ENTSCHLIESSUNGSANTRAG
2.5.2007
gemäß Artikel 103 Absatz 2 der Geschäftsordnung
von Bart Staes, Milan Horáček, Marie Anne Isler Béguin und Angelika Beer
im Namen der Verts/ALE-Fraktion
zu den Vorbereitungen des neunten EU-Russland-Gipfels am 18. Mai 2007 in Samara
B6‑0192/2007
Entschließung des Europäischen Parlaments zu den Vorbereitungen des neunten EU-Russland-Gipfels am 18. Mai 2007 in Samara
Das Europäische Parlament,
– unter Hinweis auf seine früheren Entschließungen zur Russischen Föderation, insbesondere seine Entschließungen vom 25. Oktober 2006[1], 13. Dezember 2006[2] und 26. April 2007[3],
– unter Hinweis auf das Abkommen über Partnerschaft und Zusammenarbeit EU-Russland, das 2007 auslaufen wird,
– gestützt auf Artikel 103 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass der bevorstehende EU-Russland-Gipfel zu einer Zeit stattfindet, da Kommissionsmitglied Mandelson zufolge die Beziehung EU-Russland von einem Grad an Unstimmigkeit oder sogar an Misstrauen geprägt ist, den es seit dem Ende des Kalten Krieges nicht mehr gegeben hatte,
B. in der Erwägung, dass noch keine Einigung darüber erzielt worden ist, wie der tote Punkt in der Frage des Verbots der Ausfuhr von polnischem Fleisch nach Russland überwunden werden kann, in der Erwägung, dass dadurch immer noch verhindert wird, dass die EU die Verhandlungen über ein neues Abkommen aufnimmt, das das derzeitige Abkommen über Partnerschaft und Zusammenarbeit, das demnächst ausläuft, ersetzen soll,
C. in der Erwägung, dass es für die EU von größter Bedeutung ist, mit einer Stimme zu sprechen und einen gemeinsamen Standpunkt anzunehmen, andererseits in der Erwägung, dass die Mitgliedstaaten verantwortungsvoll und unparteiisch vorgehen und davon absehen sollten, ihr Vetorecht auszuüben,
D. in der Erwägung, dass der Beschluss der USA, 10 Abwehrraketen in Polen mit Radarleitstationen in der Tschechischen Republik zu stationieren, zu weiteren Spannungen in den Beziehungen zwischen den beiden Seiten geführt haben, wobei Russland damit droht, den Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa von 1990 solange auszusetzen, bis alle NATO-Mitglieder den Vertrag ratifiziert haben,
E. in der Erwägung, dass das jüngste gewaltsame Vorgehen der Polizei gegen friedliche Demonstrationen in Moskau und St. Petersburg die zunehmende Verschlechterung der Situation der Menschenrechte und demokratischen Freiheiten in Russland und die wachsende Selbstzensur und Kontrolle der Medien durch die Regierung noch weiter deutlich gemacht haben,
F. in der Erwägung, dass die Untersuchungen über die Serie von Tötungen von Journalisten kein Ergebnis erbrachten, was die Unfähigkeit von Polizei und Justiz zeigt, diese Verbrechen strafrechtlich zu verfolgen,
G. in der Erwägung, dass sich die Russische Föderation als Mitglied der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa und des Europarates verpflichtet hat, die Redefreiheit und die Versammlungsfreiheit zu achten, in der Erwägung, dass die Einhaltung dieser Grundsätze im Hinblick auf die bevorstehenden allgemeinen und Präsidentschaftswahlen in Russland von besonderer Bedeutung ist, in der Erwägung, dass die EU mit Russland eine strategische Partnerschaft eingegangen ist, die auf den Werten Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit beruht,
H. in der Erwägung, dass die Energie weiterhin eine zentrale und strategische Rolle in den Beziehungen EU-Russland spielt, in der Erwägung, dass die große Abhängigkeit der EU von fossilen Brennstoffen die Entwicklung einer ausgewogenen und kohärenten europäischen Konzeption gegenüber Russland beeinträchtigt,
I. in der Erwägung, dass diese mangelnde Kohärenz umfassend in der zurückhaltenden Kritik des Rates und der Kommission an den Menschenrechtsverletzungen in Russland zum Ausdruck kommt, die bei bilateralen Treffen nur selten oder ansatzweise zur Sprache gebracht werden,
