BERICHT über einen Raketenschild für Europa und seine politischen und strategischen Folgen
14.2.2014 - (2013/2170(INI))
Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten
Berichterstatter: Sampo Terho
ENTWURF EINER ENTSCHLIESSUNG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS
zu einem Raketenschild für Europa und seinen politischen und strategischen Folgen
Das Europäische Parlament,
– gestützt auf Artikel 42 Absatz 7 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) und Artikel 222 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV),
– gestützt auf Artikel 24 und Artikel 42 Absatz 2 EUV, Artikel 122 und 196 AEUV und auf Erklärung 37 zu Artikel 222 AEUV,
– unter Hinweis auf die Europäische Sicherheitsstrategie, die am 12. Dezember 2003 vom Europäischen Rat angenommen wurde, und auf den Bericht über ihre Umsetzung, der am 11. und 12. Dezember 2008 vom Europäischen Rat gebilligt wurde,
– unter Hinweis auf die Strategie der inneren Sicherheit der Europäischen Union, die am 25. und 26. März 2010 vom Europäischen Rat angenommen wurde,
– unter Hinweis auf die Schlussfolgerungen des Rates vom 19. Dezember 2013 zur Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik,
– unter Hinweis auf das Strategische Konzept für die Verteidigung und Sicherheit der Mitglieder der Nordatlantikvertrags-Organisation, verabschiedet auf dem NATO-Gipfel in Lissabon am 19. und 20. November 2010,
– unter Hinweis auf die von den Staats- und Regierungschefs, die an der Tagung des Nordatlantikrats am 20. Mai 2012 teilgenommen haben, abgegebene Gipfelerklärung von Chicago,
– gestützt auf Artikel 48 seiner Geschäftsordnung,
– in Kenntnis des Berichts des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten (A7-0109/2014),
A. in der Erwägung, dass die Frage der Abwehr ballistischer Flugkörper (BMD – Ballistic Missile Defence) bereits in der Vergangenheit angesprochen wurde, in den letzten Jahren jedoch angesichts der stärkeren Bedrohung durch die Verbreitung von Kernwaffen und anderen Massenvernichtungswaffen sowie die Verbreitung von ballistischen Flugkörpern, auf die die Nordatlantik-Vertragsorganisation (NATO) und ihre europäischen Verbündeten effektiv reagieren können müssen, an Aktualität gewonnen hat;
B. in der Erwägung, dass die Abwehr von Angriffen mit ballistischen oder sonstigen Raketen im Hinblick auf die Dynamik der internationalen Sicherheitslage insoweit eine positive Entwicklung für die Sicherheit Europas darstellen kann, als mehrere staatliche und nichtstaatliche Akteure Raketentechnologien und verschiedene Kapazitäten im Bereich der chemischen, biologischen, radiologischen und nuklearen Verteidigung (CBRN) entwickeln, die das Potenzial haben, europäisches Hoheitsgebiet zu erreichen;
C. in der Erwägung, dass die NATO ihre Fähigkeit zur Abwehr ballistischer Flugkörper entwickelt, um ihre Kernaufgabe der kollektiven Verteidigung mit dem Ziel, allen europäischen Bevölkerungen, Hoheitsgebieten und Streitkräften, die Mitglied der NATO sind, vollen Schutz vor der wachsenden Bedrohung durch die Verbreitung von ballistischen Flugkörpern zu bieten, wahrzunehmen;
D. in der Erwägung, dass der wesentliche Beitrag der Vereinigten Staaten zur Abwehr ballistischer Flugkörper eine Bestätigung ihres NATO-Engagements und der Sicherheit Europas und der europäischen Verbündeten darstellt, sowie unter Hervorhebung der Bedeutung des transatlantischen Bündnisses und der Tatsache, dass in Rumänien bereits Anlagen installiert sind und in naher Zukunft weitere Anlagen in Polen hinzukommen sollen;
E. in der Erwägung, dass sich die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik in vollständiger Komplementarität mit der NATO im vereinbarten Rahmen der strategischen Partnerschaft EU-NATO weiterentwickeln wird, wie am 19. Dezember 2013 vom Europäischen Rat bestätigt wurde;
