Entschließungsantrag - B6-0289/2007Entschließungsantrag
B6-0289/2007

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

9.7.2007

mit Antrag auf Aufnahme in die Tagesordnung der Debatte über Fälle von Verletzung der Menschenrechte, der Demokratie oder der Rechtsstaatlichkeit
eingereicht gemäß Artikel 115 Absatz 5 der Geschäftsordnung
von Cem Özdemir, Jean Lambert und Gisela Kallenbach
im Namen der Verts/ALE-Fraktion
zu Pakistan

Verfahren : 2007/2603(RSP)
Werdegang im Plenum
Entwicklungsstadium in Bezug auf das Dokument :  
B6-0289/2007
Eingereichte Texte :
B6-0289/2007
Angenommene Texte :

B6‑0289/2007

Entschließung des Europäischen Parlaments zu Pakistan

Das Europäische Parlament,

–  unter Hinweis auf das Kooperationsabkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Islamischen Republik Pakistan über Partnerschaft und Entwicklung vom 24. November 2001 (auch als Kooperationsabkommen der dritten Generation bezeichnet), insbesondere auf Artikel 1 des Abkommens, in dem niedergelegt ist, dass die „Achtung der Menschenrechte und die Wahrung der Grundsätze der Demokratie“ [...] „wesentlicher Bestandteil dieses Abkommens“ sind,

–  unter Hinweis auf die Gemeinsame Erklärung EU-Pakistan vom 8. Februar 2007 zu dem Kooperationsabkommen aus dem Jahre 2004, in der sich beide Seiten verpflichten, einen umfassenden formalisierten politischen Dialog zu führen, der unter anderem die Terrorismusbekämpfung, die Bekämpfung der Proliferation, die Menschenrechte und die verantwortungsvolle Staatsführung einschließt,

–  unter Hinweis auf die für dieses Jahr angesetzten Parlaments-, Provinzparlaments- und Präsidentschaftswahlen,

–  unter Hinweis auf seine früheren Entschließungen zu den Menschenrechten und zur Demokratie in Pakistan, insbesondere diejenigen vom 10. Februar 2004 und vom 22. April 2004,

–  gestützt auf Artikel 115 seiner Geschäftsordnung,

A.   in der Erwägung, dass eine Reihe von Verfassungsänderungen, die unter der Regierung Musharraf durchgeführt wurden, das politische System in Pakistan erheblich verändert haben und das Regierungssystem erfolgreich von einem parlamentarischen in ein präsidentielles System überführt haben, in dem der Präsident über die Macht verfügt, das Parlament zu überstimmen oder aufzulösen,

B.  in der Erwägung, dass General Musharraf im Jahre 1999 den Notstand ausrief und das Parlament durch einen Militärputsch auflöste,

C.  in der Erwägung, dass Musharraf im April 2002 durch ein verfassungswidriges Referendum zum Staatspräsidenten gewählt wurde und sich daran Wahlen zur Nationalversammlung und zu den Provinzparlamenten anschlossen, die von Unregelmäßigkeiten begleitet waren,

D.  in der Erwägung, dass die Sondergenehmigung, die das derzeitige Parlament Staatspräsident unter Verstoß gegen die Verfassung von 1973 erteilte, womit es ihm ermöglicht wurde, das Amt des Oberbefehlshabers über die Armee weiterhin auszuüben, im Dezember 2007 ausläuft,

E.  in der Erwägung, dass das Militär und der Geheimdienst weiterhin einen starken Einfluss auf die Politik, die Regierung und die Wirtschaft Pakistans ausüben, eine Situation, die dem Grundsatz des Fahrplans für eine Wiederherstellung der Demokratie zuwiderläuft, in dem vorgesehen war, dass die Macht vom Militär zurück auf die Zivilregierung übertragen würde,

F.  in der Erwägung, dass die jüngsten Ereignisse, einschließlich der Absetzung des Obersten Richters von Pakistan am 9. März aufgrund des bislang unbewiesenen Vorwurfs des Fehlverhaltens und der andauernden Proteste der Öffentlichkeit, die durch diese Maßnahme ausgelöst wurden, die Dringlichkeit erhöht haben, die Themen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Pakistan anzugehen,

G.  in der Erwägung, dass die kürzliche Besetzung der Roten Moschee in Karatschi, in der religiöse Extremisten offenbar mehrere Hundert, vorwiegend Koranschülerinnen als Geiseln genommen haben, bereits zahlreiche Todesopfer gefordert hat und eine klare Machtdemonstration der radikalislamischen Bewegung ist, auf die Staatspräsident Musharraf nicht schnell und entschieden reagiert hat; unterstreicht den großen Einfluss der Madrassas, die sich in den letzten Jahren zum Nachteil des öffentlichen Schulsystems exponentiell ausgebreitet haben,

