BERICHT über die Anwendung der Richtlinie 2003/9/EG des Rates zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten: Reisen des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres von 2005 bis 2008

27.1.2009 - (2008/2235(INI))

Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres
Berichterstatterin: Martine Roure

Verfahren : 2008/2235(INI)
Werdegang im Plenum
Entwicklungsstadium in Bezug auf das Dokument :  
A6-0024/2009
Eingereichte Texte :
A6-0024/2009
Aussprachen :
Angenommene Texte :

ENTWURF EINER ENTSCHLIESSUNG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS

zur Anwendung der Richtlinie 2003/9/EG des Rates zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten: Reisen des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres von 2005 bis 2008

(2008/2235(INI))

Das Europäische Parlament,

–    unter Hinweis auf die Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten („Aufnahmerichtlinie“)[1],

–    unter Hinweis auf die Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft („Verfahrensrichtlinie“)[2],

–    unter Hinweis auf die Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist („Dublin-II-Verordnung“)[3],

–    unter Hinweis auf den Bericht der Kommission vom 26. November 2007 über die Anwendung der Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten (KOM(2007)0745),

–    unter Hinweis auf die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), insbesondere deren Artikel 5 und 8,

–    unter Hinweis auf das VN-Übereinkommen über die Rechte des Kindes,

–    unter Hinweis auf die Berichte über Reisen des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres nach Italien (Lampedusa), Spanien (Ceuta und Melilla, Kanarische Inseln), nach Frankreich (Paris), Malta, Griechenland, Belgien, in das Vereinigte Königreich, in die Niederlande, nach Polen, Dänemark und Zypern,

–    unter Hinweis auf seine Entschließung vom 14. April 2005 zu Lampedusa[4],

–    unter Hinweis auf seine Entschließung vom 6. April 2006 zur Lage in den Flüchtlingslagern auf Malta[5],

–    in Kenntnis des Vorschlags für eine Neufassung der Richtlinie zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten (KOM(2008)0815) (nachstehend „Vorschlag für eine Neufassung“) sowie des Vorschlags für eine Änderung der Richtlinie Dublin II (KOM(2008)0820), die die Kommission zusammen am 3. Dezember 2008 vorgelegt hat,

–   in Kenntnis des Berichts des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (A6‑0024/2009),

A. in der Erwägung, dass die Richtlinie 2003/9/EG des Rates zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern ein grundlegendes Element der ersten Phase des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems ist,

B.  in der Erwägung, dass die Richtlinie 2003/9/EG für Asylbewerber und Flüchtlinge gilt,

C. in der Erwägung, dass Grundrechte wie das Recht auf ein Leben in Würde, der Schutz des Familienlebens, der Zugang zur Gesundheitsversorgung und das Recht auf Anfechtung einer gerichtlichen Entscheidung jederzeit garantiert werden müssen,

D. in der Erwägung, dass die Aufnahmerichtlinie und die Verfahrensrichtlinie die Mitgliedstaaten verpflichten, Asylbewerber schriftlich über ihre Rechte sowie über Organisationen, die ihnen behilflich sind, zu unterrichten, und dass für Asylbewerber angesichts der komplexen Verfahren und kurzen Fristen insbesondere im Hinblick auf beschleunigte Verfahren das Recht auf einen angemessenen Rechtsbeistand, gegebenenfalls der Zugang zu einem Dolmetscher und der Erhalt der sie betreffenden Beschlüsse in einer für sie verständlichen Sprache von entscheidender Bedeutung ist,

E.  in der Erwägung, dass Asylverfahren klar gefasst (Kriterien für die Annahme oder Ablehnung eines Asylantrags), fair, wirksam und angemessen sein müssen, damit ein wirksamer Zugang zum Asyl gewährleistet ist,

F.  in der Erwägung, dass Artikel 7 der Richtlinie 2003/9/EG Asylbewerbern das Recht gewährt, sich im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats frei zu bewegen, dieses Recht jedoch durch die Mitgliedstaaten eingeschränkt werden kann,

G. in der Erwägung, dass die Richtlinie 2003/9/EG über die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber und Flüchtlinge gilt, in vielen der besuchten Zentren Asylbewerber und illegale Migranten jedoch in den gleichen Unterkünften untergebracht sind,

