BERICHT über die Empfehlung des Rates zur Ernennung des Vizepräsidenten der Europäischen Zentralbank
6.3.2018 - (N8-0053/2018 – C8-0040/2018 – 2018/0804(NLE))
Ausschuss für Wirtschaft und Währung
Berichterstatter: Roberto Gualtieri
VORSCHLAG FÜR EINEN BESCHLUSS DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS
über die Empfehlung des Rates zur Ernennung des Vizepräsidenten der Europäischen Zentralbank
(N8-0053/2018 – C8-0040/2018 – 2018/0804(NLE))
(Anhörung)
Das Europäische Parlament,
– unter Hinweis auf die Empfehlung des Rates vom 20. Februar 2018 (N8-0053/2018)[1],
– gestützt auf Artikel 283 Absatz 2 Unterabsatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, gemäß dem es vom Europäischen Rat angehört wurde (C8-0040/2018),
– gestützt auf Artikel 122 seiner Geschäftsordnung,
– unter Hinweis auf den Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Währung (A8‑0056/2018),
A. in der Erwägung, dass der Europäische Rat das Parlament mit Schreiben vom 22. Februar 2018 zur Ernennung von Luis de Guindos zum Vizepräsidenten der Europäischen Zentralbank für eine Amtszeit von acht Jahren ab 1. Juni 2018 konsultiert hat;
B. in der Erwägung, dass der Ausschuss für Wirtschaft und Währung die Qualifikationen des vorgeschlagenen Kandidaten bewertet hat, insbesondere im Hinblick auf die Erfordernisse nach Artikel 283 Absatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union und vor dem Hintergrund des Erfordernisses einer völligen Unabhängigkeit der EZB gemäß Artikel 130 jenes Vertrags; in der Erwägung, dass der Ausschuss im Laufe jener Bewertung einen Lebenslauf des Kandidaten und dessen Antworten auf den schriftlichen Fragenkatalog, der ihm übermittelt worden war, erhalten hat;
C. in der Erwägung, dass der Ausschuss im Anschluss daran am 26. Februar 2018 eine eineinviertelstündige Anhörung des Kandidaten durchgeführt hat, in der dieser eine einführende Erklärung abgegeben und dann Fragen der Ausschussmitglieder beantwortet hat;
D. in der Erwägung, dass das Parlament Bedenken hinsichtlich eines ausgeglichenen Verhältnisses der Geschlechter, des Auswahlverfahrens, des Zeitpunkts der Ernennung und der politischen Unabhängigkeit äußert und vom Rat verlangt, in einen Dialog mit dem Parlament über die Frage einzutreten,wie das Verfahren für bevorstehende Ernennungen verbessert werden kann;
1. gibt eine befürwortende Stellungnahme zu der Empfehlung des Rates ab, Luis de Guindos zum Vizepräsidenten der Europäischen Zentralbank zu ernennen;
2. beauftragt seinen Präsidenten, diesen Beschluss dem Europäischen Rat, dem Rat und den Regierungen der Mitgliedstaaten zu übermitteln.
- [1] ABl. C 67 vom 22.2.2018, S. 1.
ANLAGE 1: LEBENSLAUF VON LUIS DE GUINDOS
Luis de Guindos Jurado
Minister für Wirtschaft, Industrie und Wettbewerbsfähigkeit
Geburtsdatum: 16. Januar 1960
AUSBILDUNG
– BSc in Volkswirtschaftslehre des CUNEF, Colegio Universitario de Estudios Financieros – mit Auszeichnung abgeschlossen.
– Tecnico Comercial y Economista del Estado (Staatsökonom, Note „A“ Staatsprüfung, Bestnote in der Rangfolge)
BERUFLICHER WERDEGANG
Öffentlicher Sektor
– Minister für Wirtschaft, Industrie und Wettbewerbsfähigkeit (seit November 2016) Zuständig für die Bereiche Wirtschaft und Unternehmensförderung; Internationale Wirtschaftsbeziehungen; Makroökonomische Analyse; Spanisches Finanzministerium; Internationaler Handel und Internationale Investitionen; Forschung, Entwicklung und Innovation; und Industrie.
– Minister für Wirtschaft und Wettbewerbsfähigkeit (Dezember 2011-November 2016)
– Staatssekretär für Wirtschaftsangelegenheiten (2002-2004)
– Sekretär der Regierungskommission für Wirtschaftsangelegenheiten (2002-2004)
– Generalsekretär für Wirtschafts- und Wettbewerbspolitik (2000-2002)
– Generaldirektor für Wirtschafts- und Wettbewerbspolitik (1996-2000)
Besondere Ernennungen:
– Mitglied des Ecofin-Rats, der Eurogruppe und ständiger Gast der G20
– Mitglied des Gouverneursrats des ESM (seit 2012), des Internationalen Währungsfonds, der Weltbank, der Europäischen Investitionsbank, der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung, der Interamerikanischen Entwicklungsbank, der Afrikanischen Entwicklungsbank, der Zentralamerikanischen Bank für wirtschaftliche Integration, der Asiatischen Entwicklungsbank (seit 2011) und der Asiatischen Infrastruktur-Investitionsbank (seit 2017)
– Mitglied des EU-Wirtschafts- und Finanzausschusses (2002-2004)
– Stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Wirtschaftspolitik der EU (1996-2000)
– Leiter der spanischen Delegation des ECOFIN-Rats während der spanischen Präsidentschaft der EU (2002)
Privatwirtschaft
– Direktor der IE Business School und des PwC Center for the Finance Sector (März 2010 - Dezember 2011)
– PricewaterhouseCoopers, zuständig für Finanzdienstleistungen (Dezember 2008 - Dezember 2009)
– Nomura Securities, Chief Executive Officer (September 2008 - Dezember 2008)
– Lehman Brothers, Chief Executive Officer Iberia (April 2006 - September 2008)
– AB Asesores – Chief Executive Officer (1988-1996)
– Vorstandsmitglied von Endesa, S.A., Endesa Chile, Unedisa, Logista und BMN.
ANLAGE 2: ANTWORTEN VON LUIS DE GUINDOS AUF DEN FRAGEBOGEN
A. Persönlicher und beruflicher Werdegang
1. Bitte legen Sie die wichtigsten Aspekte Ihrer beruflichen Qualifikationen in Währungs-, Finanz- und Geschäftsangelegenheiten sowie die wesentlichen Aspekte Ihrer europäischen und internationalen Erfahrung dar.
Ich verfüge über einen BSc-Abschluss in Volks- und Betriebswirtschaftslehre der CUNEF, den ich mit Auszeichnung bestanden habe. Ferner habe ich in der Rangfolge der Staatsprüfung zum Staatsökonom und Handelsexperten die beste Note erhalten. Der Schwerpunkt meines akademischen Hintergrunds liegt auf Währungs-, Finanz-, Wirtschafts- und Geschäftsangelegenheiten.
Daneben habe ich zahlreiche Funktionen als öffentlicher Bediensteter wahrgenommen, unter anderem als Staatssekretär für Wirtschaftsangelegenheiten und Generalsekretär für Wirtschafts- und Wettbewerbspolitik. In diesen Funktionen hatte ich die Möglichkeit, mich an der Gestaltung der wirtschaftspolitischen Strategien zu beteiligen, die es Spanien ermöglicht haben, alle Voraussetzungen für den Eintritt in die Währungsunion zu erfüllen.
Seit 2011 bin ich Minister für Wirtschaft, Industrie und Wettbewerbsfähigkeit in Spanien. In dieser Rolle bin ich sowohl für das Finanzministerium als auch für die Ministerien für Wirtschaft und Unternehmensförderung, Internationale Wirtschaftsangelegenheiten, Makroökonomische Analyse, Internationale Investitionen und Internationaler Handel, Forschung, Entwicklung und Innovation sowie Industrie zuständig.
In dieser Position habe ich eine tiefgreifende Reform des spanischen Finanzsektors vorangetrieben, die unter anderem die Rekapitalisierung und Umstrukturierung des Systems sowie andere Maßnahmen beinhaltete, mit denen sichergestellt wird, dass jede künftige Abwicklung von Banken ohne Rückgriff auf Steuergelder vorgenommen wird. Viele dieser Maßnahmen wurden mittels des Finanzhilfeprogramms durchgeführt, das Spanien im Rahmen des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) gewährt wurde. Alle diese Maßnahmen haben die Wiederherstellung einer ordnungsgemäßen Funktionsweise des Finanzsystems ermöglicht, das den wichtigsten Aspekt für die wirksame Umsetzung der Geldpolitik darstellt.
Als Wirtschaftsminister vertrete ich Spanien außerdem im Rat für Wirtschaft und Finanzen der EU und in der Eurogruppe. Im Rahmen dieser Foren habe ich zum Aufbau der Wirtschafts- und Währungsunion beigetragen.
Des Weiteren bin ich ständiger Gast der G20 und Mitglied des Gouverneursrats des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), des Internationalen Währungsfonds, der Weltbank, der Europäischen Investitionsbank, der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung, der Interamerikanischen Entwicklungsbank, der Afrikanischen Entwicklungsbank, der Zentralamerikanischen Bank für wirtschaftliche Integration, der Asiatischen Entwicklungsbank und der Asiatischen Infrastruktur-Investitionsbank.
Nicht zuletzt habe ich auch für eine Reihe von Privatunternehmen im Finanzsektor (Verantwortlicher für Finanzdienstleistungen für PricewaterhouseCoopers, Chief Executive Officer Iberia für Lehman Brothers und Nomura Securities, Chief Executive Officer für AB Asesores) sowie im akademischen Sektor (Direktor der IE Business School und des PwC Centre for the Finance Sector) gearbeitet.
Außerdem bin ich Vorstandsmitglied von Endesa, S.A, Endesa Chile, Unedisa, Logista und BMN.
2. Verfügen Sie über Geschäfts- oder Kapitalanteile, oder haben Sie andere Verpflichtungen, die mit Ihren künftigen Aufgaben kollidieren könnten, oder gibt es andere relevante persönliche oder sonstige Faktoren, die das Parlament bei Ihrer Ernennung berücksichtigen muss?
Nein, ich habe keinerlei geschäftliche oder anderweitige Verpflichtungen, die mit meinen künftigen Aufgaben unvereinbar sein könnten. Ich verfüge lediglich über einen persönlichen Altersvorsorgevertrag und eine Beteiligung an einem offenen Investmentfonds. In beiden Fällen handelt es sich bei der Verwaltungsgesellschaft um Mutuactivos, den Investmentzweig eines Versicherungsunternehmens. Ich halte keine sonstigen finanziellen Vermögenswerte, weder direkt noch indirekt.
Darüber hinaus bin ich Eigentümer eines Hauses in Südspanien und besitze ein 50-prozentiges Eigentumsrecht an einer Wohnung in Madrid neben weiterem Grundvermögen, das ich von meinen Eltern geerbt habe.
Im Hinblick auf weitere persönliche Angaben, die für meine Position in der EZB relevant sein könnten, arbeitet meine 30 Jahre alte Tochter als Junior Risk Analyst in einer spanischen Privatkundenbank. Mein 26 Jahre alter Sohn arbeitet dagegen in der Investmentabteilung eines Versicherungsunternehmens.
3. Welche Leitziele gedenken Sie während Ihres Mandats bei der Europäischen Zentralbank zu verfolgen?
Ich werde das Mandat befolgen, das der Europäischen Zentralbank durch den Vertrag über die Europäische Union übertragen wurde: für Preisstabilität im gesamten Euro-Währungsgebiet zu sorgen und die allgemeine Wirtschaftspolitik in der Union zu unterstützen. Mein Beitrag zur EZB wird einen umfassenden und ganzheitlichen Ansatz bei der Entscheidungsfindung beinhalten, bei dem die Auswirkungen aller miteinander verflochtenen wirtschaftspolitischen Strategien berücksichtigt werden.
Bei der Verfolgung dieser Ziele werde ich mich genau an die maßgeblichen Leitprinzipien der EZB – Unabhängigkeit und Transparenz – halten, da die wirksame Durchsetzung einer effektiven Geldpolitik ohne sie nicht möglich wäre.
B. Geldpolitik der EZB
4. Wie sollte die EZB ihre Geldpolitik unter den derzeitigen makroökonomischen Bedingungen durchführen?
Zunächst ist daran zu erinnern, dass das Mandat der EZB darin besteht, die Inflationsrate auf mittlere Sicht unter, aber nahe 2 % zu halten.
Die derzeitige Wirtschaftserholung im gesamten Raum muss sich noch in einer anhaltenden Belebung der mittelfristigen Inflationsaussichten niederschlagen, die weiterhin gedämpft sind (die EZB geht von einer durchschnittlichen gemessenen Inflationsrate von 1,4 % im Jahr 2018 und 1,5 % im Jahr 2019 aus). Der zugrunde liegende Inflationsdruck ist nach wie vor moderat, während der Arbeitsmarkt weiterhin eine beträchtliche Flaute verzeichnet. Es wird Zeit brauchen, bis die beobachteten Verbesserungen der Beschäftigungssituation ihren Niederschlag in einem dynamischeren Lohnzuwachs finden. Darüber hinaus sind die derzeitigen Inflationsaussichten auf gewisse Weise weiterhin von den Anreizen der außergewöhnlichen Maßnahmen der EZB abhängig. Aus diesem Grund ist eine laufende Neubewertung der wirtschaftlichen und monetären Bedingungen des Euro-Währungsgebiets und der Auswirkungen der bislang durchgeführten Maßnahmen angebracht. Die EZB wird ihren derzeitigen geldpolitischen Kurs voraussichtlich beibehalten, bis der zugrunde liegende Inflationsdruck steigt und Hinweise auf eine anhaltende Anpassung der Inflation beobachtet werden. Daher sollte die EZB darauf vorbereitet sein, ihren Kurs erforderlichenfalls anzupassen, um ihr Mandat zu erfüllen.
Die EZB muss angesichts des derzeitigen Umfelds, das durch sehr niedrige Zinssätze und eine lockere geld- und finanzpolitische Lage geprägt ist, zudem aufmerksam auf eine eventuelle Entstehung unangemessener finanzieller Risiken achten.
5. Welche Auffassung vertreten Sie zur Heterogenität der geldpolitischen Rahmenbedingungen und des Zugangs zu Darlehen im Euro-Währungsgebiet und zu ihren Auswirkungen auf die einheitliche Geldpolitik der EZB?
Jedes Währungsgebiet von hinreichender Größe wird von Land zu Land bzw. Region zu Region naturgemäß immer eine gewisse Heterogenität der wirtschaftlichen Strukturen aufweisen. Das Euro-Währungsgebiet ist dabei keine Ausnahme.
Die EZB legt ihre Politik so fest, dass sie dem Euro-Währungsgebiet insgesamt dienlich ist. Wirtschaftliche Heterogenität erschwert die Durchführung der Geldpolitik. Je intensiver die zyklische und strukturelle Annäherung ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass die Geldpolitik für jeden Mitgliedstaat geeignet ist. Zuweilen kann die Politik der EZB für einige Mitgliedstaaten zu locker und für andere zu restriktiv sein. Dies war im Vorfeld der Krise der Fall. In einigen Ländern führten starke Zinssenkungen nach der Einführung des Euro zu untragbaren Entwicklungen, die mit wachsenden Ungleichgewichten einhergingen, welche die Krise später verschärften. In diesem Zusammenhang wurde die Diskrepanz der Wachstums- und Inflationsraten durch eine Geldpolitik angefacht, die nicht für alle Mitgliedstaaten geeignet war.