J. in der Erwägung, dass in Bezug auf die Lösung der „eingefrorenen Konflikte“ in gemeinsamen Nachbarländern kein Fortschritt erzielt wurde, in der Erwägung, dass Frieden und Stabilität im Interesse sowohl von Russland als auch der EU sind,
1. würdigt das Andenken an den früheren Präsidenten Boris Jelzin, der eine entscheidende Rolle im Zusammenhang mit dem Ende des kommunistischen Sowjetregimes und dem Übergang zu einer offeneren und demokratischeren Gesellschaft spielte; bringt dem russischen Volk seine tief empfundene Anteilnahme zum Ausdruck;
2. vertritt die Auffassung, dass die Partnerschaft mit der Russischen Föderation in dieser Phase nur pragmatischer Natur sein kann; glaubt dennoch, dass jedwede Anstrengung unternommen werden muss, um Russland auf konstruktive und offene Weise für die Aufnahme der Verhandlungen für ein neues und weit reichendes Abkommen auf der Grundlage von wirklich gemeinsamen Werten und Interessen zu gewinnen;
3. hebt diesbezüglich hervor, dass Demokratie und Menschenrechte im Mittelpunkt jedes künftigen Abkommens mit der Russischen Föderation stehen müssen, insbesondere im Hinblick auf die Definition und Einbeziehung einer effektiven und operationellen Menschenrechtsklausel; wiederholt seine Forderung, die Menschenrechtskonsultation EU-Russland zu intensivieren, um sie effektiver, ergebnisorientierter zu machen und sie für die NRO zu öffnen und das Europäische Parlament auf allen Ebenen voll einzubeziehen;
4. bedauert die zurückhaltende Reaktion der EU-Präsidentschaft und der Kommission auf die Ereignisse in Moskau und St. Petersburg; bedauert die Zurückhaltung derjenigen europäischen Staatschefs, die es während eines Besuchs in Moskau unterließen, Menschenrechtsfragen mit ihrem russischen Amtskollegen aufzugreifen;
5. lehnt die Erklärung von Präsident Putin ab, der zufolge demokratische Slogans verwendet werden, um einseitige Vorteile und persönlichen Nutzen zu ziehen und die eigenen Interessen sicherzustellen; betont erneut, dass eine starke und unabhängige Zivilgesellschaft ein grundlegendes und unersetzliches Element einer wirklichen und reifen Demokratie ist;
6. begrüßt die Aufnahme einer Untersuchung durch die zuständigen russischen Behörden über das Vorgehen der Bereitschaftspolizei, die die Demonstranten am 14. und 15. April 2007 in Moskau und St. Petersburg gewaltsam auseinandertrieben;
7. betont, dass die Mitgliedschaft Russlands in der WTO einem Wirtschaftswachstumsmodell in Russland Antrieb geben wird, das hauptsächlich auf der Ausbeutung fossiler Brennstoffe als auch auf dem verstärkten Handel mit fossilen Brennstoffen mit der EU beruht; ist besorgt darüber, dass dies die Abhängigkeit der EU von fossilen Brennstoffen konsolidieren wird und sich negativ auf die Erreichung der Klimaziele der EU auswirken kann, falls die Öffnung der russischen Gasmärkte nicht durch Kooperationssysteme ausgewogen wird, um die Produktion von erneuerbaren Energien zu fördern;
8. anerkennt, dass bedeutende Investitionen in die Instandhaltung der nachgelagerten Infrastrukturen und die Leitungen für die Lieferung fossiler Brennstoffe getätigt werden; betont, dass mangelnde Investitionen in die Entwicklung erneuerbarer Energiequellen die wirtschaftliche Abhängigkeit von der Versorgung mit fossiler Energie in einer Zeit steigern wird, in der die Diversifizierung in neue und erneuerbare Energietechnologien größere Aussichten auf nachhaltiges Wirtschaftswachstum bietet;
9. nimmt den vor kurzem in der Russischen Föderation eingereichten Gesetzesentwurf zur Kenntnis, der der Regierung erlaubt, ausländische Angebote auf Mehrheitsanteile in russischen Unternehmen in 39 strategischen Industrien abzulehnen; fordert die Partner auf, ein gemeinsames Verständnis für die Definition von strategischen Industrien, insbesondere im Energiesektor und anderen ressourcenintensiven Sektoren, zu finden, in denen Souveränitätsgrundsätze aufrecht erhalten werden können, um sozial- und umweltpolitische Ziele zu erfüllen; betont, dass ohne Demokratie, Transparenz und Rechenschaftspflicht in industriellen Beziehungen Ansprüche auf Souveränität nicht gerechtfertigt werden können;