H. in der Erwägung, dass das Übereinkommen über die Rechte des Kindes die Rechte aller Minderjährigen einschließlich jener schützt, die sich außerhalb ihres Herkunftslandes aufhalten, und dass die Aufnahmerichtlinie die Mitgliedstaaten verpflichtet, die besondere Situation Minderjähriger zu berücksichtigen und ihnen spezifische Rechte wie das Recht auf Bildung zu gewähren,

I.   in der Erwägung, dass nicht alle Mitgliedstaaten Aufnahmezentren für alle oder einen großen Teil der Asylbewerber unterhalten, sondern gemeindenahe Alternativen bevorzugen, und dass der LIBE-Ausschuss diesen Aspekt der Praxis der Mitgliedstaaten bisher nicht untersucht hat,

J.   in der Erwägung, dass „Gewahrsam“ für die Zwecke dieses Berichts eine zeitweilige Verwaltungsmaßnahme bedeutet,

K. in der Erwägung, dass der Gewahrsam eine zeitweilige Verwaltungsmaßnahme ist, die sich von der Festnahme als strafrechtlicher Maßnahme unterscheidet,

L.  in der Erwägung, dass die Abgeordneten bei einigen Besuchen wiederholt festgestellt haben - wo dies auf Grund der in einem bestimmten Zentrum herrschenden schlechten Bedingungen notwendig war -, dass die Bedingungen des Gewahrsams hinsichtlich Hygiene, Promiskuität und verfügbarer Einrichtungen in einigen Zentren untragbar sind, und dass die in Gewahrsam befindlichen Personen nicht systematisch über die Gründe für diesen sowie über ihre Rechte und den Bearbeitungsstand ihrer Anträge unterrichtet werden,

Allgemeine Bemerkungen und Asylverfahren

1.  bedauert, dass bei einigen Besuchen offensichtlich wurde, dass die geltenden Richtlinien von einigen Mitgliedstaaten bisher nur schlecht oder gar nicht angewandt wurden; fordert die Kommission auf, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um sicherstellen, dass die Richtlinien nicht nur formal umgesetzt und eingehalten werden;

2.  betont, dass die Grundsätze der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten wie etwa wie das Recht auf ein Leben in Würde, der Schutz des Familienlebens, der Zugang zur Gesundheitsversorgung und das Recht, einen wirksamen Rechtsbehelf gegen eine Ingewahrsamnahme einzulegen, jederzeit und ungeachtet des Status des betreffenden Drittstaatsangehörigen angewandt werden sollten; akzeptiert deshalb nicht, dass eine Person allein deshalb keine Behandlung in diesem Sinne genießt, weil sie illegal eingewandert ist;

3.  bedauert die zahlreichen Defizite im Hinblick auf die für die Aufnahmebedingungen geltenden Normen, die hauptsächlich darauf zurückzuführen sind, dass die Richtlinie 2003/9/EG den Mitgliedstaaten derzeit einen großen Ermessensspielraum bei der Festlegung der Aufnahmebedingungen auf nationaler Ebene zugesteht; begrüßt auf Grund dessen den Vorschlag der erwähnten Neufassung;

4.  begrüßt den Inhalt des Vorschlags für eine Neufassung der Kommission und das erklärte Ziel, bessere Standards für den Umgang mit Asylbewerbern zu gewährleisten, um diesen ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen und für eine größere Einheitlichkeit der einzelstaatlichen Bestimmungen über die Aufnahmebedingungen zu sorgen;

5.  begrüßt den Vorschlag der Kommission, den Anwendungsbereich der Richtlinie 2003/9/EG auf den subsidiären Schutz auszudehnen, um für alle Formen des internationalen Schutzes ein gleiches Niveau der Rechte zu gewährleisten;

6.  fordert die Mitgliedstaaten auf, jenen Ländern, die den größten Zuwanderungsstrom zu bewältigen haben, ein höheres Maß an Solidarität entgegenzubringen, das sich nicht nur auf Hilfe auf technischer und/oder finanzieller Ebene beschränkt; fordert die Kommission auf, die Möglichkeit eines europäischen Instruments für Solidarität zu untersuchen, das dazu beitragen soll, die Belastung aufgrund der großen Zahl von Flüchtlingen zu verringern, die von den Mitgliedstaaten mit Außengrenzen aufgenommen werden; empfiehlt, dass dieses Instrument auf dem Grundsatz der Achtung des Willens der Asylbewerber beruht und ein hohes Maß an Schutz gewährleistet;

