BERICHT mit Empfehlungen an die Kommission über die Festlegung von geschlechtsspezifischer Gewalt als neuer Kriminalitätsbereich gemäß Artikel 83 Absatz 1 AEUV
22.7.2021 - (2021/2035(INL))
Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres
Ausschuss für die Rechte der Frauen und die Gleichstellung der Geschlechter
Berichterstatter: Malin Björk, Diana Riba i Giner
(Initiative gemäß Artikel 47 der Geschäftsordnung)
(Gemeinsames Ausschussverfahren – Artikel 58 der Geschäftsordnung)
(Verfasser des Vorschlags: Malin Björk, Diana Riba i Giner)
ENTWURF EINER ENTSCHLIESSUNG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS
mit Empfehlungen an die Kommission über die Festlegung von geschlechtsspezifischer Gewalt als neuer Kriminalitätsbereich gemäß Artikel 83 Absatz 1 AEUV
Das Europäische Parlament,
– gestützt auf Artikel 2 und Artikel 3 Absatz 3 des Vertrags über die Europäische Union,
– gestützt auf Artikel 8, Artikel 10, Artikel 19, Artikel 83 Absatz 1 und Artikel 225 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union,
– unter Hinweis auf die Charta der Grundrechte der Europäischen Union und insbesondere auf Artikel 1 bis 4, 6 bis 8, 10 bis 12, 21, 23 bis 26, 47 und 49,
– unter Hinweis auf die länderspezifischen Monitoringberichte der Expertengruppe für die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt,
– unter Hinweis auf die Mitteilung der Kommission vom 5. März 2020 mit dem Titel „Eine Union der Gleichheit: Strategie für die Gleichstellung der Geschlechter 2020–2025“,
– unter Hinweis auf die Mitteilung der Kommission vom 24. Juni 2020 mit dem Titel „EU-Strategie für die Rechte von Opfern (2020–2025)“,
– unter Hinweis auf die Mitteilung der Kommission vom 12. November 2020 mit dem Titel „Eine Union der Gleichheit: Strategie für die Gleichstellung von LGBTIQ-Personen 2020–2025“,
– unter Hinweis auf die Mitteilung der Kommission vom 25. November 2020 mit dem Titel „EU-Aktionsplan für die Gleichstellung (GAP) III – eine ehrgeizige Agenda für die Gleichstellung der Geschlechter und die Stärkung der Rolle der Frau im auswärtigen Handeln der EU“,
– unter Hinweis auf die Mitteilung der Kommission vom 24. März 2021 mit dem Titel „EU-Kinderrechtsstrategie“,
– unter Hinweis auf die Mitteilung der Kommission vom 14. April 2021 über die Strategie der EU zur Bekämpfung des Menschenhandels 2021–2025,
– unter Hinweis auf die Richtlinie 2011/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2002/629/JI des Rates[1],
– unter Hinweis auf die Richtlinie 2011/99/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Europäische Schutzanordnung[2],
– unter Hinweis auf die Richtlinie 2012/29/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 über Mindeststandards für die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern von Straftaten sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2001/220/JI[3],
– unter Hinweis auf das fünfte Nachhaltigkeitsziel der Vereinten Nationen: „Gleichstellung der Geschlechter“,
– unter Hinweis auf die Allgemeine Empfehlung Nr. 33 des Ausschusses für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau vom 3. August 2015 zum Zugang der Frauen zur Justiz,
– unter Hinweis auf die Allgemeine Empfehlung Nr. 35 des Ausschusses für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau vom 14. Juli 2017 über geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen, mit der die Allgemeine Empfehlung Nr. 19 des Ausschusses für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau aktualisiert wird,
– unter Hinweis auf die Erhebung der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte mit dem Titel „Gewalt gegen Frauen: eine EU-weite Erhebung“ aus dem Jahr 2014,
– unter Hinweis auf den 2021 veröffentlichten Bericht der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte mit dem Titel „Kriminalität, Sicherheit und Opferrechte“,
– unter Hinweis auf die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten,
– unter Hinweis auf das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt,
– unter Hinweis auf die Erklärung und die Aktionsplattform von Peking, die am 15. September 1995 auf der vierten Weltfrauenkonferenz angenommen wurden, sowie auf die entsprechenden Abschlussdokumente, die im Rahmen der UN-Sondertagungen Peking +5 (2005), Peking +15 (2010) und Peking +20 (2015) angenommen wurden,
– unter Hinweis auf das Glossar des Europäischen Instituts für Gleichstellungsfragen,
– unter Hinweis auf die auf der 65. Tagung der Kommission der Vereinten Nationen für die Rechtsstellung der Frau vom 15. bis 26. März 2021 vereinbarten Schlussfolgerungen,
– unter Hinweis auf die Bestimmungen der Rechtsinstrumente der Vereinten Nationen im Bereich der Menschenrechte, insbesondere in Bezug auf die Rechte der Frauen, und auf andere Instrumente der Vereinten Nationen zur Gewalt gegen Frauen, einschließlich der Erklärung der Vereinten Nationen über die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen vom 20. Dezember 1993,
– unter Hinweis auf seine Entschließung vom 5. April 2011 zu den Prioritäten und Grundzügen einer neuen EU-Politik zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen[4];
– unter Hinweis auf seine Entschließung vom 25. Februar 2014 mit Empfehlungen an die Kommission zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen[5],
– unter Hinweis auf seine Entschließung vom 12. September 2017 zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates über den Abschluss des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt durch die Europäische Union[6],
– unter Hinweis auf seine Entschließung vom 13. Februar 2019 zur Erfahrung von Gegenreaktionen gegen die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter in der EU[7],
– unter Hinweis auf seine Entschließung vom 28. November 2019 zum Beitritt der EU zum Übereinkommen von Istanbul und zu weiteren Maßnahmen zur Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt[8],
– unter Hinweis auf seine Entschließung vom 26. November 2020 zu der De-facto-Abschaffung des Rechts auf Abtreibung in Polen[9],
– unter Hinweis auf seine Entschließung vom 21. Januar 2021 zu der geschlechtsspezifischen Sichtweise in der COVID-19-Krise und der Zeit danach[10],
– unter Hinweis auf seine Entschließung vom 21. Januar 2021 zu der EU-Strategie für die Gleichstellung der Geschlechter[11],
– unter Hinweis auf seine Entschließung vom 10. Februar 2021 zur Umsetzung der Richtlinie 2011/36/EU zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer[12],
– unter Hinweis auf seine Entschließung vom 11. Februar 2021 zu anstehenden Herausforderungen mit Blick auf die Frauenrechte in Europa: mehr als 25 Jahre nach der Erklärung und Aktionsplattform von Peking[13],
– unter Hinweis auf die Schlussfolgerungen des Rates zu Frauen, Frieden und Sicherheit vom 10. Dezember 2018,
– unter Hinweis auf das 2020 veröffentlichte Kurzdossier der Vereinten Nationen mit dem Titel „COVID-19 and Ending Violence Against Women and Girls“ (COVID-19 und die Beendigung der Gewalt gegen Frauen und Mädchen)[14],
– unter Hinweis auf das Rechtsgutachten des Generalanwalts beim Gerichtshof der Europäischen Union zum Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt vom 11. März 2021, mit dem die Rechtsunsicherheit geklärt werden soll, ob und wie die Union das Übereinkommen schließen und ratifizieren kann[15],
– gestützt auf die Artikel 47 und 54 seiner Geschäftsordnung,
– unter Hinweis auf die gemeinsamen Beratungen des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres und des Ausschusses für die Rechte der Frauen und die Gleichstellung der Geschlechter gemäß Artikel 58 der Geschäftsordnung,
– unter Hinweis auf den Bericht des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres und des Ausschusses für die Rechte der Frauen und die Gleichstellung der Geschlechter (A9-0249/2021),
A. in der Erwägung, dass die Gleichstellung von Frauen und Männern ein zentraler Wert der Union ist, der in Artikel 2 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) verankert und in Artikel 23 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (die „Charta“) anerkannt ist; in der Erwägung, dass das Recht auf Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung ein Grundrecht ist, das in den Verträgen und in der Charta verankert ist; in der Erwägung, dass die Beendigung der männlichen Gewalt gegen Frauen und Mädchen eine Grundvoraussetzung dafür ist, die tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Männern zu erreichen;
B. in der Erwägung, dass in Artikel 8 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) festgelegt ist, dass die Union bei allen ihren Tätigkeiten darauf hinwirkt, Ungleichheiten zu beseitigen und die Gleichstellung von Frauen und Männern zu fördern;
C. in der Erwägung, dass geschlechtsbezogene Gewalt sowohl online als auch offline und der fehlende Zugang zu angemessenem Schutz die schwerwiegendste Erscheinung geschlechtsspezifischer Diskriminierung sind und eine Verletzung der in der Charta verankerten Grundrechte darstellen, wie das Recht auf Menschenwürde, das Recht auf Leben, das Recht auf körperliche und geistige Unversehrtheit, das Verbot von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe, das Verbot der Sklaverei und Zwangsarbeit, das Recht auf Freiheit und Sicherheit sowie das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens;
D. in der Erwägung, dass der Rat gemäß Artikel 83 Absatz 1 Unterabsatz 3 AEUV je nach Entwicklung der Kriminalität einen Beschluss erlassen kann, in dem andere Bereiche besonders schwerer Kriminalität bestimmt werden, die aufgrund der Art oder der Auswirkungen der Straftaten oder aufgrund einer besonderen Notwendigkeit, sie auf einer gemeinsamen Grundlage zu bekämpfen, eine grenzüberschreitende Dimension haben;
E. in der Erwägung, dass der Rat bei der Annahme eines solchen Beschlusses gemäß Artikel 83 Absatz 1 Unterabsatz 3 AEUV einstimmig nach Zustimmung des Europäischen Parlaments beschließt;
F. in der Erwägung, dass das Europäische Institut für Gleichstellungsfragen (EIGE) und das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt („Übereinkommen von Istanbul“) geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen als Gewalt gegen eine Frau definieren, weil sie eine Frau ist, oder als Gewalt, von der Frauen unverhältnismäßig stark betroffen sind; in der Erwägung, dass „Gewalt gegen Frauen“ jeden Akt der Gewalt gegen Frauen bezeichnet, der physische, sexuelle oder psychische Schäden oder Leiden bei Frauen verursacht oder verursachen kann, einschließlich der Androhung solcher Gewaltakte, von Nötigung oder der willkürlichen Freiheitsberaubung, ob im öffentlichen oder im Privatleben;
G. in der Erwägung, dass auch LGBTIQ+-Personen aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Geschlechtsidentität, des Ausdrucks ihrer Geschlechtlichkeit und ihrer Geschlechtsmerkmale Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt sind;
H. in der Erwägung, dass geschlechtsspezifische Gewalt gegen LGBTIQ+-Personen körperliche Gewalt, psychische Gewalt, Zwangsheiraten, sexuelle Gewalt einschließlich „korrigierender“ Vergewaltigung und sexueller Belästigung, Genitalverstümmelung bei Frauen und intersexuellen Personen, Zwangssterilisation von trans- und intersexuellen Personen, sogenannte „Ehrenstraftaten“, Konversionstherapien, Hetze im Internet und außerhalb, Mobbing und Belästigung, sozioökonomische Entbehrungen und Gewalt umfasst, die innerhalb der Familie und/oder im häuslichen Umfeld stattfindet;
I. in der Erwägung, dass Geschlecht gemäß dem Übereinkommen von Istanbul als „die gesellschaftlich geprägten Rollen, Verhaltensweisen, Tätigkeiten und Merkmale, die eine bestimmte Gesellschaft als für Frauen und Männer angemessen ansieht“, definiert ist, was daran erinnert, dass die Ursache vieler Formen von Gewalt gegen Frauen Machtungleichheiten zwischen Frauen und Männern sind;
