BERICHT über die Anwendung der die nationalen Parlamente betreffenden Bestimmungen des Vertrags

28.3.2018 - (2016/2149(INI))

Ausschuss für konstitutionelle Fragen
Berichterstatter: Paulo Rangel


Verfahren : 2016/2149(INI)
Werdegang im Plenum
Entwicklungsstadium in Bezug auf das Dokument :  
A8-0127/2018
Eingereichte Texte :
A8-0127/2018
Angenommene Texte :

BEGRÜNDUNG – ZUSAMMENFASSUNG DER FAKTEN UND ERKENNTNISSE

Einleitung

Acht Jahre nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon erachtet es der Ausschuss für konstitutionelle Fragen (AFCO) für notwendig, einen Initiativbericht (INI) zur Bewertung der „Anwendung der die nationalen Parlamente betreffenden Bestimmungen des Vertrags“ zu erstellen.

Der Bericht dient dazu, den Rückgriff auf die bestehenden Regelungen für die Beteiligung der nationalen Parlamente am politischen Prozess der EU zu bewerten. Auf der Grundlage dieser Bewertung wird in dem Bericht geprüft, ob diese Mechanismen möglicherweise verbessert werden können, damit die nationalen Parlamente insgesamt enger in den Integrationsprozess eingebunden werden. In dem Bericht sollte auch die strukturierte politische Debatte zwischen der Kommission und den nationalen Parlamenten bewertet werden.

Tätigkeiten zur Informationsgewinnung

Es gab folgende Instrumente zur Überprüfung und Ergebnisse in Bezug auf den aktuellen Stand der Anwendung:

– ein Seminar mit Sachverständigen aus der Wissenschaft am 20. März 2017, das von der Fachabteilung C der GD IPOL ausgerichtet wurde und bei dem eine Studie[1] und zwei Briefings[2] vorgestellt und erörtert wurden,

– eine interparlamentarische Ausschusssitzung am 2. Mai 2017, in der drei Sachverständige Studien zu Themen des Berichts vorstellten und Abgeordnete nationaler Parlamente die Möglichkeit hatten, ihre Ansichten darzulegen sowie sich mit Mitgliedern des Europäischen Parlaments auszutauschen[3],

– schriftliche Beiträge mehrerer nationaler Parlamente,

– Informationsreisen zur Assembleia da República (portugiesisches Parlament) am 21. Februar 2017, zum Folketing (dänisches Parlament) am 22. und 23. Mai 2017 und zum griechischen Parlament am 24. Mai 2017,

– eine Bewertung der EU-weiten Umsetzung[4] und eine Umfrage[5] des Referats Ex‑post‑Bewertung der GD Wissenschaftlicher Dienst, die am 12. Oktober 2017 vorgestellt und erörtert wurden,

– ein Rechtsgutachten des Juristischen Dienstes des Europäischen Parlaments vom 27. Oktober 2017.

I.  Die primäre Aufgabe nationaler Parlamente: die Kontrolle der europäischen Politik durch die Beauftragung ihrer eigenen Regierungen, die im Rat und im Europäischen Rat vertreten sind

Der Vertrag von Lissabon wird deswegen auch der Vertrag der Parlamente genannt, weil durch ihn dem Europäischen Parlament viel mehr Befugnisse zugewiesen wurden und darin die eigene verfassungsrechtliche Rolle der nationalen Parlamente im EU-Rahmen anerkannt wurde. Dies wurde zu einer wesentlichen Aufgabe bei der Gewährleistung der demokratischen Legitimität der Europäischen Union, der Förderung von deren Pluralismus und Vielfalt und der Gewährleistung ihrer verfassungsmäßigen Arbeitsweise.

Wie bereits in früheren Berichten und Artikel 10 Absatz 2 AEUV angeklungen ist, besteht die Kernaufgabe der nationalen Parlamente zweifelsohne nach wie vor darin, die Tätigkeit der Regierungen im Rat und im Europäischen Rat zu kontrollieren und zu überwachen. Je besser und wirksamer sie ihre Regierung auf nationaler Ebene überwachen, desto größer ist auch ihr Einfluss auf die politischen und verfassungsrechtlichen Vorgänge in der EU. Daher ist es außerordentlich wichtig, dass die nationalen Parlamente ihre bewährten Verfahren im Rahmen der COSAC und auch spontan untereinander vergleichen. Ebenso wichtig ist eine Verbesserung und Mobilisierung aller Mittel, die der Plattform IPEX zur Verfügung stehen, damit der Umfang aller bestehenden Informationen über EU-Fragen ausgeweitet wird sowie deren Geschwindigkeit und Effizienz erhöht werden.

Angesichts der immer wieder geäußerten Beschwerden, wonach die nationalen Parlamente wegen des sogenannten „Europäischen Semesters“ nach und nach einige ihrer Haushaltsbefugnisse verlieren, könnte es vielleicht (unter vollständiger Wahrung des Vorrechts einer jeden Parlamentskammer, sich selbst zu organisieren) von Nutzen sein, die künftige Anpassung ihrer einschlägigen „Geschäftsordnungen“ ins Auge zu fassen. Tatsächlich würde sich die Fähigkeit der nationalen Parlamente zur Kontrolle auf einem Gebiet, das historisch gesehen zu ihren Aufgaben gehört, durch die Einrichtung eines Zeitraums (nationales Trimester), in dem Haushaltsverhandlungen zwischen den Regierungen und der Kommission vorangetrieben werden, und die Einführung eines parlamentarischen Mechanismus für die Weiterverfolgung, der eine anschließende Überwachung der Beziehung zwischen Kommission und Rat ermöglicht, wesentlich verbessern.

II.  Der besondere verfassungsrechtliche Beitrag der nationalen Parlamente zur EU‑Ebene: die Schaffung eines europäischen politischen Raums

Darüber hinaus sind die nationalen Parlamente durch den Wortlaut und den Geist des Vertrags von Lissabon zunehmend gefordert, unmittelbar auf europäischer Ebene tätig zu werden, sei es bei der Auseinandersetzung mit dem Europäischen Parlament oder mit der Kommission. Mit Ausnahme der Fragen in Bezug auf die Kontrolle der Rechte auf Subsidiarität und Information wird die Mitwirkung der nationalen Parlamente an europäischen Angelegenheiten dennoch nach wie vor als vergleichsweise begrenzt wahrgenommen.

