ENTSCHLIESSUNGSANTRAG
6.12.2006
gemäß Artikel 103 Absatz 2 der Geschäftsordnung
von Cohn-Bendit, Héléne Flautre, Milan Horáček, Bart Staes und Rebecca Harms
im Namen der Verts/ALE-Fraktion
zu dem Gipfeltreffen EU-Russland
B6‑0631/2006
Entschließung des Europäischen Parlaments zu dem Gipfeltreffen EU-Russland
Das Europäische Parlament,
– unter Hinweis auf seine früheren Entschließungen, die die Russische Föderation betreffen, insbesondere die Entschließungen vom 25. Oktober 2006 und vom 26. Mai 2005,
– in Kenntnis des Partnerschafts- und Kooperationsabkommens zwischen der EU und Russland, das am 1. Dezember 1997 in Kraft getreten ist,
– unter Hinweis auf die am 8. November 2006 veranstaltete vierte Runde der Menschenrechtskonsultationen EU-Russland,
– gestützt auf Artikel 103 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass die Beziehungen zwischen der EU und Russland während der letzten Jahre stetig an Intensität gewonnen haben, was eine tiefgehende, umfassende wirtschaftliche Integration und Interdependenz herbeigeführt hat, die in naher Zukunft zwangsläufig noch stärker wird,
B. unter Hinweis darauf, dass die im Mai 2005 vereinbarten „Fahrpläne“, die „gemeinsame Räume“ betreffen, eine Grundlage sind, auf der die bilateralen Beziehungen weiter entwickelt werden können, so dass das Potenzial der Partnerschaft umgesetzt wird,
C. in Kenntnis des Partnerschafts- und Kooperationsabkommens zwischen der EU und Russland, das 1997 in Kraft trat und 2007 ausläuft, und darauf, dass beide Seiten Interesse und Bereitschaft bekundet haben, ein noch ambitionierteres Abkommen auszuhandeln,
D. unter Hinweis darauf, dass gleichwohl eine echte strategische Partnerschaft auf gemeinsamen Werten beruhen muss, was gegenwärtig nicht der Fall ist,
E. in der Erwägung, dass die EU eine Politik des entschlossenen und einmütigen Auftretens gegenüber Russland braucht, die die Möglichkeit zur Zusammenarbeit schafft und zugleich Russland zur Erfüllung aller eingegangenen Verpflichtungen anhält, die sich auf ein breites Spektrum von Themen beziehen,
F. im Bedauern über die diskriminierenden handelspolitischen Maßnahmen, die die Russische Föderation gegenüber einzelnen gegenwärtigen und künftigen EU-Mitgliedstaaten und gemeinsamen Nachbarstaaten getroffen oder angedroht hat und die eher politisch als technisch motiviert erscheinen,
G. in der Erwägung, dass sich in den letzten Jahren in Russland der Demokratieverfall weiter erheblich verschärft hat, insbesondere auf Grund der zunehmenden staatlichen Kontrolle über wichtige Fernseh- und Radiosender, der Ausbreitung der Selbstzensur unter den Printmedien, der Schließung unabhängiger Medien, der Einschränkung des Rechts zur Abhaltung öffentlicher Demonstrationen und eines sich verschlechternden Klimas für nichtstaatliche Organisationen, mit Fällen der Schikanierung von Menschenrechtsaktivisten sowie verstärkter Kontrolle der Justiz,
H. entsetzt über die Welle von Morden an bzw. mysteriösen Anschlägen auf Journalisten und andere Persönlichkeiten, insbesondere den Fall von Anna Politkowskaja – 7. Oktober in Moskau – und Aleksander Litwinenko, ehemaliger Agent des FSB, der am 23. November 2006 in einem Londoner Krankenhaus nach Vergiftung mit einem radioaktiven Stoff gestorben ist,
I. unter Hinweis darauf, dass der EU-Russland-Konsultationsdialog zu den Menschenrechten keine wirklichen Fortschritte in diesem Bereich ergeben hat, der als für die Beziehungen zwischen der EU und Russland vorrangig betrachtet werden sollte,
