BERICHT mit der Aufforderung an die Kommission zur Unterbreitung eines Vorschlags für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Umsetzung der Bürgerinitiative

3.2.2009 - (2008/2169(INI))

Ausschuss für konstitutionelle Fragen
Berichterstatterin: Sylvia-Yvonne Kaufmann
(Initiative gemäß Artikel 39 der Geschäftsordnung)

Verfahren : 2008/2169(INL)
Werdegang im Plenum
Entwicklungsstadium in Bezug auf das Dokument :  
A6-0043/2009
Eingereichte Texte :
A6-0043/2009
Angenommene Texte :

ENTWURF EINER ENTSCHLIESSUNG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS

mit der Aufforderung an die Kommission zur Unterbreitung eines Vorschlags für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Umsetzung der Bürgerinitiative

(2008/2169(INI))

Das Europäische Parlament,

–   gestützt auf Artikel 192 Absatz 2 des EG-Vertrags,

–   gestützt auf den Vertrag von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, unterzeichnet in Lissabon am 13. Dezember 2007[1],

–   gestützt auf den Vertrag über eine Verfassung für Europa[2],

–   unter Hinweis auf seine Entschließung vom 20. Februar 2008 zum Vertrag vom Lissabon[3],

–   unter Hinweis auf seine Entschließung vom 19. Januar 2006 zur Reflexionsphase: Struktur, Themen und Kontext für eine Bewertung der Debatte über die Europäische Union[4],

–   gestützt auf die Artikel 39 und 45 seiner Geschäftsordnung,

–   in Kenntnis des Berichts des Ausschusses für konstitutionelle Fragen und der Stellungnahme des Petitionsausschusses (A6-0043/2009),

A. in der Erwägung, dass die Bürgerinitiative durch den Vertrag von Lissabon eingeführt wird und damit Unionsbürgerinnen und Unionsbürger, deren Anzahl mindestens eine Million betragen und bei denen es sich um Staatsangehörige einer erheblichen Anzahl von Mitgliedstaaten handeln muss, die Initiative ergreifen und die Europäische Kommission auffordern können, im Rahmen ihrer Befugnisse geeignete Vorschläge zu Themen zu unterbreiten, zu denen es nach Ansicht jener Bürgerinnen und Bürger eines Rechtsakts der Union bedarf, um die Verträge umzusetzen – Artikel 11 Absatz 4 des EU-Vertrags in der neuen Fassung („EUV n. F.“),

B.  in der Erwägung, dass damit eine Million Unionsbürgerinnen und Unionsbürger dasselbe Aufforderungsrecht gegenüber der Kommission zur Vorlage eines Rechtsetzungsvorschlags erhalten werden, wie dies der Rat bereits seit Gründung der Europäischen Gemeinschaften im Jahre 1957 (ursprünglich Artikel 152 EWG-Vertrag, derzeit Artikel 208 EG-Vertrag, zukünftig Artikel 241 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union („AEUV“)) und das Europäische Parlament seit Inkrafttreten des Vertrags von Maastricht im Jahre 1993 (derzeit Artikel 192 EG-Vertrag, zukünftig Artikel 225 AEUV) besitzen,

C. in der Erwägung, dass sich die Bürgerinnen und Bürger damit unmittelbar an der Ausübung der Hoheitsgewalt der Europäischen Union beteiligen und erstmalig direkt in den europäischen Rechtsetzungsprozess eingebunden werden,

D. in der Erwägung, dass Artikel 11 Absatz 4 EUV n. F. als spezieller Ausfluss des Rechts auf Teilnahme am demokratischen Leben der Union (Artikel 10 Absatz 3 EUV n. F.) auf die Begründung eines individuellen Rechts auf Teilnahme an der Bürgerinitiative zielt,

E.  in der Erwägung, dass dieses Initiativrecht häufig mit dem Petitionsrecht verwechselt wird; in der Erwägung, dass sichergestellt werden muss, dass den Bürgerinnen und Bürgern der Unterschied zwischen diesen beiden Rechten insbesondere deshalb vollständig deutlich gemacht wird, weil Petitionen an das Parlament gerichtet werden und die Bürgerinitiative eine Aufforderung an die Kommission beinhaltet,

F.  in der Erwägung, dass die Unionsorgane und Mitgliedstaaten aufgefordert werden, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Bürgerinnen und Bürger der Union ihr Recht auf Teilnahme problemlos, transparent und wirksam wahrnehmen können,

G. in der Erwägung, dass die Verfahren und Bedingungen der Bürgerinitiative, einschließlich der Mindestzahl der Mitgliedstaaten, aus denen die Bürgerinnen und Bürger, die diese Initiative ergreifen, kommen müssen, vom Parlament und dem Rat nach dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren durch eine Verordnung festgelegt werden (Artikel 24 Absatz 1 AEUV),

H. in der Erwägung, dass bei der Annahme und Durchführung dieser Verordnung insbesondere die Grundrechte auf Gleichheit, ordnungsgemäße Verwaltung und Rechtsschutz zu gewährleisten sind,

Mindestzahl der Mitgliedstaaten

I.   in der Erwägung, dass es sich bei der „Mindestzahl der Mitgliedstaaten, aus denen die Bürgerinnen und Bürger, die diese Initiative ergreifen, kommen müssen“ (Artikel 24 Absatz 1 AEUV) um eine „erhebliche Anzahl von Mitgliedstaaten“ handeln muss (Artikel 11 Absatz 4 EUV n. F.),

J.   in der Erwägung, dass die Festlegung der Mindestzahl der Mitgliedstaaten nicht willkürlich erfolgen darf, sondern sich am Zweck dieser Regelung orientieren und unter Berücksichtigung anderer Vertragsbestimmungen interpretiert werden muss, um Wertungswidersprüche zu vermeiden,

K. in der Erwägung, dass mit dieser Regelung gewährleistet werden soll, dass der Ausgangspunkt des europäischen Rechtsetzungsprozesses nicht von einzelstaatlichen Partikularinteressen, sondern vom europäischen Allgemeinwohlinteresse geleitet ist,

