Entschließungsantrag - B7-0256/2010Entschließungsantrag
B7-0256/2010

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG zur Lage in Kirgisistan

28.4.2010

eingereicht im Anschluss an Erklärungen des Rates und der Kommission
gemäß Artikel 110 Absatz 2 der Geschäftsordnung

Hannes Swoboda, Katarína Neveďalová, Justas Vincas Paleckis, Marc Tarabella, Henri Weber im Namen der S&D-Fraktion

Siehe auch den gemeinsamen Entschließungsantrag RC-B7-0246/2010

Verfahren : 2010/2656(RSP)
Werdegang im Plenum
Entwicklungsstadium in Bezug auf das Dokument :  
B7-0256/2010
Eingereichte Texte :
B7-0256/2010
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Angenommene Texte :

B7‑0256/2010

Entschließung des Europäischen Parlaments zur Lage in Kirgisistan

Das Europäische Parlament,

–   unter Hinweis auf seine vorangegangenen Entschließungen zu Kirgisistan und Zentralasien, insbesondere auf seine Entschließung vom 12. Mai 2005,

–   unter Hinweis auf seine Entschließung vom 20. Februar 2008 zur Strategie der EU für Zentralasien,

–   unter Hinweis auf die Erklärung der Vizepräsidentin und Hohen Vertreterin, Catherine Ashton, vom 8. April 2010 zur Lage in Kirgisistan,

–   unter Hinweis auf die vom Europäischen Rat am 21. und 22. Juni 2007 angenommene EU-Strategie für eine neue Partnerschaft mit Zentralasien,

–   unter Hinweis auf das 1999 in Kraft getretene Partnerschafts- und Kooperationsabkommen zwischen der EU und Kirgisistan,

–   unter Hinweis auf das regionale Strategiepapier der Europäischen Gemeinschaft über die Unterstützung für Zentralasien für den Zeitraum 2007-2013,

–   gestützt auf Artikel 110 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,

A. in der Erwägung, dass es im Interesse sowohl der Völker Zentralasiens als auch der Europäischen Union liegt, dass Fortschritte in Bezug auf Stabilität und ein höheres Niveau an demokratischer und humanitärer Entwicklung, an Sicherheit des Einzelnen und an nachhaltiger Entwicklung in der gesamten Region erzielt werden,

B.  in der Erwägung, dass Kirgisistan Mitglied der OSZE ist und in diesem Rahmen gehalten ist, die Grundfreiheiten, die Menschenrechte und die Rechtstaatlichkeit zu achten und die demokratischen Normen der OSZE umzusetzen,

C. in der Erwägung, dass Kurmanbek Bakijew, der sein Amt nach der sogenannten Tulpenrevolution erstmals im Juli 2005 antrat, im vergangenen Jahr in einer Wahl, die unabhängigen Beobachtern zufolge von massiven Wahlfälschungen überschattet war, für eine weitere Amtszeit als Präsident wiedergewählt wurde; in der Erwägung ferner, dass Bakijews Herrschaft sich nach seinen anfänglichen demokratischen Verpflichtungserklärungen als autoritär und repressiv erwies und sein Regime weitgehend als korrupt und von Machtmissbrauch geprägt wahrgenommen wurde,

D. in der Erwägung, dass am 7. April 2010 kirgisische Truppen unter Einsatz von Geschossen, Tränengas und Betäubungskugeln gegen eine Gruppe von Protestlern vorgingen, die sich vor dem Präsidentenamt in Bischkek versammelt hatten und anschließend die Regierungsgebäude stürmten, um gegen einen starken Anstieg der Preise für Strom und Heizung zu demonstrieren, und dabei zahlreiche Tote und Verwundete zurückließen,

E.  in der Erwägung, dass Präsident Bakijew sich gezwungen sah, aus der Hauptstadt zu fliehen, und sein Amt jetzt von einer Übergangsregierung unter dem Vorsitz der Oppositionsführerin Rosa Otunbajewa ausgeübt wird, die ein Dekret zur Machtnachfolge sowie eine Anordnung zur Befolgung der kirgisischen Verfassung erlassen und das Parlament aufgelöst hat,

F.  in der Erwägung, dass Bakijew versuchte, eine Woche nach dem Aufstand die Bedingungen für seine Kapitulation festzulegen und anschließend im Rahmen einer von Russland, den USA und Kasachstan vermittelten Vereinbarung das Land in Richtung Kasachstan verließ; in der Erwägung ferner, dass Bakijew öffentlich erklärte, er habe unter dem Druck, der gegen ihn und seine Familie ausgeübt worden sei, ein Kapitulationsschreiben unterschrieben, sei aber trotz dieser Kapitulationserklärung nach wie vor der rechtmäßige Präsident von Kirgisistan, bis das Parlament ihn seines Amtes enthebe,

