BERICHT zu dem Antrag auf Aufhebung der Immunität von Béla Kovács
12.10.2015 - (2014/2044(IMM))
Rechtsausschuss
Berichterstatter: Tadeusz Zwiefka
VORSCHLAG FÜR EINEN BESCHLUSS DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS
zu dem Antrag auf Aufhebung der Immunität von Béla Kovács
Das Europäische Parlament,
– befasst mit einem von Dr. Péter Polt, ungarischer Generalstaatsanwalt, am 12. Mai 2014 übermittelten und am 3. Juli 2014 im Plenum bekannt gegebenen Antrag auf Aufhebung der Immunität von Béla Kovács im Zusammenhang mit von der ungarischen Generalstaatsanwaltschaft durchzuführenden Ermittlungen; unter Hinweis auf die ausführlicheren Erläuterungen von Dr. Péter Polt in seinen Schreiben vom 16. Oktober 2014 und 23. März 2015 und auf die mit ihm in der Sitzung des Rechtsausschusses vom 14. Juli 2015 geführte Aussprache,
– nach Anhörung von Herrn Kovács gemäß Artikel 9 Absatz 5 der Geschäftsordnung,
– unter Hinweis auf Artikel 9 des Protokolls (Nr. 7) über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Union und auf Artikel 6 Absatz 2 des Aktes vom 20. September 1976 zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Abgeordneten des Europäischen Parlaments,
– unter Hinweis auf die Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 12. Mai 1964, 10. Juli 1986, 15. und 21. Oktober 2008, 19. März 2010, 6. September 2011und 17. Januar 2013[1],
– unter Hinweis auf Artikel 4 Absatz 2 des ungarischen Grundgesetzes, § 10 Absatz 2 und § 12 Absatz 1 des Gesetzes LVII/2004 über die Rechtsstellung der ungarischen Mitglieder des Europäischen Parlaments sowie § 74 Absätze 1 und 3 des Gesetzes XXXVI/2012 über das ungarische Parlament,
– gestützt auf Artikel 5 Absatz 2, Artikel 6 Absatz 1 und Artikel 9 seiner Geschäftsordnung,
– unter Hinweis auf den Bericht des Rechtsausschusses (A8-0291/2015),
A. in der Erwägung, dass der ungarische Generalstaatsanwalt die Aufhebung der Immunität eines Mitglieds des Europäischen Parlaments, Béla Kovács, beantragt hat, damit auf der Grundlage eines begründeten Verdachts Ermittlungen durchgeführt werden können, um festzustellen, ob aufgrund des Straftatbestands der Spionage gegen Organe der Europäischen Union gemäß § 261/A des Gesetzes C/2012 über das ungarische Strafgesetzbuch Anklage gegen ihn erhoben wird; in der Erwägung, dass sich gemäß § 261/A jede Person strafbar im Sinne von § 261 macht, die für einen Drittstaat, der nicht Mitglied der EU ist, geheimdienstlichen Aktivitäten, die sich gegen das Europäische Parlament, die Europäische Kommission oder den Rat der Europäischen Union richten, nachgeht; in der Erwägung, dass sich gemäß § 261 Absatz 1 jede Person, die für eine ausländische Macht oder Organisation gegen Ungarn gerichteten geheimdienstlichen Aktivitäten nachgeht, einer Straftat schuldig macht, die mit Freiheitsstrafe zwischen zwei und acht Jahren bestraft wird;
B. in der Erwägung, dass gemäß Artikel 9 des Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Union den Mitgliedern des Europäischen Parlaments im Hoheitsgebiet ihres eigenen Staates die den Parlamentsmitgliedern zuerkannte Unverletzlichkeit zusteht;
