BERICHT über das Grünbuch: Schadenersatzklagen wegen Verletzung des EG‑Wettbewerbsrechts

10.4.2007 - (2006/2207(INI))

Ausschuss für Wirtschaft und Währung
Berichterstatter: Antolín Sánchez Presedo
Verfasser der Stellungnahme (*): Bert Doorn, Rechtsausschuss
(*) Verstärkte Zusammenarbeit zwischen Ausschüssen - Artikel 47 der Geschäftsordnung

Verfahren : 2006/2207(INI)
Werdegang im Plenum
Entwicklungsstadium in Bezug auf das Dokument :  
A6-0133/2007
Eingereichte Texte :
A6-0133/2007
Aussprachen :
Angenommene Texte :

ENTWURF EINER ENTSCHLIESSUNG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS

zum Grünbuch: Schadenersatzklagen wegen Verletzung des EG-Wettbewerbsrechts

(2006/2207(INI))

Das Europäische Parlament,

–       in Kenntnis des Grünbuchs: Schadenersatzklagen wegen Verletzung des EG-Wettbewerbsrechts (KOM(2005)0672) (Grünbuch über Schadenersatzklagen),

- in Kenntnis des Berichts der Kommission über die Wettbewerbspolitik 2004 (SEK(2005)0805),

- unter Hinweis auf seine Entschließung vom 15. November 1961[1], in Beantwortung der vom Ministerrat der EWG zu dem Vorschlag einer ersten Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des EWG-Vertrags vom Parlament erbetenen Konsultation,

- in Kenntnis der Bekanntmachung der Kommission über die Zusammenarbeit zwischen der Kommission und den Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten bei der Bearbeitung von Fällen im Anwendungsbereich der Artikel 85 und 86 EG-Vertrag[2],

- in Kenntnis der Schlussfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rates von Lissabon vom 23./24. März 2000, von Göteborg vom 15./16. Juni 2001, von Laeken vom 14./15. Dezember 2001, von Barcelona vom 15./16. März 2002 sowie von Brüssel vom 20./21. März 2003, 25./26. März 2004, 22./23. März 2005 und 23./24. März 2006,

- in Kenntnis des Berichts vom November 2004 „Die Herausforderung annehmen. Die Lissabon-Strategie für Wachstum und Beschäftigung“ der Hochrangigen Sachverständigengruppe für die Lissabon-Strategie,

- gestützt auf die Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln[3], die Verordnung (EG) Nr. 773/2004 der Kommission vom 7. April 2004 über die Durchführung von Verfahren auf der Grundlage der Artikel 81 und 82 EG-Vertrag durch die Kommission[4] und die Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates vom 20. Januar 2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen[5],

- gestützt auf die internationalen Instrumente, die das Recht auf wirksamen Rechtsschutz anerkennen, insbesondere die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte sowie den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte sowie die dazugehörigen Protokolle,

- gestützt auf Artikel 6 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten und deren Protokolle,

- gestützt auf Artikel 47 der Grundrechtecharta der Europäischen Union,

- gestützt auf Artikel 45 seiner Geschäftsordnung,

–       in Kenntnis des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Währung und der Stellungnahme des Rechtsausschusses (A6‑0133/2007),

A.  in der Erwägung, dass die Wettbewerbspolitik von Beginn an Teil des Projekts der europäischen Integration und von entscheidender Bedeutung beim Aufbau der Europäischen Union ist,

B.  in der Erwägung, dass der freie und unverfälschte Wettbewerb unerlässlich ist für die Verwirklichung der Ziele der Lissabon-Göteborg-Strategie und für die Vitalität des Binnenmarkts, die unternehmerische Exzellenz, die Interessen der Verbraucher und die Ziele der Europäischen Union, während wettbewerbswidrige Verhaltensweisen für die gleichen Zielsetzungen nachteilig sind,

C.  in der Erwägung, dass Artikel 81 und 82 EGV Vorschriften sind, von denen nicht abgewichen werden darf, die direkte Folgen haben und die von den zuständigen Behörden von Amts wegen anzuwenden sind, sowie dass sie Rechte zwischen Privatpersonen schaffen, die die Justizbehörden wirksam schützen müssen, und zwar im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, darunter dem Urteil in der Rechtssache 26/62[6] (Van Gend & Loos), das insbesondere als Vorläufer für nachfolgende Rechtssachen bemerkenswert ist;

D.  in der Erwägung, dass die Wettbewerbsrechtsdurchsetzung in den Mitgliedstaaten primär über öffentlich-rechtliche Kanäle erfolgt und dass auf der Ebene der Mitgliedstaaten beträchtliche Unterschiede und Hindernisse bestehen, die potenzielle Kläger unter Umständen daran hindern, Schadenersatzklagen zu erheben,

E.  in der Erwägung, dass die Kommission gemäß Artikel 85 des EG-Vertrags die Anwendung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags verankerten Grundsätze des Wettbewerbsrechts sicherstellen muss; in der Erwägung, dass im Vertrag weitere Rechtsgrundlagen vorgesehen sind, die zur Effizienz dieser Grundsätze beitragen können, z.B. die Artikel 65, 83, 95, 153 und 308; in der Erwägung, dass es Auffassung des Gerichtshofes ist, dass es im Falle fehlender Gemeinschaftsvorschriften für das Recht von Geschädigten, vor den nationalen Gerichten auf Schadenersatz zu klagen, Aufgabe des innerstaatlichen Rechtssystems jedes Mitgliedstaates ist, die zuständigen Gerichte zu bestimmen und detaillierte Verfahrensregeln für Klagen zum Schutz von Rechten festzulegen, die Einzelpersonen direkt aus dem Gemeinschaftsrecht ableiten, vorausgesetzt, dass solche Regeln nicht weniger günstig sind als die, die für vergleichbare innerstaatliche Klagen gelten (im Einklang mit dem Äquivalenzgrundsatz) und dass sie die Ausübung der durch das Gemeinschaftsrecht verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (im Einklang mit dem Effektivitätsgrundsatz),

F.  in der Erwägung, dass die seltene und außerordentliche Nutzung privater Schadenersatzklagen vor den Gerichten der Mitgliedstaaten, wie in der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 zur Modernisierung der Wettbewerbspolitik bei der Anwendung des Wettbewerbsrechts vorgesehen, darauf hinweist, dass Maßnahmen notwendig sind, um die Erhebung von Schadenersatzklagen zu erleichtern; in der Erwägung, dass derartige Maßnahmen die Einhaltung des EG-Wettbewerbsrechts verbessern sollten, und zwar unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Verfahrens- und Beweisvorschriften in den Mitgliedstaaten; in der Erwägung, dass dies nicht zu einer Situation führen sollte, in der Unternehmen, die ein rechtmäßiges wirtschaftliches Verhalten an den Tag legen, einem ungebührlichen Risiko ausgesetzt werden, unbegründete Schadenersatzforderungen zu erfüllen oder ihr Verhalten zu ändern, um kostspielige Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden,

