BERICHT über den Antrag auf Aufhebung der Immunität von Harald Vilimsky
3.11.2021 - (2021/2073(IMM))
Rechtsausschuss
Berichterstatter: Andrzej Halicki
VORSCHLAG FÜR EINEN BESCHLUSS DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS
über den Antrag auf Aufhebung der Immunität von Harald Vilimsky
Das Europäische Parlament,
– befasst mit einem am 7. Mai 2021 vom Leiter der Ständigen Vertretung Österreichs bei der EU übermittelten und am 20. Mai 2021 im Plenum bekannt gegebenen Antrag der Staatsanwaltschaft Wien auf Aufhebung der Immunität von Harald Vilimsky im Zusammenhang mit einem Strafverfahren,
– nach Anhörung von Harald Vilimsky gemäß Artikel 9 Absatz 6 seiner Geschäftsordnung,
– gestützt auf die Artikel 8 und 9 des Protokolls Nr. 7 über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Union und auf Artikel 6 Absatz 2 des Aktes vom 20. September 1976 zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Mitglieder des Europäischen Parlaments,
– unter Hinweis auf die Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 21. Oktober 2008, 19. März 2010, 6. September 2011, 17. Januar 2013 und 19. Dezember 2019[1],
– unter Hinweis auf Artikel 57 Absätze 2 und 3 des Bundes-Verfassungsgesetzes der Republik Österreich,
– gestützt auf Artikel 5 Absatz 2, Artikel 6 Absatz 1 und Artikel 9 seiner Geschäftsordnung,
– unter Hinweis auf den Bericht des Rechtsausschusses (A9–0303/2021),
A. in der Erwägung, dass die Staatsanwaltschaft Wien die Aufhebung der Immunität von Harald Vilimsky, Mitglied des Europäischen Parlaments, beantragt hat, um ein Strafverfahren wegen des Vergehens der Untreue nach Paragraf 153 Absatz 1 und Absatz 3 erster Fall, des Vergehens der Veruntreuung als Beteiligter nach den Paragrafen 12 zweite Alternative, 133 Absatz 1 und 2 erster Fall und des Vergehens des Förderungsmissbrauchs nach Paragraf 153b Absatz 1, Absatz 2 und Absatz 3 jeweils des österreichischen Strafgesetzbuches (StGB) einzuleiten;
B. in der Erwägung, dass Harald Vilimsky vom 27. Oktober 2006 bis zum 23. Oktober 2019 als Finanzreferent des Freiheitlichen Parlamentsklubs tätig war; in der Erwägung, dass er bei der Wahl zum Europäischen Parlament vom Mai 2019 in das Europäische Parlament gewählt wurde;
C. in der Erwägung, dass Harald Vilimsky vom 1. Oktober 2011 bis zum 13. August 2019 seine Verfügungsbefugnis über Bankkonten des Freiheitlichen Parlamentsklubs im Nationalrat der Republik Österreich missbraucht haben soll, indem er die Bezahlung von Rechnungen mittels regelmäßiger Überweisungen vom Konto des Freiheitlichen Parlamentsklubs im Nationalrat für rein privat genutzte Mobilfunkdienstleistungen veranlasste, wodurch der Freiheitliche Parlamentsklub im Nationalrat am Vermögen geschädigt wurde;
D. in der Erwägung, dass er den dem Freiheitlichen Parlamentsklub im Nationalrat gewährten Kostenbeitrag für Zwecke eingesetzt haben soll, die über die in Paragraf 1 des österreichischen Klubfinanzierungsgesetzes 1985 (KlubFG) definierten Zwecke hinausgehen, und in der Erwägung, dass er gewusst haben soll, dass es sich um Leistungen parteifremden Charakters handelte;
E. in der Erwägung, dass die mutmaßlichen Vergehen keine in Ausübung des Amtes des Mitglieds des Europäischen Parlaments erfolgte Äußerung oder Abstimmung im Sinne von Artikel 8 des Protokolls (Nr. 7) über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Union betreffen;
F. in der Erwägung, dass gemäß Artikel 9 des Protokolls (Nr. 7) über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Union Mitgliedern des Europäischen Parlaments im Hoheitsgebiet ihres eigenen Staates die den Parlamentsmitgliedern zuerkannte Unverletzlichkeit zusteht;
G. in der Erwägung, dass es in Artikel 57 Absätze 2 und 3 des Bundes-Verfassungsgesetzes der Republik Österreich heißt:
„2. Die Mitglieder des Nationalrates dürfen wegen einer strafbaren Handlung – den Fall der Ergreifung auf frischer Tat bei Verübung eines Verbrechens ausgenommen – nur mit Zustimmung des Nationalrates verhaftet werden. Desgleichen bedürfen Hausdurchsuchungen bei Mitgliedern des Nationalrates der Zustimmung des Nationalrates.
