Entschließungsantrag - B6-0215/2007Entschließungsantrag
B6-0215/2007

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

21.5.2007

eingereicht im Anschluss an Erklärungen des Rates und der Kommission
gemäß Artikel 103 Absatz 2 der Geschäftsordnung
von Tunne Kelam, Charles Tannock, Christopher Beazley, José Ignacio Salafranca Sánchez-Neyra, Bogdan Klich und Anna Ibrisagic
im Namen der PPE-DE-Fraktion
zur Lage in Estland

Verfahren : 2007/2567(RSP)
Werdegang im Plenum
Entwicklungsstadium in Bezug auf das Dokument :  
B6-0215/2007
Eingereichte Texte :
B6-0215/2007
Abstimmungen :
Angenommene Texte :

B6‑0215/2007

Entschließung des Europäischen Parlaments zur Lage in Estland

Das Europäische Parlament,

–  gestützt auf Artikel 103 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,

A.  in der Erwägung, dass extremistische Gruppen in der Hauptstadt Estlands zwischen dem 26. und 28. April 2007 zwei Nächte lang randaliert haben, wobei die Demonstranten zunächst die Polizei angriffen und es anschließend im Zentrum von Tallinn zu vielen Akten von Vandalismus kam,

B.  in der Erwägung, dass die Demonstrationen gegen die Regierung unter dem Vorwand stattfanden, dass die estnische Regierung geplant hatte, das sowjetische Denkmal für die Befreier Tallinns aus dem Zentrum der estnischen Hauptstadt auf einen Militärfriedhof ein paar Kilometer außerhalb zu verlegen,

C.  in der Erwägung, dass die Regierung Estlands der Regierung der Russischen Föderation vorab die Gründe für diesen Beschluss dargelegt und angeboten hat, mit ihr bei der Umsetzung des Denkmals zusammenzuarbeiten, und ausdrücklich darum gebeten hat, dass Vertreter Russlands an den Exhumierungen teilnehmen, was die russischen Behörden aber abgelehnt haben,

D.  in der Erwägung, dass die Exhumierungen den internationalen Normen und Vorschriften für ein würdiges Vorgehen strikt entsprochen haben, und in der Erwägung, dass das Denkmal auf dem Friedhof mit einer offiziellen Zeremonie unter Beteiligung von Vertretern der Anti-Hitler-Koalition wiedereröffnet wird,

E.  in der Erwägung, dass die gewalttätigen Demonstrationen und Angriffe auf Recht und Ordnung unter aktiver Beteiligung von und in Zusammenarbeit mit Kräften außerhalb Estlands organisiert wurden,

F.  in der Erwägung, dass in Russland hochrangige Vertreter Erklärungen abgegeben haben und die estnische Regierung in einer offiziellen Erklärung der Delegation der Staatsduma bei ihrem Besuch in Tallinn zum Rücktritt aufgefordert wurde,

G.  in der Erwägung, dass der estnische Premierminister erklärt hat, diese Vorfälle stellten eine hervorragend koordinierte und flagrante Einmischung in die inneren Angelegenheiten Estlands dar,

H.  in der Erwägung, dass unmittelbar nach den Krawallen in Tallinn der normale Betrieb der estnischen Botschaft in Moskau sieben Tage lang durch feindlich gesinnte Demonstranten der regierungsnahen Jugendorganisation Nashi blockiert wurde, wobei der estnische und der schwedische Botschafter tätlich angegriffen wurden, Drohungen ausgestoßen wurden, das Botschaftsgebäude abzureißen, die estnische Flagge auf dem Botschaftsgelände heruntergerissen und Estland als „faschistisches Land“ bezeichnet wurde,

I.  in der Erwägung, dass systematische Angriffe im Internet hauptsächlich von außerhalb Estlands organisiert wurden, um die offiziellen Kommunikationskanäle und die Websites der estnischen Regierungsstellen und des Präsidentenamtes lahmzulegen, sowie in der Erwägung, dass nach wie vor intensive Propagandaattacken im Internet kursieren und in SMS-Nachrichten zu bewaffnetem Widerstand und zu weiterer Gewaltanwendung aufgerufen wird,

J.  in der Erwägung, dass ein paar Tage nach den Vorfällen in Tallinn umfassende Beschränkungen für estnische Exporte nach Russland eingeführt wurden, wobei die russischen Unternehmen Verträge mit estnischen Firmen ausgesetzt haben und die Energieversorgung Estlands gefährdet ist,

K.  in der Erwägung, dass die russischen Behörden, einschließlich der Delegation der Staatsduma, sich leider geweigert haben, in einen Dialog mit den estnischen Behörden einzutreten, und es sogar abgelehnt haben, an einer gemeinsamen Pressekonferenz im Außenministerium teilzunehmen,

