ENTSCHLIESSUNGSANTRAG zur Notwendigkeit einer verstärkten wirtschaftlichen Governance
14.6.2010
gemäß Artikel 110 Absatz 2 der Geschäftsordnung
Guy Verhofstadt, Lena Ek im Namen der ALDE-Fraktion
Siehe auch den gemeinsamen Entschließungsantrag RC-B7-0349/2010
B7‑0355/2010
Entschließung des Europäischen Parlaments zur Notwendigkeit einer verstärkten wirtschaftlichen Governance
Das Europäische Parlament,
– unter Hinweis auf die informelle Tagung des Europäischen Rates vom 11. Februar 2010,
– in Kenntnis der von der Kommission durchgeführten Konsultation der Öffentlichkeit zur Strategie Europa 2020 und ihres Ergebnisses (SEK(2010)116),
– in Kenntnis der Bewertung der Lissabon-Strategie durch die Kommission (SEK(2010)114),
– in Kenntnis des Dokuments des Europäischen Rates mit dem Titel „Sieben Schritte zur Erfüllung der europäischen Strategie für Wachstum und Arbeitsplätze“,
– unter Hinweis auf seine Entschließung vom 10. März 2010 zur Strategie Europa 2020,
– gestützt auf Artikel 110 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass die Strategie Europa 2020 dem Wirtschaftswachstum und der Schaffung von Arbeitsplätzen dienen sollte, und in der Erwägung, dass der Rückgang des BIP um 4 % und der Rückgang der Industrieproduktion sowie die Arbeitslosigkeit von mehr als 23 Millionen Frauen und Männern eine menschliche und wirtschaftliche Herausforderung darstellen,
B. in der Erwägung, dass es in bestimmten Mitgliedstaaten der Europäischen Union nicht zu der derzeitigen Finanzkrise gekommen wäre, wenn sich die Mitgliedstaaten an die Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts gehalten hätten,
C. in der Erwägung, dass die Mitgliedstaaten ihre Wirtschaftsleistung durch die Einführung von Strukturreformen verbessern sollten, die darauf abzielen, die öffentlichen Ausgaben zu senken, die Bürokratie abzubauen, die Eigenverantwortung der Bürger zu stärken, Unternehmergeist und Innovation zu fördern, die Rechtsvorschriften KMU-freundlicher zu gestalten und den Menschen die Gelegenheit zu geben, ihr Potenzial voll auszuschöpfen anstatt vom Sozialstaat abhängig zu sein,
Europäischer Finanzstabilisierungsmechanismus zur Sicherung der Stabilität der Eurozone als erster wichtiger Schritt
1. ist der Ansicht, dass die am 9. Mai erzielte Einigung zur Schaffung eines Europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus, mit dem Ländern in finanziellen Schwierigkeiten, sowohl solchen, die der Eurozone angehören als auch solchen die ihr nicht angehören, geholfen werden soll, ein entscheidender Moment in der europäischen Geschichte ist; bedauert jedoch, dass die politischen Entscheidungsträger in der EU Monate haben verstreichen lassen und Milliarden von Euro verloren gingen, weil sie nicht früher entschiedene Maßnahmen ergriffen haben;
2. hält diese Einigung für einen wichtigen ersten Schritt, um einen soliden und nachhaltigen Rahmen für die Geld- und Währungspolitik der Europäischen Union zu schaffen; ist der Ansicht, dass der Erfolg dieses Programms entscheidend davon abhängt, ob es den sich in finanziellen Schwierigkeiten befindlichen Mitgliedstaaten gelingt, ihren Arbeitsmarkt zu reformieren, ihren Bankensektor zu ordnen, die Produktivität zu steigern und die finanzpolitischen Anpassungen zu beschleunigen;
3. erinnert die Kommission und die Mitgliedstaaten daran, dass das Parlament seine Zustimmung geben muss, falls Kommission und Rat die Mittel für das Rettungspaket auf den internationalen Kapitalmärkten aufnehmen wollen;
4. betont, dass die jüngsten Ereignisse deutlich machen, dass die Eurozone eine entschlossenere wirtschaftspolitische Steuerung benötigt; unterstreicht, dass ein währungspolitischer Pfeiler ohne einen sozioökonomischen Pfeiler zum Scheitern verurteilt ist;