C. in der Erwägung, dass die Mitglieder des ungarischen Parlaments gemäß Artikel 4 Absatz 2 des ungarischen Grundgesetzes Immunität genießen; in der Erwägung, dass die Mitglieder des Europäischen Parlaments gemäß § 10 Absatz 2 des Gesetzes LVII/2004 über die Rechtsstellung der ungarischen Mitglieder des Europäischen Parlaments die gleiche Immunität genießen wie die Mitglieder des ungarischen Parlaments; in der Erwägung, dass die Einleitung oder Fortführung eines Strafverfahrens oder einer Zwangsmaßnahme im Strafverfahren gegen ein Mitglied gemäß § 74 Absatz 1 des Gesetzes XXXVI/2012 über das ungarische Parlament der vorherigen Genehmigung des Parlaments bedürfen; in der Erwägung, dass der Antrag auf Aufhebung der Immunität gemäß § 74 Absatz 3 des gleichen Gesetzes vom Generalstaatsanwalt gestellt werden muss, damit die Ermittlungen aufgenommen werden können;
D. in der Erwägung, dass der Oberste Gerichtshof Ungarns in der Rechtssache Bf. I. 2782/2002 erklärt hat, dass sich die parlamentarische Immunität auf das Strafverfahren beschränkt und sich nicht auf Maßnahmen bezieht, die nicht durch die Strafprozessordnung geregelt sind und der Vorbeugung, Aufdeckung oder dem Nachweis einer Straftat dienen;
E. in der Erwägung, dass gemäß § 261/A des Gesetzes C/2012 über das ungarische Strafgesetzbuch die Tat, wegen der gegen Béla Kovács ermittelt werden kann, seit dem 1. Januar 2014 strafbar ist;
F. in der Erwägung, dass die Ermittlungen und eine möglicherweise folgende Anklage, für die die Aufhebung der Immunität beantragt wird, sich ausschließlich auf Ereignisse beziehen, die nach dem 1. Januar 2014 stattgefunden haben;
G. in der Erwägung, dass gemäß der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs Ungarns die Sammlung von Beweisen auf der Grundlage des Gesetzes CXXV/1995 über die ungarischen Sicherheitsbehörden vor diesem Datum rechtmäßig war und dass dafür keine Aufhebung der Immunität erforderlich war;
H. in der Erwägung, dass das Ermittlungsverfahren von der Generalstaatsanwaltschaft durchgeführt werden wird; in der Erwägung, dass der Generalstaatsanwalt und die Staatsanwaltschaft gemäß Artikel 29 Absatz 1 des ungarischen Grundgesetzes unabhängig sind, ihre verfassungsrechtlichen Aufgaben unabhängig von externen Organisationen durchführen und dabei den Grundsatz der Unschuldsvermutung achten;
I. in der Erwägung, dass die Aufhebung der Immunität von Béla Kovács den Voraussetzungen des Artikels 9 Absatz 6 der Geschäftsordnung unterliegen sollte;
J. in der Erwägung, dass das Parlament im vorliegenden Fall keine Anzeichen von fumus persecutionis gefunden hat, d. h. dass kein hinreichend ernster und konkreter Verdacht vorliegt, dass der Antrag auf Aufhebung der Immunität im Zusammenhang mit einem Verfahren gestellt wurde, dem die Absicht zugrunde liegt, dem betroffenen Mitglied politisch zu schaden;
1. beschließt, die Immunität von Béla Kovács aufzuheben;
2. beauftragt seinen Präsidenten, diesen Beschluss und den Bericht seines zuständigen Ausschusses unverzüglich der zuständigen ungarischen Behörde und Béla Kovács zu übermitteln.
BEGRÜNDUNG
1. Hintergrund
In der Sitzung vom 3. Juli 2014 gab der Präsident gemäß Artikel 9 Absatz 1 der Geschäftsordnung bekannt, dass er vom Generalstaatsanwalt Ungarns, Herrn Dr. Polt, einen Antrag auf Aufhebung der Immunität von Herrn Béla Kovács erhalten habe.
Gemäß Artikel 9 Absatz 1 der Geschäftsordnung überwies der Präsident diesen Antrag an den Rechtsausschuss.
Da das Europäische Parlament nicht in der Lage war, die als vertraulich deklarierte Anlage zu Herrn Dr. Polts erstem Schreiben zu akzeptieren, gab Herr Dr. Polt in seinen Schreiben vom 16. Oktober 2014 und 23. März 2015 ausführlichere Erklärungen ab, und in der Sitzung des Rechtsausschusses vom 14. Juli 2015 fand eine Aussprache mit ihm statt.
