BERICHT über den Entwurf einer Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Rechte auf Dolmetschleistungen und auf Übersetzungen in Strafverfahren

10.6.2010 - (00001/2010 – C7‑0005/2010 – 2010/0801(COD)) - ***I

Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres
Berichterstatterin: Sarah Ludford


Verfahren : 2010/0801(COD)
Werdegang im Plenum
Entwicklungsstadium in Bezug auf das Dokument :  
A7-0198/2010

ENTWURF EINER LEGISLATIVEN ENTSCHLIESSUNG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS

zu dem Entwurf einer Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Rechte auf Dolmetschleistungen und auf Übersetzungen in Strafverfahren

(00001/2010 – C7‑0005/2010 – 2010/0801(COD))

(Ordentliches Gesetzgebungsverfahren: erste Lesung)

Das Europäische Parlament,

 in Kenntnis der Initiative einer Gruppe von Mitgliedstaaten (00001/2010),

 gestützt auf Artikel 76 Buchstabe b und Artikel 82 Absatz 2 Unterabsatz 2 Buchstabe b des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, gemäß denen der Rat ihm die Initiative vorgelegt hat (C7‑0005/2010),

 gestützt auf die Artikel 294 Absatz 3 und Absatz 15 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union,

 in Kenntnis des Vorschlags der Kommission (KOM(2010)0082, mit dem das gleiche Regelungsziel verfolgt wird,

–    in Kenntnis der seinem Präsidenten von den nationalen Parlamenten übermittelten begründeten Stellungnahmen zur Vereinbarkeit der Initiative mit dem Grundsatz der Subsidiarität,

–   gestützt auf die Artikel 44 und 55 seiner Geschäftsordnung,

–   in Kenntnis des Berichts des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (A7‑0198/2010),

1.  legt in erster Lesung seinen folgenden Standpunkt fest;

2.  beauftragt seinen Präsidenten, den Standpunkt des Parlaments dem Rat, der Kommission sowie den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten zu übermitteln.

STANDPUNKT DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS

IN ERSTER LESUNG [1]*

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RICHTLINIE DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES

über die Rechte auf Dolmetschleistungen und auf Übersetzungen in Strafverfahren

DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION –

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf Artikel 82 Absatz 2 Buchstabe b,

in Kenntnis der Initiative des Königreichs Belgien, der Bundesrepublik Deutschland, der Republik Estland, des Königreichs Spanien, der Französischen Republik, der Italienischen Republik, des Großherzogtums Luxemburg, der Republik Ungarn, der Republik Österreich, der Portugiesischen Republik, Rumäniens, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden,

nach Übermittlung des Entwurfs eines Gesetzgebungsakts an die nationalen Parlamente,

gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren[2],

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)         Die Europäische Union hat sich die Erhaltung und Weiterentwicklung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zum Ziel gesetzt. Nach den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 15. und 16. Oktober 1999 in Tampere, insbesondere nach Nummer 33, soll der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung zum Eckstein der justiziellen Zusammenarbeit sowohl in Zivil- als auch in Strafsachen innerhalb der ▌Union werden, da eine verbesserte gegenseitige Anerkennung von gerichtlichen Entscheidungen und Urteilen und die notwendige Annäherung der Rechtsvorschriften die Zusammenarbeit zwischen den Behörden und den Schutz der Rechte des Einzelnen durch die Justiz erleichtern würden.

(2)         Am 29. November 2000 verabschiedete der Rat im Einklang mit den Schlussfolgerungen von Tampere ein Maßnahmenprogramm zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Strafsachen[3]. In der Einleitung des Maßnahmenprogramms heißt es, die gegenseitige Anerkennung „soll es ermöglichen, nicht nur die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten, sondern auch den Schutz der Persönlichkeitsrechte zu verstärken“.

(3)         Die Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Strafsachen setzt gegenseitiges Vertrauen der Mitgliedstaaten in ihre jeweilige Strafgerichtsbarkeit voraus. Das Maß der gegenseitigen Anerkennung hängt von einer ganzen Reihe von Parametern ab; dazu gehören Mechanismen für den Schutz der Rechte von Verdächtigen sowie gemeinsame Mindestnormen zur Erleichterung der Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung.

(4)         Der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung kann nur in einem Klima des Vertrauens zum Tragen kommen, in dem nicht nur die Justizbehörden, sondern alle an Strafverfahren beteiligten Akteure Entscheidungen der Justizbehörden anderer Mitgliedstaaten als mit denen ihrer eigenen Justizbehörden gleichwertig ansehen; hierzu bedarf es gegenseitigen Vertrauens nicht nur in die Rechtsvorschriften seiner Partner, sondern auch in die Tatsache, dass diese ordnungsgemäß angewandt werden.

(4a)       In Artikel 6 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) und in Artikel 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ist das Recht auf ein faires Verfahren verankert. Artikel 48 der Charta gewährleistet die Verteidigungsrechte. Diese Richtlinie achtet diese Rechte und ist entsprechend umzusetzen.

(5)         Zwar haben ▌Mitgliedstaaten die ▌EMRK▌unterzeichnet, doch hat die Erfahrung gezeigt, dass dadurch allein nicht immer ein hinreichendes Maß an Vertrauen in die Strafjustiz anderer Mitgliedstaaten hergestellt wird.

(5a)       Die Stärkung des gegenseitigen Vertrauens erfordert eine kohärente Umsetzung der in Artikel 6 der EMRK verankerten Rechte und Garantien. Sie erfordert ferner eine Weiterentwicklung der in der EMRK und der Charta der Grundrechte der EU verankerten Mindestnormen innerhalb der Europäischen Union durch diese Richtlinie und andere Maßnahmen.

