Entschließungsantrag - B6-0073/2008Entschließungsantrag
B6-0073/2008

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

13.2.2008

eingereicht im Anschluss an Erklärungen des Rates und der Kommission
gemäß Artikel 103 Absatz 2 der Geschäftsordnung
von Francis Wurtz, Ilda Figueiredo, Helmuth Markov, Gabriele Zimmer, Eva-Britt Svensson, Esko Seppänen und Roberto Musacchio
im Namen der GUE/NGL-Fraktion
zum Beitrag zur Frühjahrstagung des Europäischen Rates 2008 mit Blick auf die Lissabon-Strategie

Werdegang im Plenum
Entwicklungsstadium in Bezug auf das Dokument :  
B6-0073/2008

B6‑0073/2008

Entschließung des Europäischen Parlaments zum Beitrag zur Frühjahrstagung des Europäischen Rates 2008 mit Blick auf die Lissabon-Strategie

Das Europäische Parlament,

–  unter Hinweis auf die Mitteilung der Kommission vom 20. Juli 2005 mit dem Titel „Gemeinsame Maßnahmen für Wachstum und Beschäftigung: Das Lissabon-Programm der Gemeinschaft“ (KOM(2005)0330),

–  unter Hinweis auf die 27 nationalen Reformprogramme im Rahmen der Lissabon-Strategie, die von den Mitgliedstaaten vorgelegt wurden,

–  unter Hinweis auf die Umsetzung des von der Kommission vorgelegten Lissabon-Programms der Gemeinschaft im Jahr 2007,

–  unter Hinweis auf die im November 2007 veröffentlichten Wirtschaftsprognosen der Kommission für den Herbst 2007,

–  unter Hinweis auf das Mitteilungspaket der Kommission vom 11. Dezember 2007 mit dem Titel „Strategischer Bericht über die überarbeitete Strategie von Lissabon für Wachstum und Beschäftigung: Eintritt in den neuen Programmzyklus (2008-2010) (KOM(2007)0803) und den „Vorschlag für ein Lissabonner Programm der Gemeinschaft für den Zeitraum 2008-2010“ (KOM(2007)0804),

–  in Kenntnis der Schlussfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rats von Lissabon vom 23. und 24. März 2000, des Europäischen Rats von Stockholm vom 23. und 24. März 2001, des Europäischen Rats von Barcelona vom 15. und 16. März 2002 und des Europäischen Rats von Brüssel vom 22. und 23. März 2005, 15. und 16. Dezember 2005, 23. und 24. März 2006 und 8. und 9. März 2007,

–  unter Hinweis auf seine Entschließungen vom 9. März 2005, 15. März 2006 und 14. Februar 2007 zur Halbzeitprüfung der Lissabon-Strategie,

–  unter Hinweis auf den von der GUE/NGL-Fraktion eingereichten Entschließungsantrag vom Februar 2007 zu dem Beitrag zur Frühjahrstagung 2007 des Europäischen Rates im Hinblick auf die Lissabon-Strategie,

–  gestützt auf Artikel 103 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,

A.  in der Erwägung, dass der Europäische Rat bei seiner Tagung vom März 2000 sowie im Jahr 2005 folgende Ziele festgelegt hat, die bis 2010 verwirklicht sein sollen: ein durchschnittliches Wirtschaftswachstum von 3%, Vollbeschäftigung, Verringerung von Armut und Ungleichheiten sowie globale F&E-Ausgaben in Höhe von 3% des BIP,

B.   in der Erwägung, dass es acht Jahre nach der Umsetzung der Lissabon-Strategie an der Zeit ist, deren Auswirkungen auf das wirtschaftliche und soziale Leben der Bürger eingehend und umfassend zu analysieren,

Die Lissabon-Strategie - und was davon wirklich erreicht wurde

1.  betont, dass die Lissabon-Strategie zu Beginn des letzten Programmzyklus 2008-2010 ihre erklärten Ziele in Bezug auf ein durchschnittliches Wirtschaftswachstum von 3 %, globale F&E-Ausgaben in Höhe von 3 % des BIP und die Verringerung von Armut mit Blick auf ihre vollständige Beseitigung nicht erreicht hat;

