ENTSCHLIESSUNGSANTRAG
14.5.2008
gemäß Artikel 103 Absatz 2 der Geschäftsordnung
von Gérard Deprez
im Namen des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres
zu den Verhandlungen zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten im Bereich der Visumfreiheit
B6‑0233/2008
Entschließung des Europäischen Parlaments zu den Verhandlungen zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten im Bereich der Visumfreiheit
Das Europäische Parlament,
– unter Hinweis auf Artikel 2, 6, 24 und 29 des Vertrags über die Europäische Union und Artikel 62, 63, 286 und 300 des EG-Vertrags, die die Rechtsgrundlage für den Europäischen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts und für internationale Verhandlungen mit Drittländern und Organisationen bilden,
– in Kenntnis der Erklärungen des Rates und der Kommission im Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres vom 6. März 2008 und 21. April 2008,
– gestützt auf Artikel 83 und Artikel 103 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass der Rat seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Amsterdam 1999 für den Erlass der Vorschriften über Visa zuständig ist, einschließlich der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen oder von der Visumpflicht befreit sind (Artikel 62 Absatz 2 Buchstabe b) i) des EG-Vertrags),
B. in der Erwägung, dass die Gemeinschaftszuständigkeit in Visumfragen die Bedingungen einschließt, unter denen Drittländern Visumfreiheit eingeräumt wird, und dass diese Bedingungen eine Gleichbehandlung aller EU-Bürger sicherstellen müssen, nicht nur in der Frage der Einräumung der Visumfreiheit an sich, sondern auch bezüglich der Voraussetzungen und Bedingungen, unter denen verschiedenen EU-Mitgliedstaaten von Drittländern ein entsprechender Status eingeräumt oder verweigert wird,
C. in der Erwägung, dass der Rat 2001 US-Bürger von der Visumpflicht befreit hat[1]; in der Erwägung, dass eine vergleichbare Visumfreiheit leider nicht für alle EU-Bürger gilt, da die USA die Visumpflicht für Staatsangehörige einiger Mitgliedstaaten (derzeit Bulgarien, Estland, Griechenland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Rumänien, Slowakei, Tschechische Republik, Ungarn und Zypern) aufrechterhält und mehr als 10 % der Anträge aufgrund nicht transparenter Kriterien abgelehnt werden,
D. in der Erwägung, dass seit 2005 auf Gemeinschaftsebene[2] nach einer Mitteilung des Mitgliedstaates, Kontakten der Kommission mit dem betreffenden Drittland und einem Bericht der Kommission an den Rat, der anschließend „die vorübergehende Wiedereinführung der Visumpflicht für Staatsangehörige des betreffenden Drittlands“ beschließen kann, ein Gegenseitigkeitsmechanismus aktiviert werden kann,
E. in der Erwägung, dass die Gegenseitigkeit zwar mit mehreren Drittländern erreicht wurde, dies mit den USA jedoch noch nicht der Fall ist, weshalb die Kommission[3] 2006 Folgendes vorschlug: „befristete Einführung der Visumpflicht für Inhaber von Diplomatenpässen oder Dienst-/Amtspässen, um schneller Erfolg bei der Gegenseitigkeit zu erlangen“; in der Erwägung, dass der Rat diesen symbolischen Vorschlag allerdings nicht umsetzte,
F. in der Erwägung, dass ungeachtet der eindeutigen Zuständigkeit der Gemeinschaft in dieser Frage mehrere Mitgliedstaaten ihre direkten bilateralen Kontakte mit der US-Regierung aufrechterhielten,