J. in der Erwägung, dass der Ausdruck „in all ihrer Vielfalt“ in diesem Bericht verwendet wird, um zu verdeutlichen, dass Frauen, Männer und nicht binäre Menschen unter heterogene Kategorien fallen, unter anderem in Bezug auf Rasse, Hautfarbe, ethnische oder soziale Herkunft, Sprache, Religion oder Weltanschauung, politische oder sonstige Anschauungen, Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, Vermögen, Geburt, Behinderung, Alter, sexuelle Ausrichtung, Geschlechtsidentität, Ausdruck der Geschlechtlichkeit oder Geschlechtsmerkmale, Gesundheitszustand, Familienstand oder Migrationsstatus oder Flüchtlingsstatus; in der Erwägung, dass damit auch das Bestreben zum Ausdruck gebracht werden soll, niemanden zurückzulassen und ein geschlechtergerechtes Europa für alle zu schaffen; in der Erwägung, dass ohne einen bereichsübergreifenden Ansatz keine wirklichen Fortschritte hinsichtlich der Gleichstellung der Geschlechter erzielt werden können;
K. in der Erwägung, dass geschlechtsspezifische Gewalt in geschlechtsspezifischen Stereotypen, heteropatriarchalischen Strukturen und Machtasymmetrien sowie strukturellen und institutionellen Ungleichheiten verwurzelt ist; in der Erwägung, dass geschlechtsspezifische Gewalt alle Bereiche der Gesellschaft betrifft;
L. in der Erwägung, dass geschlechtsspezifische Gewalt Frauen und Mädchen in all ihrer Vielfalt und LGBTI+-Personen trifft, ausgelöst durch das Bedürfnis, diejenigen zu bestrafen, die die gesellschaftlichen Normen in Bezug auf die Hierarchie der Geschlechter, den Ausdruck der Geschlechtlichkeit und die binären Geschlechtersysteme durchbrechen; in der Erwägung, dass geschlechtsspezifische Gewalt darauf abzielt, die Ungleichheit der Geschlechter zu etablieren, durchzusetzen oder zu zementieren und die Geschlechternormen und Stereotype zu verstärken;
M. in der Erwägung, dass das EIGE Femizid als die Tötung von Frauen und Mädchen aufgrund ihres Geschlechts definiert; in der Erwägung, dass es verschiedene Formen des Femizids gibt, beispielsweise den Mord an Frauen infolge von Gewalt in Paarbeziehungen, die Tötung von Frauen und Mädchen aufgrund ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Orientierung, ihrer Geschlechtsidentität, des Ausdrucks ihrer Geschlechtlichkeit und ihrer Geschlechtsmerkmale sowie die Genitalverstümmelung bei Frauen und intersexuellen Personen und sogenannte Ehrenmorde; in der Erwägung, dass Femizid der extreme Ausdruck der bestehenden Formen von Gewalt an Frauen ist und einen ultimativen Gewaltakt darstellt, der in einem Kontinuum der Gewalt erfolgt; in der Erwägung, dass viele Arten des Femizids nicht in den offiziellen Zahlen berücksichtigt werden und unsichtbar bleiben;
N. in der Erwägung, dass körperliche, sexuelle oder psychologische Gewalt in der Partnerschaft ernste Auswirkungen auf Kinder hat und dass Missbrauch von kommenden Generationen weitergeführt wird, da Kinder, die Zeugen von Gewalt in der Partnerschaft gegen ihre Mutter oder gegen einen ihrer Elternteile werden, mit höherer Wahrscheinlichkeit später im Leben selbst derartige Gewalt erleben – sowohl als Opfer als auch als Täter; in der Erwägung, dass Rechtsvorschriften zum Schutz der Würde des Kindes und zur Anerkennung des Kindes als Opfer in diesen Fällen eine entscheidende Rolle für den Opferschutz von Frauen und Kindern spielen; in der Erwägung, dass die Rechtsvorschriften in Bezug auf das Sorgerecht so gestaltet werden müssen, dass Gewalttäter in Paarbeziehungen kein Sorgerecht erhalten können;
O. in der Erwägung, dass geschlechtsspezifische Gewalt viele Arten von Gewalt umfasst, darunter Gewalt in Paarbeziehungen und häusliche Gewalt; in der Erwägung, dass das EIGE häusliche Gewalt ähnlich wie das Übereinkommen von Istanbul als alle Handlungen körperlicher, sexueller, psychischer oder wirtschaftlicher Gewalt definiert, die in der Familie oder im häuslichen Bereich ungeachtet der biologischen oder rechtlichen familiären Verbindungen oder zwischen früheren oder derzeitigen Eheleuten oder Partnerinnen beziehungsweise Partnern vorkommen, unabhängig davon, ob der Täter beziehungsweise die Täterin denselben Wohnsitz wie das Opfer hat oder hatte;
P. in der Erwägung, dass geschlechtsspezifische Gewalt und sexuelle Belästigung im Internet naturgemäß grenzübergreifender Art sind; in der Erwägung, dass Frauen und Mädchen unverhältnismäßig stark von Gewalt in Form von Gewalt im Internet, einschließlich Belästigung im Internet, Cybermobbing, Cyberstalking, sexistischer Hassrede, nicht einvernehmlicher Offenlegung sexueller Darstellungen, Doxing, Identitätsdiebstahl oder Hacking betroffen sind;
Q. in der Erwägung, dass Gewalt gegen Frauen und Mädchen eine der häufigsten Verletzungen der Rechte der Frau in Europa ist; in der Erwägung, dass aus den von der Union durchgeführten Umfragen hervorgeht, dass jede dritte Frau in der Union (also 62 Millionen Frauen) seit dem Alter von 15 Jahren körperliche und/oder sexuelle Gewalt erfahren hat und jede zweite Frau (55 %) Opfer sexueller Belästigung geworden ist; in der Erwägung, dass laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) weltweit fast ein Drittel (27 %) der Frauen zwischen 15 und 49 Jahren, die in einer Beziehung sind, eine Form der körperlichen und/oder sexuellen Gewalt seitens ihres Partners erlebt hat; in der Erwägung, dass laut der WHO 38 % aller Morde an Frauen weltweit von ihrem Partner begangen werden;
R. in der Erwägung, dass es an aktualisierten, umfassenden und vergleichbaren aufgeschlüsselten Daten über alle Formen geschlechtsspezifischer Gewalt in der Union mangelt; in der Erwägung, dass der Mangel an vergleichbaren Daten auch ein Ergebnis der fehlenden Harmonisierung der Definitionen in Bezug auf geschlechtsspezifische Gewalt ist; in der Erwägung, dass umfassende und vergleichbare aufgeschlüsselte Daten unerlässlich sind, um geschlechtsspezifische Gewalt und ihre Ursachen zu dokumentieren; in der Erwägung, dass die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte ihre jüngste Erhebung über Gewalt gegen Frauen im Jahr 2014 veröffentlicht hat, und in der Erwägung, dass die neuesten Zahlen nicht vorliegen;
S. in der Erwägung, dass geschlechtsspezifische Gewalt den europäischen Gesellschaften erhebliche Kosten verursacht, sei es in Bezug auf entgangene Wirtschaftsleistungen oder die Erbringung von Dienstleistungen, einschließlich Gesundheits-, Rechts- und Sozialdienstleistungen sowie spezialisierter Dienste; in der Erwägung, dass den höchsten Preis jedoch die Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt zahlen, die dauerhaft mit den emotionalen Narben dieser traumatischen Erlebnisse leben müssen; in der Erwägung, dass das Handeln der Union vom Wohlergehen der Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt geleitet werden sollte;
T. in der Erwägung, dass die Auswirkungen der COVID-19-Krise zu einer dramatischen Zunahme geschlechtsspezifischer Gewalt geführt haben, insbesondere von Gewalt in der Partnerschaft, einschließlich physischer und psychischer Gewalt, Kontrolle durch Zwang und Online-Gewalt; in der Erwägung, dass die Mitgliedstaaten des WHO-Regionalbüros für Europa einen Anstieg der Notrufe von Frauen um 60 % gemeldet haben, die Gewalt seitens ihres Partners ausgesetzt waren; in der Erwägung, dass es für Opfer von Gewalt in der Partnerschaft durch Ausgangsbeschränkungen schwieriger geworden ist, Hilfe zu suchen, da sie häufig mit ihren Peinigern eingeschlossen sind und nur begrenzten Zugang zu Unterstützungsdiensten haben und da unzureichende Unterstützungsstrukturen und -ressourcen eine bereits bestehende „Schattenpandemie“ noch verschärft haben;
U. in der Erwägung, dass Bildung eine zentrale Rolle dabei spielt, geschlechtsspezifische Gewalt zu verhindern, insbesondere indem die negativen sozialen Normen, die dieses Phänomen fördern, in Frage gestellt und Jugendliche befähigt werden, solche Handlungen zu erkennen, anzugehen und zu verhindern;
V. in der Erwägung, dass geschlechtsspezifische Gewalt in der EU weiterhin nicht ausreichend gemeldet wird; in der Erwägung, dass zwei Drittel der Opfer geschlechtsspezifische Gewalt den Behörden nicht melden[16];
W. in der Erwägung, dass laut dem EIGE eine sekundäre Viktimisierung oder Reviktimisierung vorliegt, wenn das Opfer weiteren Schaden erleidet, jedoch nicht unmittelbar durch die Straftat, sondern aufgrund der Art und Weise, in der die Institutionen mit dem Opfer umgehen; in der Erwägung, dass sekundäre Viktimisierung laut dem EIGE beispielsweise durch wiederholte Begegnungen des Opfers mit dem Täter, durch wiederholte Befragungen zu denselben Fakten, durch die Verwendung unangemessener Sprache oder durch unsensible Kommentare von Personen, die mit dem Opfer in Kontakt kommen, verursacht werden kann;
X. in der Erwägung, dass geschlechtsspezifische Gewalt von Personen in Machtpositionen ausgehen kann, beispielsweise in Gefängnissen, psychiatrischen Einrichtungen, Hafteinrichtungen, Wohlfahrtseinrichtung und Flüchtlingslagern; in der Erwägung, dass Situationen wie Überfüllung, hohe Stressniveaus und mangelnde Privatsphäre ebenfalls zu geschlechtsspezifischer Gewalt führen können; in der Erwägung, dass, wenn gewährleistet wird, dass Polizeibeamte besonders geschult werden, damit sie über die persönlichen Kompetenzen dahingehend verfügen, allen Frauen, die geschlechtsspezifische Gewalt erlebt haben, aufmerksam zuzuhören, ihnen Verständnis entgegenzubringen und sie zu respektieren, sie dabei helfen können, das Problem der nicht ausreichenden Meldungen und der Reviktimisierung anzugehen und für eine sicherere Umgebung für Opfer geschlechtsspezifische Gewalt zu sorgen;
Y. in der Erwägung, dass es unerlässlich ist, den erschwinglichen und sicheren Zugang zu einem unabhängigen Justizsystem sicherzustellen, um eine sicherere Umgebung für alle Opfer geschlechtsspezifische Gewalt zu fördern; in der Erwägung, dass für eine wirksame Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt Schulungsprogramme für Personen erarbeitet werden müssen, die beruflich damit in Berührung kommen (Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, Beschäftigte im Gesundheitswesen, Bedienstete in der Strafverfolgung, im Justizsystem Beschäftigte usw.), damit sie in der Lage sind, geschlechtsspezifische Gewalt zu erkennen, anzugehen und darauf zu reagieren;
Z. in der Erwägung, dass die Verurteilungsquoten bei Gewalttaten gegen Frauen, insbesondere bei sexueller Gewalt einschließlich Vergewaltigung und sexueller Belästigung, in allen Mitgliedstaaten inakzeptabel niedrig sind, woran deutlich wird, dass es systemische Defizite in Bezug auf die Art der Strafverfolgung bei geschlechtsspezifischer Gewalt gibt, und in der Erwägung, dass dies wiederum zu einer weit verbreiteten Kultur der Straflosigkeit und zu einer ernsthaften Beeinträchtigung der Gleichstellung der Geschlechter und der Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt führt;
AA. in der Erwägung, dass sexuelle Gewalt Teil eines Kontinuums geschlechtsspezifischer Diskriminierung und Gewalt ist, das eng mit den anhaltenden Ungleichheiten und allgemeinen Angriffen auf die Gleichstellung der Geschlechter und die Menschenrechte von Frauen und Mädchen zusammenhängt;
AB. in der Erwägung, dass das Übereinkommen von Istanbul in Europa das umfassendste Instrument ist, um bestimmte Formen männlicher Gewalt gegen Frauen und Mädchen sowie häusliche Gewalt zu bekämpfen; in der Erwägung, dass mit dem Übereinkommen von Istanbul ein umfassender Rahmen für rechtliche und politische Maßnahmen zur Verhinderung derartiger Gewalt, zur Unterstützung der Opfer und zur Bestrafung der Täter geschaffen wird;
AC. in der Erwägung, dass Desinformationskampagnen zur Untergrabung der Gleichstellung der Geschlechter auch Fortschritte bei der Beseitigung von Gewalt gegen Frauen blockieren, wie im Zusammenhang mit dem Übereinkommen von Istanbul festgestellt wurde, was in einigen Mitgliedstaaten zu öffentlichem Widerstand und bedauerlichen politischen Entscheidungen führt;