H.  in der Erwägung, dass unter Verstoß gegen das Urteil des Obersten Gerichtshofs von 1999, wonach die Grundrechte und politischen Freiheiten auf die nördlichen Landesteile ausgedehnt werden sollten, diese Landesteile weiterhin durch Verfügungen aus Islamabad von einem nicht gewählten leitenden Mitarbeiter der Exekutive regiert werden; in der Erwägung, dass das Bündnis zwischen Militär und sunnitischen Islamisten die gemäßigten Kräfte in der Region noch weiter geschwächt hat,

I.  in der Erwägung, dass sich die pakistanische Regierung durch eine Vereinbarung mit den örtlichen, den Taliban nahe stehenden militanten Gruppen im April 2004 bzw. im September 2006 damit einverstanden erklärte, ihre Armee aus dem Gebiet zurückzuziehen und Waziristan der Kontrolle örtlicher Extremisten und militanter Gruppen zu unterstellen,

J.  in der Erwägung, dass die Europäische Union Pakistan beträchtliche Mittel zur Linderung der Armut und zur Entwicklung des Sozialbereichs bereitstellt,

1.  bringt seine tiefe Besorgnis über die anhaltende Besetzung der Roten Moschee zum Ausdruck; fordert die Behörden auf, alles in ihrer Macht Stehende zu unternehmen, um das Leben der Geiseln zu retten; fordert die pakistanische Regierung nachdrücklich auf, endgültig die dringend erforderliche radikale Reformierung ihres Schulsystems in Angriff zu nehmen, um sicherzustellen, dass die pakistanische Jugend in den Genuss einer freien und qualifizierten weltlichen Schulbildung kommt;

2.  fordert die pakistanische Regierung eindringlich zur Wiederherstellung einer demokratischen Regierung auf, indem freie, faire und demokratische Wahlen bis zum Ende des Jahres abgehalten werden; warnt vor der Verhängung des Notstands oder anderer Maßnahmen, mit denen die Rede-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit oder die Freizügigkeit unterdrückt werden;

3.  ermutigt Staatspräsident Musharraf, die Verfassung einzuhalten, indem er es den neuen Versammlungen gestattet, Präsidentschaftswahlen abzuhalten, und indem er sein Amt des Oberbefehlshabers der Armee niederlegt;

4.  fordert die pakistanische Armee eindringlich auf, eine Rückkehr zur Demokratie durch freie und faire Wahlen zuzulassen und unter anderem im Exil lebenden politischen Führern die Möglichkeit zu bieten, nach Pakistan zurückzukehren; fordert, dass Maßnahmen ergriffen werden, um den Einfluss des Militärs und anderer bewaffneter Gruppen auf die politischen Prozesse zu begrenzen;

5.  begrüßt die Tatsache, dass die EU die Parlamentswahlen in Pakistan beobachten wird und dass das Europäische Parlament an der Beobachtermission beteiligt sein wird; ist jedoch besorgt über einige Aspekte im Vorfeld dieser Wahlen, insbesondere über

  • -die Neutralität der geschäftsführenden Regierung, die drei Monate vor den Wahlen gebildet und von Staatspräsident Musharraf ernannt werden wird;
  • -den Umstand, dass ein Bachelor-Abschluss als Vorbedingung für die Kandidatur erforderlich ist, wodurch 70 % der pakistanischen Frauen daran gehindert werden, sich bei den Wahlen als Kandidatinnen aufstellen zu lassen; ferner ist nicht hinnehmbar, dass ein Madrassa-Abschluss als gleichwertig mit einem Bachelor-Abschluss betrachtet werden sollte;
  • -die mangelnde Legitimität des künftigen pakistanischen Staatspräsidenten, wenn dieser von der scheidenden Versammlung gewählt werden soll;

6.  fordert den Rat und die Kommission auf, Staatspräsident Musharraf unmissverständlich klar zu machen, dass ein Übergang zur Demokratie der einzige Ausweg aus der derzeitigen Krise darstellt;

7.   fordert den Rat und die Kommission eindringlich auf, eine entschiedene Haltung in Bezug auf die Einhaltung der Demokratie- und Menschenrechtsklausel in ihren Abkommen mit Pakistan einzunehmen; fordert einen intensiven politischen Dialog über Menschenrechte und verantwortungsvolle Staatsführung;

8.  fordert die pakistanische Regierung auf, sich damit einverstanden zu erklären, dass die EU-Hilfe schwerpunktmäßig für die Verbesserung des öffentlichen Schulsystems und für wirtschaftliche Investitionen in den Stammesgebieten Pakistans eingesetzt wird;

