ENTSCHLIESSUNGSANTRAG
21.5.2007
gemäß Artikel 103 Absatz 2 der Geschäftsordnung
von André Brie, Gabriele Zimmer, Pedro Guerreiro, Marco Rizzo und Miguel Portas
im Namen der GUE/NGL-Fraktion
zur Verlegung des Ehrenmals zum Gedenken an den Zweiten Weltkrieg in Tallinn und zu den Beziehungen zwischen Estland und Russland
B6‑0216/2007
Entschließung des Europäischen Parlaments zur Verlegung des Ehrenmals zum Gedenken an den Zweiten Weltkrieg in Tallinn und zu den Beziehungen zwischen Estland und Russland
Das Europäische Parlament,
– in Kenntnis des Berichts von Amnesty International vom 7. Dezember 2006 über Estland, in dem kritisiert wird, dass die russischsprachige Minderheit, die ein Drittel der estnischen Bevölkerung ausmacht, Minderheitenrechte nur in begrenztem Umfang genießt,
– in Kenntnis der abschließenden Bemerkungen des Ausschusses für die Beseitigung von Rassendiskriminierung vom 19. Oktober 2006 über Estland, in denen eine Reihe von Empfehlungen zur Beseitigung der Diskriminierung von Menschen, die einer Minderheit angehören, enthalten sind,
– in Kenntnis des Wiener Übereinkommens über die diplomatischen Beziehungen,
– gestützt auf Artikel 103 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass die Regierung Estlands beschlossen hat, ein sowjetisches Ehrenmal zum Gedenken an diejenigen, die im Kampf für die Befreiung vom Nazi-Regime gefallen sind, und das jahrzehntelang im Zentrum der estnischen Hauptstadt gestanden hat, auf einen Militärfriedhof umzusetzen,
B. in der Erwägung, dass dieser Beschluss getroffen wurde, ohne die Bürger von Tallinn angemessen zu konsultierten, so dass die Ansichten weiter Teile der Bevölkerung der Stadt nicht berücksichtigt wurden,
C. in der Erwägung, dass die estnischen Behörden friedliche Demonstrationen gegen die Umsetzung des Ehrenmals nicht zugelassen und dadurch zur Eskalation der Proteste beigetragen haben,
D. in der Erwägung, dass die estnische Polizei mit unverhältnismäßiger Gewalt gegen die Demonstranten vorging und die Anführer von Organisationen, die Widerstand gegen die Entfernung des Denkmals geleistet haben, verhaftet hat, was wiederum zu neuer Gewalt und neuen Spannungen in den Straßen der estnischen Städte geführt hat; in der Erwägung, dass es Berichte über Misshandlungen von Verhafteten gibt,
E. in der Erwägung, dass im Anschluss an die Vorfälle in Tallinn der normale Betrieb der estnischen Botschaft in Moskau blockiert wurde und mehrere Diplomaten, darunter auch der Leiter der Botschaft, sowie Diplomaten aus anderen EU-Mitgliedstaaten von den um die Botschaft versammelten Demonstranten tätlich angegriffen wurden; in der Erwägung, dass russische Politiker mit völlig überzogenen verbalen Angriffen und wirtschaftlichen Drohungen reagiert haben,
F. in der Erwägung, dass diese Vorfälle eine tiefe Krise in den Beziehungen zwischen Estland und Russland ausgelöst haben, was wiederum schwerwiegende Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen der EU und Russland hat,
1. verurteilt, dass die estnische Regierung das Ehrenmal zur Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg verlegt hat; ist der Ansicht, dass dieses Vorgehen der estnischen Regierung einen bedauernswerten Mangel an Sensibilität für die Schwere der Nazi-Verbrechen und einen nicht hinnehmbaren Mangel an Respekt für all diejenigen darstellt, die den Faschismus bekämpft haben;
2. ist besorgt darüber, dass die estnischen Behörden gleichzeitig Gleichgültigkeit gegenüber den Verbrechen zeigen, die von estnischen Nazi-Kollaborateuren begangen wurden, insbesondere was ihre Beteiligung an den Verbrechen an der jüdischen Bevölkerung betrifft, und ist ebenfalls besorgt darüber, dass es in jedem Jahr zu Demonstrationen neofaschistischer Organisationen kommt, die seit der Unabhängigkeit Estlands wieder auf den Plan getreten sind; hält es für dringend geboten, das Problem zu lösen, dass Tausende von Menschen in den baltischen Ländern nicht die Staatsangehörigkeit des Landes besitzen, in dem sie leben;
3. verurteilt die unverhältnismäßige Anwendung von Gewalt durch die estnische Polizei gegen friedliche Demonstranten; unterstreicht aber gleichzeitig, dass Ausschreitungen und Vandalismus nicht zu rechtfertigen sind; ist besorgt über die Verhaftung von Menschen, die gegen die Verlegung des Denkmals Widerstand geleistet haben; fordert, dass die gewalttätigen Vorfälle in Tallinn zügig, umfassend und von unabhängiger Seite untersucht werden;
4. ist äußerst besorgt über die Tatsache, dass die ständige Diskriminierung und Ausgrenzung der russischsprachigen Minderheiten in Estland und anderen baltischen Ländern sowie der fehlende Dialog zu tiefem Misstrauen und gefährlichen Spannungen zwischen der Bevölkerungsmehrheit und der russischsprachigen Minderheit in Estland und anderen baltischen Ländern geführt haben; fordert mit Nachdruck, dass für die russischsprachige Minderheit in den baltischen Ländern die in der Europäischen Union allgemein akzeptierten Minderheitenrechte gelten müssen; fordert die estnische Regierung auf, sich an die Empfehlungen zu halten, die in den abschließenden Bemerkungen des Ausschusses über die Beseitigung von Rassendiskriminierung vom 19. Oktober 2006 enthalten sind, um dieser untragbaren Situation ein Ende zu machen;
5. fordert eine konstruktive und umfassende Debatte über die historischen Ereignisse des letzten Jahrhunderts im Baltikum, an der alle Seiten teilnehmen sollten, um die Kluft innerhalb der Gesellschaft in den baltischen Staaten sowie die Kluft zwischen den baltischen Staaten und Russland zu überwinden;
6. bedauert die Reaktionen in Russland zutiefst, insbesondere den Verstoß gegen die Verpflichtungen, die sich aus dem Wiener Übereinkommen über die diplomatischen Beziehungen ergeben; fordert Russland auf, den Schutz ausländischer Diplomaten sowie ein normales Funktionieren ausländischer Botschaften zu gewährleisten; fordert alle Beteiligten auf, zur Deeskalation der Spannungen zwischen Estland und Russland sowie zur Normalisierung ihrer Beziehungen beizutragen;
7. unterstreicht, wie wichtig gutnachbarschaftliche Beziehungen zwischen den EU-Mitgliedstaaten und Russland, die beiden Seiten zum Vorteil gereichen, und stellt fest, dass sich die Beziehungen zwischen der EU und Russland in einer kritischen Phase befinden; fordert daher alle Partner zu konstruktiven und ergebnisorientierten Schritten auf;
8. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, den Regierungen und Parlamenten der EU-Mitgliedstaaten sowie der Regierung und dem Parlament der Russischen Föderation zu übermitteln.