AD. in der Erwägung, dass das Übereinkommen von Istanbul von allen Mitgliedstaaten unterzeichnet und von 21 ratifiziert wurde; in der Erwägung, dass Bulgarien, Lettland, Litauen, die Slowakei, Tschechien und Ungarn das Übereinkommen von Istanbul noch nicht ratifiziert haben; in der Erwägung, dass Polen bekanntgegeben hat, aus dem Übereinkommen von Istanbul austreten zu wollen; in der Erwägung, dass mit dem Austritt der Türkei aus dem Übereinkommen von Istanbul ein negativer Präzedenzfall geschaffen wurde; in der Erwägung, dass das Übereinkommen von Istanbul von der Union noch nicht ratifiziert wurde;
AE. in der Erwägung, dass die Verletzungen der Rechte von Frauen ein internationales, europaweites und grenzüberschreitendes Phänomen sind; in der Erwägung, dass Frauen und Mädchen in Europa und andere Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt aufgrund von unterschiedlichen nationalen Rechtsrahmen sowie Schutz- und Präventionsmechanismen nicht in der gesamten Union gleichermaßen vor Gewalt geschützt werden;
AF. in der Erwägung, dass das Vorgehen der Union zur Beseitigung der Gewalt gegen Frauen und Mädchen und anderer Formen geschlechtsspezifischer Gewalt erfordert, dass die Kommission mehrere parallele Wege legislativer und nicht legislativer Art beschreitet, indem sie unter anderem vorschlägt, geschlechtsspezifische Gewalt als Kriminalitätsbereich zu bestimmen, der die Kriterien gemäß Artikel 83 Absatz 1 AEUV erfüllt, und zugleich eine Richtlinie über geschlechtsspezifische Gewalt mit diesem Artikel als Rechtsgrundlage vorschlägt;
AG. in der Erwägung, dass die Bekämpfung von geschlechtsspezifischer Gewalt eine Hauptpriorität der EU-Strategie für die Gleichstellung der Geschlechter und des auswärtigen Handelns der Union ist; in der Erwägung, dass die Kommission in ihrem Arbeitsprogramm für 2021 einen neuen Legislativvorschlag zur Verhütung und Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt auf der Grundlage der Artikel 82, 83 und 84 AEUV angekündigt hat sowie einen spezifischen Vorschlag zur Ausweitung der in Artikel 83 Absatz 1 Unterabsatz 2 AEUV enthaltenen Liste von Bereichen besonders schwerer Kriminalität mit grenzüberschreitender Dimension auf alle Formen von Hasskriminalität und Hetze; in der Erwägung, dass die Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt zu den Prioritäten der Präsidentin der Kommission gehört[17];
Ursachen und Auswirkungen geschlechtsspezifischer Gewalt und Sicherstellung eines ganzheitlichen Ansatzes bei ihrer Prävention
1. verurteilt alle Formen von Gewalt gegen Frauen und Mädchen in all ihrer Vielfalt und andere Formen geschlechtsspezifischer Gewalt, etwa Gewalt gegen LGBTIQ+-Personen aufgrund des Geschlechts, der Geschlechtsidentität, des Ausdrucks der Geschlechtlichkeit oder von Geschlechtsmerkmalen, womit verschiedene Gewalttaten im Internet und außerhalb gemeint sind, die zu körperlichen, sexuellen, psychischen oder wirtschaftlichen Schäden oder Leiden führen oder führen können;
2. betont, dass die geschlechtsspezifische Gewalt, die Frauen und Mädchen in der gesamten Union erleiden, einschließlich Gewalt in der Partnerschaft, körperlicher, sexueller, wirtschaftlicher und psychischer Gewalt, Kontrolle durch Zwang und Online-Gewalt, infolge der Ausgangsbeschränkungen und der Maßnahmen zur physischen Distanzierung während der COVID-19-Pandemie in besorgniserregendem Ausmaß zugenommen hat, was zu einem dringenden Bedarf an Unterstützungsdiensten für diese Opfer geführt hat;
3. betont nachdrücklich, dass die Definition von „Frauen“ Mädchen unter 18 Jahren einschließen muss, wenn es um die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen geht;
4. prangert Femizid als die extremste Form geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen und Mädchen an; betont, dass Femizid eine sehr schwere Menschenrechtsverletzung ist und dass die Union einen Plan zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt, zur Erkennung von Gefahrensituationen sowie zur Unterstützung und zum Schutz von Opfern ausarbeiten sollte;
5. betont, dass Gewalt gegen Frauen und andere Formen geschlechtsspezifischer Gewalt noch immer totgeschwiegen werden und das Ergebnis einer fortbestehenden Ausprägung historischer Ungleichheiten beim Zugang zu und der Verteilung von Macht und Ressourcen sind, die zur Beherrschung und Diskriminierung von Frauen durch Männer sowie zu Gewalt gegen LGBTIQ+-Personen geführt haben, was erhebliche Auswirkungen auf die Opfer, ihre Familien und Gemeinschaften hat;
6. begrüßt die #MeToo-Bewegung, die die Stimme der Frauen symbolisiert und die Mauer des Schweigens durchbricht, die sexuelle Belästigung und sexuelle Gewalt gegen Frauen in all ihrer Vielfalt in allen Altersschichten und Bereichen und an allen Orten umgibt; verurteilt, dass in einigen Ländern Opfer sexueller Belästigung und sexueller Gewalt vermehrt wegen Verleumdung angeklagt und sogar verurteilt werden, wodurch eine abschreckende Wirkung und eine Reviktimisierung entstehen und Frauen, die es wagen, sich zu äußern, zum Schweigen gebracht werden;
7. räumt ein, dass dank des zäh geführten feministischen Kampfs gegen die weltweite Unterdrückung von Frauen und Mädchen Fortschritte hin zur Gleichstellung erzielt wurden;
8. hebt hervor, dass die Lage durch soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten und erhebliche Kürzungen bei den verfügbaren Mitteln, insbesondere in Krisenzeiten, und die sich daraus ergebenden Lohn- und Rentenunterschiede, die zur Feminisierung der prekären Beschäftigung und prekäreren Lebensbedingungen für Frauen geführt haben, noch verschärft wird; betont, dass diese Ungleichheiten und Machtungleichgewichte bereichsübergreifender und globaler Art sind, im gesamten Gebiet der Union bestehen und sich nicht auf einzelne Mitgliedstaaten beschränken;
9. betont, dass starre Geschlechternormen, die auf patriarchalischen Stereotypen beruhen, zur Diskriminierung und Unterwerfung von Frauen, einschließlich lesbischer, bisexueller, transsexueller und intersexueller Frauen, beitragen, dazu führen, dass alle, die nicht diesen Normen entsprechen, verstärkt geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt sind, und dazu beitragen, dass die Gewalt, unter der schwule, bisexuelle und intersexuelle Männer leiden, nicht wahrgenommen wird;
10. betont, wie wichtig es ist, den gleichgestellten Status und die Machtverhältnisse zwischen Männern und Frauen und zwischen Jungen und Mädchen durch Bildung zu thematisieren und zu fördern sowie Vorurteile und geschlechtsspezifische Stereotypen, die zu schädlichen sozialen Geschlechternormen führen, zu beseitigen; bedauert die hohe Zahl gewalttätiger Zwischenfälle, die sich gegen Frauen in all ihrer Vielfalt, einschließlich lesbischer, bisexueller und transsexueller Frauen, sowie gegen transsexuelle, intersexuelle und nichtbinäre Personen richten;
11. unterstreicht die vielfältigen psychischen Auswirkungen, die geschlechtsspezifische Gewalt auf die Opfer hat, darunter Stress, Gefühle von Unsicherheit und Schutzlosigkeit, Konzentrationsprobleme, Angstzustände, Panikattacken, soziale Isolation, geringes Selbstwertgefühl, Depressionen, posttraumatische Belastungsstörungen, mangelndes Vertrauen und fehlendes Gefühl der Kontrolle sowie Angst oder sogar Selbstmordgedanken; hebt hervor, dass es wichtig ist, für die Opfer derartiger Straftaten psychische Betreuung bereitzustellen, die häufig auch von nichtstaatlichen Organisationen und Akteuren der Zivilgesellschaft angeboten wird;
12. erinnert daran, dass geschlechtsspezifische Gewalt auch soziale, wirtschaftliche und demokratische Auswirkungen hat, wie mangelnden Zugang zu Beschäftigung, Isolation, Rückzug aus dem öffentlichen Leben sowie materielle und finanzielle Entbehrung, durch die die benachteiligte Lage von Frauen verschärft wird; betont, dass die Ausübung geschlechtsspezifischer Gewalt als eine Form der Kontrolle von Frauen durch Zwang dient, wodurch die Gleichstellung der Geschlechter, die soziale Mobilität, die Stärkung der wirtschaftlichen Stellung und die Ausübung ihrer Rechte als Unionsbürgerinnen, einschließlich ihrer uneingeschränkten bürgerlichen Teilhabe und der freien Lebensentfaltung ohne Gewalt, verhindert werden;
13. hebt die negativen wirtschaftlichen Folgen hervor, die geschlechtsspezifische Gewalt und die dadurch verursachten psychischen Probleme für Opfer haben können, auch in Bezug auf ihre Fähigkeit, sich eine Arbeit zu suchen, und die finanzielle Belastung, der sie ausgesetzt sind, wenn sie rechtliche Schritte ergreifen, und weist darauf hin, dass die geschätzten jährlichen Kosten, die der Gesellschaft durch geschlechtsspezifische Gewalt entstehen (290 Mrd. EUR, wobei zwischen 49 Mrd. EUR und 89,3 Mrd. EUR auf Cybermobbing und Cyberstalking entfallen), die geschätzten jährlichen Kosten der in Artikel 83 Absatz 1 Unterabsatz 2 AEUV aufgeführten besonders schweren Straftaten übersteigen[18];
14. betont, dass das Übereinkommen von Istanbul der internationale Standard und ein Schlüsselinstrument für die Beseitigung geschlechtsspezifischer Gewalt bleibt, da damit ein ganzheitlicher und koordinierter Ansatz verfolgt wird, bei dem die Rechte des Opfers in den Mittelpunkt gestellt und die Probleme aus einer Vielzahl von Perspektiven beleuchtet werden; bekräftigt seine Forderung, die Ratifizierung des Übereinkommens von Istanbul durch die Union auf der Grundlage eines breit angelegten Beitritts abzuschließen, und hebt die Bedeutung der Ratifizierung durch Bulgarien, Lettland, Litauen, die Slowakei, Tschechien und Ungarn hervor; weist mit Besorgnis darauf hin, dass einige Mitgliedstaaten versuchen, Desinformationen über das Übereinkommen von Istanbul zu verbreiten, etwa indem sie die Existenz geschlechtsspezifischer Gewalt leugnen; verurteilt, dass diese Desinformationen in Europa Fuß fassen und dadurch dazu beitragen, den Schutz der Rechte von Frauen zu erschweren;
15. weist darauf hin, dass das Übereinkommen von Istanbul als Mindeststandard für die Beseitigung geschlechtsspezifischer Gewalt verstanden werden sollte und dass die Union in diesem Zusammenhang noch entschlossenere und wirksamere legislative Maßnahmen verfolgen sollte; weist darauf hin, dass derartige neue legislative Maßnahmen in jedem Fall mit den durch das Übereinkommen von Istanbul festgelegten Rechten und Pflichten in Einklang stehen sollten und die Ratifizierung des Übereinkommens ergänzen sollten; fordert die Mitgliedstaaten auf, die Empfehlungen der Expertengruppe für die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt zu berücksichtigen und ihre nationalen Rechtsvorschriften zu verbessern, um sie stärker mit den Bestimmungen des Übereinkommens von Istanbul in Einklang zu bringen, und so für eine ordnungsgemäße Umsetzung und Durchsetzung zu sorgen;
16. verurteilt, dass der Kampf gegen geschlechtsspezifische Gewalt durch Angriffe auf die Rechte von Frauen und Mädchen und die Gleichstellung der Geschlechter negativ beeinflusst wird; verurteilt die Tätigkeiten von Anti-Gender- und Anti-Feminismus-Bewegungen in Europa und weltweit, die die Rechte von Frauen und LGBTIQ+-Personen, einschließlich sexueller und reproduktiver Rechte, systematisch angreifen und darauf abzielen, bestehende Gesetze zu deren Schutz aufzuheben, wodurch sie die Achtung der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit gefährden; verurteilt alle vorsätzlich verbreiteten Desinformationen über das Übereinkommen von Istanbul und sonstige Instrumente und Initiativen zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen in der Union, durch die der Schutz von Frauen vor Gewalt behindert wird; fordert die Kommission mit Nachdruck auf, sicherzustellen, dass durch zivilgesellschaftliche Organisationen, die von der Union unterstützt und finanziert werden, keine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts gefördert wird;