7.  fordert die Kommission auf, in Zusammenarbeit mit dem Europäischen Parlament ein ständiges Besuchs- und Inspektionssystem einzuführen; wünscht, dass der Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres seine Reisen fortsetzt, um für die Einhaltung des Gemeinschaftsrechts im Bereich der Aufnahmebedingungen und der Rückkehrverfahren zu sorgen, und dass im Europäischen Parlament jährlich eine Debatte im Rahmen der Plenartagung über die Ergebnisse dieser Besuche durchgeführt wird;

Aufnahme

8.  bedauert, dass die von einigen Mitgliedstaaten bereitgestellten offenen Unterbringungszentren einen Mangel an Kapazitäten aufweisen und den Anforderungen der Migranten nicht zu entsprechen scheinen;

9.  fordert die vorrangige Aufnahme von Asylbewerbern und Zuwanderern in offenen statt in geschlossenen Aufnahmezentren nach dem Vorbild der in einigen Mitgliedstaaten bestehenden Einrichtungen;

10. erinnert an die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, den Zugang zu Asylverfahren zu gewährleisten;

11. fordert die Mitgliedstaaten nachdrücklich auf, die Aufnahmerichtlinie ab dem Zeitpunkt auf alle Asylbewerber anzuwenden, zu dem sie den Wunsch äußern, um Schutz in einem Mitgliedstaat nachzusuchen, auch wenn der Asylantrag noch nicht formal eingereicht wurde;

12. fordert die Kommission eindringlich auf, die Mitgliedstaaten daran zu erinnern, dass die Verweigerung oder die Verschärfung von Aufnahmebedingungen aus Gründen, die nicht durch die Rückkehrrichtlinie abgedeckt sind, streng verboten ist bzw. sein sollte;

13. ist der Ansicht, dass Asylbewerbern mit der Aufnahme verbundene grundlegende Leistungen wie Nahrung, Wohnung und medizinische Notfallversorgung unter keinen Umständen vorenthalten werden sollten, da dies eine Verletzung ihrer Grundrechte bedeuten könnte;

14. erachtet es – insbesondere im Falle beschleunigter Verfahren – als notwendig, ein angemessenes Gleichgewicht zwischen zügigen Bearbeitungszeiten, dem Abbau des Verfahrensstaus und der fairen Bearbeitung jedes Einzelfalls herzustellen;

Zugang zu Informationen und Recht auf Beiziehung eines Dolmetschers

15. stellt fest, dass die Unterrichtung über Verfahren zum größten Teil schriftlich und unter Auferlegung kurzer Fristen erfolgt, was zu Verständnisproblemen führen und für die Asylbewerber betreffend die Inanspruchnahme ihrer Rechte bei der Antragstellung ein Hindernis darstellen kann; fordert, dass Asylbewerbern Broschüren in den internationalen Hauptverkehrssprachen und den Sprachen, die von einer erheblichen Zahl der Asylbewerber und Migranten in dem betreffenden Mitgliedstaat gesprochen werden, mit Informationen über alle ihre Rechte zur Verfügung gestellt werden; fordert die Mitgliedstaaten auf, Informationen auch anderweitig zur Verfügung zu stellen, einschließlich Informationen mündlicher oder audiovisueller Art oder über das Internet;

16. bringt seine Sorge bezüglich der in einigen der besuchten Zentren auch bei amtlichen Terminen häufig unzureichend zu Verfügung stehenden, ausreichend geschulten Dolmetscher zum Ausdruck; fordert die Mitgliedstaaten auf, unverzüglich einen öffentlichen und kostenlosen Dolmetscherdienst – gegebenenfalls auch telefonisch oder über das Internet – einzurichten;

17. rät den Mitgliedstaaten, Zuschüsse aus dem Europäischen Flüchtlingsfonds in Anspruch zu nehmen, um den Zugang zu Informationen zu verbessern und insbesondere die Anzahl der Sprachen, in denen Informationen oder Hilfen für Flüchtlinge angeboten werden, zu erhöhen; fordert die Kommission auf, dafür zu sorgen, dass die Mitgliedstaaten Informationen über die zu diesem Zweck zur Verfügung stehenden Finanzierungsinstrumente sowie über bewährte Methoden beim Einsatz dieser Instrumente verbreiten;