G.  in der Erwägung, dass am 13. April 2010 das kirgisische Verfassungsgericht im Hinblick auf die Gewährleistung der Stabilität und zur Vermeidung einer Konfrontation zwischen den politischen Kräften gezwungen war, den Forderungen der Übergangsregierung des Landes nachzukommen, und das Gericht aufzulösen,

H. in der Erwägung, dass angesichts des Ausbruchs neuer ethnischer Krawalle am 19. April 2010 in den Außenbezirken von Bischkek, die zu Toten und Verwundeten führten und besondere Anstrengungen der Übergangsregierung zur Wiederherstellung der Ordnung erforderlich machten, die Lage in Kirgisistan nach wie vor instabil ist; in der Erwägung ferner, dass Anhänger von Bakijew in Jalalabad ein regionales Regierungsamt übernahmen und einen Bakijew wohlgesonnenen Gouverneur eingesetzt haben; in der Erwägung ferner, dass es in einigen Teilen des Landes nach wie vor zu Zusammenstößen zwischen den Anhängern beider Seiten kommt,

I.   in der Erwägung, dass die Regierung der Russischen Föderation neben der zugesagten Lieferung von Benzin und Diesel für die Frühjahrsernte ein Paket von 50 Mio. USD zur wirtschaftlichen Unterstützung Kirgisistans verabschiedet hat,

J.   in der Erwägung, dass Zentralasien in erheblichem Umfange von Armut und einer Vielzahl ernsthafter Gefährdungen der menschlichen Sicherheit sowie von mangelhafter Staatsführung, einem starkem Hang zu Autorität und fehlenden rechtlichen Möglichkeiten für die Bekundung von Unzufriedenheit und die Förderung politischer Veränderungen gekennzeichnet ist; in der Erwägung ferner, dass dies zum Nährboden für radikalislamistische Untergrundbewegungen und für eine rasche Ausbreitung solcher Bewegungen in den ärmsten Ländern werden kann,

K. in der Erwägung, dass sich die EU unvermindert dazu bekennen muss, in allen Vereinbarungen mit Drittstaaten den Menschenrechten, der Demokratie und der Rechtstaatlichkeit einen hohen Stellenwert einzuräumen und anhand einer kohärenten Politik demokratische Reformen zu fördern und damit gleichzeitig ihre Glaubwürdigkeit als regionaler Akteur zu erhöhen,

1.  zeigt sich zutiefst beunruhigt über die Lage in Kirgisistan und spricht den Familien aller Opfer der tragischen Ereignisse sein aufrichtiges Beileid aus;

2.  fordert alle Parteien auf, die Gewalt einzustellen, Zurückhaltung zu üben und alles zu unternehmen, um einen echten Dialog zur Herstellung von Stabilität und zur Schaffung der Voraussetzungen für eine friedliche Rückkehr zu einer demokratischen und verfassungsgerechten Ordnung in die Wege zu leiten;

3.  fordert eine internationale Untersuchung der Ereignisse unter der Führung der Vereinten Nationen, um die Verantwortlichkeiten und Versäumnisse zu identifizieren und den kirgisischen Justizbehörden Unterstützung zu gewähren, damit diese unter Gewährleistung der Beachtung und der Billigkeit der Gerichtsverfahren die Urheber vor Gericht stellen;

4.  begrüßt die von der Übergangsregierung unternommenen ersten Schritte zur Wiederherstellung der Demokratie insbesondere in Bezug auf den beabsichtigten Entwurf einer neuer Verfassung, mit der die Verfassungsrevision von Bakijew, die zu einer übermäßigen Machtkonzentration in den Händen der Präsidentschaft geführt hatte, überholt werden soll, sowie in Bezug auf die Forderungen nach Neuwahlen, sobald die Voraussetzungen für freie und faire Wahlen geschaffen und die dazu erforderlichen Rechtsvorschriften verabschiedet und umgesetzt worden sind;

5.  begrüßt diesbezüglich die Ankündigung der Übergangsregierung, am 27. Juni 2010 eine Volksabstimmung über die neue Verfassung durchzuführen, und für den 10. Oktober 2010 allgemeine Neuwahlen anzuberaumen;

6.  betont, dass eine dynamische Sozialpolitik und Bemühungen zur Bewältigung der kulturellen und bildungsspezifischen Probleme den besten Schutz gegen Übergriffe darstellen, die dazu führen, dass Menschen verarmen und leicht beeinflussbar und damit zu einer Beute für Bewegungen werden, die danach trachten, die Armut der Menschen für terroristische Zwecke zu missbrauchen;

7.  weist nachdrücklich auf die Gefahren im Zusammenhang mit dem Aufbau von Volksmilizen und den Umgang mit diesen hin;

8.  betont insbesondere, dass alle Menschen Zugang zur Stromversorgung haben müssen, deren Kosten sich in kürzester Zeit anscheinend verdreifacht haben, ein Umstand, von dem die Versorgungsunternehmen profitieren, die im Besitz der Familie von Präsident Bakijew sind;