J. unter Hinweis darauf, dass es der russische Staat noch immer ablehnt, den Vertrag über die Energiecharta zu unterzeichnen, und sich bereit erklärt, dessen wesentliche Grundsätze in das künftige Partnerschaftsabkommen zu übernehmen, und dass Präsident Putin die EU öffentlich aufgefordert hat, keine Furcht vor einer übergroßen energiewirtschaftlichen Abhängigkeit von Russland zu haben,
1. bedauert, dass der Rat keinen gemeinsamen Standpunkt über ein Mandat zur Einleitung von Verhandlungen über ein neues Partnerschaftsabkommen mit der Russischen Föderation festgelegt hat, trotz der Bemühungen des finnischen Ratsvorsitzes um einen Kompromiss;
2. weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass Kompromiss ein wesentliches Element des Gefüges der EU und ihres Erfolgs ist; fordert deshalb die Mitgliedstaaten auf, sich ausgewogen zu verhalten und den Gebrauch ihres Vetorechts auf Ausnahmefälle und Notsituationen zu begrenzen;
3. vertritt erneut die Auffassung, dass die Beziehungen zwischen der EU und Russland gegenwärtig nur pragmatische Beziehungen sein können, weil es nicht gelungen ist, alle in Partnerschafts- und Kooperationsabkommen eingeführten Zusagen und Verpflichtungen einzuhalten;
4. begrüßt den Abschluss der Verhandlungen über die Abschaffung der Gebühren für den Überflug von Sibirien, durch die eine jahrelange Diskriminierung europäischer Luftverkehrsunternehmen beendet wird;
5. befürwortet die Erklärung über die Politik für die Nördliche Dimension, in der die Entschlossenheit zum Ausdruck gebracht wird, in diesem Raum auf der Grundlage guter Nachbarschaft, der Partnerschaft zwischen Gleichgestellten, der gemeinsamen Verantwortung und der Transparenz aktiv zu kooperieren;
6. fordert den russischen Staat auf, sein Verbot der Einfuhr von Fleisch und anderen Agrarprodukten aus Polen aufzuheben; begrüßt die von Präsident Putin angekündigte Aufhebung des Verbots der Einfuhr von Produkten aus Moldau und legt ihm dringend nahe, im Fall von georgischen Produkten das Gleiche zu tun;
7. bedauert, dass die vierte Runde der Menschenrechtskonsultationen EU-Russland keine wesentlichen Fortschritte auf diesem Gebiet erbracht hat, das in den bilateralen Beziehungen vorrangig sein sollte, und dass Menschenrechtsprobleme auf dem Gipfeltreffen EU-Russland nur Gegenstand eines Ausdrucks der Besorgnis gewesen sind, ohne dass greifbare Ergebnisse vorlägen;
8. fordert den Rat und die Kommission auf, im Zusammenhang mit der systematischen Einschüchterung, Behelligung und Ermordung unabhängiger Journalisten und Menschenrechtsaktivisten und anderer Personen, die Kritik an der gegenwärtig schwachen, mit Mängeln behafteten Demokratie üben, in einer wirkungsvolleren, glaubwürdigeren Weise Druck auf die russischen Staatsorgane auszuüben;
9. fordert den russischen Staat auf, in vollem Umfang mit den zuständigen britischen Stellen, die im Fall Aleksander Litwinenko ermitteln, zusammenzuarbeiten;
10. fordert erneut eine Intensivierung der Konsultationen zwischen der EU und Russland über Menschenrechtsthemen, die wirkungsvoller gestaltet und für nichtstaatliche Organisationen geöffnet sein sollten, an denen das Europäische Parlament auf allen Ebenen beteiligt sein sollte und die ergebnisorientiert geführt werden sollten, um diese Komponente in dem neuen Partnerschafts- und Kooperationsabkommen zu stärken;