Rechtsberatung

18. bedauert, dass der Zugang zu kostenloser Rechtsberatung für Asylbewerber oder in Gewahrsam genommene illegale Zuwanderer begrenzter Natur zu sein scheint und sich in manchen Fällen auf eine Namensliste von Rechtsanwälten beschränkt, was zur Folge hat, dass Personen, die nicht über die erforderlichen finanziellen Mittel verfügen, keine Unterstützung erhalten;

19. weist darauf hin, dass es aufgrund der Schwierigkeiten, denen Personen in Gewahrsam bei der Kontaktaufnahme mit der Außenwelt gegenüberstehen, und der Besonderheiten der einschlägigen Rechtsvorschriften besonders mühsam ist, eine angemessene Rechtsberatung zu finden;

20. stellt fest, dass die Verlegung von in Gewahrsam befindlichen Personen zwischen verschiedenen Aufnahmezentren oder Gewahrsamseinrichtungen einen kontinuierlichen Zugang zur Rechtsberatung erschwert;

21. beglückwünscht das Hochkommissariat der Vereinten Nationen für Flüchtlinge und die Vertreter der nichtstaatlichen Organisationen zu ihrer Arbeit im Bereich der Rechtsberatung, stellt jedoch fest, dass diese die Verantwortung der Staaten nicht ersetzen können;

22. ermahnt die Mitgliedstaaten, unentgeltliche Rechtsberatung und/oder -vertretung in Fällen zu gewährleisten, in denen Asylbewerber die damit verbundenen Kosten nicht selbst tragen können;

Zugang zu medizinischer Versorgung

23. bedauert, dass sich die Asylbewerber und Migranten in der Mehrzahl der besuchten Gewahrsamseinrichtungen grundsätzlich über die unzureichende oder ungeeignete medizinische Versorgung, Schwierigkeiten im Hinblick auf Arztbesuche oder die Kontaktaufnahme mit Ärzten, den Mangel an besonderer Behandlung (insbesondere für schwangere Frauen und für Opfer von Folter) und geeigneten Medikamenten beklagen;

24. fordert die Mitgliedstaaten auf, den gegenwärtigen Zugang zur medizinischen Versorgung auf Asylbewerber und Migranten zu erweitern, sodass dieser nicht auf die medizinische Notversorgung beschränkt bleibt und auch die psychologische Beratung und Betreuung und psychische Gesundheitsversorgung einschließt; erinnert daran, dass das Recht auf Gesundheit und Gesundheitsversorgung zu den individuellen Grundrechten zählt;

Zugang zu Beschäftigung

25. begrüßt den Vorschlag der Kommission, sich mit den Hindernissen des Zugangs zum Arbeitsmarkt zu befassen und den Zugang zur Beschäftigung nach einem Zeitraum von sechs Monaten nach Beantragung von internationalem Schutz zu gewähren;

26. fordert die Mitgliedstaaten auf, von rechtlichen oder administrativen Auflagen abzusehen, die eine Erschwernis des Zugangs zur Beschäftigung darstellen;

Unterstützung durch nichtstaatliche Organisationen

27. erkennt die beachtliche Arbeit von Vereinigungen im Bereich der Unterstützung von Asylbewerbern und illegalen Migranten an;

28. fordert die Mitgliedstaaten auf, von den bewährten Verfahrensweisen zu lernen, die für Asylbewerber im Rahmen des Programms EQUAL zur wirksamen Vorbereitung auf den Arbeitsmarkt entwickelt wurden;

29. fordert die Mitgliedstaaten auf, Asylbewerbern und illegalen Migranten auch während des Gewahrsams Zugang zu von den nationalen Behörden unabhängigen Personen zu gewähren, die sie bei der Verteidigung ihrer Rechte unterstützen; fordert die Mitgliedstaaten auf, der Zivilgesellschaft per Gesetz ein Recht auf Zugang zu den Gewahrsamseinrichtungen für Ausländer ohne rechtliche oder administrative Hürden zu garantieren;

30. fordert die Mitgliedstaaten auf, Asylbewerber auf keinen Fall in Gewahrsam zu nehmen, da es sich um Personen handelt, die per se gefährdet und schutzbedürftig sind;