9.  fordert die Übergangsregierung nachdrücklich auf, alles zu unternehmen, um die Voraussetzungen für ein wirksames und transparentes System zu schaffen, das in der Lage ist, die Vormacht der Sippenpolitik zu zügeln und die politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung zu stimulieren;

10. betont, dass die Tulpenrevolution von 2005 in der kirgisischen Gesellschaft hohe Erwartungen demokratischer Reformen hervorgerufen hatte, zu denen es nicht zuletzt aufgrund einer mangelhaften Kohärenz und Verbindlichkeit der EU-Politik gegenüber diesem Land letztlich doch nicht gekommen ist; fordert den Rat und die Kommission auf, die Gelegenheit nicht ein weiteres Mal zu verpassen und Wege zu finden, um die Übergangsregierung von Kirgisistan zu unterstützen und den Behörden dabei zu helfen, die demokratischen Reformen fortzusetzen und das Leben der Menschen zu verbessern und dazu in Zusammenarbeit mit allen Beteiligten und der kirgisischen Zivilgesellschaft die nationale Entwicklung und eine Stärkung der Bürgerinnen und Bürger voranzubringen;

11. stellt fest, dass der erhebliche Rohstoffmangel und die Anfälligkeit Kirgisistans das Land in hohem Maße von auswärtiger Unterstützung abhängig machen; stellt ebenso fest, dass es in der Nachbarschaft an Vorbildern für demokratische und gut funktionierende Staatsführung und für eine positive gesellschaftliche Entwicklung mangelt; weist diesbezüglich nachdrücklich darauf hin, dass die internationale Unterstützung von entscheidender Bedeutung sein wird;

12. fordert den von der Vizepräsidentin und Hohen Vertreterin eingesetzten Sondervertreter für Zentralasien auf, die Lage sorgfältig zu beobachten, Unterstützung bereitzustellen und die Wiederaufnahme des Dialogs zwischen allen Teilen der kirgisischen Gesellschaft zu begünstigen; fordert ihn gleichzeitig nachdrücklich auf, in enger Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen auf die Einberufung einer internationalen Geberkonferenz hinzuarbeiten, auf der die humanitären Probleme und die grundlegenden Bedürfnisse von Kirgisistan erörtert und die notwendige Unterstützung für eine nachhaltige Entwicklung des Landes bereitgestellt werden sollte;

13. fordert die Kommission und den Rat auf, umgehend zu prüfen, inwieweit die Voraussetzungen für die Auflegung eines international koordinierten, umfassenden und neuen Hilfsprogramms für Kirgisistan gegeben sind oder geschaffen werden können und dabei nicht zuletzt zu berücksichtigen, wie ernst gemeint das derzeitige Bekenntnis der kirgisischen Übergangsregierung zur Demokratisierung und zur gedeihlichen Staatsführung tatsächlich ist;

14. fordert eine besondere Aufmerksamkeit in Bezug auf die Gefahr einer Nord-Süd-Spaltung des Landes und verlangt echte Unterstützungsmaßnahmen, um Kirgisistan in die Lage zu versetzen, im Gegensatz zu der stammesgebundenen Situation, die das Land derzeit teilt, seine nationale Identität weiter zu entwickeln;

15. fordert eine umfassende Nutzung des Stabilitätsinstrumentes und fordert die Kommission auf, Vorschläge für eine Neuzuweisung von Mitteln aus dem Instrument für Entwicklungszusammenarbeit vorzubereiten, um sicherzustellen, dass die Europäische Union kurz- und mittelfristig angemessen auf die neue Lage in Kirgisistan antworten kann;

16. sieht einer Überprüfung der bei der Umsetzung der Strategie der Europäischen Union für diese Region gemachten Fortschritte mit Interesse entgegen und fordert Bemühungen, um die Herstellung von Stabilität in der Region und die Förderung einer friedlichen und stabilen Zukunft glaubwürdiger, konkreter und kohärenter zu gestalten;

17. weist nachdrücklich darauf hin, dass Anstrengungen unternommen werden sollten, um zu verhindern, dass Kirgisistan zu einem Gebiet der Konfrontation zwischen stärkeren regionalen Akteuren wird, und fordert die Vizepräsidentin und Hohe Vertreterin und die Kommission auf, Wege zu finden, um das Land in einen Raum der Zusammenarbeit zwischen den wichtigsten Akteuren im Interesse der gesamten Bevölkerung des Landes umzuwandeln;

18. betont, dass die Bürger Europas ein offensichtliches Interesse an der Solidarität mit den Bürgern Kirgisistans haben, wobei es in erster Linie darum geht, Stabilität und Frieden herzustellen, für eine bessere Zukunft und eine demokratische Entwicklung zu sorgen, Gewaltdemonstrationen zu verhindern und die Regierung bei der Vorbereitung demokratischer Wahlen zu unterstützen;

19. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung der Vizepräsidentin und Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, dem Rat und der Kommission sowie der OSZE und den Parlamenten der Russischen Föderation, der Vereinigten Staaten von Amerika und Kasachstans zu übermitteln.