Es ist nur folgerichtig, wenn nun im Vertrag von Lissabon ein engerer Austausch zwischen den nationalen Parlamenten und den EU-Organen gefordert wird, denn es wird von ihnen erwartet, dass sie einen größeren Beitrag leisten als das, was sich dann über ihre jeweilige Exekutive (in Form ihrer Äußerungen und ihres Stimmverhaltens) im Rat und im Europäischen Rat manifestiert. Es gibt eine echte verfassungsrechtliche „differentia specifica“ zwischen der Teilhabe der nationalen Parlamente am politischen Geschehen der EU und der Beteiligung der nationalen Regierungen im zuvor erwähnten Rat und Europäischen Rat. Während die Regierungen einen einzigen politischen Standpunkt vertreten, der in der Unteilbarkeit ihres jeweiligen Abstimmungsverhaltens erkennbar wird, kommen in den nationalen Parlamenten gerade die Pluralität und innere Vielfalt zum Ausdruck (unbeschadet der strengen Befolgung des dort zum Ausdruck gebrachten Willens der jeweiligen Mehrheit). Den besonderen Beitrag, den die nationalen Parlamente zur europäischen Ebene leisten können, ist genau die Darstellung der Vielfalt der nationalen Vorstellungen (in proportionaler Vertretung). Bisher wurde jedoch noch wenig unternommen, um die Aufmerksamkeit auf die unersetzbare verfassungsmäßige Aufgabe der nationalen Parlamente im politischen Leben Europas zu lenken und ihr Vorrang einzuräumen. Diese Aufgabe hilft dabei, auf europäischer Ebene einen wahren politischen und öffentlichen Raum zu schaffen. Tatsächlich kann die Minderheitenmeinung in einem nationalen Parlament mit dem mehrheitlichen Standpunkt in einem anderen nationalen Parlament übereinstimmen, und der Austausch zwischen beiden ist ein Zeichen für eine sich allmählich bildende europäische politische Bühne. Ein Ziel des Berichts ist es, diese Kluft zu schließen. In erster Linie soll die Vertretung einer internen Pluralität durch die Delegationen der nationalen Parlamente in allen ihren gemeinsamen Veranstaltungen und gemäß dem Proporz der Fraktionen gefördert werden. Daneben soll es aber auch Minderheitenfraktionen, die eine Minderheitenmeinung vertreten, gestattet sein, ihre von den begründeten Stellungnahmen abweichenden Ansichten darzulegen, ohne dass die Zusagen entsprechend der angenommenen Standpunkte nach dem Mehrheitswillen untergraben werden.

III.  Für eine umfassende interinstitutionelle Zusammenarbeit: die Entwicklung eines europäischen politischen Raums

Die Schaffung einer europäischen politischen Bühne wird unübersehbar durch die Unterstützung vonseiten bereits bestehender Initiativen aller Art gestärkt. Tatsächlich hat sich die Zusammenarbeit zwischen den EU-Organen und den nationalen Parlamenten im vergangenen Jahrzehnt erheblich verbessert. Erstens hat die Barroso-Initiative zweifellos den politischen Dialog zwischen den nationalen Parlamenten und der Kommission gefördert, was jährlich in den Berichten über ihre Beziehungen dokumentiert ist.

Zweitens sind eventuelle „verfassungsrechtliche Eifersüchteleien“, die möglicherweise zwischen dem Europäischen Parlament und den nationalen Parlamenten bestanden, seit dem Vertrag von Lissabon in den Hintergrund getreten (siehe Artikel 9 und 10 des Protokolls Nr. 1 AEUV über die Festlegung, wie eine effiziente und regelmäßige Zusammenarbeit zwischen den Parlamenten innerhalb der Union gestaltet und gefördert werden kann).

Zwar ist diese Zusammenarbeit eng verknüpft mit dem Dialog zwischen den nationalen Gesetzgebern selbst, dennoch besteht weiter Raum für Verbesserung[6]. In allerster Linie sollten Anstrengungen unternommen werden, um den bestehenden Rahmen der Beziehungen zwischen der EU und den nationalen Parlamenten zu vereinfachen, so auch die Konferenz der Präsidenten der Parlamente der EU, die COSAC, die Interparlamentarische Konferenz über Stabilität, wirtschaftspolitische Koordinierung und Steuerung in der EU, den Gemeinsamen Parlamentarischen Kontrollausschuss für Europol, die interparlamentarischen Ausschusssitzungen und die gemeinsamen parlamentarischen Treffen, um nur einige zu nennen. Die Entwicklung eines ausschussbasierten Ansatzes wäre in dieser Hinsicht äußerst wertvoll[7].

Gleiches gilt für die Anwendung der Vertragsbestimmungen über die Rolle der nationalen Parlamente in den Bereichen Freiheit, Sicherheit und Recht (siehe Artikel 70, 88 und 85 AEUV). In einer Zeit, in der die betreffenden Fragen an Komplexität zugenommen haben, sollte die EU an alle nationalen Parlamente – die eine der wichtigsten Grundlagen der demokratischen Legitimität sind – appellieren, für eine aktive Rolle bei der Kontrolle einer künftigen Europäischen Verteidigungsunion zu sorgen. Daher erscheint die Beteiligung und aktive Mitwirkung der nationalen Parlamente als wesentlich und wahrlich unerlässlich.

Aus demselben Grund fordern wir auch die Einrichtung einer „europäischen Woche“, die gleichzeitig in den 27 nationalen Parlamenten stattfindet und in der Mitglieder der Kommission und des Europäischen Parlaments mit den nationalen Parlamentsabgeordneten europäische Angelegenheiten erörtern. Eine solche Initiative würde zudem die optimale Gelegenheit dafür bieten, die viel diskutierte Idee der Austragung nationaler „demokratischer Versammlungen“ zur Zukunft Europas in die Tat umzusetzen. Zu der „europäischen Woche“ würde, ebenfalls ohne das hoheitliche Vorrecht der einzelnen Parlamente zu berühren, eine Reform der „Geschäftsordnungen“ der nationalen Parlamente und des Europäischen Parlaments gehören.

IV.  Die Rolle der nationalen Parlamente in Bezug auf die Kontrolle der Subsidiarität

In dem Bewusstsein, dass dies eines der wichtigsten verfassungsmäßigen Befugnisse ist, sind sich die nationalen Parlamente bei der Bewertung einer bestimmten Drosselung der Funktionsweise des Frühwarnsystems einig, durch das ein Verfahren der „gelben“ oder der „orangefarbenen Karte“ eingeleitet werden kann. Das erste Hindernis ist die begrenzte achtwöchige Stillhalteregelung, die nur mittels einer Reform des Vertrags geändert werden kann und im Fall einer derartigen Reform verlängert werden sollte. Es gibt jedoch eine technische Frage – mit rechtlichen Auswirkungen im Rahmen der Gewaltenteilung – durch die die Bürde dieses Hindernisses gemildert werden könnte. Die Festlegung des ersten Tages, mit der die achtwöchige Stillhaltefrist beginnt, sollte nämlich nicht dem Ermessen der Kommission überlassen werden. Daher sollte, wie so bei vielen nationalen Vorgehensweisen, eine technische Verlängerung erwogen werden, sodass nicht die Kommission allein über den Beginn der Frist von acht Wochen zu entscheiden hat.