(6)         Artikel 82 Absatz 2 des Vertrags sieht die Festlegung von in den Mitgliedstaaten anwendbaren Mindestvorschriften zur Erleichterung der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Urteile und Entscheidungen und der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen mit grenzüberschreitender Dimension vor. Artikel 82 Absatz 2 Buchstabe b nennt „die Rechte des Einzelnen im Strafverfahren“ als einen der Bereiche in denen Mindestvorschriften festgelegt werden können.

(7)         Gemeinsame Mindestvorschriften sollten das Vertrauen in die Strafjustiz aller Mitgliedstaaten stärken, was wiederum zu einer wirksameren Zusammenarbeit der Strafjustizbehörden in einem Klima gegenseitigen Vertrauens führen sollte. Dolmetschleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren sollten solchen gemeinsamen Mindestvorschriften unterworfen werden.

(7a)       Am 30. November 2009 nahm der Rat den Fahrplan zur Stärkung der Verfahrensrechte von Verdächtigen oder Beschuldigten in Strafverfahren an[4]. In dem Fahrplan wird dazu aufgerufen, schrittweise Maßnahmen zu ergreifen, die das Recht auf Dolmetsch- und Übersetzungsleistungen (Maßnahme A), das Recht auf Belehrung über die Rechte und Unterrichtung über die Beschuldigung (Maßnahme B), das Recht auf Rechtsbeistand und Prozesskostenhilfe (Maßnahme C), das Recht auf Kommunikation mit Angehörigen, Arbeitgebern und Konsularbehörden (Maßnahme D) und besondere Garantien für schutzbedürftige Verdächtige oder Beschuldigte (Maßnahme E) betreffen.

(7b)       Im am 10. Dezember 2009 angenommenen Stockholmer Programm begrüßte der Europäische Rat den Fahrplan und machte ihn zum Bestandteil des Stockholmer Programms (Ziffer 2.4). Der Europäische Rat betonte den nicht ausschließlichen Charakter des Fahrplans und ersuchte die Kommission, weitere Elemente von Mindestverfahrensrechten in Bezug auf Verdächtige und Beschuldigte zu prüfen und zu bewerten, ob andere Themen, beispielsweise die Unschuldsvermutung, angegangen werden müssen, damit eine bessere Zusammenarbeit auf diesem Gebiet gefördert wird.

(7c)       Diese Richtlinie betrifft Maßnahme A des Fahrplans. Sie setzt gemeinsame Mindestnormen fest im Bereich von Dolmetsch- und Übersetzungsleistungen in Strafverfahren, um das Vertrauen der Mitgliedstaaten untereinander zu stärken.

(7d)       Diese Richtlinie baut auf dem Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des Rates über das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzung maßgeblicher Unterlagen in Strafverfahren[5] auf, der von der Kommission im Juli 2009 vorgelegt wurde, und auf dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Rechte auf Dolmetschleistungen und auf Übersetzungen in Strafverfahren, der von der Kommission im März 2010 vorgelegt wurde [6].

(8)         Die Rechte von Personen, die die Verfahrenssprache des Gerichts nicht verstehen, auf Dolmetschleistungen und auf Übersetzungen ergeben sich aus Artikel 6 EMRK, und der ▌Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu dessen Auslegung. Die Bestimmungen dieser Richtlinie erleichtern die praktische Anwendung dieser Rechte. Zu diesem Zweck sollen mit dieser Richtlinie die Rechte eines Verdächtigen oder Beschuldigten auf Dolmetschleistungen und auf Übersetzungen im Hinblick auf die Wahrung des Rechts der Person auf ein faires Verfahren gewährleistet werden.

(9)         Die in dieser Richtlinie festgelegten Rechte sollten in den in ihr vorgesehenen Grenzen auch – als erforderliche flankierende Maßnahmen – im Falle der ▌Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls gelten. Vollstreckende Mitgliedstaaten sollten Dolmetschleistungen und Übersetzungen zugunsten einer gesuchten Person, die die Verfahrenssprache nicht versteht oder spricht, zur Verfügung stellen und die Kosten dafür tragen.

(9a)       In einigen Mitgliedstaaten kann es vorkommen, dass relativ geringfügige Straftaten, zum Beispiel Verkehrsübertretungen, die sehr häufig vorkommen, durch eine von einer zuständigen Behörde, bei der es sich nicht um ein in Strafsachen zuständiges Gericht handelt, verhängte Sanktion geahndet werden, beispielsweise nach einer Verkehrskontrolle. In solchen Situationen wäre es nicht sachgerecht zu fordern, dass die zuständigen Behörden in der Lage sein sollten, alle Rechte nach dieser Richtlinie zur Verfügung zu stellen. Deshalb sollte diese Richtlinie in Fällen, in denen nach dem Recht eines Mitgliedstaats die Verhängung einer Sanktion für geringfügige Straftaten durch eine Behörde, bei der es sich nicht um ein in Strafsachen zuständiges Gericht handelt, vorgesehen ist und es Rechtsmittel gegen diese Sanktion bei einem Gericht gibt, nur auf das Verfahren vor diesem Gericht nach Einlegung eines solchen Rechtsmittels Anwendung finden.

(10)       Diese Richtlinie sollte gewährleisten, dass es unentgeltliche und angemessene sprachliche Unterstützung gibt, damit verdächtige oder beschuldigte Personen, die die Sprache des Strafverfahrens nicht verstehen oder sprechen, in vollem Umfang ihr Recht auf Verteidigung ausüben können und ein faires Verfahren sichergestellt wird.

