Entschließungsantrag - B6-0427/2008Entschließungsantrag
B6-0427/2008

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

17.9.2008

eingereicht im Anschluss an Erklärungen des Rates und der Kommission
gemäß Artikel 103 Absatz 2 der Geschäftsordnung
von Graham Watson, Bernard Lehideux, Gérard Deprez, Hannu Takkula, Jean Marie Beaupuy, Luigi Cocilovo, Marian Harkin, Sophia in 't Veld, Ona Juknevičienė, Elizabeth Lynne, Jules Maaten und Viktória Mohácsi
im Namen der ALDE-Fraktion
zum Sozialpaket

Verfahren : 2008/2613(RSP)
Werdegang im Plenum
Entwicklungsstadium in Bezug auf das Dokument :  
B6-0427/2008
Eingereichte Texte :
B6-0427/2008
Angenommene Texte :

B6‑0427/2008

Entschließung des Europäischen Parlaments zum Sozialpaket

Das Europäische Parlament,

–  gestützt auf Artikel 103 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,

A.  In der Erwägung, dass der derzeitige französische Vorsitz der Europäischen Union die Beschäftigungs- und Sozialpolitik stärker in den Vordergrund hätte rücken müssen, da der Vorsitz beabsichtigt, das Jahr 2008 zum „Jahr des Neustarts des sozialen Europas“ zu machen;

B.  In der Erwägung, dass die von der Kommission vorgelegte Erneuerte Sozialagenda den sozialen Fortschritt mit dem freien Markt und effizientem Wettbewerb innerhalb des europäischen Projekts vereinbar machen soll, dass die EU-Strategie von Lissabon im Jahr 2010 abgeschlossen sein soll und dass gründliche Überlegungen über die künftige Strategie der EU zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung im Zusammenhang mit unserer Sozialagenda bereits jetzt angestellt werden müssen,

C.  in der Erwägung, das die Erneuerte Sozialagenda zur Verbesserung der Wahrnehmung der EU durch die Bürger beitragen könnte, da sie Maßnahmen beinhaltet, die das tägliche Leben der Bürger und ihr Wohlergehen betreffen,

Eine erneuerte Sozialagenda

1.  ist der Auffassung, dass die Erneuerte Sozialagenda als erster Schritt zu einer intensiveren Beschäftigung der Kommission mit sozialen Angelegenheiten und auf dem Aufbau des sozialen Europas, wie die Bürger es fordern, gesehen werden sollte; weist jedoch darauf hin, dass das „Sozialpaket“ aus einer Reihe nicht legislativer Mitteilungen, Berichte und Empfehlungen besteht, deren Wirkung im Sinne der Förderung des sozialen Fortschritts in der gesamten Europäischen Union ausgelotet und überwacht werden muss;

2.  fordert jedoch eine weitere Mitteilung über Sozialdienste von allgemeinem Interesse, da die Rechtsunsicherheit in dieser Hinsicht zur Zeit sehr hoch ist und der EuGH immer wieder angerufen werden muss; betont, dass es nicht Aufgabe der Richter sondern der rechtsetzenden Instanzen ist, Rechtsrahmen zu schaffen;

Kampf gegen die Diskriminierung

3.  begrüßt die Tatsache, dass die Kommission eine horizontale Richtlinie zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes außerhalb des Beschäftigungsbereichs vorschlägt; begrüßt, dass die vorgeschlagene Richtlinie den bestehenden Rechtsrahmen dahingehend ausweitet, dass alle Arten von Diskriminierung einbezogen werden, nicht nur die Diskriminierung aufgrund der Rasse, sondern auch aufgrund von Alter, Behinderung, sexueller Orientierung, Religion, und den Anwendungsbereich ausdehnt vom Arbeitsplatz auf Zugang zu und Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, sozialen Schutz, soziale Vergünstigungen und Bildung; weist jedoch darauf hin, dass diese Richtlinie auf einer Rechtsgrundlage (Artikel 13 EGV) verabschiedet wird, die das Europäische Parlament leider vollständig ausschließt, da der Rat mit Einstimmigkeit zu beschließen hat; fordert die Kommission und den Rat auf, sicherzustellen, dass die Richtlinie unverzüglich verabschiedet wird und dass die Standpunkte des Parlaments berücksichtigt werden, wie sie in einer Reihe von Berichten dargelegt wurden, insbesondere in seinem jüngsten Bericht über die Fortschritte in Bezug auf Chancengleichheit und Nichtdiskriminierung in der EU (Umsetzung der Richtlinien 2000/43/EG und 2000/78/EG) (2007/2202 (INI)) sowie in den bevorstehenden Berichten des Europäischen Parlaments zu den im Sozialpaket enthaltenen konkreten Vorschlägen;