L.  in der Erwägung, dass Artikel 76 AEUV anzeigt, dass bei einem von einem Viertel der Mitgliedstaaten getragenen Rechtsetzungsvorschlag davon ausgegangen werden kann, dass das europäische Allgemeinwohlinteresse ausreichend berücksichtigt wird und dass eine solche Mindestzahl somit als widerspruchsfrei angesehen werden kann,

M. in der Erwägung, dass dem Zweck dieser Regelung nur dann entsprochen wird, wenn dies mit einer Mindestzahl von Unterstützungsbekundungen aus jedem dieser Mitgliedstaaten verbunden wird,

N. in der Erwägung, dass aus Artikel 11 Absatz 4 EUV n. F., der die Zahl von einer Million Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern festlegt, geschlussfolgert werden kann, dass angesichts einer Unionsbevölkerung von rund 500 Millionen Menschen 1/500 der Bevölkerung als repräsentativ anzusehen ist,

Mindestalter der Teilnehmerinnen und Teilnehmer

O. in der Erwägung, dass Artikel 11 Absatz 4 EUV n. F. für alle Unionsbürgerinnen und Unionsbürger gleichermaßen gilt,

P.  in der Erwägung, dass jedoch jede Einschränkung des Rechts auf demokratische Teilnahme und jede Ungleichbehandlung aus Gründen des Alters dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechen müssen,

Q. in der Erwägung, dass zudem Wertungswidersprüche vermieden werden sollten, die sich zum Beispiel ergeben würden, wenn das Mindestalter für die Teilnahme an den Europawahlen in einem Mitgliedstaat niedriger wäre als das Mindestalter für die Teilnahme an der Europäischen Bürgerinitiative,

Verfahren

R.  in der Erwägung, dass die Kommission durch eine erfolgreiche Bürgerinitiative verpflichtet wird, sich mit deren Anliegen zu befassen und darüber zu beschließen, ob und inwieweit sie einen entsprechenden Vorschlag für einen Rechtsakt vorlegt,

S.  in der Erwägung, dass die Initiativen auf eine oder mehrere Rechtsgrundlagen verweisen sollten, damit die Kommission den vorgeschlagenen Rechtsakt vorlegen kann,

T.  in der Erwägung, dass eine Bürgerinitiative nur dann erfolgreich ist, wenn sie in dem Sinne zulässig ist,

· dass sie die Aufforderung an die Kommission enthält, einen Vorschlag für einen Rechtsakt der Union zu unterbreiten,

· dass hierfür die Union die Rechtsetzungsbefugnis und die Kommission das Vorschlagsrecht besitzen, und

· dass der geforderte Rechtsakt nicht offensichtlich gegen die grundlegenden Rechtsvorschriften der Europäischen Union verstößt,

U. in der Erwägung, dass eine Bürgerinitiative erfolgreich ist, wenn sie in diesem Sinne zulässig und repräsentativ ist sowie von mindestens einer Million Bürgerinnen und Bürgern, bei denen es sich um Staatsangehörige einer erheblichen Anzahl von Mitgliedstaaten handelt, unterstützt wird,

V. in der Erwägung, dass die Kommission prüfen muss, ob die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Bürgerinitiative erfüllt sind,

W. in der Erwägung, dass es sehr wünschenswert ist, bei der Organisation einer Bürgerinitiative noch vor Beginn der Sammlung der Unterstützungsbekundungen Rechtssicherheit hinsichtlich der Zulässigkeit der Bürgerinitiative zu haben,

X. in der Erwägung, dass die Prüfung der Echtheit der Unterstützungsbekundungen nicht von der Kommission vorgenommen werden kann und daher von den Mitgliedstaaten wahrgenommen werden sollte; dass sich die daraus ergebenen Pflichten der Mitgliedstaaten jedoch nur auf Initiativen im Rahmen des Artikels 11 Absatz 4 EUV n. F. erstrecken und keinesfalls auf solche Initiativen, die im genannten Sinne unzulässig sind; dass es aus diesem Grunde auch für die Mitgliedstaaten erforderlich ist, noch vor Beginn der Sammlung der Unterstützungsbekundungen Rechtssicherheit hinsichtlich der Zulässigkeit der Bürgerinitiative zu haben,

Y. in der Erwägung, dass die Prüfung der Zulässigkeit einer Bürgerinitiative durch die Kommission jedoch ausschließlich auf die genannten Rechtsfragen begrenzt ist und keinesfalls Erwägungen politischer Opportunität umfassen darf; dass dadurch sicher gestellt wird, dass es nicht dem freien politischen Belieben der Kommission obliegt, zu entscheiden, ob die Zulässigkeit einer Bürgerinitiative erteilt oder versagt wird,

Z.  in der Erwägung, dass es zweckmäßig erscheint, das Verfahren der Europäischen Bürgerinitiative in die folgenden fünf Phasen zu gliedern:

· Anmeldung der Initiative,

· Sammlung der Unterstützungsbekundungen,

· Einreichung der Initiative,

· Positionierung durch die Kommission,

· Überprüfung, ob der geforderte Rechtsakt mit den Verträgen vereinbar ist,

Der Grundsatz der Transparenz

AA. in der Erwägung, dass die Bürgerinitiative eine Form der Ausübung öffentlicher Hoheitsgewalt im Bereich der Gesetzgebung ist und somit dem Grundsatz der Transparenz unterworfen ist; dass sich daraus die Notwendigkeit ableitet, dass die Organisatorinnen und Organisatoren einer Bürgerinitiative öffentlich Rechenschaft über deren Finanzierung einschließlich der Finanzquellen ablegen,

Politische Kontrolle des Prozesses

AB. in der Erwägung, dass die politische Aufgabe des Parlaments darin besteht, den Prozess der Bürgerinitiative zu kontrollieren,

AC. in der Erwägung, dass sich diese Verantwortung auf die Umsetzung der Verordnung über die Bürgerinitiative sowie auf den politischen Standpunkt der Kommission hinsichtlich der mit der Bürgerinitiative vorgebrachten Forderung erstreckt,

AD. in der Erwägung, dass unbedingt sichergestellt werden muss, dass die der Kommission durch eine Bürgerinitiative übermittelten Aufforderungen und die demokratisch angenommenen Prioritäten und Vorschläge des Parlaments miteinander vereinbar sind,