(10a)     Dolmetschdienste zu Gunsten der verdächtigen oder beschuldigten Person sollten unverzüglich zur Verfügung gestellt werden. In bestimmten Fällen kann es vorkommen, dass eine bestimmte Zeit vergeht, bevor die Dolmetschdienste zur Verfügung gestellt werden, ohne dass dies einen Verstoß gegen die Anforderung darstellt, dass Dolmetschdienste unverzüglich zur Verfügung gestellt werden sollten, sofern dies unter den gegebenen Umständen hinnehmbar ist.

(10b)     Für die Verständigung zwischen einer verdächtigen oder beschuldigten Person und ihrem Rechtsbeistand sollte es Dolmetschdienste gemäß den Bestimmungen dieser Richtlinie geben. Die verdächtige oder beschuldigte Person sollte unter anderem imstande sein, ihrem Rechtsbeistand ihre eigene Version des Sachverhalts zu schildern, auf Aussagen hinzuweisen, denen sie nicht zustimmt, und ihn über Sachverhalte in Kenntnis zu setzen, die zu ihrer Verteidigung vorgebracht werden sollten.

(10c)     Damit sich die Verteidigung vorbereiten kann, sollten für die Verständigung zwischen der verdächtigen oder beschuldigten Person und ihrem Rechtsbeistand in unmittelbarem Zusammenhang mit Verhören und Anhörungen bei Verhandlungen oder bei der Einlegung von Rechtsmitteln oder bei anderen verfahrensrechtlichen Anträgen, wie zum Beispiel auf Kaution, Dolmetschdienste zur Verfügung gestellt werden, wenn dies notwendig ist, um ein faires Verfahren zu gewährleisten.

(10d)     Die Mitgliedstaaten sollten dafür sorgen, dass es Verfahren oder Mechanismen gibt, mit deren Hilfe festgestellt werden kann, ob die verdächtige oder beschuldigte Person die Sprache des Strafverfahrens versteht und spricht oder die Unterstützung durch einen Dolmetscher benötigt. Ein solches Verfahren oder ein solcher Mechanismus bedeutet, dass die zuständige Behörde auf geeignete Weise, einschließlich durch Befragung des Verdächtigen oder Beschuldigten, prüfen muss, ob er die Sprache des Strafverfahrens versteht und spricht oder die Unterstützung durch einen Dolmetscher benötigt.

(10e)     Dolmetschleistungen und Übersetzungen nach dieser Richtlinie sollten in der Muttersprache der verdächtigen oder beschuldigten Person oder einer anderen ihr verständlichen Sprache zur Verfügung gestellt werden, damit sie in vollem Umfang ihr Recht auf Verteidigung ausüben kann und ein faires Verfahren sichergestellt wird.

(10f)     Die Achtung der Rechte auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen nach dieser Richtlinie sollte andere Verfahrensrechte, die nach nationalem Recht gewährt werden, nicht beeinträchtigen.

(11a)     Die Mitgliedstaaten sollten dafür sorgen, dass bei entsprechenden Hinweisen an die zuständigen Behörden in einem bestimmten Fall die Adäquanz der zur Verfügung gestellten Dolmetschleistungen und Übersetzungen überprüft werden kann.

(12)       Die verdächtige oder beschuldigte Person oder die Person, gegen die ein Verfahren zur Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls läuft, sollte das Recht haben, die Entscheidung, dass keine Dolmetschleistung erforderlich ist, im Einklang mit Verfahren im innerstaatlichen Recht anzufechten. Dieses Recht bringt für die Mitgliedstaaten nicht die Verpflichtung mit sich, einen gesonderten Mechanismus oder ein gesondertes Beschwerdeverfahren für die Anfechtung einer solchen Entscheidung vorzusehen, und es sollte nicht die Fristen beeinträchtigen, die für die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls gelten.

(12a)     Wird die Qualität der Dolmetschleistungen als für die Gewährleistung des Rechts auf ein faires Verfahren unzureichend betrachtet, sollten die zuständigen Behörden die Möglichkeit haben, den bestellten Dolmetscher zu ersetzen.

(14)       Die Fürsorgepflicht für verdächtige oder beschuldigte Personen, die sich in einer potenziell schwachen Position befinden, insbesondere weil sie körperliche Gebrechen haben, die ihre Fähigkeit beeinträchtigen, sich effektiv verständlich zu machen, ist Grundlage einer fairen Justiz. Strafverfolgungs-, Strafvollzugs- und Justizbehörden sollten daher sicherstellen, dass diese Personen imstande sind, die in dieser Richtlinie vorgesehenen Rechte wirksam auszuüben, zum Beispiel indem sie auf etwaige Benachteiligungen, die die Fähigkeit der Personen beeinträchtigen, dem Verfahren zu folgen und sich verständlich zu machen, achten und geeignete Schritte unternehmen, um diese Rechte zu gewährleisten.

(14a)     Beim Einsatz von Videokonferenzen zum Zwecke des Ferndolmetschens könnten sich die zuständigen Behörden der Werkzeuge bedienen, die im Zusammenhang mit der europäischen E-Justiz entwickelt werden (zum Beispiel Informationen über Gerichte mit Videokonferenzanlagen oder Handbücher).

(14b)     Diese Richtlinie sollte im Lichte der gewonnenen praktischen Erfahrungen bewertet werden. Gegebenenfalls sollte sie im Hinblick auf die Verbesserung der in ihr festgelegten Schutzbestimmungen geändert werden.

(15)       Zur Gewährleistung eines fairen Verfahrens ist es erforderlich, dass wesentliche Dokumente oder zumindest die relevanten Passagen solcher Dokumente für den Verdächtigen oder Beschuldigten gemäß den Bestimmungen dieser Richtlinie übersetzt werden. Bestimmte Dokumente sollten immer als wesentliche Dokumente in diesem Sinne gelten und deshalb übersetzt werden, beispielsweise die Entscheidung, einer Person die Freiheit zu entziehen, die Anklageschrift und das Urteil. Es ist Aufgabe der Behörden der Mitgliedstaaten, von Amts wegen oder auf Antrag der verdächtigen oder beschuldigten Person oder ihres Rechtsbeistands zu entscheiden, welche weiteren Dokumente für die Gewährleistung eines fairen Verfahrens wesentlich sind und deshalb auch übersetzt werden sollten.