17. fordert die Kommission auf, die Mittel für die Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen sowie anderer Formen geschlechtsspezifischer Gewalt im Rahmen des Programms „Bürgerinnen und Bürger, Gleichstellung, Rechte und Werte“, wozu auch die Unterstützung von Hilfsorganisationen und anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen, die in diesem Bereich tätig sind, zählt, zu erhöhen und langfristig zu sichern; bekräftigt, wie wichtig es ist, die erzielten Fortschritte anhand von Referenzwerten und Indikatoren zu erfassen;
18. betont, dass bei der rechtlichen Definition geschlechtsspezifischer Gewalt und dem Umgang damit erhebliche Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten bestehen; weist darauf hin, dass legislative Maßnahmen der Union gegen geschlechtsspezifische Gewalt, einschließlich der Richtlinie 2012/29/EU, der Richtlinie 2011/36/EU und der Richtlinie 2011/99/EU, dadurch stark behindert werden;
19. betont, wie wichtig vorbeugende Maßnahmen zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen sind; stellt fest, dass derartige Maßnahmen eine klarere Ausrichtung im gesamten Justizwesen sowie in Schulen und im Gesundheitswesen erfordern, um dem Risiko von Gewalt vorzubeugen oder dieses zu minimieren;
20. fordert nachdrücklich Maßnahmen, mit denen die zugrundeliegenden Ursachen geschlechtsspezifischer Ungleichheiten angegangen werden, unter anderem zum Vorgehen gegen Sexismus, patriarchalische Geschlechtsnormen, Stereotype und Werte; bedauert, dass es an Forschung und Kenntnissen mangelt, die die Grundlage für eine wirksame Politik und Rechtsetzung zur Verhütung geschlechtsspezifischer Gewalt bilden; fordert daher das EIGE und Eurostat auf, als Wissenszentrum für Gewalt gegen Mädchen in der Union zu agieren; betont, dass die Gewalt von Männern gegen Frauen mit der Gewalt von Jungen gegen Mädchen beginnt; ist daher der Ansicht, dass vorbeugende Maßnahmen frühzeitig beginnen müssen; betont, dass die Gleichstellung der Geschlechter einen zentralen Platz in der Bildung einnehmen muss, und fordert Bildungsmaßnahmen, die sich an junge Menschen richten und mit ihnen umgesetzt werden, einschließlich altersgerechter Informationen, einer umfassenden Sexualerziehung, des Aufbaus gewaltfreier Beziehungen, Schulungen in feministischer Selbstverteidigung im Rahmen der Umsetzung von Artikel 12 Absatz 6 des Übereinkommens von Istanbul und des Absatzes 125 Buchstabe g des strategischen Ziels D.1 der Aktionsplattform von Peking, und allgemeinere Maßnahmen zur Bekämpfung von Segregation, geschlechtsspezifischen Ungleichheiten und Diskriminierung;
21. betont, dass Angriffe auf die Rechte der Frauen und die Gleichstellung der Geschlechter häufig ein Aspekt einer allgemeinen Verschlechterung der Lage der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und der Grundrechte sind, und fordert daher die Kommission und den Rat auf, Verletzungen der Rechte von Frauen und von LGBTI+-Personen bei laufenden Verfahren gemäß Artikel 7 EUV zu berücksichtigen;
22. betont, dass unionsweite Sensibilisierungskampagnen erforderlich sind, die Informationen umfassen, mit denen junge Unionsbürger in Bezug auf die Gleichstellung der Geschlechter und die Auswirkungen von geschlechtsspezifischer Gewalt im Internet und außerhalb aufgeklärt werden sollen, wodurch die Anstrengungen, sicherzustellen, dass Frauen und Mädchen in allen Bereichen frei und sicher leben können, unterstützt würden;
23. fordert die Kommission auf, in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass geschlechtsspezifische Gewalt in allen nationalen Lehrplänen wirksam behandelt wird; begrüßt den Vorschlag der Kommission für eine unionsweite Kampagne zum Thema Geschlechterstereotypen, der in der Strategie für die Gleichstellung der Geschlechter enthalten ist, und ihre Zusage, dass „Jungen und Mädchen bereits im frühen Kindesalter im Sinne der Gleichberechtigung erzogen werden und der Aufbau gewaltfreier Beziehungen unterstützt wird“, was ein wesentliches Element wirksamer Vorbeugung ist;
24. betont, dass es wichtig ist, die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten beim Thema geschlechtsspezifische Gewalt zu fördern, da Mitgliedstaaten mit erfolgreichen Strategien dadurch die Möglichkeit erhalten, ihre Erfahrungen im Zuge des Austauschs bewährter Verfahren weiterzugeben;
25. fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, die regelmäßige Verfügbarkeit und Vergleichbarkeit von hochwertigen, aufgeschlüsselten Daten über alle Formen geschlechtsspezifischer Gewalt auf der Ebene der Union und der Mitgliedstaaten zu verbessern und die Datenerfassungssysteme in den einzelnen Mitgliedstaaten durch die Zusammenarbeit mit Eurostat, der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte und dem EIGE zu harmonisieren; ist der Auffassung, dass hochwertige Daten wesentlich sind, um eindeutige und messbare Ziele in Bezug auf die Beseitigung von geschlechtsspezifischer Gewalt festlegen zu können; begrüßt die Ankündigung einer neuen unionsweiten Erhebung der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte über die Verbreitung und Dynamik aller Formen von Gewalt gegen Frauen;
26. betont, dass mit Blick auf ein besseres Verständnis geschlechtsspezifischer Gewalt innerhalb der Union sichergestellt werden muss, dass bei der Datenerhebung im Rahmen von Strafverfolgungseinsätzen mindestens die folgenden Kategorien berücksichtigt werden: a) Geschlecht des Opfers, b) Geschlecht des Täters, c) Beziehung zwischen Opfer und Täter, d) Vorhandensein einer Dimension sexueller Gewalt, e) Vorliegen eines geschlechtsspezifischen Motivs für die Gewalt und f) sonstige soziodemografische Merkmale, die für eine intersektionale Analyse von Bedeutung sind; betont, dass zusätzlich zu diesen Daten allgemeine Daten über die Anzahl der Beschwerden, die Anzahl und Art der erlassenen Schutzanordnungen, die Quote der Beschwerdeabweisungen und -widerrufungen, die Verfolgungs- und Verurteilungsquote, die benötigte Zeit für die Erledigung der Rechtssachen sowie Angaben über gegen Täter ergangene Urteile und die Wiedergutmachung, einschließlich Entschädigung, die Opfern geleistet wurde, und über die bei Notrufstellen oder Gesundheits- und Sozialdiensten, die sich mit Fällen von Gewalt gegen Frauen und Stichprobenerhebungen befassen, gemeldeten Vorfälle benötigt werden;
Befassung mit allen Formen geschlechtsspezifischer Gewalt
27. betont, dass gezielte Rechtsvorschriften und politische Maßnahmen mit einem bereichsübergreifenden Ansatz erforderlich sind, um die Lage von Opfern geschlechtsspezifischer Gewalt anzugehen, die sich überschneidende Formen der Diskriminierung aufgrund der Geschlechtsidentität, des Ausdrucks der Geschlechtlichkeit oder von Geschlechtsmerkmalen und aus sonstigen Gründen wie der Rasse, der Hautfarbe, der ethnischen oder sozialen Herkunft, genetischer Merkmale, der Sprache, der Religion oder Weltanschauung, politischer oder sonstiger Anschauungen, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt, einer Behinderung, des Alters, der sexuellen Ausrichtung, des Gesundheitszustands, des Familienstands oder des Migrationsstatus oder Flüchtlingsstatus erfahren; betont, dass in der Politikgestaltung und Rechtsetzung spezifische und messbare Verpflichtungen ergänzt werden müssen, auch in Bezug auf Gruppen, die durch das Unionsrecht und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Gerichtshofs der Europäischen Union vor Diskriminierung geschützt sind;
28. fordert die Mitgliedstaaten und die Kommission auf, bei ihrer Arbeit zur Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt sicherzustellen, dass alle legislativen und nichtlegislativen Initiativen auf die Beseitigung aller Formen geschlechtsspezifischer Gewalt ausgerichtet sind, was konkret insbesondere Frauen in ihrer gesamten Vielfalt und Gewalt gegen LGBTIQ+-Personen aufgrund der Geschlechtsidentität, des Ausdrucks der Geschlechtlichkeit oder von Geschlechtsmerkmalen einschließt; weist darauf hin, dass das Europäische Parlament die Mitgliedstaaten bereits nachdrücklich aufgefordert hat, Rechtsvorschriften und politische Maßnahmen anzunehmen, mit denen Konversionstherapien, die Genitalverstümmelung bei Frauen, Mädchen und intersexuellen Personen sowie Praktiken der Zwangsterilisation verboten werden;
29. betont, dass geschlechtsspezifische Gewalt eine schwerwiegende Verletzung der Menschenrechte und -würde ist, die in Form von psychischer, körperlicher, sexueller und wirtschaftlicher Gewalt auftreten kann und die unter anderem Femizid, Gewalt in der Partnerschaft, sexuelle Belästigung, Online-Gewalt, Stalking, Vergewaltigung, Früh- und Zwangsehen, Genitalverstümmelung bei Frauen und Mädchen, sogenannte Verbrechen im Namen der „Ehre“, Zwangsabtreibungen, Zwangssterilisationen, sexuelle Ausbeutung und Menschenhandel, institutionelle Gewalt, Gewalt zweiter Ordnung, indirekte Gewalt und sekundäre Viktimisierung umfasst;
30. weist darauf hin, dass Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung Formen der geschlechtsspezifischen Gewalt gegen Frauen und Mädchen sind, und betont, wie wichtig ein geschlechtersensibler Ansatz beim Thema Menschenhandel ist;
31. verurteilt die Phänomene der Gewalt zweiter Ordnung, d. h. körperliche oder psychische Gewalt und Repressalien gegenüber Personen, die Opfer von geschlechtsspezifischer Gewalt unterstützen, sowie deren Demütigung und Verfolgung; betont, dass diese Handlungen die Verhütung und Aufdeckung geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen und die Unterstützung von Frauen, die geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt sind, sowie deren Erholung beeinträchtigen;
32. ist zutiefst besorgt angesichts der Art, des Ausmaßes und der Schwere geschlechtsspezifischer Gewalt und Belästigung in der Arbeitswelt; begrüßt in diesem Zusammenhang, dass die Internationale Arbeitsorganisation kürzlich das Übereinkommen Nr. 190 über Gewalt und Belästigung in der Arbeitswelt angenommen hat, und fordert die Mitgliedstaaten auf, es umgehend zu ratifizieren und umzusetzen; fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten ferner auf, den bestehenden Rahmen angemessen zu vervollständigen, damit dieser wirksame Maßnahmen zur Unterbindung von Gewalt und Belästigung am Arbeitsplatz sowie vorbeugende Maßnahmen, einen wirksamen Zugang zu geschlechtergerechten, sicheren und wirkungsvollen Beschwerde- und Streitbeilegungsverfahren, Schulungen, Sensibilisierungskampagnen, psychologische Unterstützungsdienste und Rechtsbehelfe umfasst;
33. beharrt darauf, dass Online-Gewalt, einschließlich sexueller und psychischer Belästigung im Internet, Cybermobbing, Cyberstalking, der nicht einvernehmlichen Offenlegung sexueller Darstellungen, sexistischer Hetze im Internet und neuer Formen von Belästigung im Internet wie „Zoombombing“ oder Bedrohungen im Internet, eine Form geschlechtsspezifischer Gewalt ist;
34. bedauert, dass Frauen und Mädchen unverhältnismäßig stark von Online-Gewalt betroffen sind und dass diese immer häufiger auftritt; verweist darauf, dass geschlechtsspezifische Online-Gewalt ein Kontinuum der Gewalt außerhalb des Internets darstellt und nicht getrennt von dieser betrachtet werden kann, da beides miteinander verknüpft ist; betont, dass Online-Gewalt die Fortschritte im Bereich der Gleichstellung der Geschlechter zunichtezumachen droht und ihre Opfer zum Schweigen gebracht werden, was sich negativ auf die demokratischen Grundsätze der Union auswirkt; bedauert, dass Frauen, die in der Öffentlichkeit stehen, z. B. Politikerinnen, Journalistinnen, Künstlerinnen oder Aktivistinnen, oft zu Opfern geschlechtsspezifischer Online-Gewalt werden, wobei darauf abgezielt wird, sie davon abzuhalten, im öffentlichen Leben und in Entscheidungsprozessen präsent zu sein;