9.  fordert die Stärkung demokratischer Institutionen und die Rückkehr zur Zivilherrschaft in Pakistan im Einklang mit den von Staatspräsident Musharraf früher eingegangen Verpflichtungen;

10.  ist tief besorgt über die Absetzung des Obersten Richters des Obersten Gerichtshofs wegen angeblichen Fehlverhaltens, was gemeinhin als ein Versuch der Regierung betrachtet wurde, in einem Wahljahr die Kontrolle über die Justiz zu bewahren; fordert eine unabhängige Justiz und die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit; fordert die Regierung Pakistans nachdrücklich auf, angemessene Schritte zu unternehmen, um die derzeit negative Entwicklung auf diesem Gebiet umzukehren, und von jeglicher politischen Einmischung in diese Sache, die gegenwärtig vor dem Obersten Gerichtshof verhandelt wird, abzusehen;

11.   bedauert außerordentlich, dass während der Demonstrationen am 12. Mai 2007 in Karatschi 41 Zivilisten den Tod fanden; verurteilt den Einsatz von Gewalt für politische Ziele, sei es durch mit der Regierung verbündete Kräfte, sei es durch Mitglieder der Oppositionsparteien;

12.   verurteilt alle Versuche der Regierung, die Freiheit der Medien durch Änderungen der Rundfunklizenzen, durch die Einschränkung der Direktübertragung von Veranstaltungen im Freien und durch den Erlass von Richtlinien der Regierung für Vereinigungen der Medien und der Rundfunkanstalten zu kontrollieren; verurteilt jede Form von Drohungen, von Zwang und von Einschüchterung von Journalisten und Rundfunkveranstaltern;

13.  ist besorgt angesichts der zahlreichen gut dokumentierten Fälle vermisster mutmaßlicher Terroristen, Journalisten, Studenten, Mitglieder belutschischer nationalistischer Bewegungen oder sonstiger politischer Aktivisten; betont nachdrücklich, dass Entführungen, außergerichtliche Tötungen und Inhaftierungen ohne Verfahren gegen die Grundsätze des Völkerrechts, einschließlich des Rechts auf Leben und des Rechts auf ein faires Verfahren, verstoßen;

14.  stellt mit Besorgnis fest, dass weiterhin Berichte über Repressionen gegen religiöse Minderheiten vorgelegt werden, wie etwa über die zwangsweise Vertreibung christlicher Bauern im Punjab;

15.  ist besorgt darüber, dass Staatspräsident Musharraf sich zwar zur Bekämpfung des Terrorismus und des Extremismus auf internationaler Ebene verpflichtet hat, dass jedoch die innerpolitischen Bündnisse, die zwischen der Regierung, dem Militär und religiösen Fundamentalisten bestehen, die Fähigkeit der Regierung, Fragen des Extremismus und des Fundamentalismus anzugehen, behindern könnten;

16.   ist besorgt angesichts der zunehmenden Instabilität und Ausbreitung von Gewalt im Zusammenhang mit Aufständen in den Stammesgebieten und insbesondere in Waziristan; und stellt insbesondere fest, dass immer mehr Selbstmordanschläge verübt werden, unter anderem der versuchte Anschlag auf den Innenminister am 28. April in Peschawar;

17.  bringt seine Besorgnis darüber zum Ausdruck, dass die Vereinbarungen über Waziristan repressiven Strukturen und militantem Vorgehen weitere Nahrung geben werden, und fordert die künftige pakistanische Regierung auf, alles in ihrer Macht Stehende zu unternehmen, um die Lage durch die Förderung der Rechtsstaatlichkeit und die Ausweitung von Bürgerrechten und politischen Rechten in diesem Gebiet zu wenden;

18.  fordert einen verstärkten Dialog zwischen den politischen Führern auf örtlicher Ebene und Provinzebene über die Möglichkeit einer größeren Autonomie der Provinzen oder einer stärkeren Vertretung der Interessen der Provinzen auf nationaler Ebene; verurteilt die repressiven Maßnahmen der Regierung in Belutschistan, wo es anhaltende Forderungen nach einer größeren Autonomie der Provinz und einer verstärkten regionalen Kontrolle über die erheblichen natürlichen Ressourcen in diesem Gebiet gibt;

19.  fordert die Regierung auf, die Empfehlungen des Obersten Gerichtshofs Pakistans durchzuführen und die Grundrechte und die politischen Freiheiten auf die nördlichen Landesteile auszudehnen;

20.   beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, den Regierungen der Mitgliedstaaten und der Regierung Pakistans zu übermitteln.