(16a)     Die Mitgliedstaaten sollten den Zugang zu nationalen Datenbanken von auf Rechtsfragen spezialisierten Übersetzern und Dolmetschern, soweit diese Datenbanken bestehen, erleichtern. In diesem Zusammenhang sollte besonderes Augenmerk darauf gelegt werden, den Zugang zu bestehenden Datenbanken von auf Rechtsfragen spezialisierten Übersetzern und Dolmetschern – wie im Aktionsplan für die europäische E-Justiz vom 27. November 2008[7] vorgesehen – zu erleichtern.

(16b)     Mit dieser Richtlinie sollen Mindestvorschriften erlassen werden. Die Mitgliedstaaten sollten die in dieser Richtlinie verankerten Rechte ausweiten können, um auch in Situationen, die in dieser Richtlinie nicht ausdrücklich erfasst sind, ein höheres Schutzniveau zu bieten. Das Schutzniveau sollte nie unter den Standards der Europäischen Menschenrechtskonvention oder der Charta der Grundrechte der EU im Sinne der Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte oder den Europäischen Gerichtshof liegen.

(18)       ▌Die Bestimmungen dieser Richtlinie, die den Rechten entsprechen, die durch die EMRK oder durch die Charta gewährleistet werden, sollten entsprechend den Rechten ▌, wie sie in der einschlägigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Gerichtshofs der Europäischen Union entwickelt werden, ausgelegt und umgesetzt werden.

(19)       Da das Ziel dieser Richtlinie, nämlich gemeinsame Mindestvorschriften zu erreichen, auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht werden kann, und daher wegen des Umfangs und der Wirkungen der vorgeschlagenen Maßnahme besser auf Unionsebene zu verwirklichen ist, kann die Union im Einklang mit dem in Artikel 5 des Vertrags über die Europäische Union niedergelegten und definierten Subsidiaritätsprinzip tätig werden. Entsprechend dem in demselben Artikel genannten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geht die Richtlinie nicht über das zur Erreichung dieses Ziels erforderliche Maß hinaus.

(19a)     Gemäß Artikel 3 des dem Vertrag über die Europäische Union und dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union beigefügten Protokolls über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands hinsichtlich des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts haben das Vereinigte Königreich und Irland schriftlich mitgeteilt, dass sie sich an der Annahme und Anwendung dieser Richtlinie beteiligen möchten.

(19b)     Gemäß den Artikeln 1 und 2 des dem Vertrag über die Europäische Union und dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union beigefügten Protokolls über die Position Dänemarks beteiligt sich Dänemark nicht an der Annahme dieser Richtlinie und ist somit durch sie weder gebunden noch zu ihrer Anwendung verpflichtet.

HABEN FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:

Artikel 1

Geltungsbereich

1.          Diese Richtlinie regelt die Rechte auf Dolmetschleistungen und auf Übersetzungen in Strafverfahren und in Verfahren zur Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls.

2.          Diese Rechte gelten für jede Person ab dem Zeitpunkt, zu dem sie von den zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats per amtlicher Mitteilung oder auf sonstige Weise davon in Kenntnis gesetzt wurde, dass sie der Begehung einer Straftat verdächtig oder beschuldigt ist, bis zum Abschluss des Verfahrens, worunter die endgültige Klärung der Frage zu verstehen ist, ob der Verdächtige oder Beschuldigte die Straftat begangen hat, einschließlich der Festlegung des Strafmaßes und der abschließenden Entscheidung in einem Rechtsmittelverfahren.

3.          In Fällen, in denen nach dem Recht eines Mitgliedstaats die Verhängung einer Sanktion für geringfügige Straftaten durch eine Behörde, bei der es sich nicht um ein in Strafsachen zuständiges Gericht handelt, vorgesehen ist und es Rechtsmittel gegen diese Sanktion bei einem Gericht gibt, sollte diese Richtlinie nur auf das Verfahren vor diesem Gericht nach Einlegung eines solchen Rechtsmittels Anwendung finden.

3a.        Diese Richtlinie berührt weder Vorschriften des innerstaatlichen Rechts betreffend die Anwesenheit eines Rechtsbeistands zu einem bestimmten Zeitpunkt des Strafverfahrens noch Vorschriften des innerstaatlichen Rechts betreffend das Recht einer verdächtigen oder beschuldigten Person auf Zugang zu Dokumenten in Strafverfahren.

Artikel 2 Recht auf Dolmetschleistungen

1.          Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass verdächtigen oder beschuldigten Personen, die die Sprache des Strafverfahrens nicht verstehen oder nicht sprechen, unverzüglich Dolmetschleistungen ▌während der Strafverfahren bei Ermittlungs- und Justizbehörden, einschließlich polizeilicher Vernehmungen, sämtlicher Anhörungen bei Gericht sowie aller zwischenzeitlich nötigen Anhörungen, zur Verfügung gestellt ▌werden.

1a.        Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Dolmetschdienste für die Verständigung zwischen der verdächtigen oder beschuldigten Person und ihrem Rechtsbeistand in unmittelbarem Zusammenhang mit Verhören und Anhörungen bei Verhandlungen oder bei der Einlegung von Rechtsmitteln oder bei anderen verfahrensrechtlichen Anträgen zur Verfügung stehen, wenn dies notwendig ist, um ein faires Verfahren zu gewährleisten.