Die Heterogenität der geldpolitischen Bedingungen hängt von zahlreichen Faktoren ab, wobei die unterschiedliche Konjunkturlage aufgrund der verschiedenen Auswirkungen der Finanzkrise auf die einzelnen Volkswirtschaften und aufgrund des unterschiedlichen Tempos der wirtschaftlichen Erholung nach wie vor der wesentliche Faktor ist. Daneben spielen auch spezifische strukturelle Faktoren eine Rolle.
Während der Krise stellte das Zusammenspiel zwischen (a) grenzüberschreitenden Diskrepanzen der Haushaltslage und Stabilität des Bankensektors zwischen den einzelnen Ländern und (b) dem Fehlen einer wirklichen Fiskal- und Bankenunion eine zusätzliche Herausforderung dar. Alle diese Faktoren führten zu einer gewissen finanziellen Zersplitterung zwischen den einzelnen Ländern, die sich in der Tat nachteilig auf die Transmission der einheitlichen Geldpolitik auswirkte. In diesem Zusammenhang haben einige der außergewöhnlichen Maßnahmen der EZB im Zusammenhang mit der Krise (wie beispielsweise das Programm für die Wertpapiermärkte, der unbegrenzte Anleihekauf und die langfristigen Refinanzierungsgeschäfte) entscheidend dazu beigetragen, einen Teil dieser Zersplitterung zu korrigieren. Sie ist maßgeblich zurückgegangen, was sich beispielsweise daran zeigt, dass eine Annäherung der Refinanzierungskosten der Banken und anderer finanzieller Bedingungen zu verzeichnen ist. Somit hat die Geldpolitik dazu beigetragen, die Heterogenität abzumildern und es allen Volkswirtschaften zu ermöglichen, Rezession und Deflationsdruck zu bewältigen. Die Fortschritte auf dem Weg zu einer Bankenunion haben außerdem dazu beigetragen, die Verflechtung zwischen Banken und Staaten zu lockern.
Längerfristig sind weitere Anstrengungen erforderlich, um dem Ziel eines optimalen Währungsgebiets für das Euro-Währungsgebiet näher zu kommen, namentlich die Beschleunigung von Strukturreformen und der Aufbau eines finanzpolitischen Spielraums, um die Kapazitäten der einzelnen Volkswirtschaften zu erhöhen, sich an asymmetrische Schocks und die sich entwickelnden geldpolitischen Bedingungen anzupassen. Die Vertiefung der Integration, insbesondere im Finanzsektor, wird zur Verminderung der Heterogenität beitragen. Unter diesen Bedingungen werden die Volkswirtschaften stärker aufeinander abgestimmt und gleichzeitig besser dafür gerüstet sein, mit negativen Schocks umzugehen, was die Gesamtbelastung der Geldpolitik abbauen wird.
6. Wie sehen Sie den Anstieg der Bilanz des ESZB infolge des Programms zum Ankauf von Vermögenswerten (APP)?
Bedingt durch die Finanz- und Wirtschaftskrise hat die EZB ihre nominalen Leitzinsen ihrer effektiven Untergrenze angenähert, was jedoch nicht ausreichte, um dem Inflationsziel näher zu kommen. Folglich mussten andere geldpolitische Maßnahmen ergriffen werden.
Eine dieser Maßnahmen war das Programm zum Ankauf von Vermögenswerten (APP), das zu einem Anstieg der Bilanz des Eurosystems beitragen und Erwartungen eines weiteren Inflationsrückgangs unter bereits niedrigen Zinssätze begegnen sollte. Das Programm zum Ankauf von Vermögenswerten hat bei der Stabilisierung der finanziellen Bedingungen im gesamten Euro-Währungsgebiet eine entscheidende Rolle gespielt. Es hat die für die Realwirtschaft maßgeblichen finanziellen Bedingungen über zwei Kanäle verbessert. Erstens führten diese Ankäufe zu einem Anstieg der Preise und damit zu einem Rückgang der Renditen der angekauften Vermögenswerte. Hierdurch wurden Investoren wie unter anderem Banken veranlasst, höhere Renditen anzustreben, beispielsweise durch eine verstärkte Kreditvergabe an die Realwirtschaft. Zweitens haben diese Ankäufe insofern zur Erwartung auch künftig niedriger Inflationsraten beigetragen, als sie ein Signal für das Bekenntnis der EZB zu einem weiterhin lockeren geldpolitischen Kurs ausgesendet haben. Dies erzeugte einen weiteren Abwärtsdruck auf die langfristigen Inflationsraten, an denen sich die Anlageentscheidungen von Haushalten und Unternehmen maßgeblich orientieren.
Eine große Bilanzsumme des Eurosystems ist schlichtweg die natürliche Konsequenz dieses Programms. Die Bilanz der EZB hat sich im letzten Jahrzehnt nahezu vervierfacht.
Im Zuge der Anpassung der Inflation auf ein Niveau, das ihrem Preisstabilitätsmandat entspricht, wird die EZB Überlegungen anstellen müssen, wie groß ihre Bilanz künftig sein sollte, wie schnell sie sich ihrer gewünschten Größe annähern sollte und wie ihre optimale Zusammensetzung aussieht.
7. Welchen zeitlichen Horizont für die Beendigung des APP halten Sie für angemessen?
Wie bereits erwähnt, wurde das APP als Reaktion auf außergewöhnliche Umstände eingeführt. Mit dem Beginn des Wegfalls dieser Umstände sollte die EZB schrittweise zu einer konventionelleren Politik zurückkehren. Es ist allerdings schwierig, einen konkreten Zeitpunkt für das Ende des Programms festzulegen.
Der Rat der Europäischen Zentralbank hat in seiner Mitteilung klar zum Ausdruck gebracht, bis Ende September dieses Jahres oder erforderlichenfalls darüber hinaus weiterhin Nettovermögenswerte in einem monatlichen Umfang von 30 Mrd. EUR anzukaufen. Wie es mit Ankäufen nach diesem Zeitraum weitergeht, wird die EZB zu gegebener Zeit anhand der zu jenem Zeitpunkt herrschenden Inflationsaussichten und anhand der Beurteilung durch den Rat der EZB des nach diesem Zeitraum erforderlichen angemessenen geldpolitischen Stimulus entscheiden müssen. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass die EZB Tilgungsbeträge von fällig werdenden Vermögenswerten voraussichtlich auch nach Beendigung des Erwerbs von Nettovermögenswerten so lange wie nötig erneut anlegen wird. Auf längere Sicht sollte der Prozess der Normalisierung der Geldpolitik auf der Grundlage der Einschätzung des für die Erfüllung des Preisstabilitätsmandats der EZB erforderlichen geldpolitischen Kurses erfolgen.
8. Wie werden Sie hinsichtlich der Durchführung des Programms zum Ankauf von Vermögenswerten für Transparenz sorgen?
Transparenz ist seit Beginn des Programms zum Ankauf von Vermögenswerten eines der zentralen Anliegen der EZB. Die externe Kommunikation ist eine wichtige Stütze für die weitere reibungslose Durchführung des Ankaufs von Vermögenswerten. Trotz der komplexen dezentralisierten Durchführung sollten Maßnahmen zur Sicherstellung der Transparenz eine Priorität darstellen. Transparenz ist eigentlich bei jeder Regierungspolitik eine wünschenswerte Eigenschaft. Die EZB geht bei der Durchführung des APP meiner Ansicht nach sehr transparent vor. Die Parameter des Programms sind eindeutig festgelegt, etwa die Anforderung, länderübergreifende Ankäufe entsprechend dem Kapitalzeichnungsschlüssel zuzuteilen. Darüber hinaus stellt die EZB rechtzeitig ausführliche Informationen zu verschiedenen Aspekten des Programms bereit (das heißt eine wöchentliche konsolidierte finanzielle Bilanz, eine monatliche Übersicht ihrer Beteiligungen für jedes der vier Programme des APP, monatliche und kumulative Ankäufe zulässiger Vermögenswerte pro Land im Rahmen des Programms zum Ankauf von Wertpapieren des öffentlichen Sektors (PSPP) usw.).
Insgesamt ist dieses Maß an Transparenz in Bezug auf groß angelegte Programme für den Ankauf von Wertpapieren mindestens mit dem anderer großer Zentralbanken vergleichbar. Darüber hinaus wird mit dem derzeitigen Ansatz ein angemessenes Gleichgewicht zwischen Transparenz und der für die Umsetzung des Programms geforderten Flexibilität gewahrt, was seine Wirksamkeit maximiert und Marktarbitrage entgegenwirkt. So müssen die Ankäufe beispielsweise nicht zu einem konkreten Zeitpunkt einem Kapitalzeichnungsschlüssel folgen, aber der gesamte Beteiligungsbestand beruht in der Tat auf Kapitalzeichnungsschlüsseln.
In jedem Fall ist die externe Kommunikation der Politik ein entscheidender Aspekt der Gestaltung des Instruments. Aus diesem Grund sollten alle Aspekte der zu veröffentlichenden Inhalte sowie die Häufigkeit ihrer Veröffentlichung im Rat der EZB erörtert und vereinbart werden.
9. Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, um einen Zinsanstieg ohne Störungen in Staaten und Märkten zu bewältigen?
Zuallererst muss betont werden, dass die EZB im Hinblick auf die Gestaltung und Durchführung ihrer Strategien und Instrumente zur Erfüllung ihres Mandats voll und ganz unabhängig ist. Wie einige Mitglieder des Rates der EZB in jüngster Zeit betont haben, wird der Prozess der Normalisierung der Geldpolitik – die auch den Anstieg der Zinssätze impliziert – von Anfang an zwei wesentliche Voraussetzungen erfüllen müssen. Erstens muss er berechenbar und transparent sein, damit eine reibungslose Kommunikation mit Marktteilnehmern sichergestellt ist. Zweitens muss er schrittweise erfolgen und in einem angemessenen Verhältnis zu den vorherrschenden Inflationsaussichten stehen.
Staaten unterscheiden sich grundsätzlich nicht von anderen Marktteilnehmern. Sie sind in der Pflicht, sich auf mögliche Änderungen der Geldpolitik vorzubereiten und an sie anzupassen; es ist nicht die Aufgabe der EZB, eine Politik so zu gestalten, dass Staatsanleihen leichter emittiert werden können. Staatliche Emittenten reduzieren bereits seit einigen Jahren ihre Emissionsansprüche und verlängern die Laufzeiten von Staatsanleihen, was zur Verbesserung der Anpassungsfähigkeit ihrer Zinsbelastung in diesem Szenario beitragen wird. Regierungen sollten Zeiten einer günstigen Konjunktur zudem ausnutzen, um wieder finanzielle Puffer aufzubauen und ihre Volkswirtschaften zu rüsten, damit sie künftigen Schocks, wie einem Anstieg der Zinssätze, besser standhalten. Schließlich werden die Zinssätze nicht ewig so niedrig bleiben.
Eine vorausschauende Führung, wie sie derzeit im Euro-Währungsgebiet, den USA, dem Vereinigten Königreich und Japan praktiziert wird, trägt erheblich dazu bei, die Märkte auf einen Anstieg der Zinssätze vorzubereiten. Der Terminmarkt ist recht liquide, was es Marktakteuren ermöglicht, ihre Erwartungen relativ präzise auszudrücken. Jeglicher Anstieg sollte im Idealfall schrittweise erfolgen und durch den Markt vorweggenommen werden.
Insgesamt wird der Markt durch die derzeitige Art und Weise der Umsetzung und Kommunikation von Entscheidungen gut auf eine Normalisierung der Geldpolitik vorbereitet.
10. Wie kann die EZB Ihrer Meinung nach zu Wirtschaftswachstum und Vollbeschäftigung beitragen und gleichzeitig ihrem Hauptziel der Wahrung der Preisstabilität treu bleiben? Was sind Ihrer Meinung nach zusätzliche geldpolitische Maßnahmen, welche die positiven Auswirkungen der Geldpolitik auf die Realwirtschaft verstärken würden?
Es sei daran erinnert, dass das ausdrückliche Mandat der EZB die Erreichung von Preisstabilität ist. Die Sicherstellung relativ niedriger und stabiler Inflationsniveaus ist der beste Beitrag, den die Währungsbehörde zum Wirtschaftswachstum leisten kann. Gleichzeitig ist es für die Erzielung einer stabilen Inflation von entscheidender Bedeutung sicherzustellen, dass das Wirtschaftswachstum nicht stark von seinem Potenzialwachstum abweicht. Aber auch dies sollte Zentralbanken nur als Mittel zur Erreichung von Preisstabilität beeinflussen.
Es gibt zahlreiche Hinweise darauf, dass es langfristig keinen Zielkonflikt zwischen Inflation und Wachstum gibt. Wie erwähnt, ist die Preisstabilität einer Voraussetzung für nachhaltiges Wachstum. Ein solcher Zielkonflikt kann jedoch kurzfristig, insbesondere in Zeiten der Rezession, auftreten. In diesem Zusammenhang konzentriert sich die EZB auf die Preisstabilität und trägt hierdurch und durch Nutzung der ihr eingeräumten Flexibilität – mit der Einführung eines ganzen Bündels unkonventioneller politischer Maßnahmen zur Bewältigung der aktuellen Krise – dazu bei, die Wirtschaft vor dem Absturz in die Deflation zu bewahren. Das von der EZB seit 2012 durchgeführte Maßnahmenpaket scheint ausreichend zu sein, um sowohl die Preisstabilität als auch die konjunkturelle Erholung zu stützen. Konkrete Anhaltspunkte hierfür sind die Verengung der Spreads bei der Staatsverschuldung sowie die Annäherung der von Kreditinstituten bei kleinen und mittleren Unternehmen angewandten Zinssätze. Diese Annäherung wäre allerdings ohne die Verbesserungen der Finanzaufsicht, die Stärkung der Liquidität und Kapitalpositionen von Banken und die in vielen Ländern des Euro-Währungsgebiets in den letzten Jahren durchgeführten Strukturreformen nicht möglich gewesen. Finanzielle Stabilität ist zudem eine Voraussetzung für ein nachhaltiges Wachstum. Die wirksame Aufsicht der EZB hat insofern zu Wachstum und Beschäftigung beigetragen, als sie weitere finanzielle Instabilität vermieden hat. Somit hat die EZB auch einen erheblichen Beitrag zu ihren sekundären Zielen geleistet.
Die derzeit geltenden politischen Maßnahmen der EZB erscheinen vor dem Hintergrund der aktuellen Inflationsaussichten und der gewünschten geldpolitischen Haltung angemessen. Künftige Maßnahmen werden auf der Grundlage der vorherrschenden Inflationsaussichten und der gesamten wirtschaftlichen sowie finanziellen Bedingungen des Euro-Währungsgebiets entschieden werden müssen.
11. Wie sehen Sie die Risiken im Zusammenhang mit dem Programm zum Ankauf von Wertpapieren des Unternehmenssektors (CSPP)? Gehen Sie von wettbewerbsverfälschenden Auswirkungen im Binnenmarkt aus? Wie können mögliche wettbewerbsverfälschende Auswirkungen des CSPP Ihrer Meinung nach minimiert werden? Sind Sie der Auffassung, dass es die Ziele des Pariser Klimaschutzübereinkommens und die Ziele für eine nachhaltige Entwicklung integrieren sollte?
Meiner Ansicht nach hat das CSPP erfolgreich dazu beigetragen, den Zugang zu Finanzierung für Unternehmen zu verbessern, nicht nur direkt für die großen Kapitalgesellschaften, deren Anleihen für Ankäufe im Rahmen des CSPP in der Regel zulässig sind, sondern auch indirekt für alle Unternehmen und andere Marktsegmente, insbesondere kleine und mittlere Unternehmen (KMU), die keinen Zugang zu Anleihemärkten haben. Günstige Bedingungen des Anleihemarktes haben positive Spill-over-Effekte auf KMU, etwa indem sie große Kapitalgesellschaften veranlassen, stärker auf die Anleihefinanzierung zurückzugreifen, was den Banken einen größeren Spielraum für die Gewährung von Darlehen an KMU einräumt. Das CSPP hat somit die Wirksamkeit der geldpolitischen Transmission über das Bankensystem verstärkt, indem es die Kosten der Marktfinanzierung nichtfinanzieller Kapitalgesellschaften direkt gesenkt hat.