G.  in der Erwägung, dass Verbraucher und Unternehmen, denen infolge einer Verletzung des Wettbewerbsrechts ein Schaden entstanden ist, Anspruch auf Schadenersatz haben sollten,

H.  in der Erwägung, dass die Entwicklungen im Zivilrecht der EU, insbesondere hinsichtlich des Zugangs zum Recht, nicht mit den jüngsten Entwicklungen des gemeinschaftlichen Wettbewerbsrechts im Binnenmarkt Schritt gehalten haben,

I.  in der Erwägung, dass der Gerichtshof in der Rechtssache C-453/99[7] verfügt hat, dass Einzelpersonen und Unternehmen zwecks Gewährleistung der uneingeschränkten Wirksamkeit des Artikels 81 des EG-Vertrags die Ersetzung des Schadens verlangen können, der ihnen durch einen Vertrag oder eine Verhaltensweise, die den Wettbewerb einschränkt oder verfälscht, entstanden ist,

J.  in der Erwägung, dass die bestehenden Rechtsmittelmechanismen im Falle einer Verletzung des Wettbewerbsrechts auf europäischer Ebene nicht die uneingeschränkte Wirksamkeit von Artikel 81 des EG-Vertrags gewährleisten, insbesondere im Hinblick auf Geschädigte,

K.  in der Erwägung, dass viele Mitgliedstaaten Möglichkeiten prüfen, die Verbraucher besser zu schützen, indem sie Sammelklagen zulassen, und dass unterschiedliche Vorgehensweisen zur Verzerrung des Wettbewerbs im Binnenmarkt führen können,

L.  in der Erwägung, dass jedweder Vorschlag der Kommission in Bereichen, für die die Kommission nicht die ausschließliche Zuständigkeit besitzt, gemäß dem EG-Vertrag den Grundsätzen der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit entsprechen muss,

1.  weist darauf hin, dass es den gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln an abschreckender Wirkung mangeln würde und ihre Effektivität zweifelhaft wäre, wenn diejenigen, die verbotene Praktiken anwenden, Vorteile auf dem Markt oder Straffreiheit für ihre Zuwiderhandlungen genießen könnten, weil die entsprechenden Verantwortlichkeiten nicht uneingeschränkt geltend gemacht werden könnten; vertritt die Auffassung, dass sowohl den Vertretern des Allgemeininteresses als auch Geschädigten Klagen erleichtert werden müssen;

2.  ist der Auffassung, dass Bürger bzw. Unternehmen, denen Verluste infolge einer Verletzung des Wettbewerbsrechts entstehen, die Möglichkeit haben sollten, Schadenersatz für ihre Verluste zu verlangen; ist ferner der Auffassung, dass solche Verstöße formell mithilfe der anwendbaren Verfahren festgestellt werden müssen und gleichzeitig die Auflage gelten muss, dass die Geschädigten unmittelbar in ihren eigenen Interessen beeinträchtigt sind;

3.  begrüßt die Tatsache, dass der Gerichtshof das Recht der Geschädigten wettbewerbswidriger Verhaltensweisen anerkannt hat, eigenständige oder Folgeklagen zu erheben, um Schadenersatz zu erlangen, und befürwortet daher das Grünbuch über Schadenersatzklagen und die darauf Bezug nehmenden Vorbereitungsarbeiten;

4.  fordert, dass rasche und gütliche außergerichtliche Regelungen begünstigt und bei Schadenersatzklagen wegen wettbewerbswidriger Verhaltensweisen Prozessvergleiche erleichtert werden, damit eine wettbewerbs-, nicht jedoch prozessfördernde Wirkung erzielt wird; weist darauf hin, dass die Behebung der vom Rechtsverletzer verursachten Schäden vor Abschluss der Verfahren als Milderungsgrund bei der Bemessung der zu verhängenden Geldbußen betrachtet werden könnte; befürwortet auch, dass die Wettbewerbsbehörden in der Europäischen Union bis zu einem gewissen Grad die Aufgaben eines institutionellen Schlichters übernehmen können, indem sie auf Antrag der Parteien die Schlichtungsverfahren einschließlich der Benennung der Schlichter übernehmen;

5.  ist deshalb der Auffassung, dass in den Rechtssystemen der Mitgliedstaaten effektive zivilrechtliche Verfahren vorgesehen werden müssen, mit deren Hilfe Schadenersatz bei Verlusten wegen Verletzung des Wettbewerbsrechts verlangt werden kann;

6.  ist der Ansicht, dass die Einführung privater Schadenersatzklagen ergänzend wirken und mit der staatlichen Rechtsdurchsetzung in Einklang stehen muss, die damit strategischer und selektiver vorgehen und eine Konzentration auf die wichtigsten Fragen und die Fälle von größerer Relevanz anstreben kann; vertritt allerdings die Auffassung, dass solche Klagen keine Rechtfertigung für eine unzureichende Ausstattung der Wettbewerbsbehörden sein dürfen;

7.  fordert, dass die Anwendung der Artikel 81 und 82 des Vertrags einheitlich erfolgt, unabhängig vom administrativen oder justiziellen Charakter der entscheidenden Behörde; ist der Ansicht, dass die Urteile der Justizbehörden kohärent sein und gemeinsamen Grundsätzen der Sicherheit und Wirksamkeit gerecht werden müssen, damit Verzerrungen und Inkohärenzen in der Union vermieden werden; vertritt die Auffassung, dass das Ziel darin bestehen sollte, Verfahren und eine Situation dahingehend zu schaffen, dass ein früheres und rechtskräftiges Urteil seitens einer Wettbewerbs- oder Justizbehörde für alle Mitgliedstaaten verbindlich ist, sofern die Parteien und Umstände des Falls dieselben sind;

8.  unterstreicht die entscheidende Bedeutung einer wettbewerbsrechtlichen Ausbildung der Justizbehörden, um die Qualität ihrer Urteile sicherzustellen, ferner das wesentliche Erfordernis, Verfahren in fachlich zuständigen oder hochqualifizierten Instanzen abzuwickeln;

9.  befürwortet, dass alle Justizbehörden, die die gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln anwenden, erforderlichenfalls Auflagen beschließen, vorbereitende Ermittlungen durchführen und ihre Untersuchungsbefugnisse nutzen können müssen, um den Wettbewerb und die Rechte der Geschädigten zu schützen;

10.  betont, dass die nationalen Gerichte zwecks Feststellung der für die Anwendung der Artikel 81 und 82 des Vertrags relevanten Fakten Möglichkeiten haben müssen, die denjenigen vergleichbar sind, die den gemeinschaftlichen Wettbewerbsbehörden zugestanden werden, und dass die Zusammenarbeit zwischen den Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten und den nationalen Gerichten sowie zwischen den einzelnen nationalen Gerichten verstärkt werden muss, um Kohärenz zu gewährleisten;