Das zweite und ebenso gewichtige Hindernis hängt mit einem engen Verständnis des Subsidiaritätsprinzips zusammen, wie es in Artikel 5 EUV festgelegt ist, wonach der Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ausgeschlossen sind. Mit diesem Argument verwehrt die Kommission nicht selten den nationalen Parlamenten diese Kontrollbefugnis. Nach dem juristischen Verständnis wird aber schon seit langem zwischen der Subsidiarität stricto sensu und lato sensu unterschieden, wobei letztere die drei erwähnten Dimensionen umfasst. Die bisherige Erfahrung hat gezeigt, dass es manchmal extrem schwierig ist, eine scharfe Trennlinie zwischen der politischen Dimension des Subsidiaritätsprinzips und der rechtlichen Dimension des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu ziehen. Da es sich dabei um eine Grauzone zwischen Politik und Recht handelt, sollte die Kommission Zurückhaltung üben und nicht stets auf das Frühwarnsystem verweisen, was eine allzu beschränkte Sichtweise in Bezug auf den Grundsatz der Subsidiarität verrät.

Diesbezüglich gibt es nach dem Zugeständnis, das im Rahmen des Prozesses des britischen Referendums gemacht wurde, keine Forderungen von nationalen Parlamenten nach einer künftigen roten Karte. Wie ebenfalls den Berichten des Europäischen Parlaments zu entnehmen ist, gibt es umgekehrt eine lautstarke Bewegung für die Einführung einer grünen Karte, mit der die nationalen Parlamente eine Art Instrument im Bereich der Legislativinitiative erhalten würden. Einer solchen Neuerung würde man notwendigerweise drei Grenzen setzen: Es darf sich dabei nicht um eine echte Legislativinitiative handeln, denn dieses Recht ist einzig und allein der Kommission vorbehalten (weder das Europäische Parlament noch der Rat dürfen Gesetzesinitiativen einleiten), sie darf nicht zur Aufhebung geltender EU-Rechtsvorschriften dienen, da sie ansonsten wie eine umgekehrte rote Karte wirken würde, und schließlich sollte darin nicht das Recht auf die Änderung von EU-Rechtsvorschriften enthalten sein, denn dadurch wären das Europäische Parlament und der Rat ihrer Befugnisse beraubt, über die sie nach Maßgabe der Verträge verfügen. Die Idee ist daher sehr lobenswert, da sie das richtige Verständnis von der Subsidiarität widerspiegelt, und zwar insofern, dass dies bedeutet, dass die nationalen Parlamente die alleinige Zuständigkeit der Europäischen Union für bestimmte Angelegenheiten anerkennen. Sobald die Neuerung in vollem Maße wirksam ist, wird es ein Vorschlagsrecht geben, das ähnlich wie bei parallelen Regelungen dazu führen könnte, dass die Kommission im Falle einer Ablehnung zu einer begründeten Antwort verpflichtet ist.

  • [1]  „The Role of National parliaments in the EU after Lisbon: Potentialities and Challenge“ (Die Rolle der nationalen Parlamente in der EU nach Lissabon: Potenziale und Herausforderungen“) von Prof. Dr. Olivier Rozenberg.
  • [2]  „Subsidiarity as a Means to Enhance Cooperation between EU Institutions and National parliaments“ (Subsidiarität als Mittel zur Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen den EU-Organen und den nationalen Parlamenten) von Prof. Dr. Diane Fromage und „The Legisprudential Role of National parliaments in the European Union“ (Die legisprudenzielle Rolle der nationalen Parlamente in der Europäischen Union) von Prof. Dr. Luís Heleno Terrinha.
  • [3]  „The interparliamentary cooperation at EU level“ (Die interparlamentarische Zusammenarbeit auf EU-Ebene) von Carlo Casini, „Subsidiarity and National parliaments“ („Subsidiarität und nationale Parlamente“) von Ludwik Dorn und „Political structured dialogue and National parliaments“ (Der politische und strukturierte Dialog und die nationalen Parlamente“) von Prof. Dr. Ingolf Pernice.
  • [4]  Bewertung der EU-weiten Umsetzung mit dem Titel „Working with national parliaments on EU affairs“ („Zusammenarbeit mit nationalen Parlamenten im Bereich der EU-Angelegenheiten“) von Dr. Milan Remac, Europäisches Parlament 2017 (PE 603.271).
  • [5]  Briefing zur laufenden Umsetzung mit dem Titel „Survey of permanent representatives of national parliaments in the European Parliament” („Umfrage unter ständigen Vertretern der nationalen Parlamente im Europäischen Parlament“) (PE 610.992).
  • [6]  Siehe die Studie mit dem Titel „The Role of National parliaments in the EU after Lisbon: Potentialities and Challenge“ (Die Rolle der nationalen Parlamente in der EU seit dem Vertrag von Lissabon: Potenziale und Herausforderungen“) von Prof. Dr. Olivier Rozenberg.
  • [7]  Siehe den Abschlussbericht der Informationsreisen, 17. Juli 2017, PE 608.137v01-00.

ENTWURF EINER ENTSCHLIESSUNG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS

zur Anwendung der die nationalen Parlamente betreffenden Bestimmungen des Vertrags

(2016/2149(INI))

Das Europäische Parlament,

–  gestützt auf den Vertrag über die Europäische Union (EUV), insbesondere auf Artikel 5 zur Übertragung von Zuständigkeiten und zur Subsidiarität, Artikel 10 Absatz 1 zur repräsentativen Demokratie, Artikel 10 Absatz 2 zur Vertretung der Unionsbürger, Artikel 10 Absatz 3 zum Recht der Unionsbürger, am demokratischen Leben der Union teilzunehmen, Artikel 11 zur partizipativen Demokratie, Artikel 12 zur Rolle der nationalen Parlamente, Artikel 48 Absatz 3 zum ordentlichen Änderungsverfahren und Artikel 48 Absatz 7 („Überleitungsklausel“),

–   unter Hinweis auf das dem Vertrag von Amsterdam beigefügte Protokoll Nr. 1 über die Rolle der nationalen Parlamente in der Europäischen Union sowie auf das dem Vertrag von Lissabon beigefügte Protokoll Nr. 2 über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit,

–  gestützt auf Artikel 15 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) und Artikel 41 und 42 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union,

–  unter Hinweis auf seine Entschließungen vom 12. Juni 1997 zu den Beziehungen zwischen dem Europäischen Parlament und den nationalen Parlamenten[1], vom 7. Februar 2002 zu den Beziehungen zwischen dem Europäischen Parlament und den einzelstaatlichen Parlamenten im Rahmen des europäischen Aufbauwerks[2], vom 7. Mai 2009 zu der Entwicklung der Beziehungen zwischen dem Europäischen Parlament und den nationalen Parlamenten im Rahmen des Vertrags von Lissabon[3] und vom 16. April 2014 zu den Beziehungen zwischen dem Europäischen Parlament und den nationalen Parlamenten[4],