4.  weist darauf hin, dass jene Teile des Textes mehr Gewicht erhalten müssen, die sich mit dem Verbot der Diskriminierung bei Versicherungsleistungen für Behinderte und ältere Menschen, der Forderung nach angemessener Unterbringung behinderter Menschen befassen, und dass ausführlicher informiert werden muss, wann eine direkte Diskriminierung aufgrund des Alters gerechtfertigt ist, sowie der Begriff „Alter“ genauer bestimmt werden muss und außerdem klargestellt werden muss, welche Güter und Dienstleistungen genau von der Richtlinie abgedeckt werde;

5.  fordert die Kommission und den Rat auf, die Notwendigkeit begleitender Maßnahmen, einschließlich der Entwicklung einer umfassenden EU-weiten Definition des Begriffs Behinderung, genau zu prüfen, um sicherzustellen, dass alle behinderten Menschen innerhalb der Europäischen Union in den Geltungsbereich dieser Richtlinie eingebunden sind; fordert in diesem Zusammenhang die Kommission auf, dem Bildungsbereich Kriterien für die Einstufung von Kindern als behindert oder als Kinder, die einer sonderpädagogischen Förderung bedürfen, an die Hand zu geben;

6.  fordert eine Fortführung des Prozesses der Unterzeichnung, des Abschlusses und der Ratifizierung des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen einschließlich des dazugehörigen Fakultativprotokolls und erinnert daran, dass nach Ratifizierung des Übereinkommens durch die Gemeinschaft alle für die Gemeinschaft vorgeschlagenen Rechtsakte über Nichtdiskriminierung den Erfordernissen des Übereinkommens uneingeschränkt genügen müssen; erinnert den Rat an dessen Appell in der informellen Ministerkonferenz über Fragen der Behinderung im Juni 2007 an die Kommission, eine europäische Strategie für eine effiziente Umsetzung des Übereinkommens auf den Weg zu bringen;

7.  fordert die Kommission auf, einen Bericht über die Situation von Transgender-Personen in der EU und in den Kandidatenländern auszuarbeiten, der sich insbesondere mit den Themen soziale Ausgrenzung, Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt und medizinischen Versorgung sowie brutales Auftreten der Polizei befasst;

8.  bedauert, dass der Richtlinienvorschlag wesentliche Lücken beim rechtlichen Schutz vor Diskriminierung aufweist, namentlich wegen einer großen Zahl von Ausnahmen in folgenden Bereichen vorsieht: öffentliche Ordnung, öffentliche Sicherheit und öffentliche Gesundheit, wirtschaftliche Tätigkeiten, Zivil- und Familienstand und Reproduktionsrechte, Bildung und Religion; ist besorgt darüber, dass durch diese „Ausweichklauseln“ kein echtes Verbot der Diskriminierung besteht, sondern diese eine Kodifizierung bestehender diskriminierender Praktiken, namentlich gegen Frauen und Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender-Personen (LGBT), zur Folge haben können; weist die Kommission darauf hin, dass die Richtlinie die Urteile in Präzedenzfällen im Bereich der Rechte von LGTB-Personen, namentlich das Urteil im Fall Maruko, berücksichtigen muss;

9.  stellt fest, dass in den Bereichen Bildung und Medien, sozialer Schutz, abgesehen von sozialer Sicherheit, und soziale Vergünstigungen die Richtlinie 2004/113/EG zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen ein geringeres Maß an Schutz beinhaltet als die Richtlinienvorschlag KOM(2008)426; weist darauf hin, dass das Ziel dieses Richtlinienvorschlags darin besteht, die Rangfolge der Gründe zu beseitigen und ein gleiches Maß an Schutz vor Diskriminierung, gleichgültig aus welchem Grund, zu bieten;

10.  bedauert, dass die Richtlinie die Gremien für die Förderung der Gleichbehandlung nicht so stärkt, dass gewährleistet ist, dass sie mit angemessenen Mitteln, Unabhängigkeit, Zuständigkeiten und Befugnissen ausgestattet sind;

11.  bedauert, dass die vorgeschlagene Richtlinie nicht weiter auf die Frage der Mehrfachdiskriminierung eingeht, die ernsthafte und oft nicht beachtete Auswirkungen im Sinne einer sozialen Ausgrenzung haben;