11.  fordert die Mitgliedstaaten nachdrücklich auf, zu akzeptieren, dass eine von einer Wettbewerbsbehörde getroffene Feststellung der Verletzung, sobald sie endgültig ist und gegebenenfalls bei einer Berufung bestätigt wird, automatisch einen Beweis des ersten Anscheins (prima facie) für ein Verschulden in zivilrechtlichen Verfahren darstellt, in denen es um denselben Sachverhalt geht, sofern der Beklagte eine angemessene Gelegenheit gehabt hat, sich im Verwaltungsverfahren zu verteidigen;

12.  hält es außerdem für überflüssig, auf Gemeinschaftsebene die Notwendigkeit der Bestellung von Sachverständigen zu erörtern und vorzuschreiben;

13.  ist der Auffassung, dass die vorgeschlagene Verordnung über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anwendbare Recht („Rom II“) eine zufriedenstellende Lösung bieten sollte mit der Ausnahme der Fälle, in denen wettbewerbswidrige Verhaltensweisen den Wettbewerb in mehr als einem Mitgliedstaat beeinträchtigen, und dass man deshalb die Einführung einer Sonderregelung für solche Fälle in Erwägung ziehen sollte;

14.  fordert die nationalen Gerichte auf, beim Schutz vertraulicher Informationen und zur Wirksamkeit von Kronzeugenregelungen zusammenzuarbeiten; vertritt die Auffassung, dass Konflikte im Zusammenhang mit dem Zugang zu derartigen Informationen, die Mitgliedern des Europäischen Wettbewerbsnetzes (ECN) zur Verfügung stehen, bzw. mit deren Behandlung auf der Grundlage der Auslegung des Gemeinschaftsrechts durch den Gerichtshof geregelt werden müssen;

15.  hebt hervor, dass die dem Kläger zuerkannte Entschädigung kompensatorischen Charakter haben und den tatsächlich entstandenen Schaden („damnum emergens“) bzw. erlittenen Verlust („lucrum cessans“) nicht übersteigen sollte, um unrechtmäßige Bereicherung auszuschließen, und der Kapazität des Geschädigten, Schaden oder Verlust zu mindern, Rechnung tragen kann; empfiehlt allerdings, dass es bei Kartellen möglich sein sollte, auf Ermessensbasis Schadenersatz in doppelter Höhe des Schadens zuzusprechen; Antragsteller, die als erste mit den Wettbewerbsbehörden bei Kronzeugenregelungen zusammenarbeiten, sollten nicht gesamtschuldnerisch mit den übrigen Rechtsverletzern haften; Zinsen sollten ab dem Tag der Zuwiderhandlung berechnet werden;

16.  vertritt die Ansicht, dass bei jeder vorgeschlagenen Maßnahme die öffentliche Ordnung der Mitgliedstaaten, insbesondere in Bezug auf Schadenersatz mit Strafcharakter, uneingeschränkt respektiert werden muss;

17.  unterstreicht, dass die Mitgliedstaaten berücksichtigen sollten, dass die Möglichkeit der Geltendmachung von „Passing on defence“ der Ermittlung des Schadensumfangs und des Kausalzusammenhangs abträglich wäre;

18.  unterstützt die Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass alle Geschädigten Klage erheben können müssen; vertritt die Auffassung, dass Mitgliedstaaten, die die Anerkennung indirekt Geschädigter in Erwägung ziehen, dem Beklagten die Möglichkeit zugestehen müssen, zu argumentieren, dass der gesamte Gewinn oder ein Teil der Gewinne aufgrund des Schadens an Dritte weitergegeben wurde („passing on defence“), um die Existenz unrechtmäßiger Bereicherung auszuschließen; stellt fest, dass es daher wesentlich ist, ein Verfahren zur Behandlung vieler geringfügiger Forderungen zu schaffen;

19.  ist der Auffassung, dass den Geschädigten aus Gründen der Wirtschaftlichkeit, Schnelligkeit und Kongruenz zugestanden werden muss, aus freiem Willen gemeinsam direkt oder durch einen Verband, dessen Satzung solche Initiativen zum Gegenstand hat, Klage zu erheben;

20.  weist darauf hin, dass in vielen Fällen Kläger und Beklagte in Schadenersatzverfahren aufgrund wettbewerbswidrigen Verhaltens nicht über die gleichen Mittel verfügen werden und dass Kläger in derartigen Fällen nicht wegen der Befürchtung, übermäßige Rechtskosten, einschließlich der Kosten des Beklagten, wenn die Klage nicht erfolgreich ist, übernehmen zu müssen, davon abgehalten werden sollten, wohl begründete Schadenersatzklagen zu erheben; empfiehlt deshalb, dass die Justizbehörden in der Lage sein sollten, der unterschiedlichen wirtschaftlichen Lage der Parteien Rechnung zu tragen, und gegebenenfalls diesen Punkt zu Beginn der Verfahren kontrollieren sollten; vertritt die Auffassung, dass die Höhe der Kosten auf vernünftigen und objektiven Kriterien basieren sollte, unter Berücksichtigung der Art des Verfahrens, und dass die durch die gerichtlichen Verfahren verursachten Kosten darin inbegriffen sein sollten;

21.  empfiehlt, dass die Programme für öffentliche Beihilfen, die rechtmäßig beschlossen werden könnten, um die Erhebung privater Schadenersatzklagen wegen wettbewerbswidriger Verhaltensweisen zu erleichtern, präzise Bedingungen zur Verfolgung des Prozesses und Wiedereinziehung dieser Beihilfen beinhalten sollten, insbesondere bei einem Vergleich und einer Verurteilung des Rechtverletzers zur Übernahme der Kosten;

22.  vertritt die Auffassung, dass die nationalen Verjährungsfristen für Klagen wegen Verstößen gegen die gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln innerhalb eines Jahres nach einer Entscheidung der Kommission oder einer nationalen Wettbewerbsbehörde, dass diese Regeln verletzt wurden (oder im Fall einer Berufung innerhalb eines Jahres ab dem Abschluss eines derartigen Verfahrens) die Erhebung von Klagen gestatten sollten; ist keine derartige Entscheidung erfolgt, sollte es möglich sein, Schadenersatzklagen wegen Verstößen gegen Artikel 81 oder 82 des EG-Vertrags oder die gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln zu jedem Zeitpunkt innerhalb der Frist zu erheben, binnen derer die Kommission berechtigt ist, eine Entscheidung über die Verhängung einer Geldbuße wegen derartiger Verstöße zu treffen; vertritt die Auffassung, dass die Frist ausgesetzt werden sollte, während offizielle Verhandlungen oder Vermittlungen zwischen den Parteien laufen;