10. äußert seine Besorgnis angesichts der Tatsache, dass der russische Staat wieder die Kontrolle über alle Ressourcen übernimmt, einschließlich der Energie, während es unterlassen wird, politisch in die Demokratisierung der industriellen Beziehungen und in eine verbesserte Transparenz und Rechenschaftspflicht im Beschlussfassungsverfahren in der Industrie zu investieren, und klare Politikziele im Hinblick auf nachhaltige Entwicklung und Ressourceneffizienz fehlen; fordert Russland auf, nach und nach die bewährtesten internationalen Praktiken hinsichtlich von Transparenz und öffentlicher Rechenschaftspflicht in die nationale Gesetzgebung zu übernehmen;
11. ist besorgt über die Einführung so genannter Sonderwirtschaftszonen in Russland, die besondere Anreize für Investitionen bieten; fordert die strikte Einhaltung und unabhängige Überwachung der Menschenrechte sowie der sozialen und Umweltstandards in diesen Sonderwirtschaftszonen;
12. ermutigt beide Partner mit Nachdruck, eine gemeinsame Konzeption zu vereinbaren, um den Klimawandel auf einen maximalen Temperaturanstieg um 2° C im Vergleich zu dem Niveau vor der Industrialisierung durch gerechte Beiträge zu den Bemühungen zur Verringerung der Treibgasemissionen durch Industrie- und Entwicklungsländer entsprechend ihren unterschiedlichen Verantwortlichkeiten und Fähigkeiten zu beschränken;
13. dringt diesbezüglich auf die besondere Verantwortung der Industrieländer, bei der Verringerung der Emissionen eine Führungsrolle zu übernehmen; fordert Russland auf, bei künftigen internationalen Verhandlungen eine aktive Rolle zu spielen und bis 2008, spätestens bis 2009, eine rasche Einigung zu erleichtern, um die Kontinuität des globalen Kohlemarkts zu gewährleisten;
14. äußert seine Besorgnis über die Sicherheit des Nuklearsektors in der Russischen Föderation und ihre Pläne, Nukleartechnologie und -material in andere Länder zu exportieren, und über die damit verbundenen Bedrohungen der nuklearen Sicherheit und Verbreitung; fordert die Russische Föderation auf, die Lieferungen von nuklearem Material sowie dessen Wiederaufbereitung einzustellen, da diese Tätigkeiten mögliche Verbreitungsrisiken darstellen;
15. fordert die Russische Föderation auf, angesichts der Dringlichkeit des Problems des Klimawandels, der sozialen Vorteile durch Investitionen und des Drucks auf die Energieversorgung massiv in Energieeffizienzmaßnahmen zu investieren; verweist diesbezüglich darauf, dass der im Kyoto-Protokoll vorgesehene Flexibilitätsmechanismus Investitionen zur Modernisierung des russischen Energie- und Energie-Endverbrauchssektors anziehen könnte;
16. fordert die Russische Föderation auf, die Entwicklung ihrer erneuerbaren Energieindustrie zu unterstützen, die riesigen verfügbaren nachhaltigen Ressourcen auszunutzen; fordert die Russische Föderation auf, moderne Umweltstandards für alle Öl- und Gasvorhaben zu gewährleisten, die in ihrem Hoheitsgebiet im Gange bzw. geplant sind;
17. äußert seine tiefen Besorgnisse über die schlechten Haftbedingungen in Russland, insbesondere in Untersuchungsgefängnissen und im Polizeigewahrsam, die noch durch desolate medizinische Versorgung und unzureichende sanitäre Bedingungen verschlechtert werden; verweist diesbezüglich auf die große Zahl von Beschwerden, die Opfer an den Menschenrechtsbeauftragten, Wladimir Lukin, gerichtet haben, verurteilt jeden Fall von Folter und Misshandlung durch Beamte in Gefängnissen;
18. verurteilt insbesondere die fortgesetzten Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien, wo es immer noch Tötungen ohne Gerichtsverfahren , illegale Zwangsinhaftierungseinrichtungen gibt, Menschen verschwinden und Folter angewandt wird; betont diesbezüglich, dass die russische Regierung das Mandat des Sonderberichterstatters für Folter im Oktober 2006 abgelehnt hat, der beabsichtigte, Gefängnisse im Nordkaukasus ohne vorherige Ankündigung zu besuchen;