L.  in der Erwägung, dass der Metropolit Kornelius der russisch-orthodoxen Kirche in Estland erklärt hat, es gebe keinen Grund für einen Konflikt der Volksgemeinschaften und er sehe auch keinen Grund, die Krawalle als Konflikt zwischen der estnischsprachigen und der russischsprachigen Bevölkerung darzustellen,

M.  in der Erwägung, dass nur ein geringer Teil der russischstämmigen Bevölkerung an den Demonstrationen und den Plünderungen teilgenommen hat, dass recht viele Polizisten russischer Abstammung ihre Aufgaben ausgezeichnet wahrgenommen haben, sowie in der Erwägung, dass die große Mehrheit aller Befragten das Verhalten der estnischen Regierung gebilligt hat,

N.  in der Erwägung, dass Estland als unabhängiger Mitgliedstaat der EU und der NATO das souveräne Recht hat, seine tragische jüngste Vergangenheit zu überdenken, angefangen mit dem Verlust der Unabhängigkeit infolge des Hitler-Stalin-Pakts von 1939, der dazu führte, dass das Land drei Jahre lang von Hitler besetzt und terrorisiert wurde und anschließend 48 Jahre lang unter der Besatzung und dem Terror der Sowjets gelitten hat,

O.  in der Erwägung, dass die sowjetische Besetzung und Annexion der baltischen Staaten von den Demokratien im Westen nie als rechtmäßig anerkannt wurde,

P.  in der Erwägung, dass das Europäische Parlament in seiner Entschließung vom 12. Mai 2005 zu dem Schluss gelangte, dass „das Ende des Zweiten Weltkriegs für einige Nationen eine erneute Diktatur, diesmal durch die stalinistische Sowjetunion bedeutete“, und die Tatsache begrüßte, „dass die mittel- und osteuropäischen Staaten und Völker nach so vielen Jahrzehnten unter sowjetischer Herrschaft oder Besatzung jetzt ebenfalls die Freiheit und das Recht haben, ihr Schicksal selbst zu bestimmen“,

Q.  in der Erwägung, dass die Russische Föderation als Rechtsnachfolgerin der Sowjetunion als einziger Staat immer noch leugnet, dass die baltischen Staaten der Sowjetunion unrechtmäßig einverleibt wurden,

R.  in der Erwägung, dass sich die Russische Föderation nach wie vor einer feindseligen Ausdrucksweise gegenüber der Estnischen Republik befleißigt,

1.  erklärt seine Solidarität mit der demokratisch gewählten estnischen Regierung und unterstützt sie in ihren Bemühungen, für alle Bürger Estlands Ordnung und Stabilität sowie Rechtsstaatlichkeit zu gewährleisten;

2.  ist der Auffassung, dass die gegen einen der kleinsten EU-Mitgliedstaaten gerichteten Angriffe einen Testfall für die Solidarität der Europäischen Union darstellen, und fordert den Rat und die Kommission auf, ihre Geschlossenheit mit Estland deutlich zum Ausdruck zu bringen;

3.  hält die verschiedenen Versuche der Einmischung in die inneren Angelegenheiten durch die russischen Behörden (z. B. die Forderung nach Rücktritt der estnischen Regierung) für unzulässig, und erinnert daran, dass gemäß den Übereinkommen von Helsinki kein Land das Recht hat, über das Schicksal eines anderen Landes zu entscheiden;

4.  ist alarmiert über den in skandalöser Weise unzureichenden Schutz der estnischen Botschaft in Moskau durch die russischen Behörden und über die tätlichen Angriffe auf den estnischen Botschafter durch die „Nashi-Demonstranten“; fordert die russische Regierung auf, das Wiener Übereinkommen über den Schutz von Diplomaten uneingeschränkt zu respektieren;

5.  verurteilt die Versuche Russlands, als Mittel der Außenpolitik wirtschaftlichen Druck auf Estland auszuüben, und fordert die russische Regierung auf, die Wirtschaftsbeziehungen zwischen den beiden Staaten wieder zu normalisieren;

6.  erinnert die russische Regierung daran, dass die Drohgebärden und die offen feindselige Ausdrucksweise der russischen Behörden gegenüber Estland in scharfem Kontrast zu den Grundsätzen des internationalen Verhaltens stehen und die Beziehungen zwischen der EU und Russland insgesamt dadurch Schaden nehmen werden;

7.  fordert die russische Regierung auf, mit den ost- und mitteleuropäischen Demokratien in einen offenen und unvoreingenommenen Dialog über die Geschichte des 20. Jahrhunderts sowie über die Verbrechen gegen die Menschlichkeit einzutreten, d. h. auch die Verbrechen zur Sprache zu bringen, die damals im Namen des totalitären Kommunismus begangen wurden;

8.  beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission sowie der Regierung und dem Parlament Estlands und der Regierung und dem Parlament der Russischen Föderation zu übermitteln.