Entschließungsantrag - B6-0037/2006Entschließungsantrag
B6-0037/2006

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

11.1.2006

eingereicht im Anschluss an Erklärungen des Rates und der Kommission
gemäß Artikel 103 Absatz 2 der Geschäftsordnung
von Daniel Marc Cohn-Bendit, Milan Horáček, Tatjana Ždanoka, Marie Anne Isler Béguin, Hélène Flautre und Bart Staes
im Namen der Verts/ALE-Fraktion
zur Lage in Tschetschenien nach den Wahlen und zur Zivilgesellschaft in Russland

Verfahren : 2005/2649(RSP)
Werdegang im Plenum
Entwicklungsstadium in Bezug auf das Dokument :  
B6-0037/2006
Eingereichte Texte :
B6-0037/2006
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Angenommene Texte :

B6‑0037/06

Entschließung des Europäischen Parlaments zur Lage in Tschetschenien nach den Wahlen und zur Zivilgesellschaft in Russland

Das Europäische Parlament,

–  unter Hinweis auf seine frühren Entschließungen zu Russland, insbesondere auf die Entschließung vom 15. Dezember 2005,

–  in Kenntnis des vereinbarten gemeinsamen Ziels der EU und Russlands, einen gemeinsamen Wirtschaftsraum, einen gemeinsamen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, einen Raum der Zusammenarbeit im Bereich der äußeren Sicherheit und einen Raum der Forschung und der Bildung unter Einbeziehung kultureller Aspekte zu errichten,

–  in Kenntnis des Partnerschafts- und Kooperationsabkommens zwischen der EU und Russland, das am 1. Dezember 1997 in Kraft getreten ist,

–  gestützt auf Artikel 103 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,

A.  in der Erwägung, dass der russische Föderationsrat am 27. Dezember 2005 einen Gesetzentwurf mit dem Titel „Über die Einfügung von Änderungen in einige Gesetzgebungsakte der Russischen Föderation“, durch den die derzeitigen Rechtsvorschriften über die Registrierung von NRO, insbesondere die Gesetze „Über Organisationen der Zivilgesellschaft“, Über nichtkommerzielle Organisationen“ und „Über geschlossene administrativ-territoriale Einrichtungen“, geändert werden sollen, mit 153 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 0 Enthaltungen abschließend gebilligt hat,

B.  in der Erwägung, dass das Ziel dieses neuen Gesetzes darin besteht, die Kontrolle der Regierung über die NRO zu verstärken, Menschenrechtsgruppen und anderen Organisationen ohne Erwerbscharakter strenge Zügel anzulegen und politischen Druck auf nichtstaatliche Gruppen auszuüben oder sie sogar zu zwingen, ihre Tätigkeit einzustellen,

C.  unter Hinweis darauf, dass die Duma am 21. Dezember 2005 in zweiter Lesung den in erster Lesung gefassten Beschluss revidiert und eine Bestimmung aus dem Gesetzentwurf herausgenommen hat, wonach sich internationale Gruppen als rein russische Gruppen hätten registrieren lassen müssen, gleichzeitig aber neue Anforderungen aufgenommen hat, z.B. die, den Behörden gegenüber nachzuweisen, dass ihre Arbeit und ihre Ausgaben nicht gegen die nationalen, gesellschaftlichen oder kulturellen Interessen Russlands verstoßen haben,

D.  in der Erwägung, dass dieser Gesetzentwurf jetzt Präsident Putin vorliegt, der ihn nur zu unterzeichnen braucht, um ihm Gesetzeskraft zu verleihen; in der Erwägung, dass dieser Gesetzentwurf im Anschluss an die Bemerkungen Präsident Putins vom Juli ausgearbeitet wurde, der erklärt hatte, dass nach den Beschuldigungen des Direktors des Staatsicherheitsdienstes (FSB) Patrushev, der den ausländischen NRO vorgeworfen hatte, als Tarnung für ausländische Geheimdienstagenturen in Russland zu fungieren und auch Revolutionen in der GUS anzuzetteln, eine Finanzierung politischer Aktivitäten von NRO durch das Ausland inakzeptabel sei;

E.  unter Hinweis auf die ersten Parlamentswahlen seit 1999, die am 27. November 2005 in Tschetschenien stattgefunden haben,