Trotzdem wird die EZB aufmerksam auf die mögliche Entstehung von Ungleichgewichten und Risiken infolge der sehr lockeren finanziellen Bedingungen in bestimmten Segmenten des Unternehmensanleihemarkts achten.
Um möglichen wettbewerbsverfälschenden Auswirkungen des CSPP im Binnenmarkt zu begegnen, wendet die EZB eine Reihe von Abhilfemaßnahmen in Bezug auf die Liquidität des Primär- und Sekundärmarktes an. Durch ihre Beteiligung an Ankäufen auf dem Primärmarkt wird ein Gleichgewicht zwischen dem Ziel des Programms und dem Erfordernis, eine ordnungsgemäße Funktionsweise des Markts sicherzustellen, hergestellt. Gleichermaßen berücksichtigt die EZB bei Ankäufen auf dem Sekundärmarkt die Knappheit bestimmter Schuldtitel und die allgemeinen Marktbedingungen, um Preise und Liquidität nicht zu verfälschen. Darüber hinaus spiegeln die Ankäufe proportional alle zulässigen ausstehenden Emissionen wider, wobei die Marktkapitalisierung eine Gewichtung für jedes der verschiedenen Emissionsländer darstellt.
Im Hinblick auf die Ziele von Paris und die Ziele für eine nachhaltige Entwicklung (SDG) sollten wir anerkennen, dass nachhaltige Entwicklung und Umweltschutz im Primärrecht verankerte Ziele der EU sind. Ihre Unterstützung durch das Eurosystem muss daher zugesichert werden, sofern dem vorrangigen Ziel der EZB, die Preisstabilität mittelfristig zu gewährleisten, voll und ganz Rechnung getragen wird. In diesem Bereich sollten die laufenden Arbeiten auf dem Gebiet der nachhaltigen Finanzwirtschaft in verschiedenen europäischen und internationalen Foren berücksichtigt werden. So hat die Hochrangige Expertengruppe für eine nachhaltige Finanzwirtschaft kürzlich einen Bericht veröffentlicht, der im Februar 2017 auf dem ECOFIN-Rat vorgestellt wurde und in dem die Expertengruppe unter anderem vorschlägt, eine Taxonomie und ein Klassifizierungssystem für grüne Anleihen und grüne Engagements zu entwickeln. Dieser Bericht wird die Grundlage für den kommenden Aktionsplan der Kommission bilden. Initiativen werden auch von den G20 im Rahmen der Studiengruppe „Umweltschutzfinanzierung“ und vom Rat für Finanzstabilität (Financial Stability Board, FSB) im Rahmen der Task Force on Climate-related Financial Disclosure (Task Force für die Offenlegung klimabezogener Finanzinformationen) entwickelt, um die Offenlegung klimabezogener finanzieller Risiken zu verstärken und das Verständnis dafür zu fördern, ob diese Risiken besser in regulatorische Rahmenwerke und Risikomanagementsysteme integriert werden könnten. Diese Initiativen müssen weiterentwickelt werden, wobei die Unterstützung seitens der EZB von großer Bedeutung ist. Bis auf Weiteres könnten diese Initiativen der EZB die Möglichkeit geben, Umweltbelange bei der Durchführung von Ankäufen (beispielsweise durch Berücksichtigung der bereits erwähnten Taxonomie) einzubeziehen. Vor der Einbeziehung umweltbezogener Gesichtspunkte in den geldpolitischen Rahmen der EZB sollte sie allerdings sorgfältig sämtliche Risiken für die Finanzstabilität abwägen, die sich aus der Berücksichtigung von Kriterien ergeben, die über das Kreditrisiko hinausgehen und die aus aufsichtsrechtlicher Sicht möglicherweise nicht gerechtfertigt sind.
12. Wie beurteilen Sie den aktuell steigenden Anteil des Programms für den Ankauf von Wertpapieren des Unternehmenssektors am Primärmarkt und den gleichzeitig rückläufigen Anteil des Programms für den Ankauf von Wertpapieren des öffentlichen Sektors am Sekundärmarkt?
Zunächst einmal ist darauf hinzuweisen, dass diese beiden Programme zu unterschiedlichen Konditionen durchgeführt werden. So werden Ankäufe im Rahmen des CSPP sowohl am Primär- als auch am Sekundärmarkt durchgeführt, während Ankäufe im Rahmen des PSPP ausschließlich am Sekundärmarkt durchgeführt werden, da die EZB gemäß Artikel 123 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union nicht befugt ist, Staatsanleihen an Primärmärkten zu kaufen.
Der relativ hohe Anteil des CSPP am Primärmarkt ist eine natürliche Folge der Programmgestaltung, da das CSPP Anreize für neue Emissionen gibt. Allerdings soll mit dem Programm auch sichergestellt werden, dass das Eurosystem nur einen relativ kleinen Anteil neuer Emissionen erwirbt (namentlich nicht mehr als 30 % pro Emission), um für die reibungslose Funktionsweise des Markts zu sorgen.
Was das PSPP betrifft, ist der rückläufige Anteil an der Aktivität auf dem Sekundärmarkt die Folge der kürzlichen Senkung des Monatsziels von 60 auf 30 Mrd. Euro für Nettoankäufe im Rahmen des APP. Der Schwerpunkt dieser Senkung liegt auf dem PSPP-Teil des APP, was die jüngste Entwicklung des relativen Angebots an Anleihen des öffentlichen Sektors gegenüber anderen zulässigen Vermögenswerten widerspiegelt.
13. Wie bewerten Sie die Umsetzung der Notfallliquiditätshilfe (ELA)? Wie könnte der Entscheidungsprozess zur Gewährung der ELA verbessert werden?
Finanzielle Stabilität ist eine entscheidende Voraussetzung für eine angemessene Transmission der Geldpolitik. Nationale Zentralbanken (NZB) können beschließen, außerhalb der gewöhnlichen geldpolitischen Geschäfte des Eurosystems solventen Finanzinstituten mit vorübergehenden Liquiditätsproblemen ELA bereitzustellen.
ELA wird unter der Verantwortung der NZBs auf deren eigene Kosten und Risiken und immer an solvente Finanzinstitute vergeben. NZBs können entscheiden, ob sie einem bestimmten Institut ELA gewähren, welche Sicherheit gefordert wird und ob andere Risikokontrollmaßnahmen durchgeführt werden.
Das Ermessen der NZBs unterliegt allerdings der Aufsicht des Rates der EZB, der beschließen kann, ELA-Geschäfte zu untersagen, einzuschränken oder an Bedingungen zu knüpfen, wenn er feststellt, dass die Ziele und Aufgaben des ESZB beeinträchtigt werden. Die Überwachung durch den Rat der EZB steigt mit dem Umfang der angeforderten ELA. Das Rahmenwerk für ELA bietet zudem Flexibilität, um auf besondere Notfälle zu reagieren und potenzielle systemische Folgen zu vermeiden: Der Rat der EZB kann beschließen, bis zu einer gewissen Höhe und innerhalb eines vorab festgelegten Zeitraums keine Einwände gegen die Bereitstellung von ELA an bestimmte Banken zu erheben.
Die Bereitstellung von ELA war und ist für die Durchführung der Geldpolitik des Eurosystems insbesondere während der Krise von maßgeblicher Bedeutung. Sie hat zu finanzieller Stabilität beigetragen und negativen Vertrauenseffekten entgegengewirkt, was sich wiederum positiv auf die Transmission der Geldpolitik im Rahmen des EZB-Mandats ausgewirkt hat.
Die Bestimmungen sind in dieser Hinsicht eindeutig. Ein Kreditinstitut könnte Zugang zu Notfallliquiditätshilfe erhalten, wenn es solvent ist und über ein ausreichendes Maß an verfügbaren Vermögenswerten verfügt um zu gewährleisten, dass die bereitgestellten Gelder wieder eingezogen werden können, damit der Zentralbank und somit letzten Endes den Bürgerinnen und Bürgern kein Verlust entsteht.
Der Entscheidungsfindungsprozess ist transparent. Die EZB hat im letzten Jahr die Vereinbarung über Notfall-Liquiditätshilfe veröffentlicht. Darin sind alle Einzelheiten des Verfahrens enthalten: von der Definition der Solvenz einer Bank bis hin zur Aufgabenteilung zwischen der nationalen Zentralbank, die das Darlehen vergibt, und der Europäischen Zentralbank, die hiergegen keine Einwände erhebt.
14. Gibt das derzeitige Ausmaß der Ungleichgewichte bei den Target-Salden Anlass zur Sorge?
Die heutigen Ungleichgewichte bei den Target2-Salden zeigen ein ganz anderes Bild als jene der Jahre 2011 und 2012. Damals gab es – wie sich später herausstellte, ungerechtfertigte – Zweifel an dem Fortbestand der WWU. In diesem Zusammenhang wurde befürchtet, dass bei Ländern mit Leistungsbilanzdefiziten die Gefahr einer Abwertung bestand, während Ländern mit Leistungsbilanzüberschüssen Neubewertungswahrscheinlichkeiten zugeschrieben wurden. Die rationale Folge war eine Kapitalflucht weg von der sogenannten Peripherie nach Deutschland.
Der Anstieg der TARGET2-Salden seit Ende 2014 unterscheidet sich von früheren Zeiten steigender Salden. Die Durchführung des Programms zum Ankauf von Vermögenswerten verfälscht die Signale, die von Ungleichgewichten bei den Target-Salden ausgesandt werden, und kann zu Fehlinterpretationen führen. Es ist allgemein bekannt, dass einige dieser Ungleichgewichte bei den Target-Salden mechanischen Ursprungs sind und mit der Art der Durchführung von Ankäufen im Rahmen des APP zusammenhängen. Die Gründe für den Anstieg der Gläubigerposition der Bundesbank sind der Status von Frankfurt als Finanzzentrum und der Status der Bundesbank als Target2-Gegenpartei für die meisten internationalen Banken. Kurzum: Ich denke nicht, dass die derzeitigen Ungleichgewichte bei den Target-Salden Anlass zur Sorge geben. Hierfür spricht auch die Tatsache, dass die Preise der Aktiva keine Hinweise auf eine Notlage geben, wie es bei der Staatsschuldenkrise von 2011-2012 tatsächlich der Fall war.
Die EZB muss die TARGET2-Salden sowie ein breites Spektrum an Indikatoren, die Hinweise über das Ausmaß der Marktbelastung geben, auf jeden Fall weiterhin eingehend beobachten, was sie bereits heute tut.
15. Welche Gefahren birgt die Entwicklung virtueller Währungen wie Bitcoin für die Währungsstabilität? Welche Rolle sollte Ihrer Ansicht nach die EZB in Bezug auf virtuelle Währungen spielen?
Lassen Sie mich mit dem Offensichtlichen beginnen: Bitcoin und andere Kryptowährungen können heute kaum einen Ersatz für von der Zentralbank ausgegebenes Geld darstellen. Sie sind mit mehreren Problemen behaftet, die in erster Linie mit den frühen Phasen der Umsetzung der Distributed-Ledger-Technologie (DLT) zusammenhängen. DLT ist immer noch relativ ineffizient, die Transaktionsgeschwindigkeit ist begrenzt und ständige Verfeinerungen der technologischen Konfiguration haben zu bisher fast 900 verschiedenen Währungen geführt. Abgesehen davon sind Bitcoin und die wichtigsten anderen sogenannten Altcoins in wenigen Händen konzentriert, was zusammen mit geringer Liquidität eine extrem volatile Umgebung ergibt, die für Spekulationsblasen und ein Platzen derselben anfällig ist. Kryptowährungen sind daher heute nicht dazu in der Lage, die wesentlichen Funktionen des Geldes (Zahlungsmittel, Rechnungseinheit und Wertaufbewahrung) auf nachhaltige Weise wahrzunehmen.
Privat ausgegebene Digitalwährungen könnten den Zentralbanken früher oder später Probleme bereiten. Für eine Zentralbank wären die Probleme, die eine Digitalwährung bereiten könnte, grundsätzlich dieselben wie bei einer konkurrierenden Fremdwährung. Die Konkurrenz der Währungen führt in der Weltwirtschaft dazu, dass Angebot und Nachfrage einen Gleichgewichtspreis bestimmen, den Wechselkurs, der den relativen Nutzen der Währungen widerspiegelt.
Allgemein gesagt wäre die Geldpolitik, wenn die Zirkulation einer oder mehrerer privat ausgegebener Digitalwährungen auf ein erhebliches Niveau anwachsen würde, auf dieselbe Weise betroffen wie durch jede andere Währung. Die Zentralbank (sowie die Regulierungs- und Aufsichtsbehörden) hätte die Wechselkurse, die Zahlungssysteme dieser Währungen, die Finanzmärkte für Vermögenswerte, die auf die neuen Währungen lauten, und die Zusammenhänge zwischen den Märkten und den Marktteilnehmern und dem traditionellen Finanzsystem zu überwachen. Diese Überwachung wäre erforderlich, um die Effektivität der monetären Impulse sowie die Integrität der Zahlungssysteme und der Finanzmärkte zu gewährleisten, um die Finanzstabilität zu wahren und das System gegen Schocks abzuschotten. Außerdem sollten neue digitale Währungsmärkte und Zahlungen allen Regelungen zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung und zum Anlegerschutz unterworfen werden.
Bisher stellen Kryptowährungen, wie der Rat für Finanzstabilität hervorhebt, angesichts ihres begrenzten Umfangs und ihrer eingeschränkten Verflechtung keine ernsthafte Gefahr für die Finanzstabilität dar. In Zukunft könnten sich Kryptowährungen auf die Finanzstabilität auswirken, wenn ihr Umfang und ihre Verflechtung mit dem Finanzsektor zunehmen.
Letztendlich könnten die Zentralbanken die DLT, die Bitcoin zugrunde liegt, übernehmen, um eine staatliche Digitalwährung auszugeben. Digitales Basisgeld könnte den Zentralbanken dabei helfen, die Kontrolle über die monetären Mechanismen zu behalten, könnte jedoch auch erhebliche Auswirkungen auf das fragmentarische Bankgeschäft haben, was weiter zu untersuchen wäre.
Die Verantwortung für die Regulierung der Digitalwährungen liegt weltweit bei den Finanzaufsichtsbehörden. Jenseits dieser langfristigen Überlegungen zur Geldpolitik sollte die EZB die Entwicklungen in der Szene der Kryptowährungen und die Querverbindungen zwischen dem traditionellen Finanzsystem und diesen Märkten beobachten. Insoweit die Marktvolumina relativ bescheiden bleiben und die Finanzinstitutionen zu diesen risikoreichen Vermögenswerten Abstand halten, besteht für die EZB keine Notwendigkeit einzugreifen. Sie sollte jedoch im Hinblick auf die potenziellen Auswirkungen auf die Finanzstabilität wachsam bleiben und alle Beteiligten vor den damit verbundenen Risiken warnen.
16. Wie bewerten Sie die Interaktion zwischen Zahlungssystemen und Geldpolitik? Was sollte die Rolle der EZB als Notenbank bei der Aufsicht über zentrale Gegenparteien (ZGP) sein?