1. ist der Auffassung, dass die Entwicklung und Implementierung von Technologien zur Abwehr ballistischer Flugkörper der europäischen Sicherheit eine neue Dynamik verleihen, was dazu führt, dass die Mitgliedstaaten berücksichtigen müssen, welche Auswirkungen solche Technologien auf ihre Sicherheit haben;
2. erinnert daran, dass die Maßnahmen der NATO zur Abwehr ballistischer Flugkörper so konzipiert und konstruiert sind, dass sie der Verteidigung der NATO-Mitgliedstaaten gegen potenzielle Angriffe mit ballistischen Raketen dienen; fordert die Hohe Vertreterin/Vizepräsidentin dazu auf, auf eine strategische Partnerschaft mit der NATO hinzuarbeiten und dabei der Frage der Raketenabwehr Rechnung zu tragen, was dazu führen sollte, dass alle EU-Mitgliedstaaten vollständig erfasst und geschützt sind und eine Situation vermieden wird, bei der die ihnen gebotene Sicherheit sich in irgendeiner Weise unterscheiden würde;
3. begrüßt die erreichte Übergangsfähigkeit der NATO zur Abwehr ballistischer Flugkörper, die im Rahmen der verfügbaren Mittel Bevölkerungen, Gebieten und Streitkräften in den südeuropäischen NATO-Staaten einen maximalen Schutz vor Angriffen mit ballistischen Flugkörpern bietet; begrüßt ferner das Ziel der vollständigen Abdeckung und des vollständigen Schutzes der europäischen NATO-Mitgliedstaaten bis zum Ende des Jahrzehnts;
4. betont, dass die von der EU ergriffenen Initiativen wie Pooling & Sharing sich bei der Stärkung der Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten im Bereich des BMD-Programms als hilfreich erweisen können, insbesondere bei der Durchführung gemeinsamer Forschungs- und Entwicklungsarbeiten; weist darauf hin, dass eine solche Art der Zusammenarbeit auf lange Sicht auch zur Konsolidierung der europäischen Verteidigungsindustrie beitragen könnte;
5. fordert den Europäischen Auswärtigen Dienst, die Kommission, die Europäische Verteidigungsagentur und den Rat auf, das Thema Raketenabwehr in künftige Strategien, Studien und Weißbücher auf dem Gebiet der Sicherheit einzubeziehen;
6. betont, dass angesichts der Finanzkrise und der Haushaltskürzungen nicht genügend Ressourcen eingesetzt werden, um die Verteidigungsfähigkeit in ausreichendem Maße aufrechtzuerhalten, was geringere militärische und industrielle Kapazitäten der EU zur Folge hat;
7. hebt hervor, dass der BAMD-Plan der NATO in keiner Weise gegen Russland gerichtet ist und dass die NATO bereit ist, mit Russland zusammenzuarbeiten, und zwar auf der Grundlage einer Zusammenarbeit von zwei unabhängigen Raketenabwehrsystemen – dem der NATO und dem Russlands; betont, dass eine Zusammenarbeit mit Russland zwar deutliche Vorteile mit sich bringen könnte, diese aber auf uneingeschränkter Gegenseitigkeit und Transparenz basieren muss, da die Vertiefung des gegenseitigen Vertrauens für den schrittweisen Aufbau einer solchen Zusammenarbeit unabdingbar ist; weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass es kontraproduktiv ist, wenn russische Raketen näher an die NATO- und EU-Grenzen verlagert werden;
8. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Präsidenten des Europäischen Rates, der Vizepräsidentin der Kommission/Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, dem Rat, der Kommission, den Parlamenten der Mitgliedstaaten, der Parlamentarischen Versammlung der NATO und dem Generalsekretär der NATO zu übermitteln.
MINDERHEITENANSICHT
zu einem Raketenschild für Europa und seinen politischen und strategischen Folgen (2013/2170(INI))
Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten, Berichterstatter: Sampo Terho
Minderheitenansicht, eingereicht von MdEP Tarja Cronberg, Verts/ALE
Der Bericht begrüßt das Programm der NATO zur Abwehr ballistischer Flugkörper und fordert die EU auf, einen Beitrag dazu zu leisten. Ferner zielt er darauf ab, die Idee einer Verknüpfung der NATO-Raketenabwehr mit der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) der EU zu fördern.