35. hebt den grenzüberschreitenden Charakter der Online-Gewalt hervor, deren Täter Plattformen oder Mobiltelefone nutzen, die in anderen Mitgliedstaaten als dem, in dem sich das Opfer befindet, angemeldet sind oder dort gehostet werden; hebt hervor, dass die Union einen koordinierten Ansatz verfolgen muss, um mit dem Ziel, geschlechtsspezifische Gewalt im Internet unter vollständiger Wahrung der Grundrechte zu bekämpfen, leicht zugängliche Werkzeuge für zeitnahe Meldungen, wirksame Mechanismen zur Entfernung von Inhalten und die wirksame Zusammenarbeit zwischen Online-Plattformen und den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten zu verbessern;
36. fordert die Mitgliedstaaten und die Kommission auf, gezielte Maßnahmen zu ergreifen, um alle Formen der Gewalt im Internet, von denen Frauen und Mädchen unverhältnismäßig stark betroffen sind, unter anderem mittels entsprechender Schulungen für Strafverfolgungsbeamte zu beseitigen, und konkret gegen die Zunahme dieser Form von Gewalt während der COVID-19-Pandemie vorzugehen;
37. verweist darauf, dass die Verletzung sexueller und reproduktiver Rechte, einschließlich sexueller Gewalt sowie von Gewalt und schädlichen Praktiken in der Gynäkologie und bei der Geburtshilfe, eine Form der geschlechtsspezifischen Gewalt gegen Frauen und Mädchen sowie gegen transsexuelle und nichtbinäre Personen darstellt, wie dies auch in der Strategie für die Gleichstellung von LGBTIQ-Personen zum Ausdruck kommt, und die Gleichstellung der Geschlechter behindert;
38. fordert die Kommission auf, in ihren Vorschlägen für zusätzliche Maßnahmen zur Verhinderung und Bekämpfung von Formen geschlechtsspezifischer Gewalt den regelmäßigen Austausch von bewährten Verfahren im Bereich der sexuellen und reproduktiven Rechte zwischen den Mitgliedstaaten und den Interessenträgern zu fördern;
39. hebt hervor, dass auch Reproduktionszwang und die Verweigerung von sicheren und legalen Versorgungsleistungen bei Abtreibungen eine Form geschlechtsspezifischer Gewalt darstellen; betont, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte wiederholt festgestellt hat, dass durch restriktive Abtreibungsgesetze und die mangelhafte Umsetzung die Menschenrechte von Frauen verletzt werden; betont, dass die Selbstbestimmung von Mädchen und Frauen sowie deren Möglichkeit, freie und unabhängige Entscheidungen über ihren eigenen Körper und ihr eigenes Leben zu treffen, Voraussetzungen für ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit, für die Gleichstellung der Geschlechter und für die Beseitigung geschlechtsspezifischer Gewalt sind; verurteilt aufs Schärfste die Angriffe auf die Rechte der Frauen und auf die Gleichstellung der Geschlechter in der Union, insbesondere die Rückschläge im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit der Frauen und ihrer damit verbundenen Rechte sowie das De-facto-Verbot von sicheren und legalen Abtreibungen in Polen;
40. bedauert die offenkundigen Mängel im Strafverfolgungssystem, die zu einer niedrigen Verurteilungsquote in Fällen geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen und Mädchen und zu einer Straffreiheit für die Täter führen; fordert alle Mitgliedstaaten auf, die Definitionen von „sexueller Gewalt“ und „Vergewaltigung“ in ihrer nationalen Gesetzgebung dahingehend zu ändern, dass sie im Einklang mit dem Übereinkommen von Istanbul auf fehlender Zustimmung beruhen;
41. ist besorgt über die Sexualisierung von Kindern und insbesondere die Sexualisierung von Mädchen durch Männer; hält es für unerlässlich, den Schutz, der im Rahmen der strafrechtlichen Vorschriften über Sexualstraftaten gegenüber Kindern geboten wird, zu verbessern, insbesondere in Fällen, in denen der Täter im Zusammenhang mit dem Alter des Kindes fahrlässig gehandelt hat;
42. betont, dass bei Frauen und Mädchen mit Behinderungen die Wahrscheinlichkeit, dass sie verschiedene Formen von Gewalt erfahren, zwei- bis fünfmal höher ist; betont, dass die Union als Vertragspartei des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen verpflichtet ist, Maßnahmen zu ergreifen, um die vollständige Wahrung aller Menschenrechte und Grundfreiheiten von Frauen und Mädchen mit Behinderungen sicherzustellen; weist darauf hin, dass die Union ihre Bemühungen in diese Richtung voranbringen sollte, und zwar unter anderem durch die Ratifizierung des Übereinkommens von Istanbul;
43. betont, dass Frauen, die Minderheiten angehören, und insbesondere Roma-Frauen und muslimische Frauen, einschließlich jener, die religiöse Kleidung tragen, unverhältnismäßig stark von geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen sind, vor allem im öffentlichen Raum, am Arbeitsplatz und im Internet; hebt hervor, dass geschlechtsspezifische Gewalt gegen Roma-Frauen und muslimische Frauen mit einem bereichsübergreifenden Ansatz bekämpft werden sollte, bei dem die Diskriminierung aufgrund des Geschlechts in Verbindung mit der Diskriminierung aufgrund der Religion und der ethnischen Zugehörigkeit berücksichtigt wird;
44. stellt fest, dass sich die Kommission mit der besonderen Situation des Schutzes von Migrantinnen vor geschlechtsspezifischer Gewalt befassen muss, insbesondere in jenen Fällen von Gewalt in der Partnerschaft, in denen der Aufenthaltsstatus des Opfers vom Zusammenleben mit einem Partner oder vom Familienstand abhängt, und erinnert daran, dass gemäß der Richtlinie 2012/29/EU alle Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt Zugang zu angemessenem Schutz, zu Unterstützungsdiensten und zu wirksamen Rechtsbehelfen sowie das Recht haben müssen, Informationen zu erhalten und sich an Strafverfahren zu beteiligen, und dass alle Rechte ohne Diskriminierung, auch in Bezug auf den Aufenthaltsstatus, gelten müssen;
45. betont, dass in den meisten der in Europa derzeit geltenden Einwanderungs- und Flüchtlingsgesetzen die Schutzbedürftigkeit von Migrantinnen und weiblichen Flüchtlingen nicht berücksichtigt wird, was unter anderem dazu führt, dass Frauen auf der Flucht verstärkt geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt sind und mit unsicheren Aufnahmebedingungen, unzureichenden Schutzmaßnahmen und dem fehlenden Zugang zur Justiz für Migranten in der Union konfrontiert sind;
46. ist der Ansicht, dass Gewalt in der Partnerschaft nicht nur ein Verbrechen gegen das Opfer selbst darstellt, sondern auch als Verbrechen gegen Kinder, die zu Zeugen der Gewalt werden, angesehen werden sollte, und zwar auch aufgrund der langfristigen negativen Auswirkungen auf das Wohlergehen und die Entwicklung dieser Kinder; verurteilt, dass Kinder von Männern, die Gewalt in der Partnerschaft ausüben, häufig Opfer von Misshandlungen werden, mit dem Ziel, Macht und Gewalt gegen die Mutter auszuüben – ein Phänomen, das als indirekte Gewalt bezeichnet wird und als Form der geschlechtsspezifischen Gewalt anzusehen ist;
Schutz, Unterstützung und Wiedergutmachung
47. fordert die Mitgliedstaaten auf, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die Unterstützung und Wiedergutmachung für Frauen und Mädchen in all ihrer Vielfalt und für alle Opfer von geschlechtsspezifischer Gewalt sowie deren Schutz vor jeder Form der Gewalt zu fördern und sicherzustellen; verweist darauf, dass diese Maßnahmen angemessen und ganzheitlich sein sollten, dass sie rechtzeitig ergriffen werden müssen und der Schwere des erlittenen Schadens entsprechen sollten und dass dabei den Bedürfnissen von Opfern von sich überschneidenden Formen der Diskriminierung und Gewalt gebührend Rechnung getragen werden sollte;
48. fordert die Mitgliedstaaten auf, das Übereinkommen von Istanbul einzuhalten, indem sie Schutz- und Unterstützungsmaßnahmen für Frauen bereitstellen, die auf einem geschlechtsspezifischen Verständnis von Gewalt gegen Frauen und Gewalt in der Partnerschaft beruhen und deren Schwerpunkt auf den Menschenrechten und der Sicherheit des Opfers liegt, um institutionelle Gewalt zu verhindern, der Opfer aufgrund von Gesetzen oder Verwaltungs- bzw. Durchsetzungspraktiken ausgesetzt sind, bei denen die Geschlechterperspektive nicht berücksichtigt wird bzw. nicht in ausreichendem Ausmaß Wissen und angemessene Verfahren zum Einsatz kommen, was zu Straffreiheit für die Täter sowie zu Reviktimisierung führen kann;
49. fordert die Mitgliedstaaten auf, sicherzustellen, dass in Fällen von Gewalt in der Partnerschaft auch Kinder als Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt angesehen werden und dass ihre Würde und Sicherheit an erster Stelle stehen; begrüßt in diesem Zusammenhang Gesetze, nach denen es einen Straftatbestand darstellt, wenn Kinder Gewalt in engen Beziehungen miterleben müssen; fordert die Mitgliedstaaten ferner auf, sicherzustellen, dass Rechtsvorschriften in Bezug auf das Sorgerecht mit diesem Grundsatz im Einklang stehen und der gewalttätige Elternteil in der Partnerschaft dementsprechend kein Sorgerecht erhalten kann;
50. hebt hervor, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, dafür zu sorgen, dass Opfern geschlechtsspezifischer Gewalt – auch in Krisenzeiten – angemessene Unterstützung und Dienste zur Verfügung stehen, die an ihre spezifischen Bedürfnisse angepasst sind; verweist in diesem Zusammenhang darauf, wie wichtig es ist, unabhängige Organisationen der Zivilgesellschaft und Organisationen, die Frauenhäuser betreiben, zu unterstützen, da sie über das nötige Fachwissen verfügen, um den Schutz von Frauen sicherstellen zu können;
51. fordert die Mitgliedstaaten auf, für Opfer – auch in ländlichen Gebieten – den Zugang zu Unterstützungsdiensten und grundlegenden Diensten, einschließlich zu Diensten im Bereich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit, sicherzustellen; unterstützt nachdrücklich die Zugänglichkeit der öffentlichen Dienste in jeder Phase des Wiedergutmachungsverfahrens – insbesondere im Zusammenhang mit einer grundlegenden psychologischen und rechtlichen Unterstützung und der Unterstützung bei der Suche eines Arbeitsplatzes;
52. fordert die Mitgliedstaaten und die Kommission auf, Maßnahmen zur Sensibilisierung zu ergreifen und dafür zu sorgen, dass die Informationen für Opfer und Täter geschlechtsspezifischer Gewalt in allen Sprachen der Union verfügbar sind, damit sichergestellt ist, dass die Rechte der Opfer bei der Ausübung ihres Grundrechts auf Freizügigkeit innerhalb der Union geachtet werden;
53. fordert die Mitgliedstaaten in Anbetracht des strukturellen Kontextes von Diskriminierung und Ungleichheiten auf, sich verstärkt darum zu bemühen, sicherzustellen, dass Opfer gleichberechtigten Zugang zur Justiz und zu einem unabhängigen Justizsystem haben, das allen Opfern geschlechtsspezifischer Gewalt physisch, wirtschaftlich, sozial und kulturell zur Verfügung steht, und dass die Rechte des Opfers in den Mittelpunkt gestellt werden, um Diskriminierung, Traumatisierung oder Reviktimisierung während gerichtlicher, medizinischer und polizeilicher Verfahren zu vermeiden, indem die Geschlechterperspektive während des gesamten Verfahrens durchgängig berücksichtigt wird;
54. hebt mit Besorgnis hervor, dass die meisten Mitgliedstaaten noch immer Schwierigkeiten mit der vollständigen oder korrekten Umsetzung bzw. der praktischen Anwendung der Richtlinie 2012/29/EU haben, wie auch aus der Strategie der Kommission für die Rechte von Opfern hervorgeht, und fordert die Mitgliedstaaten auf, die Richtlinie mit der gebotenen Sorgfalt vollständig und korrekt umzusetzen;