–  unter Hinweis auf seine Entschließungen vom 16. Februar 2017 zur Verbesserung der Funktionsweise der Europäischen Union durch Ausschöpfung des Potenzials des Vertrags von Lissabon[5], zu der Haushaltskapazität für das Euro-Währungsgebiet[6] und zu möglichen Entwicklungen und Anpassungen der derzeitigen institutionellen Struktur der Europäischen Union[7],

–  unter Hinweis auf die Jahresberichte der Kommission über die Beziehungen zwischen der Europäischen Kommission und den nationalen Parlamenten, insbesondere auf den Bericht für 2014 vom 2. Juli 2015 (COM(2015)0316) und den Bericht für 2015 vom 15. Juli 2016 (COM(2016)0471), sowie auf ihre Jahresberichte über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit, insbesondere auf den Bericht für 2015 vom 15. Juli 2016 (COM(2016)0469) und den Bericht für 2016 vom 30. Juni 2017 (COM(2017)0600),

–  unter Hinweis auf die Jahresberichte der Direktion des Europäischen Parlaments für die Beziehungen zu den nationalen Parlamenten, insbesondere auf den Zwischenbericht 2016 über die Beziehungen zwischen dem Europäischen Parlament und den nationalen Parlamenten,

–  unter Hinweis auf seine Entschließung vom 26. Oktober 2017 zur Kontrolle der Anwendung des EU-Rechts im Jahr 2015[8],

–  unter Hinweis auf das Weißbuch der Kommission zur Zukunft Europas vom 1. März 2017 und auf die Rede zur Lage der Union des Präsidenten der Kommission Jean-Claude Juncker vom 13. September 2017, in der ein Fahrplan vorgelegt wurde,

–  unter Hinweis auf die von den Präsidenten der italienischen Camera dei Deputati, der französischen Assemblée Nationale, des Deutschen Bundestags und der luxemburgischen Chambre des Députés abgegebene Erklärung mit dem Titel „Mehr europäische Integration: das zu erreichende Ziel“, die am 14. September 2015 unterzeichnet und bisher von 15 Kammern nationaler Parlamente in der EU gebilligt wurde,

–  unter Hinweis auf die Schlussfolgerungen der Sitzungen der Konferenz der Präsidenten der Parlamente der Europäischen Union seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon, insbesondere der Sitzungen in Luxemburg 2016 und in Bratislava 2017,

–  unter Hinweis auf die Beiträge und Schlussfolgerungen der Treffen der Konferenz der Ausschüsse für Unionsangelegenheiten der Parlamente der Europäischen Union (COSAC) seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon, insbesondere der Tagungen in Valletta und Tallinn 2017, sowie auf die Halbjahresberichte der COSAC,

–  unter Hinweis auf Artikel 13 des Vertrags über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion (SKS-Vertrag), in dem die Organisation interparlamentarischer Konferenzen festgeschrieben ist, um die Haushaltspolitik und andere von diesem Vertrag erfasste Angelegenheiten zu diskutieren,

­–   unter Hinweis auf die Entschließung des Senát der Tschechischen Republik vom 30. November 2016 (26. Entschließung der 11. Wahlperiode), auf die Entschließung des italienischen Senato della Repubblica vom 19. Oktober 2016 (Doc. XVIII n. 164) und die Beiträge seines für Europapolitik zuständigen Ausschusses vom 2. Mai 2017 (Prot. 573) sowie auf die Beiträge des Ausschusses für EU-Angelegenheiten der französischen Assemblée Nationale vom 31. Mai 2017 (Referenznummer 2017/058) und des Ständigen Ausschusses für europäische Angelegenheiten der Tweede Kamer der Staten-Generaal (Zweite Kammer der Generalstaaten) der Niederlande vom 22. Dezember 2017 (Schreiben A(2018)1067),

–  gestützt auf Artikel 52 seiner Geschäftsordnung sowie auf Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe e und Anlage 3 des Beschlusses der Konferenz der Präsidenten vom 12. Dezember 2002 zum Verfahren für die Genehmigung zur Ausarbeitung von Initiativberichten,

–  unter Hinweis auf den Bericht des Ausschusses für konstitutionelle Fragen (A8‑0127/2018),

A.  in der Erwägung, dass die nationalen Parlamente die gute verfassungsrechtliche Arbeitsweise der Europäischen Union verbessern und aktiv dazu beitragen (Artikel 12 EUV) und somit eine wichtige Rolle im Hinblick auf ihre demokratische Legitimität spielen und für deren vollständige Umsetzung sorgen;

B.  in der Erwägung, dass die parlamentarische Rechenschaftspflicht der nationalen Regierungen im Rahmen der europäischen Angelegenheiten, die auf den einzelnen nationalen Gepflogenheiten beruht, der Grundstein der Rolle der nationalen Parlamente gemäß den geltenden Europäischen Verträgen ist;

C.  in der Erwägung, dass die nationalen Parlamente die nationalen Regierungen kontrollieren sollten, ebenso wie das Europäische Parlament die EU-Exekutive kontrolliert, um die Eigenverantwortung zu stärken; in der Erwägung, dass sich das Ausmaß des Einflusses der nationalen Parlamente auf die nationalen Regierungen von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat deutlich unterscheidet;

D.  in der Erwägung, dass die nationalen Parlamente oft beklagen, kaum in EU‑Angelegenheiten einbezogen zu werden, und dass sie stärker an der Ausgestaltung des europäischen Integrationsprozesses mitwirken wollen;

E.  in der Erwägung, dass durch mangelnde Transparenz in den Rechtsetzungs- und Beschlussfassungsverfahren der EU die Gefahr besteht, dass die Vorrechte der nationalen Parlamente gemäß den Verträgen und den entsprechenden Protokollen sowie insbesondere ihre Rolle als Kontrollinstanz ihrer jeweiligen Regierungen untergraben werden;

F.  in der Erwägung, dass der Pluralismus der nationalen Parlamente für die EU insofern äußerst vorteilhaft ist, als die bereichsübergreifende Diskussion auf EU-Ebene durch die gleichzeitige Existenz unterschiedlicher politischer Auffassungen quer durch alle Mitgliedstaaten gestärkt und ausgeweitet werden kann;

G.  in der Erwägung, dass der ungenügenden Vertretung parlamentarischer Minderheiten auf dem Gebiet der europäischen Angelegenheiten entgegengewirkt werden sollte, wobei man die Mehrheiten in allen nationalen Parlamenten jedoch uneingeschränkt achten und den Grundsatz der verhältnismäßigen Vertretung einhalten sollte;

H.  in der Erwägung, dass die nationalen Parlamente an sämtlichen Überarbeitungen der Europäischen Verträge mitwirken und vor kurzem aufgefordert wurden, sich an einer Reihe von demokratischen Foren der EU zu beteiligen;