G. in der Erwägung, dass die Lage rechtlich kompliziert wurde, als die USA am 3. August 2007 mit der Umsetzung von Paragraph 711 des „Secure Travel and Counterterrorism Partnership Act of 2007“[4] ihre Regelung bezüglich der Visumfreiheit reformierten, indem sie sieben Anforderungen zur Verbesserung der Sicherheit hinzufügten[5], weshalb alle Mitgliedstaaten, die am Programm für visumfreies Reisen (VWP) teilnehmen wollen, zustimmen sollten, ein bilaterales Memorandum of Understanding (MoU) und dessen verbindliche „Durchführungsbestimmungen“ zu unterzeichnen,
H. in der Erwägung, dass, auch wenn der Inhalt dieser sogenannten „Durchführungsbestimmungen“ den EU-Organen noch nicht bekannt ist, aus dem MoU ersichtlich ist, dass einige der neuen „Anforderungen zur Verbesserung der Sicherheit“ der Gemeinschaftszuständigkeit unterliegen (darunter diejenige betreffend die Visumerteilung oder die künftigen Zusatzpflichten der European Security Transport Association (ESTA)), einige der Zuständigkeit der EU (z.B. gestohlene Pässe[6], Fluggastdaten oder Daten im Zusammenhang mit Schengen-Verstößen), und dass die verbleibenden Umsetzungsmaßnahmen in die ausschließliche Zuständigkeit der einzelnen Mitgliedstaaten fallen (so diejenigen im Zusammenhang mit den Strafregistern ihrer eigenen Staatsangehörigen oder diejenigen, die die Sicherstellung der Präsenz von Flugsicherheitsbegleitern auf Transatlantikflügen betreffen),
I. in der Erwägung, dass der Rat zwecks Regelung dieser Frage und im Hinblick auf die Teilnahme aller Mitgliedstaaten am reformierten US-Programm für visumfreies Reisen 2009 am 18. April 2008 eine Doppelstrategie beschloss, indem er:
- a)der Kommission ein offizielles Mandat für Verhandlungen über alle gemeinschaftsbezogenen Fragen mit den USA erteilte und
- b)die „roten Linien“ festlegte, die die Mitgliedstaaten im Rahmen ihres Dialogs bis zum Abschluss der Verhandlungen zwischen der EG und den USA einhalten sollen; diese „roten Linien“ definieren, was in die Zuständigkeit von EG/EU fällt und was, da es der nationalen Zuständigkeit unterliegt, bilateral ausgehandelt werden kann, und stellen klar, dass, sofern bilaterale Verhandlungen betroffen sind, die Mitgliedstaaten den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit mit den anderen Mitgliedstaaten und den EU-Organen gemäß Artikel 10 des EG-Vertrags und dem Urteil des Gerichtshofs (C-105/03) in Bezug auf die Erfüllung der Verpflichtungen gemäß dem EU-Vertrag) einhalten müssen,
J. in der Erwägung, dass selbst für Fragen, die in die ausschließliche Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen, der Solidaritätsgrundsatz durch bilaterale Abkommen gefährdet werden könnte, die für einige Mitgliedstaaten unterschiedliche Bedingungen für die Einräumung der Visumfreiheit beinhalten, was im Visumbereich eine unterschiedliche Behandlung der Bürger in den einzelnen Mitgliedstaaten bewirken würde,
K. in der Erwägung, dass im Hinblick auf einen besseren Schutz der US- und EU-Bürger vor der terroristischen Bedrohung die transatlantische Zusammenarbeit Folgendes verbessern sollte: (a) die Identifizierung der Bedrohung durch gemeinsame Analysen und einen weit reichenden Informationsaustausch, einschließlich eines Austauschs der bewährtesten Praktiken im Rahmen strikter Datenschutzmaßnahmen, (b) die Koordinierung zwischen Strafverfolgungsbehörden und Geheimdiensten auf EU- und transatlantischer Ebene unter strikter Wahrung der Rechtsstaatlichkeit, der Grundrechte und der Privatsphäre und (c) die operationelle Kapazität durch eine engere Zusammenarbeit zwischen Strafverfolgungsbehörden und Geheimdiensten der EU und der USA auf der Grundlage eines verstärkten gegenseitigen Vertrauens zwischen den verschiedenen beteiligten Diensten und Einrichtungen,