23.  empfiehlt, dass die für das Recht auf Geltendmachung von Schadenersatz bei Verletzung des Wettbewerbsrechts geltende Verjährungsfrist ab dem Zeitpunkt ausgesetzt werden sollte, wenn die Kommission bzw. die Wettbewerbsbehörde in einem oder mehreren Mitgliedstaaten eine Untersuchung einer solchen Verletzung einleitet;

24.  weist darauf hin, dass die Einführung privater Schadenersatzklagen weder die Zuständigkeiten noch die Verantwortung der Kommission bezüglich des Wettbewerbsrechts gemäß dem Vertrag berührt;

25.  fordert die Kommission auf, möglichst rasch Leitlinien zu beschließen, die den Parteien bei der Quantifizierung ihrer Schäden und der Feststellung des Kausalzusammenhangs Hilfestellung leisten können; fordert sie ferner auf, der Ausarbeitung einer Mitteilung über die Erhebung eigenständiger Klagen Vorrang einzuräumen, die Empfehlungen für die Erhebung von Forderungen und Beispiele für die häufigsten Fälle enthält;

26.  fordert die Kommission auf, ein Weißbuch mit detaillierten Vorschlagen vorzubereiten, um von privater Seite die Erhebung von eigenständigen und Folgeklagen auf Schadenersatz aufgrund eines die gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln verletzenden Verhaltens zu erleichtern, und dabei die in dieser Entschließung angesprochenen Punkte umfassend zu behandeln und gegebenenfalls einen geeigneten Rechtsrahmen in Erwägung zu ziehen; fordert die Kommission ferner auf, darin auch Vorschläge für die Verstärkung der Zusammenarbeit zwischen allen für die Anwendung der gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln zuständigen Behörden zu berücksichtigen;

27.  ist der Auffassung, dass jedwede Initiative der Kommission betreffend das Recht von Geschädigten, vor den nationalen Gerichten auf Schadenersatz zu klagen, mit einer Folgenabschätzung einhergehen muss, bei der die Rechtsgrundlage der Initiative und ihre Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit bewertet werden, und das sensible Gleichgewicht aufgrund der Jahrhunderte langen Entwicklung in den verschiedenen Rechtssystemen in der Europäischen Union widerspiegeln muss;

28.  fordert die Kommission auf, eng mit den zuständigen nationalen Behörden der Mitgliedstaaten zusammenzuarbeiten, um grenzüberschreitende Hindernisse abzubauen, die die Bürger und Unternehmen in der EU daran hindern, im Falle von Verstößen gegen die gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln in den Mitgliedstaaten grenzüberschreitende Schadenersatzklagen einzureichen; ist der Auffassung, dass die Kommission erforderlichenfalls rechtliche Schritte unternehmen sollte, um solche Hindernisse zu beseitigen;

29.  fordert die Mitgliedstaaten, in denen Bürger und Unternehmen noch nicht über ein solches effektives Recht auf Geltendmachung von Schadenersatz verfügen, auf, ihr Zivilverfahrensrecht anzupassen;

30.  weist nachdrücklich darauf hin, dass das Parlament im Bereich des Wettbewerbsrechts Mitgesetzgeber sein sollte und regelmäßig über die private Rechtsdurchsetzung informiert werden muss;

31.  beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten und den Sozialpartnern zu übermitteln.

  • [1]  ABl. 61 vom 15.11.1961, S. 1409.
  • [2]  ABl. C 313 vom 15.10.1997, S. 3.
  • [3]  ABl. L 68 vom 6.3.2004, S. 1.
  • [4]  ABl. L 123 vom 27.4.2004, S. 18.
  • [5]  ABl. L 24 vom 29.1.2004, S. 1.
  • [6]  NV Algemene Transport-en Expeditie Onderneming van Gend en Loos vs. Netherlands Inland Revenu Administration [1963] EuGH-1.
  • [7]  Courage Ltd. ./. Crehan [2001] EuGH I-6297.

BEGRÜNDUNG

1.        Gemeinschaftliche Wettbewerbspolitik: 50 Jahre Erfahrung

Die Wettbewerbspolitik war bereits von Beginn an ein prägendes Merkmal der Europäischen Union. Seit den Römischen Verträgen spielt sie eine unverzichtbare Rolle im Hinblick auf die Existenz eines offenen und dynamischen Markts, der unternehmerische Exzellenz sowie Vorteile für die Endverbraucher schafft.

Bedeutung und spezifischer Wert des Wettbewerbs haben zugenommen. Als eine der Grundlagen der europäischen Volkswirtschaft sind die einschlägigen Bestimmungen für die Erfüllung der der Gemeinschaft übertragenen Aufgaben unerlässlich. Die Wettbewerbspolitik ist von herausragender Bedeutung für das Funktionieren des Binnenmarkts, die Erzielung bestmöglicher Ergebnisse im Rahmen der Wirtschaftstätigkeit sowie die Umsetzung der Lissabon-Strategie für Wachstum und nachhaltige Beschäftigung. Sie ist wesentlich, um die Herausforderungen der Globalisierung zu bewältigen und die Ziele der Europäischen Union zu erfüllen.

2.        Kosten von Zuwiderhandlungen

Zuwiderhandlungen generieren mikro- und makro-ökonomische Kosten. Der Rechtsverletzer versucht, die Beziehungen zu anderen Marktteilnehmern (Wettbewerber, Lieferanten, Kunden oder Verbraucher) aus dem Gleichgewicht zu bringen und auf ihre Kosten Vorteile zu erlangen. Durch verbotene Praktiken verursacht er ihnen exorbitante wirtschaftliche Kosten.

In einem größeren Zusammenhang verhindern die Rechtsverletzer damit, dass die Wettbewerbsziele erreicht werden: bessere Zuweisung von Ressourcen, höhere wirtschaftliche Rentabilität, mehr Innovation und niedrigere Preise.

Eine wirksame Wettbewerbspolitik muss die wirtschaftlichen Kosten und den Vertrauensverlust, den die Zuwiderhandlungen bewirken, abwenden. Passivität bedeutet Beihilfe; für die Wirksamkeit des Wettbewerbs ist es von entscheidender Bedeutung, dass sich der Rechtsverletzer keine Marktvorteile verschafft und mit gravierenden Folgen wegen seines Verhaltens rechnen muss, d.h. letztendlich uneingeschränkt haftbar ist.

3.        Die private Säule der gemeinschaftlichen Wettbewerbspolitik

Die Wettbewerbsvorschriften generieren die für die Marktdisziplin entscheidenden Verwaltungsbeziehungen und regeln die privaten Beziehungen. Die privatrechtliche Dimension der Artikel 81 und 82 EGV ist in Absatz 2 präsent, in dem es heißt, dass die nach diesem Artikel verbotenen Vereinbarungen oder Beschlüsse nichtig sind. Seit den Urteilen Geus vs. Bosch (Rechtssache 13/61) sowie Van Gend & Loos (Rechtssache 26/62) wird anerkannt, dass die Vertragsbestimmungen den Bürgern Verpflichtungen auferlegen und auch Rechte zu ihren Gunsten schaffen, die vor Gericht einklagbar sind.