12.  ist der Ansicht, dass die Richtlinie das Thema der Diskriminierung in Schulen angesichts der langfristigen nachteiligen Auswirkungen dieser Diskriminierung auf persönliche Entwicklung und Gesundheit, Aussichten auf dem Arbeitsmarkt und soziale Eingliederung nicht ausreichend behandelt;

13.  fordert die Kommission im Lichte des EuGH-Urteils in der Rechtssache C-303/06 vom 17. Juli 2008, in dem es um Pfleger geht, die aufgrund ihrer Beziehung zu einem Menschen mit Behinderung Diskriminierung erfahren, angemessene Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass Pfleger vor Diskriminierung geschützt werden, und die Mitgliedstaaten zu ermuntern, der erforderlichen Schritte zu unternehmen, um sicherzustellen, dass dem Urteil des Gerichtshofs entsprochen wird;

Grenzübergreifende medizinische Versorgung

14.  begrüßt, dass die Kommission endlich ihren Vorschlag für eine Richtlinie über die Anwendung der Patientenrechte bei medizinischen Dienstleistungen über die Grenzen hinweg vorgelegt hat, was einen ersten wichtigen Schritt zu einem freien europäischen Raum für Patienten ist; betont, dass dieser Richtlinie Bedeutung zukommt, weil sie einen Rahmen für Rechte und Pflichten sowohl für Patienten als auf für die Erbringer von Gesundheitsleistungen schafft; weist darauf hin, dass Patienten Anspruch auf Behandlung in einem anderen EU-Mitgliedstaat haben sollten, ohne sich um Kosten, Sicherheit und Qualität Sorgen machen zu müssen; hält es für wesentlich, dass diese Richtlinie vor Ende der laufenden Wahlperiode verabschiedet wird;

15.  fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, die Bürger über ihre im Vertrag begründeten Rechte zu informieren, was die Erstattung von Ausgaben für Gesundheitsdienstleistungen im Ausland anbelangt, ein Recht, das bereits wiederholt vom Europäischen Gerichtshof bekräftigt wurde; ist der Auffassung, dass die Verfügbarkeit korrekter Informationen Grundvoraussetzung dafür ist, dass gleichberechtigter Zugang zu grenzübergreifenden medizinischen Dienstleistungen für alle Patienten gewährleistet sind, da Rechtsunsicherheit sich immer zum Nachteil jener Personen auswirkt, die nicht über viele eigene Mittel verfügen;

16.  fordert die Kommission auf, bei den Mitgliedstaaten darauf zu drängen, dass sie effiziente politische Maßnahmen ergreifen, damit der Zugang nicht versicherter Personen zum Gesundheitssystem gewährleistet ist;

Europäische Betriebsräte

17.  begrüßt, dass die Kommission eine Neufassung der Richtlinie über Betriebsräte vorgeschlagen hat, da vierzehn Jahre nach Verabschiedung der derzeit geltenden Richtlinie Betriebsräte in kaum mehr als einem Drittel der betreffenden Unternehmen eingerichtet wurden; begrüßt die verbesserte Begriffsbestimmung für „Informationen“ und „Anhörung“ und die verbesserten und klarer formulierten Arbeitsbedingungen für europäische Betriebsräte; weist jedoch darauf hin, dass die Arbeit an diesem Text sehr genau verfolgt werden muss, um sicherzustellen, dass die Arbeitnehmer im Laufe einer Neustrukturierung angehört werden und dass die Betriebsräte über alle Informationen und Mittel verfügen, die erforderlich sind, um Fragen beantworten zu können, die oft äußerst technischer Natur sind;

Soziale Ausgrenzung und Armut

18.  nimmt das Ziel der Kommission zur Kenntnis, die Sichtbarkeit und die Arbeitsweise der Strategie der EU im Bereich soziale Eingliederung und sozialer Schutz zu verbessern und deren Interaktion mit anderen Politikbereichen zu stärken;

19.  fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten jedoch auf, mehr Gebrauch zu machen von der offenen Methode der Koordinierung und neue Möglichkeiten für einen besseren Austausch von Daten, Informationen und bewährten Praktiken im Bereich des sozialen Schutzes, der sozialen Eingliederung, der Bekämpfung der Diskriminierung und der Gesundheit zu ermitteln;

20.  unterstützt den Vorschlag der Kommission, für die nächste Phase der EU-Strategie für soziale Eingliederung und Sozialschutz Ziele für die Armutsbekämpfung festzusetzen;

21.  fordert die Kommission auf, eine Mitteilung über die Anwendung der Mittel des Europäischen Sozialfonds in den Mitgliedstaaten vorzulegen, da dieser eines der Schlüsselinstrumente zur Verwirklichung der Strategie der EU für soziale Eingliederung und Sozialschutz ist;

