BERICHT über den Antrag auf Aufhebung der Immunität von Jean-Marie Le Pen

12.6.2017 - (2017/2020(IMM))

Rechtsausschuss
Berichterstatterin: Evelyn Regner

Verfahren : 2017/2020(IMM)
Werdegang im Plenum
Entwicklungsstadium in Bezug auf das Dokument :  
A8-0217/2017
Eingereichte Texte :
A8-0217/2017
Aussprachen :
Abstimmungen :
Angenommene Texte :

VORSCHLAG FÜR EINEN BESCHLUSS DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS

über den Antrag auf Aufhebung der Immunität von Jean-Marie Le Pen

(2017/2020(IMM))

Das Europäische Parlament,

–  befasst mit einem von dem französischen Justizminister Jean-Jacques Urvoas am 22. Dezember 2016 übermittelten und am 16. Januar 2017 im Plenum bekannt gegebenen Antrag auf Aufhebung der Immunität von Jean-Marie Le Pen im Zusammenhang mit einem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft an der Cour d’appel von Paris,

–  nach Anhörung von Jean-Marie Le Pen gemäß Artikel 9 Absatz 6 seiner Geschäftsordnung,

–  gestützt auf die Artikel 8 und 9 des Protokolls (Nr. 7) über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Union und auf Artikel 6 Absatz 2 des Aktes vom 20. September 1976 zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Mitglieder des Europäischen Parlaments,

–  unter Hinweis auf die Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 12. Mai 1964, 10. Juli 1986, 15. und 21. Oktober 2008, 19. März 2010, 6. September 2011 und 17. Januar 2013[1],

–  unter Hinweis auf Artikel 26 der Verfassung der Französischen Republik,

–  gestützt auf Artikel 5 Absatz 2, Artikel 6 Absatz 1 und Artikel 9 seiner Geschäftsordnung,

–  unter Hinweis auf den Bericht des Rechtsausschusses (A8-0217/2017),

A.  in der Erwägung, dass die Generalstaatsanwaltschaft an der Cour d’appel von Paris im Zusammenhang mit strafrechtlichen Ermittlungen die Aufhebung der Immunität eines Mitglieds des Europäischen Parlaments, Jean-Marie Le Pen, beantragt hat;

B.  in der Erwägung, dass der Antrag der Generalstaatsanwaltschaft im Zusammenhang mit Vorwürfen steht, wonach Jean-Marie Le Pen während einer Radiosendung Äußerungen gemacht haben soll, die einer Aufstachelung zu Diskriminierung, Hass oder rassistischer Gewalt gleichkommen, was nach dem französischen Strafgesetzbuch eine Straftat darstellt;

C.  in der Erwägung, dass gemäß Artikel 26 der Verfassung der Französischen Republik „kein Mitglied des Parlaments […] wegen der in Ausübung seines Amtes vorgebrachten Meinungen oder Abstimmungen verfolgt, belangt, festgenommen, in Haft gehalten oder verurteilt werden [darf]“, und dass kein Mitglied des Parlaments ohne parlamentarische Genehmigung „wegen eines Verbrechens oder eines Vergehens verhaftet oder auf andere Weise seiner Freiheit beraubt oder in seiner Freiheit eingeschränkt werden [darf]“;

D.  in der Erwägung, dass die Mitglieder des Europäischen Parlaments gemäß Artikel 8 des Protokolls (Nr. 7) über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Union nicht wegen einer in Ausübung ihres Amtes erfolgten Äußerung oder Abstimmung in ein Ermittlungsverfahren verwickelt, festgenommen oder verfolgt werden dürfen;

E.  in der Erwägung, dass die parlamentarische Immunität gemäß Artikel 5 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung kein persönliches Vorrecht eines Mitglieds, sondern eine Garantie der Unabhängigkeit des Parlaments als Ganzes und seiner Mitglieder ist;

F.  in der Erwägung, dass die Bestimmungen über die parlamentarische Immunität im Lichte der Werte, Ziele und Prinzipien der Verträge auszulegen sind;

G.  in der Erwägung, dass sich diese absolute Immunität im Falle eines Mitglieds des Europäischen Parlaments nicht nur auf die von dem Mitglied in offiziellen Sitzungen des Parlaments geäußerten Meinungen, sondern auch auf andernorts – beispielsweise in den Medien – getätigte Äußerungen erstreckt, sofern ein „Zusammenhang zwischen der erfolgten Äußerung und der parlamentarischen Tätigkeit“ besteht[2];