Gewahrsam

31. bedauert, dass die Mitgliedstaaten sich immer öfter der Ingewahrsamnahme bedienen; betont, dass eine Person nicht allein deshalb in Gewahrsam genommen werden darf, weil sie um internationalen Schutz nachsucht; betont, dass die Ingewahrsamnahme das letzte einzusetzende Mittel darstellen muss, das unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit für einen möglichst kurzen Zeitraum nur dann eingesetzt werden kann, wenn andere, weniger drastische Zwangsmaßnahmen nicht angewandt werden können, und auf der Grundlage von Einzelfallprüfungen;

32. erinnert daran, dass Artikel 5 der EMRK das Recht gewährt, gegen eine freiheitsentziehende Maßnahme Rechtsbehelf einzulegen; fordert, dass alle Bürger aus Drittstaaten, die sich in Gewahrsam befinden, einen solchen Rechtsbehelf einlegen können;

33. ist beunruhigt darüber, dass illegale Migranten und Asylbewerber unter Bedingungen in Gewahrsam gehalten werden, die denen in Gefängnissen gleichen, obwohl sie keine Straftaten begangen haben; fordert, diese Personen in getrennten, vorzugsweise offenen Gebäuden unterzubringen, um ihren Schutz und ihre Unterstützung zu gewährleisten;

34. ist besorgt über den katastrophalen Zustand mancher Gewahrsamseinrichtungen sowie über die dort herrschende mangelnde Hygiene; erinnert daran, dass die Verpflichtung zu einer menschenwürdigen Aufnahme auch für Personen in Gewahrsam gilt; fordert, dass alle Einrichtungen, die nicht den Normen entsprechen, so schnell wie möglich geschlossen werden;

35. stellt fest, dass der Zugang zu medizinischer und insbesondere zu psychologischer Versorgung in vielen Fällen dadurch erschwert wird, dass einige Gewahrsamseinrichtungen in Strafvollzugsanstalten untergebracht sind; fordert die Mitgliedstaaten auf, in den Gewahrsamseinrichtungen einen angemessenen medizinischen Tag- und Nachtdienst einschließlich eines psychologischen Dienstes einzurichten;

36. fordert die Mitgliedstaaten auf, den Kontakt der in Gewahrsam befindlichen Personen zur Außenwelt unter anderem durch die Genehmigung regelmäßiger Besuche, durch die Erweiterung der Möglichkeit, Telefone zu benutzen, durch kostenlosen Internetzugang unter bestimmten Bedingungen und den Zugang zu anderen Medien in allen Einrichtungen zu verbessern;

37. fordert die Mitgliedstaaten auf, einen Jahresbericht zu veröffentlichen, in dem die Anzahl, der Standort, die Zahl der dort untergebrachten Personen und die Funktionsweise der geschlossenen Zentren festgehalten sind;

38. fordert die Mitgliedstaaten auf, für eine regelmäßige Kontrolle der geschlossenen Zentren und der Situation der in diesen Einrichtungen untergebrachten Personen zu sorgen, indem nationale Ombudsleute eingesetzt werden, die für die Beaufsichtigung dieser Einrichtungen zuständig sind;

Unbegleitete Minderjährige und Familien

39. erinnert daran, dass bei jeder Entscheidung oder Maßnahme, die Minderjährige betrifft, im Sinne des Übereinkommens über die Rechte des Kindes das Wohl des Kindes im Mittelpunkt stehen muss; erinnert daran, dass die notwendigen Maßnahmen und Vorkehrungen zum Schutz unbegleiteter Minderjähriger getroffen werden müssen, unabhängig davon, ob es sich dabei um Flüchtlinge handelt;

40. fordert die Mitgliedstaaten auf, die Einrichtung unabhängiger Stellen zu erwägen, die den offiziellen Auftrag haben, die in geschlossenen Zentren geltenden Normen und Bedingungen zu kontrollieren, sowie die Einführung eines offiziellen Inspektionssystems, das die Veröffentlichung von Berichten zu diesem Thema einschließt, in Betracht zu ziehen;

41. fordert das grundsätzliche Verbot der Ingewahrsamnahme Minderjähriger; fordert außerdem, dass die Ingewahrsamnahme Minderjähriger und ihrer Eltern nur ausnahmsweise erfolgen darf, wenn sie im Interesse des Kindes liegt;

42. fordert jene Mitgliedstaaten, die dies noch nicht getan haben, auf, das Übereinkommen über die Rechte des Kindes vorbehaltlos zu unterzeichnen und zu ratifizieren;