Die Aufhebung der Immunität von Béla Kovács wurde beantragt, damit auf der Grundlage eines begründeten Verdachts Ermittlungen durchgeführt werden können, um festzustellen, ob gegen ihn aufgrund des Straftatbestands der Spionage gegen die Organe der Europäischen Union Anklage gemäß § 261/A des Gesetzes C/2012 über das ungarische Strafgesetzbuch erhoben wird. Gemäß § 261/A macht sich jede Person, die für einen Drittstaat, der nicht Mitglied der EU ist, geheimdienstlichen Aktivitäten, die sich gegen das Europäische Parlament, die Europäische Kommission oder den Rat der Europäischen Union richten, nachgeht, im Sinne des § 261 strafbar. Gemäß § 261 Absatz 1 macht sich jede Person, die für eine ausländische Macht oder Organisation gegen Ungarn gerichteten geheimdienstlichen Aktivitäten nachgeht, einer Straftat schuldig, die mit Freiheitsstrafe zwischen zwei und acht Jahren bestraft wird.
Gemäß § 261/A des Gesetzes C/2012 über das ungarische Strafgesetzbuch ist die Tat wegen der gegen Béla Kovács Ermittlungen aufgenommen werden können, seit dem 1. Januar 2014 strafbar.
Gemäß den vom Generalstaatsanwalt vorgelegten Informationen wurden Herrn Kovács' heimliche Kontakte zu Mitgliedern des russischen Geheimdienstes erstmals im Jahr 2010 vom ungarischen Amt für Verfassungsschutz entdeckt, als dieses die Tätigkeiten bestimmter ausländischer Staatsangehöriger untersuchte. Gemäß der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs Ungarns war die Sammlung von Beweisen auf der Grundlage des Gesetzes CXXV/1995 über die ungarischen Sicherheitsbehörden vor dem 1. Januar 2014 rechtmäßig, und es war dafür keine Aufhebung der Immunität erforderlich.
Der Staatsanwalt machte deutlich, dass die Ermittlungen und eine möglicherweise folgende Anklage, für die die Aufhebung der Immunität beantragt wird, sich ausschließlich auf Ereignisse beziehen, die nach dem 1. Januar 2014 stattgefunden haben.
Es wird außerdem darauf hingewiesen, dass das Ermittlungsverfahren von der Generalstaatsanwaltschaft durchgeführt wird, und dass der Generalstaatsanwalt und die Staatsanwaltschaft gemäß Artikel 29 Absatz 1 des ungarischen Grundgesetzes unabhängig sind, ihre verfassungsrechtlichen Aufgaben unabhängig von externen Organisationen durchführen und dabei den Grundsatz der Unschuldsvermutung achten.
Herr Kovács macht geltend, dass er nicht für Handlungen, die er vor dem Inkrafttreten von § 261/A des Gesetzes C/2012 am 1. Januar 2014 begangen hat, belangt werden könne, weil in Artikel 49 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union gemäß dem allgemeinen Grundsatz nullum crimen sine lege festgelegt ist, dass niemand wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt werden darf, die zur Zeit ihrer Begehung nach innerstaatlichem oder internationalem Recht nicht strafbar war. Herr Kovács trägt außerdem vor, dass seine Aktivitäten im Jahr 2014 nicht unter § 261/A fielen.
Er erklärt weiter, dass die Überwachung seiner Person rechtswidrig gewesen sei, dass gegen den Grundsatz der Unschuldsvermutung verstoßen worden sei, dass § 118 Absatz 5 des Gesetzes CLXXXVI/2013, mit dem Spionage gegen die Organe der EU unter Strafe gestellt wurde, eigens dafür verabschiedet worden sei, um sein Verhalten für strafbar zu erklären, und dass die vertrauliche Behandlung des gesamten Falles rechtswidrig und unverhältnismäßig sei.
2. Rechts- und Verfahrensvorschriften zur Immunität von Mitgliedern des Europäischen Parlaments
Artikel 9 des Protokolls (Nr. 7) über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Union lautet folgendermaßen:
Artikel 9
Während der Dauer der Sitzungsperiode des Europäischen Parlaments
a. steht seinen Mitgliedern im Hoheitsgebiet ihres eigenen Staates die den Parlamentsmitgliedern zuerkannte Unverletzlichkeit zu,
b. können seine Mitglieder im Hoheitsgebiet jedes anderen Mitgliedstaats weder festgehalten noch gerichtlich verfolgt werden.
Die Unverletzlichkeit besteht auch während der Reise zum und vom Tagungsort des Europäischen Parlaments.
Bei Ergreifung auf frischer Tat kann die Unverletzlichkeit nicht geltend gemacht werden; sie steht auch nicht der Befugnis des Europäischen Parlaments entgegen, die Unverletzlichkeit eines seiner Mitglieder aufzuheben.