I.  in der Erwägung, dass der europäische öffentliche Raum durch eine Reihe von Foren zur Zukunft Europas gefördert werden könnte, die von den nationalen Parlamenten und dem Europäischen Parlament – den logischen Vertretern des europäischen Volkes – organisiert werden sollten; in der Erwägung, dass derartige Foren durch eine europäische Woche gestärkt würden, in der die Mitglieder der Kammern der nationalen Parlamente mit Mitgliedern der Kommission und des Europäischen Parlaments gleichzeitig Aussprachen über europäische Angelegenheiten führen;

J.  in der Erwägung, dass die Wirtschafts-, Finanz- und Gesellschaftskrise dazu geführt hat, dass die Unionsbürger das Vertrauen in das derzeitige System der demokratischen Vertretung auf europäischer sowie auf nationaler Ebene verloren haben und von diesem System enttäuscht sind, was sich an den Tendenzen bei den Wahlen in der letzten Zeit ablesen lässt;

K.  in der Erwägung, dass die Beziehungen zwischen den EU-Organen und den nationalen Parlamenten durch die Durchsetzung des Rechts der nationalen Parlamente, die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips auf der Grundlage des sogenannten Frühwarnsystems zu kontrollieren, teilweise verbessert wurden;

L.  in der Erwägung, dass die nationalen Parlamente das Frühwarnsystem teilweise kritisieren, da es nicht einfach sei, die Bestimmungen umzusetzen, und ein umfassender Geltungsbereich fehle;

M.  in der Erwägung, dass bei der Umsetzung des Frühwarnsystems Fortschritte erzielt wurden, was durch die aktuellsten Zahlen über die Gesamtanzahl der im Rahmen des politischen Dialogs von den nationalen Parlamenten eingereichten Stellungnahmen belegt wird; in der Erwägung, dass die eingeschränkte Nutzung des Verfahrens der „gelben Karte“ und die Wirkungslosigkeit des Verfahrens der „orangefarbenen Karte“ belegen, dass es nach wie vor Verbesserungspotenzial gibt und dass eine bessere Koordinierung der nationalen Parlamente in dieser Hinsicht möglich ist;

N.  in der Erwägung, dass sich die in Artikel 4 des Protokolls Nr. 1 festgelegte Frist von acht Wochen für die zeitnahe Überwachung der Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips als ungeeignet erwiesen hat;

O.  in der Erwägung, dass das Frühwarnsystem durch das System ergänzt werden kann, das es den nationalen Parlamenten derzeit ermöglicht, der Kommission unter angemessener Berücksichtigung ihres Initiativrechts konstruktive Vorschläge zu unterbreiten;

P.  in der Erwägung, dass mehrere nationale Parlamente ihr Interesse an einem Instrument zur Stärkung des politischen Dialogs zum Ausdruck gebracht haben, was den nationalen Parlamenten nach vorheriger Unterstützung durch das Europäische Parlament die Möglichkeit einräumen würde, der Kommission unter angemessener Berücksichtigung ihres Initiativrechts konstruktive Vorschläge zu unterbreiten;

Q.  in der Erwägung, dass die nationalen Parlamente im Rahmen des politischen Dialogs jederzeit Stellungnahmen abgeben können, ihre Regierungen beauftragen können, im Rat die Ausarbeitung von Rechtsetzungsvorschlägen zu fordern, oder sich einfach mit dem Ersuchen an das Parlament wenden können, die Kommission gemäß Artikel 225 AEUV aufzufordern, Vorschläge zu unterbreiten;

R.  in der Erwägung, dass die Einführung des Verfahrens der „roten Karte“ in der aktuellen Phase des europäischen Integrationsprozesses nicht absehbar ist;

S.  in der Erwägung, dass die im Vertrag von Lissabon verankerten umfassenden Rechte auf Information gestärkt werden könnten, wenn die nationalen Parlamente mehr Ressourcen und Zeit erhielten, um sich mit den ihnen von den EU-Organen übermittelten Unterlagen zu befassen;

T.  in der Erwägung, dass IPEX, die Plattform für den ständigen Informationsaustausch unter den nationalen Parlamenten sowie zwischen den nationalen Parlamenten und den EU-Organen, im Einklang mit der digitalen Strategie, in deren Rahmen das Europäische Parlament eine zentrale unterstützende Funktion übernimmt, weiter ausgebaut werden sollte;

U.  in der Erwägung, dass sich die interinstitutionelle Zusammenarbeit seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon und des als Barroso-Initiative bezeichneten und von der Kommission im September 2006 eingeleiteten politischen Dialogs verbessert hat, durch den die nationalen Parlamente die Möglichkeit erhalten haben, Anmerkungen, positive Rückmeldungen und Kritik an Kommissionsvorschlägen zu übermitteln;

V.  in der Erwägung, dass die nationalen Parlamente manchmal Bedenken über ihre Beziehungen zur Europäischen Union äußern und vorbringen, dass diese zu komplex seien;

W.  in der Erwägung, dass die nationalen Parlamente in den Bereichen Freiheit, Sicherheit und Justiz gemäß den Artikeln 70, 85 und 88 AEUV über einschlägige Zuständigkeiten verfügen und bei der zukünftigen Gestaltung der Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Europäischen Union daher eine wichtige Rolle spielen sollten;

X.  in der Erwägung, dass auf nationaler und europäischer Ebene ein höheres Maß an parlamentarischer Kontrolle der Haushalts- und Wirtschaftspolitik, der gefassten Beschlüsse und der Steuerung auf EU-Ebene bestehen sollte;

Y.  in der Erwägung, dass sich die künftige Beteiligung der nationalen Parlamente an Handelsabkommen durch das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 16. Mai 2017 über den gemischten Charakter des Handelsabkommens zwischen der EU und Singapur verändert hat;

Z.  in der Erwägung, dass ein besseres Zusammenwirken und ein besserer Informationsaustausch zwischen den Mitgliedern des Europäischen Parlaments und den Mitgliedern der nationalen Parlamente sowie mit den Beamten der nationalen Parlamente dazu beitragen könnte, die Kontrolle der Diskussionen über europapolitische Fragen auf nationaler Ebene zu verbessern und somit eine wirklich europäische parlamentarische und politische Kultur zu fördern;

Kontrolle der Regierungstätigkeit im Bereich europäische Angelegenheiten

1.  vertritt die Ansicht, dass die Durchsetzung der im Vertrag von Lissabon festgeschriebenen Rechte und Pflichten der nationalen Parlamente zur Stärkung ihrer Rolle im konstitutionellen Rahmen der EU beigetragen hat, wodurch für mehr Pluralismus, demokratische Legitimität und eine bessere Arbeitsweise der Union gesorgt wird;

