ENTSCHLIESSUNGSANTRAG zu dem geplanten internationalen Abkommen, demgemäß dem Finanzministerium der Vereinigten Staaten Finanztransaktionsdaten zum Zwecke der Prävention und Bekämpfung des Terrorismus und der Terrorismusfinanzierung zur Verfügung gestellt werden sollen
15.9.2009
gemäß Artikel 110 Absatz 2 der Geschäftsordnung
Simon Busuttil, Ernst Strasser, Manfred Weber im Namen der PPE-Fraktion
Claude Moraes, Udo Bullmann, Carmen Romero López, Birgit Sippel im Namen der S&D-Fraktion
Sophia in 't Veld, Jeanine Hennis-Plasschaert, Sarah Ludford, Louis Michel, Alexander Alvaro, Nathalie Griesbeck, Sharon Bowles im Namen der ALDE-Fraktion
Timothy Kirkhope im Namen der ECR-Fraktion
B7‑0038/2009
Entschließung des Europäischen Parlaments zu dem geplanten internationalen Abkommen, demgemäß dem Finanzministerium der Vereinigten Staaten Finanztransaktionsdaten zum Zwecke der Prävention und Bekämpfung des Terrorismus und der Terrorismusfinanzierung zur Verfügung gestellt werden sollen
Das Europäische Parlament,
– gestützt auf Artikel 6 Absatz 2 des Vertrags über die Europäische Union und Artikel 286 des EG-Vertrags,
– gestützt auf Artikel 95 und 300 des EG-Vertrags,
– unter Hinweis auf die Europäische Menschenrechtskonvention, insbesondere deren Artikel 5, 6, 7 und 8,
– unter Hinweis auf die Charta der Grundrechte der Europäischen Union, insbesondere deren Artikel 7, 8, 47, 48 und 49,
– in Kenntnis des Übereinkommens Nr. 108 des Europarats zum Schutz der Rechte von Personen bei der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten,
– unter Hinweis auf die Richtlinie 95/46/EG vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr[1],
– unter Hinweis auf die Verordnung (EG) Nr. 45/2001 vom 18. Dezember 2000 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft und zum freien Datenverkehr[2],
– unter Hinweis auf die Richtlinie 2005/60/EG zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung[3] und die Verordnung (EG) Nr. 1781/2006 über die Übermittlung von Angaben zum Auftraggeber bei Geldtransfers[4],
– unter Hinweis auf das Abkommen zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika über Rechtshilfe aus dem Jahr 2003, insbesondere dessen Artikel 4 (Ermittlung von Bankinformationen)[5],
– unter Hinweis auf das auf dem Exekutiverlass 13224[6] basierende Programm des US-Finanzministeriums zum Aufspüren der Finanzierung des Terrorismus (TFTP), das es im Fall einer nationalen Notlage insbesondere dem US-Finanzministerium gestattet, mittels „administrativer Anordnungen“ die Herausgabe von Banktransaktionsdaten zu erwirken, die über Nachrichtensysteme wie das von der Worldwide Interbank Financial Telecommunications (SWIFT) betriebene laufen,
– unter Hinweis auf die vom US-Finanzministerium festgelegten Bedingungen für den Zugang zu SWIFT-Daten (wie in den „Zusicherungen“ der USA definiert[7]) und unter Berücksichtigung der von der Europäischen Kommission durch die „renommierte Persönlichkeit“ bezüglich der Einhaltung der oben genannten Zusicherungen durch die US-Behörden erhaltenen Informationen,
– unter Hinweis auf seine früheren Entschließungen, in denen SWIFT aufgefordert wird, den EU-Rechtsrahmen streng einzuhalten, insbesondere wenn europäische Finanztransaktionen auf EU-Hoheitsgebiet erfolgen[8],
– unter Hinweis auf die Verhandlungsrichtlinien für den Ratsvorsitz und das geplante internationale Abkommen zwischen der EU und den USA über die Übermittlung von SWIFT-Daten, die als „EU – nur für den Dienstgebrauch“ klassifiziert wurden,