2.          Das Recht auf Dolmetschleistungen gilt auch für hör- und sprachgeschädigte Personen.

3.          Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass ▌es ein Verfahren oder einen Mechanismus gibt, mit dessen Hilfe festgestellt werden kann, ob die verdächtige oder beschuldigte Person die Sprache des Strafverfahrens versteht und spricht oder die Unterstützung durch einen Dolmetscher benötigt.

4.          Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass ▌die verdächtige oder beschuldigte Person das Recht hat, eine Entscheidung, dass keine Dolmetschleistung benötigt wird, im Einklang mit Verfahren im innerstaatlichen Recht anzufechten, und, wenn Dolmetschleistungen zur Verfügung gestellt wurden, die Möglichkeit hat, eine Beschwerde mit der Begründung einzulegen, dass die Qualität der Dolmetschleistungen für die Gewährleistung eines fairen Verfahrens unzureichend sei.

4a.        Gegebenenfalls können technische Hilfsmittel, wie etwa Videokonferenzen oder Kommunikation über das Telefon oder das Internet eingesetzt werden, es sei denn, die physische Präsenz des Dolmetschers ist für die Gewährleistung eines fairen Verfahrens erforderlich.

5.          In Verfahren zur Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls sorgt der vollstreckende Mitgliedstaat dafür, dass seine zuständigen Behörden betroffenen Personen, die die Verfahrenssprache nicht verstehen oder sprechen, gemäß diesem Artikel Dolmetschleistungen zur Verfügung gestellt werden.

5a.        Nach diesem Artikel zur Verfügung gestellte Dolmetschleistungen müssen eine für die Gewährleistung eines fairen Verfahrens ausreichende Qualität aufweisen, wobei insbesondere sicherzustellen ist, dass die in einem Strafverfahren verdächtige oder beschuldigte Person versteht, was ihr zur Last gelegt wird, und imstande ist, ihr Recht auf Verteidigung auszuüben.

Artikel 3Recht auf Übersetzung maßgeblicher Unterlagen

1.          Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass eine verdächtige oder beschuldigte Person, die die Sprache des Strafverfahrens nicht versteht, innerhalb einer angemessenen Frist eine schriftliche Übersetzung aller Unterlagen erhält, die unerlässlich sind um sicherzustellen, dass sie imstande ist, ihr Recht auf Verteidigung auszuüben, und um ein faires Verfahren zu gewährleisten ▌ .

2.          Zu ▌unerlässlichen Unterlagen ▌gehören ▌die Anordnung einer freiheitsentziehenden Maßnahme, die Anklageschrift und ein Urteil ▌.

3.          Die zuständigen Behörden entscheiden darüber, ob ein anderes Dokument unerlässlich ist. Die verdächtige oder beschuldigte Person oder ihr Rechtsbeistand können einen entsprechenden begründeten Antrag ▌stellen ▌.

3a.        Passagen unerlässlicher Dokumente, die nicht dafür relevant sind, dass die verdächtige oder beschuldigte Person versteht, was ihr zur Last gelegt wird, brauchen nicht übersetzt zu werden.

4.          Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass die verdächtige oder beschuldigte Person das Recht hat, eine Entscheidung, dass keine Übersetzung von Dokumenten oder Passagen derselben benötigt wird, im Einklang mit Verfahren im innerstaatlichen Recht anzufechten, und, wenn Übersetzungen zur Verfügung gestellt wurden, die Möglichkeit hat, eine Beschwerde mit der Begründung einzulegen, dass die Qualität der Übersetzungen für die Sicherstellung eines fairen Verfahrens unzureichend sei.

5.          In Verfahren zur Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls sorgt der vollstreckende Mitgliedstaat dafür, dass seine zuständigen Behörden betroffenen Personen, die die Sprache, in der der Europäische Haftbefehl ausgestellt oder in die er vom ausstellenden Mitgliedstaat übersetzt wurde, nicht verstehen, eine schriftliche Übersetzung davon zur Verfügung stellen.

6.          Als Ausnahme zu den allgemeinen Regeln nach den vorstehenden Absätzen 1, 2, 3 und 5 kann eine mündliche Übersetzung oder eine mündliche Zusammenfassung der unerlässlichen Unterlagen, auf die in diesem Artikel Bezug genommen wird, ▌ anstelle einer schriftlichen Übersetzung unter der Bedingung zur Verfügung gestellt werden, dass eine solche mündliche Übersetzung oder mündliche Zusammenfassung einem fairen Verfahren nicht entgegensteht.

7.          Für einen etwaigen Verzicht auf das Recht auf schriftliche Übersetzung von Unterlagen, auf die in diesem Artikel Bezug genommen wird, gelten die Anforderungen, dass die verdächtige oder beschuldigte Person vorher eine rechtliche Beratung oder in anderer Weise volle Kenntnis der Folgen eines solchen Verzichts erhalten hat und dass der Verzicht unmissverständlich und freiwillig erklärt wurde.

7a.        Nach diesem Artikel zur Verfügung gestellte Übersetzungen müssen eine für die Gewährleistung eines fairen Verfahrens ausreichende Qualität aufweisen, wobei insbesondere sicherzustellen ist, dass die in einem Strafverfahren verdächtige oder beschuldigte Person versteht, was ihr zur Last gelegt wird, und imstande ist, ihr Recht auf Verteidigung auszuüben.

Artikel 4Dolmetsch- und Übersetzungskosten

Die Mitgliedstaaten kommen unabhängig vom Verfahrensausgang für die in Anwendung der Artikel 2 und 3 entstehenden Dolmetsch- und Übersetzungskosten auf.