2.  stellt fest, dass die nationalen Regierungen gemäß Artikel 10 Absatz 2 EUV und gemäß ihrer jeweiligen nationalen verfassungsmäßigen Ordnung in demokratischer Weise gegenüber den nationalen Parlamenten Rechenschaft ablegen müssen; vertritt die Ansicht, dass diese Rechenschaftspflicht den Grundstein für die Rolle der nationalen Parlamente in der Europäischen Union bildet; legt den nationalen Parlamenten nahe, ihre europäische Funktion umfassend auszuüben, um den Inhalt der politischen Maßnahmen auf EU-Ebene insbesondere durch die Kontrolle ihrer nationalen Regierungen, die als Mitglieder des Europäischen Rates und des Rates handeln, unmittelbar zu beeinflussen und zu kontrollieren;

3.  fordert die Mitgliedstaaten auf, dafür Sorge zu tragen, dass die nationalen Parlamente ausreichend Zeit und Kapazitäten sowie den erforderlichen Zugang zu Informationen erhalten, um ihrer verfassungsmäßigen Rolle gerecht zu werden, wonach sie die Tätigkeiten der nationalen Regierungen auf europäischer Ebene – sowohl im Rat als auch im Europäischen Rat – kontrollieren und ihnen somit Legitimität verleihen; stellt fest, dass die verfassungsmäßigen Traditionen der jeweiligen Mitgliedstaaten bei dieser Funktion im Hinblick auf die europäische Ebene uneingeschränkt geachtet werden sollten; vertritt die Ansicht, dass der bestehende Austausch über bewährte Verfahren und das Zusammenwirken der nationalen Parlamente ausgebaut und gefördert werden sollte, um diese Funktion beizubehalten und zu stärken;

4.  vertritt die Ansicht, dass die Transparenz der Arbeitsweisen und der Beschlussfassungsverfahren der Organe der EU eine Voraussetzung dafür darstellt, es den nationalen Parlamenten zu ermöglichen, ihre in den Verträgen festgeschriebene institutionelle Rolle wirksam wahrzunehmen; fordert die nationalen Parlamente außerdem auf, ihre jeweiligen Zuständigkeiten für die Kontrolle der Tätigkeiten der Regierungen auf europäischer Ebene in vollem Umfang wahrzunehmen, unter anderem, indem sie ihre interne Organisation, ihre Zeitplanung und ihre Geschäftsordnungen entsprechend anpassen; schlägt außerdem einen Austausch über bewährte Verfahren zwischen den Kammern der nationalen Parlamente, regelmäßige Aussprachen der zuständigen Minister und der Fachausschüsse in den nationalen Parlamenten vor und nach Tagungen des Rates und des Europäischen Rates sowie regelmäßige gemeinsame Sitzungen der Mitglieder der nationalen Parlamente, der Kommission und des Europäischen Parlaments vor;

5.  ist der Ansicht, dass jede Art der „Überregulierung“ von Rechtsvorschriften der EU durch Mitgliedstaaten verhindert werden muss und dass die nationalen Parlamente dabei eine Schlüsselrolle spielen; weist jedoch zugleich darauf hin, dass dies keinerlei Auswirkungen auf die Befugnis der Mitgliedstaaten hat, Klauseln über das Verbot eines verminderten Schutzniveaus anzuwenden und auf nationaler Ebene beispielsweise höhere soziale und ökologische Normen festzulegen;

6.  fördert zwar einen stärkeren und politischen Dialog mit den nationalen Parlamenten und erkennt an, dass die parlamentarische Teilhabe gestärkt werden muss, weist jedoch nachdrücklich darauf hin, dass Beschlüsse im Einklang mit den verfassungsrechtlichen Zuständigkeiten getroffen werden müssen und dass dabei die eindeutige Abgrenzung der jeweiligen Zuständigkeiten für die Beschlussfassung der einzelstaatlichen und der europäischen Gremien berücksichtigt werden muss;

7.  erklärt, dass das Europäische Parlament und die nationalen Parlamente besser in das Europäische Semester eingebunden werden sollten, und empfiehlt, dass die Zeitpläne für die Haushaltsplanung auf nationaler und europäischer Ebene während des gesamten Verfahrens besser aufeinander abgestimmt werden, um eine wirksamere Nutzung dieses Instruments zu fördern; weist außerdem mit Nachdruck darauf hin, dass die Abstimmung des Europäischen Semesters auf die Zeitpläne der nationalen Parlamente zudem zur Koordinierung der Wirtschaftspolitik beitragen könnte, betont, dass die Befugnis zur Selbstverwaltung und die spezifischen Geschäftsordnungen der jeweiligen parlamentarischen Kammern bei dieser Abstimmung jedoch nicht missachtet werden dürfen;

8.  schlägt vor, dass ein nationaler Zeitraum für den haushaltsbezogenen Dialog eingeführt wird, in dessen Rahmen die nationalen Parlamente das Europäische Semester erörtern und zu ihm beitragen könnten, indem sie ihren Regierungen im Hinblick auf ihre Beziehungen zur Kommission und zum Rat Mandate erteilen;

9.  betont, dass bei der letzten Plenarsitzung der COSAC in Tallinn anerkannt wurde, dass die Mehrzahl der nationalen Parlamente entweder regelmäßig oder ad hoc Plenarsitzungen zur Erörterung von EU-Angelegenheiten abhält, dass die Sichtbarkeit der Europäischen Union durch mehr Aussprachen über EU-Angelegenheiten im Plenum erhöht wird und dass die Bürger dadurch die Möglichkeit erhalten, mehr über die Agenda der EU und die Standpunkte der Fraktionen zu diesen Themen zu erfahren;

Schaffung eines europäischen öffentlichen Raums

10.  stellt fest, dass die bereichsübergreifende Diskussion auf europäischer Ebene durch die gleichzeitige Existenz unterschiedlicher politischer Auffassungen quer durch alle Mitgliedstaaten gestärkt und ausgeweitet werden könnte; empfiehlt daher, dass die Delegationen der nationalen Parlamente, die mit den EU-Organen interagieren, die politische Vielfalt widerspiegeln sollten; betont, dass der Grundsatz der verhältnismäßigen Vertretung der Mitglieder verschiedener Parteien in dieser Hinsicht von Bedeutung ist;

11.  stellt fest, dass in den Stellungnahmen der nationalen Parlamente, die im Rahmen des Frühwarnsystems sowie anderweitig abgegeben werden, die verbindlichen Ansichten der parlamentarischen Mehrheiten zum Ausdruck kommen könnten; unterstützt jedoch die Idee, dass die parlamentarischen politischen Minderheiten auf nationaler Ebene die Möglichkeit erhalten, entgegengesetzte Ansichten zum Ausdruck zu bringen, die in die Anhänge derartiger Stellungnahmen aufgenommen werden könnten; vertritt die Ansicht, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und die Geschäftsordnung der jeweiligen parlamentarischen Kammer bei der Abfassung dieser Stellungnahmen in vollem Umfang geachtet werden sollten;

