurzem auf der Konferenz Paris III für den Libanon ein wirksameres und tragfähigeres Instrument zur Gewährleistung der sichtbaren Präsenz der Union und ihrer Mitgliedstaaten durch eine strategische und bedingte Unterstützung der Reformen in der arabischen Welt sein kann, wenn auch unter Achtung der geltenden Vereinbarungen und der jeweiligen politischen Gegebenheiten auf staatlicher oder regionaler Ebene;
30. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat und der Kommission, der Arabischen Liga, dem Golf-Kooperationsrat und den Parlamenten der arabischen Länder zu übermitteln.
- [1] A.d.Ü.: Auf Deutsch erschienen unter dem Titel „Das arabische Unglück“.
BEGRÜNDUNG
Angesichts des Reformbedarfs in der arabischen Welt besteht die Rolle der EU darin, Anstöße zu geben, sich zu engagieren und Unterstützung zu leisten
Der libanesische Intellektuelle und politische Journalist, Samir Kassir, hat kurz vor seiner tragischen Ermordung im Juni 2005 einen anregenden, in scharfem und kompromisslosem Ton verfassten Essayband mit dem Titel „Considérations sur le malheur arabe“ (Betrachtungen über das arabische Unglück[1]) veröffentlicht. Offensichtlich gibt es ein arabisches Unglück. Es befällt jedes der Länder dieser großen Gemeinschaft, es beeinträchtigt auch ihre interne Organisation und ihre potenziellen Beziehungen zur übrigen Welt, insbesondere zur Europäischen Union, ihrem wichtigsten und nächsten Partner und Nachbarn.
Zunächst ist es angezeigt, eine Bestandsaufnahme vorzunehmen und die heutige Lage der arabischen Welt gegenüber der internationalen Staatengemeinschaft und der Europäischen Union zu analysieren. Anschließend stellt sich die Frage, ob eine arabische Gemeinschaft tatsächlich existiert. Diese gilt es dann gegebenenfalls in ihren Konturen und ihrer Funktionsweise genauer zu beschreiben. Erst dann ist es sinnvoll, eine eventuelle europäische Strategie für die Unterstützung der arabischen Welt und der arabischen Gesellschaften ins Auge zu fassen.
1. Die Beziehungen der arabischen Welt zur internationalen Staatengemeinschaft und zur Europäischen Union
Es liegt ein gewisser Widerspruch in der Art und Weise, wie Araber über sich selbst und über ihre Gemeinschaft sprechen. Verbale Bezugnahmen auf die arabische Einheit sind häufig, aber bis auf weiteres bleiben die arabischen Länder, jedes für sich, die alleinigen Herren ihrer Diplomatie und ihrer außenpolitischen Maßnahmen. Für einige von ihnen ist die Bezugnahme auf die arabische Einheit nämlich in erster Linie ein kulturelles Projekt.
Allerdings gibt es eine nicht zu vernachlässigende internationale Präsenz und Einflussnahme der arabischen Welt. Es ist offensichtlich, dass es jetzt eine arabische öffentliche Meinung gibt, die weitgehend von den gemeinsamen Medien beeinflusst ist. Ausgehend von genau dieser Realität muss die Frage aufgeworfen werden, wie die arabische Welt von der Europäischen Union wahrgenommen wird.
1.1. Die internationale Präsenz der arabischen Welt
Diese Präsenz manifestiert sich hauptsächlich auf zweierlei Weise: durch die Liga der Arabischen Staaten und ihre Tätigkeit sowie durch die sporadische Abhaltung von auf die arabischen Staaten begrenzten Sondergipfeln.
Die Liga der Arabischen Staaten wurde 1945 von sechs Staaten, denen sich der Jemen drei Monate später anschloss, gegründet. Mittlerweile besteht sie aus 22 Mitgliedern, einschließlich der Palästinensischen Autonomiebehörde. Sie ist die älteste der regionalen Organisationen, die seit der Gründung der Vereinten Nationen entstanden sind. Einmal im Jahr findet ein Treffen der Staatschefs der arabischen Staaten statt, zweimal im Jahr tritt der Ministerrat zu einer Sitzung zusammen. Die Beschlüsse werden einstimmig gefasst. Neben dem Rat der Staatschefs haben der Verteidigungsrat und der Wirtschaftsrat an Bedeutung gewonnen. Der für fünf Jahre gewählte Generalsekretär, dessen Mandat verlängert werden kann, führt die Geschäfte der Liga, leitet ihre ständigen Ausschüsse und gewährleistet eine einflussreiche Diplomatie.
