ENTSCHLIESSUNGSANTRAG zur Krise in der Milchwirtschaft
14.9.2009
gemäß Artikel 115 Absatz 5 der Geschäftsordnung
José Bové, Martin Häusling, Alyn Smith, Bas Eickhout im Namen der Verts/ALE-Fraktion
B7‑0055/2009
Entschließung des Europäischen Parlaments zur Krise in der Milchwirtschaft
Das Europäische Parlament,
– unter Hinweis auf die Mitteilung der Kommission an den Rat vom 22. Juli 2009 (KOM(2009)0385),
– unter Hinweis auf die Antwort von acht Landwirtschaftsministern aus der EU an die Kommission vom 31. Juli 2009,
– unter Hinweis auf die Schlussfolgerungen der Sitzung des Rates Landwirtschaft und Fischerei vom 7. September 2009 zur Krise auf dem Milchmarkt,
– unter Hinweis auf die Schriftliche Erklärung des Europäischen Parlaments vom 19. Februar 2008 zum Machtmissbrauch durch große Supermarktketten[1],
– gestützt auf Artikel 115 Absatz 5 und Artikel 110 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass in dem Schreiben von acht Landwirtschaftsministern aus der EU die von der Kommission vorgeschlagenen Maßnahmen als weitgehend unzureichend erachtet und unter anderem eine dauerhafte und flexiblere Steuerung des Milchmarktes und mehr Unterstützung für Organisationen von Milcherzeugern gefordert werden,
B. in der Erwägung, dass sich die Kommission 2008 mit Blick auf einen wachsenden weltweiten Milchmarkt beispielsweise in China, der sich inzwischen als unzutreffende Vermutung herausgestellt hat, noch für eine rasche Abschaffung des Milchquotensystems aussprach,
C. in der Erwägung, dass die Kommission nun in ihrer Mitteilung zugibt, dass sich die Lage auf dem Milchmarkt der EU in den letzten 12 Monaten aufgrund der weltweiten Steigerung der Milchproduktion und einer global zurückgegangenen Nachfrage dramatisch verschlechtert hat,
D. in der Erwägung, dass die EU als größter Milcherzeuger der Welt in erheblichem Maße dafür verantwortlich ist aufgrund:
– ihrer Unterstützung für eine zunehmende Konzentration der Milcherzeugung vor allem in wohlhabenderen Regionen der EU durch zollfrei importierte Futtermittel wie etwa Sojabohnen,
– des Auslaufens von Instrumenten zur Steuerung des Angebots wie dem Quotensystem, das reformiert werden könnte, um bei einer sehr sensiblen Ware Angebot und Nachfrage besser im Gleichgewicht zu halten,
– der Bezuschussung der Nahrungsmittelindustrie- und ‑handelsunternehmen durch ungeeignete Marktinterventionsmaßnahmen und Ausfuhrbeihilfen, die zu einer ständigen strukturellen Überschussproduktion von 15 Millionen Tonnen Milch geführt haben, die einen weltweiten Niedergang der Milchpreise verursacht,
E. in der Erwägung, dass zwar nur 8 % der landwirtschaftlichen Erzeugnisse einschließlich Milch weltweit gehandelt werden, der liberalisierte Handel aber eine besorgniserregende Volatilität bei den Nahrungsmittel- und Milchpreisen ausgelöst hat, die die lokalen Nahrungsmittelmärkte destabilisiert hat, Millionen von Bauern die Existenzgrundlage entzieht und in ländlichen Gebieten weltweit Arbeitsplätze zerstört,
F. in der Erwägung, dass die Milcherzeugung in der EU im Vergleich zu derjenigen anderer Regionen auf kleinen Familienbetrieben beruht, die hauptsächlich für den Ackerbau ungeeignete Weideflächen verwenden und wertvolle Kulturlandschaften erhalten, womit sie sogar in benachteiligten Gebieten und in Randgebieten Arbeitsplätze schafft,
G. in der Erwägung, dass die ungleiche Verteilung der Quoten in der EU unter den Mitgliedstaaten, Regionen und Landwirten zu erheblichen Beeinträchtigungen geführt hat – insbesondere für benachteiligte Gebiete und in den neuen Mitgliedstaaten –, wodurch mittlerweile Milch und Milchprodukte über große Entfernungen transportiert werden,
H. in der Erwägung, dass der Prozess der Konzentration der Milchindustrie zusammen mit der Marktmacht von Supermarktketten es den Nahrungsmittel- und Handelsunternehmen ermöglicht, die Ab-Hof-Preise für Milch niedrig und die Verbraucherpreise für Milchprodukte hoch zu halten,