– unter Hinweis auf die Stellungnahme des Europäischen Datenschutzbeauftragten vom 3. Juli 2009, die als „EU – nur für den Dienstgebrauch“ klassifiziert wurde,
– gestützt auf Artikel 110 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass SWIFT im Oktober 2007 ein neues Übermittlungssystem ankündigte, das Ende 2009 operationell sein soll,
B. in der Erwägung, dass die betreffende Veränderung der Rechnerstruktur zur Folge hätte, dass die meisten Finanzdaten, die SWIFT bisher auf Anordnung im Rahmen des TFTP-Programms an das US-Finanzministerium übermittelt hatte, diesem nicht mehr zur Verfügung gestellt würden,
C. in der Erwägung, dass der Rat am 27. Juli 2009 dem von der Kommission unterstützten Vorsitz einstimmig das Mandat erteilte, mit den USA ein internationales Abkommen auf der Grundlage von Artikel 24 und 38 des Vertrags über die Europäische Union auszuhandeln, um die Übermittlung von SWIFT-Daten im Rahmen des TFTP der USA fortzusetzen,
D. in der Erwägung, dass die Verhandlungsrichtlinien sowie das Rechtsgutachten des Juristischen Diensts des Rates zur Wahl der Rechtsgrundlage nicht veröffentlicht wurden, da sie als „EU – nur für den Dienstgebrauch“ klassifiziert sind,
E. in der Erwägung, dass das internationale Abkommen ab dem Zeitpunkt der Unterzeichnung bis zu seinem Inkrafttreten vorläufig und unverzüglich angewandt werden soll,
F. in der Erwägung, dass die EU selbst nicht über ein TFTP verfügt,
G. in der Erwägung, dass der Zugriff auf die von SWIFT verwalteten Daten es nicht nur ermöglicht, Überweisungen im Zusammenhang mit illegalen Aktivitäten aufzuspüren, sondern auch Informationen über die wirtschaftlichen Tätigkeiten der betroffenen Privatpersonen und Länder festzustellen, was zu Formen der Wirtschafts- und Industriespionage großen Ausmaßes führen könnte,
H. in der Erwägung, dass SWIFT ein Memorandum of Understanding mit dem US-Finanzministerium unterzeichnet hat, in dem der Verwendungszweck der übermittelten Daten und der Datenabfrage auf spezifische Fälle der Terrorismusbekämpfung beschränkt und eine unabhängige Aufsicht und Kontrolle, einschließlich einer Überprüfung in Echtzeit, verankert wurde,
I. in der Erwägung, dass jegliches Abkommen zwischen der EU und den USA die Aufrechterhaltung der Schutzvorkehrungen gemäß dem Memorandum of Understanding und die Einhaltung der Zusicherungen des US-Finanzministeriums voraussetzt, die z. B. im Falle der von dem SWIFT-Rechenzentrum in den USA auf Anordnung des US-Finanzministeriums übermittelten Daten gelten,
1. verweist auf seine Entschlossenheit, den Terrorismus zu bekämpfen, und seine Überzeugung, dass ein angemessenes Gleichgewicht zwischen Sicherheitsmaßnahmen und dem Schutz der bürgerlichen Freiheiten und Grundrechte gefunden werden muss, während gleichzeitig die größtmögliche Achtung der Privatsphäre und des Datenschutzes sichergestellt wird; bekräftigt, dass Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit die entscheidenden Grundsätze sind, ohne die die Terrorismusbekämpfung nie wirksam sein wird;
2. betont, dass sich die Europäische Union auf Rechtsstaatlichkeit gründet und dass alle Transfers von europäischen personenbezogenen Daten an Drittländer zu Sicherheitszwecken Verfahrensgarantien und den Rechten der Verteidigung und den Datenschutzrechtsvorschriften auf nationaler und europäischer Ebene unterliegen sollten[9];