Artikel 5Qualität der Dolmetschleistungen und Übersetzungen

1.          Die Mitgliedstaaten ergreifen konkrete Maßnahmen, um dafür zu sorgen, dass Dolmetschleistungen und Übersetzungen der Qualität entsprechen, die nach Artikel 2 Absatz 6 und Artikel 3 Absatz 8 erforderlich ist ▌ .

2.          Um angemessene Dolmetschleistungen und Übersetzungen und einen effizienten Zugang zu ihnen zu fördern, bemühen sich die Mitgliedstaaten darum, ein oder mehrere Register von unabhängigen Übersetzern und Dolmetschern einzurichten, die sachgerecht qualifiziert sind. Nach Einrichtung eines solchen Registers bzw. solcher Register sollte(n) es/sie dem Rechtsbeistand und den betreffenden Behörden zur Verfügung gestellt werden.

3.          Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Dolmetscher und Übersetzer verpflichtet sind, die Vertraulichkeit der Dolmetschleistungen und Übersetzungen, die nach dieser Richtlinie erbracht werden, zu wahren.

Artikel 5aWeiterbildung

         Unbeschadet der Unabhängigkeit der Justiz und des unterschiedlichen Aufbaus der Justiz in der Europäischen Union fordern die Mitgliedstaaten von denjenigen, die für die Weiterbildung von an Strafverfahren beteiligten Richtern, Staatsanwälten und Justizbediensteten zuständig sind, ein besonderes Augenmerk auf die Besonderheiten einer dolmetschergestützten Kommunikation zu legen, damit eine effiziente und wirksame Kommunikation sichergestellt wird.

Artikel 5b

Führen von Aufzeichnungen

Die Mitgliedstaaten gewährleisten, dass bei Vernehmungen der verdächtigen oder beschuldigten Person durch eine Ermittlungs- oder Gerichtsbehörde unter Beiziehung eines Dolmetschers gemäß Artikel 2 oder – wenn eine mündliche Übersetzung oder eine mündliche Zusammenfassung unerlässlicher Unterlagen nach Artikel 3 Absatz 6 zur Verfügung gestellt wird oder wenn ein Verzicht auf Rechte nach Artikel 3 Absatz 7 erklärt wird – nach dem Verfahren für Aufzeichnungen gemäß dem innerstaatlichen Recht des betreffenden Mitgliedstaats vermerkt wird, das diese Umstände vorlagen.

Artikel 6Regressionsverbot

           Keine Bestimmung dieser Richtlinie ist so auszulegen, dass dadurch die Verfahrensrechte und -garantien nach Maßgabe der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, der Charta der Grundrechte der EU, anderer einschlägiger Bestimmungen des Völkerrechts oder der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten, die ein höheres Schutzniveau vorsehen, beschränkt oder beeinträchtigt würden.

Artikel 7Umsetzung

1.          Die Mitgliedstaaten setzen die Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft, die erforderlich sind, um dieser Richtlinie spätestens .......…[8]* nachzukommen.

2.          ▌Die Mitgliedstaaten teilen ▌der Kommission den Wortlaut der Bestimmungen mit, mit denen sie die sich aus dieser Richtlinie ergebenden Verpflichtungen in ihr nationales Recht umgesetzt haben.

3.          Wenn die Mitgliedstaaten diese Vorschriften erlassen, nehmen sie in den Vorschriften selbst oder durch einen Hinweis bei der amtlichen Veröffentlichung auf diese Richtlinie Bezug. Die Mitgliedstaaten regeln die Einzelheiten der Bezugnahme.

Artikel 8Bericht

Die Kommission übermittelt dem Europäischen Parlament und dem Rat bis zum ……….[9]** einen Bericht, in dem sie überprüft, inwieweit die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen getroffen haben, um dieser Richtlinie nachzukommen, und unterbreitet gegebenenfalls Legislativvorschläge.

Artikel 9Inkrafttreten

Diese Richtlinie tritt am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft.

Artikel 10Adressaten

Diese Richtlinie ist an die Mitgliedstaaten gerichtet.

Geschehen zu …

Im Namen des Europäischen Parlaments         Im Namen des Rates

Der Präsident                                                 Der Präsident

_______________

  • [1] *         Abänderungen: Der neue bzw. geänderte Text wird durch Fett- und Kursivdruck gekennzeichnet; Streichungen werden durch das Symbol ▌ gekennzeichnet.
  • [2]           Stellungnahme ... (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht).
  • [3]           ABl. C 12 vom 15.1.2001, S. 10.
  • [4]               ABl. C 205 vom 4.12.2009, S. 1.
  • [5]               KOM(2009) 338 vom 8.3.2009.
  • [6]               KOM(2010) 82.
  • [7]               ABl. C 75 vom 3.3.2009, S. 1.
  • [8] * ABl.: Bitte das Datum 36 Monate nach der Veröffentlichung dieser Richtlinie im Amtsblatt einfügen.
  • [9] ** ABl.: Bitte das Datum 48 Monate nach der Veröffentlichung dieser Richtlinie im Amtsblatt einfügen.

BEGRÜNDUNG

Im Jahr 2004 legte die Kommission einen Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des Rates über bestimmte Verfahrensrechte in Strafverfahren innerhalb der Europäischen Union (KOM(2004)328) vor, der eine große Bandbreite von Aspekten behandelt. Das Parlament unterstützte den Vorschlag nachdrücklich und stimmte der Kommission in der Einschätzung zu, dass das Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in hohem Maße durch eine Harmonisierung der Rechte von Einzelpersonen in Ermittlungs- und Gerichtsverfahren erhöht würde.