2.  stellt fest, dass das durchschnittliche Wirtschaftswachstum in der EU-15 sich in den letzten Jahrzehnten verlangsamt hat; stellt fest, dass die Kommission ihre Prognosen vor kurzem revidiert hat und diese auf eine weitere Verlangsamung des Wirtschaftswachstums schließen lassen; weist darauf hin, dass das durchschnittliche Wachstum in der EU-27 zwischen 2000 und 2006 auf 1,6 % (1,3 % in der EU-15) im Vergleich zu durchschnittlich 2,9 % bzw. 2,8 % während des Zeitraums 1996-2000 zurückgegangen ist;

3.  stellt fest, dass nach wie vor regionale Ungleichgewichte sowie wirtschaftliche und soziale Ungleichheiten zwischen den Mitgliedstaaten und innerhalb der Mitgliedstaaten bestehen und sich in manchen Fällen noch verschärfen; weist darauf hin, dass es gegenwärtig Länder und Regionen gibt, die immer stärker vom EU-Durchschnitt abweichen, anstatt sich diesem Durchschnitt anzunähern;

4.  stellt fest, dass die Zahl der Arbeitslosen in der EU zwischen 2000 und 2005 um eine Million gestiegen ist und im Jahr 2006 mehr als 18 Millionen Menschen in der EU arbeitslos waren; stellt fest, dass die Beschäftigungszahlen im Durchschnitt nur langsam wachsen und dieser Anstieg nicht ausreicht, um bis 2010 das Ziel einer Beschäftigungsquote von 70 % zu erreichen; macht insbesondere darauf aufmerksam, dass das Wachstum der Beschäftigungszahlen im letzten Jahrzehnt vor allem auf die Zunahme unsicherer Arbeitsverhältnisse zurückzuführen ist, wobei Teilzeitstellen mehr als die Hälfte des gesamten Anstiegs ausmachen;

5.  stellt mit Besorgnis fest, dass die Unterschiede zwischen Männern und Frauen am Arbeitsmarkt nach wie vor erheblich sind, da die Arbeitslosenquote bei Frauen immer noch inakzeptabel höher ist als die Arbeitslosenquote insgesamt und bei Männern; hält es für nicht hinnehmbar, dass sich die geschlechtsspezifische Kluft bei den Gehältern seit 2003 nicht verringert hat, da Frauen nach wie vor durchschnittlich etwa 15 % weniger verdienen als Männer (im Privatsektor ca. 25 % und in der Industrie 30 % weniger) und dass die Gleichstellung von Männern und Frauen im Beruf noch immer nicht verwirklicht wurde;

6.  betont, dass die Jugendarbeitslosigkeit, die derzeit bei 18 % liegt, nach wie vor ein erhebliches Problem ist und in den letzten 25 Jahren keine echten Fortschritte bei ihrer Verringerung erzielt wurden; nimmt zur Kenntnis, dass die Einschätzung der Kommission nach zehn Jahren Europäischer Beschäftigungsstrategie lautet, für Jugendliche sei die Wahrscheinlichkeit, arbeitslos zu werden, mehr als doppelt so hoch ist wie für junge Erwachsene;

7.  weist darauf hin, dass die Einkommensunterschiede seit 2000 zugenommen haben, da der Abstand zwischen den 20 % Reichsten und den 20 % Ärmsten von 4,5:1 auf 4,8:1 im Jahr 2006 gestiegen ist, was eine erhebliche Zunahme der Konzentration des Reichtums in der EU widerspiegelt;

8.  hält es für nicht hinnehmbar, dass soziale Ungleichheiten und Armut in der EU zunehmen und 78 Millionen Menschen in Armut leben oder von Armut bedroht sind, wobei es sich bei den meisten von ihnen um Frauen und Kinder handelt; betont, dass Menschen, die trotz Beschäftigung arm sind, mehr als ein Drittel der von Armut bedrohten Personen in der EU ausmachen;

9.  weist darauf hin, dass der Prozentsatz des BIP, der in Forschung und Entwicklung investiert wird, zwischen 2000 und 2005 stagnierte und 2005 1,9 % in der EU-15 und 1,4 % in der EU-25 betrug, was weit vom Ziel der EU von 3 % des BIP bis 2010 entfernt ist;

Die Lissabon-Strategie – der Widerspruch zwischen den erklärten Zielen und der neoliberalen Politik