Die wichtigste Rolle beim Umgang mit wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen kommt der staatlichen Rechtsdurchsetzung zu. Die anfängliche Zentralisierung der Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 durch die Kommission durch das Notifizierungs- und Genehmigungssystem, das für die Verankerung der gemeinschaftlichen Wettbewerbspolitik entscheidend war, räumte der staatlichen Initiative Vorrang ein. Die Ausweitung der Rolle der Kommission durch die Gruppenfreistellungen für bestimmte Kategorien von Vereinbarungen seit den 80er Jahren machte das System zwar weniger schwerfällig, änderte die Verwaltungsabläufe jedoch nicht. Seine Anfälligkeit kam mit dem Erfolg: die Forderung nach mehr und besserem Wettbewerb erwies sich als unvereinbar mit der wirtschaftlichen Ineffizienz und der rechtlichen Unzulänglichkeit des Systems. Deshalb verschwand dieses mit der Verordnung Nr. 1/2003, die das Monopol der Kommission aufbrach und ein komplexeres und offeneres System verankerte, das dezentral von den Wettbewerbsbehörden und auch von den einzelstaatlichen Justizbehörden angewandt werden kann.

Ein Meilenstein im Modernisierungsprozess war das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften Courage vs. Crehan vom 20. September 2001, in dem unter Verweis auf die grundlegende Rechtsprechung ausdrücklich anerkannt wurde, dass Artikel 81 vor Gericht einklagbar sei, und darüber hinaus festgestellt wurde, dass seine uneingeschränkte Wirksamkeit begrenzt würde, wenn der Geschädigte einer wettbewerbswidrigen Verhaltensweise keinen Schadenersatz fordern könne. Im Urteil in der Rechtssache Manfredi vom 13. Juli 2006 wird darauf hingewiesen, dass „Schadenersatzklagen vor den nationalen Gerichten wesentlich zur Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs in der Gemeinschaft beitragen können“.

4.        Komplementarität der staatlichen und privaten Rechtsdurchsetzung

Staatliche und private Rechtsdurchsetzung sind die zwei Säulen der Anwendung der gemeinsamen Wettbewerbsregeln. Die Wettbewerbspolitik muss die Marktdisziplin als soziales Prinzip und die Interessen der Marktteilnehmer, seien es Unternehmen oder Verbraucher, schützen.

In einem fortschrittlichen System muss die staatliche Rechtsdurchsetzung gegen die Straflosigkeit der rechtsverletzenden Unternehmen ergänzt werden durch die private Rechtsdurchsetzung gegen ihre Straffreiheit und Schadloshaltung gegenüber Privatpersonen. Die Verhängung von Geldbußen durch die staatlichen Behörden ist zwar eine begrenzte Reaktion; inakzeptabel wäre allerdings die Forderung, dass sie sich auch mit privaten Schadensansprüchen befassen, weil dies eine zu große Belastung für sie bedeuten würde und folglich ineffizient wäre, außerdem in der europäischen Rechtskultur exotisch.

Im europäischen Modell ergänzt die private die staatliche Rechtsdurchsetzung, ersetzt sie aber nicht. Die Öffnung des europäischen Systems für die Durchsetzung privater Schadenersatzansprüche ist kein Modellwechsel, sondern stellt nur eine Weiterentwicklung dar.

Die Kohärenz des Systems muss im Einklang mit der unternehmerischen Freiheit und den subjektiven Rechten von Privatpersonen sichergestellt werden. Die Ausgestaltung beider Säulen erfordert eine Koordinierung ihrer Tätigkeit, die Erleichterung privater Schadenersatzklagen infolge von Entscheidungen der Wettbewerbsbehörden, die Zuwiderhandlungen feststellen, sowie die Anerkennung der Verbindlichkeit der früheren rechtskräftigen Entscheidungen der zuständigen Behörden.

Die Dezentralisierung der staatlichen Rechtsdurchsetzung und die Weiterentwicklung der privaten Rechtsdurchsetzung wird es gestatten, dass von staatlicher Seite ein strategischerer und selektiverer Ansatz verfolgt werden, also eine Konzentration auf wichtige Fragen und vorrangige Fälle erfolgen kann.

5.        Förderung einer Wettbewerbskultur, nicht einer Prozesskultur

Die Durchsetzung privater Schadenersatzansprüche ist ein Instrument der Wettbewerbspolitik, kein Selbstzweck. Die Anerkennung ihrer Bedeutung heißt nicht, dass sie nun verstärkt betrieben wird, vielmehr kann dies einen wichtigen Anreiz darstellen, sie zu vermeiden. In jedem Fall ist die Durchsetzung private Schadenersatzansprüche eigentlich eine Reaktion, durch die die wirtschaftlichen Ungleichgewichte der Zuwiderhandlungen korrigiert werden sollen.

Eine adäquate Regelung der Durchsetzung privater Schadenersatzansprüche wird auch die Zahl der Streitfälle verringern, da dadurch Ungewissheiten ausgeräumt werden, die sie fördern. Letztendlich wird dadurch erleichtert, dass die Justizbehörden die gemeinschaftlichen Vorschriften besser anwenden, wenn ein Streitfall unvermeidlich ist.

Streitfälle dürfen nicht künstlich oder durch Vorschriften gefördert werden, die zu Lasten eines ausgewogenen und fairen Prozesses mit gleichen Möglichkeiten für beide Parteien gehen. Gewünscht wird nicht Aktivismus, sondern rationales Vorgehen.

Bei Schadensansprüchen müssen eigenständige Regelungen, außergerichtliche Regelungen und Gerichtsverfahren gefördert werden. Es muss anerkannt werden, dass der Schadenersatz bei der Entscheidung über die Höhe der zu verhängenden Geldbuße gewürdigt und berücksichtigt werden kann.

6.        Unterschiede gegenüber dem nordamerikanischen Modell

Während die Wettbewerbsvorschriften in den Vereinigten Staaten in 90 % der Fälle durch private Schadenersatzklagen angewandt werden, ist dies in der Europäischen Union sehr selten der Fall. Die Praxis ist unterschiedlich, der Vergleich der qualitativen Aspekte ist aber noch erheblicher.

Die private Rechtsdurchsetzung kann sehr unterschiedlichen Leitlinien und Modellen unterliegen, eine Gleichsetzung mit dem nordamerikanischen Modell wäre ein gravierender Irrtum. In den Vereinigten Staaten verfügen Justizbehörden, die private Schadensansprüche verhandeln, Schadenersatz in dreifacher Höhe des entstandenen Schadens. In der Europäischen Union ist die Verhängung von Geldbußen ein Monopol der Wettbewerbsbehörden, das europäische Modell der privaten Rechtsdurchsetzung hat ergänzenden Charakter, ist jedoch keine Alternative zur staatlichen Rechtsdurchsetzung.