Da die Aufhebung der Immunität für Ungarn beantragt wurde, findet gemäß Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe a das ungarische Recht über die parlamentarische Immunität Anwendung. Gemäß Artikel 4 Absatz 2 des ungarischen Grundgesetzes genießen die Mitglieder des Parlaments Immunität. Gemäß § 10 Absatz 2 des Gesetzes LVII/2004 über die Rechtsstellung der ungarischen Mitglieder des Europäischen Parlaments genießen die Mitglieder des Europäischen Parlaments die gleiche Immunität wie die Mitglieder des ungarischen Parlaments, und gemäß § 74 Absatz 1 des Gesetzes XXXVI/2012 über das ungarische Parlament bedarf die Einleitung oder Fortführung eines Strafverfahrens oder einer Zwangsmaßnahme im Strafverfahren gegen ein Mitglied der vorherigen Genehmigung des Parlaments. Schließlich muss der Antrag auf Aufhebung der Immunität gemäß § 74 Absatz 3 vom Generalstaatsanwalt gestellt werden.
In Artikel 6 Absatz 1 und Artikel 9 der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments heißt es:
Artikel 6
Aufhebung der Immunität
1. Bei der Wahrnehmung seiner Befugnisse hinsichtlich der Vorrechte und Immunitäten handelt das Parlament so, dass es seine Integrität als demokratische gesetzgebende Versammlung bewahrt und die Unabhängigkeit seiner Mitglieder bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben sicherstellt. Jeder Antrag auf Aufhebung der Immunität wird gemäß den Artikeln 7, 8 und 9 des Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Union und nach den Grundsätzen dieses Artikels geprüft.
(...)
Artikel 9
Immunitätsverfahren
1. Jeder an den Präsidenten gerichtete Antrag einer zuständigen Behörde eines Mitgliedstaates, die Immunität eines Mitglieds aufzuheben, oder eines Mitglieds oder ehemaligen Mitglieds, Vorrechte und Immunität zu schützen, wird dem Plenum mitgeteilt und an den zuständigen Ausschuss überwiesen.
Das Mitglied oder ehemalige Mitglied kann durch ein anderes Mitglied vertreten werden. Der Antrag kann von einem anderen Mitglied nur mit Zustimmung des betroffenen Mitglieds gestellt werden.
2. Der Ausschuss prüft die Anträge auf Aufhebung der Immunität oder auf Schutz der Vorrechte und Immunitäten unverzüglich, aber unter Berücksichtigung ihrer relativen Komplexität.
3. Der Ausschuss unterbreitet einen Vorschlag für einen mit Gründen versehenen Beschluss, in dem die Annahme oder Ablehnung des Antrags auf Aufhebung der Immunität oder auf Schutz der Vorrechte und der Immunität empfohlen wird.
4. Der Ausschuss kann die betreffende Behörde um jede Information oder Auskunft ersuchen, die er für erforderlich hält, um sich eine Meinung darüber bilden zu können, ob die Immunität aufzuheben oder zu schützen ist.
5. Das betreffende Mitglied erhält die Möglichkeit, gehört zu werden, und kann alle
Schriftstücke vorlegen, die ihm in diesem Zusammenhang zweckmäßig erscheinen. Es kann sich durch ein anderes Mitglied vertreten lassen.
Das Mitglied ist während der Diskussionen über den Antrag auf Aufhebung oder Schutz seiner Immunität nicht anwesend, außer im Fall seiner eigenen Anhörung.
Der Vorsitz des Ausschusses lädt das Mitglied unter Angabe eines Datums und Zeitpunkts zur Anhörung. Das Mitglied kann auf das Anhörungsrecht verzichten.
Nimmt das Mitglied nicht an der Anhörung gemäß dieser Ladung teil, so wird davon ausgegangen, dass es auf das Anhörungsrecht verzichtet hat, es sei denn, das Mitglied hat unter Angabe von Gründen um Freistellung von der Anhörung zu diesem Datum und diesem Zeitpunkt gebeten. Der Vorsitz des Ausschusses entscheidet darüber, ob einem solchen Antrag auf Freistellung in Anbetracht der angegebenen Gründe stattzugeben ist; diesbezüglich sind keine Rechtsbehelfe zulässig.