Zahlungssysteme sind für die Umsetzung der Geldpolitik von wesentlicher Bedeutung. Die Zentralbank ist von einem sicheren und effizienten Zahlungssystem abhängig, das eine Voraussetzung für die reibungslose Transmission der Geldpolitik und die Wahrung der Finanzstabilität ist. Eine der beiden grundlegenden Aufgaben des Eurosystems ist es daher, das reibungslose Funktionieren der Zahlungssysteme zu fördern (Artikel 127 Absatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union), und die Aufsicht der EZB zielt darauf ab, die Kanäle für die Transmission der Geldpolitik sicherzustellen. Wenn Finanzmittel nicht reibungslos zwischen den Marktteilnehmern fließen, kann es zu einem ungeordneten Verhalten der Zinssätze kommen, was letztendlich deren Bildung beeinträchtigen könnte. In dieser Hinsicht wird die Geldpolitik beeinträchtigt, wenn das Zahlungssystem dysfunktional ist. Darüber hinaus wurde mit der Einrichtung des TARGET-Systems durch das Eurosystem ein EU-weites Zahlungssystem geschaffen, das für die Abwicklung von Zentralbankgeschäften verwendet wird. TARGET ist zu einem wesentlichen Instrument für die Umsetzung der Geldpolitik für das Eurosystem geworden und hat dazu beigetragen, einen einheitlichen Geldmarkt im Euro-Währungsgebiet zu schaffen.
Angesichts der Rolle der EZB als zentraler Notenbank bei der Aufsicht über die ZGP ist vorgesehen, dass sich die laufende EMIR-Überprüfung damit befassen wird, dass für die EZB angemessene Kompetenzen notwendig sind um sicherzustellen, dass sie potenzielle Risiken für die Durchführung der Geldpolitik und die Funktionsfähigkeit der Zahlungssysteme, die sich aus den ZGP ergeben, ordnungsgemäß überwachen kann. Der Vorschlag beinhaltet unter anderem die Stärkung der Rolle, die die Zentralbanken der EU innerhalb des regulatorischen Rahmens spielen. Diese Stärkung ist notwendig, erstens aufgrund der weiteren Zunahme der Konzentration des zentralen Clearings und des finanziellen Risikos bei den ZGP, was die möglichen Störwirkungen erhöht, die die ZGP auf die Umsetzung der Geldpolitik haben können. Und zweitens könnte der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU dazu führen, dass ein großer Teil der auf Euro lautenden Clearing-Aktivitäten in Zukunft außerhalb der EU erfolgt.
17. Welche Gefahren für die Finanzstabilität sind mit dem Brexit verbunden?
Die Auswirkungen des Brexits werden davon abhängen, wie sich die zukünftigen Beziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU gestalten. Wir haben keine Klarheit über das finanzielle Ergebnis der Verhandlungen. Wir sollten auf alle Eventualitäten gefasst sein, einschließlich eines Abgrund-Szenarios. Eine Übergangsregelung im Einklang mit den Leitlinien des Europäischen Rates vom Dezember würde den Übergang offensichtlich erleichtern. In Bezug auf das gesamte Verfahren herrscht jedoch noch immer Unsicherheit.
Aus der Sicht des europäischen Marktes für Finanzdienstleistungen hätte eine Fragmentierung des in London getätigten Geschäftsvolumens, die dazu führen würde, dass diese Geschäfte auf mehreren europäischen oder internationalen Märkten ausgeführt würden, mehrere Konsequenzen:
Die Fragmentierung würde für den EU-Kapitalmarkt aufgrund des Verlusts von Größenvorteilen und Netzwerkeffekten, einer herabgesetzten Liquidität und einer verringerten Markttiefe zu vorübergehenden strukturellen Kosten führen. Auf längere Sicht würden diese Kosten jedoch sinken, da die Märkte, die die City ersetzen, an Tiefe gewinnen würden.
Die starken grenzüberschreitenden Verbindungen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU bei der Erbringung von Finanzdienstleistungen bedeuten, dass der Extremfall eines ungeordneten Brexits zu erheblichen Risiken für die Finanzstabilität führen könnte. Ein Bereich, der Anlass zu Bedenken gibt, ist der der außerbörslich gehandelten Derivate und Versicherungsverträge. Der Übergang sorgt insbesondere im Hinblick auf die ZGP für Unsicherheit, da nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Mitglieder der neuen Clearingstellen dazu in der Lage sein werden, Angebot und Nachfrage auszugleichen, ohne dass es dabei zu Unterbrechungen kommt. Der Bestand an Transaktionen und die neuen Transaktionen der Euromärkte müssen ausgeführt werden oder zu von der EU autorisierten oder von ihr anerkannten ZGP migrieren, die die früheren ersetzen. Das ist ein komplexer Prozess, der Zeit erfordert. Allgemein gesagt gibt es auch Bedenken, was den Übergang zu neuen Regeln/rechtlichen Standards angeht.
Mehrere Maßnahmen können jedoch die Unsicherheit im Zusammenhang mit dem Übergang abmildern: Zeitige Ankündigungen über das zukünftige Rahmenwerk, vorläufige Zulassungen, Bestandsschutzregelungen und/oder Zeit für die Erneuerung aller Verträge sind alles Schritte, die zu einem geordneten Übergang beitragen können.
Vieles hängt von den strategischen Entscheidungen der Banken ab, die den größten Teil dieser Märkte betreuen. Es ist wesentlich, dass sich die betroffenen Unternehmen rechtzeitig darauf vorbereiten, wie mit Friktionen während des Übergangs umzugehen sein wird, und sich auf mögliche zukünftige Szenarios einstellen.
Sowohl die EZB als auch die nationalen Zentralbanken sollten auf den Übergang und darauf, dass Finanzunternehmen ihren Sitz aus dem Vereinigten Königreich verlegen, vorbereitet sein. Eindeutige Kriterien, wie diese Unternehmen zu behandeln sind, werden garantiert (d. h. die Validierung der internen Modelle, derer sie sich im Vereinigten Königreich bedient haben), und die Aufsicht sollte sicherstellen, dass es sich bei den Unternehmen, die ihren Sitz verlegt haben, nicht bloß um leere Hüllen handelt, die alle ihre Aktivitäten und Ressourcen im Vereinigten Königreich belassen.
Wenn der Übergang angemessen vorbereitet wird, sollten wir keine erheblichen langfristigen Auswirkungen auf die Finanzstabilität und die Wirtschaft des Euro-Währungsgebiets zu erwarten haben.
18. Wie könnte der wirtschaftspolitische Rahmen und insbesondere seine Umsetzung verbessert werden?
Bei einer Währungsunion geben die Mitgliedstaaten wichtige Stabilisierungsinstrumente auf. Das sollte durch die Stärkung anderer Mechanismen zur Verhinderung und Abmilderung von Schocks ausgeglichen werden.
• Erstens verteilen die Finanzmärkte die Risiken in einer Währungsunion um und erhöhen die Risikoteilung des Privatsektors. Die Vollendung der Banken- und Kapitalmarktunion hat das Ziel, integrierte Finanzmärkte zu schaffen, die eine effiziente Ressourcenallokation in der gesamten Wirtschafts- und Währungsunion gewährleisten. Sie sollte vorrangig vollendet werden.
• Zweitens ist es wesentlich, dass die Widerstandsfähigkeit der einzelnen Volkswirtschaften erhöht wird und Unterschiede bei der Wettbewerbsfähigkeit zwischen den Mitgliedern der Wirtschafts- und Währungsunion, die zu untragbaren Ungleichgewichten führen, vermieden werden. Dazu ist ein robuster, funktionsfähiger wirtschaftspolitischer Rahmen erforderlich, der die Finanzstabilität gewährleistet. Strukturreformen sind wichtig, um die Konvergenz in der EU sicherzustellen. Sie sind jedoch noch wichtiger für Staaten, die eine gemeinsame Währung haben, und für das reibungslose Funktionieren der Wirtschafts- und Währungsunion.
• Die Mitgliedstaaten müssen sich dessen bewusst sein, dass Teil einer Währungsunion zu sein eine tiefere Koordinierung der Wirtschaftspolitik im Einklang mit einem tieferen Integrationsniveau erfordert.
Die Krise zeigte, dass Preisstabilität durch die EZB zusammen mit der Abstimmung der öffentlichen Finanzen durch den Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP) nicht ausreichten, um die Finanzstabilität im Euro-Währungsgebiet zu gewährleisten. Wenn sich Ungleichgewichte aufbauen, kann das die Finanzstabilität gefährden und die Mechanismen für die Transmission der Geldpolitik beeinträchtigen. Deshalb wurden substanzielle Reformen der Wirtschaftspolitik des Euro-Währungsgebiets unternommen: Neben der Verbesserung des Stabilitäts- und Wachstumspakts und größerer haushaltspolitischer Koordinierung wurde ein Rahmen für die Überwachung und Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte eingerichtet. Mit dem Verfahren bei einem makroökonomischen Ungleichgewicht (MIP) sollen das Entstehen von Ungleichgewichten überwacht und erforderlichenfalls Abhilfemaßnahmen ausgelöst werden. Außerdem müssen die Mitgliedstaaten gemäß dem Europäischen Semester die Maßnahmen ergreifen, die erforderlich sind, um ihre wesentlichen Herausforderungen zu meistern. Ferner soll die Umsetzung von Strukturreformen koordiniert werden.
Alle diese Reformen waren für die Wirtschaftspolitik notwendig und nützlich, aber es bleibt noch mehr zu tun.
• Bei der Haushaltspolitik nehmen die Forderungen nach einer Vereinfachung der finanzpolitischen Vorschriften zu, um eine größere Eigenverantwortung und eine transparente und kohärente Umsetzung der vereinbarten Vorschriften zu gewährleisten. Wichtig ist, dass der Stabilitäts- und Wachstumspakt sicherstellt, dass die Mitgliedstaaten in guten Zeiten fiskalische Puffer aufbauen. Vereinbarte finanzpolitische Vorschriften müssen dann auch entschlossen durchgesetzt werden, da die Mitgliedstaaten andernfalls angesichts des geringen fiskalischen Spielraums, der heute zur Verfügung steht, gegenüber der nächsten Krise verwundbar bleiben.
• Außerdem ist das Verfahren bei einem makroökonomischen Ungleichgewicht noch verbesserungsfähig, sodass es zu einem echten Frühwarninstrument für ein sich entwickelndes Ungleichgewicht wird, das Abhilfemaßnahmen auslöst.
• Die Umsetzung von Strukturreformen muss ebenfalls verbessert werden. Die Mitgliedstaaten sollten die volle Verantwortung für die Reformen übernehmen, die notwendig sind, um ihren Ungleichgewichten zu begegnen und ihre individuellen Zuständigkeiten wahrzunehmen.
• Die Mitgliedstaaten müssen ihre Pflichten erfüllen, während das Europäische Semester den Rahmen für eine angemessene Koordinierung und Abfolge der Strukturreformen liefern sollte, um mögliche Spill-over-Effekte zu internalisieren. In dieser Hinsicht kann die Widerstandsfähigkeit der Währungsunion gestärkt werden, indem sichergestellt wird, dass die individuellen Empfehlungen und die für das Euro-Währungsgebiet miteinander übereinstimmen.
Strukturreformen sind wesentlich, um die Widerstandsfähigkeit der Währungsunion zu stärken und ein hohes langfristiges, nachhaltiges Wachstums- und Beschäftigungsniveau aufrechtzuerhalten. Sie erschließen Wachstumspotenzial und schaffen eine investitionsfördernde Umgebung, indem sie Engpässe für Investitionen beseitigen. Außerdem sind Strukturreformen in einer Währungsunion der wichtigste Mechanismus zur Risikominderung, und sie tragen dazu bei, das erforderliche politische Vertrauen aufzubauen, um weitere Fortschritte bei anderen Reformen zu erzielen, die für eine Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion erforderlich sind.
Alle diese Maßnahmen werden dazu beitragen, die einzelnen Volkswirtschaften und das Euro-Währungsgebiet insgesamt gegen negative Schocks widerstandsfähiger zu machen. Jedoch verfügen selbst die flexibelsten und effizientesten Märkte nicht über die Kapazität, sehr große Schocks vollständig zu absorbieren. Das Euro-Währungsgebiet benötigt ein angemessenes Sicherheitsnetz, und das ist genau das, was die derzeitige Debatte über die Stärkung des Europäischen Stabilitätsmechanismus erreichen will (siehe die Frage in Bezug auf den Europäischen Stabilitätsmechanismus).
Auf längere Sicht wird das Euro-Währungsgebiet Nutzen aus einer besseren Koordinierung der Haushaltspolitik und der Fähigkeit, eine angemessene Mischung politischer Strategien im Euro-Währungsgebiet umzusetzen, ziehen. In dieser Hinsicht könnte ein fiskalpolitisches Stabilitätsinstrument nützlich sein, um dazu beizutragen, große Schocks zu bewältigen, ohne sich für Stabilisierungszwecke im Übermaß auf die EZB verlassen zu müssen. Dieses Instrument müsste so ausgelegt sein, dass es möglichen Bedenken in Bezug auf ein Fehlverhalten Rechnung trägt, indem der Zugang zu ihm an die Erfüllung der Pflicht zu Strukturreformen geknüpft wird, und die Befolgung der Haushaltsvorschriften könnte einen angemessenen Anreiz für eine solide Wirtschaftspolitik darstellen.
Auf dem Euro-Gipfel im Dezember 2017 entschieden sich die Staats- und Regierungschefs dafür, den Diskussionen über die Bankenunion und die Zukunft des Europäischen Stabilitätsmechanismus Vorrang einzuräumen mit der Perspektive, im Juni ein erstes Paket von Entscheidungen zu treffen. Gleichzeitig wird erwartet, dass die Diskussionen über andere Themen mit einer längerfristigen Perspektive fortgesetzt werden. Da sich nunmehr die wirtschaftlichen Aussichten verbessert haben, ist es an der Zeit, über die Wirtschaftspolitik der Wirtschafts- und Währungsunion nachzudenken, um ihre Widerstandsfähigkeit bei zukünftigen Krisen sicherzustellen.
19. Was ist Ihre Meinung zu der laufenden Debatte über die anhaltend hohe Staatsverschuldung im Euro-Währungsgebiet?
Die Krise hat zu einer erheblichen Verschlechterung der öffentlichen Finanzen in der EU und im Euro-Währungsgebiet geführt, da die Regierungen es zugelassen haben, dass sich die Defizite vergrößerten, um die Wirtschaft zu unterstützen, aber auch weil sich implizite Verbindlichkeiten aus dem Bankensektor einiger Mitgliedstaaten in der Bilanz des öffentlichen Sektors niederschlugen. Investoren äußerten Bedenken in Bezug auf die Tragfähigkeit der Staatsverschuldung in einigen Ländern, und infolgedessen splitterten sich die Finanzmärkte im Euro-Währungsgebiet in nationale Märkte auf.
Es wurden Maßnahmen ergriffen, um zu verhindern, dass sich dies wiederholt, einschließlich der Errichtung einer Bankenunion (wie oben bereits erwähnt), und substanzielle Reformen vorgenommen, die darauf abzielen, die Haushaltsdisziplin zu stärken und die Koordinierung der Wirtschaftspolitik zu erhöhen. Diese Bemühungen haben dazu geführt, dass die EU zu den Regionen gehört, in denen die Haushaltskonsolidierung trotz einer schwachen Erholung am weitesten fortgeschritten ist und die Mitgliedstaaten erfolgreich aus dem Defizitverfahren ausscheiden. Es wird davon ausgegangen, dass in den nächsten Jahren alle Mitgliedstaaten unter die präventive Komponente des Stabilitäts- und Wachstumspakts fallen werden. Die Konsolidierungsbemühungen haben dazu geführt, dass die Schuldenquote im Euro-Währungsgebiet eindeutig sinkt.
