ENTSCHLIESSUNGSANTRAG zum Erdbeben in Haiti
3.2.2010
gemäß Artikel 110 Absatz 2 der Geschäftsordnung
Véronique De Keyser, Thijs Berman, Linda McAvan, Enrique Guerrero Salom, Patrice Tirolien, Michael Cashman, Georgios Stavrakakis im Namen der S&D-Fraktion
Siehe auch den gemeinsamen Entschließungsantrag RC-B7-0072/2010
B7‑0075/2010
Entschließung des Europäischen Parlaments zum Erdbeben in Haiti
Das Europäische Parlament,
– in Kenntnis der Schlussfolgerungen der vorbereitenden Ministerkonferenz vom 25. Januar 2010 in Montreal,
– unter Hinweis auf die Debatte über das Erdbeben in Haiti mit der Hohen Vertreterin Catherine Ashton am 19. Januar 2010 im Europäischen Parlament,
– in Kenntnis der Schlussfolgerungen des Rates der Außenminister anlässlich des Sondertreffens vom 18. Januar 2010 in Brüssel,
– gestützt auf Artikel 110 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass Haiti am 12. Januar von einem Erdbeben der Stärke 7,3 auf der Richterskala erschüttert wurde und das Land nach wie vor von zahlreichen starken Nachbeben betroffen ist, was in Port-au-Prince, Jacmel und anderen Orten der Region zu katastrophalen Verwüstungen geführt hat,
B. in der Erwägung, dass Berichten zufolge bis zu 150 000 Menschen zu Tode kamen, 300 000 Menschen verwundet wurden und mehr als weitere drei Millionen Menschen direkt betroffen sind,
C. in der Erwägung, dass nach Angaben des Amtes der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) nahezu eine Million Menschen im ganzen Land eine Unterkunft brauchen und von rund 500.000 Binnenflüchtlingen ausgegangen wird,
D. in der Erwägung, dass nach Schätzungen der Regierung Haitis 235 000 Menschen Port-au-Prince verlassen haben und bis zu einer Million Menschen aus den Städten in die ländlichen Gebiete ziehen könnten, wodurch sich der Druck auf bereits gefährdete Gemeinschaften weiter erhöhen würde,
E. in der Erwägung, dass in einem Land, in dem annähernd 60 % der Bevölkerung in ländlichen Gebieten leben und 70 % der Menschen mit weniger als zwei Dollar pro Tag auskommen müssen, schon vor dem Erdbeben rund 1,8 Millionen Menschen unter einer unsicheren Lebensmittelversorgung litten,
F. in der Erwägung, dass die Europäische Kommission eine kurzfristige Hilfe in Höhe von 137 Mio. EUR und mittel- und langfristig wenigstens 200 Mio. EUR bewilligt hat und die Mitgliedstaaten weitere 92 Mio. EUR zur Verfügung stellen,
G. in der Erwägung, dass 24 Mitgliedstaaten im Rahmen des EU‑Katastrophenschutzmechanismus Hilfe für Haiti leisten und 350 Militärpolizisten zur Verstärkung der MINUSTAH entsenden sowie technisches Personal und technische Hilfsmittel und logistische Unterstützung auf See bereitstellen,
H. in der Erwägung, dass Auslandsschulden in Höhe von 890 Mio. EUR auf Haiti lasten, obwohl die internationale Gemeinschaft im Juli 2009 vereinbart hat, Haiti 1,2 Mrd. USD der bis 2004 angelaufenen Schulden zu erlassen,
1. bekundet gegenüber den Bürgern von Haiti und anderen Nationen, den Mitarbeitern internationaler Organisationen, darunter die UN und die Europäische Kommission, sein tief empfundenes Beileid, sein Mitgefühl und seine Solidarität angesichts der durch das Erdbeben verursachten hohen Verluste an Menschenleben und der großen Zerstörung;
2. begrüßt die Bemühungen der haitianischen Behörden und der Zivilgesellschaft sowie der UN, der NRO und anderer bilateraler Geber, den Menschen auf Haiti Hilfe zu leisten, und würdigt die Arbeit von Hilfsorganisationen und Einzelpersonen aus der gesamten Union;