Die Europäische Union muss besser für künftige Krisen gerüstet sein
5. begrüßt die Kommissionsvorschläge für eine mittel- und langfristig stärkere Steuerung der Eurozone, mit der eine Wiederholung der derzeitigen Währungskrise vermieden wird;
6. fordert die Kommission auf, einen verstärkten Sanktionsmechanismus (z. B. Nennung und Anprangerung der betreffenden Länder, Entzug des Stimmrechts, Verringerung der Zuschüsse aus den Strukturfonds und Finanzstrafen) in der Eurozone einzuführen, um so die Mitgliedstaaten zu zwingen, sich an die Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts zu halten;
7. fordert die Einrichtung eines Europäischen Währungsfonds, in den die Länder der Eurozone entsprechend ihrem Bruttoinlandsprodukt einzahlen und in den die Geldbußen fließen, die die Mitgliedstaaten bei überhöhter Verschuldung und zu hohem Staatsdefizit zahlen müssen; weist darauf hin, dass jeder Mitgliedstaat aus dem EWF Mittel bis zu dem Betrag erhalten könnte, den es in der Vergangenheit eingezahlt hat, sollte ein Land jedoch zusätzliche Mittel oder Bürgschaften benötigen, so müsste es ein maßgeschneidertes Reformprogramm akzeptieren, das die Kommission überwachen würde;
8. ist der Ansicht, dass die Eurozone einen gemeinsamen Eurobondmarkt (EBM) braucht, um die Renditedifferenz zwischen den Benchmarkanleihen zu verringern und die Art des Zugangs der Mitgliedstaaten zu den Mitteln zu vereinfachen; betont, dass viele Länder ihre Finanzen in Ordnung bringen müssen, um ihr Haushaltsdefizit und ihre Verschuldung beträchtlich zu senken;
9. betont, dass die Befugnisse von Eurostat verstärkt werden sollten; ist der Ansicht, dass offene und transparente statistische Informationen eine Voraussetzung für den Zugang zu den Strukturfonds sein sollten;
10. betont, dass eine europäische Finanzaufsichtsbehörde für die Überwachung auf Makro- und Mikroebene erforderlich ist, um eine wirksame Aufsicht sicherzustellen;
11. fordert die Kommission auf, die Zuteilung der Mittel zu vereinfachen und sie innerhalb einer kürzeren Frist zur Verfügung zu stellen, damit die Krise so besser bewältigt werden kann;
Die Governance-Struktur der Strategie Europa 2020 ist nach wie vor zu schwach
12. ist der Ansicht, dass die derzeitige Strategie Europa 2020 ehrgeiziger sein sollte, um so zu gewährleisten, dass sie nicht das gleiche Schicksal ereilt wie die Lissabon-Strategie, die wegen einer schwachen Governance-Struktur, fehlender Rechenschaftspflicht und eines Mangels an Schwerpunkten und Transparenz letztlich scheiterte;
13. bedauert deshalb zutiefst, dass Kommission und Rat die Governance-Struktur der Strategie Europa 2020 nicht gestärkt haben, obwohl das Parlament dies in seiner Entschließung vom 10. März 2010 zur Strategie Europa 2020 ausdrücklich gefordert hatte;
14. betont erneut, dass die offene Methode der Koordinierung im Bereich der Wirtschaftspolitik gescheitert ist und durch verbindliche Maßnahmen ersetzt werden sollte;
15. ist der Ansicht, dass die Mitgliedstaaten in enger Zusammenarbeit mit der Kommission nationale Aktionspläne erstellen sollten, in denen sie einen europäischen Konvergenzkodex mit Höchst- und Mindestwerten befolgen sollten, die auf bestimmte makroökonomische Aspekte ihrer Volkswirtschaften angewandt werden, und dass dieser Konvergenzkodex von der Kommission ausgearbeitet und vom Europäischen Rat angenommen werden sollte;
16. fordert die Kommission nachdrücklich auf, von ihrem Initiativrecht Gebrauch zu machen und eine Wirtschaftsstrategie für den wirtschaftlichen Aufschwung vorzuschlagen, die sich vorrangig auf EU-Instrumente stützt und nicht nur auf zwischenstaatliche Initiativen;