Das nordamerikanische Modell basiert auf dem Zusammenwirken einer Gruppe von Elementen (Justizorgane, in denen Laien vertreten sind, „Verbandsklagen“, umfangreiche Offenlegungserfordernisse, Entschädigung in dreifacher Schadenshöhe, risikofreie Streitfälle, da die Honorare erfolgsabhängig festgesetzt werden und die jeweiligen Parteien die Kosten des Streitfalls übernehmen usw.). In der europäischen Rechtspraxis existiert kein entsprechender Ansatz.

Die Berücksichtigung irgendeines dieser Elemente wäre nicht ausreichend, um das europäische Modell dem amerikanischen anzugleichen. Im vorliegenden Bericht wird eine differenzierte Vorgehensweise im Einklang mit den Erfahrungen der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten vorgeschlagen.

7.        Notwendigkeit eines gemeinsamen Konzepts in der Europäischen Union

Artikel 81 und 82 EGV müssen unabhängig davon, ob es sich bei der entscheidenden Stelle um eine Verwaltungs- oder Justizbehörde handelt, einheitlich angewandt werden. Die Entscheidungen müssen kohärent sein und gemeinsamen Sicherheits- und Effizienzgrundsätzen entsprechen, die Verzerrungen und Inkohärenzen auf dem Gebiet der Europäischen Union abwenden. Im Grünbuch der Kommission werden einige für das weitere Vorgehen interessante Fragen aufgeworfen.

Bei privaten Schadenersatzklagen kann es sich um Folgeklagen (in Fällen, in denen die Wettbewerbsbehörde zuvor eine Zuwiderhandlung festgestellt hat) oder eigenständige Klagen (d. h. solche, bei denen eine derartige Feststellung nicht existiert und die Justizbehörde zunächst über die Schadenshaftung entscheiden muss) handeln. Die Kohärenz des Systems erfordert unterschiedslose Entscheidungen über die Existenz einer Zuwiderhandlung durch gemeinsame Regeln und äquivalente Befugnisse, damit

-          Auflagen beschlossen, vorbereitende Ermittlungen und Beweiserhebungen durchgeführt,

-          der Tatbestand festgestellt, die Beweislast zugewiesen und gewürdigt,

-          vertrauliche Informationen und die Wirksamkeit der Kronzeugenregelungen geschützt sowie

-          die Zusammenarbeit zwischen den Behörden gefördert werden können, um ein effizienteres und sichereres System zu schaffen.

Notwendig sind auch spezifischere Grundlagen, damit die Justizbehörden in Bezug auf Schadenersatzansprüche homogen entscheiden können.

8.        „Regulation versus litigation“

Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften hat den ergänzenden Charakter seiner Rechtsprechung unterstrichen („in Ermangelung einschlägiger gemeinschaftlicher Rechtsvorschriften“), als er feststellte, dass Haftungsklagen vor den nationalen Gerichten gemäß dem Effektivitätsgrundsatz und dem Äquivalenzprinzip entschieden werden müssen. Das interne Äquivalenzprinzip ist nützlich, um inländische Klagen zu entscheiden, ist jedoch problematisch bzw. steht sogar im Widerspruch zu dem Effektivitätsgrundsatz, wenn es übergeordnet ist; 25 oder 27 verschiedene Lösungen wären wohl kaum vernünftig.

Eine Vervielfältigung der Streitfälle und der juristischen Komplexität ginge zu Lasten der Rechtsuchenden und der Effektivität des Systems. Die Regelung des Problems verlangt einen gemeinschaftlichen Rechtsrahmen, der für mehr Sicherheit und Effizienz sorgt.

Die Aufgabe der Justizbehörden im gemeinschaftlichen Wettbewerbsrecht besteht nicht darin, Recht zu schaffen, sondern das Recht wirksam werden zu lassen, indem sie konkrete Fälle durch eine Debatte „inter partes“. entscheiden. Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, Alternativen für die grundlegenden Fragen und Bestimmungen durch eine öffentliche und offene Debatte in der Europäischen Union vorzugeben, um für mehr Legitimität und eine Perspektive zu sorgen, die das Allgemeininteresse berücksichtigt.

9.        Die besondere Rolle der Europäischen Kommission

Die Durchsetzung privater Schadenersatzansprüche berührt weder die Zuständigkeiten noch die Verantwortung der Kommission gemäß dem Vertrag. Ihre Befugnisse zur Wahrung der in Artikel 81 und 82 EGV genannten Grundsätze haben große Bedeutung.

Der Übergang von der Nichtexistenz privater Schadenersatzklagen zu einem ausgewogenen System mit zwei sich ergänzenden Säulen erfordert politische Entschlossenheit und geistige Führerschaft. Die Kommission muss dieser Herausforderung mit einer referenziellen Tätigkeit bei der Anwendung des Wettbewerbsrechts und mit dem Beschluss von Initiativen im Hinblick auf einschlägige Erfolge begegnen. Die Aktualisierung der Rechtsvorschriften, die Vorgabe von Leitlinien, die ihre Umsetzung erleichtern, die Verbreitung allgemeinpolitischer Papiere, die ihr Verständnis fördern, und die Begünstigung der Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Behörden sind grundlegende Aufgaben.

10.      Stärkung der Rolle des Europäischen Parlaments in der Wettbewerbspolitik

Das Parlament als repräsentative Institution der Bürger muss die demokratische Legitimität liefern, die die Wettbewerbspolitik benötigt. Eine Ausweitung der Wettbewerbskultur auf die gesamte Gesellschaft erfordert eine umfassendere und aktivere Rolle des Parlaments.

Die gemeinschaftliche Wettbewerbspolitik ist keine Verwaltungsdisziplin, die noch in den Kinderschuhen steckt, sondern eine konsolidierte Politik mit riesigem Einfluss auf die Unternehmen und das Leben der Bürger, ein Kernpunkt der europäischen Integration. Ihre demokratische Ausprägung erfordert eine Stärkung der Rolle des Parlaments, wobei seine Funktionen als Initiator und Kontrollorgan verstärkt und seine Kapazität als Mitgesetzgeber anerkannt werden müssen.