Die Liga der Arabischen Staaten ist international anerkannt. Die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten empfangen den Generalsekretär und statten ihm Besuche ab. Besonders hervorzuheben ist der Besuch Seiner Excellenz Amr Moussa bei den europäischen Organen in Brüssel und insbesondere beim Europäischen Parlament. Wenngleich die Liga manchmal als sein Relikt des Kalten Krieges betrachtet wird, so ist doch festzustellen, dass es ihrer derzeitigen Führung gelungen ist, das Image der Liga zu verändern, die an Glaubhaftigkeit, ja sogar an Legitimität in Bezug auf die wichtigen Fragen gewonnen hat, die die arabische Welt beschäftigen und besorgen, in erster Linie Fragen, die die Konflikte und die Instabilität im Nahen Osten betreffen.
Im Übrigen sind die großen Momente des gemeinsamen Lebens der arabischen Welt die Gipfeltreffen der Staatschefs. Die Liga organisiert diese, sie beeinflusst sie jedoch nicht. Diese Gipfeltreffen offenbaren häufig die große Uneinigkeit innerhalb dieser Gemeinschaft.
Diese Uneinigkeit erregte besonderes Aufsehen im Jahre 1964, als es zur Gründung der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO kam, im Jahre 1976, als die PLO ein vollwertiges Mitglied der Liga wurde, und im Jahre 1978, als die Aussetzung der Mitgliedschaft Ägyptens infolge des Abkommens von Camp David und die Verlegung des Sitzes von Kairo nach Tunis beschlossen wurde. Im Jahre 1982 wurde im marokkanischen Fez das erste arabische Gipfeltreffen abgehalten, bei dem das israelisch-palästinensische Problem unter einem politischen Blickwinkel und mit der Aussicht darauf, eines Tages Verhandlungen aufzunehmen, angesprochen wurde. Im Jahre 1990 wurde Ägypten wieder in die Liga aufgenommen und der Sitz nach Kairo zurückverlegt.
Im Januar 2004 fand in Sanaa das erste arabische Gipfeltreffen statt, das der Demokratie und den Menschenrechten gewidmet war. Außerdem ergriff das Generalsekretariat der Liga im März 2004 die Initiative und veröffentlichte ein Dokument mit dem Titel: „Les causes de la réforme arabe, les visions et l'exécution“ (Die Ursachen der arabischen Reform, Visionen und Durchführung). Es muss hervorgehoben werden, dass der im Pakt der Liga enthaltene gemeinsame Verteidigungspakt niemals zur Anwendung gekommen ist, weder während der Suez-Krise noch während der israelisch-arabischen Kriege.
Hingegen sollte die 1994 angenommene Arabische Charta der Menschenrechte ebenso wenig vernachlässigt werden wie ihre wichtige Aktualisierung im Laufe des Jahres 2003, die ein bedeutendes Ereignis und gleichzeitig eine wirkliche Unterstützung der demokratischen Kräfte in den verschiedenen Ländern darstellte.
Schließlich sind die arabischen Länder bestrebt, ihre Positionen bei Abstimmungen in den Vereinten Nationen einander anzunähern, allerdings sind sie noch weit davon entfernt, dieses Ziel zu erreichen.
1.2. Die Europäische Union und die arabische Welt
In ihren Reden nehmen die Führungspersönlichkeiten der Europäischen Union häufig Bezug auf die „arabische Welt“. Es überrascht jedoch nicht, dass Ausdrücke wie „arabische Nation“ oder „arabische Einheit“ niemals verwendet werden.
Derzeit unterhält die Europäische Union rein protokollarische und sehr distanzierte Beziehungen zur Liga der Arabischen Staaten und zu ihrem Generalsekretär, denen jedoch niemals konkrete Maßnahmen folgten.