1. vertritt die Auffassung, dass jegliche Form einer direkten oder indirekten Diskriminierung europäischer Bürger aus Gründen der Staatsangehörigkeit nicht nur innerhalb der Europäischen Union, wie in Artikel 12 des EG-Vertrags festgelegt, verboten werden sollte, sondern auch außerhalb der Europäischen Union, insbesondere, wenn eine solche Diskriminierung die Folge einer mangelnden Koordinierung zwischen den EU-Organen und den Mitgliedstaaten in internationalen Verhandlungen ist;
2. begrüßt die Tatsache, dass die USA im Rahmen der JI-Ministertroika vom 13. März 2008 erstmals die Gemeinschaftszuständigkeit zur Aushandlung internationaler Abkommen über die Visumpolitik anerkannt haben, indem sie einer gemeinsamen Erklärung zustimmten, dass ein zweigleisiger Ansatz verfolgt werden solle; stellt fest, dass die Erklärung vorsieht, dass die Fragen, die den nationalen Zuständigkeiten unterliegen, mit den nationalen Organen erörtert werden sollen, während diejenigen, die der EU-Zuständigkeit unterliegen, mit den EU-Organen erörtert werden sollen; vertritt die Ansicht, dass die USA gemäß dieser Erklärung künftig wie folgt verhandeln sollten:
- –mit der Kommission in Visumfragen, wie dies bereits für den Luftverkehr geschieht[7],
- –mit dem Rat über die EU-Maßnahmen im Zusammenhang mit Sicherheitsfragen (PNR-Abkommen oder EU-US-Abkommen über Ausweisung und gegenseitigen Rechtsbeistand) und
- –mit den Mitgliedstaaten über die Präsenz von Flugsicherheitsbegleitern auf Transatlantikflügen und die sicherheitsrelevanten Fragen betreffend ihre eigenen Staatsangehörigen;
3. bekräftigt, dass von EG/EU-Seite jegliches Abkommen die Grundrechte und -freiheiten gemäß Artikel 6 Absatz 2 des EU-Vertrags respektieren sollte, darunter das Recht auf Privatsphäre und Datenschutz gemäß:
- –den Artikeln 7 und 8 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union,
- –der Richtlinie 96/46/EG und den spezifischen Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts (sowie den Maßnahmen im Zusammenhang mit Schengen), sofern eine Überstellung an ein Drittland ansteht,
- –dem Übereinkommen Nr. 108 des Europarates zum Schutz des Menschen bei der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten und dessen Zusatzprotokoll Nr. 181 bezüglich Kontrollstellen und grenzüberschreitendem Datenverkehr;
4. unterstützt das der Kommission vom Rat erteilte Mandat für Verhandlungen über ein Abkommen zur Sicherstellung der Visumfreiheit für alle EU-Bürger, die in die USA einreisen, wie es bereits für die US-Bürger gilt, die in die EU einreisen; fordert die Kommission auf, den zuständigen Ausschuss nach jeder Verhandlungssitzung (erforderlichenfalls auf vertraulicher Grundlage) zu unterrichten;
5. vertritt die Auffassung, dass die Verhandlungen bis Juni 2009 abgeschlossen sein sollten und dann keine Diskriminierung von EU-Bürgern mehr zugelassen werden sollte;
6. teilt die Auffassung, dass die Mitgliedstaaten die „roten Linien“ des Rates[8] gemäß dem Solidaritätsgrundsatz des Artikels 10 des EG-Vertrags und der Rechtsprechung des Gerichtshofs (C-105/03) oder der AETR-Rechtssache (22/70) in Bezug auf die Erfüllung der Verpflichtungen des EU-Vertrags befolgen sollten; unterstreicht insbesondere die Tatsache, dass:
- -die Teilnahme am VWP für alle Bürger der Mitgliedstaaten möglichst rasch unter denselben Bedingungen dieselben Rechte in Bezug auf den Status ihrer Pässe begründen sollte,