Globalisierungsfonds

22.  begrüßt den Vorschlag der Kommission, die Anwendungsverfahren für den Europäischen Fond für die Anpassung an die Globalisierung (EGAF) zu vereinfachen und den Austausch von Erfahrungen und bewährten Praktiken zwischen den Mitgliedstaaten stärker zu fördern; fordert die Kommission auf, darauf hinzuwirken, dass dieser Fond bessere Wirkung zeigt, indem neue Kriterien, wie der Klimawandel, berücksichtigt werden und der Anwendungsbereich des Europäischen Fonds für die Anpassung an die Globalisierung auf Entlassungen in kleinerem Umfang auszuweiten, damit auch Mitgliedstaaten mit kleinen und isolierten Arbeitsmärkten Nutzen daraus ziehen können; bedauert, dass die Mitgliedstaaten die Mittel aus dem EGAF zu zögerlich zur Leistung unmittelbarer Hilfe für entlassene Arbeitnehmer in Anspruch nehmen;

23.  fordert die Kommission auf, vor der Vorlage des nächsten Jahresberichts über den EGF klare Maßstäbe und Kriterien zur Bewertung der Ergebnisse festzulegen, die dadurch erzielt wurden, dass finanzielle Hilfsmittel im Rahmen des EGF bereitgestellt wurden;

Roma

24.  begrüßt den Bericht der Kommission über Gemeinschaftsinstrumente und politische Maßnahmen für die Eingliederung der Rom; betont erneut, dass wirksamere Maßnahmen für die Eingliederung der Roma und Sinti in den Bereichen Bildung, Beschäftigung, Gesundheitswesen und Wohnungswesen zu ergreifen sind; erneuert seine Forderung nach einer Strategie und einem Aktionsplan für Roma, der sicherstellt, dass die EU-Organe, Mitgliedstaaten und lokale Körperschaften zusammen arbeiten, um alle Formen der Diskriminierung von Roma zu bekämpfen und ihre Eingliederung in die Gesellschaft sicherzustellen;

25.  fordert die Kommission und den Rat auf sicherzustellen, dass die Forderungen des Europäischen Parlaments und der einschlägigen nichtstaatlichen Organisationen und die von der Kommission eingegangenen Verpflichtungen für das Jahrzehnt der Integration der Roma berücksichtigt werden und dass die Nichtdiskriminierungsrichtlinie unverzüglich verabschiedet wird;

Lebenslanges Lernen und Mobilität

26.  ist der Auffassung, dass dem lebenslangen Lernen ein mehr Vorrang eingeräumt werden sollte, um die Integration von Arbeitslosen und von Diskriminierung betroffenen Menschen in den Arbeitsmarkt zu fördern;

27.  ist der Auffassung, dass Maßnahmen zur Förderung der Mobilität von Studenten und Auszubildenden verstärkt werden sollten, um die Grundlage für verbesserte Anpassungsfähigkeit und Mobilität künftiger Arbeitnehmer zu schaffen;

28.  bedauert, dass in einigen Mitgliedstaaten zu geringe Priorität eingeräumt wird und zu wenig Mittel eingesetzt werden, um den Zugang zu Angeboten der Erwachsenenbildung, insbesondere für ältere und weniger gut ausgebildete Arbeitnehmer, zu stärken; fordert die Mitgliedstaaten auf, die Mittel aus den Strukturfonds und insbesondere aus dem Europäischen Sozialfonds vermehrt in Anspruch zu nehmen, um die Entwicklung der Infrastruktur und von Strategien für Erwachsenenbildung zu unterstützen;

29.  fordert die Mitgliedstaaten auf, Investitionen in das Humankapital auszuweiten und die allgemeinen und beruflichen Bildungssysteme an die neuen Erfordernisse des Wettbewerbs und des Arbeitsmarkts anzupassen;

30.  fordert den Rat und die Kommission auf, den vorgeschlagenen Zeitplan für die Annahme der Empfehlung des Rates über die Mobilität junger Freiwilliger in Europa zu überarbeiten, damit das Parlament über genügend Zeit verfügt, seine Stellungnahme zur Empfehlung abzugeben;

31.  stellt fest, dass ein Europäisches Jahr der Freiwilligentätigkeit ein wirksames Instrument bei der Umsetzung der in der Ratsempfehlung über die europaweite Mobilität junger Freiwilliger enthaltenen Maßnahmen wäre;

32.  beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat und der Kommission sowie den Parlamenten der Mitgliedstaaten zu übermitteln.