Die Fraktion Verts/ALE lehnt diesen Bericht ab, da er darauf ausgerichtet ist,
– der Idee einer Beendigung der Unteilbarkeit der europäischen Sicherheit Vorschub zu leisten, indem verschiedene Schutzzonen gegen ankommende Flugkörper geschaffen werden;
– die Tatsache zu ignorieren, dass mit der Schaffung der NATO-Raketenabwehr ein neuer Rüstungswettlauf auf regionaler und internationaler Ebene sowie im Weltraum ausgelöst wird, was zu regionaler und globaler Instabilität und Unsicherheit führt;
– in Zeiten einer Finanz- und Wirtschaftskrise umfangreiche finanzielle und politische Investitionen in ein System zu rechtfertigen, dessen technische Zuverlässigkeit noch nicht bewiesen ist;
– das Raketenabwehrprojekt der NATO zu unterstützen, das mehr als 20 Milliarden Euro kosten und knappe finanzielle Ressourcen binden könnte, die besser in die Abrüstung, Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen und deren Trägersystemen, diplomatische Maßnahmen und sonstige nicht-militärische Strategien zur Verbesserung der Sicherheit Europas investiert werden sollten, wie etwa die Schaffung einer Zone im Nahen Osten, die von Massenvernichtungswaffen frei ist;
– den laufenden Prozess der Zusammenlegung und gemeinsamen Nutzung (Pooling & Sharing) zu unterlaufen und wichtige GSVP-Mittel von den in Artikel 42 EUV genannten Aufgaben abzuziehen, um sie für die Raketenabwehr zur Verfügung zu stellen;
– eine widersprüchliche Politik gegenüber Russland zu fördern, indem Russland im Allgemeinen eine Zusammenarbeit angeboten wird, ihm aber eine Integration in das Raketenabwehrsystem verweigert und gleichzeitig die Bedrohung durch (russische) Kurzstreckenraketen hervorgehoben wird; diese Herangehensweise könnte zu Problemen im Hinblick auf künftige Gespräche über nukleare Abrüstung zwischen den USA und Russland führen;
MINDERHEITENANSICHT
zu einem Raketenschild für Europa und seinen politischen und strategischen Folgen (2013/2170(INI))
Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten, Berichterstatter: Sampo Terho
Minderheitenbericht, eingereicht von MdEP Sabine Lösing im Namen der GUE/NGL-Fraktion
Dieser Bericht ist äußerst widersprüchlich: Einerseits wird darauf hingewiesen, dass ein Raketenabwehrschild ein „äußerst kostspieliges Vorhaben“ darstelle. Andererseits wird zugunsten eines solchen Vorhabens vorgebracht, dass es „berechtigte Gründe für einen Raketenabwehrschild“ gebe, obwohl dieser „ein falsches Gefühl von Sicherheit vermitteln könnte“. Im Bericht wird die Gefahr eines nuklearen Angriffs hervorgehoben („aber unter vielen anderen“).
Wir lehnen diesen Bericht ab, weil er ein irreführendes und widersprüchliches Bild der aktuellen Lage und des Streits über ein Raketenabwehrsystem, einen Schutzschild oder ein ähnliches Programm vermittelt, davor warnt, dass Kürzungen bei den Verteidigungsausgaben zu geringeren militärischen und industriellen Kapazitäten führen, und sich für ein kostspieliges, ineffizientes und offensives NATO-Militärsystem ausspricht.
Wir verlangen, dass alle Pläne für die Schaffung eines Raketenabwehrschilds aufgegeben werden, da ein solches System
– ein neues Wettrüsten beschleunigen und zu einer Militarisierung der Beziehungen zu Russland und anderen Staaten führen kann und daher für die Bevölkerungen der EU-Staaten eher eine Gefahr darstellt;
– zu einer Fehlallokation riesiger Summen führt, die dringend für Sozialausgaben, Entwicklungshilfe usw. benötigt werden.
Wir fordern:
– eine radikale Abrüstung (einschließlich CBRN-Material) auf EU-Ebene und weltweit;
– die Schaffung einer von Massenvernichtungswaffen freien Zone im Nahen Osten und Mittelmeerraum;
– keine Finanzierung von Militärausgaben aus dem EU-Haushalt;
– die strikte Einhaltung der Charta der Vereinten Nationen und des Völkerrechts bei allen durchgeführten Maßnahmen;
– eine strikte Trennung von EU und NATO (Auflösung der NATO)
ERGEBNIS DER SCHLUSSABSTIMMUNG IM AUSSCHUSS
Datum der Annahme |
11.2.2014 |
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Ergebnis der Schlussabstimmung |
+: –: 0: |
39 7 3 |
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Zum Zeitpunkt der Schlussabstimmung anwesende Mitglieder |
Sir Robert Atkins, Bastiaan Belder, Hiltrud Breyer, Elmar Brok, Michael Gahler, Marietta Giannakou, Andrzej Grzyb, Takis Hadjigeorgiou, Richard Howitt, Jelko Kacin, Tunne Kelam, Nicole Kiil-Nielsen, Andrey Kovatchev, Wolfgang Kreissl-Dörfler, Eduard Kukan, Vytautas Landsbergis, Krzysztof Lisek, Sabine Lösing, Marusya Lyubcheva, Willy Meyer, Francisco José Millán Mon, María Muñiz De Urquiza, Annemie Neyts-Uyttebroeck, Norica Nicolai, Raimon Obiols, Kristiina Ojuland, Ria Oomen-Ruijten, Justas Vincas Paleckis, Pier Antonio Panzeri, Ioan Mircea Paşcu, Tonino Picula, Bernd Posselt, Hans-Gert Pöttering, Cristian Dan Preda, José Ignacio Salafranca Sánchez-Neyra, Werner Schulz, Sophocles Sophocleous, Davor Ivo Stier, Charles Tannock, Eleni Theocharous, Geoffrey Van Orden, Sir Graham Watson, Boris Zala |
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Zum Zeitpunkt der Schlussabstimmung anwesende Stellvertreter(innen) |
Jörg Leichtfried, Doris Pack, Sampo Terho, Janusz Władysław Zemke |
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Zum Zeitpunkt der Schlussabstimmung anwesende Stellv. (Art. 187 Abs. 2) |
Ivari Padar, Dubravka Šuica |
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