10.  macht auf den Widerspruch zwischen den so genannten "Lissabon-Zielen" – d. h. Europa zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum in der Welt zu machen, einem Wirtschaftsraum, der fähig ist, ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum mit mehr und besseren Arbeitsplätzen und einem größeren sozialen Zusammenhalt zustande zu bringen – und der Tatsache, dass gleichzeitig eine neoliberale Politik verfolgt wird, aufmerksam;

11.  bedauert, dass es die Kommission in ihrer Mitteilung für die Frühjahrstagung des Rates 2008 versäumt hat, auf die weitgehenden sozialen und wirtschaftlichen Konsequenzen der seit acht Jahren verfolgten Strategie von Lissabon einzugehen;

12.  bedauert, dass die Kommission stattdessen auf eine Vertiefung ihres neoliberalen Programms mit weiteren Liberalisierungen, zunehmender Unsicherheit und Förderung der „Externalisierung“ der Agenda von Lissabon drängt;

13.  stellt fest, dass die EU seit 2000 mit langsamem Wirtschafts- und Beschäftigungswachstum, einer Umschichtung der Produktivitätsgewinne von Arbeitnehmern auf Aktionäre, anhaltend hohen Arbeitslosigkeits- und Armutsquoten, sozialer Ausgrenzung, unsicheren Arbeitsplätzen und ungleicher Einkommensverteilung zu kämpfen hat;

14.  bekräftigt, dass die vom Europäischen Rat (mit klarer Unterstützung der wichtigsten europäischen Arbeitgeberorganisationen) im März 2000 und 2005 festgelegte Lissabon-Strategie in der EU als wichtigstes Instrument zur Förderung der Liberalisierung und Privatisierung öffentlicher Einrichtungen und Dienstleistungen, der Flexibilität und Anpassungsfähigkeit der Arbeitsmärkte, der Lohnzurückhaltung und der Öffnung der meisten Sozialversicherungssysteme, einschließlich der Renten- und Gesundheitssysteme, für private Anbieter fungierte;

15.  bedauert, dass durch die so genannte Wiederbelebung der Lissabon-Strategie im Jahr 2005 der neoliberale Inhalt noch stärker in den Vordergrund gerückt wurde, und weist darauf hin, dass dieser Inhalt seinen Niederschlag in den konkreten nationalen Reformprogrammen aller Mitgliedstaaten gefunden hat, was nichts anderes heißt, als dass die soziale Dimension gefährdet wird und die wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Probleme, denen sich die einzelnen Mitgliedstaaten der EU gegenübersehen, außer Acht gelassen werden;

16.  betont, dass das Lissabon-Programm der Gemeinschaft und die nationalen Reformprogramme im Rahmen der revidierten Lissabon-Strategie ein Instrument darstellen, um auf nationaler Ebene eine Rechtfertigung für ähnliche Strukturreformen in allen Mitgliedstaaten zu liefern und diese voranzutreiben, was insbesondere für den Arbeitsmarkt und den Bereich der sozialen Sicherheit gilt und erhebliche wirtschaftliche und soziale Konsequenzen nach sich ziehen wird, die durch die integrierten Leitlinien und den Stabilitäts- und Wachstumspakt noch weiter verstärkt werden; ist der Auffassung, dass diese Reformen die Rechte von Arbeitnehmern, Rentnern, Nutzern öffentlicher Einrichtungen und Verbrauchern aushöhlen;

17.  unterstreicht, dass die anhaltende Liberalisierung der Märkte und die Privatisierung öffentlicher Unternehmen keine erkennbaren Vorteile in Bezug auf Preise, Dienstleistungsqualität oder die Senkung der öffentlichen Ausgaben bringt; stellt fest, dass Verbraucherorganisationen und Verbände der Nutzer öffentlicher Dienstleistungen ganz im Gegenteil auf Preissteigerungen, sinkende Dienstleistungsqualität und die Erhöhung der Bereitstellungskosten hinweisen; stellt außerdem fest, dass die Liberalisierung dazu beigetragen hat, dass Arbeitsplätze in den betroffenen Sektoren verloren gingen und private Monopole geschaffen wurden, die die Rechte der Arbeitnehmer, der Nutzer öffentlicher Dienstleistungen und der Verbraucher aushöhlen;