19. betont, dass die Russische Föderation das UN-Abkommen gegen Folter und sonstige grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung vom Dezember 1984 und das Europäische Übereinkommen zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe von 1987 unterzeichnet und ratifiziert hat und dass Russland als Mitglied des Europarates auch verpflichtet ist, Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention zu beachten, der das Recht auf ein faires Verfahren gewährleistet;
20. fordert die russischen Behörden auf, Willkür zu bekämpfen, den Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit zu achten und die richterliche Gewalt nicht für politische Zwecke zu instrumentalisieren; hebt diesbezüglich den Fall der früheren Yukos-Eigner Michail Chodorkowski und Platon Lebiedew hervor, die wegen Betrugs und Steuerflucht verurteilt wurden, vom Europäischen Parlament jedoch als politische Gefangene betrachtet wurden, wie es in einem offenen Schreiben an Präsident Putin vom Juli 2006 betont wurde;
21. bleibt absolut nicht davon überzeugt, dass Europa in der vorhersehbaren Zukunft ein Raketenabwehrsystem benötigen würde, um sein Hoheitsgebiet gegen feindliche Langstreckenraketen mit WMD-Atomsprengköpfen zu schützen, die von Schurkenstaaten oder nichtstaatlichen Akteuren abgeschossen werden; nimmt die diesbezüglichen russischen Besorgnisse zur Kenntnis, fordert jedoch Moskau auf, die Einhaltung des CFE-Vertrags nicht auszusetzen; findet es für die Unteilbarkeit der europäischen Sicherheit nicht akzeptabel, dass die USA einseitig mit zwei Mitgliedstaaten der EU über die Stationierung eines solchen Systems verhandeln; ist überzeugt, dass zur Vermeidung eines neuen Rüstungswettlaufs, zur Abwehr langfristiger terroristischer Bedrohungen und anderer Bedrohungen, die die europäische und die globale Sicherheit gefährden, massive Investitionen in Konfliktpräventionspolitiken und Abrüstungsinitiativen getätigt werden müssen und dass unverzüglich ein direkter Dialog mit Moskau aufgenommen werden muss, um zu einer gemeinsamen Vereinbarung zu gelangen, die beiden Seiten Vorteile bringt;
22. fordert Russland auf, die Entscheidung über den endgültigen Status des Kosovo auf der Grundlage des Ahtisaari-Plans der überwachten Unabhängigkeit nicht weiter zu verzögern; macht auf die Folgen aufmerksam, die eine solche Verzögerung auf die Stabilität der Region haben könnte, und fordert die Behörden in Moskau auf, konstruktiv zu handeln;
23. begrüßt den Planentwurf der EU für die eingefrorenen Konflikte im Südkaukasus, den der EU-Sondergesandte für die Region informell vorlegte; vertritt die Auffassung, dass ein umfassenderes europäisches Engagement unabdingbar ist, um die Friedensprozesse voranzubringen; fordert den Rat auf, die Annahme dieses Plans zu beschleunigen und ihn den russischen Behörden vorzulegen und mit diesen zu beraten;
24. begrüßt die Unterzeichnung des Grenzabkommens zwischen Russland und Lettland, das den Weg ebnet für eine bessere Zusammenarbeit zwischen der EU und der Russischen Föderation in der baltischen Region; bedauert andererseits die Zusammenstöße, zu denen es in Tallinn wegen der Entfernung eines Kriegsmonuments kam; betont, dass die Beziehungen zu Russland auf die Zukunft ausgerichtet sein sollten und dass einseitige Vorgehensweisen vermieden werden sollten, die dazu beitragen, die derzeitigen Probleme zu verschlimmern;
25. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission und den Mitgliedstaaten sowie der Regierung und dem Parlament der Russischen Föderation zu übermitteln.
- [1] Angenommene Texte, P6_TA(2006)0448
- [2] Angenommene Texte, P6_TA(2006)0566
- [3] Angenommene Texte, P6_TA-PROV(2006)0169