Daraus ergibt sich für die politische Praxis, dass die EU direkte Beziehungen zu jedem einzelnen der arabischen Staaten unterhält. Die arabische Welt erscheint uns völlig zersplittert. Es ist uns bewusst, dass es den Maghreb gibt, aber seit dem Verschwinden der „Union des arabischen Maghreb“ von der politischen Bühne herrschen in diesem Bereich bilaterale Beziehungen vor. So behandeln wir den Irak, Syrien, den Libanon und die arabische Halbinsel ganz unterschiedlich.
Seitens der EU lässt sich jedoch - zumindest aus den aufeinander folgenden Strategiepapieren der letzten Jahre - ein konstanter und zunehmender Wille beobachten, den regionalen und subregionalen Integrationsprozess innerhalb der arabischen Welt zu unterstützen. So bemüht sich die EU im Rahmen der Mechanismen des Barcelonaprozesses über das Programm MEDA und künftig über das neue Finanzierungsinstrument der Nachbarschaftspolitik - mit einem bislang zwar begrenzten Erfolg -, themenübergreifende und grenzübergreifende Süd-Süd-Projekte zu fördern. Dies gilt ebenso für die Vertiefung der Beziehungen, insbesondere der wirtschaftlichen Beziehungen, zwischen der EU und dem Golf-Kooperationsrat.
Das Hauptproblem besteht jedoch in dem kulturalistischen und oftmals ethnozentrischen Ansatz, mit dem die EU versucht, Anreize für eine Veränderung zu schaffen. Die diesem Vorgehen zugrunde liegenden Ziele sind äußerst lobenswert und im Allgemeinen unanfechtbar: Entwicklung der Demokratie und der verantwortungsvollen Staatsführung, Förderung und Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten, nationale und regionale politische Stabilität, die auf eine fruchtbare Zusammenarbeit, eine kontrollierte Wirtschaftsentwicklung und einen gemeinsamen Wohlstand abzielt. Dabei muss jedoch darauf geachtet werden, dass die technischen und politischen Bedingungen, die an sich legitim sind und mit politischen Maßnahmen zur Schaffung von Anreizen für Reformen einhergehen, sich nicht ungewollt in Bedingungen verwandeln, die mit den Mechanismen der Macht zu tun haben und kulturelle Gegebenheiten und Vorstellungen von Legitimität missachten, die sich von unseren unterscheiden, und sich langfristig als kontraproduktiv erweisen.
2. Gibt es die arabische Gemeinschaft tatsächlich?
2.1. Geschichte, Reformversuche und Verwurzelung der nationalen Autonomien
Samir Kassir zufolge liest sich die arabische Geschichte wie eine Ansammlung kultureller Verschiedenartigkeiten. Daraus folgt, dass dieses Erbe zuweilen noch heute Bezugspunkte und eine Legitimation für die widersprüchlichsten Gedankensysteme liefert. Es ist bekannt, in welchem Maße die arabische Welt durch Fragmentierung gekennzeichnet ist, die immer wieder zum Tragen kommt, trotz der utopischen oder realistischen Bestrebungen und Versuche, eine völlige oder teilweise Einheit herzustellen, und dies in der jüngsten Geschichte: syrisch-ägyptische Einheit, Union des arabischen Maghreb (UMA), Rat für arabische Wirtschaftseinheit von 1957, die Ambitionen der Baath-Partei und die Träume Libyens. Der Nationalismus hatte über einen langen Zeitraum Rückenwind als die einzige und wirkliche Antriebskraft hinter jedem Reformprojekt, was sich jedoch nachteilig für die innerarabischen Beziehungen oder den Arabismus, die eher als Hindernisse betrachtet wurden, auswirkte.
Allem Anschein nach wird eine gewisse Arabität, verstanden als identitätsstiftendes Bindeglied und geprägt von eigenen Merkmalen, auch wenn sie unter unterschiedlichen Rahmenbedingungen in verschiedenen Formen zum Ausdruck kommt, wie ein gemeinsamer Wesenszug der arabischen Völker und Bevölkerungen des gesamten geografischen Gebiets, das sich vom Maghreb bis zum Irak erstreckt, empfunden. Diese Arabität, die im Allgemeinen als eine vor allem kulturelle Gegebenheit betrachtet wird, wird von aufstrebenden Zivilgesellschaften zunehmend als politisches Instrument geltend gemacht, wie das Beispiel der Schaffung moderner Medien, die aktiv zur Entstehung einer panarabischen Öffentlichkeit beitragen, oder aber die hervorragenden Jahresberichte der UNDP über Entwicklung der Menschen in der arabischen Welt zeigen, die die Ergebnisse einer kritischen und konstruktiven wissenschaftlichen Selbstbeobachtung der arabischen Staaten darstellen.