55. betont, dass die Tatsache, dass das Problem des mangelnden Vertrauens von Opfern geschlechtsspezifischer Gewalt in die Strafverfolgungsbehörden und das Justizsystem nicht angegangen wird, in erheblichem Maße dazu beiträgt, dass geschlechtsspezifische Gewalt nicht ausreichend gemeldet wird; fordert die Mitgliedstaaten auf, die Ressourcen und die Ausbildung von Fachleuten und Strafverfolgungsbeamten, einschließlich Richtern, Staatsanwälten, Justizbediensteten, forensischer Sachverständiger und sonstiger Fachkräfte, die mit Opfern geschlechtsspezifischer Gewalt befasst sind, zu verbessern; fordert die Mitgliedstaaten auf, die Möglichkeit zu prüfen, Fachgerichte zu diesem Zweck einzurichten; ist davon überzeugt, dass es dazu beitragen wird, das Problem der Dunkelziffer und der Reviktimisierung anzugehen und für eine sicherere Umgebung für Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt zu sorgen, wenn sichergestellt wird, dass Polizeibeamte und Richter über mehr Wissen und persönliche Kompetenzen dahingehend verfügen, allen Opfern geschlechtsspezifischer Gewalt aufmerksam zuzuhören, ihnen Verständnis entgegenzubringen und sie zu respektieren;
56. fordert alle Mitgliedstaaten auf, das Übereinkommen von Istanbul vollständig einzuhalten, indem sie Therapieprogramme für die Menschen, die geschlechtsspezifische Gewalt und häusliche Gewalt ausüben, annehmen, um weitere Gewalt zu verhindern, indem sie Erkenntnisse in Bezug auf die der geschlechtsspezifischen Gewalt zugrunde liegenden destruktiven Geschlechternormen, asymmetrischen Machtverhältnisse und Werte bereitstellen und indem sie gewährleisten, dass die Sicherheit und die Menschenrechte der Opfer im Vordergrund stehen;
57. betont, dass sichergestellt werden muss, dass alle Opfer konfliktbezogener geschlechtsspezifischer Gewalt Zugang zur Justiz – und auch zu hochwertigem Rechtsbeistand – haben und dass all diejenigen, die geschlechtsspezifische konfliktbezogene Straftaten gegenüber Frauen und Mädchen, aber auch gegenüber Männern und Jungen begehen, uneingeschränkt zur Rechenschaft gezogen werden, indem – insbesondere durch das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs – rechtliche Verfahren auf nationaler, regionaler und internationaler Ebene ausgelöst werden;
58. fordert die Mitgliedstaaten auf, die Richtlinien 2011/99/EU, 2012/29/EU und 2011/36/EU vollständig umzusetzen;
59. hebt hervor, dass es dadurch, dass es keinen Rechtsakt der Union zur Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt gibt und zwischen den nationalen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten Unterschiede bestehen, zu unterschiedlichen Schutzniveaus für Opfer kommt;
60. begrüßt die Zusage der Kommission, die Auflistung der Kriminalitätsbereiche in Artikel 83 Absatz 1 Unterabsatz 2 AEUV um Hassverbrechen und Hetze zu erweitern; fordert die Kommission nachdrücklich auf, die sexuelle Ausrichtung, die Geschlechtsidentität, die geschlechtliche Ausdrucksform sowie Geschlechtsmerkmale als speziell von diesem Artikel abgedeckte Diskriminierungsgründe aufzunehmen; erachtet diese Maßnahme als unerlässlich, um den Schutz von LGBTI-Personen in der Union sicherzustellen;
61. weist darauf hin, wie wichtig es ist, die Schulungsmöglichkeiten, die den Mitgliedstaaten über verschiedene Programme der Union sowie über die Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union zur Verfügung stehen, vollständig zu nutzen, und fordert die Mitgliedstaaten auf, regelmäßig wirksame Fortbildungen anzubieten, die auch die Geschlechter- und die Menschenrechtsperspektive sowie internationale Normen umfassen; fordert die Mitgliedstaaten auf, dafür zu sorgen, dass Opfer vor und während eines Gerichtsverfahrens das Recht auf einen hochwertigen öffentlichen Rechtsbeistand haben;
62. begrüßt die Zusage der Kommission, 2021 einen Vorschlag für eine Richtlinie zur Verhütung und Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt vorzulegen, um die Standards des Übereinkommens von Istanbul umzusetzen; betont, dass diese neue Richtlinie die bestehenden und künftigen legislativen und nichtlegislativen Maßnahmen ergänzen muss, um ein einheitliches Vorgehen der Union im Bereich der Gleichstellung der Geschlechter sowie letztendlich die Ratifizierung des Übereinkommens von Istanbul zu erreichen; fordert die Union daher erneut auf, das Übereinkommen von Istanbul zu ratifizieren; erinnert ferner an die Zusage der Präsidentin der Kommission, die Kriminalitätsbereiche gemäß Artikel 83 Absatz 1 AEUV um spezifische Formen geschlechtsspezifischer Gewalt zu erweitern;
Nächste Schritte auf der Ebene der Union
63. betont, dass geschlechtsspezifische Gewalt – sowohl im Internet als auch außerhalb davon – eine besonders schwere Straftat und eine weitverbreitete Verletzung der Grundrechte und Grundfreiheiten in der Union darstellt, gegen die mit größerer Effizienz und Entschlossenheit auf einer gemeinsamen Grundlage vorgegangen werden muss; betont, dass geschlechtsspezifische Gewalt das Resultat gesellschaftlicher und systemischer struktureller Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern ist, die eine grenzüberschreitende Dimension aufweisen; weist insbesondere auf die wachsenden Anti-Gender-, Anti-LGBTIQ+- und Anti-Feminismus-Bewegungen hin, die gut organisiert sind und einen grenzüberschreitenden Charakter haben; vertritt zudem die Auffassung, dass die grenzüberschreitende Dimension der geschlechtsspezifischen Online-Gewalt und die enormen individuellen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen geschlechtsspezifischer Gewalt in allen Mitgliedstaaten belegen, dass geschlechtsspezifische Gewalt in ihren vielfältigen Dimensionen auf einer gemeinsamen Grundlage der Union bekämpft werden muss;
64. fordert die Union auf, sich dringend mit der Zunahme geschlechtsspezifischer Gewalt während der COVID-19-Pandemie zu befassen; fordert die Kommission in diesem Zusammenhang auf, ein Protokoll der Union zu geschlechtsspezifischer Gewalt in Krisenzeiten auszuarbeiten und an die Opfer gerichtete Schutzangebote wie Beratungsstellen, sichere Unterkünfte und Gesundheitsdienste als in den Mitgliedstaaten bereitgestellte „grundlegende Dienste“ darin aufzunehmen, um in Zeiten von Krisen wie der COVID-19-Pandemie geschlechtsspezifischer Gewalt vorzubeugen und Opfer von Gewalt zu unterstützen;
65. betont, dass durch die Annahme regionaler und internationaler Instrumente, etwa des Übereinkommens von Istanbul, der Erklärung der Vereinten Nationen zur Beseitigung der Gewalt gegen Frauen und weiterer Resolutionen der Vereinten Nationen, ebenfalls deutlich wird, dass alle Formen geschlechtsspezifischer Gewalt auf einer gemeinsamen Grundlage bekämpft werden müssen;
66. betont, dass sich die besondere Notwendigkeit, Gewalt gegen Frauen und Mädchen und andere Formen geschlechtsspezifischer Gewalt auf einer gemeinsamen Grundlage zu bekämpfen, auch aus dem Erfordernis ergibt, Mindestvorschriften zur Definition von Straftaten und Strafen, einschließlich einer gemeinsamen Definition von geschlechtsspezifischer Gewalt, sowie Mindestvorschriften zu den zentralen Problemen der Prävention, der Dunkelziffer, des Opferschutzes, der Unterstützung und der Wiedergutmachung sowie der strafrechtlichen Verfolgung von Tätern festzulegen; hebt hervor, dass die Ansätze und das Engagement der Mitgliedstaaten im Bereich der Verhütung und Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt sehr unterschiedlich sind und dass ein gemeinsamer Ansatz daher auch zur Strafverfolgung bei grenzüberschreitenden Einsätzen beitragen würde;
67. fordert die Kommission auf, entsprechend den in der Anlage aufgeführten Empfehlungen einen Vorschlag für einen Beschluss des Rates auf der Grundlage von Artikel 83 Absatz 1 Unterabsatz 3 AEUV vorzulegen, in dem geschlechtsspezifische Gewalt als neuer Kriminalitätsbereich bestimmt wird, der die in dem genannten Artikel festgelegten Kriterien erfüllt; fordert die Kommission ferner auf, diesen neuen Kriminalitätsbereich als Rechtsgrundlage für eine ganzheitliche, opferzentrierte Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Verhütung und Bekämpfung aller Formen geschlechtsspezifischer Gewalt im Internet und außerhalb davon heranzuziehen;
68. fordert die Kommission auf, eine umfassende Richtlinie über geschlechtsspezifische Gewalt vorzuschlagen, mit der die Standards des Übereinkommens von Istanbul und weitere internationale Standards wie die Empfehlungen des Ausschusses für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau zu geschlechtsspezifischer Gewalt umgesetzt werden und die zumindest die folgenden Elemente enthält:
Präventionsmaßnahmen, auch durch geschlechtersensible und bereichsübergreifende Bildungsprogramme, die sich sowohl an Mädchen als auch an Jungen richten, und Stärkung der Position von Frauen und Mädchen,
Unterstützungsdienste, Schutzmaßnahmen und Wiedergutmachung für Opfer,
Maßnahmen zur Bekämpfung aller Formen geschlechtsspezifischer Gewalt, einschließlich Gewalt gegen LGBTIQ+-Personen – u. a. aufgrund des Geschlechts, der Geschlechtsidentität, der geschlechtlichen Ausdrucksform oder von Geschlechtsmerkmalen –, geschlechtsspezifischer Gewalt im Internet sowie sexueller Ausbeutung und sexuellen Missbrauchs,
Mindeststandards für die Strafverfolgung,
einen opferorientierten, bereichsübergreifenden Ansatz,
die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, sicherzustellen, dass in Fällen, in denen es zu geschlechtsspezifischer Gewalt gekommen ist, das Sorgerecht für Kinder bzw. die Besuchsrechte angemessen geprüft werden, indem die Rechte des Opfers in den Mittelpunkt der innerstaatlichen Rechtsvorschriften gestellt werden,
Maßnahmen, um sicherzustellen, dass Informationen in allen relevanten Sprachen zur Verfügung stehen, sowie
Maßnahmen zur Sicherstellung der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und des Austauschs von bewährten Verfahren, Informationen und Erfahrungen;
69. fordert die Kommission auf, eine Koordinatorin/einen Koordinator für die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und anderer Formen geschlechtsspezifischer Gewalt zu ernennen;
70. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung und die als Anlage beigefügten Empfehlungen der Kommission und dem Rat zu übermitteln.
ANLAGE ZUM ENTSCHLIESSUNGSANTRAG:
BESCHLUSS DES RATES
über die Bestimmung geschlechtsspezifischer Gewalt als Kriminalitätsbereich, der die Kriterien des Artikels 83 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union erfüllt
DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION —
gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union und insbesondere Artikel 83 Absatz 1,
auf Vorschlag der Europäischen Kommission,
nach Zustimmung des Europäischen Parlaments,
in Erwägung nachstehender Gründe:
(1) Die Gleichstellung von Frauen und Männern ist ein zentraler Wert der Europäischen Union und ein in den Verträgen verankertes und in Artikel 23 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (die „Charta“) anerkanntes Grundprinzip der EU. Das Recht auf Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung ist ein Grundrecht, das in den Verträgen und in der Charta verankert ist. Die Beendigung der männlichen Gewalt gegen Frauen und Mädchen ist eine Grundvoraussetzung dafür, die tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Männern zu erreichen.
(2) In Artikel 8 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) ist festgelegt, dass die EU bei allen ihren Tätigkeiten darauf hinwirkt, Ungleichheiten zu beseitigen und die Gleichstellung von Frauen und Männern zu fördern.
(3) Der Rat kann gemäß Artikel 83 Absatz 1 Unterabsatz 3 AEUV je nach Entwicklung der Kriminalität einen Beschluss fassen, in dem Bereiche zusätzlich zu den in Artikel 83 Absatz 1 Unterabsatz 2 AEUV festgelegten Bereichen besonders schwerer Kriminalität bestimmt werden, die aufgrund der Art oder der Auswirkungen der Straftaten oder aufgrund einer besonderen Notwendigkeit, sie auf einer gemeinsamen Grundlage zu bekämpfen, eine grenzüberschreitende Dimension haben.