43. fordert die Mitgliedstaaten auf, der Empfehlung des VN-Ausschusses für die Rechte des Kindes zu folgen und alle Formen körperlicher Bestrafung, einschließlich innerhalb der Familie, zu verbieten, besonders bei in Gewahrsam befindlichen Minderjährigen;

44. erinnert daran, dass alle Minderjährigen ungeachtet dessen, ob sie sich in ihrem Herkunftsland befinden oder nicht, ein Recht auf Bildung haben; fordert die Mitgliedstaaten auf, dieses Recht zu gewähren, auch wenn Minderjährige sich in Gewahrsam befinden; fordert, dass zur bestmöglichen Integration der Kinder und ihrer Familien der Zugang zu Bildung direkt in der Gemeinschaft sichergestellt wird, dem Wissensstand der Kinder entsprechend, während gleichzeitig Übergangsmodelle entwickelt werden, die den Erwerb der für eine normale Schulbildung erforderlichen Sprachkompetenzen ermöglichen;

45. erinnert daran, dass Minderjährige ein Recht auf altersgerechte Freizeitbeschäftigung haben, und fordert die Mitgliedstaaten auf, dieses Recht auch dann zu gewährleisten, wenn Kinder sich in Gewahrsam befinden;

46. fordert die Mitgliedstaaten auf, unbegleitete Minderjährige und Familien gesondert unterzubringen, auch wenn sie in Gewahrsam sind, um ein ausreichendes Privat- und Familienleben im Einklang mit Artikel 8 der EMRK sowie eine geschützte Umgebung für Kinder zu gewährleisten;

47. wünscht, dass alle mit der Betreuung Minderjähriger und unbegleiteter Minderjähriger betrauten Personen eine fachspezifische und auf die Situation der Kinder abgestimmte Ausbildung erhalten; hält den Beitrag für wichtig, den in dieser Hinsicht auf diesem Gebiet spezialisierte Nichtregierungsorganisationen leisten können;

Unbegleitete Minderjährige

48. fordert, dass für alle unbegleiteten Minderjährigen ein unabhängiger gesetzlicher Vormund benannt wird, der ihren Schutz in Wartezonen wie Flughäfen, Bahnhöfen und im gesamten Gebiet der Mitgliedstaaten sicherstellt; fordert eine klare Definition der Kompetenzen und der Rolle des Vormunds;

49. fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, einschließlich für Organisationen wie das Rote Kreuz oder den Roten Halbmond, eine Pflicht einzuführen, nach Familienangehörigen zu forschen;

50. ist besorgt über das Phänomen verschwundener unbegleiteter Minderjähriger; fordert die Mitgliedstaaten auf, Daten und Statistiken gemäß Artikel 4 Absatz 3a der Verordnung 862/2007/EG betreffend die Identifizierung und die unbegleiteten Minderjährigen geleistete Unterstützung zusammenzutragen, um dieses Phänomen zu bekämpfen; vertritt die Auffassung, dass die beste Methode, dem Verschwinden von Minderjährigen entgegenzuwirken, darin besteht, für sie geeignete Aufnahmeeinrichtungen vorzusehen, in denen sie auch eine altersgerechte Bildung erhalten können (Schulunterricht, berufliche Ausbildung usw.);

51. fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, ein harmonisiertes und zuverlässiges System zur Identifizierung unbegleiteter Minderjähriger – mithilfe modernster Techniken wie etwa der Verwendung biometrischer Daten – sowie gemeinsame Vorschriften für Anfechtungen von Altersangaben einzurichten; erinnert in dieser Hinsicht daran, dass während eines Verfahrens zur Anfechtung der Altersangabe die betroffene Person gemäß dem Vorsorgeprinzip bis zum Abschluss dieses Verfahrens als minderjährig gilt und dementsprechend behandelt werden muss, und dass, wenn ein begründeter Zweifel am Alter des Minderjährigen besteht, dies nicht zu seinen Lasten gehen darf;

Familien

52. fordert die Mitgliedstaaten auf, Alternativen zu freiheitsentziehenden Maßnahmen zu prüfen und gegebenenfalls zu belegen, dass die geprüften Alternativen nicht wirksam sind, bevor Familien mit minderjährigen Kindern in Gewahrsam genommen werden;

