Entschließungsantrag - B6-0041/2006Entschließungsantrag
B6-0041/2006

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

11.1.2006

eingereicht im Anschluss an Erklärungen des Rates und der Kommission
gemäß Artikel 103 Absatz 2 der Geschäftsordnung
von Charles Tannock, Bogdan Klich und Ari Vatanen
im Namen der PPE-DE-Fraktion
zur Lage in Tschetschenien nach den Wahlen und zur Zivilgesellschaft in Russland

Verfahren : 2005/2649(RSP)
Werdegang im Plenum
Entwicklungsstadium in Bezug auf das Dokument :  
B6-0041/2006
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B6-0041/2006
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B6‑0041/2006

Entschließung des Europäischen Parlaments zur Lage in Tschetschenien nach den Wahlen und die Zivilgesellschaft in Russland

Das Europäische Parlament,

–  unter Hinweis auf das Abkommen über Partnerschaft und Zusammenarbeit zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Russischen Föderation andererseits, das am 1. Dezember 1997 in Kraft getreten ist,

–  in Kenntnis des Ziels der EU und Russlands, die beim EU-Russland-Gipfel im Mai 2005 vereinbarten vier „gemeinsamen Räume“ zu schaffen,

–  unter Hinweis auf seine Entschließung vom 26. Mai 2005 zu den Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Russland,

–  unter Hinweis auf seine Entschließung vom 15. Dezember 2005 zu den Menschenrechten in Russland,

–  in Kenntnis der Europäischen Menschenrechtskonvention und ihrer fünf Protokolle,

–  gestützt auf Artikel 103 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,

A.  in der Erwägung, dass der EU-Ratsvorsitz die Parlamentswahlen, die am 27. November 2005 in der russischen Teilrepublik Tschetschenien stattfanden, begrüßt hat und diese Wahlen als bedeutenden Schritt zu einer breiteren Vertretung der Meinungsvielfalt in der tschetschenischen Gesellschaft bezeichnet hat,

B.  in der Erwägung, dass die Kommission es als „ermutigend“ bezeichnet hat, dass diese Parlamentswahlen, die ersten in Tschetschenien seit acht Jahren, ohne größere gewalttätige Zwischenfälle verlaufen seien, es jedoch abgelehnt hat, sich zur der Fairness dieser Wahlen zu äußern,

C.  in der Erwägung, dass Menschenrechtsaktivisten der EU in einem offenen Brief, der von der russischen Menschenrechtsgruppe Memorial, der Helsinki Federation, der Gesellschaft für Russisch-Tschetschenische Freundschaft und anderen, einschließlich der in Paris ansässigen Internationalen Föderation für Menschenrechte, unterzeichnet wurde, vorwerfen, sie beschönige durch ihre optimistische Einschätzung dieser Wahlen die Wirklichkeit, und unterstreichen, dass diese Erklärung nicht nur den von russischen und internationalen Menschenrechtsaktivisten zusammengetragenen Nachweisen widerspricht, sondern auch das Bekenntnis der EU zu Menschenrechten und Rechtstaatlichkeit in Zweifel zieht,

D.  in der Erwägung, dass tausende russische Soldaten, die nicht zur lokalen Bevölkerung gehören, sich an der Wahl beteiligt haben,

E.  in der Erwägung, dass in Tschetschenien und in einigen Fällen in den Nachbarregionen im Nordkaukasus schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen wie Morde, gewaltsam verursachtes Verschwinden, Folter, Geiselnahmen und willkürliche Festnahmen nach wie vor begangen werden,

F.  in der Erwägung, dass die russische Regierung den föderalen Behörden zahlreiche Zuständigkeiten im Bereich Terrorismusbekämpfung entzogen und lokale Behörden mit diesen Aufgaben betraut hat, um so den Anschein zu erwecken, bei dem seit nunmehr zehn Jahren andauernden Konflikt zwischen Russland und Tschetschenien handele es sich eine interne tschetschenische Auseinandersetzung, bei der es, wie in einem jüngst vorgelegten gemeinsamen Bericht verschiedener Menschenrechtsorganisationen dargelegt wird, zu einer Brutalisierung des Vorgehens der Konfliktparteien und allgegenwärtiger Angst und Unsicherheit unter der Zivilbevölkerung gekommen ist,

G.  in der Erwägung, dass zahlreiche Entführungen, Folterungen und willkürliche Morde, zu denen es in den vergangenen zwei Jahren gekommen ist, den so genannten „Kadyrowtzy“, den Angehörigen der tschetschenischen Sicherheitsorgane, die in Wirklichkeit unter dem Kommando von Ramsan Kadyrow, dem Ersten Stellvertretenden Premierminister Tschetscheniens stehen, zugeschrieben werden,