Da die Mitgliedstaaten jedoch keine Einigung erzielen konnten, wurden die Verhandlungen im Rat über diese weitreichende Maßnahme im Jahre 2007 abgebrochen. Der schwedische Ratsvorsitz hat im zweiten Halbjahr 2009 mit einem allgemeinen Fahrplan (ABl. C 295 vom 4.12.2009, S. 1) für eine Stärkung der Verfahrensrechte von Verdächtigen und Beschuldigten in Strafverfahren, bei dem es sich eher um ein schrittweises Vorgehen als um eine einheitliche umfassende Maßnahme handelt, einen neuen Vorstoß unternommen.

Der Europäische Rat begrüßte die Annahme des Fahrplans durch den Rat. Die fünf darin vorgesehenen Maßnahmen entsprechen denen des Vorschlags aus dem Jahr 2004: Recht auf Übersetzung und Dolmetschleistungen; Recht auf Belehrung über die eigenen Rechte („Erklärung über die Rechte“) und Unterrichtung über die Beschuldigungen; Recht auf rechtlichen Beistand und Prozesskostenhilfe; Recht auf Kontaktaufnahme mit den Konsularbehörden und auf Benachrichtigung von Dritten wie Arbeitnehmer, Familienangehörige oder Freunde sowie das Recht auf spezifische Hilfe und Schutzmaßnahmen für verdächtige Personen, die einer besonderen Unterstützung bedürfen. Ferner ist ein Grünbuch über die Untersuchungshaft vorgesehen.

Im Stockholmer Programm fordert der Europäische Rat die Kommission auf, die in dem Fahrplan vorgesehenen Vorschläge vorzulegen, damit der Fahrplan rasch umgesetzt werden kann, weitere Elemente von Mindestverfahrensrechten in Bezug auf Beschuldigte und Verdächtige zu prüfen und zu bewerten, ob andere Themen, beispielsweise die Unschuldsvermutung, angegangen werden müssen, damit eine bessere Zusammenarbeit auf diesem Gebiet gefördert wird.

Im Juli 2009 unterbreitete die Kommission als erste Maßnahme des Fahrplans einen Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des Rates (KOM(2009)338), der ausschließlich dem Recht auf Verdolmetschung und Übersetzung in Strafverfahren gewidmet ist. Das Europäische Parlament wurde konsultiert, und ein Entwurf eines Berichts wurde von der derzeitigen Berichterstatterin vorgelegt (2009/0101 – PR/793491 – PE 430.359v01-00), der jedoch aufgrund des Inkrafttretens des Vertrags von Lissabon nicht weiterbehandelt wurde. Es handelt sich bedauerlicherweise um einen minimalistischen Ansatz, was die demokratische Beteiligung betrifft: Das Europäische Parlament wurde weder zum Fahrplan konsultiert noch zu der Entschließung zur praktischen Umsetzung des Rahmenbeschlusses über die sprachbezogenen Rechte.

Aus praktischen Gründen war die Kommission nicht in der Lage, im Dezember 2009 einen frühzeitigen Vorschlag für eine Richtlinie über die Rechte auf Dolmetschleistungen und auf Übersetzungen in Strafverfahren zu unterbreiten, so dass eine Gruppe von Mitgliedstaaten den Vorschlag (PE-CONS 1/10) einbrachte, dessen Inhalt die Vereinbarung von 27 Regierungen vom Oktober 2009 über den Rahmenbeschluss, der mit der damals erforderlichen Einstimmigkeit angenommen wurde, widerspiegelt.

Standpunkt der Berichterstatterin

Die kriminalpolizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in der EU entwickelt sich in einer unausgewogenen Weise: Den Erfordernissen der Strafverfolgung und Rechtsdurchsetzung wird Vorrang gegenüber den Verteidigungsrechten eingeräumt und das Fehlen wirksamer Verfahrensrechte des Einzelnen gegenüber dem jeweiligen Justizsystem, das er möglicherweise nur schlecht versteht, stellt eine Lücke dar, die geschlossen werden muss.

Daher werden die neuen Vorstöße zugunsten der Verfahrensrechte begrüßt. Auch wenn dieses schrittweise Vorgehen die zweitbeste Lösung ist, so ist dies doch besser, als untätig zu bleiben. Es ist von wesentlicher Bedeutung, die Dynamik aufrechtzuerhalten. Dies bedeutet nicht nur, dass der Fahrplan abgeschlossen werden muss, sondern auch, dass in naher Zukunft das Vertrauen weiter gestärkt werden muss und Maßnahmen zum Ausbau der Rechte ergriffen werden müssen. Das Recht ausländischer Beschuldigter auf Gewährung einer Kaution ohne Diskriminierung sollte dringend Priorität genießen. Alle Vorschläge des Fahrplans sollten so bald wie möglich vorgelegt werden, denn Verfahrensrechte sind eng miteinander verbunden. Beispielsweise kann das Recht auf effektive Übersetzungen und Dolmetschleistungen durch unzureichende Informationen über die Rechte oder die mangelnde Verfügbarkeit eines unverzüglichen und kostenlosen rechtlichen Beistands beeinträchtigt werden. Zusätzliche Kosten, die den Mitgliedstaaten durch die Richtlinie entstehen werden, sind die nicht reduzierbaren Kosten für die Gewährleistung eines fairen Verfahrens und die Vermeidung gerichtlicher Fehlentscheidungen. Ferner werden diese Kosten in jedem Fall kompensiert durch eine geringere Zahl von kostenintensiven Rechtsmittelverfahren und geringere Verzögerungen. Eine Entschließung über bewährte Verfahren, die zu dieser Richtlinie angenommen werden könnte, sollte wirksame praktische Maßnahmen beinhalten, die die Umsetzung der in der Richtlinie niedergelegten Rechte stärken werden.