Konstitutionelle Bürgerinitiative

AE. in der Erwägung, dass umstritten ist, ob Artikel 11 Absatz 4 EUV n. F. auch Initiativen einschließt, die auf Vertragsänderungen abzielen (konstitutionelle Bürgerinitiativen),

beschließt,

1. die Kommission aufzufordern, nach Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon unverzüglich einen Vorschlag für eine Verordnung zur Bürgerinitiative auf der Grundlage von Artikel 24 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union vorzulegen;

2. die Kommission aufzufordern, hierbei die in der Anlage zu dieser Entschließung dargelegten Empfehlungen gebührend zu berücksichtigen;

3. zu fordern, dass die Verordnung, verständlich, einfach und nutzerfreundlich gestaltet wird und auch praktische Gesichtspunkte im Zusammenhang mit der Definition der Bürgerinitiative berücksichtigt werden, um Verwechslungen mit dem Petitionsrecht zu vermeiden;

4. unmittelbar nach der Annahme dieser Verordnung ein effizientes System zur Kontrolle des Prozesses der Bürgerinitiative auf den Weg zu bringen;

5. seinen Präsidenten zu beauftragen, diese Entschließung dem Rat und der Kommission zu übermitteln.

ANLAGE ZUM ENTSCHLIESSUNGSANTRAG:

EMPFEHLUNGEN ZUM INHALT DES VORSCHLAGS DER KOMMISSION FÜR EINE VERORDNUNG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES ÜBER DIE VERFAHREN UND BEDINGUNGEN DER BÜRGERINITIATIVE

Zur Festlegung der Mindestzahl der Mitgliedstaaten

1.  Die Mindestzahl der Mitgliedstaaten, aus denen die Unionsbürgerinnen und Unionsbürger, die an der Bürgerinitiative teilnehmen, kommen müssen, beträgt ein Viertel der Mitgliedstaaten.

2.  Diesem Erfordernis wird nur dann entsprochen, wenn aus jedem der betreffenden Mitgliedstaaten mindestens 1/500 der jeweiligen Bevölkerung die Initiative unterstützt.

Zur Festlegung des Mindestalters der Teilnehmerinnen und Teilnehmer

3.  Jede Bürgerin und jeder Bürger der Europäischen Union, die/der gemäß den gesetzlichen Bestimmungen ihres/seines Mitgliedstaats wahlberechtigt ist, kann an der Europäischen Bürgerinitiative teilnehmen.

Zur Ausgestaltung des Verfahrens

4.  Das Verfahren der Europäischen Bürgerinitiative umfasst folgende fünf Phasen:

· Anmeldung der Initiative,

· Sammlung der Unterstützungsbekundungen,

· Einreichung der Initiative,

· Positionierung durch die Kommission,

· Überprüfung, ob der vorgeschlagene Rechtsakt mit den Verträgen vereinbar ist.

5.  Die erste Phase der Bürgerinitiative beginnt mit der Anmeldung der Bürgerinitiative durch die Organisatorinnen und Organisatoren bei der Kommission und endet mit dem formellen Beschluss der Kommission über den Erfolg der Anmeldung der Bürgerinitiative. Sie ist wie folgt gekennzeichnet:

a)   Eine Bürgerinitiative bedarf der ordnungsgemäßen Anmeldung durch die Organisatorinnen und Organisatoren bei der Kommission. Bei der Anmeldung sind von jeder Organisatorin und jedem Organisator der Name, das Geburtsdatum, die Staatsbürgerschaft und die Wohnanschrift sowie der genaue Wortlaut der Bürgerinitiative in einer der Amtssprachen der Europäischen Union anzugeben.

b)   Die Kommission prüft die formale Zulässigkeit der angemeldeten Bürgerinitiative. Eine Bürgerinitiative ist formal zulässig, wenn sie folgende vier Voraussetzungen erfüllt:

· Sie enthält die Aufforderung an die Europäische Kommission, einen Vorschlag für den Erlass eines Rechtsaktes der Europäischen Union zu unterbreiten.

· Der Europäischen Union ist in den Verträgen, die Grundlage der Union sind, die Zuständigkeit übertragen worden, einen solchen Rechtsakt zu erlassen.

· Der Kommission ist in den Verträgen, die Grundlage der Union sind, die Befugnis zugewiesen worden, einen Vorschlag für einen solchen Rechtsakt zu unterbreiten.

· Der geforderte Rechtsakt verstößt nicht offensichtlich gegen die grundlegenden Rechtsvorschriften der Europäischen Union.

Die Kommission lässt den Organisatorinnen und Organisatoren die gemäß Artikel 41 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union gebotene Unterstützung zukommen, damit registrierte Initiativen zugelassen werden. Zudem informiert die Kommission die Organisatorinnen und Organisatoren der Bürgerinitiative zugleich über laufende oder geplante Rechtsetzungsvorhaben zu den Angelegenheiten der betreffenden Bürgerinitiative sowie über bereits erfolgreich angemeldete Bürgerinitiativen, die ganz oder teilweise dieselben Angelegenheiten betreffen.

c)   Innerhalb von zwei Monaten nach Anmeldung der Bürgerinitiative entscheidet die Kommission, über deren Zulässigkeit und Registrierfähigkeit. Eine Zurückweisung der Anmeldung darf nur aus rechtlichen Gründen und keinesfalls aus politischen Erwägungen erfolgen.

d)   Der Beschluss ist sowohl individuell an die Organisatorinnen und Organisatoren als auch an die Allgemeinheit gerichtet. Er wird den Organisatorinnen und Organisatoren bekannt gegeben und im Amtsblatt veröffentlicht. Das Europäische Parlament, der Rat und die Mitgliedstaaten werden umgehend über den Beschluss informiert.

e)   Der Beschluss unterliegt der Nachprüfung durch den Gerichtshof der Europäischen Union sowie durch den Europäischen Bürgerbeauftragten gemäß den einschlägigen Vorschriften des Unionsrechts. Dies gilt entsprechend, falls es die Kommission unterlässt, einen solchen Beschluss zu fassen.

f)    Die Kommission führt ein auf ihrer Webseite öffentlich zugängliches Verzeichnis aller erfolgreich angemeldeten Bürgerinitiativen.

g)   Die Organisatorinnen und Organisatoren einer Bürgerinitiative können diese jederzeit zurückziehen. Sie gilt dann als nicht angemeldet und wird aus dem oben genannten Verzeichnis der Kommission gestrichen.

