ENTSCHLIESSUNGSANTRAG
16.3.2006
gemäß Artikel 108 Absatz 5 der Geschäftsordnung
von Klaus-Heiner Lehne, und Giuseppe Gargani im Namen der PPE-DE-Fraktion
Maria Berger im Namen der PSE-Fraktion
Diana Wallis im Namen der ALDE-Fraktion
Monica Frassoni im Namen der Verts/ALE-Fraktion
Brian Crowley im Namen de UEN-Fraktion
zu den Rechtsberufen und dem allgemeinen Interesse an der Funktionsweise der Rechtssysteme
Entschließung des Europäischen Parlaments zu den Rechtsberufen und das allgemeine Interesse an der Funktionsweise der Rechtssysteme
Das Europäische Parlament,
– in Kenntnis der UN-Grundprinzipien betreffend die Rolle der Rechtsanwälte vom 7. September 1990,
– in Kenntnis der Empfehlung des Europarats Rec(2000)21 über die Freiheit der Ausübung des Rechtsanwaltberufs vom 25. Oktober 2000,
– unter Hinweis auf seine Entschließung vom 18. Januar 1994 zur Lage und Organisation des Notarstands in der Gemeinschaft,
– unter Hinweis auf seine Entschließung vom 5. April 2001 zu verbindlichen Honoraren für gewisse freie Berufe, vor allem Rechtsanwälte, und der besonderen Rolle und Stellung der freien Berufe in der modernen Gesellschaft,
– unter Hinweis auf seine Entschließung vom 16. Dezember 2003 zu Marktregelungen und Wettbewerbsregeln für die freien Berufe,
– in Kenntnis der Richtlinien 1977/249/EWG, 98/5/EG und 2005/36/EG;
– unter Hinweis auf die legislative Entschließung vom 16. Februar 2006 zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Dienstleistungen im Binnenmarkt,
– unter Hinweis auf die Mitteilung der Kommission „freiberufliche Dienstleistungen – Raum für weitere Reformen“ vom 5. September 2005,
– gestützt auf Artikel 52 Absatz 5 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Folgendes anerkannt hat:
- -Unabhängigkeit, Fehlen von Interessenskonflikten und Verschwiegenheit/ Vertraulichkeit sind Kernwerte des Rechtsberufs, die als Erwägungen von öffentlichem Interesse gelten können;
- -Regelungen zum Schutz von Kernwerten sind für die sachgemäße Ausübung des Rechtsberufs erforderlich, und zwar trotz der Wettbewerbbeschränkungen, die damit einhergehen könnten;
B. in der Erwägung, dass jede Reform der Rechtsberufe weit reichende Konsequenzen hat, die sich über das Wettbewerbsrecht hinaus in den Bereich Freiheit, Sicherheit und Justiz und genereller auf den Schutz der Rechtsstaatlichkeit in der Europäischen Union erstrecken;
C. in der Erwägung, dass die UN-Grundprinzipien betreffend die Rolle der Rechtsanwälte vom 7. September 1990 Folgendes beinhalten:
- -die Rechtsanwälte haben das Recht berufliche Selbstverwaltungsverbände zu gründen und sich solchen anzuschließen, um ihre Interessen zu vertreten, ihre Fort- und Weiterbildung zu fördern und ihre berufliche Integrität zu schützen. Der Vorstand eines Berufsverbandes ist von dessen Mitgliedern zu wählen und hat seine Aufgaben ohne äußere Einflussnahme wahrzunehmen,
- -Berufsverbände von Rechtsanwälten haben bei der Wahrung beruflicher Verhaltensregeln und Ehrenpflichten eine entscheidende Rolle zu spielen, indem sie ihre Mitglieder vor Verfolgung und unangemessenen Einschränkungen und Beeinträchtigungen schützen, rechtliche Dienstleistungen zugunsten aller darauf angewiesenen Personen erbringen und mit Regierungs- und sonstigen Einrichtungen zusammenarbeiten, um die Gerechtigkeit und das öffentliche Wohl zu fördern,