Die Einhaltung der in der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte (EMRK) festgelegten Standards muss die Grundlage für das gegenseitige Vertrauen bilden, von dem die gegenseitige Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Strafsachen in der EU abhängt, und die Mindeststandards sichern, die kein EU-Mitgliedstaat unterschreiten darf. Die Rechte in dieser Richtlinie stützen sich daher auf Artikel 5 (Recht auf Freiheit und Sicherheit) und Artikel 6 (Recht auf ein faires Verfahren) der Konvention. Obwohl es Situationen gibt, auf die Artikel 5 Anwendung findet, diese EU-Maßnahme jedoch nicht –beispielsweise auf die Unterbringung psychisch Kranker – ist es angebracht, auf ihn hinzuweisen. In Artikel 5 ist das Recht verankert, wonach die Freiheit nur „auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise” entzogen werden kann. Daher ist sein Anwendungsbereich nicht auf das beschränkt, was im Gericht geschieht. Dies findet seinen Niederschlag in der Anwendung dieser Richtlinie auf die Vernehmung im Vorverfahren.

Da die EU die Errichtung eines einheitlichen Rechtsraums mit gemeinsamen Regeln und einer intensiven Zusammenarbeit anstrebt, müssen diese Richtlinie und weitere Maßnahmen, die sich an sie anschließen, nicht nur im Einklang mit der EMRK stehen, sondern auch in Übereinstimmung mit der Charta der Grundrechte der EU auf ihr aufbauen, um die Standards der EU für den Schutz von Verdächtigen und Beschuldigten auf ein höheres Niveau anzuheben.

Im Rahmen dieses Berichts werden verschiedene Änderungen am Vorschlag der Mitgliedstaaten vorgenommen, die unter anderem Folgendes betreffen:

- Bezugnahme auf die Charta der Grundrechte der EU sowie auf die EMRK;

- Anwendbarkeit der Rechte, die nicht nur dadurch ausgelöst wird, dass eine Person vernommen oder festgenommen wird, sondern auch dadurch, dass ihr klar ist, dass sie unter Verdacht steht, ohne dass ihr dies von den Behörden mitgeteilt wird;

- Ausweitung der Rechte auf alle Verfahrensphasen, einschließlich der Verurteilung, Rechtsmittelverfahren und Haft, bis das Strafverfahren rechtskräftig abgeschlossen ist;

- Klarstellung, dass der Verdächtige schriftlich auf seine Rechte hingewiesen werden sollte;

- Ausweitung der dem Ausgleich für einen Mangel an sprachlichen Fähigkeiten dienenden Unterstützung auf alle Personen mit physischen oder psychischen Gebrechen;

- Dolmetschleistungen für die Kontakte zwischen dem Verdächtigen und seinem Rechtsanwalt und Übersetzung des rechtlichen Beistands;

- die Übersetzung schriftlicher Unterlagen schließt alle wesentlichen Verfahrensunterlagen ein;

- die Einlegung von Rechtsmitteln bei einem Gericht und die Einrichtung eines Beschwerdemechanismus;

- Hinzufügung von Bestimmungen über die Schulung, Qualifizierung und Registrierung von Dolmetschern und Übersetzern;

- Hinzufügung weiterer Schutzmaßnahmen in Bezug auf die Aufzeichnungen, die Gewährung angemessener Zeiträume und Einrichtungen sowie Verfahrensfristen, die dem Bedarf an Dolmetschleistungen und Übersetzungen Rechnung tragen.

VERFAHREN

Titel

Rechte auf Dolmetschleistungen und auf Übersetzungen in Strafverfahren

Bezugsdokumente - Verfahrensnummer

00001/2010 – C7-0005/2010 – 2010/0801(COD)

Federführender Ausschuss

       Datum der Bekanntgabe im Plenum

LIBE

8.2.2010

Mitberatende(r) Ausschuss/Ausschüsse

       Datum der Bekanntgabe im Plenum

JURI

8.2.2010

 

 

 

Nicht abgegebene Stellungnahme(n)

       Datum des Beschlusses

JURI

8.3.2010

 

 

 

Berichterstatter(-in/-innen)

       Datum der Benennung

Baroness Sarah Ludford

26.1.2010

 

 

Prüfung im Ausschuss

17.3.2010

10.6.2010

 

 

Datum der Annahme

10.6.2010

 

 

 

Ergebnis der Schlussabstimmung

+:

–:

0:

38

1

0

Zum Zeitpunkt der Schlussabstimmung anwesende Mitglieder

Jan Philipp Albrecht, Sonia Alfano, Emine Bozkurt, Simon Busuttil, Carlos Coelho, Agustín Díaz de Mera García Consuegra, Cornelia Ernst, Tanja Fajon, Hélène Flautre, Kinga Gál, Sylvie Guillaume, Anna Hedh, Salvatore Iacolino, Sophia in ‘t Veld, Teresa Jiménez-Becerril Barrio, Juan Fernando López Aguilar, Baroness Sarah Ludford, Monica Luisa Macovei, Nuno Melo, Claude Moraes, Carmen Romero López, Birgit Sippel, Csaba Sógor, Rui Tavares, Axel Voss, Tatjana Ždanoka

Zum Zeitpunkt der Schlussabstimmung anwesende Stellvertreter(innen)

Edit Bauer, Andrew Henry William Brons, Anna Maria Corazza Bildt, Ioan Enciu, Ana Gomes, Stanimir Ilchev, Mariya Nedelcheva, Zuzana Roithová, Ernst Strasser, Kyriacos Triantaphyllides, Rainer Wieland, Cecilia Wikström

Zum Zeitpunkt der Schlussabstimmung anwesende Stellv. (Art. 187 Abs. 2)

George Lyon, Diana Wallis

Datum der Einreichung

11.6.2010