STELLUNGNAHME des Rechtsausschusses (*) (27.2.2007)

für den Ausschuss für Wirtschaft und Währung

zu dem Grünbuch: Schadenersatzklagen wegen Verletzung des EG‑Wettbewerbsrechts
(2006/2207(INI))

Verfasser der Stellungnahme (*): Bert Doorn

(*)       Verstärkte Zusammenarbeit zwischen den Ausschüssen – Artikel 47 der Geschäftsordnung

VORSCHLÄGE

Der Rechtsausschuss ersucht den federführenden Ausschuss für Wirtschaft und Währung, folgende Vorschläge in seinen Entschließungsantrag zu übernehmen:

A. in der Erwägung, dass Verbraucher und Unternehmen, denen infolge einer Verletzung des Wettbewerbsrechts ein Schaden entstanden ist, Anspruch auf Schadenersatz haben,

B.  in der Erwägung, dass die Wettbewerbsrechtsdurchsetzung in den Mitgliedstaaten primär über öffentlich-rechtliche Kanäle erfolgt und dass auf der Ebene der Mitgliedstaaten beträchtliche Unterschiede und Hindernisse bestehen, die potenzielle Kläger unter Umständen daran hindern, Schadenersatzklagen zu erheben,

C. in der Erwägung, dass die Kommission gemäß Artikel 85 des EG-Vertrags die Anwendung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags verankerten Grundsätze des Wettbewerbsrechts sicherstellen muss; in der Erwägung, dass im Vertrag weitere Rechtsgrundlagen vorgesehen sind, die zur Effizienz dieser Grundsätze beitragen können, z.B. Artikel 65, der die Europäische Union befähigt, Hindernisse für das gute Funktionieren von Zivilverfahren mit grenzüberschreitenden Auswirkungen zu beseitigen; in der Erwägung, dass es entsprechend der Auffassung des Gerichtshofes, wonach im Falle fehlender Gemeinschaftsvorschriften für das Recht von Geschädigten, vor den nationalen Gerichten auf Schadenersatz zu klagen, es Aufgabe des innerstaatlichen Rechtssystems jedes Mitgliedstaates ist, die zuständigen Gerichte zu bestimmen und die detaillierten Verfahrensregeln für Klagen zum Schutz von Rechten festzulegen, die Einzelpersonen direkt aus dem Gemeinschaftsrecht ableiten, vorausgesetzt, dass solche Regeln nicht weniger günstig sind als die, die für vergleichbare innerstaatliche Klagen gelten (Äquivalenzgrundsatz) und dass sie die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Effektivitätsgrundsatz),

D. in der Erwägung, dass die Entwicklungen im Zivilrecht der EU, insbesondere der Zugang zum Recht, nicht mit den jüngsten Entwicklungen des EU-Wettbewerbsrechts im Binnenmarkt Schritt gehalten haben,

E.  in der Erwägung, dass jedweder Vorschlag der Kommission in Bereichen, für die die Kommission nicht die ausschließliche Zuständigkeit besitzt, gemäß dem EG-Vertrag dem Subsidiaritätsprinzip entsprechen und die Kriterien der Verhältnismäßigkeit erfüllen muss,

F.  in der Erwägung, dass der Gerichtshof in der Rechtssache C-453/99 Courage/Crehan[1] verfügt hat, dass Einzelpersonen und Unternehmen zwecks Gewährleistung der uneingeschränkten Wirksamkeit des Artikels 81 des EG-Vertrags die Ersetzung des Schadens verlangen können, der ihnen durch einen Vertrag oder eine Verhaltensweise, die den Wettbewerb einschränkt oder verfälscht, entstanden ist,

G. in der Erwägung, dass die bestehenden Rechtsmittelmechanismen im Falle einer Verletzung des Wettbewerbsrechts auf europäischer Ebene nicht die uneingeschränkte Wirksamkeit von Artikel 81 des EG-Vertrags gewährleisten, insbesondere im Hinblick auf Geschädigte,

H. in der Erwägung, dass viele Mitgliedstaaten nach Möglichkeiten suchen, die Verbraucher besser zu schützen, indem sie Sammelklagen zulassen, und dass unterschiedliche Vorgehensweisen zu einer Verzerrung des Wettbewerbs im Binnenmarkt führen können,

1.  ist der Auffassung, dass Bürger bzw. Unternehmen, denen Verluste infolge einer Verletzung des Wettbewerbsrechts entstehen, die Möglichkeit haben sollten, Schadenersatz für ihre Verluste zu verlangen; ist ferner der Auffassung, dass solche Verstöße formell mithilfe der anwendbaren Verfahren festgestellt werden müssen und gleichzeitig die Auflage gelten muss, dass die Geschädigten unmittelbar in ihren eigenen Interessen beeinträchtigt sind;

2.  ist deshalb der Auffassung, dass in den Rechtssystemen der Mitgliedstaaten effektive zivilrechtliche Verfahren vorgesehen werden müssen, mit deren Hilfe Schadenersatz bei Verlusten von Verletzungen des Wettbewerbsrechts verlangt werden kann;

3.  ist der Auffassung, dass jedwede Initiative der Kommission betreffend das Recht von Geschädigten, vor den nationalen Gerichten auf Schadenersatz zu klagen, mit einer Folgenabschätzung einhergehen muss, bei der die Rechtsgrundlage der Initiative und ihre Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit bewertet werden, und das sensible Gleichgewicht aufgrund der Jahrhunderte langen Entwicklung in den verschiedenen Rechtssystemen in der EU widerspiegeln muss;

4.  fordert die Mitgliedstaaten, in denen Bürger und Unternehmen noch nicht über ein solches effektives Recht auf Geltendmachung von Schadenersatz verfügen, auf, ihr Zivilverfahrensrecht anzupassen;

5.  fordert die Mitgliedstaaten nachdrücklich auf, zu akzeptieren, dass eine von der Wettbewerbsbehörde getroffene vorherige Feststellung der Verletzung, sobald sie endgültig ist und bei einer möglichen Berufung bestätigt wird, automatisch einen Beweis des ersten Anscheins (prima facie) für ein Verschulden in zivilrechtlichen Verfahren darstellt, in denen es um denselben Sachverhalt geht, sofern der Beklagte eine angemessene Gelegenheit gehabt hat, sich im Verwaltungsverfahren zu verteidigen;

6.  unterstreicht ferner, dass die Mitgliedstaaten in Erwägung ziehen sollten, dass die Möglichkeit der Geltendmachung von „Passing on defence“ der Ermittlung des Schadensumfangs und des Kausalzusammenhangs abträglich ist;

7.  fordert die Kommission auf, eng mit den zuständigen nationalen Behörden der Mitgliedstaaten zusammenzuarbeiten, um grenzüberschreitende Hindernisse abzubauen, die die Bürger und Unternehmen in der EU daran hindern, im Falle von Verstößen gegen die Wettbewerbsregeln der EU in den Mitgliedstaaten grenzüberschreitende Schadenersatzklagen einzureichen; ist der Auffassung, dass die Kommission erforderlichenfalls rechtliche Schritte unternehmen sollte, um solche Hindernisse zu beseitigen;