- -Disziplinarverfahren gegen einen Rechtsanwalt müssen vor einem von der Anwaltschaft geschaffenen unparteiischen Disziplinarausschuss, vor einer unabhängigen, durch Gesetz geschaffenen Instanz oder vor einem Gericht stattfinden und unterliegen einer unabhängigen gerichtlichen Überprüfung,
D. in der Erwägung, dass ein angemessener Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, auf den alle Personen Anspruch haben, seien jene wirtschaftlich, sozial und kulturell oder zivil und politisch, erfordert, dass alle Personen effektiven Zugang zu Rechtsberatung- und –vertretung durch einen unabhängigen Rechtsberuf haben,
E. in der Erwägung, dass die Bedeutung ethischen Verhaltens, der Aufrechterhaltung der Vertraulichkeit mit den Mandanten und eines hohen Maßes an Spezialwissen die Organisation von Systemen der Selbstkontrolle erfordert, wie z.B. diejenigen, die heute von den Rechtsberufsorganen unterhalten werden,
F. unter Hinweis darauf, dass Zivilrechtsnotare von den Mitgliedstaaten als öffentliche Beamte ernannt werden, deren Aufgaben die Ausarbeitung amtlicher Dokumente ist, denen besondere Beweiskraft zukommt und die sofort vollstreckbar sind.
G. in der Erwägung, dass die Zivilrechtsnotare umfassende Ermittlungs- und Überprüfungsaufgaben für den Staat in Angelegenheiten übernehmen, die sich auf außergerichtlichen Rechtsschutz beziehen, insbesondere im Zusammenhang mit dem Gesellschaftsrecht – in einigen Fällen unter Gemeinschaftsrecht – und dass sie im Rahmen dieser Arbeit einer disziplinarischen Überwachung durch die zuständigen Mitgliedstaaten unterworfen sind, die mit der vergleichbar, ist die für Richter und Beamte gilt,
H. unter Hinweis darauf, dass die teilweise Delegierung der Autorität des Staates ein ursprüngliches Element im Zusammenhang mit der Ausübung des Berufs des Zivilrechtsnotars ist, dass er tatsächlich auf regulärer Basis ausgeübt wird und einen Großteil der Aktivitäten eines Zivilrechtsnotars darstellt,
1. erkennt uneingeschränkt die wichtige Rolle an, die die Rechtsberufe in einer demokratischen Gesellschaft spielen, um die Achtung der Grundrechte, die Rechtsstaatlichkeit und die Sicherheit bei der Anwendung des Gesetzes zu gewährleisten, wenn Rechtsanwälte Mandanten vor Gericht vertreten und verteidigen und auch wenn sie ihren Mandaten Rechtsbeistand leisten;
2. bekräftigt die Positionen, die es in seinen Entschließungen vom 18. Januar 1994, 5. April 2001 und 16. Dezember 2003 eingenommen hat;
3. verweist auf die hohen Qualifikationen, die für den Zugang zu den Rechtsberufen erforderlich sind, die Notwendigkeit, diese Qualifikationen zu schützen, die die Rechtsberufe im Interesse der europäischen Bürger kennzeichnen, und die Notwendigkeit, ein besonderes Verhältnis herzustellen, das auf Vertrauen zwischen den Rechtsberufen und ihren Mandanten beruht;
4. bekräftigt die Bedeutung von Vorschriften, die notwendig sind, um die Unabhängigkeit, Kompetenz, Integrität und Verantwortung der Angehörigen der Rechtsberufe zu gewährleisten, um somit die Qualität ihrer Dienstleistungen zum Nutzen ihre Mandanten und der Gesellschaft im Allgemeinen zu garantieren und das öffentliche Interesse zu wahren;
