BERICHT über den Antrag auf Schutz der Immunität und der Vorrechte von Valdemar Tomaševski

29.6.2010 - (2010/2047(IMM))

Rechtsausschuss
Berichterstatter: Bernhard Rapkay

Verfahren : 2010/2047(IMM)
Werdegang im Plenum
Entwicklungsstadium in Bezug auf das Dokument :  
A7-0214/2010
Eingereichte Texte :
A7-0214/2010
Aussprachen :
Angenommene Texte :

VORSCHLAG FÜR EINEN BESCHLUSS DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS

über den Antrag auf Schutz der Immunität und der Vorrechte von Valdemar Tomaševski

2010/2047(IMM)

Das Europäische Parlament,

–   befasst mit einem dem Präsidenten des Europäischen Parlaments von Valdemar Tomaševski am 2. Februar 2010 übermittelten und am 24. März 2010 im Plenum bekannt gegebenen Antrag auf Schutz seiner Immunität,

–   nach Anhörung von Valdemar Tomaševski gemäß Artikel 7 Absatz 3 seiner Geschäftsordnung,

–   gestützt auf Artikel 8 und 9 des Protokolls (Nr. 7) über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Union im Anhang zu den Verträgen und auf Artikel 6 Absatz 2 des Aktes vom 20. September 1976 zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Mitglieder des Europäischen Parlaments,

–   in Kenntnis des am 28. September 2005 angenommenen Abgeordnetenstatuts des Europäischen Parlaments,

–   gestützt auf Artikel 6 Absatz 2 und Artikel 7 seiner Geschäftsordnung,

–   in Kenntnis des Berichts des Rechtsausschusses (A7-0214/2010),

A. in der Erwägung, dass Valdemar Tomaševski Mitglied des Europäischen Parlaments ist,

B.  in der Erwägung, dass Valdemar Tomaševski nicht im Sinne von Artikel 8 des Protokolls gerichtlich verfolgt wird und es sich deshalb nicht um einen Fall parlamentarischer Immunität handelt,

C. in der Erwägung, dass dem Verhaltenskodex für Politiker der Republik Litauen, der per Gesetz vom 19. September 2006 (N.X-816) festgelegt wurde und dessen Einhaltung von der Obersten Kommission für Dienstethik der Republik Litauen, einem per Gesetz vom 1. Juli 2008 (N.X-1777) eingesetzten politischen Organ, garantiert wird, zu entnehmen ist, dass er auch für in Litauen gewählte europäische Abgeordnete gilt,

     D. in der Erwägung, dass am 22. Januar 2010 die Oberste Kommission für Dienstethik der Republik Litauen auf der Grundlage dieses Verhaltenskodexes einen Beschluss bezüglich einer „öffentlichen Abmahnung“ von Valdemar Tomaševski wegen seiner politischen Betätigung in seiner Eigenschaft als europäischer Abgeordneter gefasst hat;

E.   in der Erwägung, dass es in Artikel 2 des Abgeordnetenstatuts des Europäischen Parlaments[1] heißt: „Die Abgeordneten sind frei und unabhängig”,

F.  in Erwägung des Grundsatzes des Vorrangs des Unionsrechts,

G. in der Erwägung, dass der betreffende Beschluss sowie die Rechtsvorschriften der Republik Litauen, auf die er sich stützt, einen Verstoß gegen Unionsrecht darstellen, da sie die in Artikel 2 des Abgeordnetenstatuts verankerten Prinzipien der Freiheit und Unabhängigkeit des europäischen Abgeordneten nicht respektieren;

H. in der Erwägung, dass es der Europäischen Kommission als Hüterin der Verträge obliegt, auf der Grundlage von Artikel 258 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Republik Litauen einzuleiten,

1.  fordert die Europäische Kommission auf, bei den litauischen Behörden zu intervenieren, damit das Recht der Europäischen Union eingehalten wird, und gegebenenfalls das in Artikel 258 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union vorgesehene Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten;

2.  beauftragt seinen Präsidenten, diesen Beschluss und den Bericht seines zuständigen Ausschusses unverzüglich der Europäischen Kommission und den zuständigen Behörden der Republik Litauen zu übermitteln.

  • [1]  ABl. L 262 vom 7.10.2005, S. 1.

BEGRÜNDUNG

I.    HINTERGRUND

Am 2. Februar 2010 richtete Valdemar Tomaševski, Mitglied des Europäischen Parlaments, ein Schreiben an den Präsidenten des Europäischen Parlaments, in dem er beantragte, die Unabhängigkeit seines Mandats als Abgeordneter des Europäischen Parlaments zu schützen, die durch die Abmahnung der vom Parlament der Republik Litauen abhängigen Obersten Kommission für Dienstethik der Republik Litauen vom 22. Januar 2010 verletzt worden sei.

Am 24. März 2010 gab der Präsident des Parlaments den Eingang des Antrags von Herrn Tomaševski bekannt. Gemäß Artikel 6 Absatz 3 der Geschäftsordnung wurde der Antrag dann an den zuständigen Ausschuss, d. h. den Rechtsausschuss, überwiesen.

Die Oberste Kommission für Dienstethik der Republik Litauen hatte am 22. Januar 2010 befunden:

„dass unbeschadet des Rechts des Mitglieds des Europäischen Parlaments Valdemar Tomaševski auf freie Meinungsäußerung und Verteidigung der Rechte nationaler Minderheiten das in der Öffentlichkeit gezeigte Verhalten von Valdemar Tomaševski, Bürger der Republik Litauen, politischer Verantwortungsträger, Vorsitzender einer im Parlament vertretenen Partei in Litauen, und die von ihm gewählte Form des Handelns keinen Respekt gegenüber dem Staat und den Bürgern erkennen lassen, nicht dem Gleichheitsgrundsatz entsprechen und nicht zur Erhöhung des Vertrauens in den Staat und seine Institutionen beitragen“.