53. wünscht, dass Asylbewerberfamilien Zugang zu Beratungseinrichtungen für Familien und Kinder sowie zu auf den Schutz von Kindern spezialisierter medizinischer Versorgung erhalten;

Schutzbedürftige Personen

54. fordert die Kommission auf, verbindliche gemeinsame Normen zur Identifizierung schutzbedürftiger Personen festzulegen, insbesondere von Opfern von Folter oder Menschenhandel, von Personen, die einer besonderen medizinischen Behandlung bedürfen, von Schwangeren und Minderjährigen;

55. ist der Ansicht, dass schutzbedürftige Personen aufgrund ihrer besonderen Situation nicht in Gewahrsam genommen werden dürfen, da dies erhebliche Auswirkungen auf ihren Zustand haben würde;

56. fordert die Mitgliedstaaten nachdrücklich auf, schutzbedürftigen Personen und Opfern von Folter und Menschenhandel fachkundige Hilfe zukommen zu lassen, insbesondere psychologische Behandlung, um ihren Schutz zu sichern; fordert, dass alle mit schutzbedürftigen Personen in Kontakt stehenden Mitarbeiter, einschließlich jener, die mit der Bearbeitung von Asylanträgen betraut sind, und Ordnungskräfte, eine spezielle Ausbildung erhalten;

Dublin-System

57. ist beunruhigt über die steigende Zahl im Rahmen des Dublin-Systems in Gewahrsam genommener Personen und der quasi systematischen Anwendung freiheitsentziehender Maßnahmen seitens mancher Mitgliedstaaten; wünscht, dass diese Personen nicht in Gewahrsam genommen werden, wenn keine Fluchtgefahr besteht und eine solche von dem betreffenden Mitgliedstaat nicht nachgewiesen worden ist;

58. bedauert, dass bestimmte Mitgliedstaaten den Zugang von Personen im Rahmen des Dublin-Systems auf Aufnahmestandards beschränken; fordert die Kommission auf, eindeutig darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie 2003/9/EG auch für diese Personen gilt, damit ihnen die Ausübung aller ihrer Rechte ermöglicht wird;

59. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat und der Kommission zu übermitteln.

  • [1]  ABl. L 31 vom 6.2.2003, S. 18.
  • [2]  ABl. L 326 vom 13.12.2005, S. 13.
  • [3]  ABl. L 50 vom 25.2.2003, S. 1.
  • [4]  ABl. C 33 vom 9.2.2006, S. 598.
  • [5]  Angenommene Texte, P6_TA(2006)0136.

ERGEBNIS DER SCHLUSSABSTIMMUNG IM AUSSCHUSS

Datum der Annahme

21.1.2009

 

 

 

Ergebnis der Schlussabstimmung

+:

–:

0:

50

2

0

Zum Zeitpunkt der Schlussabstimmung anwesende Mitglieder

Alexander Alvaro, Roberta Angelilli, Mario Borghezio, Catherine Boursier, Emine Bozkurt, Mihael Brejc, Kathalijne Maria Buitenweg, Maddalena Calia, Michael Cashman, Giusto Catania, Jean-Marie Cavada, Carlos Coelho, Elly de Groen-Kouwenhoven, Panayiotis Demetriou, Gérard Deprez, Agustín Díaz de Mera García Consuegra, Bárbara Dührkop Dührkop, Claudio Fava, Urszula Gacek, Kinga Gál, Patrick Gaubert, Roland Gewalt, Jeanine Hennis-Plasschaert, Ewa Klamt, Magda Kósáné Kovács, Stavros Lambrinidis, Henrik Lax, Roselyne Lefrançois, Baroness Sarah Ludford, Viktória Mohácsi, Claude Moraes, Javier Moreno Sánchez, Rareş-Lucian Niculescu, Martine Roure, Sebastiano Sanzarello, Inger Segelström, Csaba Sógor, Vladimir Urutchev, Ioannis Varvitsiotis, Manfred Weber, Tatjana Ždanoka

Zum Zeitpunkt der Schlussabstimmung anwesende Stellvertreter(innen)

Simon Busuttil, Iratxe García Pérez, Elisabetta Gardini, Genowefa Grabowska, Ona Juknevičienė, Sylvia-Yvonne Kaufmann, Marian-Jean Marinescu, Antonio Masip Hidalgo, Nicolae Vlad Popa, Eva-Britt Svensson, Stefano Zappalà