3. weist den Rat und die Kommission darauf hin, dass im transatlantischen Rahmen des Abkommens zwischen der EU und den USA über Rechtshilfe, das am 1. Januar 2010 in Kraft tritt, Artikel 4 den Zugang zu gezielten Finanzdaten auf Ersuchen einzelstaatlicher Behörden vorsieht und eine adäquatere Rechtsgrundlage für die Übermittlung von SWIFT-Daten darstellen könnte als das vorgeschlagene Interimsabkommen, und fordert den Rat und die Kommission auf, die Notwendigkeit eines Interimsabkommens zu erläutern;
4. begrüßt den Beschluss von SWIFT vom Juni 2007, alle EU-internen Finanzüberweisungsdaten in zwei europäische Rechenzentren zu verlagern; weist den Rat darauf hin, dass dieser Beschluss im Einklang mit der belgischen Datenschutzbehörde, der Forderung der Arbeitsgruppe der EU gemäß Artikel 29 und der Auffassung des Europäischen Parlaments gefasst wurde;
5. stellt fest, dass der Rat die Verhandlungsrichtlinien erst fast zwei Jahre, nachdem SWIFT die Veränderung seiner Rechnerstruktur ankündigte, beschloss;
6. ist beunruhigt, dass die Juristischen Dienste der Organe bezüglich der für das geplante Abkommen gewählten Rechtsgrundlage unterschiedliche Auffassungen vertreten, und nimmt zur Kenntnis, dass der Juristische Dienst des Rates der Ansicht ist, dass hier eine Gemeinschaftszuständigkeit gegeben ist;
7. hält ein internationales Abkommen zwar für notwendig und obligatorisch, ist aber der Auffassung, dass dadurch zumindest sichergestellt werden muss, dass:
a) Daten nur zur Terrorismusbekämpfung übermittelt und verarbeitet werden, gemäß der Definition in Artikel 1 des Rahmenbeschlusses des Rates 2002/475/JI und im Zusammenhang mit auch von der EU entsprechend anerkannten Einzelpersonen oder Terrororganisationen,
b) die Verarbeitung solcher Daten, was ihre Übermittlung (nur mittels „push“-System), Speicherung und Nutzung angeht, nicht unverhältnismäßig zum Ziel sein darf, für das diese Daten übermittelt und anschließend verarbeitet werden,
c) die Übermittlungsersuchen sich auf spezifische, gezielte Fälle stützen sollten, die zeitlich begrenzt sind und einer richterlichen Genehmigung unterliegen, und jegliche anschließende Verarbeitung auf Daten beschränkt sein muss, die eine Verbindung zu Personen oder Organisationen offenbaren, die in den USA überprüft werden, Daten, die keine derartigen Verbindungen offenbaren, sollten gelöscht werden,
d) für EU-Bürger und -Unternehmen in gleichem Maße Rechte der Verteidigung und Verfahrensgarantien sowie das Recht auf Zugang zum Recht gelten sollten, wie sie in der EU existieren, und Rechtmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit der Übermittlungsersuchen in den USA gerichtlich überprüft werden können sollten,
e) übermittelte Daten den gleichen Rechtsmittelverfahren unterliegen sollten wie innerhalb der EU gespeicherte Daten, einschließlich Schadenersatz im Fall einer rechtswidrigen Verarbeitung personenbezogener Daten,
f) mit dem Abkommen jegliche Verwendung von SWIFT-Daten durch US-Behörden für andere Zwecke als solche im Zusammenhang mit der Terrorismusfinanzierung und die Übermittlung derartiger Daten an andere Dritte als die für die Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung zuständigen staatlichen Behörden ebenfalls untersagt werden sollte,
g) das Prinzip der Gegenseitigkeit strikt eingehalten wird, durch das die zuständigen US-Behörden verpflichtet werden, einschlägige Finanztransaktionsdaten auf Ersuchen an die zuständigen EU-Behörden zu übermitteln,