2.2. Austausch, Interaktion und allgemeine Verbreitung
Die Aussichten für die Wirtschaftsintegration in der arabischen Welt waren über einen langen Zeitraum begrenzt, sind derzeit jedoch von einer wieder aufkommenden Dynamik gekennzeichnet, und die ersten Entwicklungen sind ermutigend. So ist es bemerkenswert, dass sich der innerarabische Handel - trotz eines noch niedrigen Niveaus - im Laufe der letzten zwanzig Jahre verdoppelt hat. Die Ausfuhren sind trotz der sprudelnden Einnahmen aus dem Ölgeschäft, die das Bild verfälschen, ebenfalls gestiegen, auch wenn die industrielle Basis noch unzureichend diversifiziert ist. Es ist der Übergang einer stark vertikal strukturierten Wirtschaft (Dominanz des Handels mit Europa) zu einer beginnenden Subregionalisierung erkennbar. So gehen 58% der Ausfuhren der Golfstaaten in andere Golfstaaten. Dies gilt auch für 57,2% des Handels im Maghreb.
Im kulturellen Bereich sind die Fortschritte gut bekannt. Die Globalisierung und die multipolare Ordnung sind an der arabischen Welt nicht spurlos vorbei gegangen. Die arabischen Gesellschaften lassen nunmehr ihren Emanzipationswillen erkennen und fordern eine auf sie zugeschnittene politische Rolle. Ohne die kulturelle Diversität leugnen zu wollen, ist von nun an sicher, dass die humanistischen und universellen Rechte und Werte zunehmend allgemein akzeptiert werden, darunter auch von unzähligen muslimischen Autoritäten, die diese als vereinbar mit dem Islam erklärt haben.
3. Eine europäische Strategie für die Unterstützung der Entwicklung in der arabischen Welt
Es lassen sich einige politische Leitlinien festhalten, die Gegenstand ausführlicherer Erläuterungen im Entwurf einer politischen Entschließung im Anhang sind.
3.1. Trotz einiger Rückschläge hat das 20. Jahrhundert der arabischen Welt eine Reihe von Errungenschaften gebracht, die es den arabischen Gesellschaften ermöglicht haben, an der Entwicklung der Welt teilzunehmen. Die arabische Renaissance geht nicht zwangsläufig einher mit Verwestlichung, sondern vielmehr mit der Annahme demokratischer Werte als gemeinsames Erbe der Menschheit. Hierin kann der kulturelle Dialog nützlich und fruchtbar sein.
3.2. Die Reformen zielen gewiss darauf ab, dass die arabischen Gesellschaften ihr Schicksal in die Hand nehmen, allerdings müssen diese Reformen im Rahmen eines Prozesses der Eigenverantwortung eingeleitet werden. Es geht keineswegs darum, Grundlegendes in Frage zu stellen, sondern lediglich darum, in verschiedenen Gesellschaftsbereichen (Justiz, Verwaltung, Schulsystem, Hochschulwesen und Forschung, ...) auf der Grundlage bestehender Einrichtungen und im Rahmen von Kooperationsprogrammen wie beispielsweise der Europäischen Nachbarschaftspolitik mit ihren Aktionsplänen eine eigenständige und einheimische Dynamik auszulösen.