3. drängt darauf, dass die EU vorrangig Such- und Rettungsteams für Stadtgebiete entsendet, die auch im militärischen und zivilen Bereich technische Hilfe leisten und sich dabei insbesondere auf Folgendes konzentrieren: medizinische Notversorgung, Wasser und Hygieneanlagen, medizinische Einrichtungen, Unterkünfte, Logistik, Telekommunikation und Lebensmittel; ruft alle Mitgliedsstaaten auf, sich auf weitere Hilfeersuchen der UN einzustellen;
4. äußert sich sehr besorgt über die Lage gefährdeter Gruppen, insbesondere von Frauen und Kindern; ruft die EU auf, alle verfügbaren Mittel einzusetzen, um für Waisen und Kinder, die ihre Eltern verloren haben oder von ihnen getrennt wurden, zu sorgen und zu verhindern, dass sie in unangemessener Form oder illegal aus Haiti gebracht werden; fordert die EU auf, dringend vorläufige Schulen und Betreuung für Kinder einzurichten;
5. ersucht die Hohe Vertreterin, festzustellen, welche Beiträge die Mitgliedstaaten auf der Grundlage der Bedürfnisse leisten, die die Vereinten Nationen in Bezug auf zusätzliche Unterstützung bei der Anlieferung und Bereitstellung humanitärer Hilfe sowie auf Unterstützung von MINUSTAH aufgelistet haben; begrüßt in diesem Zusammenhang den Vorschlag der Hohen Vertreterin, in Brüssel eine Koordinierungszelle (EUCO Haiti) einzurichten, die eine proaktive europäische Reaktion im Militär- und Sicherheitsbereich erarbeiten soll;
6. begrüßt die vorläufigen Zusagen der Europäischen Kommission, 30 Mio. EUR an humanitärer Hilfe zur Verfügung zu stellen; zeigt sich jedoch besorgt, dass der Aufruf des Amtes der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) zur Bereitstellung von Hilfsgeldern in Höhe von 575 Mio. USD nach wie vor nur zu 47 % durch Beiträge gedeckt ist; betont, dass diese Finanzierung zur langfristigen Durchführung von Maßnahmen grundlegend ist; fordert die Kommission und alle Mitgliedstaaten auf, ihren Zusagen vollständig nachzukommen;
7. ersucht alle Mitgliedstaaten dringend, ihre 2009 gemachten Zusagen einzulösen, Haiti die internationalen Schulden einschließlich der nach 2004 entstandenen Schulden zu erlassen; betont, dass die Erdbebensoforthilfe nur in Form von Zuschüssen, nicht jedoch als verzinstes Darlehen gewährt werden sollte;
8. ist sehr besorgt, dass die Versorgung mit Lebensmitteln trotz der großen Anstrengungen des Welternährungsprogramms (WFP) mangelhaft ist; ersucht daher alle Mitgliedstaaten, die über Vorräte zur Verpflegung ihrer Streitkräfte oder über sonstige Reserven an Fertignahrungsmitteln (z. B. MRE – Meals Ready to Eat) verfügen, einen zusätzlichen Beitrag zum WFP zu leisten;
9. begrüßt, dass die internationale Gemeinschaft bisher rund 40 000 Zelte zur Verfügung gestellt hat; fordert die Mitgliedstaaten jedoch auf, diese Zahl erheblich zu erhöhen, damit die schätzungsweise eine Million Obdachlosen unverzüglich Notunterkünfte erhalten;
10. ersucht die Kommission um logistische Soforthilfe für die haitianischen Behörden und fordert, dass mit Hilfe des UN-Entwicklungsprogramms Auffanglager für Binnenflüchtlinge eingerichtet werden, wobei insbesondere auf ärztliche Versorgung und sanitäre Einrichtungen zu achten ist;
11. tritt dafür ein, dass Notunterkünfte vor der anstehenden Hurrikan-Saison umgehend in großer Zahl bereitgestellt werden; fordert die Mitgliedstaaten und die Privatwirtschaft auf, den Bau solcher Unterkünfte zu unterstützen;
12. bekräftigt den Aufruf des UN-Untergeneralsekretärs für humanitäre Angelegenheiten, Fahrzeuge für den Transport von Treibstoff zur Verfügung zu stellen; fordert die Mitgliedstaaten auf, weitere Hilfe für den Transport von Versorgungsgütern zu den Auffanglagern, Verteilerstellen und abgelegenen Städten und Dörfern bereitzustellen;