3. Ansonsten dürfen Mitglieder des Nationalrates ohne Zustimmung des Nationalrates wegen einer strafbaren Handlung nur dann behördlich verfolgt werden, wenn diese offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der politischen Tätigkeit des betreffenden Abgeordneten steht. Die Behörde hat jedoch eine Entscheidung des Nationalrates über das Vorliegen eines solchen Zusammenhanges einzuholen, wenn dies der betreffende Abgeordnete oder ein Drittel der Mitglieder des mit diesen Angelegenheiten betrauten ständigen Ausschusses verlangt. Im Falle eines solchen Verlangens hat jede behördliche Verfolgungshandlung sofort zu unterbleiben oder ist eine solche abzubrechen.“;
H. in der Erwägung, dass einerseits das Parlament nicht einem Gericht gleichgesetzt werden kann und dass andererseits das Mitglied des Parlaments im Zusammenhang mit einem Verfahren zur Aufhebung der Immunität nicht als „Angeklagter“ gelten darf[2];
I. in der Erwägung, dass die parlamentarische Immunität dem Schutz des Parlaments und seiner Mitglieder vor Gerichtsverfahren im Zusammenhang mit bei der Ausübung des parlamentarischen Amtes durchgeführten Tätigkeiten, die nicht von diesem Amt getrennt werden können, dient;
J. in der Erwägung, dass in dem vorliegenden Fall das Parlament keine Anzeichen von fumus persecutionis gefunden hat, d. h. Tatsachen, die darauf hindeuten, dass das zugrunde liegende Verfahren von der Absicht getragen ist, der politischen Tätigkeit des Mitglieds und damit dem Europäischen Parlament zu schaden;
1. beschließt, die Immunität von Harald Vilimsky aufzuheben;
2. beauftragt seinen Präsidenten, diesen Beschluss und den Bericht seines zuständigen Ausschusses unverzüglich der zuständigen Behörde der Republik Österreich und Harald Vilimsky zu übermitteln.
ANGABEN ZUR ANNAHME IM FEDERFÜHRENDEN AUSSCHUSS
Datum der Annahme |
28.10.2021 |
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Ergebnis der Schlussabstimmung |
+: –: 0: |
21 4 0 |
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Zum Zeitpunkt der Schlussabstimmung anwesende Mitglieder |
Pascal Arimont, Manon Aubry, Gunnar Beck, Geoffroy Didier, Pascal Durand, Angel Dzhambazki, Ibán García Del Blanco, Jean-Paul Garraud, Esteban González Pons, Mislav Kolakušić, Sergey Lagodinsky, Gilles Lebreton, Jiří Pospíšil, Franco Roberti, Stéphane Séjourné, Raffaele Stancanelli, Adrián Vázquez Lázara, Axel Voss, Marion Walsmann, Tiemo Wölken, Lara Wolters, Javier Zarzalejos |
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Zum Zeitpunkt der Schlussabstimmung anwesende Stellvertreter |
Alessandra Basso, Patrick Breyer, Daniel Buda, Evelyne Gebhardt, Heidi Hautala, Angelika Niebler, Nacho Sánchez Amor, Liesje Schreinemacher, Yana Toom |
- [1] Urteil des Gerichtshofs vom 21. Oktober 2008, Marra / De Gregorio und Clemente, C‑200/07 und C‑201/07, ECLI:EU:C:2008:579; Urteil des Gerichts vom 19. März 2010, Gollnisch/Parlament, T‑42/06, EU:T:2010:102; Urteil des Gerichtshofs vom 6. September 2011, Patriciello, C‑163/10, EU:C:2011:543; Urteil des Gerichts vom 17. Januar 2013, Gollnisch/Parlament, T‑346/11 und T‑347/11, EU:T:2013:23. Urteil des Gerichtshofs vom 19. Dezember 2019, Junqueras Vies, C‑502/19, EU:C:2019:1115.
- [2] Urteil des Gerichts vom 30. April 2019, Briois/Parlament, T‑214/18, EU:T:2019:266.