Diese positive Gesamtentwicklung verdeckt jedoch bedeutende Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten. In dieser Hinsicht ist es von überragender Bedeutung, das derzeitige positive wirtschaftliche Umfeld dazu zu nutzen, um fiskalische Puffer aufzubauen. Das gilt insbesondere für hochverschuldete Mitgliedstaaten, die einen geeigneten Konsolidierungspfad entsprechend ihrer konjunkturellen Situation einschlagen müssen. Die Haushaltspolitik sollte in der Tat in guten Zeiten einen ausreichenden fiskalischen Spielraum schaffen, um auf negative Schocks vorbereitet zu sein. Andernfalls wird das Euro-Währungsgebiet gegenüber zukünftigen Abschwüngen verwundbar bleiben. Das heißt, dass die Mitgliedstaaten ihrer Verantwortung gemäß dem Stabilitäts- und Wachstumspakt gerecht werden müssen.
Das heißt nicht, dass es nicht möglich wäre, den haushaltspolitischen Rahmen im Euro-Währungsgebiet mittelfristig zu verbessern. Es gibt zunehmende Forderungen nach einer Vereinfachung der Haushaltsvorschriften und danach, die haushaltspolitischen Empfehlungen auf beobachtbare Indikatoren zu gründen, die der Kontrolle der Regierung unterliegen und ein gemeinsames Verständnis der konjunkturellen Lage wiedergeben. Das würde die Eigenverantwortung für die Haushaltsvorschriften stärken und ihre konsistente Durchsetzung vereinfachen.
Schließlich sollten wir nicht vergessen, dass Wachstum für die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen entscheidend ist. In dieser Hinsicht werden Strukturreformen, die Wachstumspotenzial erschließen und die Wettbewerbsfähigkeit der Volkswirtschaften des Euro-Währungsgebiets erhöhen, dazu beitragen, den gegenwärtigen Schuldenstand zu bewältigen, der sich nach der Krise angesammelt hat, indem sie zu einem langfristigen und nachhaltigen Wachstum und einer entsprechenden Beschäftigung führen.
20. Wie schätzen Sie die neuere Entwicklung des Wechselkurses USD/EUR ein?
Obwohl der Wechselkurs an sich nicht zum Mandat der EZB gehört (das auf die Stabilisierung der Inflation der Verbraucherpreise ausgerichtet ist), gehört er mit Sicherheit zu den Finanzmarktpreisen, die die EZB bei ihrer Bewertung der makroökonomischen Aussichten, bei der es sich wiederum um einen wesentlichen Faktor ihrer geldpolitischen Entscheidungen handelt, genau beobachtet.
Die jüngste Aufwertung des Euro (18 % im letzten Jahr) ist historisch gesehen nichts Ungewöhnliches: Es hat mehrere Episoden mit ähnlichen oder sogar noch steileren Kursanstiegen seit der Einführung der gemeinsamen Währung gegeben. Die Aufwertung des Euro hängt mit einer Neubewertung der geldpolitischen Aussichten durch die Marktteilnehmer angesichts der positiven makroökonomischen Entwicklungen im Euro-Währungsgebiet sowie dem erwarteten Auslaufen der Anleihekäufe durch die EZB zusammen. Diese jüngste Aufwertung des nominalen effektiven Wechselkurses des Euro-Währungsgebiets spiegelt in hohem Maß positive Entwicklungen wie die Verbesserung der wirtschaftlichen Aussichten und das gestiegene Marktvertrauen im Kontext des derzeitigen Haushaltsüberschusses wider, weshalb diese Währungsbewegung mit der Verbesserung der Grunddaten zusammenhängt. Diese Aufwertung wird offensichtlich eine etwas bremsende Wirkung auf den Export und die Inflation haben. Wenn der Aufwertungstrend anhält oder zu steil wird, könnte er jedoch eine größere dämpfende Wirkung auf Wachstum und Inflation haben, was es der EZB erschweren würde, ihr Inflationsziel zu erreichen. Die EZB sollte in jedem Fall gegenüber Entwicklungen bei den Wechselkursen wachsam bleiben und kontinuierlich die Probleme bewerten, die sie für die Preisstabilität darstellen können.
21. Wie bewerten Sie die Ergebnisse der G20? Was halten Sie von dem gegenwärtigen Niveau der Koordinierung unter den wichtigsten Zentralbanken?
Die G20 hat sich als ein wesentliches Forum für die Verbesserung der internationalen wirtschaftlichen Zusammenarbeit erwiesen und fördert eine offene und integrierte Weltwirtschaft. Es gibt zwei Bereiche, in denen die G20 besonders effektiv war. Einerseits hat die G20 die Widerstandsfähigkeit des Weltfinanzsystems gestärkt, indem sie dem Finanzstabilitätsrat (FSB) das Mandat erteilt hat, ein umfassendes Reformpaket zu entwickeln, insbesondere um das moralische Risiko globaler systemrelevanter Institutionen anzugehen. Andererseits hat die G20 in Zusammenarbeit mit der OECD wesentlich zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung und der Geldwäsche beigetragen, indem sie eine Reihe von Maßnahmen eingeführt hat, um die Probleme der Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung zu bewältigen und den automatischen Austausch von Steuerinformationen zu fördern. Derzeit steht die G20 vor neuen Herausforderungen. So muss sie sich etwa mit Finanzinnovationen sowohl im Finanzsystem (FinTech) als auch bei der Besteuerung befassen, was ein Beleg dafür ist, dass sie in ihrer Rolle im Hinblick auf die weltweite Koordination weiterhin unentbehrlich ist.
Zentralbanken können zur Stabilität der Wechselkurse beitragen, indem sie ihren geldpolitischen Kurs im Vorhinein umsichtig kommunizieren, was in den letzten Jahren mit der Orientierung über die zukünftige Ausrichtung der Geldpolitik verbessert wurde. In diesem Sinn ist es sehr positiv, dass die Verlautbarungen des Internationalen Währungs- und Finanzausschusses, der G7 und der G20 weiterhin die ungünstigen Auswirkungen, die eine übermäßige Volatilität und unkontrollierte Ausschläge der Wechselkurse für die wirtschaftliche und finanzielle Stabilität haben können, sowie die Verpflichtung der Staaten berücksichtigen, von einem Abwertungswettlauf abzusehen und davon, Wechselkurse für Wettbewerbszwecke zu instrumentalisieren. Die EZB sollte mit den Zentralbanken anderer Währungen im ständigen Austausch stehen. Es besteht jedoch nur ein begrenzter Spielraum, um sich für eine weitreichendere Koordinierung der weltweiten Geldpolitik zu engagieren, da die Zentralbanken inländische Mandate haben. Gleichwohl hat es in den letzten Jahren ein einigermaßen zufriedenstellendes Maß an Zusammenarbeit zwischen den wichtigen Zentralbanken in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften gegeben, was beispielsweise an ihrer reibungslosen Kommunikation über die Wechselkurse, ihrer pro-globalen Stabilitätshaltung und ihrer Bereitstellung von Liquidität in Fremdwährung zu erkennen ist. Ich meine, dass diese Koordinierung zu begrüßen ist und zukünftig weiter gestärkt werden sollte.
C. Finanzmarktstabilität und -kontrolle
22. Wie können wir das Erbe aus der Krise in Gestalt eines hohen Bestands an notleidenden Krediten sowie die Risiken der Vergabe von notleidenden Krediten bewältigen?
Obwohl sie sich auf bestimmte Banken konzentrieren, stellen notleidende Kredite wahrscheinlich die größte Herausforderung dar, dem das Finanzsystem des Euro-Währungsgebiets derzeit gegenübersteht, da sie das Vertrauen in die europäischen Banken beeinträchtigen. Notleidende Kredite drücken auf die Bilanzen der Banken, nicht nur dadurch, dass sie ihre potenzielle Rentabilität behindern, sondern auch, indem sie ihre Fähigkeit zur Kreditvergabe einschränken. Laut der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde (EBA) nehmen die notleidenden Kredite seit 2014 ab, aber sowohl ihr Anteil als auch ihr Bestand bleiben hoch (ungefähr 800 Mrd. EUR).
Die drei wichtigsten Aspekte, die bei dem Umgang mit notleidenden Krediten berücksichtigt werden müssen, sind Transparenz, eine ordnungsgemäße Bewertung und angemessene Rückstellungen. In diesem Sinn gehen die von der EZB und der Kommission kürzlich vorgeschlagenen Maßnahmen in die richtige Richtung.
Es ist eine schrittweise Herangehensweise erforderlich, die den ständigen Druck vonseiten der Aufsichtsinstanzen (z. B. des SSM) dahingehend, die Rückstellungen zu erhöhen und nicht rentable Aktiva zu verkaufen, mit Verbesserungen des regulatorischen Rahmens in einigen Ländern verbindet, sodass Kreditsicherheiten einfacher wiedererlangt werden können und der Verkauf nicht rentabler Kredite und Rettungserwerbe effektiver werden. Bei der Geschwindigkeit des Verfahrens sind womöglich auch die Eigenkapitalausstattung der Banken sowie deren Fähigkeit, Finanzmittel auf den Märkten zu beschaffen, zu berücksichtigen.
Für die Bewältigung notleidender Kredite ist ein ganzheitlicher Ansatz erforderlich, wie es in den Schlussfolgerungen des Rates ECOFIN vom Juli 2017 in einem Aktionsplan zur Bewältigung des Problems der notleidenden Kredite in Europa festgelegt wurde. Das umfasst eine Vielzahl von Maßnahmen, von aufsichtsrechtlichen Letztsicherungen bis zu Insolvenzrahmen oder der Entwicklung von Sekundärmärkten.
23. Wie bewerten Sie den hohen Anteil an Vermögenswerten der Ebenen 2 und 3 in vielen Bankbilanzen? Werden diese Vermögenswerte von dem gegenwärtigen aufsichtsrechtlichen Rahmen angemessen berücksichtigt?
Der Schlüssel für eine angemessene Führung und Beaufsichtigung einer Bank liegt darin, ordentliche Informationen über den wahren Wert ihrer Aktiva zu haben. Je ungenauer die Informationen in dieser Hinsicht sind, desto komplexer und weniger zuverlässig ist die Bewertung ihrer Zahlungsfähigkeit.
Vermögenswerte der Ebenen 2 und 3, die keine marktüblichen Preise haben und deren Wert anhand anderer Kennzahlen oder komplexer mathematischer Modelle geschätzt werden muss, sind daher eine Herausforderung für die Arbeit von Buchhaltern, Aufsichtsinstanzen und Bankmanagern.
Gerade deshalb berücksichtigt der vom Finanzstabilitätsrat aufgestellte Rahmen, mit dem entschieden werden soll, welche Banken als weltweit systemisch (global systemrelevante Banken – G-SIB) angesehen werden, den Umfang dieser Art von Vermögenswerten als eines der Hauptelemente bei der Festlegung des Komplexitätsgrads einer Bank. Auf der Grundlage dieser Klassifikation unterliegen G-SIB strengeren Solvabilitäts- und Abwicklungsanforderungen.
Jedenfalls scheint es eine fragliche Tendenz dahin zu geben, diese Vermögenswerte automatisch zu stigmatisieren und sie als „problematische Vermögenswerte“ wie notleidende Kredite, gestundete Kredite oder Rettungserwerbe anzusehen.
Gleichwohl müssen diese Vermögenswerte von den Aufsichtsinstanzen ordnungsgemäß behandelt werden. Erstens müssen wir sicher sein, dass Vermögenswerte der Ebenen 2 und 3 in den Bankbilanzen ordnungsgemäß identifiziert und klassifiziert werden. Zweitens muss die angemessene Bewertung beider Arten von Vermögenswerten von den Aufsichtsinstanzen überwacht werden. Dies gilt insbesondere für große und komplexe Banken. Ähnlich wie bei der Herangehensweise bei notleidenden Krediten muss die Bankaufsicht sicherstellen, dass die Banken die Vermögenswerte ordnungsgemäß bewerten oder andernfalls die Unterbewertung in der GuV-Rechnung so schnell wie möglich berücksichtigen.
24. Was halten Sie von der Regulierung der Schattenbanken?
Die bankenunabhängige Finanzierung stellt eine Alternative zur bankenabhängigen Finanzierung dar und trägt zur Stützung der Realwirtschaft bei. Das Schattenbankwesen ist eine Quelle der Diversifizierung der Kreditversorgung, kann aber durch seine Verflechtung mit den Banken direkt oder indirekt auch zu einer Quelle von Systemrisiken werden. Es ist wichtig, dass man sich dieser Risiken annimmt und angemessene Maßnahmen findet, um sie zu vermeiden und die Transparenz der Schattenbankunternehmen zu gewährleisten. Je transparenter diese Risiken sind, desto genauer wird ihre Einpreisung sein.
In dieser Hinsicht wurden große Fortschritte erzielt. Der Finanzstabilitätsrat beschäftigt sich seit seiner Gründung 2009 mit der Umwandlung des Schattenbankwesens in widerstandsfähige, marktbasierte Finanzinstitute. Außerdem hat die Europäische Kommission 2013 eine Mitteilung herausgegeben, die eine Reihe von Prioritäten umreißt, wie die Transparenz des Schattenbanksektors und die Errichtung eines Rahmens für Geldmarktfonds. Geldmarktfonds bieten Finanzinstituten, Unternehmen und Staaten eine Möglichkeit zur kurzfristigen Finanzierung. Am 20. Juli 2017 trat die Verordnung (EU) 2017/1131 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über Geldmarktfonds mit mehreren Maßnahmen in Kraft, die darauf abzielen, die Verwundbarkeit gegenüber einem Ansturm auf diese Fonds zu reduzieren.
In jedem Fall muss die Relevanz des Schattenbankwesens aus Gründen der makrofinanziellen Stabilität weiterhin genau überwacht werden.
25. Sind Sie der Ansicht, dass der Abwicklungsrahmen im Licht der Fälle von Banco Popular, Banca Populare di Vicenza und Veneto Banca effizient funktioniert?
Jüngste Fälle haben gezeigt, dass der 2014 durch die Annahme der Richtlinie zur Festlegung eines Rahmens für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen und die Verordnung zur Festlegung eines einheitlichen Abwicklungsmechanismus eingerichtete europäische Abwicklungsrahmen effizient funktioniert.
Ein typisches Beispiel dafür war die kürzliche Abwicklung der Banco Popular im letzten Juni. Am 6. Juni 2017 gelang es dem Einheitlichen Abwicklungsausschuss (SRB) im Gefolge der Feststellung der EZB, dass die sechstgrößte Bank in Spanien zusammenbrechen würde bzw. ihr Zusammenbruch wahrscheinlich sei, einen Abwicklungsplan anzunehmen (der von der Europäischen Kommission bestätigt und von der FROB, der spanischen Abwicklungsbehörde, umgesetzt wurde) und den Verkauf der Gruppe an einen leistungsfähigen Käufer durchzuführen. Damit erfüllte sie ihr Mandat, die Finanzstabilität zu schützen, wichtige Funktionen sicherzustellen und die Verwendung von Steuergeldern zu vermeiden. Am Morgen des 7. Juni öffneten die Geschäftsräume der Banco Popular wie üblich, ohne dass ein einziger Cent öffentlichen Geldes ausgegeben worden wäre und ohne Auswirkungen auf die Finanzmärkte und die Allgemeinheit, obwohl die Abwicklungsbehörde ihre außerordentlichen Kompetenzen zur Abschreibung und Umwandlung von Aktien, die AT1 und T2 Instrumente, wahrgenommen hatte.
Dieser ersten Erfahrung unter der Bankenunion folgten andere Fälle in Italien, bei denen Behörden in ganz Europa bei der Anwendung der EU-Vorschriften ebenfalls eng zusammengearbeitet haben.