h) das Abkommen durch eine 12 Monate nicht überschreitende Auflösungsklausel und unbeschadet des gemäß dem Vertrag von Lissabon für ein mögliches neues Abkommen in diesem Bereich anzuwendenden Verfahrens ausdrücklich für einen Übergangszeitraum geschlossen wird,
i) das Interimsabkommen eindeutig vorsieht, dass die US-Regierung unmittelbar nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon notifiziert werden sollte und ein mögliches neues Abkommen gemäß dem neuen EU-Rechtsrahmen ausgehandelt werden wird, der das Europäische Parlament und die nationalen Parlamente umfassend einbezieht;
8. fordert, dass der Rat und die Kommission die genaue Rolle der „öffentlichen Behörde“ erläutert, die benannt und mit der Zuständigkeit beauftragt werden soll, Ersuchen des US-Finanzministeriums entgegenzunehmen, wobei insbesondere die Art der Befugnisse zu berücksichtigen ist, die einer solchen „Behörde“ übertragen würden, und die Art und Weise, in der derartige Befugnisse geltend gemacht werden könnten;
9. fordert, dass der Rat und die Kommission bestätigen, dass Datensätze und umfangreiche Dossiers wie Transaktionen im Zusammenhang mit dem Europäischen Zahlungsverkehrsraum (SEPA) von den Daten ausgenommen werden, um die das US-Finanzministerium ersuchen kann oder die für eine Übermittlung an das US-Finanzministerium in Frage kommen;
10. betont, dass SWIFT eine entscheidende Infrastruktur für die Systemfestigkeit der Zahlungssysteme und der Wertpapiermärkte Europas ist und gegenüber konkurrierenden Finanzdienstleistern nicht unfair benachteiligt werden sollte;
11. unterstreicht die Bedeutung von Rechtssicherheit und Immunität für Bürger und private Organisationen bei Datentransfers gemäß solchen Vereinbarungen wie dem vorgeschlagenen Abkommen zwischen der EU und den USA;
12. weist darauf hin, dass es sich als nützlich erweisen könnte, wenn die Kommission die Notwendigkeit der Auflegung eines europäischen TFTP bewerten würde;
13. fordert, dass die Kommission und der Vorsitz sicherstellen, dass das Europäische Parlament und alle nationalen Parlamente uneingeschränkten Zugang zu den Verhandlungsunterlagen und -richtlinien erhalten;
14. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, der Europäischen Zentralbank, den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten und Beitrittsländer und der Regierung und den beiden Häusern des Kongresses der Vereinigten Staaten zu übermitteln.
- [1] ABl. L 281 vom 23.11.1995, S. 31.
- [2] ABl. L 8 vom 12.1.2001, S. 1.
- [3] ABl. L 309 vom 25.11.2005, S. 15.
- [4] ABl. L 345 vom 8.12.2006, S. 1.
- [5] ABL. L 181 vom 19.7.2003, S. 34.
- [6] Exekutiverlass 13224 wurde von Präsident Bush am 23. September 2001 gemäß dem Gesetz über wirtschaftliche Befugnisse bei einer internationalen Notlage (IEEPA), 50 USC, Abschnitte 1701-1706, erlassen. Der Präsident delegierte seine Befugnisse gemäß dem Exekutiverlass an den Finanzminister. Das Finanzministerium erließ seine Anordnungen an SWIFT gemäß dem Exekutiverlass 13224 und seiner Durchführungsbestimmungen.
- [7] Verarbeitung personenbezogener Daten aus der EU durch das Finanzministerium der Vereinigten Staaten zu Zwecken der Terrorismusbekämpfung – SWIFT, ABl. C 166 vom 20.7.2007, S. 18.
- [8] P6_TA(2007)0039; B6 0395/2006.
- [9] Vor allem der Europäischen Menschenrechtskonvention, insbesondere deren Artikel 5, 6, 7 und 8, der Charta der Grundrechte, insbesondere deren Artikel 7, 8, 47, 48 und 49, dem Übereinkommen Nr. 108 des Euorparats zum Schutz des Menschen bei der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten, der Richtlinie 95/46/EG und der Verordnung (EG) Nr. 45/2001.