6.  Die zweite Phase der Bürgerinitiative umfasst die Sammlung von individuellen Unterstützungsbekundungen für die erfolgreich angemeldete Bürgerinitiative sowie die amtliche Bestätigung des Sammlungsergebnisses durch die Mitgliedstaaten. Sie ist wie folgt gekennzeichnet:

a)   Die Mitgliedstaaten sehen ein effektives Verfahren zur Sammlung ordnungsgemäßer Unterstützungsbekundungen für eine Bürgerinitiative und zur amtlichen Bestätigung des Ergebnisses dieser Sammlung vor.

b)   Eine Unterstützungsbekundung ist ordnungsgemäß, wenn sie innerhalb der Frist für die Sammlung von Unterstützungsbekundungen unter Beachtung der einschlägigen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten und des EUI-Rechts erklärt worden ist. Die Frist für die Sammlung von Unterstützungsbekundungen beträgt ein Jahr. Sie beginnt am ersten Tag des dritten Monats, der auf den Beschluss über die Anmeldung der Bürgerinitiative folgt.

c)   Jede Unterstützung muss einzeln bekundet werden, in der Regel durch persönliche Unterschrift (handschriftlich oder gegebenenfalls auch elektronisch). Die Bekundung muss mindestens den Namen, das Geburtsdatum, die Wohnanschrift und die Staatsangehörigkeit der unterstützenden Person erkennen lassen. Besitzt diese Person mehrere Staatsangehörigkeiten, so gibt sie nur eine davon an, die sie frei auswählt.

Die personenbezogenen Daten unterliegen dem Datenschutz, für den die Organisatorinnen und Organisatoren der Bürgerinitiative Rechnung tragen.

d)   Die Bekundung der Unterstützung einer Bürgerinitiative darf nur einmal abgegeben werden. Jede Unterstützungsbekundung enthält eine gesonderte eidesstattliche Erklärung der unterstützenden Person, dass sie nicht bereits zuvor ihre Unterstützung für dieselbe Bürgerinitiative bekundet hat.

e)   Jede Unterstützungsbekundung kann bis zum Ablauf der Frist für die Sammlung von Unterstützungsbekundungen widerrufen werden. Die ursprünglich bekundete Unterstützung gilt damit als von vornherein nicht erklärt. Jede unterstützende Person ist hierüber durch die Organisatorinnen und Organisatoren zu informieren. Jede Unterstützungsbekundung muss eine gesonderte Erklärung der unterstützenden Person enthalten, dass sie diese Belehrung erhalten hat.

f)    Jede unterstützende Person erhält von den Organisatorinnen und Organisatoren eine Kopie ihrer Unterstützungsbekundung, einschließlich der Kopie ihrer eidesstattlichen Erklärung sowie ihrer Erklärung über die Kenntnisnahme der Widerrufsmöglichkeit.

g)   Die Mitgliedstaaten stellen den Organisatorinnen und Organisatoren der Bürgerinitiative nach Prüfung der Nachweise über die Unterstützungsbekundungen innerhalb von zwei Monaten eine nach der Staatsangehörigkeit der unterstützenden Personen geordnete amtliche Bestätigung über die Anzahl der ordnungsgemäß bekundeten Unterstützungen aus . Sie stellen durch angemessene Maßnahmen sicher, dass jede Unterstützungsbekundung nur einmal durch einen der Mitgliedstaaten bestätigt wird und mehrfache Bestätigungen durch verschiedene Mitgliedstaaten oder verschiedene Stellen desselben Mitgliedstaates wirksam vermieden werden.

Die personenbezogenen Daten unterliegen dem Datenschutz, für den die beteiligten Behörden der Mitgliedstaaten Rechnung tragen.

7.  Die dritte Phase der Bürgerinitiative beginnt mit der Einreichung der Bürgerinitiative durch die Organisatorinnen und Organisatoren bei der Kommission und endet mit dem formellen Beschluss der Kommission über den Erfolg der Einreichung der Bürgerinitiative. Sie ist wie folgt gekennzeichnet:

a)   Eine Bürgerinitiative bedarf der ordnungsgemäßen Einreichung durch die Organisatorinnen und Organisatoren bei der Kommission. Bei der Einreichung sind die Bestätigungen der Mitgliedstaaten über die Anzahl der Unterstützungsbekundungen vorzulegen.

b)   Die Kommission prüft die Repräsentativität der eingereichten Bürgerinitiative. Eine Bürgerinitiative ist repräsentativ,

· wenn sie von mindestens einer Million Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern unterstützt wird,

· bei denen es sich um Staatsangehörige von mindestens einem Viertel der Mitgliedstaaten handelt,

· wobei die Anzahl der Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats jeweils mindestens 1/500 der Bevölkerung dieses Mitgliedstaats betragen muss.

c)   Innerhalb von zwei Monaten nach Einreichung der Bürgerinitiative entscheidet die Kommission verbindlich über den Erfolg der Einreichung. Dieser Beschluss schließt eine verbindliche Aussage über die Repräsentativität der Bürgerinitiative ein. Eine Zurückweisung der Einreichung darf nur aus rechtlichen Gründen und keinesfalls aus politischen Erwägungen erfolgen.

d)   Der Beschluss ist sowohl individuell an die Organisatorinnen und Organisatoren als auch an die Allgemeinheit gerichtet. Er wird den Organisatorinnen und Organisatoren bekannt gegeben und im Amtsblatt veröffentlicht. Das Europäische Parlament, der Rat und die Mitgliedstaaten werden umgehend über den Beschluss informiert.

e)   Der Beschluss unterliegt der Nachprüfung durch den Gerichtshof der Europäischen Union sowie durch den Europäischen Bürgerbeauftragten gemäß den einschlägigen Vorschriften des Unionsrechts. Dies gilt entsprechend, falls es die Kommission unterlässt, einen solchen Beschluss zu fassen.

f)    Die Kommission führt ein auf ihrer Webseite öffentlich zugängliches Verzeichnis aller erfolgreich eingereichten Bürgerinitiativen.