3.3. Von beiden Seiten sind dringend Anstrengungen erforderlich, um den Widersprüchlichkeiten ein Ende zu setzen, die eine kulturalistische Logik der Konfrontation begünstigen, um normale Beziehungen zwischen den Staaten und den Zivilgesellschaften zu entwickeln. Auch wenn auf der einen Seite keine Zugeständnisse in Bezug auf den internationalen Besitzstand in seinen verschiedenen Formen wie beispielsweise der Charta der Vereinten Nationen oder den Regeln der WTO hinnehmbar sind, so wäre es hingegen ermutigend und heilsam für Europa, die Dinge zwischen seinen kulturellen Wahrnehmungen und dem politischen Pragmatismus zu berücksichtigen. Ohne die historische Verpflichtung und Verantwortung gegenüber Israel zu leugnen, ist klar, dass die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und der arabischen Welt umso fruchtbarer, glaubhafter und legitimer sein werden, wenn Europa den Kreis seiner arabischen Gesprächspartner erweitern würde und insbesondere den Akteuren in der Zivilgesellschaft, in Verbänden und Religionsgemeinschaften, einschließlich der gemäßigten Islamisten, besondere Aufmerksamkeit schenken würde, die sie ermutigt hat, sich an den demokratischen Prozessen zu beteiligen. In derselben Weise würde eine deutlichere Unterscheidung zwischen der Achtung der Menschenrechte und der Freiheit der Meinungsäußerung, die unantastbare universelle Grundsätze darstellen, und der Veränderung der Mechanismen des Machtübergangs, die stärker an die Geschichte gebunden sind als an die örtlichen Traditionen, zu einer Verbesserung des Dialogs beitragen.
VERFAHREN
Titel |
Die Reformen in der arabischen Welt: Welche Strategie verfolgt die Europäische Union? |
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Verfahrensnummer |
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Federführender Ausschuss |
AFET |
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Mitberatende(r) Ausschuss/Ausschüsse |
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Nicht abgegebene Stellungnahme(n) |
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Verstärkte Zusammenarbeit |
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Berichterstatter(-in/-innen) |
Michel Rocard |
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Ersetzte(r) Berichterstatter(-in/-innen) |
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Prüfung im Ausschuss |
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30.01.07 |
22.03.07 |
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Datum der Annahme |
27.3.07 |
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Ergebnis der Schlussabstimmung |
+: –: 0: |
60 5 6 |
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Zum Zeitpunkt der Schlussabstimmung anwesende Mitglieder |
Roberta Alma Anastase, Robert Atkins, Christopher Beazley, Panagiotis Beglitis, Bastiaan Belder, Vito Bonsignore, Elmar Brok, Marco Cappato, Simon Coveney, Véronique De Keyser, Giorgos Dimitrakopoulos, Hélène Flautre, Hanna Foltyn-Kubicka, Michael Gahler, Jas Gawronski, Bronisław Geremek, Maciej Marian Giertych, Ana Maria Gomes, Alfred Gomolka, Richard Howitt, Jana Hybášková, Anna Ibrisagic, Jelko Kacin, Ioannis Kasoulides, Helmut Kuhne, Vytautas Landsbergis, Willy Meyer Pleite, Eugen Mihăescu, Francisco José Millán Mon, Philippe Morillon, Pasqualina Napoletano, Baroness Nicholson of Winterbourne, Vural Öger, Ioan Mircea Paşcu, Tobias Pflüger, João de Deus Pinheiro, Bernd Posselt, Michel Rocard, Raül Romeva i Rueda, Libor Rouček, Katrin Saks, José Ignacio Salafranca Sánchez-Neyra, Jacek Saryusz-Wolski, György Schöpflin, Hannes Swoboda, István Szent-Iványi, Antonio Tajani, Charles Tannock, Inese Vaidere,Geoffrey Van Orden, Ari Vatanen, Kristian Vigenin und Josef Zieleniec. |
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Zum Zeitpunkt der Schlussabstimmung anwesende(r) Stellvertreter(-in/-innen) |
Laima Liucija Andrikienė, Giulietto Chiesa, Konstantin Dimitrov, Alexandra Dobolyi, Árpád Duka-Zólyomi, Kinga Gál, David Hammerstein Mintz, Milan Horáček, Anneli Jäätteenmäki, Gisela Kallenbach, Tunne Kelam, Evgeni Kirilov, Jaromír Kohlíček, Miloš Koterec, Marios Matsakis, Antonyia Parvanova, Rihards Pīks und Aloyzas Sakalas. |
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Zum Zeitpunkt der Schlussabstimmung anwesende(r) Stellv. (Art. 178 Abs. 2) |
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Datum der Einreichung |
3.4.2007 |
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Anmerkungen (Angaben nur in einer Sprache verfügbar) |
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- [1] A.d.Ü.: Auf Deutsch erschienen unter dem Titel „Das arabische Unglück“.