18.  lehnt deshalb die Liberalisierung des öffentlichen Verkehrswesens sowie der Energie- und Kommunikationssysteme ab, insbesondere die jüngsten Vereinbarungen über die Liberalisierung der Personenbeförderung im internationalen Schienenverkehr und der Postdienste;

19.  erkennt die Bedeutung der öffentlichen Dienstleistungen für die Förderung des sozialen, wirtschaftlichen und territorialen Zusammenhalts in der EU an; betont, dass öffentliche Strukturbereiche nicht dem Wettbewerb ausgesetzt, sondern vielmehr im Besitz der staatlichen Behörden sein und von diesen verwaltet werden sollten, da dies die einzige Möglichkeit ist, die Qualität, Verfügbarkeit und Erschwinglichkeit des angebotenen Dienstes zu gewährleisten und so die Rechte der Nutzer sicherzustellen;

20.  betont, dass die Europäische Beschäftigungsstrategie die Instrumente für die Deregulierung der Arbeitsmärkte, den Übergang von sicheren zu unsicheren Arbeitsplätzen und die Schwächung der Rechte der Arbeitnehmer und der Kollektivverhandlungen bereitgestellt hat, da sie die Beschäftigungsfähigkeit und Anpassungsfähigkeit der Arbeitnehmer propagiert;

21.  ist der Ansicht, dass die jüngsten Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in den Rechtssachen Vaxholm-Laval und Viking Line beweisen, wohin die Ausrichtung der derzeitigen Verträge führt, die im Vertrag von Lissabon beibehalten wird; bedauert zutiefst, dass der EuGH die Wettbewerbsregeln in der EU vor allen anderen Belangen in den Mittelpunkt stellt und so Sozialdumping und die Aushöhlung der Arbeitnehmerrechte legitimiert;

22.  widersetzt sich ganz entschieden dem neuen Konzept der "Flexicurity" und dem Versuch, sie zum allumfassenden Ansatz für den nächsten Dreijahreszyklus der Europäischen Beschäftigungsstrategie und der Integrierten Leitlinien für Wachstum und Beschäftigung zu machen;

23.  ist der Ansicht, dass dieses Konzept die Liberalisierung von Entlassungen, die Anpassung der Beschäftigtenzahl (und der Gehälter) an die Konjunkturentwicklung, wobei die Arbeitsämter der Mitgliedstaaten die Kosten für die Umschulung und Vermittlung der Arbeitnehmer tragen, und die Deregulierung der Arbeitsverträge fördert und so den sozialen Zusammenhalt und die Qualität der Arbeit gefährdet; warnt davor, dass sich hinter dieser Strategie auch das Ziel verbirgt, die Arbeitslosenversicherungssysteme in Richtung sinkender Leistungen und kürzerer Bezugsdauer umzugestalten;

24.  macht auf die nach wir vor hohe Schulabbruchquote insbesondere in einigen Mitgliedstaaten aufmerksam;

25.  ist der Ansicht, dass im Hinblick darauf, dass die EU zur wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaft der Welt gemacht werden soll, in der derzeitigen Bildungspolitik, die Investitionen in Forschung und Entwicklung und in die Ausbildung von den Launen des freien Marktes abhängig macht und damit den Warencharakter von Wissen, Bildung und Forschung (Bologna-Prozess) rechtfertigt, unbedingt eine Zäsur stattfinden muss;

26.  verweist auf die restriktive Ausrichtung der Geld- und Finanzpolitik in der EU mit ihrem allumfassenden Ziel der Preisstabilität und der Haushaltskonsolidierung im Einklang mit dem Stabilitäts- und Wachstumspakt; betont, dass der Prozess der Nominal-Konvergenz zum Euro und die anschließenden Ereignisse negative Auswirkungen auf das Wirtschafts- und Beschäftigungswachstum, den sozialen und wirtschaftlichen Zusammenhalt und die tatsächliche Konvergenz zwischen den Mitgliedstaaten der Union sowie auf die öffentlichen Investitionen hatten und die derzeitige schwache wirtschaftliche Erholung und die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit gefährden;