Am 23. Juni 2017 erklärte die EZB, dass die Banca Popolare di Vicenza und die Veneto Banca zusammengebrochen seien bzw. der Zusammenbruch wahrscheinlich sei, und der Einheitliche Abwicklungsausschuss (SRB) entschied, dass bei diesen Banken keine Abwicklungsmaßnahmen im öffentlichen Interesse geboten seien. Das führte dazu, dass diese Banken nach italienischem Insolvenzrecht abgewickelt wurden.
Schließlich könnten auch die jüngsten Fälle der ABLV in Lettland und ihrer Tochter in Luxemburg erwähnt werden. Ihr Zusammenbruch bzw. die Wahrscheinlichkeit ihres Zusammenbruchs wurde am 23. Februar erklärt, und sie werden nach nationalem Recht abgewickelt.
Trotz der großen Fortschritte bei der Errichtung der Bankenunion kann aus diesen Fällen einiges gelernt werden. Erstens können die Insolvenzrahmen noch weiter harmonisiert werden, da sie die Alternative zur Abwicklung darstellen, die im Gegensatz dazu nach einem gemeinsamen EU-Rahmen durchgeführt wird. Zweitens besteht auch das Bedürfnis, den Abwicklungsrahmen zu stärken, um eine liquiditätsbedingte Krise zu bewältigen, idealerweise mit Instrumenten und Verfahren, die einfach, schnell und hinreichend glaubwürdig sind. Es muss auch weiter daran gearbeitet werden, den Planungsprozess der Abwicklung zu stärken, nicht zuletzt durch die Bestimmung und Überwachung der Mindestanforderung an Eigenmitteln und berücksichtigungsfähigen Verbindlichkeiten bei allen Unternehmen (wobei stets die besonderen Umstände jeder Gruppe berücksichtigt werden sollten), das Entwerfen von Abwicklungsstrategien oder eine größere Betonung des Sammelns rechtzeitiger und aktueller Informationen. Die laufende Reform der Richtlinie zur Festlegung eines Rahmens für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen bietet eine Gelegenheit, bestimmte Schlüsselelemente in das derzeitige System einzubeziehen und den europäischen Abwicklungsrahmen noch stärker und robuster zu machen.
25. Was ist Ihre Ansicht zu den möglichen Schritten hin zu einer Vollendung der Bankenunion mit einer europäischen Einlagensicherung und einem fiskalischen Sicherheitsnetz, einschließlich der notwendigen Umsetzung der bestehenden Rechtsvorschriften zur Bankenunion und der laufenden Arbeiten im Hinblick auf Risikoteilung und Risikominderung?
Die Vollendung der Bankenunion ist zusammen mit der Kapitalmarktunion eine Priorität für die Wirtschafts- und Währungsunion. Angesichts des Fehlens einer fiskalischen Risikoteilung wird die Finanzunion zur Absorbierung von Schocks umso wichtiger. Außerdem wird die Schaffung gleicher Wettbewerbsbedingungen für Banken in der Bankenunion zu Finanzstabilität und einer reibungslosen Transmission der Geldpolitik beitragen.
Wie oben erwähnt, wurden seit der Krise mit der Überarbeitung der Bankenregulierung und der Einrichtung des einheitlichen Aufsichts- und des einheitlichen Abwicklungsmechanismus bereits substanzielle Reformen umgesetzt. Im Ergebnis sind die Banken heute angesichts verbesserter Zahlungsfähigkeit und Liquidität sowie verbesserter Fremdfinanzierungsquoten besser kapitalisiert und wesentlich widerstandsfähiger.
Im Juni 2016 einigte sich der Rat der Europäischen Union auf einen Fahrplan für die Vollendung der Bankenunion. Zu diesem Fahrplan gehören Maßnahmen, mit denen die Risiken im Bankensektor reduziert und aufgeteilt werden sollen. Derzeit wird daran gearbeitet, was die angemessenste Abfolge dieser Maßnahmen ist, sowie an der Operationalisierung des Fahrplans, so wie es der Euro-Gipfel im Jahr 2017 verlangt hat. Die Mitgliedstaaten sollten entscheiden, inwieweit Maßnahmen zur Risikominderung und Risikoteilung parallel oder nacheinander erfolgen sollen.
Mit dem Legislativvorschlag der Kommission vom November 2016, von dem bereits zwei Elemente (Gläubigerhierarchie und IFRS 9) beschleunigt wurden, wurde ein wesentlicher Fortschritt bei den im Fahrplan angepeilten Maßnahmen zur Risikominderung erzielt. Die Verhandlungen über die anderen Elemente dieses Pakets schreiten voran. Notleidende Kredite sind weiterhin die größte Herausforderung im Bankensektor der EU. Es besteht die Notwendigkeit, sich mit den Hinterlassenschaften der Krise zu beschäftigen und ein zukünftiges Anwachsen notleidender Kredite zu verhindern.
Die Bewertung der Kommission, die von anderen Organen geteilt wird, geht dahin, dass die Risiken im Bankensektor wesentlich reduziert wurden und es jetzt an der Zeit ist, bei der Bereitstellung der beiden fehlenden Elemente der Bankenunion – dem Europäischen Einlagenversicherungssystem (EDIS) und der gemeinsamen Letztsicherung für den einheitlichen Abwicklungsfonds (SRF) – Fortschritte zu machen.
EDIS ist die dritte Säule der Bankenunion und damit das wichtigste noch fehlende Element in ihrer Architektur. Ein vollwertiges Einlagenversicherungssystem würde gleiche Wettbewerbsbedingungen in der Bankenunion gewährleisten und eine stärkere Finanzintegration fördern. Nach der Zentralisierung der Bankenaufsicht und -abwicklung würde durch die Gewährung der gleichen Garantie für Einleger unabhängig von ihrem Standort in der Bankenunion ein Gleichgewicht zwischen Verantwortung und Haftung geschaffen. In dem Bemühen um einen Konsens hat die Kommission mit einer schrittweisen Einführung von EDIS eine pragmatische Vorgehensweise vorgeschlagen. In diesem überarbeiteten Vorschlag ist für die erste Phase der Rückversicherung keine Risikoteilung vorgesehen, was ihre rasche Einführung erleichtern dürfte.
Was die gemeinsame Letztsicherung für den einheitlichen Abwicklungsfonds anbelangt, so wurde bereits eine politische Einigung erzielt, diese spätestens bis zum Ende des Übergangszeitraums einzuführen. Der Fahrplan sieht die Möglichkeit vor, das System unter der Bedingung, dass im Hinblick auf die Maßnahmen zur Verringerung von Risiken Fortschritte erzielt werden, vorzeitig in Betrieb zu nehmen. Es besteht weitgehendes Einvernehmen darüber, dass der Europäische Stabilitätsmechanismus ein geeigneter Träger wäre. Für die Glaubwürdigkeit des einheitlichen Abwicklungsmechanismus ist es wichtig, dass bei der gemeinsamen Letztsicherung rasch Fortschritte erzielt werden.
Zurzeit ist der Zeitpunkt für den Aufbau einer vollständigen Bankenunion, die den europäischen Banken gleiche Wettbewerbsbedingungen bietet und ihre Widerstandsfähigkeit im Hinblick auf künftige Krisen erhöht, außerordentlich günstig. Maßnahmen zur Verringerung von Risiken werden dazu beitragen, den notwendigen Konsens zu erzielen, um Fortschritte bei der Risikoteilung zu erreichen. Gleichzeitig tragen auch Maßnahmen zur Risikoteilung zu ihrer Verringerung bei. Die Mitgliedstaaten stehen vor der Herausforderung, die am besten geeignete Ablaufplanung zu wählen. Am Ende des Prozesses wird eine vollständige Bankenunion zur Wahrung der Finanzstabilität und somit zu einer reibungslosen Transmission der Geldpolitik beitragen.
26. Was fehlt noch zur Vertiefung der WWU?
Als der Euroraum geschaffen wurde, ging man davon aus, dass Preisstabilität zusammen mit einer umsichtigen, über den Stabilitäts- und Wachstumspakt koordinierten Finanzpolitik die makroökonomische Stabilität in der Währungsunion gewährleisten würde. Es waren keine geeigneten Mechanismen vorhanden, um Unterschiede in der Wettbewerbsfähigkeit zu verhindern. Folglich führte dies zur Entstehung unhaltbarer Ungleichgewichte im Euro-Währungsgebiet, und die Finanzierung erfolgte hauptsächlich über kurzfristige Verbindlichkeiten.
Als sich diese Ungleichgewichte auflösten, fehlte den einzelnen Mitgliedern des Euro-Währungsgebiets der Wechselkurs als Anpassungsmechanismus. Starre Arbeits- und Produktmärkte führten zu erheblichen Kosten bei Beschäftigung und Produktion. Darüber hinaus beeinträchtigten die finanzielle Fragmentierung im Euro-Währungsgebiet und die Furcht vor einer Umdenominierung den Mechanismus zur Transmission der einheitlichen Geldpolitik, sodass die Finanzierungsbedingungen für die Wirtschaftsteilnehmer von dem Land bestimmt wurden, in dem sie ansässig waren.
Zwar wurde durch die während der Krise durchgeführten Reformen die Widerstandsfähigkeit der WWU erheblich verbessert, doch muss noch mehr getan werden, wenn die WWU auf die nächste Krise angemessen vorbereitet werden soll. Die Vertiefung der WWU erfordert eine Reform ihrer Architektur, um ihre Widerstandsfähigkeit zu erhöhen und ihr die notwendigen Mechanismen zur Verfügung zu stellen, die erstens dazu dienen, Schocks zu verhindern, und zweitens eine Anpassung an bereits eingetretene Schocks ermöglichen sollen.
Krisenprävention ist mit der Verringerung von Risiken in der Währungsunion verbunden: erstens im Finanzsektor, wo bereits substanzielle Reformen durchgeführt wurden, und zweitens in den Volkswirtschaften der Mitgliedstaaten, deren Widerstandsfähigkeit durch geeignete Strukturreformen sichergestellt werden muss, mit denen der Entstehung von Unterschieden in der Wettbewerbsfähigkeit vorgebeugt wird. Strukturreformen sind der wichtigste Mechanismus zur Verringerung von Risiken in der WWU. Neben der Förderung der realen Konvergenz werden Strukturreformen Wachstumspotenzial freisetzen und nachhaltige Arbeitsplätze und Wirtschaftswachstum fördern.
Selbst wenn eine vollständige Konvergenz erreicht würde, wäre das Euro-Währungsgebiet dennoch nicht in der Lage, alle makroökonomischen Schocks zu verhindern. Deshalb werden auch Instrumente des Krisenmanagements benötigt.
Die Finanzunion kann die Risikoteilung im privaten Sektor fördern. Um die Integration der Finanzmärkte voranzutreiben, werden sowohl die Kapitalmärkte als auch die Bankenunion benötigt. Um Nutzen aus den Vorteilen einer vollständigen Bankenunion ziehen zu können, bedarf es einer gemeinsamen Letztsicherung für den einheitlichen Abwicklungsfonds und eines europäischen Einlagenversicherungssystems (siehe vorherige Frage).
Darüber hinaus werden immer häufiger Forderungen laut, eine makroökonomische Stabilisierungskapazität für das Euro-Währungsgebiet zu schaffen, um schweren Schocks entgegenzuwirken, die die nationalen automatischen Stabilisatoren überfordern. Die Befürworter sehen darin eine Ergänzung zu den nationalen Haushaltsstabilisatoren im Falle eines schweren negativen Schocks. Sie könnte außerdem dazu dienen, die Umsetzung eines angemessenen finanzpolitischen Kurses zu unterstützen, um so zu einem angemessenen Policy-Mix im Euro-Währungsgebiet beizutragen und die übermäßige Abhängigkeit von der Geldpolitik im Hinblick auf eine Stabilisierung zu verringern. Falls diese Stabilisierungskapazität verwirklicht wird, sollte der entsprechende Entwurf den Bedenken hinsichtlich ungebührlichen Risikoverhaltens Rechnung tragen und Anreize für eine solide Wirtschaftspolitik schaffen, einschließlich der langfristigen Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen oder der Durchführung von Strukturreformen, die eine größere reale Konvergenz gewährleisten und die Widerstandsfähigkeit der einzelnen Volkswirtschaften erhöhen.
Schließlich würde die Stärkung des ESM, wie unten beschrieben, die Fähigkeit der WWU zur Wahrung der Finanzstabilität stärken.
All diese Reformen werden zu einer engeren Integration der Volkswirtschaften des Euroraums führen, die Souveränitätsübertragungen erforderlich machen wird. Diese Souveränitätsübertragungen müssen mit einer angemessenen demokratischen Rechenschaftspflicht einhergehen, wobei den nationalen Parlamenten und dem Europäischen Parlament eine wichtigere Rolle zukommen muss.
27. Wie sähe Ihrer Ansicht nach die Herausforderung für die EZB aus, wenn der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) in einen Europäischen Währungsfonds (EWF) umgewandelt würde?
Seit seiner Schaffung im Jahr 2012 spielt der Europäische Stabilitätsmechanismus bei der Wahrung der Finanzstabilität des Euroraums eine entscheidende Rolle. Zusammen mit seiner Vorgängerinstitution, der 2010 eingerichteten EFSF, hat er Finanzhilfe für fünf Mitgliedstaaten bereitgestellt. Fünf Jahre später haben die Staats- und Regierungschefs ein klares Mandat erteilt, um die Zukunft der Institution zu erörtern. Es besteht die Chance, ein vollständiges Sicherheitsnetz für den Euroraum zu entwickeln. Europa sollte über die Kapazitäten und Instrumente verfügen, die für die Bewältigung seiner Krisen erforderlich sind, und gleichzeitig offen für die Beteiligung des IWF bleiben.
Aus rein institutioneller Sicht gehört der ESM zum EU-Rahmen. Dies würde seine demokratische Rechenschaftspflicht stärken. Sollte dies jedoch eine Änderung der Verträge erforderlich machen, könnten die Verhandlungen verzögert werden. In der Zwischenzeit sollte die Gelegenheit, die Institution zu stärken und zu festigen, um sie zu gegebener Zeit in den Gemeinschaftsrahmen zu integrieren, nicht verpasst werden. Der ESM als Krisenmanagement-Institution sollte angemessen ausgestattet sein, um seiner Rolle gerecht zu werden.
Es besteht weitgehendes Einvernehmen darüber, dass der ESM ein geeigneter Träger für die gemeinsame Letztsicherung des einheitlichen Abwicklungsmechanismus wäre.
Es ist zudem davon auszugehen, dass der ESM in Zukunft eine stärkere Rolle bei den Finanzhilfeprogrammen spielen wird, insbesondere bei der Programmgestaltung und -überwachung in Zusammenarbeit mit der Kommission.
Was die Interaktion mit der EZB anbetrifft, so ist zunächst einmal zur Kenntnis zu nehmen, dass die EZB und der ESM unterschiedliche Mandate haben. Das Hauptziel der EZB besteht darin, die Preisstabilität im Euro-Währungsgebiet zu gewährleisten, während der ESM eine Haushaltsinstitution ist, die für die Wahrung der Finanzstabilität im Euro-Währungsgebiet verantwortlich ist, indem sie den Ländern des Euro-Währungsgebiets finanzielle Unterstützung unter Vorbehalt gewährt. Diese Mandate ergänzen sich gegenseitig: Während Preisstabilität eine notwendige Voraussetzung für Finanzstabilität ist, trägt Finanzstabilität gleichzeitig zur reibungslosen Transmission der Geldpolitik bei. Ein gefestigter ESM, der im Hinblick auf die Wahrung der Finanzstabilität besser gerüstet ist, sollte daher die EZB bei der Erfüllung ihres Mandats unterstützen.