F.  in der Erwägung, dass die offiziell genannte Wahlbeteiligung von 57% von unabhängigen Beobachtern in Frage gestellt wurde, die behaupten, dass die Beteiligung viel geringer gewesen und die Abstimmung durch weit verbreitete Betrügereien und Akte der Einschüchterung beeinträchtigt worden sei,

G.  in der Erwägung, dass die in der Republik stationierten 33 000 russischen Soldaten wahlberechtigt waren und sich nur unabhängige Kandidaten oder Vertreter politischer Parteien, die anerkennen, dass Tschetschenien zu Russland gehört, registrieren lassen durften, um die Wahl anzufechten,

H.  unter Betonung, dass ungeachtet der Behauptungen der russischen Behörden, Tschetschenien sei nach zehn Jahren Krieg dabei, zur Normalität zurückzukehren, Stabilität, Frieden und eine lebensfähige Zukunft für die tschetschenische Bevölkerung in Wirklichkeit noch immer in weiter Ferne liegen, da bewaffnete Auseinandersetzungen, Entführungen, außergerichtliche Hinrichtungen, verbreitete Gewaltausübung durch bewaffnete Gruppen der Sicherheitsdienste und eine fehlende staatliche Kontrolle dieser Gruppen weiterhin an der Tagesordnung sind,

I.  in der Erwägung, dass sich die Demokratie in Russland in den letzten Jahren weiter deutlich verschlechtert hat, insbesondere durch Zunahme der staatlichen Kontrolle über die wichtigsten Fernseh- und Radiosender, die Verbreitung der Selbstzensur unter den Printmedien, die Schließung unabhängiger Medien, Beschränkungen des Rechts auf Veranstaltung öffentlicher Demonstrationen, die Verschlechterung des Klimas für die NRO einschließlich Fällen der Belästigung von Menschenrechtsaktivisten, Abschaffung der Direktwahl der Regionalgouverneure und eine verstärkte politische Kontrolle der Justiz,

J.  zutiefst beunruhigt darüber, dass die rassistischen Angriffe auf Ausländer durch fremdenfeindliche Gruppen in St. Petersburg und anderen russischen Städten nicht immer von der Allgemeinheit verurteilt werden und es häufig nicht zu einer Bestrafung durch die Strafverfolgungsbehörden kommt,

K.  unter Betonung, dass die Konsultationen zwischen der EU und Russland zu Menschenrechtsfragen bislang keine großen Fortschritte in diesem Bereich, der in den Beziehungen zwischen der EU und Russlang eine vorrangige Stellung einnehmen sollte, gezeitigt haben,

L.  in der Erwägung, dass die strategische Partnerschaft mit Russland sich mehr denn je zu einer pragmatischen Partnerschaft entwickelt, da Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit keine geteilten, gemeinsamen Werte sind,

M.  unter Hervorhebung, dass der Fall Yukos mit seinen zahlreichen Strafprozessen, die Tatsache, dass viele ehemalige Yukos-Funktionäre befürchten müssen, inhaftiert zu werden, die Art und Weise, wie die Prozesse geführt wurden, und die ungewöhnlich harten Strafen für die für Schuldig Erklärten ein eindeutiger Beweis dafür sind, dass es der Justiz in Russland an Unabhängigkeit und Transparenz fehlt,

N.  in der Erwägung, dass die Auseinandersetzung um den Gaspreis zwischen Russland und der Ukraine erneut die Verwundbarkeit Europas im Bereich der Energieversorgungssicherheit und die Notwendigkeit einer Diversifizierung der Energieversorgung und von Investitionen in Alternativen unterstrichen hat,

1.  spricht sich entschieden gegen den Entwurf eines Gesetzes „Über die Einfügung von Änderungen in einige Gesetzgebungsakte der Russischen Föderation“ aus, das auf eine Verschärfung der Kontrolle über die Zivilgesellschaft abzielt und die Tätigkeiten zahlreicher Organisationen einschränken, das bürgerliche Grundrecht der Versammlungsfreiheit erheblich beschneiden und in Russland tätige ausländische nichtkommerzielle Organisationen schweren Beschränkungen unterwerfen würde;

2.  fordert in diesem Zusammenhang den Rat und die Kommission auf, alle Anstrengungen zu unternehmen, um die Entwicklung und Konsolidierung einer starken, lebendigen, unabhängigen und echten Zivilgesellschaft in Russland als eines grundlegenden und unverzichtbaren Elements einer funktionierenden Demokratie zu unterstützen;