27.  weist auf den jüngsten Einbruch der Finanzmärkte hin, der zunehmend nicht nur die USA, sondern auch die EU und andere Volkswirtschaften schwer in Mitleidenschaft zieht; unterstreicht die wachsende Gefahr von Finanzkrisen infolge der Deregulierung der Kapitalmärkte und ihrer weltweit zunehmenden Volatilität verbunden mit einem Anstieg riskanter Wirtschaftsaktivitäten, die einem Glückspiel im Kasino ähneln, die eine ständige Gefahr für die Realwirtschaft darstellen; lehnt die im Aktionsplan für Finanzdienstleistungen im Rahmen der Lissabon-Strategie vorgesehene Deregulierung ab;

28.  macht auf die Folgen der geldpolitischen Ausrichtung der Europäischen Zentralbank und ihre hartnäckige Forderung aufmerksam, der Preisstabilität Vorrang einzuräumen, während das Federal Reserve System seine Zinssätze senkt und sogar der Internationale Währungsfonds vor dieser Situation warnt;

29.  macht auf die außenpolitische Agenda der EU aufmerksam, die sich durch eine zunehmend aggressive Außenhandels- und Investitionspolitik und die neoliberale Neugestaltung der Beziehungen zu weniger entwickelten Ländern auszeichnet;

30.  lehnt die Förderung der so genannten Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit Drittstaaten durch die EU entschieden ab, da sie diesen Staaten die Liberalisierung ihrer öffentlichen Dienste und Einrichtungen vorschreiben und die Öffnung der Märkte für europäische Unternehmen sicherstellen, um den Stillstand in der Doha-Runde zu überwinden;

31.  bedauert, dass die EU einen Haushaltsplan für 2008 angenommen hat, der auf den Prioritäten der nicht ratifizierten Europäischen Verfassung bzw. dem jetzt als "Vertrag von Lissabon" bezeichneten Entwurf beruht, d. h. auf Wettbewerb und Wettbewerbsfähigkeit sowie Sicherheit und Militarisierung, anstatt den sozialen, wirtschaftlichen und umweltpolitischen Herausforderungen einer erweiterten EU und den Erfordernissen der Kohäsion Rechnung zu tragen;

Zeit für den Wandel – eine neue "Strategie für Solidarität und nachhaltige Entwicklung"

32.  fordert den Rat auf, sich für einen echten Wandel zu engagieren und sich auf die Sicherung von Wohlstand und eines akzeptablen Lebensstandards für die Bürger, die Bekämpfung der Armut und die Förderung des sozialen und wirtschaftlichen Zusammenhalts sowie des nachhaltigen Einsatzes der Ressourcen zu konzentrieren;

33.  betont, dass eine neue Strategie vonnöten ist, um Europa eine neue Dynamik zu verleihen: eine Dynamik der Vollbeschäftigung mit menschenwürdigen Arbeitsplätzen, die mit Rechten verbunden sind, der besseren Löhne, des sozialen und wirtschaftlichen Zusammenhalts sowie des sozialen Schutzes für alle, die den höchsten Lebensstandard gewährleistet; eine Dynamik, die den Entwicklungsbedürfnissen jedes Mitgliedstaats und besonders der wirtschaftlich schwächeren Mitgliedstaaten Rechnung trägt, echte Konvergenz fördert und dazu beiträgt, das Entwicklungsgefälle zwischen den Mitgliedstaaten und die bestehenden wirtschaftlichen, sozialen und regionalen Ungleichheiten zu verringern;

34.  fordert daher, dass die Lissabon-Strategie durch eine „Europäische Strategie für Solidarität und nachhaltige Entwicklung“ ersetzt wird, die auf den vorgenannten Grundsätzen basiert und ein neues Paket von wirtschafts-, sozial- und umweltpolitischen Maßnahmen vorsieht, die Investitionen in folgende Bereiche fördern:

  • (i)Qualität der Arbeit unter all ihren Aspekten (Löhne, Stabilität, Arbeitsbedingungen und Fortbildung) und Verbesserung der Qualifikationen, um so zu erreichen, dass die Arbeitnehmerschaft hervorragend ausgebildet und qualifiziert ist,
  • (ii)Basisinfrastrukturen und Infrastrukturen, die die Industrietätigkeit fördern,

   (iii)   öffentliche Dienstleistungen, um deren Qualität zu verbessern,

  • (iv)eine starke Kohäsionspolitik, um den sozialen und wirtschaftlichen Zusammenhalt zu fördern,
  • (v)Umweltschutz und Ökotechnologien,
  • (vi)Verbesserung der Arbeits-, Sozial-, Umwelt- und Sicherheitsstandards, um eine Harmonisierung auf höchstem Niveau zu ermöglichen,