Schließlich ist nicht zu erwarten, dass der ESM zu einer Währungseinrichtung wird. Auch wenn Ähnlichkeiten zur Rolle des Internationalen Währungsfonds nachvollziehbar sind, könnte es ratsam sein, in Zukunft jede mögliche Verwirrung zu vermeiden, indem man ihn in Europäischer Währungsfonds umbenennt. Es gibt viele alternative Bezeichnungen, die den Charakter dieser Institution angemessen beschreiben könnten, aber es wird Sache der Mitgliedstaaten sein, eine endgültige Entscheidung zu treffen.
28. Was halten Sie von der Notwendigkeit einer strikten Trennung zwischen Geldpolitik und Bankenaufsicht, und welche Reformen würden Ihrer Meinung nach diese Trennung verstärken und begünstigen? Wie beurteilen Sie den derzeitigen institutionellen Aufbau des ESRB unter dem Dach der EZB im Hinblick auf seine konkreten Erfolge bei der makroprudentiellen Aufsicht?
Die aktuelle Aufgabenverteilung funktioniert gut. Die Übernahme von Befugnissen bei der Beaufsichtigung von Kreditinstituten durch die EZB erfolgte so, dass ihre Unabhängigkeit bei der Wahrnehmung ihrer geldpolitischen Aufgaben in vollem Umfang respektiert wurde. Als die EZB im Jahr 2014 mit der Beaufsichtigung der Kreditinstitute betraut wurde, wurde festgestellt, dass die EZB als Zentralbank des Euroraums aufgrund ihrer umfassenden Expertise in Fragen der makroökonomischen Stabilität und der Finanzstabilität gut aufgestellt war, um diese neuen Aufgaben wahrzunehmen. Viele Zentralbanken der Mitgliedstaaten sind auch für die Bankenaufsicht zuständig.
Um eine strikte Trennung zwischen beiden Befugnissen zu gewährleisten, wurde ein umfassender Rechtsrahmen verabschiedet (SSM-Verordnung, Beschluss der EZB über die Trennung zwischen Geldpolitik und Aufsichtsfunktionen, Einrichtung der Schlichtungsstelle, Änderungen an den internen Regelungen, Vorschriften über die Vertraulichkeit des Informationsaustausches und das Berufsgeheimnis), sodass jede dieser politischen Funktionen im Einklang mit ihren spezifischen Zielen ausgeübt wurde. Darüber hinaus sorgt die interne Organisation der EZB dafür, dass die an der Wahrnehmung der Aufsichtsaufgaben beteiligten Mitarbeiter organisatorisch von den an den übrigen Aufgaben beteiligten Mitarbeitern getrennt sind und getrennten Berichtslinien unterliegen. Neue Verfahren zur Gewährleistung eines agilen und unabhängigen Verfahrens bei der Annahme von Aufsichtsentscheidungen wurden auch für die Angelegenheiten des einheitlichen Aufsichtsmechanismus eingeführt (d. h. Verfahren der „impliziten Zustimmung“). Was schließlich die Rechenschaftspflicht anbelangt, so ist die EZB verpflichtet, dem Europäischen Parlament und dem Rat darüber Bericht zu erstatten, wie sie der Trennung beider Funktionen gerecht wird. In einigen Bereichen, wie der Funktionsweise der gemeinsam genutzten Dienste innerhalb der EZB oder dem Entscheidungsprozess, könnte es noch Spielraum für weitere Feinabstimmungen geben, doch insgesamt funktioniert das System innerhalb des derzeitigen Rechtsrahmens gut. In jedem Fall sollte eine wirksame Trennung zwischen Geldpolitik und Aufsichtsfunktionen nicht verhindern, dass, wo immer möglich und wünschenswert, alle Vorteile, die sich aus der Kombination dieser beiden politischen Funktionen in ein und derselben Institution ergeben, ausgeschöpft werden können.
Was den ESRB betrifft, so hat er von Anfang an reibungslos funktioniert. Dass die EZB auf allen Ebenen Unterstützung leistet, ist ein wesentlicher Teil seines Erfolgs. Die makroprudentielle Politik ist ein zentrales Thema für eine Zentralbank, und deshalb sollte die EZB im ESRB weiterhin eine führende Rolle übernehmen. Der ESRB ist ein im Allgemeinen gut funktionierendes Organ, das keine großen Veränderungen im Politikbereich, sondern eine gezielte Feinabstimmung seiner Struktur erfordert. Seine gegenwärtige Struktur und Zusammensetzung spiegelt den institutionellen Rahmen zum Zeitpunkt der Gründung wider, welcher sich seither jedoch stark weiterentwickelt hat. Eine der wichtigsten Entwicklungen war die Einführung des einheitlichen Aufsichtsmechanismus und des einheitlichen Abwicklungsmechanismus. Die Zusammenarbeit zwischen dem ESRB und diesen Institutionen sollte angesichts der potenziellen Relevanz ihrer Aufgabe für die makroprudentielle Politik intensiviert werden.
29. Was halten Sie von der Strukturreform des Bankensektors im Hinblick auf Institute, die „für eine Insolvenz zu groß oder zu sehr miteinander verflochten“ sind?
Der Rat für Finanzstabilität hat in enger Zusammenarbeit mit dem Basler Ausschuss für Bankenaufsicht bereits eine Reihe von Kriterien zur Bestimmung der systemischen Bedeutung von Banken entwickelt. Nach diesen Kriterien gibt es derzeit 30 Kreditinstitute, die nach ihrem spezifischen Grad an globaler systemischer Bedeutung in fünf Klassen gruppiert sind (obwohl die fünfte Klasse zurzeit leer ist), mit steigenden Anforderungen an die Gesamtverlustabsorptionsfähigkeit (TLAC). Darüber hinaus enthält die EU-Eigenkapitalrichtlinie eine Reihe von Kriterien zur Bestimmung weiterer systemrelevanter Institute (d. h. Banken, deren Ausfall systemische Auswirkungen auf die Finanzstabilität und die Realwirtschaft eines oder mehrerer Mitgliedstaaten haben könnte), die ebenfalls einem Kapitalzuschlag unterliegen. Schließlich soll gemäß der Richtlinie über die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten die Mindestanforderung an Eigenmittel und berücksichtigungsfähige Verbindlichkeiten (MREL) auch unter Berücksichtigung der Größe und Komplexität der Bank festgelegt werden.
Die TLAC- und MREL-Anforderungen sind ein bedeutender Schritt zur Bewältigung der Probleme mit für eine Insolvenz zu großen Kreditinstituten. Ziel ist es, unter Vermeidung der Verwendung von Steuergeldern eine wirksame und glaubwürdige Anwendung des Bail-in-Abwicklungsinstruments zu gewährleisten.
D. Arbeitsweise der EZB, demokratische Rechenschaftspflicht und Transparenz
30. Welchen Ansatz werden Sie persönlich in Bezug auf den sozialen Dialog in der EZB verfolgen?
Die Personalprobleme der EZB und ihre Beschäftigungspolitik treten in letzter Zeit immer deutlicher zutage. Mit der Erweiterung der Rolle der EZB gewinnen bestimmte Fragen des Personalmanagements im Rahmen des sozialen Dialogs der EZB zunehmend an Bedeutung. Meines Erachtens wäre es sehr positiv, die Zusammenarbeit mit den Arbeitnehmervertretern und den Gewerkschaften zu intensivieren, um gemeinsam an weiteren Verbesserungen in Bezug auf das Resourcing-Modell zu arbeiten, wobei hohe Arbeitsqualitätsstandards und Leistungen nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses beibehalten werden. Auf der Grundlage von Grundsätzen wie Transparenz, Partnerschaft und gegenseitigem Respekt könnte der soziale Dialog konkrete Verbesserungen für alle bringen. Die Personalvertreter sollten rechtzeitig über alle für sie relevanten Fragen informiert und konsultiert werden. Darüber hinaus führt die EZB auf der Ebene des ESZB/Euro-Systems einen fruchtbaren Dialog mit den Personalvertretern, der in denjenigen Bereichen weitergeführt werden sollte, in denen Entscheidungen der Entscheidungsgremien der EZB Auswirkungen auf die Beschäftigungsbedingungen in den Zentralbanken haben können.
31. Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie aus dem Vergleich der Transparenzpolitik der EZB mit der der anderen großen Zentralbanken (Federal Reserve, Bank of England usw.)?
Transparenz und eine gute Kommunikation sind in der heutigen Zeit von entscheidender Bedeutung für die Durchführung der Geldpolitik und die Vermittlung politikrelevanter Informationen an die Finanzmärkte und die Öffentlichkeit, sodass der geldpolitische Kurs richtig verstanden und antizipiert werden kann. Ein besseres Verständnis der Öffentlichkeit macht die Geldpolitik glaubwürdiger und effektiver. Nicht zuletzt ist Transparenz ein Grundpfeiler guter Governance.
Die Transparenzpolitik der Federal Reserve (Fed) und der Bank of England (BoE) einerseits und der EZB andererseits unterscheidet sich zwangsläufig aufgrund der Unterschiedlichkeit dieser Institutionen sowie der unterschiedlichen Rahmenbedingungen, Herausforderungen und Determinanten, denen sie unterliegen. Einer dieser relevanten Aspekte ist die Komplexität des multinationalen Charakters des Eurosystems im Vergleich zu anderen für Geldpolitik zuständigen Behörden. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Transparenzstandards der EZB niedriger sind als die ihrer Pendants. Im Gegenteil, die Transparenzstandards der EZB wurden in letzter Zeit schnell und spürbar erhöht. Die erheblichen Anstrengungen, die die EZB in den letzten Jahren unternommen hat, um ihre Transparenz zu erhöhen, sollten Anerkennung finden. Die Veröffentlichung der Berichte über die geldpolitischen Sitzungen und die Offenlegung der Tagesordnungen sind nur einige Beispiele. In diesem Sinne ist die von der EZB bekräftigte feste Zusicherung, ihren Transparenzrahmen zu überprüfen, anzupassen und zu aktualisieren, zweifellos von größter Bedeutung und verdient es, unterstützt zu werden.
32. Wie beurteilen Sie die Rechenschaftspflicht der EZB gegenüber dem Europäischen Parlament und die notwendigen Schritte zu ihrer Verbesserung, insbesondere im Rahmen der vierteljährlichen Währungsdialoge mit dem ECON-Ausschuss? Welche Maßnahmen und künftigen Reformen würden Ihrer Ansicht nach die demokratische Rechenschaftspflicht der EZB gegenüber dem Europäischen Parlament stärken?
Die Rechenschaftspflicht stellt sicher, dass die EZB im Einklang mit ihrem Mandat handelt. Sie ist das notwendige Gegengewicht zu der Unabhängigkeit, die für die EZB unerlässlich ist, um dieses Mandat ohne jegliche Einmischung von außen ausüben zu können. Der EZB wurde das Mandat anlässlich der Ratifizierung der Verträge direkt von den EU-Bürgern erteilt; deshalb ist die EZB aus demokratischer Sicht gegenüber den EU-Bürgern und ihren direkt gewählten Vertretern, die hier im Europäischen Parlament anwesend sind, für ihr Handeln rechenschaftspflichtig.
Die EZB hat im Laufe der Jahre einen soliden und umfassenden Rahmen für die Rechenschaftspflicht entwickelt. Die vierteljährlichen Anhörungen des Präsidenten hier im ECON-Ausschuss, die zahlreichen und vielfältigen Fragen, die die Mitglieder des Europäischen Parlaments an die EZB zu ihren Kernpolitiken und -tätigkeiten richten, die Anhörungen anderer Mitglieder des Direktoriums zu bestimmten Themen, die Veröffentlichung und Vorstellung des Jahresberichts der EZB sowie die Folgemaßnahmen zu der entsprechenden Entschließung des Europäischen Parlaments, der häufige Meinungsaustausch zwischen dem Präsidenten des Europäischen Parlaments und dem Präsidenten der EZB sowie die zahlreichen Anforderungen hinsichtlich der Rechenschaftspflicht, die in der SSM-Verordnung enthalten sind, sind nur einige Beispiele, die die Tiefe und Aussagekraft der Rechenschaftsbeziehung der EZB zum Europäischen Parlament belegen.
In diesem Zusammenhang ist der vierteljährliche Währungsdialog ein unverzichtbares Instrument, um die Transparenz der geldpolitischen Entscheidungen der EZB gegenüber den EU-Bürgern und ihren Vertretern zu gewährleisten, insbesondere in Zeiten, in denen Entscheidungen, wie jene in Bezug auf die Forward Guidance oder die Strategie des Ausstiegs aus den unkonventionellen geldpolitischen Maßnahmen, verstärkte Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Meines Erachtens beweist das hohe derzeitige Interaktionsniveau, dass dies eine sehr hilfreiche Maßnahme ist, bei der die Mitglieder des Europäischen Parlaments nicht davor zurückschrecken, kritische Fragen zu stellen, und die Vertreter der EZB so viele Einblicke und Erkenntnisse wie möglich vermitteln. Darüber hinaus bilden die vom ECON-Ausschuss ausgewählten Themen und die auf der Grundlage der von geldpolitischen Experten erstellten Informationspapiere basierende Hintergrundanalyse zu den Themen einen Schwerpunkt der Anhörungen, die es den Mitgliedern des Europäischen Parlaments ermöglichen, mit der EZB in viel breiter angelegte Diskussionen über die Wirtschaftspolitik im Allgemeinen einzutreten.
Wie bei anderen EU-Politiken stellt das Europäische Parlament grundlegende Kontrollmechanismen bereit, die es zu wahren und zu gewährleisten gilt. Der Rahmen für die Rechenschaftspflicht sollte auch in Zukunft effizient bleiben und an die neuen Bedürfnisse und Herausforderungen angepasst werden, indem die Interaktionen bei Bedarf ausgeweitet werden. Im Fall des Währungsdialogs sollte das Ziel dieser Interaktionen darin bestehen sicherzustellen, dass die Strategie der EZB verstanden, in sachgemäßer Weise zielgerichtet sowie erfolgreich und effizient umgesetzt wird. Ergänzt werden könnte dies durch spezielle thematische Teilsitzungen zu spezifischen Themen, die eine vertiefte Analyse und Diskussion über Bereiche von besonderem Interesse ermöglichen. Kurz gesagt: Die Beziehungen zwischen der EZB und dem Europäischen Parlament, ihrem wichtigsten Gegenstück im Bereich der Rechenschaftspflicht, müssen eng und robust bleiben.
33. Welches sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Risiken und Herausforderungen, denen sich die EZB in der gegenwärtigen Phase gegenübersieht?
Trotz der unkonventionellen geldpolitischen Maßnahmen, die in den letzten Jahren ergriffen wurden, wird die Inflationsrate des Euroraums in den nächsten Jahren voraussichtlich noch immer unter dem Referenzzinssatz von 2 % liegen. Dieser Sachverhalt rechtfertigt eine kontinuierliche Neubewertung der wirtschaftlichen und geldpolitischen Bedingungen des Euroraums und der Auswirkungen der bisher ergriffenen Maßnahmen. In der Zwischenzeit muss die EZB auch wachsam sein für den Fall, dass es im gegenwärtigen Umfeld sehr niedriger Zinsen und einer lockeren Geld- und Finanzpolitik zu einer unangemessenen Anhäufung finanzieller Risiken kommt.