H.  in der Erwägung, dass die in Tschetschenien begangenen Misshandlungen und Menschenrechtsverletzungen weitgehend ungestraft bleiben, so dass ein Klima der Straffreiheit entstanden ist, das sich von der Republik Tschetschenien und der Republik Inguschetien auf weitere Regionen des Nordkaukasus, unter anderem auch auf Nordossetien und in jüngster Zeit Kabardino-Balkaria ausbreitet und den Rechtsstaat in der gesamten Russischen Föderation bedroht,

I.  in der Erwägung, dass Alexander Torschin, der Leiter des russischen Parlamentsausschusses, der die Geiselnahme in einer Schule in Beslan, zu der es im vergangenen Jahr kam, am 28. Dezember erklärt hat, bei der Befreiungsaktion sei es zu Fehlern gekommen, und der Polizei und den staatlichen Sicherheitskräften in Nordossetien und der angrenzenden Republik Inguschetien schuldhaftes Verhalten und Fahrlässigkeit vorwarf, wodurch es den Geiselnehmern, die den Rückzug der russischen Armee aus dem benachbarten Tschetschenien forderten, gelungen sei, die geplante Geiselnahme in die Tat umzusetzen, während der stellvertretende Generalstaatsanwalt Nikolai Schepel, der die diesbezüglichen Untersuchungen der Staatsanwaltschaft leitet, am 27. Dezember verlauten ließ, im Rahmen seiner Untersuchungen sei kein Fehlverhalten nachgewiesen worden, das den Sicherheitskräften, die die Befreiungsaktion durchführten, zur Last gelegt werden könne,

J.  in der Erwägung, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte am 20. Dezember eine Beschwerde im Zusammenhang mit dem Verschwinden von Ruslan Alichadijew, dem ehemaligen Präsidenten des aus fairen Wahlen hervorgegangenen Parlamentes der autoproklamierten Tschetschenischen Republik Itschkeria, für zulässig erklärt hat; in der Erwägung, dass seine Mutter Zura Alichadijew, die sich vergeblich darum bemüht hat, von den russischen Behörden Auskünfte zu erhalten, den Gerichtshof angerufen hat, damit dieser die Verletzung verschiedener Artikel der Europäischen Menschenrechtskonvention feststellt, darunter Verstöße gegen die Artikel über das Recht auf Leben, das Verbot der Folter, das Recht auf Freiheit und persönliche Unversehrtheit sowie das Recht auf wirksamen Rechtsbeistand; in der Erwägung, dass eine von der tschetschenischen Staatsanwaltschaft eingeleitete Untersuchung ergebnislos blieb dass die russische Regierung ihr Versprechen nicht eingehalten hat, Dennis Hastert, dem Präsidenten des US-Repräsentantenhauses, vollständige Informationen über diesen Fall zur Verfügung zu stellen und es ferner abgelehnt hat, dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte die entsprechenden Untersuchungsakten zur Verfügung zu stellen,

K.  in der Erwägung, dass die Kommission am 13. Dezember 2005 sechs Millionen Euro bereitgestellt hat, um den Opfern der andauernden Krise im Nordkaukasus zu helfen, wodurch sich die Gesamthilfe der EU für die Region im Jahr 2005 nunmehr auf 26,3 Millionen Euro beläuft und es sich bei diesem Programm nunmehr um die weltweit fünftgrößte humanitäre Hilfsoperation der EU handelt und die EU der wichtigste Geldgeber in der Region ist,

L.  in der Erwägung, dass die Gesetzesvorlage, die die Tätigkeit von nichtstaatlichen Organisationen in Russland einschränkt, am 23. und 27. Dezember mit nur geringfügigen Änderungen von beiden Kammern des Parlaments angenommen wurde und nun nur noch von Präsident Putin unterzeichnet werden muss, um in Kraft zu treten,

1.  ist tief besorgt, dass Rat und Kommission nicht in der Lage waren, auf die andauernden Menschenrechtsverletzungen in der Republik Tschetschenien in geeigneter Weise zu reagieren, obwohl die zahlreichen von beiden Konfliktparteien in einem Klima fast vollständiger Straffreiheit begangenen Menschenrechtsverletzungen nach wie vor andauern;

2.  fordert den Rat und die Kommission auf, sich ihrer Verantwortung bewusst zu werden und gegen schwerste Menschenrechtsverletzungen in der unmittelbaren Nachbarschaft der Europäischen Union vorzugehen, da die Glaubwürdigkeit der gesamten Europäischen Union erheblich darunter leiden würde, wenn der Rat und die Kommission es versäumen, in diesem Zusammenhang wirksame Schritte einzuleiten;