17. ist der Ansicht, dass eine wirkliche wirtschaftliche Governance bedeutet, dass der Kommission eine angemessene und stärkere Verantwortung für die Steuerung übertragen wird, damit sie die bestehenden Instrumente und die neuen, im Rahmen des Vertrags von Lissabon geschaffenen Instrumente wie z. B. die Artikel 121, 122, 136, 172, 173 und 194 nutzen kann, die der Kommission die Aufgabe übertragen, die Reformpläne und Maßnahmen zu koordinieren sowie eine gemeinsame Strategie zu erstellen;
18. fordert den Europäischen Rat und die Kommission auf, eine Strategie des „Forderns und Förderns“ anzuwenden und im Rahmen von Artikel 136 des Vertrags Mechanismen der Erfüllungskontrolle einzusetzen, wie wirtschaftliche Anreize (beispielsweise zusätzliche EU-Mittel) sowie Sanktionen, die darauf abzielen, eine verstärkte wirtschaftliche Governance der EU und insbesondere eine verstärkte Governance im Rahmen der Strategie Europa 2020 zu unterstützen;
Der Europäische Haushaltsplan ist weniger ehrgeizig als die Mitteilung der Kommission zur Strategie Europa 2020
19. betont, dass das Parlament den Entwurf des Haushaltsplans 2011 nicht unterstützen wird, solange er nicht das gleiche Maß an Ambitionen widerspiegelt wie die Strategie Europa 2020; bedauert, dass für die Leitinitiativen der Strategie Europa 2020 keine ausreichenden Mittel im Entwurf des Haushaltsplans 2011 bereitgestellt werden; fordert die Kommission auf, die Verbindung zwischen den Haushaltslinien und den entsprechenden konkreten Zielen der Strategie Europa 2020 klarzustellen;
20. fordert die Kommission auf, den EU-Haushaltsplan im Rahmen der Überprüfung des mehrjährigen Finanzrahmens im Juni einer ehrgeizigen Überprüfung zu unterziehen, um so den Ehrgeiz, der Strategie Europa 2020 zum Erfolg zu verhelfen, zu steigern;
Das Europäische Parlament wird alle verfügbaren Mittel einsetzen, um die Strategie Europa 2020 zu stärken
21. bedauert, dass Kommission und Europäischer Rat keine größere Bereitschaft gezeigt haben, enger mit dem Parlament zusammenzuarbeiten, um den Erfolg der Strategie Europa 2020 zu gewährleisten;
22. betont, dass das Parlament seine Entscheidung zu den beschäftigungspolitischen Leitlinien treffen wird, sobald es eine zufriedenstellende Antwort bezüglich der Governance-Struktur und des Haushaltsrahmens der Strategie Europa 2020 erhalten hat;
23. betont, dass die jährlichen Berichte der Kommission mit politischen Empfehlungen und Warnungen betreffend die Verfolgung der Ziele der Strategie Europa 2020 durch die Mitgliedstaaten die Grundlage für Beschlüsse des Europäischen Rates bilden sollten und dass diese Berichte vor den Beratungen des Europäischen Rates im Parlament erörtert werden sollten;
24. ist der Ansicht, dass die Grundzüge der Wirtschaftspolitik (BEPG) und die länderspezifischen Empfehlungen ausreichend detailliert sein müssen, damit sie wirklich Wirkung zeigen;
25. erwartet von Rat und Kommission, dass sie das Parlament zu den Grundzügen der Wirtschaftspolitik konsultieren; ist der Ansicht, dass der Schwerpunkt dieser Leitlinien auf politische Empfehlungen sowohl zur makro- wie auch zur mikroökonomischen Entwicklung in der gesamten Union und in den einzelnen Mitgliedstaaten gelegt und das Augenmerk besonders auf mittel- und langfristig wachstumsfördernde Strukturreformen gerichtet werden sollte;
26. betont die Bedeutung einer stärkeren Verbindung zwischen den Instrumenten des Stabilitäts- und Wachstumspakts einerseits und den Nationalen Reformprogrammen andererseits durch eine zeitlich kohärente Vorlage einschließlich einer besseren Vergleichbarkeit der nationalen Haushaltspläne bezüglich der Ausgaben in den unterschiedlichen Kategorien;
27. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Europäischen Rat und der Kommission zu übermitteln.