   (vii)   Sozialwirtschaft,

   (viii)   sozialer Schutz, um die Armut zu beseitigen und die soziale Ausgrenzung zu bekämpfen,

  • (ix)(öffentliche) Forschung und Innovation, die allen nutzt,
  • (x)die Förderung von Kultur, Sport und Bürgerbeteiligung,
  • (xi)die schrittweise „Entmaterialisierung“ der Wirtschaft;

35.  fordert nachdrücklich die Aufhebung des Stabilitäts- und Wachstumspakts bei gleichzeitiger Schaffung eines Beschäftigungs- und Wachstumspakts, der öffentliche Investitionen fördert, ihre Wirksamkeit verbessert und in dem spezifische wirtschaftliche, soziale und ökologische Kriterien festgelegt werden, die auf die besonderen Erfordernisse der einzelnen Mitgliedstaaten zugeschnitten sind, und dessen Hauptziel der Abbau der Arbeitslosigkeit ist;

36.  hält es für unbedingt notwendig, die Entwicklung der benachteiligten Regionen, der strukturell dauerhaft benachteiligten Gebiete, der Regionen in äußerster Randlage und der von Industrieabbau oder jüngsten industriellen Umstrukturierungen betroffenen Gebiete zu unterstützen, um den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt und die soziale Integration der Frauen in diesen Gebieten und Regionen zu fördern;

37.  betont, dass der Staat bei der Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung, der Unterstützung für Produktionsinvestitionen, der Schaffung von Arbeitsplätzen, die mit Rechten verbunden sind, der Ankurbelung der Exporte sowie der Unterstützung von Kleinunternehmen und KMU, Genossenschaften und Familien eine wichtige Rolle spielt;

38.  fordert mit Nachdruck, dass die Rolle des Staates in den Bereichen Regulierung, Teilnahme und Intervention am Markt und im Bereich eines verbesserten Regelungsrahmens insbesondere für die Kapitalmärkte gestärkt wird;

39.  fordert, dass in der EU im Hinblick auf die größere Volatilität und Instabilität der Finanzmärkte, der Gefährdung der Realwirtschaft durch Spekulation und der Notwendigkeit, neue Quellen für Steuereinnahmen zu erschließen, eine Steuer auf Kapitalbewegungen eingeführt wird, damit ein ausgewogenes Verhältnis zwischen der Besteuerung von Arbeit und Kapital gefunden wird;

40.  verweist auf das Problem der Steuerhinterziehung und der Aushöhlung der Steuerbasis und die daraus entstehenden Einnahmenverluste und Folgen für die nationalen Haushalte; fordert eine feste Zusage der Mitgliedstaaten, Steueroasen und Offshore-Tätigkeiten in der EU bis 2010 abzuschaffen, und fordert den Rat, die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, sich energisch für die weltweite Abschaffung von Steueroasen und Offshore-Tätigkeiten einzusetzen;

41.  verweist auf die zunehmende externe Abhängigkeit der EU, die sich unmittelbar aus der kontinuierlichen Entindustrialisierung und der Verlagerung der Produktion in Drittstaaten ergibt;

42.  fordert eine neue Politik der Industrieinvestitionen, die sich die natürlichen Ressourcen und die Produktionskapazität in jedem Mitgliedstaat zunutze macht;

43.  wiederholt seine Forderung nach der Schaffung eines Regelungsrahmens auf Unionsebene, um die Ver- bzw. Auslagerung von Unternehmen innerhalb und außerhalb der EU zu sanktionieren; ist der Ansicht, dass die Gewährung öffentlicher Beihilfen für Unternehmen auf nationaler und EU-Ebene an langfristige Zusagen der Unternehmen im Bereich der regionalen Entwicklung und der Beschäftigung geknüpft werden sollte und dass keine Hilfe gewährt werden darf, die Standortverlagerungen Vorschub leisten würde;