1. unterstützt die Aktionen, die Milchbauern europaweit veranstaltet haben, um die katastrophale Lage der Milchwirtschaft ins Bewusstsein zu rücken, und ihre nachdrückliche Forderung an die Milch verarbeitende Industrie und die Kommission, der Krise auf dem Milchmarkt ein Ende zu bereiten;
2. fordert die Kommission auf, die schrittweise Anhebung der Milchquoten sofort zu beenden und die Milchquoten dringend um mindestens 3 % zu senken, wobei die Senkung für kleine und mittlere Erzeuger differenziert werden muss;
3. fordert die Kommission auf, eine Haushaltsmaßnahme zur Schaffung eines zeitweiligen Ausgleichs für den Produktionsrückgang vorzuschlagen, um – insbesondere für kleine und mittlere Erzeuger und benachteiligte Gebiete – die 5%-ige Senkung ohne drastische finanzielle Folgen zu bewerkstelligen;
4. fordert die Kommission auf, die Folgen der Aufgabe der Angebotssteuerung in der Milchwirtschaft zu überdenken und Vorschläge für eine nachhaltige, qualitätsorientierte, nachfragegesteuerte und regionengestützte Milcherzeugung einschließlich eines besseren Ausgleichs zwischen Regionen und Landwirten auszuarbeiten, um eine strukturelle Überproduktion und die zunehmende Volatilität der Erzeugerpreise für Milch zu vermeiden;
5. fordert die Kommission auf, die Zusage der EU, die Ausfuhrbeihilfen einzustellen, zu erfüllen und Marktinterventionsmaßnahmen, die auf Ausfuhren ausgerichtet sind, die insbesondere in Entwicklungsländern die einheimische Milcherzeugung untergraben oder gar zerstören, auslaufen zu lassen;
6. fordert die Kommission auf, Vorschläge für eine qualitätsorientierte regionale Infrastruktur auszuarbeiten, die neuen Herausforderungen wie den Klimazielen, der Erhaltung der biologischen Vielfalt, einer besseren Wasser- und Bodenbewirtschaftung und der Verringerung des Energieverbrauchs Rechnung trägt, und diese zu verpflichtenden Bedingungen für die Umstrukturierung der Milchwirtschaft zu machen;
7. fordert die Kommission auf, Rechtsetzungs- und Haushaltsinitiativen zu ergreifen, die eine Unterstützung für die Organisationen der Milcherzeuger schaffen sollen, um ihre Position in Verhandlungen mit den Unternehmen der Milchverarbeitungsindustrie und des Lebensmittelhandels – auch über die Organisation der Milchabholung – zu stärken;
8. fordert die Kommission auf, in ihre Vorschläge zur Reform der GAP nach 2013 ein besseres Gleichgewicht der Milcherzeugung in den Mitgliedstaaten und den Regionen Europas einzubeziehen, wobei sie der Milcherzeugung in Weidehaltung Vorrang einräumen und den benachteiligten Regionen und der Lage der Milcherzeuger in den Entwicklungsländern besondere Beachtung schenken sollte, um Arbeitsplätze und die landschaftliche Vielfalt zu erhalten;
9. fordert die Kommission auf, die notwendigen Rechtsetzungs- und Haushaltsmaßnahmen zu treffen, um die Erzeugung von Eiweißpflanzen in der EU ohne zusätzliche Ausgaben zu unterstützen, und für den Ackerbau ungeeignete Weideflächen zu fördern, um der weiteren Abhängigkeit der europäischen Milcherzeugung von Futtermittelimporten vorzubeugen;
10. fordert die Kommission auf, die notwendigen Maßnahmen zu treffen, um sicherzustellen, dass importierte Futtermittel den Normen entsprechen, die die Milchbauern innerhalb der EU erfüllen müssen, und zu verhindern, dass Einfuhren von Erzeugnissen, die diesen Normen nicht genügen, die Bemühungen der EU zur Förderung der nachhaltigen Milcherzeugung untergraben; stellt fest, dass diese Maßnahmen auf dem Grundsatz des qualifizierten Marktzugangs fußen sollten, dem zufolge bei Nichterfüllung von Normen Abgaben erhoben werden, die dann jedoch den betroffenen Ländern als Förderung für die Erreichung dieser Normen – insbesondere in den Bereichen der Vorschriften über Umwelt, Tierschutz und GVO – zugute kommen;
11. fordert die Kommission auf, sich den Initiativen einiger Mitgliedstaaten, die Gemeinsame Agrarpolitik wieder den Einzelstaaten zu übertragen, entschieden zu widersetzen;
12. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission sowie den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten zu übermitteln.
- [1] Angenommene Texte: P6_TA(2008)0054.