8.  Die vierte Phase der Bürgerinitiative umfasst die sachliche Befassung der Kommission mit dem Anliegen der Bürgerinitiative und endet mit der formellen Positionierung der Kommission zu der in der Bürgerinitiative enthaltenen Aufforderung, einen Vorschlag für einen Rechtsakt zu unterbreiten. Sie ist wie folgt gekennzeichnet:

a)   Eine erfolgreich eingereichte Bürgerinitiative verpflichtet die Kommission, sich inhaltlich mit dem Anliegen der Bürgerinitiative zu befassen.

b)   In diesem Rahmen hört die Kommission die Organisatorinnen und Organisatoren der Bürgerinitiative an und gibt ihnen Gelegenheit, das Anliegen der Bürgerinitiative ausführlich darzulegen.

c)   Die Kommission entscheidet innerhalb von drei Monaten verbindlich über die in der Bürgerinitiative formulierte Aufforderung. Beabsichtigt sie, keinen Vorschlag vorzulegen, erläutert sie dem Parlament sowie den Organisatorinnen und Organisatoren die Gründe für diese Entscheidung.

d)   Der Beschluss ist sowohl individuell an die Organisatorinnen und Organisatoren als auch an die Allgemeinheit gerichtet. Er wird den Organisatorinnen und Organisatoren bekannt gegeben und im Amtsblatt veröffentlicht. Das Europäische Parlament, der Rat und die Mitgliedstaaten werden umgehend über den Beschluss informiert.

e)   Unterlässt es die Kommission, auf der Grundlage einer auf dem Wege einer Bürgerinitiative vorgebrachten Forderung einen Beschluss zu fassen, so unterliegt dies der gerichtlichen Nachprüfung durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften sowie durch den Europäischen Bürgerbeauftragten gemäß den einschlägigen Vorschriften des EU-Rechts.

Der Grundsatz der Transparenz

9.  Die Organisatorinnen und Organisatoren einer erfolgreich angemeldeten Bürgerinitiative sind verpflichtet, nach Abschluss des Verfahrens innerhalb einer angemessenen Frist der Kommission einen Bericht über die Finanzierung der Initiative einschließlich der Finanzierungsquellen vorzulegen (Transparenzbericht). Der Bericht wird von der Kommission geprüft und zusammen mit einer Stellungnahme veröffentlicht.

10. In der Regel sollte sich die Kommission mit dem Anliegen einer Bürgerinitiative erst nach Vorlage eines ordnungsgemäßen Transparenzberichts inhaltlich befassen.

  • [1]  ABl. C 306 vom 17.12.2007, S. 1.
  • [2]  ABl. C 310 vom 16.12.2004, S. 1.
  • [3]  Angenommene Texte, P6_TA(2008)0055
  • [4]  ABl. C 287 E vom 24.11.2006, S. 306.

BEGRÜNDUNG

Der Vertrag von Lissabon sieht die Einführung der Europäischen Bürgerinitiative vor. Er enthält damit eine bedeutende Innovation im europäischen Verfassungsrecht, die ursprünglich im Europäischen Konvent in enger Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorganisationen erarbeitet worden war und die erst nach langem Ringen Eingang in den Verfassungsentwurf des Konvents fand. Die Bürgerinitiative stellt ein völlig neues Instrument zur Stärkung der Demokratie in der Europäischen Union dar. Mit ihr wird ein erster Schritt zur Entwicklung supranationaler direkter Demokratie getan, und ihre Umsetzung kann dazu beitragen, längerfristig die Entwicklung einer europäischen Öffentlichkeit zu fördern.

Die Rechtsgrundlagen der Bürgerinitiative finden sich im künftigen Artikel 11 Absatz 4 des Vertrages über die Europäische Union (EU-Vertrag n. F.) und im künftigen Artikel 24 Absatz 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEU-Vertrag). Die Bedingungen und Verfahren, die für diese Bürgerinitiative gelten, werden per Verordnung festgelegt, die im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren zu erlassen ist.

I.         Was ist die Europäische Bürgerinitiative?

Nach Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon werden alle Gesetzgebungsakte der Europäischen Union, sei es in Form einer Verordnung, einer Richtlinie oder eines Beschlusses grundsätzlich vom Europäischen Parlament und vom Rat gemeinsam erlassen, und zwar auf Vorschlag der Kommission, vgl. Artikel 289 AEU-Vertrag. Der Erlass eines europäischen Rechtsaktes setzt also in aller Regel einen Kommissionsvorschlag voraus, vgl. Artikel 17 Absatz 2 EU-Vertrag (n. F.).

Nachdem die Mitgliedstaaten bereits 1957 mit Gründung der EWG für den Rat vorgesehen hatten, dass dieser die Kommission auffordern kann, „die nach seiner Ansicht zur Verwirklichung der gemeinsamen Ziele geeigneten Untersuchungen vorzunehmen und ihm entsprechende Vorschläge zu unterbreiten“ (vgl. ursprünglich Artikel 152 EWG-Vertrag, derzeit Artikel 208 EG-Vertrag, zukünftig Artikel 241 AEU-Vertrag), haben sie 35 Jahre später mit dem Vertrag von Maastricht und der Einführung des Mitentscheidungsverfahrens schließlich auch dem Europäischen Parlament die Möglichkeit eingeräumt, die Kommission zur Vorlage eines Rechtsetzungsvorschlags aufzufordern (vgl. derzeit Artikel 192 EG-Vertrag, zukünftig Artikel 225 AEU-Vertrag).

Dieses Aufforderungsrecht, wie es die beiden Gesetzgebungsorgane heute besitzen, sollen mit der Bürgerinitiative künftig auch die Unionsbürgerinnen und Unionsbürger erhalten. "Unionsbürgerinnen und Unionsbürger, deren Anzahl mindestens eine Million betragen und bei denen es sich um Staatsangehörige einer erheblichen Anzahl von Mitgliedstaaten handeln muss, können die Initiative ergreifen und die Kommission auffordern, im Rahmen ihrer Befugnisse geeignete Vorschläge zu Themen zu unterbreiten, zu denen es nach Ansicht jener Bürgerinnen und Bürger eines Rechtsakts der Union bedarf, um die Verträge umzusetzen." Damit werden erstmalig die Unionsbürgerinnen und Unionsbürger selbst unmittelbar in den europäischen Rechtsetzungsprozess einbezogen. Sie werden im Hinblick auf das Aufforderungsrecht auf dieselbe Stufe gestellt wie die beiden Gesetzgebungsorgane.