Gibt der Vorsitz des Ausschusses dem Freistellungsantrag statt, lädt er das Mitglied zu einer Anhörung zu einem neuen Datum und Zeitpunkt. Kommt das Mitglied der zweiten Ladung zur Anhörung nicht nach, wird das Verfahren ohne die Anhörung des Mitglieds fortgesetzt. In diesem Fall können keine weiteren Anträge auf Freistellung oder Anhörung zugelassen werden.
(...)
7. Der Ausschuss kann eine mit Gründen versehene Stellungnahme zur Zuständigkeit der betreffenden Behörde und zur Zulässigkeit des Antrags abgeben, doch äußert er sich in keinem Fall zur Schuld oder Nichtschuld des Mitglieds bzw. zur Zweckmäßigkeit einer Strafverfolgung der dem Mitglied zugeschriebenen Äußerungen oder Tätigkeiten, selbst wenn er durch die Prüfung des Antrags umfassende Kenntnis von dem zugrunde liegenden Sachverhalt erlangt.
(...)
3. Begründung des vorgeschlagenen Beschlusses
Aufgrund des dargestellten Sachverhalts findet in diesem Fall Artikel 9 des Protokolls (Nr. 7) über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Union Anwendung.
Gemäß dieser Bestimmung steht den Mitgliedern im Hoheitsgebiet ihres eigenen Staates die den Parlamentsmitgliedern dieses Staates zuerkannte Unverletzlichkeit zu.
Um zu entscheiden, ob die parlamentarische Immunität eines Mitglieds aufgehoben wird, wendet das Parlament seine eigenen feststehenden Grundsätze an. Einer dieser Grundsätze besagt, dass die Immunität gewöhnlich aufgehoben wird, wenn der Tatbestand unter Artikel 9 des Protokolls (Nr. 7) fällt, vorausgesetzt, es liegt kein fumus persecutionis vor, d. h. kein hinreichend ernster und konkreter Verdacht, dass der Antrag gestellt wurde, um dem betroffenen Mitglied politisch zu schaden.
Nach einem Briefwechsel mit den nationalen Behörden, der Anhörung des betroffenen Mitglieds, dem Austausch schriftlicher Stellungnahmen, einer ausführlichen Diskussion im zuständigen Ausschuss und einer zusätzlich beantragten Aussprache mit dem Generalstaatsanwalt wird die Ansicht vertreten, dass in diesem Fall kein fumus persecutionis vorliegt.
Was insbesondere das Argument anbelangt, bei dem auf den Grundsatz nullum crimen sine lege Bezug genommen wurde, geht aus den Erläuterungen des Generalstaatsanwalts eindeutig hervor, dass die Ermittlungen und eine möglicherweise folgende Anklage, für die die Aufhebung der Immunität beantragt wird, sich ausschließlich auf Ereignisse beziehen, die nach dem 1. Januar 2014, d. h. dem Datum, an dem der § 261/A des Gesetzes C/2012 über das ungarische Strafgesetzbuch in Kraft getreten ist, stattgefunden haben. Außerdem sind der Generalstaatsanwalt und die Staatsanwaltschaft gemäß Artikel 29 Absatz 1 des ungarischen Grundgesetzes unabhängig, führen ihre verfassungsrechtlichen Aufgaben unabhängig von externen Organisationen aus und achten dabei den Grundsatz der Unschuldsvermutung. Zuletzt obliegt es nicht dem Parlament, im Rahmen eines Immunitätsaufhebungsverfahrens zu entscheiden, ob Herrn Kovács' Behauptung, dass seine Aktivitäten im Jahr 2014 nicht unter § 261/A fallen, gerechtfertigt ist.
Genauso scheinen Herrn Kovács' sonstigen Argumente, wonach ein fumus persecutionis vorliege, unbegründet zu sein oder das Ausmaß eines Verfahrens zur Aufhebung der parlamentarischen Immunität zu überschreiten.