8.  gibt dabei zu bedenken, dass die für das Recht auf Geltendmachung von Schadenersatz bei Verletzung des Wettbewerbsrechts geltende Verjährungsfrist ab dem Zeitpunkt ausgesetzt werden sollte, wenn die Kommission bzw. die Wettbewerbsbehörde in einem oder mehreren Mitgliedstaaten eine Untersuchung einer solchen Verletzung einleitet;

9.  ist außerdem der Auffassung, dass für die Geltendmachung des Anspruchs auf Schadenersatz infolge von Verletzungen des Wettbewerbsrechts keine besonderen Gerichte erfordert, sofern diese nicht in den Rechtsverfahren der Mitgliedstaaten vorgesehen sind;

10. vertritt die Ansicht, dass bei jedem vorgeschlagenen Instrument die öffentliche Ordnung der Mitgliedstaaten, insbesondere in Bezug auf Schadenersatz mit Strafcharakter, uneingeschränkt respektiert werden muss;

11. hält es für unangemessen, auf gemeinschaftlicher Ebene die nationalen Vorschriften über die Offenlegung von Urkundsbeweisen und die Beweislast in zivilen Schadenersatzverfahren gemäß den Artikeln 81 und 82 des EG-Vertrags anzupassen;

12. hält es außerdem für überflüssig, auf Gemeinschaftsebene die Notwendigkeit der Bestellung von Sachverständigen, die Klärung des rechtlichen Erfordernisses der Schadensursache und die Möglichkeit der Erhebung von Sammelklagen zu erörtern und vorzuschreiben, da davon ausgegangen werden kann, dass diese Elemente in der Tradition der nationalen Rechtssysteme verankert sind;

13. ist der Auffassung, dass die vorgeschlagene Verordnung über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anwendbare Recht („Rom II“) eine zufrieden stellende Lösung bieten sollte mit der Ausnahme der Fälle, in denen wettbewerbswidrige Verhaltensweisen den Wettbewerb in mehr als einem Mitgliedstaat beeinträchtigen, und dass man die Möglichkeit der Einbeziehung einer Sonderregelung in die vorstehend genannte Verordnung in Erwägung ziehen sollte;

14. ist der Auffassung, dass die Kommission nicht befugt ist, vorab einseitig festzustellen, auf welche Märkte sie ihr Vorgehen zur Gewährleistung der staatlichen Durchsetzung des Wettbewerbsrechts konzentrieren soll, und dass entsprechende Initiativen nur mit der politischen Unterstützung des Europäischen Parlaments und des Rates ergriffen werden sollten;

VERFAHREN

Titel

Grünbuch: Schadenersatzklagen wegen Verletzung des EG‑Wettbewerbsrechts

Verfahrensnummer

2006/2207(INI)

Federführender Ausschuss

ECON

Stellungnahme von
  Datum der Bekanntgabe im Plenum

JURI
7.9.2006

Verstärkte Zusammenarbeit – Datum der Bekanntgabe im Plenum

JURI

7.9.2006

Verfasser der Stellungnahme
  Datum der Benennung

Bert Doorn

30.5.2006

Ersetzte(r) Verfasser(in) der Stellungnahme:

 

Prüfung im Ausschuss

12.9.2006

3.10.2006

21.11.2006

27.2.2007

 

Datum der Annahme

27.2.2007

Ergebnis der Schlussabstimmung

+:

–:

0:

21

0

0

Zum Zeitpunkt der Schlussabstimmung anwesende Mitglieder

Wolfgang Bulfon, Bert Doorn, Giuseppe Gargani, Lidia Joanna Geringer de Oedenberg, Klaus-Heiner Lehne, Katalin Lévai, Hans-Peter Mayer, Manuel Medina Ortega, Hartmut Nassauer, Aloyzas Sakalas, Diana Wallis, Rainer Wieland, Jaroslav Zvěřina

Zum Zeitpunkt der Schlussabstimmung anwesende Stellvertreter(innen)

Mladen Petrov Chervenyakov, Adeline Hazan, Barbara Kudrycka, Eva Lichtenberger, Michel Rocard, József Szájer, Jacques Toubon

Zum Zeitpunkt der Schlussabstimmung anwesende Stellv. (Art. 178 Abs. 2)

Toine Manders

Anmerkungen (Angaben nur in einer Sprache verfügbar)

...

  • [1]  [2002]EuGH I-6297.

VERFAHREN

Titel

Grünbuch: Schadenersatzklagen wegen Verletzung des EG‑Wettbewerbsrechts

Verfahrensnummer

2006/2207(INI)

Federführender Ausschuss
  Datum der Bekanntgabe der Genehmigung im Plenum

ECON
7.9.2006

Mitberatende(r) Ausschuss/Ausschüsse
  Datum der Bekanntgabe im Plenum

ITRE

7.9.2006

JURI

7.9.2006

IMCO

7.9.2006

 

 

Nicht abgegebene Stellungnahme(n)
  Datum des Beschlusses

ITRE

20.2.2006

IMCO

13.9.2006

 

 

 

Verstärkte Zusammenarbeit
  Datum der Bekanntgabe im Plenum

JURI

7.9.2006

 

 

 

 

Berichterstatter(in/innen)
  Datum der Benennung

Antolín Sánchez Presedo

17.1.2006

 

Ersetzte(r) Berichterstatter(in/innen)

 

 

Prüfung im Ausschuss

19.4.2006

21.11.2006

19.12.2006

23.1.2007

 

Datum der Annahme

27.3.2007

Ergebnis der Schlussabstimmung

+

-

0

22

18

1

Zum Zeitpunkt der Schlussabstimmung anwesende Mitglieder

Zsolt László Becsey, Pervenche Berès, Sharon Bowles, Udo Bullmann, Ieke van den Burg, David Casa, Jonathan Evans, Elisa Ferreira, José Manuel García-Margallo y Marfil, Jean-Paul Gauzès, Robert Goebbels, Donata Gottardi, Karsten Friedrich Hoppenstedt, Gunnar Hökmark, Sophia in 't Veld, Othmar Karas, Piia-Noora Kauppi, Guntars Krasts, Astrid Lulling, Hans-Peter Martin, Gay Mitchell, Cristobal Montoro Romero, Joseph Muscat, Joop Post, John Purvis, Alexander Radwan, Bernhard Rapkay, Heide Rühle, Manuel Antolín Sánchez Presedo, António dos Santos, Olle Schmidt, Peter Skinner, Cristian Stănescu, Margarita Starkevičiūtė, Ivo Strejček.

Zum Zeitpunkt der Schlussabstimmung anwesende(r) Stellvertreter(in/innen)

Harald Ettl, Werner Langen, Klaus-Heiner Lehne, Thomas Mann, Gianni Pittella, Adina-Ioana Vălean.

Zum Zeitpunkt der Schlussabstimmung anwesende(r) Stellv. (Art. 178 Abs. 2)

 

Datum der Einreichung

10.4.2007

Anmerkungen (Angaben nur in einer Sprache verfügbar)