II.        Zum Inhalt des Rechts auf Teilnahme an der Europäischen Bürgerinitiative

Gemäß Artikel 11 Absatz 4 EU-Vertrag (n. F.) können die Unionsbürgerinnen und Unionsbürger eine Bürgerinitiative ergreifen. Als spezieller Ausfluss des Rechts auf demokratische Teilhabe gemäß Artikel 10 Absatz 3 EU-Vertrag (n. F.) zielt diese Bestimmung auf die Begründung eines individuellen Rechts der Unionsbürgerinnen und Unionsbürger auf Teilnahme an der Bürgerinitiative.

Die Unionsbürgerinnen und Unionsbürger können auf zweierlei Weise an einer Bürgerinitiative teilnehmen: als Organisatorinnen bzw. Organisatoren oder als Unterstützerinnen bzw. Unterstützer. Die Organisation der Bürgerinitiative umfasst die Anmeldung und die Einreichung der Bürgerinitiative bei der Kommission, die Durchführung von Kampagnen zur Werbung von Unterstützerinnen und Unterstützern und gegebenenfalls - je nach Ausgestaltung der Verfahren durch die Mitgliedstaaten - die Sammlung von Unterstützungsbekundungen sowie die Darlegung des Anliegens der Initiative gegenüber der Kommission. Die Unterstützung der Bürgerinitiative ist die formgerechte Bekundung einer Person, das Anliegen der Bürgerinitiative zu teilen und die damit bezweckte Aufforderung an die Kommission zu befürworten. Das Recht auf Teilnahme an der Bürgerinitiative umfasst somit das Recht auf Organisation und das Recht auf Unterstützung einer Bürgerinitiative.

III.      Zur Unterscheidung der Europäischen Bürgerinitiative gegenüber der Petition beim Europäischen Parlament

Gemäß Artikel 24 Absatz 2 in Verbindung mit Artikel 227 AEU-Vertrag (derzeit Artikel 21 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 194 EG-Vertrag) sowie gemäß Artikel 44 der Grundrechtecharta der EU besitzen jede Unionsbürgerin und jeder Unionsbürger sowie jede natürliche Person mit Wohnort in der Union und jede juristische Person mit satzungsmäßigem Sitz in der Union das Recht auf Petition beim Europäischen Parlament. Das Recht auf Teilnahme an der Bürgerinitiative gemäß Artikel 11 Absatz 4 EU-Vertrag (n. F.) tritt also zum europäischen Petitionsrecht hinzu und ergänzt es; es ersetzt es aber nicht und ist mit diesem nicht identisch.

Zwar kann sich im Ergebnis einer Bürgerinitiative oder einer Petition eine gewisse Nähe dieser beiden Rechtsinstitute ergeben; so können beide unter Umständen auf Veranlassung mehrerer Personen in den Erlass eines Rechtsaktes der Europäischen Union münden. Dennoch unterscheiden sie sich grundlegend hinsichtlich ihrer Funktion und dementsprechend hinsichtlich ihrer Adressaten und Voraussetzungen.

Augenfällig ist bereits die Unterschiedlichkeit der Adressaten. Während die Petition an das Parlament gerichtet ist, richtet sich die Bürgerinitiative an die Kommission. Das europäische Petitionsrecht spricht die Petentinnen und Petenten in ihrer Eigenschaft als unmittelbar oder mittelbar Betroffene der europäischen Hoheitsgewalt an und eröffnet ihnen die Möglichkeit, sich in dieser Eigenschaft direkt an das Parlament zu wenden, um es über einen bestimmten Zustand informieren und eine Abänderung dieses Zustandes einfordern zu können. Dagegen lässt die Bürgerinitiative erstmalig die Unionsbürgerinnen und Unionsbürger selbst unmittelbar an der Ausübung der Hoheitsgewalt in der Europäischen Union teilhaben, indem sie ihnen die Möglichkeit eröffnet, wie der Rat oder das Europäische Parlament die Kommission zur Vorlage eines Rechtsetzungsvorschlags aufzufordern.

Im Gefolge sind auch die Voraussetzungen beider Rechtsinstitute unterschiedlich. So ist das Petitionsrecht auf Angelegenheiten beschränkt, die die Petentin oder den Petenten unmittelbar betreffen, während eine solche Einschränkung für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an einer Bürgerinitiative weder vorgesehen noch sinnvoll sind. Sie sind vielmehr umgekehrt wie jeder Teil der europäischen Hoheitsgewalt auf das europäische Allgemeinwohlinteresse und auf die Wahrung des europäischen Rechts verpflichtet. Gerade Letzteres wiederum ist keine Voraussetzung für eine Petition.

Bei der Ausgestaltung der Bedingungen und Verfahren, die für die Bürgerinitiative gelten, kann den Ähnlichkeiten mit einer Petition beim Europäischen Parlament zwar durchaus Rechnung getragen werden. Auf keinen Fall jedoch darf der wesensgemäße Unterschied verwischt werden.

IV.      Zur Mindestanzahl der Mitgliedstaaten

Gemäß Artikel 11 Absatz 4 EU-Vertrag (n. F.) müssen die Unterstützerinnen und Unterstützer einer Bürgerinitiative Staatsangehörige einer erheblichen Anzahl von Mitgliedstaaten sein. Was jedoch unter einer "erheblichen Anzahl" zu verstehen ist, bleibt ohne Erläuterung, und soll stattdessen gemäß Artikel 24 Absatz 1 AEU-Vertrag vom Gesetzgeber festgelegt werden, dem insoweit zunächst ein recht weiter Gestaltungsspielraum verbleibt.