12.   nimmt gebührend zur Kenntnis, dass kürzlich eine Reihe von in ganz Europa abgehaltenen demokratischen Konventen gefordert wurde; vertritt in dieser Hinsicht die Auffassung, dass die Einführung einer jährlich stattfindenden europäischen Woche es den Mitgliedern des Europäischen Parlaments und der Kommission und insbesondere den für breitere Themengebiete zuständigen Vizepräsidenten ermöglichen würde, vor alle nationalen parlamentarischen Versammlungen zu treten, um die Agenda der EU mit den Mitgliedern der nationalen Parlamente und Vertretern der Zivilgesellschaft zu erörtern und zu erläutern; empfiehlt eine Überarbeitung seiner eigenen Geschäftsordnung, um diese Initiative zu billigen, und legt den nationalen Parlamenten nahe, ebenso zu verfahren; vertritt außerdem die Ansicht, dass Sitzungen der nationalen und europäischen Fraktionen im Rahmen der interparlamentarischen Zusammenarbeit in der EU durch eine echte politische Debatte auf europäischer Ebene einen Mehrwert erbringen könnten;

Unterstützung der Reform des Frühwarnsystems

13.  betont, dass das Frühwarnsystem seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon selten genutzt wurde, und vertritt die Ansicht, dass es innerhalb des geltenden konstitutionellen Rahmens reformiert werden könnte;

14.  stellt fest, dass Beispiele wie der Einsatz des Verfahrens der „gelben Karte“ gegen den Vorschlag der Kommission zur Überarbeitung der Richtlinie über die Entsendung von Arbeitnehmern im Jahr 2016 zeigen, dass das Frühwarnsystem funktioniert; betont, dass die eingeschränkte Nutzung des Verfahrens der „gelben Karte“ darauf hindeuten könnte, dass das Subsidiaritätsprinzip innerhalb der EU im Allgemeinen geachtet wird; vertritt daher die Ansicht, dass die Unzulänglichkeiten der Verfahren im Rahmen des Frühwarnsystems nicht als Nachweis für die Nichteinhaltung des Subsidiaritätsprinzip aufgefasst werden sollten; weist außerdem darauf hin, dass nationale Parlamente sich auch vor der Vorlage eines Legislativvorschlags durch die Kommission im Rahmen von Grün- und Weißbüchern oder der jährlichen Vorstellung des Arbeitsprogramms der Kommission einbringen und mit der Frage der Achtung des Subsidiaritätsprinzips befassen können;

15.  weist nachdrücklich darauf hin, dass die Kommission bei jeder neuen Rechtsetzungsinitiative verpflichtet ist, zu prüfen, ob die EU berechtigt ist, tätig zu werden, und ob dies auch gerechtfertigt ist; weist außerdem nachdrücklich darauf hin, dass die bisherigen Erfahrungen gezeigt haben, dass es manchmal schwierig und problematisch ist, die politische Dimension des Subsidiaritätsprinzips und die rechtliche Dimension des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit voneinander zu trennen; fordert die Kommission daher auf, bei der Beantwortung der im Rahmen des Frühwarnsystems sowie anderweitig abgegebenen begründeten Stellungnahmen zusätzlich zur Auslegung des Subsidiaritätsprinzips auch die Verhältnismäßigkeit und soweit erforderlich die Bedenken im Hinblick auf die vorgeschlagenen Politikoptionen zu behandeln;

16.  nimmt die von nationalen Parlamenten vorgetragene Forderung nach einer Verlängerung der ihnen für die Abgabe einer begründeten Stellungnahme gemäß Artikel 3 des Protokolls Nr. 1 eingeräumten Frist von acht Wochen zur Kenntnis; betont jedoch, dass im Rahmen der geltenden Verträge keine derartige Verlängerung vorgesehen ist; vertritt daher die Ansicht, dass die Kommission eine technische Mitteilungsfrist im Rahmen des Frühwarnsystems einführen sollte, um den Zeitraum zwischen dem Datum des technischen Eingangs der Entwürfe von Rechtsakten bei den Kammern der nationalen Parlamente und dem Datum des Beginns der Frist von acht Wochen zu verlängern; weist in dieser Hinsicht nachdrücklich darauf hin, dass die Kommission 2009 andere praktische Modalitäten im Hinblick auf die Funktionsweise des Mechanismus der Subsidiaritätskontrolle eingeführt hat;

17.  nimmt die von bestimmten nationalen Parlamenten vorgetragene Forderung nach einer Verlängerung der ihnen für die Vorlage einer begründeten Stellungnahme gemäß Artikel 6 des Protokolls Nr. 2 eingeräumten Frist von acht Wochen zur Kenntnis;

18.  schlägt vor, dass das System, wonach die nationalen Parlamente konstruktive Vorschläge an die Kommission übermitteln können, um auf die Diskussionen auf europäischer Ebene und das Initiativrecht der Kommission positiven Einfluss zu nehmen, im Einklang mit dem 2016 von der Kommission in die Wege geleiteten politischen Dialog in vollem Umfang genutzt wird; schlägt in dieser Hinsicht vor, dass die Kommission über die Befugnis verfügen könnte, diese Vorschläge entweder anzunehmen oder eine förmliche Antwort zu übermitteln, in der sie die Gründe dafür darlegt, dies nicht zu tun; weist darauf hin, dass ein derartiges Verfahren nicht aus einem Initiativrecht oder dem Recht, Rechtsvorschriften zurückzuziehen oder zu ändern, bestehen kann, da dadurch die Arbeitsweise der Union und die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen der nationalen und der europäischen Ebene untergraben würden und somit gegen die Verträge verstoßen würde; empfiehlt gleichzeitig, dass das Recht der gesetzgeberischen Initiative im Falle einer künftigen Überarbeitung der Verträge in erster Linie dem Europäischen Parlament als direkter Vertretung der Unionsbürger übertragen werden sollte;

Umsetzung des Rechts auf Information

19.  weist nachdrücklich darauf hin, dass die nationalen Parlamente gemäß Artikel 12 EUV und Protokoll Nr. 1 das Recht haben, unmittelbar von den EU-Organen Informationen zu erhalten;

20.  betont, dass die nationalen Parlamente die ihnen im Rahmen des Frühwarnsystems oder aufgrund ihres Rechts auf Information übermittelten Informationen besser bewältigen könnten, wenn der IPEX-Plattform die Bedeutung einer „Agora“ bzw. eines Forums für den ständigen informellen Dialog unter den nationalen Parlamenten sowie zwischen ihnen und den EU-Organen beigemessen würde; beschließt daher, die Nutzung der Plattform zu fördern, um den politischen Dialog zu verbessern; empfiehlt den nationalen Parlamenten, die IPEX-Plattform rechtzeitig einzusetzen, um dafür zu sorgen, dass der nationale Kontrollmechanismus frühzeitig eingeleitet wird; empfiehlt, die IPEX-Plattform als Kanal für den systematischen Austausch von Informationen und die frühzeitige Meldung von Bedenken im Hinblick auf die Subsidiarität zu nutzen; vertritt die Ansicht, dass die IPEX-Plattform das Potenzial hat, zum wichtigsten Kanal für die Kommunikation und die Übermittlung einschlägiger Dokumente von den Organen der EU an die nationalen Parlamente und von den nationalen Parlamenten an die Organe der EU zu werden; verpflichtet sich in dieser Hinsicht, den Verwaltungen der Kammern der nationalen Parlamente im Hinblick auf den Umgang mit der Plattform Unterstützung zu leisten; fordert außerdem die Einführung eines intensiveren Austauschs von Beamten der Organe und der Fraktionen zwischen den Verwaltungen des Europäischen Parlaments und den Verwaltungen der nationalen Parlamente;