44.  nimmt die Absicht zur Kenntnis, die Richtlinie über die Einsetzung eines Europäischen Betriebsrats (94/45/EG) zu überarbeiten; fordert die Kommission und den Rat auf, die Entschließung des Parlaments vom 17. Januar 2007 gebührend zu berücksichtigen, in der festgestellt wird, dass die Rechte von Arbeitnehmern bei Umstrukturierungen von Industrieunternehmen geschützt werden müssen, d. h. es muss gewährleistet werden, dass sie uneingeschränkten Zugang zu Informationen haben und ihnen die Möglichkeit offen steht, sich während des gesamten Prozesses einzubringen, wozu auch das Stimmrecht gehört, sowie die Kriterien für Entschädigungen festgelegt werden müssen, die den Arbeitnehmern zustehen, falls das Unternehmen seinen vertraglichen Verpflichtungen nicht nachkommt;

45.  betont, dass die Überarbeitung der Europäischen Beschäftigungsstrategie und die Integrierten Leitlinien für den nächsten Programmzyklus (2008-2010) nicht auf dem Flexicurity-Konzept der Kommission beruhen dürfen, sondern vielmehr auf die Förderung von Arbeitsplätzen, die mit Rechten verbunden sind, setzen muss; fordert die Mitgliedstaaten, die Kommission und den Rat auf, wirksame Maßnahmen mit folgenden Zielen zu treffen: Einhaltung der Sozialnormen, menschenwürdige Arbeit und somit angemessene Einkommen für die Arbeitnehmer und insbesondere für Frauen, Gewährleistung des Rechts auf Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz, auf sozialen Schutz und auf Gewerkschaftsfreiheit und dadurch Verhinderung jeglicher Form von Diskriminierung zwischen Frauen und Männern am Arbeitsplatz bei gleichzeitiger Verfolgung des ehrgeizigen Ziels, die Zahl der trotz einer Arbeitstätigkeit in Armut lebenden Menschen in Europa zu verringern;

46.  unterstreicht, dass Strategien entwickelt werden müssen, um die Gleichstellung von Frauen und Männern (z. B. gleiches Entgelt, Elternurlaub, Zugang zu einer Beschäftigung, die mit Rechten verbunden ist) zu gewährleisten und bessere Voraussetzungen für die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben zu schaffen und so Frauen die wirtschaftliche Unabhängigkeit zu ermöglichen; verweist auf die Notwendigkeit verbesserter Infrastrukturen im Bildungs- und Sozialbereich sowohl für Jugendliche als auch für ältere Menschen, unter anderem vermehrte (und bessere) Einrichtungen für lebenslanges Lernen, (erschwingliche) Kinderbetreuungsstätten und Einrichtungen für die Kranken- und Altenpflege; erinnert die Mitgliedstaaten an ihre anlässlich des Gipfels von Barcelona 2002 eingegangene Verpflichtung;

47.  fordert, dass sich die EU nachdrücklich für eine Verkürzung der Arbeitszeit ohne Lohneinbußen, die Schaffung neuer Arbeitsplätze und die Steigerung der Produktivität einsetzt; fordert daher die Kommission auf, ihren Vorschlag zur Änderung der Arbeitszeitrichtlinie zurückzuziehen; fordert die Mitgliedstaaten auf, die Bemühungen um eine schrittweise Verkürzung der Arbeitszeit bis 2010 zu koordinieren, und weist nachdrücklich auf das kurzfristige Ziel hin, die 35-Stunden-Woche einzuführen; ist der Ansicht, dass die Verkürzung der Arbeitszeit ohne Lohneinbußen als ein eigenständiges Ziel zum Wohle der Gesellschaft gelten sollte;

48.  hält eine Anhebung des allgemeinen Bildungs- und Qualifizierungsniveaus in der Bevölkerung für außerordentlich wichtig; weist darauf hin, dass die Qualität der öffentlichen Bildungssysteme eine wesentliche Rolle spielt, und steht auf dem Standpunkt, dass die allgemeine und berufliche Bildung in den verschiedenen Lebensabschnitten durch zusätzliche Investitionen verbessert und der Zugang zu höherer Bildung für alle erleichtert werden muss;

49.  fordert die Mitgliedstaaten auf, ihre Aufmerksamkeit vorrangig auf das Problem der Schulabbrüche im Grund- und Sekundarschulbereich zu richten; hält die Schulabbruchquote in der EU für untragbar hoch; fordert den Europäischen Rat auf, auf seiner Frühjahrstagung über seine früher eingegangene Verpflichtung, diese Quote bis 2010 zu halbieren, hinauszugehen;