3.  fordert Präsident Putin auf, das oben genannte Gesetz nicht zu unterzeichnen und in eine umfassende Konsultation mit allen demokratischen Kräften der russischen Zivilgesellschaft einzutreten, um Wege für eine wirkliche Erleichterung, Unterstützung und Konsolidierung der Errichtung von NRO und Gruppen ohne Erwerbscharakter zu finden;

4.  vertritt die Auffassung, dass die Konfliktlösung in Tschetschenien auf der Errichtung von Behörden auf allen Ebenen basieren sollte, die nur im Zuge freier und gerechter Wahlen, an denen auch separatistische Kräfte, die den Terrorismus verurteilen, teilnehmen dürfen, entstehen und legitimiert werden können;

5.  bekräftigt, dass es keine militärische Lösung für den Tschetschenien-Konflikts geben kann, und fordert die Einleitung eines wirklichen Friedensprozesses, der darauf ausgerichtet ist, eine politische Regelung auszuhandeln, die auf einem Dialog zwischen allen demokratischen Kräften der tschetschenischen Gesellschaft einschließlich der Befürworter der tschetschenischen Unabhängigkeit basiert;

6.  begrüßt in diesem Zusammenhang die Erklärung von Präsident Alu Alkhanov, dass er beabsichtige, eine Sitzung mit Vertretern der Führung der Rebellen abzuhalten;

7.  fordert die russischen Staatsorgane auf, den derzeitigen Zustand der Straflosigkeit zu beenden, die paramilitärischen Gruppen aufzulösen, der Tätigkeit der Sicherheitskräfte Zügel anzulegen und die Armee vollständig unter Kontrolle zu bringen;

8.  bedauert zutiefst das Nachlassen des russischen Eintretens für Demokratie, den Schutz der Menschenrechte, Toleranz, freie und unabhängige Medien und die Unabhängigkeit der Justiz und weist darauf hin, dass die volle Ausgestaltung der Partnerschaft zwischen der EU und Russland erschwert sein wird, solange diese Entwicklung nicht umgekehrt wird;

9.  äußert in diesem Zusammenhang erneut die Auffassung, dass der Fahrplan für die Umsetzung der vier gemeinsamen Räume an konkrete Fortschritte im Bereich der Demokratie und der Menschenrechte geknüpft werden sollte;

10.  fordert eine Intensivierung der Konsultationen zwischen der EU und Russland zu Menschenrechtsfragen, die effizienter gestaltet, für NRO geöffnet und ergebnisorientiert geführt werden sollten, um diese Komponente in dem neuen Partnerschafts- und Kooperationsabkommen, das demnächst ausgehandelt werden soll, zu stärken;

11.  bedauert die anhaltenden Schikanen gegen die Geschäftsleute Chodorkowskij und Lebedev; äußert sich besorgt über ihre Haftbedingungen und die für sie bestehende Schwierigkeit, einen Rechtsanwalt einzuschalten; weist darauf hin, dass sie nach dem russischen Strafrecht ihre Haftstrafe entweder in der Nähe ihres Wohnorts oder am Ort des Gerichtsverfahrens verbüßen müssten;

12.  begrüßt die zwischen den staatlichen Energiekonzernen Russlands und der Ukraine erzielte Einigung über den Preis der Erdgaslieferungen in die Ukraine; bedauert die starre Haltung auf beiden Seiten und fordert die Wiederherstellung gutnachbarlicher Beziehungen; fordert in diesem Zusammenhang Kommission und Rat auf, im Rahmen der Europäischen Nachbarschaftspolitik Wege für eine Erleichterung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern zu finden;

13.  verweist auf die erhöhte Verantwortung, die Russland mit der erstmaligen Übernahme des Vorsitzes innerhalb der G8 auf der Weltbühne übernimmt, und fordert die russischen Staatsorgane in diesem Zusammenhang auf, Energielieferungen nicht als außenpolitisches Instrument zur Destabilisierung der Nachbarländer einzusetzen.

14.  beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, dem Präsidenten und dem Ministerpräsidenten Russlands, der Staatsduma und dem Präsidenten, dem Ministerpräsidenten und dem Parlament der Ukraine zu übermitteln.