Erstens ist seine Behauptung, dass die Überwachung seiner Person rechtswidrig gewesen sei, vor dem Hintergrund der bereits erwähnten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs Ungarns, wonach sich die parlamentarische Immunität auf das Strafverfahren beschränkt und sich nicht auf Maßnahmen erstreckt, die nicht durch die Strafprozessordnung geregelt sind und der Vorbeugung, Aufdeckung oder dem Nachweis einer Straftat dienen, für das Verfahren zur Aufhebung seiner Immunität irrelevant, insbesondere, da die angeblichen geheimen Kontakte zu Mitgliedern des russischen Geheimdienstes vom ungarischen Amt für Verfassungsschutz erstmals festgestellt wurden, als dieses den Tätigkeiten von bestimmten ausländischen Staatangehörigen und nicht explizit von Herrn Kovács nachging.
Zweitens stehen die Behauptungen, dass gegen die Unschuldsvermutung verstoßen worden sei, dass § 118 Absatz 5 des Gesetzes CLXXXVI/2013, mit dem Spionage gegen die Organe der EU für strafbar erklärt wurde, eigens verabschiedet wurde, um Herrn Kovács' Verhalten unter Strafe zu stellen, und dass die Geheimhaltung des ganzen Falles rechtswidrig und unverhältnismäßig sei, nicht dem Antrag auf Aufhebung der Immunität entgegen, der gestellt wurde, damit auf der Grundlage eines begründeten Verdachts ermittelt und festgestellt werden kann, ob Anklage gegen ihn erhoben wird.
Genauer betrachtet stellen diese Behauptungen lediglich Einwände oder Verteidigungsversuche in einem hypothetischen Strafverfahren dar, dass bislang nicht eingeleitet wurde und möglicherweise nie eingeleitet werden wird. Tatsächlich räumt Herr Kovács selbst ein, dass er offiziell nicht tatverdächtig ist. Es soll noch einmal darauf hingewiesen werden, dass die Tatsache, dass der Generalstaatsanwalt gemäß der Verfassung unabhängig ist und bei seinen Ermittlungen den Grundsatz der Unschuldsvermutung achtet, ausreicht, um jegliche Befürchtungen, es könnte sich um einen fumus persecutionis handeln, zu zerstreuen.
Abschließend ist zu betonen, dass mit der Aufhebung der Immunität keineswegs ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Mitglieds verbunden ist.
4. Ergebnis
Angesichts der vorstehenden Erwägungen sowie gemäß Artikel 9 Absatz 3 der Geschäftsordnung empfiehlt der Rechtsausschuss dem Europäischen Parlament, die parlamentarische Immunität von Herrn Béla Kovács aufzuheben.
ERGEBNIS DER SCHLUSSABSTIMMUNGIM FEDERFÜHRENDEN AUSSCHUSS
Datum der Annahme |
12.10.2015 |
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Ergebnis der Schlussabstimmung |
+: –: 0: |
14 2 2 |
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Zum Zeitpunkt der Schlussabstimmung anwesende Mitglieder |
Max Andersson, Joëlle Bergeron, Marie-Christine Boutonnet, Kostas Chrysogonos, Mady Delvaux, Laura Ferrara, Dietmar Köster, Gilles Lebreton, António Marinho e Pinto, Julia Reda, Evelyn Regner, Pavel Svoboda, József Szájer, Tadeusz Zwiefka |
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Zum Zeitpunkt der Schlussabstimmung anwesende Stellvertreter |
Heidi Hautala, Virginie Rozière |
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Zum Zeitpunkt der Schlussabstimmung anwesende Stellv. (Art. 200 Abs. 2) |
Birgit Collin-Langen, Péter Niedermüller |
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- [1] Urteil des Gerichtshofs vom 12. Mai 1964, Wagner/Fohrmann und Krier, 101/63, ECLI:EU:C:1964:28; Urteil des Gerichtshofs vom 10. Juli 1986, Wybot/Faure und andere, 149/85, ECLI:EU:C:1986:310; Urteil des Gerichts vom 15. Oktober 2008, Mote/Parlament, T-345/05, ECLI:EU:T:2008:440; Urteil des Gerichtshofs vom 21. Oktober 2008, Marra/De Gregorio und Clemente, C-200/07 und C-201/07, ECLI:EU:C:2008:579; Urteil des Gerichts vom 19. März 2010, Gollnisch/Parlament, T-42/06, ECLI:EU:T:2010:102; Urteil des Gerichtshofs vom 6. September 2011, Patriciello, C-163/10, ECLI: EU:C:2011:543; Urteil des Gerichts vom 17. Januar 2013, Gollnisch/Parlament, T-346/11 und T-347/11, ECLI:EU:T:2013:23.