50.  betont, dass eine öffentlich finanzierte Grundlagenforschung und angewandte Forschung zur Förderung von Innovationen und von Forschung und Entwicklung ausschlaggebend dafür ist, dass das globale Ziel einer nachhaltigen Entwicklung erreicht und ein Beitrag zu Wohlstand und zur Schaffung von Arbeitsplätzen geleistet werden kann; fordert die Mitgliedstaaten auf, ihre Anstrengungen für eine Politik, die Innovationen und F&E in KMU fördert, zu verdoppeln;

51.  unterstreicht, dass die ökologische und soziale Nachhaltigkeit das Kernstück der gemeinschaftlichen und einzelstaatlichen öffentlichen Investitionsprogramme sein muss; vertritt die Auffassung, dass mehr Gewicht auf die Weiterentwicklung von Maßnahmen für die Energieeffizienz, auf die Verwendung erneuerbarer Energiequellen und auf die Förderung von Kraft-Wärme-Kopplungs-Technologien gelegt werden sollte; fordert ein Gemeinschaftsprogramm zur Unterstützung von Maßnahmen, mit denen die Energieeffizienz in den Mitgliedstaaten verbessert und so der Energieverbrauch verringert werden soll;

52.  bedauert, dass sich die Reaktion der EU auf den Klimawandel und die Energieknappheit weitgehend darauf konzentriert, ob die Mitgliedstaaten ihre Energiemärkte angemessen geöffnet haben oder nicht;

53.  fordert eine Investitionspolitik für effiziente öffentliche Verkehrsnetze, die deren Inanspruchnahme fördert und auf größere Energieeinsparungen sowie eine bessere Umweltqualität abzielt;

54.  betont, dass effiziente Verkehrsmaßnahmen in Übereinstimmung mit dem Grundsatz der Nachhaltigkeit und der Förderung von Investitionen in umweltfreundlichere Verkehrsarten dringend notwendig sind;

55.  fordert mit Nachdruck, dass die Außenbeziehungen auf dem Grundsatz der Nichteinmischung beruhen sollten und weitere Maßnahmen zur Unterstützung der Zusammenarbeit und Entwicklung mit allen Ländern gefördert werden sollten;

56.  betont, dass die EU eine Kehrtwende ihrer aggressiven neoliberalen globalen Handelsstrategie vornehmen und stattdessen zu einer Handelsagenda auf der Grundlage von Solidarität übergehen sollte, die die Besonderheiten, die zusätzlichen Erfordernisse und die Produktionshoheit jedes Landes berücksichtigt; betont, dass die widersprüchlichen Ziele der Außenhandels- und der Entwicklungspolitik der EU in Einklang gebracht werden sollten, indem die ökologischen, sozialen und insbesondere die geschlechtsspezifischen Auswirkungen der Handelspolitik auf Entwicklungsländer explizit berücksichtigt werden;

57.  ist der Ansicht, dass die derzeitigen Bewertungen der Kostenwirksamkeit und der Wettbewerbsfähigkeit, wie sie im Rahmen der Initiative für bessere Rechtsetzung vorgeschlagen werden, die Interessen der Wirtschaftskreise befördern und dass ihr Hauptziel darin besteht, Rechtsvorschriften zu Fall zu bringen, die dem Wettbewerb und dem Profitstreben der Unternehmen schaden, und dass sie auch der Deregulierung Vorschub leisten; ist der Ansicht, dass bei Folgenabschätzungen die ursprünglichen Ziele der vorgeschlagenen oder bestehenden Rechtsvorschriften, insbesondere in den Bereichen Arbeitsschutz und Sozial-, Umwelt- und Verbraucherrechte, nicht in Frage gestellt werden sollten;

58.  fordert die Kommission auf, die in der Interinstitutionellen Vereinbarung vorgesehene Haushaltsüberprüfung 2008/2009 dazu zu nutzen, die Beträge für die Kohäsionspolitik erheblich zu erhöhen, um regionale Ungleichgewichte zu verringern und den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt sowie echte Konvergenz zu fördern und so den Umverteilungscharakter des Gemeinschaftshaushalts stärker in den Mittelpunkt zu rücken;

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59.  beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission und den Parlamenten der Mitgliedstaat zu übermitteln.