(4) Bei der Annahme eines solchen Beschlusses gemäß Artikel 83 Absatz 1 Unterabsatz 3 AEUV fasst der Rat nach Zustimmung des Europäischen Parlaments einen einstimmigen Beschluss.
(5) Gemäß dem Europäischen Institut für Gleichstellungsfragen (EIGE) und dem Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt („Übereinkommen von Istanbul“) wird geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen als Gewalt definiert, die sich gegen eine Frau richtet, weil sie eine Frau ist, oder als Gewalt, von der Frauen unverhältnismäßig stark betroffen sind. Gemäß dem Übereinkommen von Istanbul ist „Gewalt gegen Frauen“ definiert als „jede gegen Frauen aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit gerichtete Gewalthandlung, durch die Frauen körperlicher, sexueller oder psychologischer Schaden oder Leid zugefügt wird oder zugefügt werden kann, einschließlich der Androhung derartiger Handlungen, der Nötigung und der willkürlichen Freiheitsberaubung, gleichviel ob im öffentlichen oder im privaten Bereich“.
(6) Auch Lesben, Schwule, bi-, trans- und intersexuelle und queere Personen (LGBTIQ+) sind aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Geschlechtsidentität, des Ausdrucks ihrer Geschlechtlichkeit und ihrer Geschlechtsmerkmale Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt.
(7) Geschlechtsspezifische Gewalt gegen LGBTIQ+ umfasst körperliche Gewalt, psychische Gewalt, Zwangsheiraten, sexuelle Gewalt einschließlich „korrigierender“ Vergewaltigung und sexueller Belästigung, Genitalverstümmelung bei Frauen und intersexuellen Personen, Zwangssterilisation von trans- und intersexuellen Personen, sogenannte „Ehrenstraftaten“, Konversionstherapien, Hetze im Internet und außerhalb, Mobbing und Belästigung, sozioökonomische Entbehrungen und Gewalt, die innerhalb der Familie bzw. im häuslichen Umfeld aufgrund der Geschlechtsidentität, des Ausdrucks der Geschlechtlichkeit und der Geschlechtsmerkmale der Opfer stattfindet.
(8) Geschlechtsspezifische Gewalt ist in geschlechtsspezifischen Stereotypen, heteropatriarchalischen Strukturen und Machtasymmetrien sowie strukturellen und institutionellen Ungleichheiten verwurzelt. Geschlechtsspezifische Gewalt betrifft alle Bereiche der Gesellschaft.
(9) Gemäß dem Übereinkommen von Istanbul ist das soziale Geschlecht als „die gesellschaftlich geprägten Rollen, Verhaltensweisen, Tätigkeiten und Merkmale, die eine bestimmte Gesellschaft als für Frauen und Männer angemessen ansieht“ definiert, was daran erinnert, dass viele Formen von Gewalt gegen Frauen in Machtungleichheiten zwischen Frauen und Männern begründet sind.
(10) Geschlechtsbezogene Gewalt sowohl im Internet als auch außerhalb und der fehlende Zugang zu angemessenem Schutz sind die schwerwiegendste Erscheinung geschlechtsspezifischer Diskriminierung und stellen eine Verletzung der in der Charta verankerten Grundrechte dar, wie des Rechts auf Menschenwürde, des Rechts auf Leben, des Rechts auf körperliche und geistige Unversehrtheit, des Verbots von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe, des Verbots der Sklaverei und Zwangsarbeit, des Rechts auf Freiheit und Sicherheit sowie des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens.
(11) Geschlechtsspezifische Gewalt, sowohl im Internet als auch außerhalb, ist eine schwere Straftat und eine weit verbreitete Verletzung von Grundrechten in der EU, gegen die mit größerer Effizienz und gemäß einer gemeinsamen Grundlage vorgegangen werden muss.
(12) Die Annahme regionaler und internationaler Instrumente wie dem Übereinkommen von Istanbul, der Erklärung der Vereinten Nationen zur Beseitigung der Gewalt gegen Frauen und anderer Resolutionen der Vereinten Nationen zeigt die Notwendigkeit, alle Formen geschlechtsspezifischer Gewalt auf einer gemeinsamen Grundlage zu bekämpfen.
(13) Die besondere Notwendigkeit, Gewalt gegen Frauen und Mädchen und andere Formen geschlechtsspezifischer Gewalt auf einer gemeinsamen Grundlage zu bekämpfen, ergibt sich auch aus der Notwendigkeit, Mindestregeln für die Bestimmung von Straftaten und Sanktionen, einschließlich einer gemeinsamen Definition von geschlechtsspezifischer Gewalt sowie Mindestvorschriften zu den zentralen Problemen der Prävention, der unzureichenden Meldungen, des Opferschutzes, der Unterstützung und der Wiedergutmachung sowie der strafrechtlichen Verfolgung von Tätern festzulegen. Die Ansätze und das Ausmaß des Engagements der Mitgliedstaaten für die Verhütung und Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt unterscheiden sich erheblich, sodass ein gemeinsamer Ansatz auch zur Strafverfolgung bei grenzüberschreitenden Einsätzen beitragen würde.
(14) Geschlechtsspezifische Gewalt erfüllt die Kriterien, um als neuer Kriminalitätsbereich gemäß Artikel 83 Absatz 1 AEUV bestimmt zu werden,
HAT FOLGENDEN BESCHLUSS ERLASSEN:
Artikel 1
Geschlechtsspezifische Gewalt wird hiermit als Kriminalitätsbereich bestimmt, der die Kriterien des Artikels 83 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union erfüllt.
Artikel 2
Dieser Beschluss tritt am Tag nach seiner Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft.
Geschehen zu Brüssel am […]
Im Namen des Rates
Der Präsident
BEGRÜNDUNG
Gewalt gegen Frauen und Mädchen und andere Formen geschlechtsspezifischer Gewalt, wie z. B. Gewalt gegen LGBTI, sind in Geschlechterstereotypen, patriarchalen Strukturen und Machtasymmetrien verwurzelt und stellen fraglos eine der größten Menschenrechtsverletzungen in der Geschichte dar. Geschlechtsspezifische Gewalt muss beseitigt werden, um eine vollständige Gleichstellung der Geschlechter zu erreichen.
Die Ungleichheit und Gewalt, die Frauen und Mädchen erleiden, führen zu körperlichen, sexuellen, psychischen und wirtschaftlichen Schäden, die in einer gerechten und demokratischen Gesellschaft nicht akzeptiert werden können. Auch wenn es inzwischen mehr Informationen und ein stärkeres Bewusstsein gibt, beeinträchtigt und begrenzt die weiterhin hohe Prävalenz geschlechtsspezifischer Gewalt und die Bedrohung durch sie leider immer noch das Leben von Frauen überall.
Viele Frauen treffen auf sich überschneidende Formen der Diskriminierung, wie z. B. weibliche Flüchtlinge und Asylsuchende sowie Migrantinnen, indigene Frauen, Frauen, die aufgrund von Rassismus benachteiligt werden, Frauen aus religiösen und ethnischen Minderheiten, lesbische, bisexuelle und transsexuelle Frauen, ältere Frauen und Frauen mit Behinderungen, was ihre Schutzbedürftigkeit noch erhöht. Wir dürfen nicht vergessen, dass für viele Frauen eine Anzeige gegen ihren misshandelnden Ehemann bedeutet, dass sie sich dem Risiko aussetzen, ihren legalen Status zu verlieren und abgeschoben zu werden. Dies sollte nicht der Fall sein.
Ebenso können LGBTI als direkte Folge des Bruchs mit patriarchalen Geschlechternormen Opfer von geschlechtsspezifischer Gewalt aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Geschlechtsidentität, des Ausdrucks ihrer Geschlechtlichkeit und ihrer Geschlechtsmerkmale werden.
Die umfassendste Erhebung über Gewalt gegen Frauen auf EU-Ebene wurde 2014 von der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte durchgeführt. Die Ergebnisse spiegelten sehr präzise das Ausmaß und die Grausamkeit des Problems wider.
Die Daten der Erhebung zeigen, dass ein Drittel der Frauen in der EU körperliche bzw. sexuelle Gewalt erlebt hat. Für den privaten Bereich kam man in der Erhebung zu dem Schluss, dass jede Woche etwa 50 Frauen Opfer häuslicher Gewalt werden und 75 % der Frauen im beruflichen Umfeld oder derjenigen in leitender Stellung sexuelle Belästigung erfahren haben.
Auch wenn diese Erhebung sehr wertvoll war, um die Schwere, das Ausmaß und die Komplexität des Problems zu verstehen, gibt es einen gravierenden Mangel an Daten und eine unzureichende Berichterstattung. Aus diesem Grund ist es von entscheidender Bedeutung, die Kommission und die Mitgliedstaaten aufzufordern, die Verfügbarkeit und Vergleichbarkeit von hochwertigen aufgeschlüsselten Daten zu allen Formen geschlechtsspezifischer Gewalt zu verbessern.
Geschlechtsspezifische Gewalt ist von alters her eine schwere Verletzung der Menschenrechte. Durch die COVID-19-Pandemie hat sich jedoch die gegen Frauen verübte Gewalt sogar noch verschlimmert. Regierungsstellen, Frauenrechtsgruppen und zivilgesellschaftliche Partner in mehreren Mitgliedstaaten weisen auf einen Anstieg der Meldungen von häuslicher Gewalt während der Pandemie hin, zusammen mit einer erhöhten Nachfrage nach Notunterkünften. Die Vereinten Nationen sprechen von einer „Schattenpandemie“.
Ebenso ist der Zugang zu sexueller und reproduktiver Gesundheit und damit verbundenen Rechten in mehreren europäischen Ländern aufgrund der aktuellen sanitären Situation und ihrer Auswirkungen auf die Gesundheitsdienste sowie der zu ihrer Eindämmung erlassenen Ausgangsbeschränkungen eingeschränkt. In diesem Sinne muss die volle Achtung der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und damit verbundenen Rechte von Frauen eine wesentliche Verpflichtung für die Europäische Union sein, egal in welchem Kontext. Es muss berücksichtigt werden, dass der Kampf gegen geschlechtsspezifische Gewalt ohne die volle Verwirklichung der sexuellen und reproduktiven Gesundheit und damit verbundenen Rechte von Frauen nicht wirksam sein wird.
Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Beseitigung geschlechtsspezifischer Gewalt einen Ansatz erfordert, bei dem strafrechtliche Maßnahmen nur ein Teil sind und der Schwerpunkt auf verschiedenen Strategien für eine stärkere Gleichstellung der Geschlechter liegen muss, indem die Position von Überlebenden gestärkt und sie unterstützt werden sowie indem die soziale und wirtschaftliche Autonomie von Frauen gesteigert wird. Zu diesem Zweck müssen auch breiter angelegte politische, rechtliche, soziale und wirtschaftliche Maßnahmen ergriffen werden, um Segregation, Ungleichheit und Diskriminierung zu bekämpfen.
Während der achten Wahlperiode stellte das Europäische Parlament fest, dass die Richtlinie über die Rechte von Opfern und die Europäische Schutzanordnung nicht vollständig in der gesamten EU umgesetzt wurden, insbesondere wenn es um den Zugang zu Unterstützungsdiensten geht, und dass Unterschiede zwischen den Justizsystemen ein Hindernis für den Einsatz von Europäischen Schutzanordnungen darstellen.
Außerdem drängt das Parlament die Kommission schon seit 2009, einen umfassenden Vorschlag für eine Richtlinie zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und allen anderen Formen geschlechtsspezifischer Gewalt auszuarbeiten, um sicherzustellen, dass alle Frauen in der EU im gleichen Maße vor Gewalt geschützt sind. In seiner Entschließung vom 25. Februar 2014 forderte es überdies den Rat auf, Gewalt gegen Frauen zu den in Artikel 83 Absatz 1 AEUV angeführten Bereichen besonders schwerer Kriminalität hinzuzufügen, und es ersuchte die Kommission, als Ergänzung zu einer künftigen EU-Richtlinie das Verfahren für den Beitritt der EU zum Übereinkommen von Istanbul des Europarats einzuleiten. Dies ist jedoch bis heute noch nicht geschehen.