- –jeglicher Zugang der USA zu Datenbanken oder -Informationssystemen von EU/EG untersagt werden sollte, es sei denn, dieser wäre gemäß EG-Recht ausdrücklich zulässig, wobei er in diesem Fall einvernehmlich von der EU genehmigt werden und auf der uneingeschränkten Wahrung des Gegenseitigkeitsgrundsatzes basieren sollte,
- –jegliche Ausweitung der Datenweiterleitung an Interpol im Zusammenhang mit verlorenen oder gestohlenen Pässen von der EU einvernehmlich beschlossen werden sollte,
- –die Flughafensicherheit gemäß den Standards der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation (ICAO) durch die bestehenden EG-Vorschriften hinreichend gewährleistet wird (US-Inspektionen könnten zugelassen werden, wenn Direktflüge zwischen Flughäfen in der EU und den USA durchgeführt werden),
- –alle förmlichen Vereinbarungen über eine Rückübernahme von EU-Bürgern, die zwischen EG und USA auszuhandeln und zu schließen wären, nur auf der Grundlage der Gegenseitigkeit akzeptabel sein sollten,
- –Verpflichtungen im Zusammenhang mit der möglichen Einführung der elektronischen Reiseerlaubnis für US-Bürger, die in die EU einreisen, von der EG ausgehandelt werden sollten;
7. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat und der Kommission, den Parlamenten und den Regierungen der Mitgliedstaaten, dem Kongress der Vereinigten Staaten und dem Minister der Vereinigten Staaten für innere Sicherheit zu übermitteln.
- [1] Siehe Anhang II der Verordnung (EG) Nr. 539/2001 des Rates.
- [2] Siehe Artikel 1 Absatz 4 der Verordnung (EG) Nr. 539/2001 des Rates, konsolidiert durch Verordnung (EG) Nr. 851/2005http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CONSLEG:2001R0539:20070119:DE:PDF )„Diesem Bericht kann ein Vorschlag zur vorübergehenden Wiedereinführung der Visumpflicht für Staatsangehörige des betreffenden Drittlands beigefügt werden. Die Kommission kann den Vorschlag auch nach den Beratungen des Rates über ihren Bericht vorlegen. Der Rat beschließt binnen dreier Monate mit qualifizierter Mehrheit über einen solchen Vorschlag.“
- [3] Zweiter „Gegenseitigkeitsbericht“, KOM(2006) 568 vom 3.10.2006.
- [4] „Implementing Recommendations of the 9/11 Commission Act 2007“ verfügbar unter: (298 Seiten). Paragraph 711 sollte zitiert werden als „Secure Travel and Counterterrorism Partnership Act of 2007“, Gesetzesunterzeichnung am 3. August 2007 durch den US-Präsidenten:http://www.whitehouse.gov/news/releases/2007/08/20070803-1.htmlZur Visumfreiheit siehe Website des Außenministeriums:http://www.travel.state.gov/visa/temp/without/without_1990.html
- [5] Vier von ihnen sind obligatorisch, darunter: (1) elektronische Reiseerlaubnis („Electronic System of Travel Authorization - ESTA“), (2) robustere Maßnahmen zur Weitergabe sicherheitsrelevanter Daten, (3) Anforderungen zur rechtzeitigen Meldung von Blankopässen sowie ausgestellten verlorenen und gestohlenen Pässen und (4) Garantien, dass VWP-Länder die Rückübernahme ihrer Staatsangehörigen akzeptieren, die aus den Vereinigten Staaten ausgewiesen werden. Darüber hinaus existieren drei Ermessensfaktoren für mehr Sicherheit, die bei der Entscheidung darüber zu berücksichtigen sind, ob das Erfordernis einer Quote von 3 % abgelehnter Visumanträge außer Acht gelassen werden kann: (1) Flughafensicherheitsstandards, (2) Flugsicherheitsbegleiter-Programme und (3) Normen für nationale Reiseunterlagen.
- [6] Siehe Gemeinsamer Standpunkt 2005/69 JI zum Austausch bestimmter Daten mit Interpol, ABl. L 27 vom 29.1.2005, S. 61.
- [7] „Open Skies“-Abkommen verfügbar unter:.
- [8] Dokumentenregister des Rates: http://register.consilium.europa.eu/pdf/de/08/st07/st07337.de08.pdf.