11. vertritt die Auffassung, dass ein offener, konstruktiver Dialog zwischen der EU und Russland über die Rechte der russischsprachigen Minderheiten in den baltischen Staaten und darüber, wie Nichtdiskriminierung und Chancengleichheit für alle verwirklicht werden kann, ein sinnvolles Mittel sein könnte, Russland zu Fortschritten auf dem Gebiet der Menschenrechte zu bewegen;
12. erklärt sich zutiefst besorgt über die neuesten Meldungen von internationalen Menschenrechtsorganisationen und Sachverständigen der Vereinten Nationen über die Praktizierung der Folter in russischen Haftanstalten und Polizeistationen und in Geheimgefängnissen in Tschetschenien, zu der unmenschliche und erniedrigende Handlungen durch Vertreter des Staates gehören; missbilligt solche Praktiken mit allem Nachdruck und fordert die russischen Staatsorgane auf, Untersuchungen über die Übergriffe vorzunehmen, jeglichem Fehlverhalten unverzüglich ein Ende zu setzen und die Täter gerichtlich zu belangen;
13. fordert den Rat auf, eine tiefgreifende Prüfung der künftigen Beziehungen zur Russischen Föderation unter Einbeziehung des Europäischen Parlaments und der Bürgergesellschaft einzuleiten, um Demokratie, Menschenrechte und Meinungsfreiheit zu Kernpunkten aller künftigen Übereinkommen zu machen und einen deutlichen Mechanismus zur Beobachtung der Umsetzung aller Bestimmungen eines solchen Übereinkommens, einschließlich der Formulierung einer Aussetzungsklausel, festzulegen;
14. fordert die Russische Föderation auf, keine nuklearen Abfälle mehr einzuführen und zu vermeiden, dass sie zur weltweiten Endstation für nukleare Abfälle wird;
15. legt der Regierung der Russischen Föderation nahe, dafür zu sorgen, dass die Umweltprüfung durch Sachverständige, die im russischen Recht vorgeschrieben ist, in den Verfahren zur Entscheidung über die Verlängerung der Betriebsdauer von Kernkraftwerken durchgeführt wird, in dem Bewusstsein, dass die Verlängerung der Betriebsdauer von Kernkraftwerken über die geplante Lebensdauer hinaus automatisch Gefahren mit sich bringt;
16. bringt Bedenken wegen der Sicherheit der von der Russischen Föderation in andere Staaten verkauften Kernkraftwerke und der Weiterverbreitung von Nuklearmaterialien über diese Kernkraftwerke zum Ausdruck;
17. fordert die Russische Föderation auf, die Verbringung von unbestrahltem abgetrenntem Plutonium und von plutoniumhaltigen Stoffen sowie die Wiederaufbereitung von Nuklearmaterial einzustellen, weil diese Tätigkeiten potenziell Weiterverbreitungsrisiken mit sich bringen;
18. fordert die Russische Föderation auf, uneingeschränkten, freien Zugang zu ihrem Energiemarkt und zu ihren Erdgas- und Erdölressourcen zu gewährleisten;
19. fordert die Russische Föderation auf, in Anbetracht der drängenden Probleme der Klimaänderung und des Drucks auf die Energieversorgung umfangreiche Investitionen in Energieeffizienzmaßnahmen zu tätigen;
20. fordert die Russische Föderation auf, ihre Energielieferungen in Drittstaaten, speziell EU-Mitgliedstaaten, nicht als politische Waffe einzusetzen;
21. fordert die Russische Föderation auf, Umweltnormen auf hohem Niveau für sämtliche Erdöl- und Erdgasprojekte zu gewährleisten, die auf ihrem Hoheitsgebiet durchgeführt oder geplant werden;
22. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten sowie der Regierung und dem Parlament der Russischen Föderation und dem Europarat zu übermitteln.