Allerdings muss sich diese Festlegung am Zweck dieses Erfordernisses ausrichten. Der Zweck des Erfordernisses, dass die Unterstützerinnen und Unterstützer einer Bürgerinitiative aus mehreren verschiedenen Mitgliedstaaten kommen, besteht darin zu gewährleisten, dass nicht bereits der Ausgangspunkt des europäischen Rechtsetzungsprozesses von den Partikularinteressen eines einzigen Mitgliedstaats, sondern in hinreichendem Maße vom europäischen Allgemeinwohlinteresse geleitet ist. Grundsätzlich liegt deshalb auch das Vorschlagsmonopol bei der Kommission.

Allerdings können Rechtsakte im Bereich des Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts gemäß Artikel 76 AEU-Vertrag auch auf Initiative eines Viertels der Mitgliedstaaten erlassen werden. Damit enthält der Vertrag selbst einen Hinweis auf die Anzahl der Mitgliedstaaten, die die Vermutung einer ausreichenden Berücksichtigung des europäischen Allgemeinwohlinteresses in sich trägt. Zu dieser Wertung sollte sich der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Bürgerinitiative nicht in Widerspruch setzen.

Freilich ist dem Zweck des Erfordernisses, dass die Unterstützerinnen und Unterstützer einer Bürgerinitiative Staatsangehörige einer erheblichen Anzahl von Mitgliedstaaten sein müssen, nur dann hinreichend Rechnung getragen, wenn dies zugleich mit dem Erfordernis einer Mindestanzahl von Unterstützerinnen und Unterstützern aus jedem dieser Staaten verbunden wird. Eine sinnvolle Orientierung hierfür liefert Artikel 11 Absatz 4 EU-Vertrag selbst, der mit der Festlegung des Erfordernisses von 1 Million Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern die Wertung enthält, dass 1/500 der EU-Bevölkerung als hinreichend repräsentativ anzusehen ist. Diese Wertung kann auch für die Repräsentativität der einzelnen Mitgliedstaaten übernommen werden.

V.       Zum Verfahren der Europäischen Bürgerinitiative

Neben der Mindestanzahl der Mitgliedstaaten, aus denen die Unterstützerinnen und Unterstützer einer Bürgerinitiative kommen müssen, muss die Verordnung auch das Verfahren der Bürgerinitiative regeln. Das Verfahren hat eine ausschließlich dienende Funktion; es soll gewährleisten, dass das individuelle Recht der Teilnahme an einer Bürgerinitiative so effektiv wie möglich ausgeübt werden kann und dass der demokratische Gehalt der Bürgerinitiative als einer Form unmittelbarer Ausübung hoheitlicher Gewalt in vollem Umfang zum Tragen kommt. Jedes einzelne Element des Verfahrens muss sich an diesem Anspruch messen lassen. Nur so kann der überragenden politischen Bedeutung dieses neuen Instruments der Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an der Gestaltung der Europäischen Union Rechnung getragen werden.

Das Verfahren der Bürgerinitiative sollte sich in vier Phasen gliedern, die sich unmittelbar aus Artikel 11 Absatz 4 EU-Vertrag (n. F.) ableiten lassen: Anmeldung – Sammlung – Einreichung – Positionierung. In der ersten Phase ("Anmeldung") wird die Kommission über den Inhalt sowie die Organisatorinnen und Organisatoren einer Bürgerinitiative in Kenntnis gesetzt. In der zweiten Phase ("Sammlung") werden die individuellen Unterstützungen erfasst, die die Bürgerinitiative erfährt; da die Kommission hierfür nicht über die erforderlichen Kapazitäten verfügt, muss diese Aufgabe durch die Mitgliedstaaten erfüllt werden. Anschließend, in der dritten Phase ("Einreichung"), wird die Kommission über die von den Mitgliedstaaten festgestellten Ergebnisse in Kenntnis gesetzt, und in der vierten Phase ("Positionierung") nimmt die Kommission zur Aufforderung der Bürgerinitiative Stellung.

Bevor die Kommission sich zu einer Bürgerinitiative positioniert, muss sie zudem prüfen, ob die rechtlichen Voraussetzungen des Artikels 11 Absatz 4 EU-Vertrag (n. F.) im betreffenden Falle tatsächlich vorliegen, d.h. die Zulässigkeit und die Repräsentativität der Initiative. Diese sollte aus Gründen der Transparenz nicht im Rahmen der politischen Positionierung der Kommission zum Anliegen der Bürgerinitiative erfolgen, sondern dieser vorgelagert sein, um jeden Eindruck zu vermeiden, dies wäre politischen Erwägungen unterworfen. Die Prüfung der hinreichenden Repräsentativität der Bürgerinitiative (mindestens eine Million Unterstützerinnen und Unterstützer aus einer erheblichen Anzahl von Mitgliedstaaten) kann deshalb logisch nur im Rahmen der dritten Phase als Teil der Entscheidung über den Erfolg der Einreichung der Bürgerinitiative erfolgen.

Die Prüfung der Zulässigkeit der Bürgerinitiative - also ob der Inhalt der Initiative den rechtlichen Anforderungen genügt - sollte dagegen so frühzeitig wie möglich im Verfahren erfolgen, um sowohl den Organisatorinnen und Organisatoren einer Bürgerinitiative als auch den Mitgliedstaaten, die für die Erfassung der Unterstützungsbekundungen verantwortlich sind, diesbezüglich Rechtssicherheit zu geben. Diese Prüfung sollte deshalb bereits im Rahmen der ersten Phase als Teil der Entscheidung über den Erfolg der Anmeldung der Bürgerinitiative erfolgen.

Jede Phase des Verfahrens muss mit einer formellen Entscheidung abgeschlossen werden, auf die die Organisatorinnen und Organisatoren jeweils einen Rechtsanspruch besitzen. Zudem müssen sowohl die Kommissionsentscheidungen über den Erfolg der Anmeldung und der Einreichung, als auch die mitgliedstaatlichen Bestätigungen der individuellen Unterstützungsbekundungen gegebenenfalls gerichtlich überprüfbar sein.