13. betont die Bedeutung von geeigneten Vorkehrungen für die Sicherheit von Hilfskonvois, damit gewährleistet wird, dass die Güter insbesondere an die Schwachen und Bedürftigsten gerecht und geordnet verteilt werden können; begrüßt daher den Beschluss des Rates, 350 Militärpolizisten zu entsenden, die die Hilfsmaßnahmen unterstützen und im Hinblick auf weitere eventuelle Einsätze vor Ort bleiben sollen;
14. unterstützt Anstrengungen zur Berücksichtigung der Gleichstellungsproblematik bei den Hilfs- und Aufbauleistungen, wobei insbesondere den Witwen und 37 000 Schwangeren Rechnung zu tragen ist, von denen mindestens 1 500 Frauen besondere Unterstützung benötigen;
15. unterstützt die Bemühungen der EU, die örtliche Nahrungsmittelproduktion anzukurbeln, indem die beschädigte Infrastruktur wieder aufgebaut und kleine landwirtschaftliche Betriebe mit Gütern wie Saatgut, Düngemitteln und Werkzeugen versorgt werden, die diese insbesondere bis zum Beginn der Frühjahrssaison in der Landwirtschaft im März benötigen, in der etwa 60 % der einheimischen Nahrungsmittel angebaut werden;
16. fordert die Kommission auf, alle erforderlichen Schritte einzuleiten, um „Bargeld für Arbeit“- Programme zu unterstützen, damit Bargeld in die Gesellschaft fließt, sowie beim Wiederaufbau und Betrieb des Bankensystems zu helfen; unterstreicht, dass die Wiederaufbaubemühungen in Absprache und unter Einbeziehung der Menschen auf Haiti erfolgen müssen;
17. ist erleichtert, dass sich der Rückstau bei den Flügen nach Haiti aufgelöst hat und vertraut darauf, dass die UN-Sachverständigen und die US-Luftverkehrskontrolle, die die Operation koordinieren, die humanitären Flüge vorrangig abfertigen;
18. betont die Notwendigkeit langfristiger Investitionen für den Bau erdbebensicherer Gebäude und grundlegender Infrastrukturen wie Wasserversorgung, Straßen und Elektrizitätsversorgung, die vor dem Erdbeben gänzlich fehlten oder weitgehend unzulänglich waren und die Auswirkungen von Naturkatastrophen erheblich verschlimmern;
19. fordert, dass gemeinsam mit den Vereinten Nationen und der Weltbank eine internationale Konferenz einberufen und eine koordinierte Bedarfsanalyse nach eingetretenen Katastrophen durchgeführt wird, damit nach Abschluss der Sofortmaßnahmen der langfristige Wiederaufbau geplant werden kann;
20. drängt die EU, mit den haitianischen Behörden zusammenzuarbeiten, um langfristige Pläne für den Katastrophenschutz und den Einsatz der vorhandenen Mittel aufzustellen; betont, dass die Wiederaufbaubemühungen von den nationalen Prioritäten ausgehen müssen, wobei gleichzeitig die Kriterien für effektive Hilfsmaßnahmen berücksichtigt und die haitianischen Institutionen unterstützt werden müssen, damit sie ihre Lenkungsaufgaben wirkungsvoll erfüllen können;
21. bekräftigt die Forderungen des Ratspräsidenten zur Einrichtung einer Schnelleingreiftruppe der EU; ersucht die Kommission dringend, die Schaffung eines Mechanismus zu erwägen, durch den zivile und militärische EU-Ressourcen im Hinblick auf humanitäre Notfälle rationalisiert werden können;
22. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung der Hohen Vertreterin der EU, dem Präsidenten der Europäischen Kommission, dem Präsidenten und der Regierung von Haiti, dem UN-Untergeneralsekretär für humanitäre Angelegenheiten und Nothilfekoordinator sowie den Regierungen der Mitgliedstaaten zu übermitteln.