5. begrüßt die Tatsache, dass die Kommission anerkennt, dass Reformen am Besten auf nationaler Ebene durchgeführt werden und dass die Behörden der Mitgliedstaaten, insbesondere die Gesetzgebungsorgane, am Besten in der Lage sind, um die Vorschriften auszuarbeiten, die für die Rechtsberufe gelten;
6. weist darauf hin, dass der Gerichtshof einen Ermessensspielraum des nationalen Gesetzgebers sowie von Berufsverbänden und -organen anerkannt hat, als er beschlossen hat, was angemessen und notwendig ist, um die sachgemäße Ausübung der Rechtsberufe in einem Mitgliedstaat zu schützen;
7. stellt fest, dass jede Art von Tätigkeit eines Berufsorgans gesondert betrachtet werden muss, so dass die Wettbewerbsregeln auf den Verband nur dann angewandt werden, wenn er ausschließlich im Interesse seiner Mitglieder handelt, und nicht, wenn er im allgemeinen Interesse handelt;
8. erinnert die Kommission daran, dass das Ziel der Verordnung über Rechtsberatung und -vertretung der Schutz der breiten Öffentlichkeit, die Garantie des Rechts auf Verteidigung und Zugang zur Justiz; sowie Sicherheit in der Anwendung des Gesetzes ist, und dass sie aus diesen Gründen nicht auf dem Wissens- und Ausbildungsstand des Mandanten zugeschnitten sein kann;
9. ermuntert Berufsverbände, Organisationen und Vereinigungen der Rechtsberufe, Verhaltenskodexe auf europäischer Ebene einzuführen, einschließlich Regeln betreffend die Organisation, Qualifikationen, Berufsethik, Überwachung, Haftung, kommerzielle Kommunikationen, damit die endgültigen Rechtsnutzer mit den notwendigen Garantien betreffend Integrität und Erfahrung versehen werden;
10. fordert die Kommission auf, die Wettbewerbsregeln gegebenenfalls in Übereinstimmung mit dem Fallrecht des Gerichtshofes anzuwenden;
11. ist der Auffassung, dass die öffentlichen Interessen, die den Wettbewerbsgrundsätzen der EU übergeordnet sind im Rechtssystem desjenigen Mitgliedstaats zu finden sind, in dem die Verordnung angenommen wird oder ihre Wirkungen zeigt, und dass es so etwas wie eine Prüfung der öffentlichen Interessen der EU, wie auch immer definiert, nicht gibt;
12. fordert die Kommission auf, das EU-Wettbewerbsrecht nicht auf Angelegenheiten anzuwenden, die innerhalb des EU-Verfassungsrahmens der Hoheitsgewalt der Mitgliedstaaten überlassen bleiben, wie z.B. Zugang zur Justiz, was Themen beinhaltet wie z.B. Honorartabellen, die von den Gerichten angewandt werden, um Rechtsanwaltshonorare zu liquidieren;
13. betont, dass zuvor bestehende Behinderungen der Niederlassungsfreiheit und der Freiheit, Dienstleistungen der Rechtsberufe zu erbringen, erfolgreich von den Richtlinien 1977/249/EWG, 98/5/EG und 2005/36/EG beseitigt wurden;
14. ist der Auffassung, dass Artikel 49 des EG-Vertrags, Richtlinie 2005/36/EG und Richtlinie 77/249/EG die Anwendung des Grundsatzes des Bestimmungslandes auf verbindliche Honorare für Rechtsanwälte und andere Rechtsberufe ermöglichen;
15. ist der Auffassung, dass Artikel 45 des EG-Vertrags vollständig auf den Beruf des Zivilrechtsnotars als solchen anwendbar ist;
16. fordert die Kommission auf, sorgfältig die Grundsätze und Bedenken zu prüfen, die in dieser Entschließung zum Ausdruck kommen, wenn sie die Vorschriften über die Ausübung der Rechtsberufe in den Mitgliedstaaten analysiert;
17. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung der Kommission zu übermitteln.