Mit Blick auf die Zukunft bleiben für die Geldpolitik im Euroraum einige wichtige Herausforderungen bestehen. Einige werden relativ bald in Erscheinung treten, während sich andere eher langfristig zeigen werden. Kurzfristig und soweit die Inflation sich ihrem Ziel dauerhaft annähert, wird die EZB darüber nachdenken müssen, wie sie ihren geldpolitischen Kurs normalisieren kann. Dies betrifft sowohl den Ankauf von Vermögenswerten im Rahmen des Programms zum Ankauf von Vermögenswerten als auch den Zinssatz der Einlagefazilität, der sich derzeit im negativen Bereich befindet. Künftig müssen Anpassungen auf dem Weg zum Ankauf von Nettovermögenswerten an die Fortschritte bei der Konvergenz der Inflation in Richtung ihres Ziels geknüpft werden. Nach Abschluss der Nettoankäufe kann die Normalisierung durch eine Anhebung des Zinssatzes der Einlagenfazilität und der anderen geldpolitischen Zinssätze fortgesetzt werden.
Neben den Herausforderungen, die sich aus dem derzeitigen Umfeld einer niedrigen Inflationsrate und der Notwendigkeit der Normalisierung des geldpolitischen Kurses ergeben, steht die Geldpolitik auf längere Sicht vor einer gewaltigen Herausforderung, die damit zusammenhängt, dass die Zinsen auch in Zukunft sehr niedrig bleiben dürften. Insbesondere deutet einiges darauf hin, dass der sogenannte natürliche Zins in den letzten Jahren in den entwickelten Volkswirtschaften gesunken ist und nun nahe Null oder sogar negativ sein könnte. Unabhängig von den Gründen (demografisch, technologisch usw.) stellen diese niedrigen natürlichen Zinsen die konventionelle Zinspolitik vor erhebliche Probleme.
Unter diesen Umständen scheint es, dass einige der jüngsten Maßnahmen, wie z. B. Programme zum Ankauf von Vermögenswerten oder Forward Guidance für kurzfristige Zinssätze, im „Werkzeugkasten“ der Zentralbanken verbleiben werden, da sie sich bei der Senkung der langfristigen Zinssätze als hilfreich erwiesen haben, wenn die kurzfristigen Zinssätze an ihrer effektiven unteren Grenze verbleiben. Aber auch diese politischen Maßnahmen haben ihre Grenzen. Daher kann es notwendig sein, noch gründlicher über eine mögliche Anpassung der geldpolitischen Strategie nachzudenken. Wenn auch Änderungen an der geldpolitischen Strategie in die Zuständigkeit der Zentralbanken fallen, ist gleichwohl zu beachten, dass die Geldpolitik im Hinblick auf eine Anhebung der natürlichen Realzinsen weitgehend machtlos ist. Letztere werden größtenteils durch reale Faktoren wie Demografie und technologischen Fortschritt bestimmt. Infolgedessen liegt die Verantwortung für die Anhebung der natürlichen Zinsen bei anderen Politikbereichen, wie der Finanzpolitik und insbesondere den Strukturreformen. Obgleich durch die Geldpolitik in den letzten Jahren viel erreicht wurde, kann eine Zeit des hohen und stabilen Wirtschaftswachstums und der Preisstabilität im Euroraum nur durch eine konzertierte Anstrengung aller wirtschaftspolitischen Entscheidungsträger garantiert werden.
34. Nach einem kürzlich veröffentlichten Bericht des Europäischen Bürgerbeauftragten und den Empfehlungen des Europäischen Parlaments, die in dem im Februar 2018 angenommenen jüngsten Bericht über die EZB enthalten sind, welches sind Ihre Standpunkte zu folgenden Themen:
1) die Notwendigkeit, Erklärungen der finanziellen Interessen der Mitglieder des EZB-Rats zu veröffentlichen, um Interessenkonflikte zu vermeiden,
2) die Notwendigkeit, eine zweijährige Karenzzeit für scheidende EZB-Ratsmitglieder sicherzustellen,
3) dass die Mitglieder des Direktoriums grundsätzlich von einer gleichzeitigen Mitgliedschaft in Gremien oder sonstigen Organisationen absehen sollten, denen Führungskräfte in von der EZB beaufsichtigten Banken angehören.
Die EZB ist eine Institution, die mit Aufgaben betraut ist, die dem öffentlichen Interesse dienen, und deshalb ist es von größter Wichtigkeit, dass allen ihren Mitarbeitern, insbesondere aber den Mitgliedern ihrer Entscheidungsgremien, höchste ethische Standards abverlangt werden, um potenzielle Interessenkonflikte zu vermeiden und ein Höchstmaß an Integrität, Kompetenz, Effizienz und Transparenz zu gewährleisten.
Was den Antrag auf Veröffentlichung von Erklärungen der finanziellen Interessen betrifft, so stimme ich jeder Maßnahme zu, die die Transparenz und Rechenschaftspflicht in öffentlichen Einrichtungen wie der EZB verbessert, da dies eine notwendige Voraussetzung für ihre Unabhängigkeit ist. In der Tat unterliege ich als Mitglied der spanischen Regierung bereits einer solchen Verpflichtung; so bin ich verpflichtet, finanzielle oder private Interessen vor Übernahme und nach Verlassen des Ministeriums offenzulegen.
Was Karenzzeiten angeht, so bin ich persönlich nicht gegen eine solche Auszeit, um mögliche Interessenkonflikte zu vermeiden. Im spanischen Recht (Ley 3/2015, de 30 de marzo, reguladora del ejercicio del alto cargo de la Administración General del Estado), dem ich unterliege, sind berufs- und lohnbezogene Unvereinbarkeiten während und nach einer Amtszeit als hoher Beamter im öffentlichen Dienst genau geregelt.
Was letztere Frage angeht, so müssen die Mitglieder des Direktoriums der EZB mit der Realität und der Realwirtschaft in Berührung kommen, um die Standpunkte, Zweifel und Sorgen der Akteure des Systems in vollem Umfang kennenzulernen. Dies kann auf unterschiedlichen Wegen erreicht werden, auch wenn nicht alle von ihnen geeignet sind, möglichen Interessenkonflikten vorzubeugen.
35. Wie bewerten Sie die Beteiligung der EZB im Kontext der Finanzhilfeprogramme? Wie sehen Sie die zukünftige Entwicklung einer möglichen Beteiligung der EZB an Finanzhilfeprogrammen?
Die Beteiligung der EZB an den Finanzhilfeprogrammen, wie sie jetzt in der Zweierpaket-Verordnung und im ESM-Vertrag festgeschrieben ist, wurde bisweilen infrage gestellt, aber ich glaube, man kann sagen, dass dies in kritischen Momenten notwendig war. Eine solche Beteiligung muss jedoch in einem Kontext von Zeitdruck, Marktstress, unvollständigen Informationen, sehr wenig Erfahrung mit großen Anpassungen innerhalb einer Währungsunion und dem Fehlen eines angemessenen und präzisen Rechtsrahmens zur Bewältigung von Krisen verstanden werden.
In diesem Szenario beschränkte sich die Beteiligung der EZB, wie im geltenden abgeleiteten Recht vorgesehen, im Wesentlichen auf die Bereitstellung von Beratung und Fachwissen zu einer Reihe von Fragen, die für das reibungslose Funktionieren der Geldpolitik, die Finanzstabilität und die Unterstützung der allgemeinen Wirtschaftspolitik der Union von Bedeutung sind. Die EZB (zusammen mit der Europäischen Kommission und dem IWF) steuerte Beiträge für die Eurogruppe und den ESM-Gouverneursrat bei, der das einzige Entscheidungsgremium war.
Trotz dieser Rolle und unter Beibehaltung der vollen Unabhängigkeit der EZB gab es einige Bedenken und Befürchtungen hinsichtlich einer möglichen Einmischung der EZB in Fragen der nationalen Souveränität und/oder der potenziellen Interessenkonflikte, und deshalb denke ich, dass die künftige Rolle der EZB in Bezug auf die Finanzhilfeprogramme im Wesentlichen in einer beratenden Rolle im Bereich der Überwachung und der Programmbewertung bestehen wird.
Von nun an wird die Bewältigung künftiger Krisen dank eines robusteren und umfassenderen Krisenmanagementsystems, zu dem auch die Richtlinie über die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten (BRRD) gehört, und der noch unvollständigen Bankenunion, die in jedem Fall dazu beitragen wird, die Notwendigkeit der Beteiligung der EZB zu reduzieren, deutlich effizienter sein.
36. Was könnte die EZB konkret tun, damit in Zukunft weibliche Kandidaten für EZB-Führungspositionen zur Verfügung stehen, und um die allgemeine Geschlechtervielfalt in der EZB zu stärken?
Geschlechtervielfalt ist ein äußerst wichtiges Thema. Unsere Institutionen müssen in dieser Hinsicht für den Rest der Gesellschaft eine Vorbildwirkung haben. Darum ist es wichtig, dass die EZB sowie andere private und öffentliche Einrichtungen Frauen in ihre höchsten Positionen befördern. In diesem Sinne wird die EZB in den kommenden zwei Jahren vier neue Direktoriumsmitglieder wählen müssen. Alle Mitglieder, deren Mandate auslaufen, sind Männer, sodass eine ausgezeichnete Chance besteht, ein ausgewogeneres Geschlechterverhältnis im Direktorium herzustellen und im Hinblick auf das Ziel der Geschlechtergleichstellung weiter voranzuschreiten.
Die EZB arbeitet bereits daran, die Geschlechtervielfalt zu gewährleisten, indem sie ein vielfältiges und integratives Arbeitsumfeld fördert und spezifische Ziele im Hinblick auf Frauen in Führungspositionen festlegt. Allerdings sollten insbesondere in Führungspositionen weitere Fortschritte angestrebt werden, und das Bemühen um die Beseitigung der sogenannten „gläsernen Decke“ wird auch in den kommenden Jahren von Bedeutung sein.
37. Welche Meinung vertreten Sie hinsichtlich möglicher Verbesserungen für die Rechenschaftspflicht der EZB gegenüber dem Rechnungshof in Bezug auf ihre operationelle Effizienz?
Infolge der Unabhängigkeit der EZB beschränkt sich das Mandat des Rechnungshofs auf die Bewertung der Effizienz der Verwaltung der EZB gemäß Artikel 287 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Dadurch soll ein ausgewogenes Verhältnis gewahrt werden zwischen der Gewährleistung einer soliden Verwaltung öffentlicher Mittel und einer angemessenen Berichterstattung gegenüber den Bürgern einerseits und der Abschirmung der EZB-Entscheidungen gegen jeglichen kurzfristigen politischen Druck, was eine Voraussetzung dafür ist, dass die EZB ihr Mandat angemessen wahrnehmen kann. In jedem Fall sind die in jüngster Zeit gezeigte Bereitschaft der EZB zur Zusammenarbeit und ihr Wille, auf die Empfehlungen des Rechnungshofs zu reagieren, ein positiver Schritt, ebenso wie die Zusicherung der EZB, ihren Rahmen für die Rechenschaftspflicht weiter an künftige Herausforderungen anzupassen.
38. Was halten Sie davon, dass der Rat in der Vergangenheit einmal die Stellungnahme des Europäischen Parlaments zur Ernennung eines Direktoriumsmitglieds ignoriert hat?
Gemäß Artikel 283 des Vertrags über die Europäische Union werden der Präsident, der Vizepräsident und die anderen vier Mitglieder des Direktoriums der Europäischen Zentralbank vom Europäischen Rat auf Empfehlung des Rates ernannt, nachdem er das Europäische Parlament und den EZB-Rat konsultiert hat. Das heißt, die Zuständigkeit für die Auswahl der Direktoriumsmitglieder liegt ausschließlich beim Rat.
Wenn der Rat also einen Beschluss fasst, der nicht mit der Stellungnahme des Europäischen Parlaments übereinstimmt, bedeutet das nicht, dass er diese Stellungnahme ignoriert hat. Es bedeutet vielmehr, dass der Rat nach der Analyse und Bewertung der Stellungnahme dennoch eine andere Entscheidung getroffen hat.
Im Hinblick auf den in der Frage erwähnten konkreten Fall wurde in der Stellungnahme des Europäischen Parlaments die Qualifikation des Kandidaten nie infrage gestellt, sondern lediglich darauf hingewiesen, dass er keine Frau ist.
39. Wie gedenken Sie persönlich, die Gleichstellung der Geschlechter innerhalb der EZB zu verbessern?
Wie bereits in Frage 36 erwähnt, stellt die Gleichstellung der Geschlechter für mich nicht nur aus Gründen der Gleichstellung, sondern auch als Voraussetzung für wirtschaftliche Effizienz eine Priorität dar. Es gibt reichlich Belege dafür, dass Vielfalt und Inklusivität eine treibende Kraft für Leistung sind, und die Herstellung eines ausgewogenen Geschlechterverhältnisses ist ein Weg zur Förderung von Vielfalt. Deshalb sollten wir alle im Rahmen unserer Möglichkeiten und Verantwortlichkeiten darauf hinwirken, sämtliche Hindernisse für den Erfolg von Frauen in der Berufswelt zu beseitigen.
Wenn ich zum Vizepräsidenten gewählt werde, werde ich diesen Grundsatz weiterhin unterstützen, wie ich es schon in der Vergangenheit getan habe, wie die Ernennungen, für die ich verantwortlich bin, zeigen: Sechs der acht Spitzenposten im Wirtschaftsministerium sind von Frauen besetzt, darunter alle drei Staatssekretärinnen, die Generalsekretärin für das Finanzministerium und die Generalsekretärin für Industrie und KMU.
VERFAHREN DES FEDERFÜHRENDEN AUSSCHUSSES
Titel |
Ernennung des Vizepräsidenten der Europäischen Zentralbank |
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Bezugsdokumente - Verfahrensnummer |
N8-0053/2018 – C8-0040/2018 – 2018/0804(NLE) |
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Datum der Anhörung / des Ersuchens um Zustimmung |
20.2.2018 |
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Federführender Ausschuss Datum der Bekanntgabe im Plenum |
ECON
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Berichterstatter Datum der Benennung |
Roberto Gualtieri 23.1.2018 |
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Prüfung im Ausschuss |
26.2.2018 |
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Datum der Annahme |
27.2.2018 |
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Ergebnis der Schlussabstimmung |
+: –: 0: |
27 14 13 |
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Zum Zeitpunkt der Schlussabstimmung anwesende Mitglieder |
Burkhard Balz, Hugues Bayet, Pervenche Berès, Udo Bullmann, David Coburn, Esther de Lange, Markus Ferber, Jonás Fernández, Neena Gill, Roberto Gualtieri, Brian Hayes, Gunnar Hökmark, Danuta Maria Hübner, Cătălin Sorin Ivan, Petr Ježek, Wolf Klinz, Georgios Kyrtsos, Philippe Lamberts, Werner Langen, Bernd Lucke, Olle Ludvigsson, Gabriel Mato, Costas Mavrides, Bernard Monot, Caroline Nagtegaal, Luděk Niedermayer, Stanisław Ożóg, Dimitrios Papadimoulis, Dariusz Rosati, Pirkko Ruohonen-Lerner, Anne Sander, Alfred Sant, Molly Scott Cato, Pedro Silva Pereira, Theodor Dumitru Stolojan, Kay Swinburne, Ramon Tremosa i Balcells, Ernest Urtasun, Marco Valli, Tom Vandenkendelaere, Jakob von Weizsäcker |
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Zum Zeitpunkt der Schlussabstimmung anwesende Stellvertreter |
Enrique Calvet Chambon, Jan Keller, Verónica Lope Fontagné, Paloma López Bermejo, Thomas Mann, Michel Reimon, Tibor Szanyi, Romana Tomc, Miguel Urbán Crespo, Roberts Zīle |
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Zum Zeitpunkt der Schlussabstimmung anwesende Stellv. (Art. 200 Abs. 2) |
Zbigniew Kuźmiuk, Edouard Martin, José Ignacio Salafranca Sánchez-Neyra |
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Datum der Einreichung |
6.3.2018 |
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