Auf dem Weg zu einer besseren interinstitutionellen Zusammenarbeit

21.  nimmt die bestehende Zusammenarbeit zwischen dem Europäischen Parlament und den nationalen Parlamenten in der COSAC und in der Interparlamentarischen Konferenz für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP-IPK) sowie im Rahmen von Artikel 13 des SKS-Vertrags gebührend zur Kenntnis; betont, dass diese Zusammenarbeit auf der Grundlage der Grundsätze des Konsenses, des Austauschs von Informationen und der Konsultation ausgebaut werden sollte, damit die nationalen Parlamente ihre jeweiligen Regierungen und Verwaltungen kontrollieren;

22.  betont mit Nachdruck, dass der derzeitige Rahmen für die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und den nationalen Parlamenten vereinfacht und harmonisiert werden könnte, damit er effizienter und wirksamer wird; fordert in diesem Zusammenhang eine Überprüfung der Zusammenarbeit der Europäischen Union und der nationalen Parlamente ihrer Mitgliedstaaten über die bestehenden Plattformen und Foren, um diese Beziehungen zu stärken und sie an die aktuellen Bedürfnisse anzupassen; besteht jedoch auf einer klaren Abgrenzung der jeweiligen Beschlussfassungskompetenzen der nationalen Parlamente und des Europäischen Parlaments, wobei erstere ihre europäische Funktion auf der Grundlage ihrer einzelstaatlichen Verfassungen ausüben sollten, insbesondere durch die Kontrolle der Mitglieder ihrer nationalen Regierungen als Mitglieder des Europäischen Rates und des Rates, d. h. auf der Ebene, auf der sie das europäische Rechtsetzungsverfahren am besten überwachen können; spricht sich daher aus Gründen der Transparenz, Rechenschaftspflicht und besseren Handlungsfähigkeit gegen die Einrichtung gemeinsamer parlamentarischer Beschlussfassungsorgane aus;

23.  weist darauf hin, dass die Stärkung des politischen und fachlichen Dialogs zwischen den parlamentarischen Ausschüssen – sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene – ein wichtiger Schritt hin zur umfassenden interparlamentarischen Zusammenarbeit wäre; prüft die Möglichkeit, zu diesem Zweck zusätzliche Mittel bereitzustellen und sofern möglich Videokonferenzen zu nutzen;

24.  stellt fest, dass die in den Artikeln 9 und 10 von Protokoll Nr. 1 vorgesehenen interparlamentarischen Ausschusssitzungen von Bedeutung sind; vertritt die Ansicht, dass die interinstitutionelle Zusammenarbeit verbessert werden könnte, wenn den interparlamentarischen Ausschusssitzungen von den Mitgliedern des Europäischen Parlaments und der nationalen Parlamente mehr Bedeutung beigemessen würde und wenn diese in engerer Zusammenarbeit vorbereitet würden;

25.  empfiehlt, dass die nationalen Parlamente an der Weiterentwicklung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik in vollem Umfang mitwirken; vertritt die Ansicht, dass diese Beteiligung in enger Zusammenarbeit mit dem Europäischen Parlament und unter uneingeschränkter Achtung der einzelstaatlichen verfassungsrechtlichen Bestimmungen im Hinblick auf die Sicherheits- und Verteidigungspolitik erfolgen sollte, beispielsweise im Rahmen interparlamentarischer Sitzungen von Vertretern der nationalen Parlamente und Mitgliedern des Europäischen Parlaments sowie über einen politischen Dialog zwischen einem vollwertigen Ausschuss für Sicherheit und Verteidigung im Europäischen Parlament und den entsprechenden einzelstaatlichen parlamentarischen Ausschüssen; stellt fest, dass dies im Hinblick auf die neutralen Mitgliedstaaten der EU in Bezug auf die konstruktive Kontrolle auf diesem Gebiet ein Potenzial darstellt;

26.  ist der Ansicht, dass ein verbesserter politischer und legislativer Dialog zwischen und mit den nationalen Parlamenten zur Verwirklichung der in der Interinstitutionellen Vereinbarung über bessere Rechtsetzung festgelegten Ziele beitragen würde;

o

o    o

27.  beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat und der Kommission sowie den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten zu übermitteln.

ANGABEN ZUR ANNAHME IM FEDERFÜHRENDEN AUSSCHUSS

Datum der Annahme

21.3.2018

 

 

 

Ergebnis der Schlussabstimmung

+:

–:

0:

23

1

0

Zum Zeitpunkt der Schlussabstimmung anwesende Mitglieder

Gerolf Annemans, Michał Boni, Mercedes Bresso, Elmar Brok, Fabio Massimo Castaldo, Pascal Durand, Esteban González Pons, Danuta Maria Hübner, Alain Lamassoure, Jo Leinen, Morten Messerschmidt, Maite Pagazaurtundúa Ruiz, Markus Pieper, Paulo Rangel, Helmut Scholz, György Schöpflin, Pedro Silva Pereira, Barbara Spinelli, Claudia Țapardel, Kazimierz Michał Ujazdowski

Zum Zeitpunkt der Schlussabstimmung anwesende Stellvertreter

Max Andersson, Pervenche Berès, Sylvia-Yvonne Kaufmann, Jasenko Selimovic

NAMENTLICHE SCHLUSSABSTIMMUNG IM FEDERFÜHRENDEN AUSSCHUSS

23

+

ALDE

Maite Pagazaurtundúa Ruiz, Jasenko Selimovic

ECR

Morten Messerschmidt, Kazimierz Michał Ujazdowski

EFDD

Fabio Massimo Castaldo

GUE/NGL

Helmut Scholz, Barbara Spinelli

PPE

Michał Boni, Elmar Brok, Esteban González Pons, Danuta Maria Hübner, Alain Lamassoure, Markus Pieper, Paulo Rangel, György Schöpflin

S&D

Pervenche Berès, Mercedes Bresso, Sylvia-Yvonne Kaufmann, Jo Leinen, Pedro Silva Pereira, Claudia Țapardel

VERTS/ALE

Max Andersson, Pascal Durand

1

-

ENF

Gerolf Annemans

0

0

 

 

Erklärung der benutzten Zeichen:

+  :  dafür

-  :  dagegen

0  :  Enthaltung

Letzte Aktualisierung: 13. April 2018
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