3.  fordert den Rat und die Kommission auf, eine aktive Rolle beim Kampf gegen weitere Menschenrechtsverletzungen und das Klima der Straffreiheit in der Republik Tschetschenien zu spielen sowie gegenüber den russischen Behörden darauf zu drängen, dass alle notwendigen Maßnahmen ergriffen werden, damit die in der Europäischen Menschenrechtskonvention, die auch von Russland unterzeichnet wurde, verankerten Rechte auch in der Republik Tschetschenien uneingeschränkt respektiert werden und dass all jene, die diese Rechte missachten, ungeachtet ihrer Stellung oder Nationalität unverzüglich juristisch zur Verantwortung gezogen werden;

4.  fordert Rat und Kommission auf, von der Russischen Staatsduma die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zu verlangen, um herauszufinden, warum die Strafverfolgungsbehörden in der Republik Tschetschenien es versäumt haben, diejenigen, die schwere Menschenrechtsverletzungen begangen haben, wie dies von zahlreichen Menschenrechtsorganisationen dokumentiert ist, zur Verantwortung zu ziehen; weist darauf hin, dass bisher nur wenige Fälle vor Gericht gekommen sind, wobei die Verfahren in den meisten Fällen ausgesetzt, weiter überwiesen oder abgewiesen wurden;

5.  fordert die Kommission auf, Untersuchungen auf den Weg zu bringen, um festzustellen, ob die humanitäre Hilfe der Europäischen Union für den Nordkaukasus tatsächlich die Hilfsbedürftigen erreicht hat sowie eine Prüfung der Wirksamkeit dieser Hilfe vorzunehmen;

6.  betont, dass besonderer Wert auf die Aufklärung von Verbrechen gelegt werden muss, die gegen Menschenrechtsaktivisten, Rechtsanwälte, Staatsanwälte, Richter sowie Personen und Familienmitglieder von Personen verübt wurden, die Beschwerden an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gerichtet haben;

7.  fordert in diesem Zusammenhang die russischen Behörden auf, die Ermittlungen und Strafverfahren gegen General Wladimir Schamanow und General Jakow Nebitko wieder aufzunehmen, die beide vor Gericht gestellt und für die Dauer der Ermittlungen von ihren Pflichten entbunden werden sollten, da sie vom Straßburger Gericht der unterschiedslosen Bombardierung tschetschenischer Zivilisten in Katyr-Jurt im Februar 2000 für schuldig befunden wurden;

8.  fordert die Mitgliedstaaten der Europäischen Union auf, im Falle eines andauernden Klimas der Straffreiheit in Tschetschenien in Übereinstimmung mit internationalem Recht und auf der Grundlage entsprechender Präzedenzfälle die Einrichtung eines gemischten internationalen Ad-hoc-Tribunals für Tschetschenien voranzutreiben, das in der Republik Tschetschenien verübte Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit untersucht;

9.  fordert die zuständigen Behörden der Russischen Föderation auf, ein Schulungssystem zu entwickeln, in dessen Rahmen den Vertretern der Rechtsberufe und Angehörigen der Strafverfolgungsbehörden europäische Menschenrechtsstandards vermittelt werden;

10.  fordert die Behörden der Russischen Föderation auf, dass Terrorismusgesetz aus dem Jahr 1998 zu ändern, um es in Übereinstimmung mit den Standards des Europarats zu bringen, insbesondere im Hinblick auf die Befugnisse und Vollmachten von Personen, die für die Durchführung von Anti-Terrormaßnahmen verantwortlich sind;

11.  ist besorgt über Berichte über administrative und richterliche Schikanen gegen einige in Tschetschenien tätige NGOs, die Teil eines generelleren Prozesses der Bedrohung der freien Meinungsäußerung und der Vereinigungsfreiheit in der Russischen Föderation zu sein scheinen, und fordert die russischen Behörden auf, diese Schikanen zu beenden;

12.  betont, dass starke und unabhängige Menschenrechtsorganisationen mit ihrer Arbeit sowohl den demokratischen Prozess als auch den Kampf gegen die Straffreiheit in der Republik Tschetschenien fördern;

13.  begrüßt in diesem Zusammenhang die Änderungen, die die Staatsduma in die Gesetzesvorlage zum Rechtsstatus von nichtstaatlichen Organisationen eingebracht hat, in denen positive Ansätze enthalten sind, unterstreicht aber, dass der Gesetzentwurf nach wie vor problematisch ist und dass der Präsident der Russischen Föderation vor seiner Unterzeichnung sicherstellen sollte, dass er uneingeschränkt im Einklang mit den Empfehlungen des Europarats steht und klar darauf ausgerichtet ist, die Verfolgung von NGO-Aktivisten in Russland zu verhindern;

14.  beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten sowie der Regierung und dem Parlament der Russischen Föderation und dem Europarat zu übermitteln.