H.  in der Erwägung, dass es keinen Zusammenhang zwischen der strittigen Äußerung und der parlamentarischen Tätigkeit von Jean-Marie Le Pen gibt und Jean-Marie Le Pen daher nicht in Ausübung seines Mandats als Mitglied des Europäischen Parlaments gehandelt hat;

I.  in der Erwägung, dass Mitgliedern des Europäischen Parlaments gemäß Artikel 9 des Protokolls Nr. 7 im Hoheitsgebiet ihres eigenen Staates die den Parlamentsmitgliedern zuerkannte Unverletzlichkeit zusteht;

J.  in der Erwägung, dass nur die in Artikel 9 vorgesehene Immunität aufgehoben werden kann[3];

K.  in der Erwägung, dass eine solche Immunität dem Schutz des Parlaments und seiner Mitglieder vor Gerichtsverfahren im Zusammenhang mit bei der Ausübung des parlamentarischen Amtes durchgeführten Tätigkeiten, die nicht von diesem Amt getrennt werden können, dient;

L.  in der Erwägung, dass bei Verfahren, die nicht die Ausübung des Amtes des Mitglieds betreffen, die Immunität aufgehoben werden sollte, es sei denn, das zugrunde liegende Verfahren ist von der Absicht getragen, die politische Tätigkeit des Mitglieds und damit die Unabhängigkeit des Parlaments zu beeinträchtigen (fumus persecutionis);

M.  in der Erwägung, dass es angesichts der in diesem Fall bereitgestellten umfassenden und ausführlichen Informationen keinen Grund gibt, anzunehmen, dass das Verfahren gegen Jean-Marie Le Pen von dem Bestreben geleitet ist, seiner politischen Tätigkeit als Mitglied des Europäischen Parlaments zu schaden;

1.  beschließt, die Immunität von Jean-Marie Le Pen aufzuheben;

2.  beauftragt seinen Präsidenten, diesen Beschluss und den Bericht seines zuständigen Ausschusses unverzüglich dem zuständigen Organ Frankreichs und Jean-Marie Le Pen zu übermitteln.

  • [1]    Urteil des Gerichtshofs vom 12 Mai 1964, Wagner/Fohrmann und Krier, 101/63, ECLI:EU:C:1964:28; Urteil des Gerichtshofs vom 10. Juli 1986, Wybot/Faure und andere, 149/85, ECLI:EU:C:1986:310; Urteil des Gerichts vom 15. Oktober 2008, Mote/Parlament, T-345/05, ECLI:EU:T:2008:440; Urteil des Gerichtshofs vom 21. Oktober 2008, Marra/De Gregorio und Clemente, C-200/07 und C-201/07, ECLI:EU:C:2008:579; Urteil des Gerichts vom 19. März 2010, Gollnisch/Parlament, T-42/06, ECLI:EU:T:2010:102; Urteil des Gerichtshofs vom 6. September 2011, Patriciello, C-163/10, ECLI: EU:C:2011:543; Urteil des Gerichts vom 17. Januar 2013, Gollnisch/Parlament, T-346/11 und T-347/11, ECLI:EU:T:2013:23.
  • [2]   Urteil Patriciello, a. a. O., Randnr. 33.
  • [3]   Urteil Marra, a. a. O., Randnr. 45.

ANGABEN ZUR ANNAHME IM FEDERFÜHRENDEN AUSSCHUSS

Datum der Annahme

12.6.2017

 

 

 

Ergebnis der Schlussabstimmung

+:

–:

0:

13

2

1

Zum Zeitpunkt der Schlussabstimmung anwesende Mitglieder

Joëlle Bergeron, Jean-Marie Cavada, Laura Ferrara, Lidia Joanna Geringer de Oedenberg, Mary Honeyball, Sajjad Karim, Sylvia-Yvonne Kaufmann, Gilles Lebreton, António Marinho e Pinto, Emil Radev, Julia Reda, Evelyn Regner, Pavel Svoboda, Axel Voss

Zum Zeitpunkt der Schlussabstimmung anwesende Stellvertreter

Antanas Guoga, Heidi Hautala, Virginie Rozière, Kosma Złotowski

Zum Zeitpunkt der Schlussabstimmung anwesende Stellv. (Art. 200 Abs. 2)

Dominique Bilde