Das Fehlen einer umfassenden EU-Strategie zur Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt und die Schlupflöcher und Unterschiede in den nationalen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten sind ein echtes Problem. Daher ist es notwendig, eine Richtlinie auszuarbeiten, um alle Mitgliedstaaten zu verpflichten, dieser systembedingten Form von Gewalt ein Ende zu setzen. Darüber hinaus sollte eine Richtlinie, um ganzheitlich, inklusiv und effektiv zu sein, mit der Einführung von geschlechtsspezifischer Gewalt als neuem Kriminalitätsbereich in Artikel 83 Absatz 1 AEUV einhergehen, der als Rechtsgrundlage dienen würde, um gemeinsame rechtliche Definitionen und gemeinsame Mindeststandards im EU-Rechtsrahmen zur Prävention und Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu gewährleisten.
Schließlich ist es wichtig zu erkennen, dass überall in der Europäischen Union ein Angriff auf die Rechte der Frauen und die Gleichstellung der Geschlechter verübt wird. Bewegungen, die sich gegen den „Gender“-Begriff und gegen die Frauenemanzipation richten, versuchen, bestehende Gesetze zu Frauenrechten und LGBTI-Rechten aufzuheben. Diese Situation steht auch im Zusammenhang mit einer allgemeinen Schwächung der demokratischen Institutionen, der Rechtsstaatlichkeit und der Grundrechte. In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu betonen, dass es Rechtsstaatlichkeit und Demokratie nur geben kann, wenn es eine Gleichstellung der Geschlechter gibt.
MINDERHEITENANSICHT
gemäß Artikel 55 Absatz 4 der Geschäftsordnung
Cindy Franssen, Maria Walsh, Frances Fitzgerald und Jeroen Lenaers
Die EVP-Fraktion teilt die Ziele dieses legislativen Initiativberichts und betrachtet die Beseitigung geschlechtsspezifischer Gewalt als eine ihrer obersten Prioritäten. Die EVP unterstützt uneingeschränkt alle Maßnahmen und Initiativen zur Verwirklichung dieses Ziels, einschließlich der Aufnahme geschlechtsspezifischer Gewalt in die in Artikel 83 Absatz 1 AEUV aufgeführten Kriminalitätsbereiche. Zusammen mit mehreren Aufrufen dazu in der Vergangenheit unterstützt die EVP nachdrücklich die anstehenden Vorschläge der Europäischen Kommission zu geschlechtsspezifischer Gewalt.
Wir befürchten jedoch, dass einige Teile des Textes nicht in den Zuständigkeitsbereich der EU fallen, wodurch das gesamte Dossier gefährdet ist. Angesichts der Bedeutung dieses Themas sind wir der Ansicht, dass die Berichterstatter in diesen Fragen einen weiter gefassten und potenziell riskanten Ansatz verfolgen. Dadurch wird das angestrebte Ziel untergraben, nachzuweisen, dass geschlechtsbezogene Gewalt in die Liste der EU-Straftatbestände aufgenommen werden kann, da sie die Kriterien einer besonders schweren Kriminalität mit grenzüberschreitender Dimension erfüllt, die durch einen gemeinsamen europäischen Ansatz angegangen werden könnte, um die notwendige Rechtsgrundlage für gemeinsame Mindestvorschriften in Form einer künftigen Richtlinie über geschlechtsspezifische Gewalt zu schaffen. Die Kernziele dieses Dossiers verdienen eine möglichst breite Unterstützung im Parlament.
MINDERHEITENANSICHT
gemäß Artikel 55 Absatz 4 der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments
Jadwiga Wiśniewska, Jorge Buxadé und Margarita de la Pisa
Wir sind gegen jegliche Form von Gewalt gegen Menschen. In den nationalen Rechtsvorschriften werden bereits Straftaten erfasst, die durch jede Form von Aggression verursacht werden können.
Der Schutz vor Gewalt ist zu wichtig, um zu einem ideologischen Instrument zu verkommen.
Die Ausweitung des Straftatenkatalogs auf geschlechtsspezifische Gewalt ist weder formal noch materiell gerechtfertigt. Die mutmaßliche Straftat geschlechtsbezogener Gewalt fällt nicht unter Artikel 83 AEUV, da sie auf einer rein ideologischen Grundlage beruht.
Die Aufnahme dieser mutmaßlichen Straftat steht im Widerspruch zu der im Primärrecht proklamierten Gleichheit der Würde von Männern und Frauen.
Dadurch wird gegen den Grundsatz der Unschuldsvermutung verstoßen, da der beschuldigte Mann verpflichtet wird, seine Unschuld zu beweisen.
Dadurch werden bestimmte Personengruppen in vorbeugender Absicht stärker zu Opfern gemacht als andere.
Dadurch werden die Rechte des Kindes verletzt, indem das Sorgerecht der Mutter favorisiert wird, ohne das Kindeswohl dabei zu berücksichtigen.
Dadurch werden ein repressives System der Überwachung und Drangsalierung und die Instrumentalisierung der Justiz mit der Einrichtung von Sondergerichten gefördert.
Dies führt zu einer pädagogischen Manipulation von Minderjährigen und Angehörigen bestimmter Berufe und schürt Vorurteile gegenüber Männern.
Dabei werden die Menschenrechte dadurch verletzt, dass versucht wird, Praktiken wie die sexuelle und reproduktive Gesundheit und die damit verbundenen Rechte allgemein durchzusetzen.
Es geht dabei vor allem um Konzepte wie „patriarchale Strukturen“ und „Geschlechterstereotypen“, mit denen die Fragmentierung der Gesellschaft vorangetrieben wird und zwischenmenschliche Beziehungen als Problem dargestellt werden.
ANGABEN ZUR ANNAHME IM FEDERFÜHRENDEN AUSSCHUSS
Datum der Annahme |
14.7.2021 |
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Ergebnis der Schlussabstimmung |
+: –: 0: |
53 18 24 |
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Zum Zeitpunkt der Schlussabstimmung anwesende Mitglieder |
Magdalena Adamowicz, Isabella Adinolfi, Christine Anderson, Simona Baldassarre, Katarina Barley, Pernando Barrena Arza, Nicolas Bay, Robert Biedroń, Vladimír Bilčík, Vasile Blaga, Ioan-Rareş Bogdan, Patrick Breyer, Saskia Bricmont, Annika Bruna, Jorge Buxadé Villalba, Damien Carême, Caterina Chinnici, Clare Daly, Marcel de Graaff, Margarita de la Pisa Carrión, Anna Júlia Donáth, Lena Düpont, Rosa Estaràs Ferragut, Laura Ferrara, Nicolaus Fest, Frances Fitzgerald, Cindy Franssen, Heléne Fritzon, Lina Gálvez Muñoz, Jean-Paul Garraud, Maria Grapini, Sylvie Guillaume, Andrzej Halicki, Evin Incir, Sophia in ‘t Veld, Patryk Jaki, Marina Kaljurand, Fabienne Keller, Peter Kofod, Łukasz Kohut, Moritz Körner, Alice Kuhnke, Jeroen Lenaers, Juan Fernando López Aguilar, Elżbieta Katarzyna Łukacijewska, Lukas Mandl, Karen Melchior, Nuno Melo, Nadine Morano, Javier Moreno Sánchez, Andżelika Anna Możdżanowska, Maite Pagazaurtundúa, Pina Picierno, Sirpa Pietikäinen, Nicola Procaccini, Samira Rafaela, Paulo Rangel, Evelyn Regner, Diana Riba i Giner, Eugenia Rodríguez Palop, María Soraya Rodríguez Ramos, Christine Schneider, Ralf Seekatz, Michal Šimečka, Birgit Sippel, Sara Skyttedal, Martin Sonneborn, Sylwia Spurek, Jessica Stegrud, Tineke Strik, Ramona Strugariu, Annalisa Tardino, Isabella Tovaglieri, Dragoş Tudorache, Ernest Urtasun, Tom Vandendriessche, Hilde Vautmans, Bettina Vollath, Elissavet Vozemberg-Vrionidi, Jadwiga Wiśniewska, Chrysoula Zacharopoulou, Javier Zarzalejos, Marco Zullo |
|||
Zum Zeitpunkt der Schlussabstimmung anwesende Stellvertreter |
Malin Björk, Damian Boeselager, Pierrette Herzberger-Fofana, Brice Hortefeux, Elena Kountoura, Predrag Fred Matić, Sira Rego, Isabel Santos, Yana Toom, Maria Walsh, Isabel Wiseler-Lima, Tatjana Ždanoka |
NAMENTLICHE SCHLUSSABSTIMMUNG IM FEDERFÜHRENDEN AUSSCHUSS
53 |
+ |
PPE |
Sirpa Pietikäinen, Elissavet Vozemberg-Vrionidi |
S&D |
Katarina Barley, Robert Biedroń, Caterina Chinnici, Heléne Fritzon, Sylvie Guillaume, Lina Gálvez Muñoz, Evin Incir, Marina Kaljurand, Łukasz Kohut, Juan Fernando López Aguilar, Predrag Fred Matić, Javier Moreno Sánchez, Pina Picierno, Evelyn Regner, Isabel Santos, Birgit Sippel, Bettina Vollath |
Renew |
Anna Júlia Donáth, Sophia in 't Veld, Fabienne Keller, Moritz Körner, Karen Melchior, Maite Pagazaurtundúa, Samira Rafaela, María Soraya Rodríguez Ramos, Ramona Strugariu, Yana Toom, Dragoş Tudorache, Hilde Vautmans, Chrysoula Zacharopoulou, Marco Zullo, Michal Šimečka |
Verts/ALE |
Damian Boeselager, Patrick Breyer, Saskia Bricmont, Damien Carême, Pierrette Herzberger-Fofana, Alice Kuhnke, Diana Riba i Giner, Sylwia Spurek, Tineke Strik, Ernest Urtasun, Tatjana Ždanoka |
The Left |
Pernando Barrena Arza, Malin Björk, Clare Daly, Elena Kountoura, Sira Rego, Eugenia Rodríguez Palop |
NI |
Laura Ferrara, Martin Sonneborn |
18 |
- |
PPE |
Nuno Melo, Paulo Rangel |
ECR |
Jorge Buxadé Villalba, Patryk Jaki, Andżelika Anna Możdżanowska, Margarita de la Pisa Carrión, Nicola Procaccini, Jadwiga Wiśniewska |
ID |
Christine Anderson, Simona Baldassarre, Nicolas Bay, Annika Bruna, Nicolaus Fest, Jean-Paul Garraud, Marcel de Graaff, Annalisa Tardino, Isabella Tovaglieri, Tom Vandendriessche |
24 |
0 |
PPE |
Magdalena Adamowicz, Isabella Adinolfi, Vladimír Bilčík, Vasile Blaga, Ioan-Rareş Bogdan, Lena Düpont, Rosa Estaràs Ferragut, Frances Fitzgerald, Cindy Franssen, Andrzej Halicki, Brice Hortefeux, Jeroen Lenaers, Lukas Mandl, Nadine Morano, Christine Schneider, Ralf Seekatz, Sara Skyttedal, Maria Walsh, Isabel Wiseler-Lima, Javier Zarzalejos, Elżbieta Katarzyna Łukacijewska |
S&D |
Maria Grapini |
ID |
Peter Kofod |
ECR |
Jessica Stegrud |
Erklärung der benutzten Zeichen:
+ : dafür
- : dagegen
0 : Enthaltung
- [1] ABl. L 101 vom 15.4.2011, S. 1.
- [2] ABl. L 338 vom 21.12.2011, S. 2.
- [3] ABl. L 315 vom 14.11.2012, S. 57.
- [4] ABl. C 296E vom 2.10.2012, S. 26.
- [5] ABl. C 285 vom 29.8.2017, S. 2.
- [6] ABl. C 337 vom 20.9.2018, S. 167.
- [7] ABl. C 449 vom 23.12.2020, S. 102.
- [8] ABl. C 232 vom 16.6.2021, S. 48.
- [9] Angenommene Texte, P9_TA(2020)0336.
- [10] Angenommene Texte, P9_TA(2021)0024.
- [11] Angenommene Texte, P9_TA(2021)0025.
- [12] Angenommene Texte, P9_TA(2021)0041.
- [13] Angenommene Texte, P9_TA(2021)0058.
- [14] https://www.unwomen.org/-/media/headquarters/attachments/sections/library/publications/2020/issue-brief-covid-19-and-ending-violence-against-women-and-girls-en.pdf?la=en&vs=5006
- [15] https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?docid=238745&doclang=de
- [16] https://www.unwomen.org/en/what-we-do/ending-violence-against-women/facts-and-figures
- [17] https://ec.europa.eu/info/sites/default/files/political-guidelines-next-commission_de.pdf
- [18] EPRS, Zwischenbewertung des europäischen Mehrwerts (EAVA) zum Thema geschlechtsspezifische Gewalt, S. 35.