           Die Oberste Kommission für Dienstethik der Republik Litauen hat diese Entscheidung erlassen, nachdem sie am 5. November 2009 von der Vereinigung „Lietuvos Sąjūdis“ wegen öffentlicher Äußerungen von Valdemar Tomaševski, Mitglied des Europäischen Parlaments (ECR-Fraktion) und Vorsitzender der Partei „Lietuvos lenkų rinkimų akcija“ (einer im Parlament vertretenene Partei), über eine angebliche Diskriminierung der Polen in der Republik Litauen angerufen worden war. Der Vereinigung „Lietuvos Sajūdis“ zufolge habe sich Valdemar Tomaševski bei einer Sitzung der ECR-Fraktion im Europäischen Parlament am 7. September 2009 bei José Manuel Barroso, Präsident der Europäischen Kommission, über die Lage der Polen in Litauen beschwert. Ferner habe er sich mit anderen Europaabgeordneten polnischer Nationalität vor dem offiziellen Besuch des Präsidenten des Europäischen Parlaments Jerzy Buzek in Litauen an diesen gewandt und den Schutz der angeblich verletzten Rechte der polnischen Minderheit gefordert.

           Diese Entscheidung der Obersten Kommission für Dienstethik der Republik Litauen, die im Internet auf der Website www.vtek.lt veröffentlicht wurde, ist endgültig und nicht anfechtbar.

Rechtsgrundlage der Entscheidung sind:

· Artikel 17 Punkt 4 des Gesetzes über die Oberste Kommission für Dienstethik der Republik Litauen (N.X-1777),

· Artikel 6 Absatz 2, Artikel 9 Absatz 1 Punkt 2 sowie Artikel 9 Absatz 3 des Verhaltenskodex für Politiker der Republik Litauen (N.X-816).

II.       BEGRÜNDUNG FÜR DEN VORGESCHLAGENEN BESCHLUSS

Mit der Entscheidung der Obersten Kommission für Dienstethik der Republik Litauen wurde Herrn Valdemar Tomaševski auf der Grundlage des Verhaltenskodex für Politiker der Republik Litauen, errichtet durch ein Gesetz der Republik Litauen vom 19. September 2006 (N.X-816), eine öffentliche Abmahnung wegen Äußerungen erteilt, die das Mitglied des Europäischen Parlaments im Rahmen seiner Arbeit als Abgeordneter getan hat.

Da die Kommission kein Gericht darstellt und deshalb nicht davon die Rede sein kann, dass gegen Herrn Valdemar Tomaševski ein Ermittlungsverfahren im Sinne von Artikel 8 des Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Union eingeleitet wurde, handelt es sich hier nicht um einen Fall der parlamentarischen Immunität.

In Artikel 2 des Abgeordnetenstatuts des Europäischen Parlaments ist festgelegt: „Die Abgeordneten sind frei und unabhängig.“ In demselben Sinne wird in Artikel 3 bekräftigt: „1. Die Abgeordneten geben ihre Stimmen einzeln und persönlich ab. Sie sind weder an Aufträge noch an Weisungen gebunden. 2. Vereinbarungen über die Art und Weise der Ausübung des Mandats sind nichtig.“

Daraus geht eindeutig hervor, dass die Entscheidung der Obersten Kommission für Dienstethik einen Verstoß gegen die Grundsätze der Freiheit und Unabhängigkeit der Abgeordneten darstellt, die im Statut der Abgeordneten des Europäischen Parlaments, das wiederum einen Bestandteil des Unionsrechts darstellt, anerkannt werden, da die Tatsche, dass die litauische Gesetzgebung der Obersten Kommission für Dienstethik die Befugnis überträgt, die Tätigkeit der in Litauen gewählten Mitglieder des Europäischen Parlaments zu überwachen, einen Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht darstellt.

Es obliegt daher der Europäischen Kommission als Hüterin der Verträge und einziges Organ, das zur Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens befugt ist, auf der Grundlage von Artikel 258 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union ein solches Verfahren gegen die Republik Litauen einzuleiten.

Der Rechtsausschuss spricht sich daher dafür aus, die Europäische Kommission aufzufordern, bei den litauischen Behörden darauf zu dringen, dass das Recht der Europäischen Union respektiert wird, und gegebenenfalls das in Artikel 258 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union vorgesehene Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten.

III.      FAZIT

Auf der Grundlage der obenstehenden Erwägungen empfiehlt der Rechtsausschuss, die Europäische Kommission aufzufordern, bei den litauischen Behörden darauf zu dringen, dass das Recht der Europäischen Union respektiert wird, und gegebenenfalls das in Artikel 258 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union vorgesehene Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten.

ERGEBNIS DER SCHLUSSABSTIMMUNG IM AUSSCHUSS

Datum der Annahme

23.6.2010

 

 

 

Ergebnis der Schlussabstimmung

+:

–:

0:

9

0

0

Zum Zeitpunkt der Schlussabstimmung anwesende Mitglieder

Luigi Berlinguer, Sebastian Valentin Bodu, Gerald Häfner, Klaus-Heiner Lehne, Bernhard Rapkay, Evelyn Regner, Francesco Enrico Speroni, Zbigniew Ziobro, Tadeusz Zwiefka

Zum Zeitpunkt der Schlussabstimmung anwesende Stellvertreter(innen)

Vytautas Landsbergis