STELLUNGNAHME des Petitionsausschusses (20.1.2009)

für den Ausschuss für konstitutionelle Fragen

mit Empfehlungen an die Kommission betreffend Leitlinien zu einem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Umsetzung der Bürgerinitiative
(2008/2169(INI))

Verfasser der Stellungnahme: Carlos Carnero González(Initiative gemäß Artikel 39 der Geschäftsordnung)

VORSCHLÄGE

Der Petitionsausschuss ersucht den federführenden Ausschuss für konstitutionelle Fragen, folgende Vorschläge in seinen Entschließungsantrag zu übernehmen:

A. in der Erwägung, dass die im Vertrag von Lissabon enthaltenen Bestimmungen zur Bürgerinitiative unbedingt berücksichtigt werden müssen, durch die den europäischen Bürgern eine stärkere direkte Einflussnahme auf die für die Umsetzung der Verträge notwendigen europäischen Gesetzgebungsakte ermöglicht werden soll,

B.  in der Erwägung, dass das Petitionsrecht seit dem Vertrag von Maastricht besteht, und in der Erwägung, dass das Parlament eine Reihe von Verfahren entwickelt hat, um dieses wichtige Recht aller Bürger und Einwohner der EU umzusetzen, insbesondere in Fragen, die die Anwendung des EU-Rechts durch nationale und lokale Behörden und die Auswirkungen dieses Rechts auf Einzelpersonen und ihre örtlichen Gemeinschaften betreffen,

1.  fordert, dass die Verordnung über die Umsetzung der Bürgerinitiative, die die Bedingungen für die Ausübung des Rechts in dieser Hinsicht festlegt, klar, einfach und nutzerfreundlich formuliert ist und praktische Elemente bezüglich der Definition einer Bürgerinitiative einschließt, damit eine Verwechslung mit dem Petitionsrecht ausgeschlossen wird;

2.  äußert sich besorgt darüber, dass im Zusammenhang mit den Vorschlägen, die derzeit von den Unterstützern der Bürgerinitiative in Umlauf gebracht werden, viele der angeführten praktischen Beispiele eigentlich aktuelle Petitionskampagnen sind und einige davon bereits im Parlament als Petitionen registriert wurden, ohne dass es eine spezifische Beziehung zur Bürgerinitiative gibt, wie sie im Vertrag definiert ist;

3.  verweist folglich auf die Notwendigkeit, den Bürgern diesen Unterschied unbedingt deutlich zu machen, da beim Petitionsrecht das Europäische Parlament und bei der Bürgerinitiative die Kommission angerufen wird;

4.  stellt außerdem fest, dass das Parlament in Ausübung seines legislativen Initiativrechts beschließen kann, dieses Verfahren einzuleiten und entsprechend den Empfehlungen zu handeln, die auf den beim zuständigen Ausschuss eingegangenen Petitionen basieren;

5.  fordert, dass sein Petitionsausschuss damit beauftragt wird, die Umsetzung der Verordnung über die Bürgerinitiative zu überwachen, indem er sicherstellt, dass die Vorschläge der Bürger auf Sitzungen des Petitionsausschusses beraten werden, zu denen auch Vertreter von Ausschüssen mit sektoraler Zuständigkeit für den betreffenden Politikbereich eingeladen werden und auf denen die Kommission zur Abgabe einer Stellungnahme aufgefordert werden sollte;

6.  ist der Auffassung, dass sich durch solche Maßnahmen eine bessere Kompatibilität zwischen den von den Bürgern in erster Instanz an die Kommission gerichteten Vorschlägen und den vom Europäischen Parlament demokratisch angenommenen Prioritäten und Vorschlägen erzielen lässt;

7.  hält es für wichtig, dass sich das Parlament zur Angemessenheit einer Bürgerinitiative und der damit verbundenen Vorschläge und Empfehlungen äußern kann, bevor die Kommission ausgehend von der Bürgerinitiative mit der Erarbeitung eines Legislativtextes beginnt;

8.  stellt fest, dass Fragen der Teilnahmeberechtigung angesprochen werden müssen, und ist in diesem Zusammenhang der Auffassung, dass Flexibilität im Hinblick darauf gegeben sein muss, was genau unter den „verschiedenen Mitgliedstaaten“ zu verstehen ist, aus denen die mindestens eine Million Unterschriften stammen müssen; ist außerdem der Ansicht, dass in Anlehnung an die für Petitionen übliche Praxis alle Bürger der EU die Möglichkeit haben sollten, eine Bürgerinitiative zu unterstützen.

ERGEBNIS DER SCHLUSSABSTIMMUNG IM AUSSCHUSS

Datum der Annahme

19.1.2009

 

 

 

Ergebnis der Schlussabstimmung

+:

–:

0:

21

0

0

Zum Zeitpunkt der Schlussabstimmung anwesende Mitglieder

Sir Robert Atkins, Margrete Auken, Inés Ayala Sender, Victor Boştinaru, Simon Busuttil, Alexandra Dobolyi, Glyn Ford, Cristina Gutiérrez-Cortines, David Hammerstein, Marian Harkin, Carlos José Iturgaiz Angulo, Marcin Libicki, Miguel Angel Martínez Martínez, Manolis Mavrommatis, Mairead McGuinness, Marie Panayotopoulos-Cassiotou, Nicolae Vlad Popa, Kathy Sinnott

Zum Zeitpunkt der Schlussabstimmung anwesende Stellvertreter(innen)

Carlos Carnero González, Marie-Hélène Descamps, Henrik Lax

ERGEBNIS DER SCHLUSSABSTIMMUNG IM AUSSCHUSS

Datum der Annahme

22.1.2009

 

 

 

Ergebnis der Schlussabstimmung

+:

–:

0:

15

4

0

Zum Zeitpunkt der Schlussabstimmung anwesende Mitglieder

Richard Corbett, Jean-Luc Dehaene, Andrew Duff, Anneli Jäätteenmäki, Aurelio Juri, Sylvia-Yvonne Kaufmann, Timothy Kirkhope, Jo Leinen, Íñigo Méndez de Vigo, Ashley Mote, József Szájer, Riccardo Ventre, Johannes Voggenhuber, Bernard Wojciechowski

Zum Zeitpunkt der Schlussabstimmung anwesende Stellvertreter(innen)

Costas Botopoulos, Klaus-Heiner Lehne, Gérard Onesta, Sirpa Pietikäinen, Mauro Zani